Der Bauchnabel und andere schöne Mittelpunkte einer Reise zu zweit - Matthias Biskupek - E-Book

Der Bauchnabel und andere schöne Mittelpunkte einer Reise zu zweit E-Book

Matthias Biskupek

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Beschreibung

Maria und Eumel zelten an der Ostsee, beide sind nicht allein und kennen sich nicht. Als es ununterbrochen regnet, kommt es in beiden Partnerschaften zum Streit und sowohl Maria als auch Eumel brechen ihren Zelturlaub ab. Beide suchen Schutz vor dem Regen in einer Fernfahrerkneipe, wo sie aufeinandertreffen. Maria kommt die Idee einer Wette: Ob es wohl möglich sei, in der verbliebenen Urlaubswoche wahllos durch die DDR zu reisen und jede Nacht ein Quartier zu finden, obwohl sie unangemeldet sind. In einem mecklenburgischen Dorf nimmt sie ein betrunkener Kneipengast mit zu seiner Frau. In Mittweida geraten sie in ein Klassentreffen. Ein Fernfahrer setzt sie rechtzeitig vor der Grenze ab und sie gelangen nach Jena, wo sie aus dem Quartier bei Eumels Verwandten fliehen. In Leipzig wird es schwierig, in Berlin fast aussichtslos. Die Suche der beiden nach Übernachtungsmöglichkeiten, was in der DDR ohne Voranmeldung und langer Planung und dazu noch ohne Trauschein sehr schwierig war, lässt den Leser in vielen spannenden Episoden das Leben und Miteinander in der DDR authentisch miterleben.

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Impressum

Matthias Biskupek

Der Bauchnabel

Und andere schöne Mittelpunkte einer Reise zu zweit

ISBN 978-3-96521-442-2 (E-Book)

Umschlaggestaltung: Ernst Franta

Das Buch erschien 1986 im Mitteldeutschen Verlag Halle - Leipzig

2021 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

Vorwort an geneigte Leser(innen)

Diese Geschichte ist zweihundertzwanzig Seiten lang. Es ist eine Liebesgeschichte; wahrscheinlich. Eine wirkliche Liebesgeschichte hat nie zweihundertzwanzig Seiten, sondern immer nur zwei. Die erste Seite, auf der alles beginnt. Sobald man sie umgeblättert hat, ist schon die andere – die letzte – Seite da. Dort steht immer drauf „Schluss!“. Das ist der Unterschied zwischen Buch und Leben.

Es soll Liebe geben zwischen drei, vier, sieben oder achtundzwanzig Leuten. Der Verfasser hat einen konstruierten Fall herausgegriffen: Liebe zwischen zweien. Der Verfasser weiß aus sicherer Quelle, dass dies möglich ist. Der sicheren Quelle hat er volle Diskretion zugesichert.

Die Helden heißen Maria und Eumel. (Nützlicher Hinweis für Rezensenten.) Sie heißen demnach selten Adam und Eva und nie Marilyn und Jaroslaw. Es ist überhaupt nicht einzusehen, dass Eumel und Maria irgendwo im Lande frei herumlaufen sollten. Der Verfasser würde sich für ihr reales Vorhandensein wirklich schämen.

In der Geschichte kommen verschiedene Orte vor: Teterow, Magdeburg usw. Alle Magdeburger, Teterower usw. werden schnell herausfinden, dass ihre Heimat ganz anders ist, da es in der Geschichte von Fehlern nur so wimmelt. Der Verfasser hat das mit Absicht gemacht.

Er hat überhaupt alles absichtlich geschrieben. Noch in den Druckfehlern lauert ein verborgener Sinn. In jenem Sinn wünscht er ein reines Lesevergnügen.

Nabel & Welt

Im Anfang aber ist der Bauchnabel. Der Bauchnabel liegt sanft im zarten Fleische, eines sanften, aber durchaus fleischlichen Bauches.

Der Bauch schreibt eine Kurve in die Welt.

Wenn auch der Mensch natürlich im Mittelpunkt steht, so ist doch der natürliche Mittelpunkt des Menschen stets ein wenig eingesunken. Denn ein Nabel ist schwer. Er ruht. Die Umgebung des ruhenden Schwerpunktes ist eine schöne Umgebung.

Die schöne ruhende Umgebung heißt Maria.

Maria trägt Bikini. Maria liegt mittendrin in Sand und Sonne, Sonne und Sand. Der Sand hat feine Körnung; er ist für Putzarbeiten an Garagen und Ferienhäusern bestens geeignet. Die Sonne beschleunigt die Pflanzenproduktion und zeitigt höchste Ergebnisse. Allüberall mühen sich Menschen voller Schöpferkraft. Denn es gilt. Maria weiß dies alles; sie hat sich den Kopf mit einer Tageszeitung verhüllt.

Maria trägt einen Bikini, den die Werktätigen der OBERLUNGWITZER BADEMODEN, vormals „Goldfisch“, produzierten. Maria achtet die Taten dieser Werkmenschen, indem sie deren Produkt voll ausfüllt. Hautnah stellt sich uns das Miteinander dar.

Leider ist das behördlich genehmigte Areal der Splitterfasernackten weit. Es ist zum Seufzen, mei lahf.

Maria nimmt das Zeitungsblatt vom Kopfe; der Kopf ist hübsch, passend zum Bauchnabel. Maria dürfte Anfang Zwanzig sein. Sie darf also längst alles alles alles. Ach ja. Hachja. Lieber weggucken. Wenn wir Maria jetzt noch lange anschauen, werden wir sie womöglich nicht nur hübsch, sondern sogar schön, wirklich schön, finden. Ihre Haare sind schwarz; die Augen blassblau.

Auf Maria ist ein Schatten gefallen.

Ein junger Mann in tadelloser Freizeitkleidung steht vor Maria. Er schaut an Maria entlang; Fußsohlen, kitzlig; Nabel, sanft; Hals, streichelsüchtig. Maria blickt auf die Joggingschuhe, weißblau; auf die Hose, knitterfrisch; auf das Leibchen, T-Shirt geheißen; auf den Kopf, der ganz am Ende des jungen Mannes steckt. Der Kopf ist schwer auszumachen. Die Sonne blendet. Ach, da isser.

Der Kopf des jungen Mannes spricht: Ich geh dann.

Maria sagt: Geh mit Gott. Aber nicht mit mir.

Der Kopf räuspert sich. Und spricht noch einmal, gedehnt: Ich gehe. Jaa.

Der junge Mann geht. Breitschultrig. Die Schultern werden breiter und breiter, mit jedem Schritt. Vielleicht sind es auch bloß Flügel, die aus seinem tadellosen Körper herauswachsen. Jetzt sieht man es deutlich: Flügel. Ein junger, tadelloser Engel.

Nun fliegt er von dannen.

Und der Herrgott sieht‘s mit Wohlgefallen. Wie alles.

Zärtlicher Unterton?

Aus dem Dunkel aber tritt Eumel.

Eumel kommt bloß so.

Eumel latscht.

Eumel wirkt beruhigend ungekämmt und nicht sehr schön. Eumel ist flachsblond. Das gibt es noch, während es Flachs kaum noch gibt, der Hektarerträge und der Zeiten und der Weltwirtschaftslage wegen.

Eumel steht vor einem Zelt; seinem Zelt. Es hat zweihundertvierundachtzig Emm gekostet, und es hat schon viel mitgemacht. Jetzt grummelt es im Zelt. Die Leinen zittern. Tropfen von Tau plappern vom Zelt herunter. Das gelbliche Gras schluckt die Tropfen. Das Gras nimmt alles auf. Das Gras steht still und schweiget. Das Zelt lärmt laut und deutlich.

Eumel möchte gern ans Zelt klopfen. Wie macht man das? Er steht so rum. Das Zelt klopft von innen.

Eumel steht also und steht und steht. Ist ja nicht auszuhalten, dieses lang anhaltende Stehen. Dann ist damit Schluss, und er sagt: Heh.

Heh, knurrt Eumel noch mal.

Ja, knurrt das Zelt. Gleich, knurrt das Zelt.

Das Zelt ratscht auf.

Draußen ist es hell. Draußen steht Eumel. Im Zelt ist es dunkel. Im Zelt rekelt eine Schöne ihre schönen bloßen Beine. Die Schöne ist nicht etwa Maria. Nein, das wäre doof. Schon legt sich eine Faust auf den schönen bloßen Schenkel. Zur Faust gehört ein Schönieh. Ein Schönieh, der wahrscheinlich lispeln würde, wenn er was zu sagen hätte. Aber solche Schöniehs haben nie was zu sagen.

Die Schöne hingegen erläutert: Ich lass dir dein Zelt schon da. Gleich hauen wir ab. Gleich haste dein Zelt für dich. Mach dir einen schönen Urlaub. Eumel.

Hat sie das letzte mit einem zärtlichen Unterton gesagt?

Der Schönieh grunzt: Öh. Vielleicht auch: Rhwauh.

Wasserdichtes Heim

Dieses ist eine Urlaubsgeschichte. Also muss hier nun etwas über den Regen gesagt werden.

Regen tritt auf in Theorie und Praxis. Im Wetterbericht wird er als leichter Schauer angekündigt; für Urlauber stellt er sich als tagelanger Wolkenbruch dar. Genossenschaftsbauern trotzen ihm und bergen verlustlos. Pionierferienlagergruppen lassen sich nicht die gute Laune verderben. Katastrophenkommissionen treffen unverzüglich alle Maßnahmen.

Auf Campingplätzen stellt der Regen eine Folter verschärften Grades dar. Das unablässige Trommeln auf Zeltplanen ist eine zeitgenössische Form jener Marter, die einst Karl May beschrieb. Dem Delinquenten wird eine Stelle auf dem Kopf kahlrasiert. Noch feixt der Delinquent. Sein Kopf wird fest an einen Baum gebunden. Eine sinnreiche Tropfeinrichtung wird darüber angebracht. Das Schicksal nimmt seinen bösen Lauf. Ein guter Tropfen folgt dem nächsten. Immer auf die schlimme Stelle.

Der Delinquent sagt alles, was man wissen will, wird anschließend wahnsinnig und hernach gütigst mit einem vergifteten Pfeil gemeuchelt.

Urlauber unserer Tage schützen sich vor diesem Schicksal. Sie entfliehen dem Leben im Regen. Im trauten wasserdichten Heim nehmen sie täglich sich steigernde Dosen von UV-Licht und erzählen ihren Kollegen vom einmaligen Urlaubswetter. Weiber und Hitze, sag ich dir, heiße Weiber, das sag ich.

Eumel hat keinen UV-Strahler. Weiber würde er gern kennen. Sein trautes Heim hat eine nasse Wand, die im Sanierungsplan steht. Eumel hält es auf dem Zeltplatz aus.

Abbruch der Zelte

Es regnet und es regnet. Die Große Nässe schlägt jetzt zu. Es regnet im Wald, auf Feldern, am Strand; es regnet an der gesamten Ostsee; es regnet an allen Bademöglichkeiten Europas; des Universums.

Die Große Nässe hat zugeschlagen. Eumel schlägt sich mit ihr herum. Er wohnt mutterseelenallein auf seinem riesigen Zeltplatz; das nächste Zelt steht achtzehn Meter entfernt.

Eumel gibt auf. Eumel packt. Das quietschnasse Zelt quietscht wirklich, als Eumel es zusammenrollt. Eumel stellt fest, dass gewisse Wörter richtig am Platze sind.

Er verlässt den Platz. Eumel ist jetzt wieder Manfred Eumert, zwanzig, gelernter Tischler, tätig in der Restaurationswerkstatt eines Museums.

Maria verlässt ebenfalls den Zeltplatz. Leider ist es ein ganz anderer Zeltplatz als der Eumels. So kann sie Eumel nicht treffen. Schade.

Schade, denkt Maria nicht. Sie denkt: Scheiße. Da hat man nun schon mal Urlaub, da pissts. Große Scheiße.

Maria hat ihr Päckchen zu tragen. Ein schmutzig-rotes Päckchen, drin ist ein feuchtes rotes geknülltes Zelt.

Und ein Bild trägt sie noch im Portemonnaie. Irgendwo in einem der hinteren Fächer. Da ist der junge Mann in tadelloser Freizeitkleidung drauf. Maria hat einfach vergessen, das Bild herauszunehmen, es zu zerreißen; die Schnipsel in alle vier Regenschauer zu streuen und bittere Tränen darob zu vergießen.

Lohnt sich ja auch nicht. Niemand würde es sehen. Theater kann man nur spielen, wenn Zuschauer da sind. Und vergossen wird auch so genug Wasser.

Am Eingang des Campingplatzes steht der rot-weiße Schlagbaum. Campingplätze haben rot-weiße Schlagbäume. Die weit offenstehen.

Und es regnet und es regnet, und die Erde wird nass.

Annäherung, verkehrt

Die Erde ist nass, und was drauf klebt, der Asphalt, ist blank. Die Autos sind spritzige Typen. Sie haben ihre vorgegebenen Linien.

Die weißen Markierungen haben kein Ende und keinen Anfang. Sie zeigen nur die Richtung. Die Fahrzeuge kommen singend an und fahren brummend weiter. Der Ton kippt in dem Moment, wenn sie vorbeifahren.

Alles Physik, weiß Eumel.

Da vorne müsste eine Kneipe sein, denkt Maria.

Maria kommt die Chaussee von links entlang; da geht‘s zu ihrem Zeltplatz. Eumel kommt rechts; schnurstracks von seinem Zeltplatz.

Maria links; Eumel rechts.

Aber wir gucken uns die Szene durch die Beine an: da hängt Eumel links und Maria rechts.

Maria und Eumel traben also kopfüber hängend aufeinander zu. Von unten schlägt Regen an die Straßendecke, an der sie festkleben.

Ganz unten haben wir den Himmel, eine graue Wassersoße. Darüber sitzen grüne Wirsingkohlköpfe, aus denen Stämme staken; die Chausseebäume. Ganz oben zwei Menschen, die sich gleich treffen werden.

In diesem Falle hängen zwei verkehrt herum. Köpfe in der wässrigen Luft, Beine fest gegen die Chaussee gestemmt.

Sie kommen aufeinander zu. Ziehen sie sich an; elektrostatische Aufladung; Plus und Minus; Schulphysik? Es ist die Kneipe, die sie anzieht, sie unter ihr Vordach saugt.

Die Kneipe ist eine Fernfahrerkneipe. Die Kneipe hat geschlossen.

Und es regnet. Die Maria wird nass. Der Eumel wird nass. Beiden regnet es auf die Außenärmel – sie rücken sofort zur Mitte.

Warum haben die sich nicht wenigstens guten Tag gesagt?

Der Wind treibt Wasser unters Vordach.

Eumel ist wirklich nicht sonderlich schön.

Eumel sagt: –

In diesem Moment öffnet sich die Tür von innen.

Glück im Spiele

In der leeren Fernfahrerkneipe sind die Stühle von den Tischen auf den Fußboden gestellt. Die Welt ist in Ordnung; sie steht richtig herum; sie ist täglich geöffnet von acht bis achtzehn Uhr. Mitnahme von Gläsern und Bestecks ist nicht gestattet. Personen unter sechzehn. Ausschankschluss.

Eumel sitzt fernab. Versteckt hinter einem Blumenschmuck, der aus einem Kasten herauswächst, der mit Holztapete beklebt ist. Hinter der Theke massiert sich der Thekenmann – schwarze, glatte Haare, schwarzes Bärtchen – die weißen schlanken Finger, lässt die Gelenke knacken. Ein neuer Tag, ein neues Glück.

Maria kommt aus der Toilette. Zwar hat sie keinerlei Korrekturen an sich nötig – eine schöne, nasse junge Frau – aber sie hat sich eben doch korrigiert. Mit Stiften und Cremes. Es ist dies eine Lust unter den Frauen: ständiges Ansichherumpinseln, -zupfen, -zerren, sobald ein Spiegel in der Nähe ist.

Maria guckt sich um, wundert sich, dass diese Trieftasse, die eben noch neben ihr unter dem Vordach der Kneipe stand und den Mund nicht aufkriegte, verschwunden ist. Maria denkt bei „Trieftasse“ an nichts Böses. Schließlich troff der Regen gewaltig an Eumel herab, lief von den Ohren bis auf die Schnürsenkel.

Sie setzt sich neben die Theke. Da kann sie auf gelben Schildern lesen, was hier alles mit ein wenig Glück erworben werden kann.

Eumel guckt dumm durch die Blume. Fern, so fern von ihm sitzt Maria, die er noch nicht kennt.

Der Thekenmann kommt. Der Thekenmann zeigt seine allerforscheste Gangart. Er trägt steife Schildchen in der Hand, wie eine Packung Spielkarten. Monte Carlo in Mecklenburg. Da haben wir doch ein Greenhorn, das sich hinter der Blume versteckt. Rihjenne wa plüh, mein Freund. Der Thekenmann knallt im Gehen die Karten gegen einen Tisch, spielerisch.

Zwischen Eumels Hände, die brav und breit auf der Tischplatte liegen, stellt der Thekenmann ein Schild: Reserviert.

Eumel setzt sich an den Nebentisch. Der Thekenmann weiß, wie man treibt. Er geht erst wie zufällig zu einem anderen Tisch, dreht sich sodann und lässt wieder direkt vor Eumel eine Karte fallen: Reserviert.

Der Thekenmann grinst freundlich. Eine gute Miene; die Miene eines einnehmenden Croupiers.

Eumel weiß nicht: wagt er noch ein Spiel? Da entdeckt er die Herzdame. Sie hat schwarze Haare und blassblaue Augen. Eumel flieht. Hin zu ihr. Der Thekenmann steht mit seinem Pack Karten in der Hand da: Niemand spielt mit ihm.

Fasslimo, was? ruft er in die Richtung Eumels und Marias. Die Rache des Thekenmannes ist rot. Zwei knallrote Wässer. Sie hatten bereits auf der Theke gestanden, als Eumel und Maria hier hereinkamen. Es gibt kein Sprudeln mehr und kein Kribbeln. Der Thekenmann zupft genießerisch an seinem Bärtchen. Bitte, sagt er und stellt die Gaben ab. Mit viel Zucker pro Hektoliter, chemisch gefärbt.

Eumel spürt aber doch ein Kribbeln und sagt: –

In diesem Moment öffnet sich die Tür. Herein kommt eine Schar gewaltiger Fernfahrer mit gewaltigen Lederbändern um den Bauch. Es gibt einen gewaltigen Lärm. Der Thekenmann grapscht eilig nach seinen Spielkarten.

Also gut, dann eben ich, sagt Maria: Dir ist die Welt wohl auch zu nass.

Und Eumel sagt glücklich: Aber immer.

Sag ich

Während die Fernfahrer, unbeeindruckt von den Abwehrversuchen des Thekenmannes, sich mit Buletten, Eibroten und fettigen, roten Würsten; mit Brühe, Tomatensaft und Mandora füllen; während der Thekenmann nunmehr ein bedienstetes Mädchen scheucht – ein Mädchen mit spitzer Nase und großen Schlüsselbeinen –, während in einer altertümlichen Diskothek, die nichts anderes ist als ein Plattenschrank-Ungetüm, eine schwarze Scheibe per knackendem Plattenspielroboter aufgelegt wird; während „Bittebittegehdoch Bittebittebleibdoch“ erklingt; während Christian Schafrik, der singende Thüringer, seine Melodien verströmt; während vorm Fenster sich ein reger Straßenverkehr abwickelt; während Zeit tropft und Regenwasser; währenddessen schauen sich Eumel und Maria mal in die Augen und mal auf die Finger. Die Finger sind um die Gläser geschlungen, jene Gläser mit knallrotem Inhalt.

Sag mal, so‘n Wetter.

Das im Urlaub.

Sag ich.

Haste auch Urlaub?

Camping – und du?

Na aber.

Schnulli.

Sag ich.

Quakk.

Fett wie Piepl.

War ich sauer.

Sag ich.

Diese Hirnis.

Von wegen.

Bloß abschnabbn bloß.

Und so aut.

Völlichaut.

Sag ich.

Rummwienumm.

Prikass, das.

Warnso.

Vollsrohr.

Wuffdieh.

Sag ich.

Na also, denkt Maria. Also na, denkt Eumel. Und Maria lehnt sich zurück, mit zarter Lässigkeit. Ein schöner Anblick zum Zurücklehnen. Und Maria hebt an:

Marias Geschichte

Wie fing das an? Fing an, wie all so was.

Es war warm, und ich hatte noch meine beiden Pullover aus dem Gepäck geschmissen. Das war sehr, sehr leichtsinnig, hat er mir später gesagt.

Irgendwo in der Zeitung standen doch dauernd Berichte von der Trockenheit in der Sahel-Zone. Deshalb. Deshalb hab ich meine Pullover rausgeschmissen.

Verlobt waren wir nicht. Bernd und ich.

Bloß meine Kolleginnen haben fein süßlich gesagt: Dein Verlobter hat angerufen. Maria. Du sollst sofort zurückrufen. Bitte sofort. Hat dein Verlobter gesagt. Er ist nur noch eine halbe Stunde da. Dein Verlobter. Maria.

Ich war mal mit achtzehn verlobt. Da macht man so was.

Wir waren nicht verlobt, und sind los. Bernd hat das Zelt getragen.

Einen schönen Urlaub euch zweien, haben meine Kolleginnen geflötet. Na, die werden jetzt alle enttäuscht sein. Wenn ich nun gar keinen reizenden Bernd mehr habe. Das sind so Damen mit Korbstühlen zu Hause. Alle möchten am liebsten den Batikzirkel betreuen.

Ich bin nämlich Org-Tante im Kreiskabinett für Kulturdingsda. Kulturpuffer.

Wenn dir das was sagt. Muss dir aber wirklich nischt sagen.

Wir: zwei Stunden an der Autobahn gestanden; niemand gehalten. Und da geht Bernd los. Pulvert sich auf. Geht also nicht los, sondern macht Zeck. Können wir nicht mit dem Zug fahren? Hält ja doch niemand: wir, mit soviel Gepäck.

Als ob nicht grad das der Reiz ist. Wir leben sowieso mit zu viel Zeit.

Da haben wir uns aber noch nicht gestritten.

Wir kamen doch an. Mitten in der Nacht. Die letzten acht Kilometer mussten wir laufen. Bernd musste das Zelt tragen. Das war ausgemacht.

War alles ausgemacht. Wir hatten ein Wetter wie aus dem Prospekt. Einmal bin ich früh ganz zeitig los. Zehn Kilometer gelaufen, am Strand lang. Und zurück. Der nasse Sand ist wie Zement.

Siehste immer fünf Zehen und die Ferse abgedrückt. Die Naturfreunde suchen Bernstein und die Künstlerfrauen Holzteile. Und die leeren Zigarettenschachteln sind ganz alleine. Da hat er gemeckert. Warum ich nichts sage. Wie ich so blöde sein könne, allein loszulaufen. Um vier früh. Der hat nichts verstanden. Bernd lernt nur, da kann der gar nichts mehr verstehen. Bernd studiert. Lehrer für Polytechnik. Du musst den mal erleben, wenn er die Zeltleinen polytechnisch ausrichtet.

Aber er ist ein guter Kumpel. Das Zelt hatte er getragen, ohne zu meckern. Und immer gekämmt.

Als ich ihm die Luft abgelassen hatte von seiner Matratze, hat er fürchterlich getobt. Was man bei Bernd so toben nennt. Ein ganz wilder, wilder Blick. Dabei wollt ich nur mal sehen, wie das ist, wenn er aus der Haut fährt.

Er ist immer drinne geblieben.

Die Luftmatratzen hat er mitgenommen. Strenge Gütertrennung. Waren ja auch seine. Ist saukalt, sag ich dir, mit dem Schlafsack gleich auf dem Zeltboden. Ich hab mir dann eine Matratze gepumpt.

Irgendwie hat der Bernd sich immer nur um seinen Mittelpunkt gedreht. Verstehste das? Nee, du kennst ihn ja nicht.

Da ist er einfach so weg. Kein Zeck. Kein Nöl.

Um zehne abends sind wir immer alle noch mal baden gegangen. Waren eine Menge Leute dort. Prima. Der Sand schön warm.

Ich glaub, das hat dem Bernd nicht gefallen.

Geht der einfach und spielt den beleidigten Lehrer. Weil ich meine Hausaufgaben nicht mit ihm gemeinsam gemacht habe.

Geh mit Gott, hab ich gesagt.

Oder was denkste, was ich hätte sagen sollen?

Eumels Abenteuer

Eumel denkt nix. Eumel staunt. Und kippt. Er kippt seine knallrote Limo auf einen Zug; Maria tut es ihm nach.

Klack & klack machen die leeren Gläser auf der Sprelacartplatte.

Uff, sagt Eumel. Und will nicht länger staunen. Maria sagt: Ich habe gesprochen.

Eumel beugt sich vor, steckt eine Hand in die Tasche seiner Lederjacke, stützt den anderen Ellenbogen auf dem Tisch auf, weist mit der leeren Handfläche und deren verschlungenen Handlinien zur Decke und spricht:

Also.

Eumel erlebte ein gewaltiges Abenteuer, eine mächtige und herzzerreißende Aventiure. Ein ferner Schein dieses großen, wilden Unterfangens flackert auf, wenn er nun davon Kunde gibt. Er presst die Worte dabei. Maria denkt: Der nuschelt ganz schön.

Vor langer, langer Zeit machte sich auch Eumel aus der fernen südlichen Stadt auf gen Meer, denn ihm war ein Zeltschein ins Haus geflattert. Mit ihm ging Carola, also Kärroleihn. Eumel war es ernst, denn er gedachte, Kärroleihn nicht nur in die Ferien, sondern auch heimzuführen. Eumel war stark. Eumel war fest. Eumel war ein aufrechter Mann. Alles Mann, von da bis da.

Nach vielen Abenteuern des Schienenweges in den schmalen Gängen der langen Wagen der Deutschen Reichsbahn; nach glückhafter Überwindung der Fahrkartenkontrolle, denn Eumel fuhr mit einem falschen Antrag, langten sie an auf dem zugewiesenen Platz. Hier steckten sie den Raum für ihr Zelt ab und gruben die Heringe tief in den festen, fast graslosen Boden. Viele Geschlechter hatten auf diesem Platz schon ihre Häupter zur Urlaubsruhe gebettet.

Kärroleihn aber wusste die Gemütsruhe des Eumel, seine wackeren Taten auf dem Volleyballplatz, seine Stehversuche vorm Zeltplatzkiosk nicht zu schätzen. Sie sah nicht, mit welcher Geschicklichkeit er Konservendosen zu öffnen wusste, welche Geschwindigkeit er bei der Auswahl und dem Kauf von Tütensuppen an den Tag legte, wie zart und doch fest er die Schleifen ihres geblümten Luftanzuges zu lösen wusste. Sie sah nicht den glänzenden Himmel und die leuchtenden Augen. Sie wälzte nur den Kaugummi von der linken Zungenseite auf die rechte, spielte gelangweilt mit einer Fingernagelschere, ließ sich allseitig bedienen und schwang hin und wieder hoffärtig ihr rapsgelbes Haar im Wind. Und so lockte Kärroleihn Feinde an.

Der Feind hieß Schönieh.

Schönieh konnte keine Angabe beim Volleyball machen; Schönieh zerschnitt sich den Finger beim Öffnen einer Vollkonserve, Import; Schönieh las keine Bücher des Mitteldeutschen Verlages Halle - Leipzig; Schönieh war nicht zart, sondern nur gierig. Kärroleihn behagte Gier. Sie öffnete ihm ihren Luftbadeanzug, den geblümten.

Eumel forderte den Schönieh zum offenen Kampfe, aber der versteckte sich feige hinter der geblümten Kärroleihn. Bitte, bitte nicht hauen, hieß das.

Eumel haute nicht. Eumel verschränkte die Arme und wippte sacht auf den Zehen. Er maß den Schönieh mit Blicken, die so kühl und so weit waren wie das offene Meer.

Der Schönieh versuchte es mit dummen Scherzen: Na komm. Kärroleihn ist groß. Die reicht für uns beide.

Da wollte Eumel die Schmach nicht länger ertragen. Ganz ruhig hob er seinen Arm. Der anmutig gestreckte Zeigefinger wies in unbekannte Fernen: Hebt euch hinweg von mir. Sonst wird‘ ich zur Wildsau.

Beschämt verkrochen sich Kärroleihn und der Schönieh. Sie waren beschämt von des Eumels Großmut. Sie verkrochen sich in des Eumels Zelt, jenes Zelt, welches er einstmals für die stolze Summe von zweihundertvierundachtzig Zechinen erworben hatte. Für sich und Kärroleihn.

Eumel ließ sich Zeit. Eumel ließ den beiden Zeit. Sie beschäftigten sich; suchten gewiss kriecherisch Kärroleihns Habseligkeiten zusammen. Eumel beließ ihr, was sie haben wollte. Eumel stellte keine Ansprüche. Groß und verzeihend stand er da, erhobenen Hauptes und erhobenen Fingers. So stand er an den Eingangsleinen des Zeltes.

Still und geduckt und von seiner Großzügigkeit ermattet, schlichen sich Kärroleihn und der Schönieh von dannen. Mochten sie ziehen, dahin, wo der Pfeffer wächst.

Und eine wunderbare Einsamkeit breitete sich aus um Eumel. Er genoss die Verlassenheit und strahlte weithin leuchtend seine Großmut aus. Und er harrte auch aus, als hernach die Große Nässe einsetzte. Denn nur ein Schwächling räumt kampflos das Schlachtfeld, das in den Kämpfen der Zeit gewonnen worden war.

Doch dann kam die Sintflut. Sie spülte alles weg, alles Schlechte aus Eumels Leben, und er konnte getrost von dannen ziehen.

Bis eine Fernfahrerkneipe seinen Pfad versperrte.

So, sagte Eumel abschließend. Er sagte es mit scharfem S und kurzem o: ßo – das wars.

Theorie am Tisch

Und was macht man nun? Bei dem Wetter?

Scheiße, stellt Eumel fest.

Urlaub, stellt Maria dagegen.

Was?

Urlaubmachen macht man. In der Stadt, Sittieh, Zentrum. Puls an der Hektik.

Du vielleicht. Aber ich? Hocke das ganze Jahr in der Stadt. Warum liegt die DDR nicht am Mittelmeer?

Du spinnst, sagt Maria.

Wenn man wenigstens auf dem Markt zelten könnte. Mittendrauf, Mensch.

Kannste doch, sagt Maria. Hab noch kein Gesetz gefunden, das es verbietet.

Du nicht. Aber die Ordner bestimmt. Ist nämlich Erregung öffentlichen Ärgernisses. Oder Marktgefährdung. Oder so.

Ich bin für öffentliche Ärgernisse. Und für Gefährdung junger Herren. Und für Erregung, sagt Maria und rekelt sich: Und ich bin für Zelte, rosa und knallgrün, und FKK mitten aufm Platz der Republik. Damit auch die Ordner sich freuen können.

Prima, sagt Eumel und guckt Maria an. Wirste sehen, wie schnell du zur Ordnung gebracht wirst.

Wohin?

Zur Ordnung. Die wohnt im Herzen aller gutwilligen Menschen. So.

Und warum haben wir nur gutwillige Menschen? Und keinen böswilligen Urwald? Der erst mit den richtigen Wegen, den Wegen in die Zukunft versehen werden muss? Der bisher nur gut ist für Expedition, Forschung, Abenteuer?

Ach, sagt Eumel, dafür haste doch Jugendbrigaden, Inzjatiefschichten, Ruhmreichedingsda.

Keine Pfuiwörter bitte, sagte Maria. Und ich sag dir: Wenn du willst, kannst du einfach losziehen, ins Ungewisse. So. Und ich erleb was dabei, das sag ich dir. Mehr als dir jedes Urlaubsparadies bietet.

Gut, sagt Eumel, dann mach mal. Immer der Nase nach. Wie die alten Handwerksburschen. Dann wird‘s Abend, und du stehst ohne Ziel rum. Knallhart steht die Frage der Übernachtung. Und so was muss organisiert sein. Und wer unorganisiert ist, macht sich verdächtig. So ist das.

Kabarett, schlimm überzeichnet

Wo halten Sie sich auf? Wo kommen Sie her? Wo wollen Sie hin?

Sind Sie angemeldet? Können Sie beweisen, dass Sie sich hier zum Zwecke der Erholung aufhalten? So was nennen Sie Erholung?

Zeigen Sie bitte Ihre Anmeldung vor! Warum haben Sie keine Anmeldung? Warum haben Sie keine Formulare? Warum haben Sie die alten Formulare verwendet? Wieso haben Sie kein neues Lichtbild in Ihrem Ausweis? In welcher Nummer wohnen Sie denn? Auf welcher Straßenseite ist das? Wieso tragen Sie diese Tasche bei sich? Können Sie mir mal den Inhalt zeigen? Na, nun zeigen Sie doch schon! Warum tragen Sie eine Tasche bei sich, wenn Sie nichts darin mit sich führen?

Können Sie mir bitte Ihr Ziel nennen? Jaja, Ihr Ziel? Nein, nicht Ihr Lebensziel, obwohl uns auch das interessieren würde. Das wäre ja mal interessant, Ihr Lebensziel kennenzulernen, nicht wahr? Also haben Sie nun eins oder nicht? Wir meinen doch ganz einfach Ihr Reiseziel, oder verstehen wir uns da dauernd falsch?

Und wieso wollen Sie einfach so rumziehen? Aufs Geratewohl, was? Soll wohl eher ein krummes Ding sein? Nein, ich habe nichts gesagt, wir sind ja nur verpflichtet. Wenn das nun jeder machen würde? Denken Sie denn gar nicht an die anderen Leute? Warum wollen Sie denn partout nicht wie alle anderen? Wir bieten doch wirklich genug Möglichkeiten. Wir müssen ja fast annehmen, Sie mögen das nicht? Sie haben doch ein Zuhause, warum bleiben Sie nicht dort? Wozu steht das denn jetzt leer?