Der Angriff kam morgens um 7 - Rudolf Hopmann - E-Book

Der Angriff kam morgens um 7 E-Book

Rudolf Hopmann

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Beschreibung

Georg Hopmann, gestandener Anwalt am Landesgericht in Köln, meldet sich 1914 freiwillig zum Dienst an der Waffe. In seinen Aufzeichnungen und Briefen schildert er nüchtern und unprätentiös die täglichen Begebenheiten, Freuden und Mühsalen des Frontsoldaten. Zuerst von der Winterschlacht in der Champagne 1914/15, wo er ein erstes Mal verwundet wird, dann von der Aisne-Front 1916, wo er ein zweites Mal verwundet wird, und schliesslich von seinem zweiten Einsatz an der Aisne, wo er 1917 den Heldentod findet. Wie viele seiner Kameraden ruht er unbestattet in französischer Erde. Die Suche seines Vaters nach der Wahrheit und dem Verbleib seines Sohnes hinterlässt einen vielfältigen und eindrücklichen Schriftverkehr, mit ganz einfachen und mit gebildeten Leuten, mit dem Militär, den Behörden und den Suchdiensten. Vor dem geistigen Auge des Lesers entsteht ein lebendiges Bild jener Zeit, der Leser sieht die Nöte und Hoffnungen, die die Menschen in schwerer Zeit begleiten. Authentisches Bildmaterial ergänzt die Schilderungen.

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Seitenzahl: 366

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Rudolf Hopmann

Der Angriff kam morgens um 7

Georg Hopmanns Tagebuchaufzeichnungen und Briefe 1914-1917

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog: Rudolf Hopmann, Eine Einführung

Zweiter Teil: Die Winterschlacht in der Champagne - Tagebuchaufzeichnungen

Dritter Teil: An der Aisne-Front - bis zur zweiten Verwundung

Vierter Teil: Zurück an der Aisne-Front - bis zu seinem Tod

Fünfter Teil: Epilog - Die Suche nach den Sohn und die Wahrheit

Impressum neobooks

Prolog: Rudolf Hopmann, Eine Einführung

Zu seiner Person

Georg wurde am 29. April 1882 in Hürth bei Köln geboren. Er besuchte die Volksschule und das Gymnasium in Köln und studierte Jura in Bonn, wo er sehr wahrscheinlich auch promovierte. [Die Kölner Universität wurde erst in den 20er Jahren wiedererrichtet.] Er war bereits zugelassener Anwalt am OLG Köln, als er 1914 zum Wehrdienst, oder sollte man besser sagen zum Kriegsdienst, eingezogen wurde oder er sich dazu freiwillig meldete. Für Letzteres spricht eine Bemerkung am Ende des Briefes vom 6.3.16 an seinen Bruder Rudolf und eine gewisse vaterländische Einstellung, die in deutschen Bevölkerungskreisen die vorherrschende Grundstimmung war, und die auch deutlich in seinen Aufzeichnungen und Briefen zu Tage tritt.

Außerdem war er bereits 32 Jahre alt und gehörte somit der Landwehr II an, die sicherlich nicht gleich in den ersten Tagen zu den Waffen gerufen wurde. Er wurde zunächst in Köln‑Bayenthal stationiert, wo er einer ca. sechswöchigen Grundausbildung unterzogen wurde. Er kam zunächst als Gemeiner in der 9. Kompagnie des Reserveinfanterieregimentes 68, abgekürzt Res.Inf. Reg. oder kurz RIR, in der Champagne in der Nähe von Ripont zum Einsatz, wo im Februar/März 1915 die so genannte Winterschlacht ausbrach.

Von dieser Zeit liegen ausführliche Aufzeichnungen in Form eines Tagebüchleins vor. Diese brechen allerdings mit Datum des 10. Februar 1915 ab. Der Grund dürfte in einer Verletzung liegen, die schwerwiegender Natur gewesen sein muß, denn sie fesselte ihn sechs Wochen ans Krankenbett und erst ein Jahr später ist Georg wieder an der Front. Aus der Champagne ist er offenbar als Gefreiter heimgekehrt (siehe die Bemerkung im Brief vom 9.11.1916), und eine an ihn adressierte Feldpostkarte nach Köln ins „Rekruten-Depot Abt. 3“ von seinem Freund Fritz Schulze spricht ihn im September 1915 als Gefreiten an. Bis Ende 1915 wissen wir nichts Weiteres von ihm mit Ausnahme der oben erwähnten Feldpostkarte, in der Schulze ihn fragt, ob er in Malmedy - wo er sich also offensichtlich längere Zeit aufgehalten haben muß - auch einen Offizierskursus mache. Das Militär hätte auf ihn früher zurückgegriffen, wenn er gesundheitlich zur Verfügung gestanden hätte. Die ersten von ihm vorliegenden Briefe kommen aus Döberitz bei Berlin, wo er einen Offizierskursus besucht. Er muß zwischenzeitlich zum Unteroffizier befördert worden sein. Auf einer Feldpostkarte vom 29. Januar 1916 aus Döberitz steht im Absender Unteroffizier.

Der Kursus dauerte bis zum 31. Januar. Anfang Februar 1916 kommt er wieder an der Westfront zum Einsatz, und zwar meldet er sich am 8. Februar aus Laon mit einer Postkarte, von wo er in den Bereich von Blérancourt nördlich der Aisne kommandiert wurde.

Am 1. Mai wird er zum Vizefeldwebel befördert und besucht vom 23. Juni bis 14. Juli erneut einen Offiziersaspirantenkursus. Am 6. August meldet er nach Hause, daß er zum Leutnant befördert wurde, und am 23. August, daß er das Eiserne Kreuz II erhalten habe. Am 5. September schreibt er nach Hause, daß er durch einen Granatsplitter an der rechten Hand „nur leicht“ verletzt worden sei. Er kommt ins Lazarett nach Chauny, wo er am 7. Oktober ein letztes Mal einen Gruß nach Hause schreibt. Kurz darauf - am nächsten Tag wohl - ist er also zu einem Heimaturlaub entlassen worden. Von diesen Monaten an der Aisne‑Front berichtet der dritte Teil.

Schon Ende Oktober muß er wieder von Hause an die Front aufbrechen. Über seinen neuen Einsatzort darf er nichts mehr mitteilen. Der ist den Eltern nur indirekt aus den zugeschickten Ansichtskarten erschließbar. Sein Einsatzort war ca. 44 km östlich des zweiten, südlich von Laon und nördlich des Chemin des Dames gelegen. Nahe Cerny ist er gefallen. Die Zeit bis zu seinem Tod wird lediglich durch den Besuch eines weiteren Offizierskursus vom 2.12. bis 21.12.1916 in Noyon unterbrochen. Man kann aus der schnellen Abfolge der Kurse zweierlei schließen: Daß Georg höhere Chargen hätte erreichen können, hätte ihn der Tod nicht frühzeitig erreicht, und daß das Heer hohe Verluste im unteren Offizierskader, daher Bedarf hatte.

Es liegt ein kleines, 6,3x4,8 cm großes Foto von zwei Grabkreuzen vor: „Hier ruht in Gott Hptm. d. R. M. Braune - Kmdr. II/R 68 - gef. 8.9.16“ und „Hier ruht in Gott Ltn. d. R. Pet. Moll - Adjt. II/R 68 - gef. 8.9.16“. Es ist also der Kommandeur des II. Bataillons mit seinem Adjutanten 3 Tage nach Georgs Verletzung in der Aisne-Schlacht zu Tode gekommen. Vielleicht kannte Georg beide.

Zu seiner Familie

Er ist der älteste Sohn des Fabrikanten Leonhard Hopmann (1851 - 1919) und der Ehefrau Lisette geb. Mähler (1852 - 1926) und hat sieben Geschwister. Seine älteste Schwester Maria (1884 - 1981) ist in St. Wendel (Saar) mit Franz Custodis (1877 - 1954) verheiratet. Häufige Adressaten seiner Briefe sind seine zwei Schwestern, Elisabeth (1888 - 1950) und Aloysia (1890 - 1977) und seine Brüder Leonhard (1892 - 1956) und Rudolf (1895 - 1978). Gelegentlich erwähnt er seine jüngste Schwester Anna (1899 - 1985), genannt Ännchen.

Zu seinen schriftlichen und bildlichen Zeugnissen

Über die Zeit von November 1914 bis zu seiner ersten Verwundung in der Champagne gibt es ausführliche Aufzeichnungen, die am 10. Februar 1915 abbrechen. Diese Aufzeichnungen liegen in Form eines kleinen, Kalender großen Heftleins (15,3 x 9,7 cm) vor, in schwarzer Heftbindung, insgesamt 60 Seiten, von denen 52 Seiten auf 24 Zeilen mit schwarzer Tinte in schöner, gut leserlicher deutscher Schreibschrift mit gleichmäßiger Neigung beschrieben sind. Ob es sich um eine (evtl. zusammenfassende) Übertragung von Tagebuchblättern von eigener oder von fremder Hand handelt, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Vieles spricht für eine fremde Hand, denn vergleicht man die Schrift mit derjenigen in den nachfolgenden Briefen, ist sie kaum von der selben Hand, und es scheint unvorstellbar, daß er diese Aufzeichnungen unter schwierigsten Bedingungen im Schützengraben bzw. den Deckungen, in Schlamm und unter Kanonendonner bei spärlichem Licht, so sauber mit Tinte(!). hätte schreiben können. So liegt die Vermutung nahe, daß es die Schrift einer seiner Schwestern ist.

Aber warum brechen die Aufzeichnungen so plötzlich ab? Er ist beim Schreiben eines Briefes oder Tagebuchblattes durch einen französischen Angriff, der zu einer nicht unbedeutenden Verletzung führte, unterbrochen worden. Das Geschriebene hätte wie das Frühere als Vorlage für die Aufzeichnungen dienen sollen oder können. Dieser Tagebuchbericht bildet den zweiten Teil der vorliegenden Schrift.

Es liegen insgesamt 125 Schriftstücke vom zweiten Einsatz 1916 an der Aisne bis zu seiner zweiten Verwundung vor, und noch einmal 55 aus der Zeit der Schlacht an der Aisne bis zu seinem Tod, von Herbst 1916 bis April 1917. Die Schriftstücke lassen sich in drei Gruppen einteilen: in Briefe, in Briefkarten oder Kurzbriefe bzw. Feldpostbriefe, sowie in Post- und Ansichtskarten. Die Briefe sind fast alle gefaltet und querformatig beschrieben, so daß sich vier Seiten ergeben. Viele sind 17 x 11 cm groß. Einige Briefe sind länger als vier Seiten, aber nie mit einem Einlageblatt versehen, sondern ein zweites Doppelblatt ist beigefügt. Die Feldpostbriefe sind vorgedruckt und vorgefertigt. Sie wurden an einem perforierten Rand zusammengeklebt. Zum Öffnen hat man den Rand abgerissen. Dann sind sie aufgefaltet ca. 16 x 12,3 groß (Hochformat). Sie können nur auf der Innenseite für die briefliche Mitteilung genutzt werden, auf der Außenseite ist die eine Hälfte für die Adresse, die andere Hälfte für den Absender reserviert. Dann gibt es noch Feldpostkartenbriefe, die 18,2 x 11,2 cm groß sind und noch ein Einlageblatt besitzen. Solche Feldpostkartenbriefe hat Georg insbesondere im August 1916 benutzt.

Die (Feld)Postkarten sind sehr oft Propagandakarten, von denen acht vorliegen, aber auch eine ganze Anzahl Ansichtskarten bzw. Ansichtskarten große Fotografien hat Georg nach Hause geschickt, die bis auf einige aufgenommen wurden.

Leider war Georg in der Beschriftung des Bildmaterials, der Benennung der Orte und der Bezeichnung der auf den Fotografien dargestellten Personen, sehr nachlässig, so daß oft nur indirekt datiert oder bezeichnet werden kann. Einige Fotografien sind in der Qualität zu schlecht, anderes Bildmaterial erscheint zu lose im Bezug oder zu unklar im Dargestellten, als daß sich eine Wiedergabe gelohnt oder gerechtfertigt hätte. Dies bezieht sich leider insbesondere auf eine numerierte Serie von 28 Fotografien, die sich in einem Pergaminumschlag befinden, angeschrieben in lateinischer Schrift mit „Lt. Hopmann, 28 Bilder à 0,15, Sa 4,20 M“, die offenbar aus der Aisne-Schlacht am Chemin des Dames stammen und Januar/Februar 1917 aufgenommen wurden. Einige sind trotzdem abgedruckt worden, weil sie einen guten Eindruck über die Verhältnisse an der Front vermitteln. So lang sie instruktiv und illustrativ für die Umstände sind, ist die Wiedergabe gerechtfertigt. Einige Fotografien, und zwar insbesondere solche mit Personendarstellungen, sind beschnitten worden, um eine vergrößerte Wiedergabe zu ermöglichen, die es erlaubt, beim Vergleichen der Fotos Personen besser identifizieren zu können.

Abb. 1: "Ers. Landw. - Bat. - Inf. - Reg. 29 - 1914 -". Georg oben rechts. Das Foto stammt aller Wahrscheinlichkeit nach aus der Zeit in Bayenthal.

Auf der Schrifttafel in der Abb. 1 fallen die beiden Worte „Ersatz“ und „Landwehr“ ins Auge. Ersatz oder Reserve umfaßt jene Wehrpflichtigen, die nicht im (aktiven) Wehrdienst stehen, weil sie nicht gedient oder ihre Wehrpflicht abgeleistet haben. Der Landwehr gehörten die im 26. bis 39. Altersjahr stehenden Männer an. Georg, 1914 also 32 Jahre alt, gehörte genau gesagt sogar zur Landwehr II. Gleich zu Beginn des Krieges wurde sicherlich (noch) nicht die Landwehr II zu den Waffen gerufen, was nahelegt anzunehmen, daß Georg sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hat. Ob die auf dem Foto abgebildeten 29er etwas mit den im Bericht vom 23./24.12.1914 erwähnten 29er etwas zu tun haben, ist unklar.

Besonderes Interesse wecken die im 14. Brief vom 27.3. erwähnten Fotos. Das „Einzelbild“ zeigt Vfw. Georg vor Steinquadern. Es ist wohl nicht aus der Luft gegriffen zu behaupten, daß es sich um eine Ecke des Gehöfts des Touvent-Stützpunktes handelt. Das andere Foto zeigt zehn Personen vor einem Hintergrund mit Schnee. Die Witterung stimmt mit der in den Brief vom 5./6. 3. erwähnten überein. Das Foto wird mit großer Wahrscheinlichkeit um diese Tage aufgenommen worden sein, da die Kompanie zu dieser Zeit in Reserve lag, eine Woche später aber im Graben, und nur in der Ruhe sich wirklich Gelegenheit für Gruppenfotos bot. Die eine Person, mit dem Fernglas sitzend hierarchisch betont, muß Kompaniechef Lt. Dewies sein. Die anderen drei Offiziere (Schirmmützen!) sind also die Zugführer der Kompanie, rechts Lt. Steinbach. Die restlichen sechs Personen sind Unteroffiziere, also die Gruppenführer (... da wir 6 Gruppen im 2. Zug haben ...“, 5. Brief), darunter dritter von links Georg. Sechs der zehn Männer sind mit dem EK II ausgezeichnet!

Allen Fotos der oben erwähnten Serie gemeinsam ist die Jahreszeit: Es liegt Schnee, es ist Winter. Unter ihnen befindet sich ein Foto, Nr. 6, das in Bezug zur Bemerkung „Schon mal ein General, vor dessen Ankunft ...“ im Brief vom 16.1.17 gesehen werden kann, aber vor allem zwei Fotos, die Bezug haben zu der Ortsangabe von Divisionspfarrer Höping in dessen Brief vom 20.4.1918, so daß eine einwandfreie Zuordnung in die Zeit von Februar 1917 möglich ist. Auf dem Foto „23“ lesen wir „Colligis“ und, halbverdeckt durch einen Baum, die Richtungsangabe „Pancy - Courtecon Pfeil rechts“. Auf dem Bild numeriert „67“, übrigens das Foto mit der höchsten Nummer der vorliegenden, ist unter der Lupe zu erkennen “Pfeil links Monthenault Pancy Pfeil rechts“ (siehe Ausschnitt der Michelinkarte). Dadurch ist die eindeutige Zuordnung zur Aisne‑Schlacht 1916/17 (und Georgs letztem Einsatzgebiet) gegeben.

Colligis, mit archäologischen Funden aus dem Neolithicum, ist berühmt wegen seines Steines höchster Qualität, zuerst oberirdisch, dann unterirdisch gebrochen, daher die vielen Höhlen in der Umgebung, von den Römern, Merowingern, im Mittelalter und sogar zum Bau des Louvre verwendet. Diese Höhlen boten den Truppen beider Seiten sehr sicheren Schutz und wurden ausgiebig genutzt. Verglichen mit der Ansichtskarte ist Colligis heute nicht wiederzuerkennen.

Abb. 2: Colligis-en-Laonois

Der fünfte Teil enthält den Schriftverkehr, der nach Georgs Tod insbesondere durch des Vaters Suche nach dem Verbleib seines Sohnes angefallen ist. In seiner Form und seinem Inhalt nach ist er der vielfältigste. Er stammt von einfachen und gebildeten Leuten, von Militärs, Vorgesetzten, Behörden, und beeindruckt oftmals durch die menschlichen Regungen und die Anteilnahme, die in ihnen zum Ausdruck kommen.

Zu den Umständen

England hatte gegen Ende des 19. Jhd. den Gipfel seiner imperialen Macht erreicht (und bis nach dem 2. Weltkrieg verteidigen können). Seinem imperialen Bestreben mit der großen geographischen Ausdehnung konnte sich kaum ein anderer Staat entziehen. Einige wie Frankreich konnten auf Kosten insbesondere Spaniens ihre Machtgelüste befriedigen, Deutschland fühlte sich mit seinen Kolonien in Afrika benachteiligt und schließlich, auch anderer Umstände wegen, „eingekreist“. Allgemein beherrschte die Politiker imperiales Großmachtdenken, in dem auch der Chauvinismus Serbiens seinen Platz fand, das sich auf dem Balkan als Erbe des osmanischen Reiches wiederfand.

Die Abgrenzung und Sicherung von Einflußbereichen führte zu einer Zementierung der Machtverhältnisse durch Bündnisse. Die Reibereien und Eifersüchteleien waren groß und es war allen klar, daß es auch zur militärischen Konfrontation kommen würde. Die Frage war nur noch: Wer würde mit wem zusammengehen? Als sich die Gewichte deutlich zu Gunsten Deutschlands verschoben hatten, insbesondere wegen der industriellen Entwicklung, und Deutschland anfing, eine mächtige Kriegsschiffflotte aufzubauen, sah sich England in seinen Interessen zu tiefst bedroht. Das dritte auslösende Moment waren die ungelösten Nationalitätenfragen, die besonders nach dem Zusammenbruch bzw. dem Rückzug des osmanischen Reiches große Spannungen auf dem Balkan erzeugten, in die an erster Stelle Serbien verwickelt war. Der Schuß in Sarajevo war logischerweise der zündende Funke zum „Stahlgewitter“ (Ernst Jünger) des ersten Weltkrieges.

Eine konzise Darstellung findet sich in Barbara Tuchmans Buch „August 1914“, Fischer Taschenbuch Verlag 2001. Auch: Neil Ferguson „Der falsche Krieg. Der erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert“, mit 34 Fotos; Deutscher Taschenbuch Verlag München 2002.

Karte 1: Der geplante Aufmarsch der deutschen Truppen an der Westfront gemäß dem Schlieffenplan

Entschieden wurde der Weltkrieg durch die schwindenden menschlichen und materiellen Ressourcen der Mittelmächte und den sozialen Problemen, die auf einen unabgearbeiteten Berg struktureller und politischer Reformen zurückzuführen waren.

Das Geschehen an der Westfront fokussierte sich auf fünf Großereignisse:

1) Eindringen der deutschen Truppen in Frankreich. Ein schnelles und durchgreifendes Eindringen in Frankreich sollte die französischen Streitkräfte vernichten (Schlieffenplan, Karte I). Wie auch immer die deutschen Armeen stationiert worden sind, insbesondere die fünfte Armee, je nach Karte, mehr nördlich oder südlich von Metz, es bleibt für den Laien ein Rätsel, warum die Südumfassung von Verdun und der Anschluß an die 4. Armee nicht mit letzter Konsequenz verfolgt wurde, selbst wenn die befestigte Zone zwischen Verdun und Toul abschreckend gewirkt haben mag. Des weiteren fällt auf, daß die 2. und 3. Armee frühzeitig nach Süden eingeschwenkt sind, so daß die 1. Armee einen viel zu großen Frontabschnitt zu bewältigen hatte bzw. nicht die Kräfte bündeln konnte, um nach Paris vorstoßen zu können. Das brockte der 1. Armee beim „Wettlauf zum Meer“ mehr Probleme ein als ihr lieb sein konnte. Der berüchtigte Wettlauf zum Meer zog die Kräfte an der Front noch weiter auseinander, was nie recht korrigiert wurde oder werden konnte. Kein Wunder, daß das Ziel des Schlieffen-Plans, die Umfassung und Vernichtung der französischen Armee und der Marsch auf Paris, und damit das Ziel der Offensive, verfehlt wurde.

2) Die Marne Schlacht vom 5. - 12. Sept. 1914, die die Heeresleitung veranlaßte, die Front hinter die Aisne zurückzunehmen (Karte 2). Die Front verlief danach während den folgenden Jahren nördlich der Aisne und erstarrte im für beide Seiten sehr verlustreichen Stellungs- und Grabenkrieg (Karte 3). Das Jahr 1915 ist von fünf größeren Versuchen der Franzosen gekennzeichnet, einen Durchbruch durch deutsche Linien zu erreichen. Dazu zählt die Winterschlacht in der Champagne im Februar/März 1915, die Georg mitmachte. Dieser hat ein einsichtiges Ziel zugrunde gelegen, da die deutsche Front doch recht nahe vor Reims und Paris verlief.

Karte 2: Verlauf der Westfront nach der Marneschlacht Ende September 1914. Rückzug der Deutschen an die Aisne.

3) Das Jahr 1916 ist insbesondere durch zwei extrem verlustreiche Materialschlachten geprägt, die keiner Seite Vorteile brachten. Die Schlacht an der Somme, eine französisch‑britische Offensive, und die deutsche bei Verdun mit der Absicht, die Versäumnisse von August 1914 zu korrigieren. Verdun hätte man sich wahrscheinlich sparen können, hätte man die Offensive August 1914 sorgfältiger bedacht und durchgeführt. Verdun verursachte den Deutschen ca. 300'000, der Entente ca. 400'000 Gefallene, von denen die meisten nicht geborgen werden konnten und noch heute unbestattet in der Erde ruhen.

4) Im April/Mai 1917 blieben die Angriffe der Engländer bei Arras (Einsatz von Panzern), der Franzosen an der Aisne und in der Champagne ohne Erfolg. Der Angriff der Franzosen an der Aisne brachte Georg am 16.4. den Tod.

„Ludendorff ahnte die Kraft des französischen Angriffs und traf alles vor, daß die Verteidigungsdivisionen schnellstens den kleinsten Einbruch stopfen würden. Er sagte, daß Nivelle kein Mittel habe, den Angriff zu wiederholen." und "Die Verstärkung des Feindes, frühzeitig und aufmerksam, die durchdachte Verteidigungsorganisation, die fehlerhafte Vorbereitung der Artillerie, das schlechte Wetter, die Schwierigkeiten, im von Granaten aufgewühlten und schlammigen Terrain vorwärts zu kommen, das sind die für die GAR-Offensive nachteiligen Faktoren." [Aus einem französischen Buch, Übersetzung R. H.]

5) In der zweiten Jahreshälfte 1917 wurde die berüchtigte große Flandern Schlacht ausgetragen, in der viele junge Deutsche, auch Korpsstudenten aus nationaler Gesinnung, sehenden Auges in den Tod stürmten, aber auch die Engländer riesige Verluste erlitten. Die deutsche Heeresleitung glaubte noch 1918, das Blatt für sich wenden zu können und startete während des Frühlings und des Sommers Offensiven bei Arras, bei Ypern, zwischen Soissons und Reims, bei Noyon, an der Marne und in der Champagne. Aber das Kriegsglück blieb aus. Dagegen erzielten im August die Engländer einen tiefen Einbruch in die deutsche Front bei Amiens, was in der Folge ein ständiges Zurückgehen der Deutschen bewirkte.

Karte 3: Verlauf der Westfront während des Stellungskrieges 1914 - 1917 mit den wichtigsten Schlachtorten

Die Heeresleitung sah ein, daß man das Blatt nicht mehr werde wenden können und forderte die Reichsleitung auf, Friedensverhandlungen einzuleiten, die in die Kapitulation November 1918 mündeten und im Wald von Compiegne zur Unterzeichnung eines Vertrages führten.

Das Absurde dieses Krieges bildete die Tatsache, zumindest was die deutsche Seite betrifft, daß keine tragenden Vorstellungen über sinnvolle Kriegsziele bestanden, weder im Kaiserhaus, noch bei der Regierung noch bei der Heeresleitung.

Zu seinem militärischen Umfeld

Aus den Tagebuchblättern und den Briefen ist der Mikrokosmos seiner militärischen Welt ablesbar: Eine Kompagnie dürfte etwa 150 Mann umfaßt haben. Die 9., der Georg während seines Einsatzes an der Aisne angehörte, wurde von Lt. Dewies kommandiert, der am 1. Mai 1916 Oberleutnant wurde (und wahrscheinlich den Krieg überlebte). Eine Kompagnie umfaßte 3 Züge in der Regel mit je 6 Gruppen à acht Mann, also mit der Kompagnieführung ca. 60 Mann. Der 2. Zug wurde von Lt. Steinbach befehligt. Eine Gruppe hatte acht Mann, in der 5. Gruppe war Georg als Unteroffizier, ab 1.5.16 als Vizefeldwebel eingeteilt. Ab August 1916 ergibt sich folgende Führungsmannschaft der 9. Kompagnie: OLt. Dewies, Lt. Gohlke, Lt. Spohr. Lt. Steinbach und Georg als Lt. sowie Feldwebel Lt. Neubert.

Sofern Georg Konflikte nicht völlig ausgeblendet hat - Konflikte gibt es immer -, hat in der Truppe ein gutes persönliches Klima geherrscht. Gefördert wurde es natürlich dadurch, daß die Kompagnie aus dem Rheinland stammte, und sich manche schon von früher kannten. Mit Kemp und Dewies verbanden ihn berufliche Interessen: beide waren wie er Juristen. Er selbst scheint ein freundlicher, hilfsbereiter und konzilianter, aber durchaus nüchterner Mensch - ein wenig deformation professionelle - gewesen sein.

In der Champagne ist Lt. Joesten, ein Bruder eines Freundes von Georgs Bruder Leonhard, Kompagnieführer gewesen und daher sein Protegé. Kein Name taucht so häufig in seinen Schriften auf wie der von Lt. bzw. OLt. Dewies. Trotzdem gewinnen all diese Männer um ihn nur wenig an Gestalt, da Georg an keiner Stelle seines Schriftgutes eine Beschreibung ihres Äußeren oder ihres Wesens gibt. Georg erzählt auch von überraschenden Begegnungen, die zu Kontakten führten, die, wenn möglich, aufrecht erhalten wurden.

Aus den Tagebuchaufzeichnungen ist herauszulesen, daß zu Anfang des Krieges noch nicht alles gut durchstrukturiert und ‑organisiert war. Das machte das Leben an der Front, das ohnehin kein Zuckerschlecken war, zweifelsohne nicht leichter. Die Widerwärtigkeiten der Witterung und die damit verbundenen Erschwernisse im Graben, Frost, Schnee, Regen, Schlamm usw., berichtet Georg fast emotionslos, reportagenhaft. Vieles nimmt er sehr gelassen. Aus vielen Passagen spricht eine optimistische Einstellung zum Leben.

Die Unterstützung aus der Heimat, durch das elterliche Haus und durch Verwandte, läßt nichts zu wünschen übrig. Georg kann sich später revanchieren. Es ist grotesk, daß er in den „Hungerjahren“ (englische Seeblockade in der Nordsee), seine Familie in der Heimat mit Eßwaren unterstützen kann. Der Überfluß an der Front (siehe den Brief vom 16.11.16) in Kontrast zum Hunger zu Hause widerspricht einer ausgewogenen Verteilung der Nahrungsmittel, es sei denn, daß Georgs Möglichkeiten als Offizier nicht dem Üblichen entsprochen haben (siehe dazu den Brief vom 6.3.1917).

Südlich von Laon und etwa 6 km nördlich der Aisne, am Schnittpunkt der D 967 mit dem Chemin des Dames, ca. 38 km Luftlinie östlich von Blérancourt entfernt, findet sich ein Dorf namens Cerny‑en‑Laonois. Eine Begründung, daß Leonhard Hopmann sen. diese Ortsbezeichnung bei seinen Nachforschungen über den Verbleib seines Sohnes verwendet, geht aus dem Schreiben des Kriegsministeriums vom 28.9.1917 hervor. Nach seiner Rückkehr zur Front hat Georg (bzw. seine Kompagnie) in diesem Bereich Stellung bezogen. Im Brief vom 28.3. betont Georg: „Wir liegen noch immer friedlich am gleichen Fleck.“, am 2.4. ist wie früher auch schon vom Gottesdienst in der Höhle die Rede, was ohne Ortskenntnisse undeutlich und mißverständlich, wenn nicht u. U. mit Blick auf die Beschreibungen des Jahres 1916 irreführend ist. Zuletzt, am 7. u. 10.4., schreibt er nur noch, daß er „sehr beschäftigt“ sei. Hier verschweigt er offensichtlich seinen Eltern die Wirklichkeit, nämlich die bevorstehende Nivelle-Offensive bzw. die schweren Kämpfe an der Aisne. Auch einen Gasangriff, der in der ersten Augusthälfte 1916 stattgefunden haben muß, kommt erst zur Sprache, als Soldat Sachsenhausen seine Eltern Anfang September besucht. Auch von den „grauenvollsten Kämpfen“ Ende September schreibt er erst, als er schon im Spital liegt.

Es ist tragisch, daß Georg während seiner Fronteinsätze an drei kriegerischen Brennpunkten, Materialschlachten, eingesetzt war: Winterschlacht in der Champagne 1914, an der Aisne 1916 und am Chemin des Dames 1917. Die letztere Schlacht war sein Schicksal, er fiel bei Cerny.

Zu diesem Buch

Wir nehmen Georgs Tod mit Bedauern und Anteilnahme zur Kenntnis und werden, wie es immer heißt, ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Aber seine Hinterlassenschaft? Der Berg kaum lesbarer Briefe? Das ist jedoch gerade die Motivation, sie „diplomatisch“ zu übertragen und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen: daß sie gelesen werden können. Zwar war Georg keine „historische“ Persönlichkeit, um derer Willen sich das Unternehmen rechtfertigen würde, aber in dem Bild, das wir uns anhand der Briefe über die Kriegsjahre machen können, und in dem Verständnis der Umstände, die deutlich werden und die die Menschen damals ertragen mußten, liegt der Wert des „Aufhebens“. Das reiche Bildmaterial, mit dem die Briefe bzw. das Erzählte und die Umstände illustriert werden können, stellen einmalige Dokumente dar, die der Öffentlichkeit nicht ohne Not vorenthalten werden sollten. Es läßt das Dargestellte lebendig werden und hebt diese Briefsammlung aus dem Durchschnittlichen heraus.

Um das Buch „lesbar“ zu machen und keine unnötigen Hürden für den Leser aufzubauen, mußte eine gewisse Auswahl des Schrift‑ und Bildmaterials vorgenommen werden. Alle schriftlichen Äußerungen von Georgs Vater sind kursiv, alle Anmerkungen und Ergänzungen von mir mit [ ] und Unleserliches und Auslassungen mit { } angemerkt worden. Im Übrigen lassen die einschränkenden Bedingungen für ein ebook keine differenzierenden Formatierungen zu. Auch Fußnotentext mußte in den Fließtext eingefügt werden. Es handelt sich um eine diplomatische Übertragung der Schriftstücke, das heißt, sie ist buchstaben- und rechtschreibegetreu. Für all Jene, die gerne alles einsehen möchten, ist das vollständige Bild- und Schriftgut auf einer CD erhältlich. Folgende Abkürzungen: AK: Ansichtskarte, FPK: Feldpostkarte. Das Ende eines Poststückes wird immer mit *** markiert.

Danksagung

Zum Schluß bleibt mir noch allen zu danken, die an dem Zustandekommen dieses Buches mitgewirkt oder es ermöglicht haben.

Dem Klett-Cotta Verlag danke ich für seine Erlaubnis, aus dem Buch von P. Kielmansegg „Deutschland und der erste Weltkrieg", XI, 747 S., Akad. Verl.-Gesellschaft Athenaion, Frankfurt/M., 1968, die Karten 1 bis 3 wiedergeben zu dürfen. Die Karten 4 bis 6 habe ich nach französischen Vorlagen gezeichnet.

Zweiter Teil: Die Winterschlacht in der Champagne - Tagebuchaufzeichnungen

18.11.14.

Um 11 Uhr rückten wir nach einer Ansprache des Oberstleutnants von d. Schule Bayenthals aus zum Bahnhof Eifeltor, die meisten mit Blumen geschmückt, aber die Stimmung doch ruhiger, als bei den Truppen, die wir in den ersten Tagen des Krieges wegziehen sahen. Verwandte u. Bekannte, Ehefrauen u. Kinder begleiteten den Zug auf seinem Wege durch Bayenthal, Bonner-, Rolandstr., Volksgarten zum Bahnhof. Vater, Elis. und Aloysia gingen noch mit bis zur Ecke Eifelstr. Am Bahnhof wurde alles mit einem Paket, enthaltend ein Kommißbrot, eine lange Wurst, Speckstücke, versehen, alles noch zu dem reichlichen Proviant, den jeder schon bei sich hatte. Wir fragten uns, wie wir wohl diese großen Vorräte auf d. Reise würden vertilgen können. 1 ½ Uhr setzte sich der Zug in Bewegung. Von Gentges, Verbeek u. einigen andern, Abschied genommen. Wetter schön, aber kalt, winterlich. Durch d. Vorgebirge nach Euskirchen. Hier ½ Std. Aufenthalt mit allseits freudig entgegengenommener Verpflegung durch Euskirchener Damen u. Herren mit Suppe, Kaffee usw. Ein improvisierter Gesangchor singt einige schöne Chöre. (Mutter, gib mir deinen Segen). Dann weiter durch die Eifel. Ich sitze mit Kemp (Assessor), Käppler (Oberlehrer am Schillergymnasium) Brünell, Hemft (Postassistent), Klein (am Hochbauamt bei Verbeek), Becker (Krankenwärter a. der Lindenburg) u. Laurenz Esser in einem Abteil II. Klasse, belgische Wagen. Wir fahren die uns wohlbekannte Strecke, die ich so oft auf Eifeltouren, nach Wendel zuletzt noch im Sommer zur Schweiz, durchfahren habe. Landschaft stellenweise winterlich. Bei Einbruch d. Dunkelheit zünden wir die mit einer Kerze versehene Lampe an. Alles taut allmählich auf, u. die Unterhaltung wird reger, aber im ganzen Zug herrscht doch im allgemeinen eine ruhige Stimmung. Wir kommen nach Gerolstein, wo wir ein Abendessen, Reissuppe mit Fleisch, erhalten. Hier sitze ich nun und schreibe.

19.11.14.

Um Mitternacht verlassen wir Trier, u. kommen nach Diedenhofen, wo längerer Aufenthalt ist. Weiter vorbei an gespenstig leuchtenden Hochöfen (Kneuttlingen). Bei Tagesgrauen an der deutschen Grenzstation, Teutsch. 7.30 Uhr überschreiten wir die französische Grenze. Gleich dahinter begegnen wir zerschossenen u. verbrannten französischen Dörfern (z.B. Audun le Roman), in denen kaum ein Haus noch ein Dach hat. Die zum Teil stattlichen Häuser im Inneren vollständig hohl u. leer. Einige wenige sind von d. deutschen Verwaltung wiederhergestellt, so d. Bahnhöfe. D. Franzosen hatten bei d. Kämpfen in d. ersten Wochen d. Häuser besetzt u. schossen aus ihnen. Daher mußten sie zerstört werden, weil man sonst des Feindes nicht Herr werden konnte. [Bei ihrem Vormarsch brandschatzten die Deutschen, nahmen Geiseln und exekutierten Zivile wegen vermeintlicher Übergriffe der Zivilbevölkerung auf deutsche Truppen.] Überall an der Bahn hält der deutsche Landsturm mit der flachen Landsturmmütze Wache. Die einheimische Bevölkerung scheint ihre Heimat zum größten Teil verlassen zu haben. Man sieht in den zum Teil stattlichen Ortschaften nur einige Frauen, Kinder, u. ab und zu ein männliches Wesen. Aber überall jauchzen uns deutsche Soldaten, Landsturmleute, Eisenbahnsoldaten entgegen. An der Bahnstrecke wird stellenweise von den Deutschen eifrig gearbeitet. Viel deutsches Eisenbahnmaterial an Waggon u. Lokomotiven steht allenthalben, aber wenig französisches. Wir fahren weiter durch d. winterlich bereifte aber von der Sonne beschienene Landschaft, durch liebliche, waldenreiche Täler dem Gebiet der Maas entgegen. In Longyon frage ich einen Soldaten, ob er den Offizierstellvertreter Edm. Wirtz (Rechtsanwalt) aus Köln kenne. Er bejaht es. Er kennt den „dicken“ Herrn, der bei den „Kölnern“, die eine Umgehungsbahn um den von d. Franzosen gesprengten Tunnel von L. anlegen, ist. Schnell schreibe ich für Wirtz einen Gruß auf einem Notizbuchblatt, u. übergebe es dem Soldaten zur Beförderung. Kurz darauf fahren wir durch den Tunnel, in dem ein Gleis bereits freigelegt ist.

Wir nähern uns Montmédy, einer malerisch auf der Höhe gelegenen Bergstraße, von einer stattlichen, zweitürmigen Kirche gekrönt. Ein Flieger überfliegt uns, er ist von einer in d. Nähe befindlichen deutschen Fliegerstation. Die kleine Stadt, zum großen Teil am Fuß der Feste gelegen, ist ein Mittelpunkt deutschen Militärlebens. Ein Lazarett ist hier, Zeltlager sind in der Nähe aufgeschlagen, großer Wagenpark, u.s.w. Ein württembergischer Landsturmfeldwebel erzählt, daß d. Franzosen d. Feste nach einem einzigen Kanonenschuß von ihrer Seite aufgegeben hätten, obschon sie an die 60 Geschütze in Besitz gehabt hätten. Den unter dem Berg durchführenden Tunnel haben d. Franzosen ebenfalls zerstört. Man hat von deutscher Seite versucht, den Tunnel wieder auszugraben, aber es gelang nicht, wie der erwähnte Feldwebel erzählte, er stürzt immer wieder nach. Die Deutschen haben daher um d. Berg eine Umgehungsbahn angelegt. Wir passieren sie auf der Weiterfahrt, sie ist solide, zweigeleisig ausgebaut, es ist hier schon viel Arbeit von d. Deutschen geleistet worden. Wir sehen auch d. eine zugeschüttete Ende des Tunnels, d. oberste Wölbung des Bogens hat man bei der versuchten Freilegung ausgegraben. Übrigens soll d. Tunnel in Loguyon auch nicht mehr benützt werden, sobald d. dortige Umgehungsbahn fertig ist, wie uns d. Feldwebel in Montmédy berichtete, denn auch dieser Tunnel stürzt trotz d. angebrachten Stützen immer wieder nach.

Die Gegend wird nun einförmiger, die Berge flacher. In d. Dörfern stellenweise Wagenparks des Trains, sonst d. Gegend fast ausgestorben. Ein von d. Franzosen gesprengte, von d. Deutschen wieder hergestellte Brücke. Daneben eine unmittelbar auf dem Wasser liegende Holzbrücke, die bei der Verfolgung des Feindes geschlagen worden zu sein scheint. Auf beiden Seiten der Brücke die dahin führenden Straßen ebenfalls eine Strecke weit mit Bohlen belegt.

An dem aus dem Kriege 1870 bekannten Bazeilles vorbei kommen wir nach Sedan. Die Stadt sehr still, gelegen in dem hier sehr breiten, von flach aufsteigenden Hügeln u. Bergen eingerahmten Maastal, durch das sich der Fluß sehr träge durchwindet. Es wird Mittagshalt gemacht. In d. Verpflegungsstation erhalten wir an langen Tischen sitzend eine ganz vorzügliche durchgeschlagene Linsensuppe. Man merkt, daß hier deutsche Frauenhände walten. Hinter Sedan gesprengte Eisenbahnbrücken, die von den Deutschen wiederhergestellt u. durch Holzbrücken ersetzt worden sind. Es wird Motron erreicht, dann geht’s südwestlich nach Lucquy. Überall zahlreiches rollendes Eisenbahnmaterial (deutsches), dann die Aisne herauf nach Vouziers. Es ist dunkel geworden. Wir verlassen den Zug u. ziehen in langem Zuge ohne jede Waffe durch den Ort zu einer großen Dampfmühle, die jetzt von den Deutschen betrieben wird. Wir werden mit Reis u. Rindfleisch gestärkt. Dann legen wir uns in unserem D-Zug Waggon zur Ruhe nieder, u. fahren noch bis Challerange, wo der Zug bis zum Morgen stehen bleibt.

20.11.14.

Um 7.30 erhalten wir am Bahnhof Ch. Kaffee. Der Boden ist hart gefroren, aber es beginnt wieder ein schöner Tag mit einem herrlichen Sonnenaufgang. In der Ferne glauben wir Kanonendonner zu hören, sonst ist alles sehr friedlich in dem mit langen Reihen deutscher Eisenbahnwagen gefüllten Bahnhof. Um 8.30 fahren wir weiter; wohin wissen wir nicht.

Nach nur ½ stündiger Fahrt halten wir in Ardeuil-Marvaux, wo Befehl zum Aussteigen erteilt wird. Wir packen unsere Sachen zusammen u. nehmen von dem D-Zug Waggon, der uns von Köln bis hierher gebracht hat, Abschied. Wir ordnen uns, u. nun geht es zu Fuß weiter, zunächst durch den Ort, wo die zahlreich vorhandenen Soldaten zusammenlaufen, um sich die Neuankömmlinge anzusehen. Sie finden manchen Bekannten unter ihnen, den sie stürmisch begrüßen. Dann geht es durch die sonnige Landschaft auf u. ab, über Berg u. Hügel. Die Landschaft ist sehr wellig, wenig bewaldet u. gewährt stellenweise weiten Ausblick. Wir halten uns nicht an d. gewöhnlichen Wege, gehen vielmehr durch d. unbestellten Felder, wo früher hergezogenen Truppen, Pferde, Wagen u. Geschütze Wege gebahnt haben, die 3 - 4 mal so breit sind wie eine Chaussee. Nach ½ stündigem Marsch kommt ein Offizier des Res.Inf.Reg. 68, dem wir angehören sollen, entgegen, u. unser Trupp wird auf die 3 Bataillone des Regt. verteilt. Es geht weiter durch d. etwas eintönige Landschaft, dem kl. Dorf Ripont zu, das unser Ziel ist, wo wir Unterkunft finden sollen. Bei der Einteilung in die Kompagnien lerne ich d. Res.Leutnant Joesten kennen, Sohn des Herrn Kaufmanns Joesten in Ehrenfeld, Bruder v. Leonhards Freund. Ich komme mit Kemp, Brünell, Käppler u. anderen Bekannten zu seiner 12. Kompagnie, deren Führer er ist. Ein Leutnant teilt uns in Vertretung des das III. Bat. kommandierenden Hauptmannes einiges aus der bisherigen Tätigkeit des Rgt. im Krieg mit. D. Rgt. gehört nunmehr zum VIII. Res.Armeekorps, 16. Res.Division, III. Armee. Es war zuerst in Belgien, hat bei Bouillon gefochten, dann bei Sedan, wo es den Franzosen leider gelang, aus der nahezu vollendeten Umzingelung zu entweichen. Bei der Verfolgung der Franzosen bis zur Marne bezogen die Franzosen sehr starke, offenbar schon im Frieden vorbereitete Stellungen, deren Einnahme nur unter ungeheuren Verlusten möglich gewesen wäre. Die deutsche Armee zog sich daher zurück, u. unser Rgt. bezog d. Stellung bei Ripont, die es also nunmehr schon seit September inne hat. Etwa eine Stunde vor Ripont zieht sich d. deutsche Schützengraben hin, nach Osten u. Westen sich fortsetzend, u. dort fortlaufend von anderen Truppenteilen besetzt, während den Teil von Ripont unser Rgt. zu verteidigen hat. Wirkliche Kämpfe finden hier schon seit Wochen nicht mehr statt, insbesondere soll von unserer Seite kein Angriff erfolgen, da unsere Stellung in der ganzen von den Vogesen bis zum Kanal reichenden deutschen Schlachtlinie die am weitesten vorgeschobene ist. Heute Abend sollen wir schon für 48 Stunden in den Schützengraben hinein.

Karte 4: Georgs Einsatzort in der Champagne November 1914.

[Im weiteren Verlauf der Kriegshandlungen wurden in diesem Frontbereich 7 Dörfer, darunter auch Ripont, dem Erdboden gleichgemacht, von denen nur zwei wieder aufgebaut wurden. Aus Steinen Riponts errichtete man ein kleines Denkmal mit der Inschrift „Hier stand das Dorf Ripont“. Einige Meter ihm gegenüber findet sich ein Gedenkstein (wohl noch aus deutscher Zeit) mit der Inschrift „Für Kaiser und Reich / in den Kriegsjahren / 1914 - 1915 / gefallenen Helden / das / Reserve-Infanterie-Regiment / 68“. Eine weiße Plakette in Deutsch und Französisch weist darauf hin, dass die hier ehemals bestatteten Soldaten jetzt im Soldatenfriedhof Sechault ruhen.]

Ripont ist ein kleines Dorf in einem Kessel gelegen. Auffällig ist d. langgestreckte Form der im übrigen sehr einfachen Häuser u. Scheunen u. das überall auftretende flache, breite Giebeldach. [siehe Abb. 6 u. 7] Wir erhalten Quartier in einer sehr geräumigen Scheune, wo außer der 12. Komp. auch noch die 9. liegt. Das Lager ist äußerst einfach auf Stroh, das über den ganzen Boden der Scheune ausgebreitet ist. Mittags fährt die Feldküche vor, aus der uns eine vorzügliche durchgeschlagene Suppe mit eingekochtem Fleisch verabreicht wird. Das Spülen des Eßgefäßes geschieht einfach in dem nahe gelegenen Dorfweiher, dessen Wasser nicht sehr reinlich ist. Wegen der Typhusgefahr ist im übrigen nur der Genuß von abgekochtem Wasser erlaubt.

Um 5 Uhr ist kurzer Feldgottesdienst, dann marschieren wir, nachdem wir aus der vorfahrenden Feldküche Kaffee empfangen haben, zu dem Schützengraben hinauf. Wir sind in Gruppen eingeteilt, jede Gruppe muß eine bestimmte Stelle besetzen. Es geht den Berg hinan mit dem vollständigen Gepäck, später zum Teil durch Wald. Von einer gewissen Stelle ab darf nicht mehr gesprochen werden. Lautlos geht alles durch d. Dunkelheit. Nach 1-stündigem Weg sind wir angelangt. Die Gruppen lösen sich von einander und springen in den Laufgraben, die in kurzer Strecke zu d. eigentlichen Schützengraben führen.

Der Schützengraben ist eine eigentümliche Form der Verteidigung, die besonderes im gegenwärtigen Kriege eine große Rolle spielt. Von den Vogesen bis Flandern ziehen sich d. beiderseitigen Gräben in ununterbrochener Kette hin, an d. meisten Punkten nur einige 100 m von einander entfernt. D. eigentliche Graben ist über mannshoch. An der vorderen Wand befindet sich eine Stufe, betritt man sie, so soll man eben über d. Graben so weit hinausschauen können, wie es zum Schießen notwendig ist. Dieser eigentliche Schützengraben ist in Abschnitte von 8 - 10 m eingeteilt, die durch 1 - 2 m starke stehengebliebene Erdwälle von einander getrennt sind, damit d. Wirkung einschlagender Geschosse nicht zu weit den Graben entlang reicht. Von diesen Abschnitten führen nach hinten Gänge in den parallel zum eigentlichen Schützengraben führenden Laufgraben, der nicht durch Erdwälle unterbrochen wird.

Abb. 3: Grund- und Aufriß eines Schützengrabens

Hinter dem Laufgraben sind sogenannte „Deckungen“, d.h. unterirdische Aufenthaltsräume für die Mannschaften, d. gerade nicht auf Wache sind, namentlich bei schlechtem Wetter u. in der Nacht sehr angenehm.

21.11.14.

Wir befinden uns also in einem solchen Graben. Unser „Loch“ hatte noch keine dazu gehörige „Deckung“. Wir spannten daher an beiden Enden des „Loches“ Zeltbahnen über den Graben, legten Stroh darunter, um so eine Lagerstätte für die Nacht zu haben. Aber es war bitter kalt, der Himmel ganz klar, ein prachtvoller Sternenhimmel. Ich sollte von 12 - 2 und von 6 - 8 wachen. In der Zwischenzeit versuchte ich zu schlafen. Aber vor Kälte konnte ich es nicht lange aushalten, obschon wir das erste Mal zu 4 dicht neben einander lagen. Ich sprang daher nach noch nicht einer Stunde auf u. half an d. Ausschachtung einer Deckung für unser „Loch“. Dies tat ich ½ - 1 Std., u. legte mich dann, von oben bis unten durch die Arbeit angenehm erwärmt, wieder für ein Stündchen hin, bis ich wieder kalt war. Dies tat ich so abwechselnd die ganze Nacht hindurch. Die Ausschachtung für die „Deckung“ mußte während der Nacht bis zu einer gewissen Tiefe gefördert werden, damit wir vor Morgengrauen aus dem Bereich des feindlichen Feuers waren, was uns auch gelang. Die Franzosen schießen allerdings nicht viel, aber wenn sie bei uns ein Ziel bemerken, richten sie sogleich ihr Feuer darauf. Von unserer Seite wird überhaupt nicht geschossen, weil wir uns hier lediglich defensiv verhalten. In den „Löchern“ ist man vor dem feindlichen Feuer vollständig sicher, in den Laufgräben muß man schon umsichtiger sein. Artilleriefeuer war während der ganzen Nacht in der Ferne hörbar, auf dem linken u. auf dem rechten Flügel. Seit Tagesanfang hat d. Schießerei zugenommen. Auch beschießen sich die beiden Artillerien gegenseitig über unsere Stellungen hinweg, sie liegen weit hinter d. beiden Schützengräben, vollständig unsichtbar.

Das Leben im Schützengraben ist im übrigen sehr faul. Wir gehen rechts u. links die Gräben entlang, um unsere Bekannten aufzusuchen, u. uns zu orientieren, zwischendurch arbeiten wir an unserer „Deckung“ weiter, deren Ausschachtung jetzt vollendet ist, u. die heute Nachmittag gedeckt werden soll, damit wir sie heute Abend beziehen können. Heute Morgen 5 Uhr wurde durch d. Feldküche Kaffee angefahren, heute Abend, nach Eintritt der Dunkelheit kommt warmes Essen; bei hellem Tageslicht ist die Anfuhr zu gefährlich.

Zwischendurch erfreue ich mich der von der Heimat mitgebrachten Vorräte. Heute Morgen habe ich von dem Blatz gegessen, den Mutter noch gebacken hatte, dazu Schinken aus dem Sack, den wir am Bahnhof in Köln vor d. Abfahrt erhielten. Das letzte Ei soll gleich zum Mittagsbrot vertilgt werden, auch das schöne gebratene Schnitzel, das ich mir noch verwahrt habe. Graubrot u. Wurst werden mir auch noch wohlschmecken. Der Kaffee, den ich mir gestern in der Feldflasche von unten mitgebracht hatte, war heute Morgen gefroren, an einem kleinen Feuer haben wir ihn wieder aufgetaut. Von dem frischen Kaffee heute Morgen gab es nur 1 Becher pro Mann.

So müssen wir uns noch bis morgen (Sonntag)Abend hier durchschlagen. Dann springen wir nach Eintritt der Dunkelheit aus dem Graben heraus u. begeben uns auf einige Tage nach Ripont zurück. Ein Glück ist es, daß das Wetter so schön ist, zwar ziemlich kalt, aber kein Wölkchen am Himmel.

Als ich heute kurz vor Mittag durch den Graben ging, traf ich Leutnant Dewies (Gerichtsassessor), dem Joesten mich tags vorher vorgestellt hatte. Er lud mich in seine „Deckung“ ein, wo wir einige Schnäpse, Keks u. Printen aßen u. uns über unsere bisherigen Kriegserlebnisse unterhielten. Nachher stellte sich noch Joesten ein. Beide hielten mich zum „Mittagsmahl“ da, bestehend aus Bouillon mit geschnittener Wurst, die wir gemeinschaftlich aus einem Kochkesseldeckel aßen, Sardinen, Käse u. Brot. Dabei lagen wir schlemmerhaft auf Decken auf dem Boden. Der Raum bot eben Raum für uns drei. Während des Essens schoß unsere Artillerie einige Male auf den feindlichen Schützengraben. In Erwiderung richtete d. feindl. Artillerie 1 Std. später einige Schüsse gegen ein Wäldchen, das ihr ein gutes Ziel bot u. hinter dem sich ein Teil unseres Grabens befindet, etwa 2 - 300 m von uns entfernt. Eine Granate schlug ein. 1 Toter, mehrere Verwundete.

22.11.14 Sonntag.

In der Nacht wieder abwechselnd Wache. Wieder kalt, aber in der neu errichteten „Deckung“ etwas erträglicher obschon leider noch kein festes Dach hergerichtet werden konnte, u. vorläufig ein Dach aus Zeltdecken gespannt wurde.

Am anderen Morgen eifrige Knallerei der Franzosen ohne jeden Schaden. Einige von den unseren glauben infolgedessen auch knallen zu müssen, obschon man kein rechtes Ziel nehmen kann. Viel Artilleriefeuer in der Ferne, einige Male auch über uns hinweg, wie schon in der Nacht. Unsere schwere Artillerie schickt den Franzosen über unsere Stellung hinweg manchen harten Gruß in die Flanke, die - infolge unserer vorgeschobenen Stellung - links und rechts hinter uns liegt. Das Wetter ist schön, in d. Sonne mollig. Heute Abend nach Eintritt der Dunkelheit geht es unten ins Dorf zurück. Den Sonntag haben Kemp, ich u. andere nicht vergessen. Wenn auch nicht mit dem Körper, so waren wir doch im Geiste an Hand des Soldatengebetbuches bei der hl. Messe gegenwärtig.

22. XI. 1914.

[Man muß annehmen, daß das Schreiben der Tagebuchblätter und das der Briefpost zweierlei Dinge sind. Die Tagebuchblätter, die Georg nach Hause schickte und die seine Schwester in ein kleines schwarze Heft übertrug, sind nicht erhalten. Dies ist der einzige vorliegende Brief aus jener Zeit.]

Liebe Eltern. Meine 3 Karten von der Reise u. aus Ripont habt Ihr wohl erhalten. Ich schreibe Euch jetzt aus dem Schützengraben. Der Aufenthalt hier bietet manches Unangenehme. Aber man kann es immerhin aushalten. Wenn man vorsichtig ist, ist keine besondere Gefahr da. Einen Bericht über meine bisherigen Erlebnisse findet Ihr in den Tagebuchblättern, die ich beifüge. Sehr angenehm ist es, daß ich Joesten hier traf. Das Verhältnis zu den Vorgesetzten u. älteren Mannschaften ist sehr kameradschaftlich. Meine Gesundheit ist gut u. ich bin guten Mutes. Vor allem anderen abgesehen, ist das, was man sieht u. erlebt, jedenfalls sehr interessant.

Meine Adresse habe ich Euch mitgeteilt. Ich will sie vorsichtshalber wiederholen: „VIII. Reserve-Armeekorps, 16. Reserve-Division, Reserve-Inf-Rgt. 68, 12. Compagnie“. Das Wort Reserve darf man nicht vergessen.

Wenn Trimborn schreibt, teilt ihm bitte meine Adresse mit, bringt aber bitte auch zum Ausdruck, daß durch mein Ausrücken ins Feld mein Wunsch nicht hinfällig geworden ist.

Ich hoffe, daß es Euch fortwährend gut geht. Ich denke viel an Euch u. an die Geschwister. Wie lange wir hier bleiben, ist ganz unbestimmt. Das Rgt. ist jetzt schon 9 Wochen hier. Mit vielen herzl. Grüßen für Euch u. die GeschwisterEuer Euch liebender Sohn Georg.

***

23.11.14.

Bevor wir gestern Abend vom Schützengraben wegzogen, ließ Joesten mich zu sich rufen. Ich traf ihn u. Dewies in des letzteren Deckung. Ich erhielt eine Printe u. ein Gläschen Arrak, wir unterhielten uns kurze Zeit, dann kam d. Ablösung, u. wir rückten ab.

Heute Morgen war von 11 Uhr Gelegenheit zur Beichte u. Kommunion, von der viele Soldaten der in Ripont liegenden Regimenter Gebrauch machten. Geistliche waren in d. kleinen Kirche tätig, und zwar so, daß jedesmal einer Messe las, während die 3 anderen Beichte hörten. So hörte ich in der kurzen Zeit von 11 bis 12 1/4 3 Messen an. Kemp hatte sich auch eingefunden.