Meldestelle für Bedenken - Matthias Biskupek - E-Book

Meldestelle für Bedenken E-Book

Matthias Biskupek

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Beschreibung

Humorvoll und überspitzt schildert der Autor in zahlreichen Episoden Schwachstellen in der DDR: Die Wohnungspolitik, das Künstler- und Studentenleben, die Bürokratie, die Polizei, Probleme von alt und jung. Das Buch von 1981 ist sehr gesellschaftskritisch und nutzt die „Narrenfreiheit“ eines Karikaristen.

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Impressum

Matthias Biskupek

Meldestelle für Bedenken

Geschichten, Satiren und Grotesken

ISBN 978-3-96521-445-3 (E-Book)

Umschlaggestaltung: Ernst Franta

Das Buch erschien 1981 im Eulenspiegel Verlag Berlin

2021 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

Kriegsbeginn

Der Krieg begann nachmittags um drei Uhr. Man errichtete eine Barrikade, türmte dazu drei Schreibtische aufeinander. Zwei Papierkörbe und ein Stapel Akten auf der Barrikadenkrone sollten als Geheimwaffe eingesetzt werden, wenn die Angreifer die Barrikade zu übersteigen drohten. Doch vorerst blieb es ruhig in beiden Stellungen; hüben und drüben der Barrikade wartete man ab, von Plänkeleien abgesehen.

Im Grunde genommen hatte der Krieg bereits am Vormittag begonnen. Die drei Frauen des Zimmers waren über den Flur marschiert, in gleichem Schritt und Tritt. Ihre Stiefel, die sie wegen der nasskalten Witterung trugen, knallten und erzeugten im langen Flur ein vielfaches Echo. Sie befestigten einen Aufruf am Anschlag-Brett, wobei sie die Reißnägel tief in das weiche, geschwärzte Holz drückten. Anschließend stellten sie sich vor der Tür des Abteilungsleiterzimmers auf und schlugen mit harten Knöcheln dagegen. Da der Abteilungsleiter nicht anwesend war, mussten sie unverrichteterdinge abziehen. Doch durch diese Aktion waren die drei Männer des Zimmers gewarnt. Sie schickten den Kleinsten nach draußen auf den Flur, der den Anschlag am Schwarzen Brett auskundschaften und den Abteilungsleiter abpassen sollte. Die anderen beiden Männer hielten ihre schwierigen Positionen an den Schreibtischen.

Mittlerweile zogen die drei Frauen wieder ins Zimmer ein, versammelten sich an einem ihrer Tische, wobei sie Papierbögen fassten, schwärmten dann aus und belegten die Schreibtische der Männer mit hektografierten Aufrufen. Dann setzten sie sich demonstrativ auf die Platte eines Schreibtisches, die Röcke weit über die Knie zurückgeschoben, und beratschlagten. Die beiden Männer tuschelten und lasen furchtsam und eingehend die hektographierten Blätter. In die Augen sprang, fett gedruckt:

Forderung

Wir Frauen des Zimmers 22 fordern: Schluss mit der Emanzipation!

Wir fordern:

Anerkennung unserer Weiblichkeit!

Wir fordern:

Nieder mit den Männern, die in uns keine Hausputtel sehen!

gez. Die weibliche Belegschaft des Zimmers zweiundzwanzig

Die beiden verbliebenen Männer rückten an ihren Schreibtischen enger zusammen und tippten eiliger auf ihren Kleinrechnern.

Bis Mittag blieb die Situation gespannt. Die Frauen rückten aus zur Esseneinnahme. Während dieser Zeit schlüpfte der Kleine herein. Er unterrichtete die anderen von seinen Erkundungen. Nichts hatte sich getan. Der Chef war nicht aufzufinden. Am Schwarzen Brett machten sich neue Forderungen des Triumvirats breit. Als die Frauen wieder eintrafen, verschwanden die Männer schnell. Sie löffelten in gedrückter Stimmung ihre Suppe, wozu sie sich Brot einbrockten.

Als sie ins Zimmer zurückkehrten, bot sich ihnen ein wüster Anblick. Kreuz und quer waren Leinen gespannt. Die drei Frauen waren eben dabei, aus mitgeführten Körben Wäschestücke anzuklammern. Dabei benutzten sie zwei der drei vorhandenen Kleinrechner als Fußbänke. Die Männer gingen geduckt zwischen den Wäschestücken hindurch an ihre Schreibtische. Der größte der Männer meldete Protest an, den einen der beiden Kleinrechner, die zum Wäscheaufhängen benutzt wurden, betreffend. Ein vielstimmiges weibliches Protestgeschrei antwortete ihm. Die Frauen formierten sich zu einem Marschblock und produzierten rhythmische Buh-Rufe. Der Kleine huschte eilig aus dem Zimmer und begann vor dem Abteilungsleiterzimmer von einem Bein auf das andere zu treten. Die anderen beiden verharrten mit bewundernswerter, nichtsdestotrotz nervös durchsetzter Ruhe an ihren Plätzen und überstanden kritische Minuten.

Doch die Ruhe währte nicht lang. Nachdem die Frauen sich kurzzeitig eingeigelt hatten, marschierten sie wieder vor; mit Staubtüchern wedelnd, spannten sie ein Spruchband: „Wir fordern unser Staubwischrecht!“ Sie begannen sogleich, dies Recht praktisch an Schränken und Regalen durchzusetzen. Die Männer schützten sich durch vorgehaltene Akten. Im Großen und Ganzen verliefen die Aktionen bis dahin relativ friedlich.

Bald darauf errichteten die Frauen ein neues Transparent: „Wir fordern vom Abteilungsleiter: Keine Bevorzugung der Frauen!“ In geschlossener Front bewegten sie sich damit durch den Flur. Der Kleine floh eilends und beobachtete aus sicherer Entfernung. Die Frauen standen eine Weile unschlüssig mit drohenden Mienen vor verschlossener Tür; dann rollten sie das Transparent zusammen und stellten es neben dem Chefzimmer ab. Sie öffneten gemeinsam die jeweiligen oberen zwei Blusenknöpfe und marschierten mit erhobenen Oberkörpern auf das Zimmer zweiundzwanzig zu. Der Kleine wischte noch schnell vor ihnen durch die Tür und machte Meldung über die beginnende Ungeheuerlichkeit. Die Männer erhoben sich wie ein Mann zur Tat und errichteten in Windeseile die Barrikade aus Schreibtischen, so einen Teil des Zimmers abgrenzend. Dies geschah nachmittags drei Uhr. Damit hatte der Krieg begonnen.

Die Frauen standen unschlüssig; die Männer hielten ihre Stellungen. Da begannen die Frauen, weitere Blusenknöpfe zu öffnen und schwerere Waffen einzusetzen. Die Männer antworteten mit vereintem Wutgeheul. Vorerst beschränkten die Frauen sich darauf, die Barrikade mit erhöhtem aggressivem Geräuschpegel zu unterspülen. Dies währte lange, und dem Kleinen, der als Kriegsberichterstatter fungierte, mangelte es bereits an berichtenswerten Aktionen. Plötzlich schwärmten die Frauen aus und begannen, an drei verschiedenen Stellen mit geschürzten Röcken gegen die Barrikade vorzurücken. Die Männer hielten sich an Papierkörben und Aktenstößen bereit zum entscheidenden Gegenschlag. Da ertönte der nervenaufreizende Hupton, der das Schichtende anzeigte.

Mit hoher Geschwindigkeit wurden Mappen und Mäntel ergriffen; das Zimmer leerte sich in Windeseile. Die entscheidende Schlacht wurde vertagt.

Unsere netten Büromitbürger

Unsere netten Büromitbürger tragen morgens Aktentaschen und Umhängetaschen und Handtaschen und Stoffbeutel und Faltbeutel und leere Beutel in den Betrieb.

Unsere netten Büromitbürger kommen pünktlich vor dem Arbeitsbeginn oder mit dem Arbeitsbeginn oder nach dem Arbeitsbeginn an ihre Schreibtische und Schreibsessel und Schreibstifte.

Unsere netten Büromitbürger geben sich zur Begrüßung die Hände und schütteln die Hand des Vorgesetzten und klopfen einander auf Schreibplatten, Schultern und Popos.

Unsere netten Büromitbürger frühstücken rechtzeitig in der Kantine und trinken Kaffee und Cola und Milch und Brühe und essen Wurstbrote und Käse und Bockwurst und Brötchen und Ei und Tomaten.

Unsere netten Büromitbürger kennen die Tabellen der Oberliga und der kalorienreduzierten Nahrungsmittel und des Kraftstoffverbrauchs und der Zementmischungen und der Idealfiguren und der Fernsehkanäle.

Unsere netten Büromitbürger lesen das Sportecho und den Eulenspiegel und die Betriebszeitung und die Kraftfahrzeugtechnik und die Wochenpost und die Modischen Maschen und den Gehaltsstreifen; auch lösen sie Kreuzworträtsel und Bilderrätsel und Silbenrätsel und Zahlenrätsel.

Unsere netten Büromitbürger würden gern fremd gehen und gehen gern fremd und erzählen gern, wann sie fremd gegangen sind, und berichten, mit wem sie fremd gegangen sind, und schildern, wie sie fremd gegangen sind, und wissen, welcher Büromitbürger auch fremd gegangen ist, und erklären, auf welche Art er fremd gegangen ist, und diskutieren, wie lange man nacheinander und durcheinander fremd gehen kann.

Unsere netten Büromitbürger sagen, dass sie verstehen, wie man Geld verdienen kann und wo man Geld verdienen muss und wieviel man Geld verdienen darf und wo man Geld geben muss, wenn man haben will, was es nur dann gibt, wenn man weiß, wieviel Geld man gibt und wie man das Geld hingibt.

Unsere netten Büromitbürger waren alle schon Themenleiter oder Fachgebietsleiter oder Abschnittsleiter oder Abteilungsleiter oder Hauptabteilungsleiter und kennen alle Tricks und wissen, was vorgeht und was gespielt wird und wo geblufft wird und wer verhandelt wird.

Unsere netten Büromitbürger sind nett und freundlich und zuvorkommend und höflich und grüßen nur dann einander nicht, wenn sie sich sehr gut kennen.

Die Sonder-Veranstaltung

Für den sechsten Mai war eine Sonder-Veranstaltung des Hauses geplant. Dies war natürlich nur offiziellen Stellen bekannt, und die ließen nichts nach außen dringen. Doch Gerüchte machten sich allenthalben breit.

Wenn sich Kollegen trafen, kamen über kurz oder lang alle Reden auf die Sonder-Veranstaltung; so hieß es, dass eine ausländische Delegation der Auftraggeber sei; dann wurde vertraulich mitgeteilt, dass die Höchste Zentrale Stelle selbst die Sonder-Veranstaltung gewünscht hatte.

Im offiziellen Terminplan des Hauses wurde die Sonder-Veranstaltung nicht ausgewiesen, doch alle Mitarbeiter hatten eingehende Informationen erhalten.

So wuchs die Spannung, und die Kollegen lebten in schöpferischer Unruhe.

Vier Wochen vor dem sechsten Mai erging ein vertrauliches Informationsblatt an alle Haus-Mitarbeiter. Es enthielt die Mitteilung, dass die nicht näher bezeichnete Sonder-Veranstaltung außerhalb stattfinden würde, im Vulpianeum, einem klassizistisch-intimen Gebäude. Die den Zufahrtsweg säumenden Weiden waren wegen ihres intensiven Blattgrüns bekannt, das bereits Johann Melzer jun. im dritten seiner Vulpianeischen Briefe erwähnt hatte.

Nach Verlauf von weiteren acht arbeitsintensiven Tagen erfolgte in einer außerordentlichen Leitungssitzung die Auswahl der Kollegen, die auf die Mitarbeiterliste der Sonder-Veranstaltung gesetzt wurden. Aus der Mitarbeiterliste wurden zwei Reiselisten erarbeitet. Liste Nr. 1 enthielt den engen Mitarbeiterkern, der bereits am fünften Mai sechs Uhr dreißig zum Vulpianeum gefahren werden sollte. Die auf Liste Nr. 2 Aufgeführten sollten exakt vierundzwanzig Stunden später folgen.

Zwei zuverlässige Sekretärinnen wurden mit dem Schreiben der Listen beauftragt. Von jeder Liste wurden zwei Durchschläge zusätzlich ausgefertigt, die nach sorgfältigem Lesen vernichtet wurden.

Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte ein fähiger Mitarbeiter des Hauses alle vorhandenen Druckmöglichkeiten erkundet und freie Kapazität ermittelt. Die Mitarbeiter- und Reiselisten konnten so in ausreichender Auflage und sorgfältig neutraler Typografie gedruckt werden und lagen bereits zwei Wochen vor dem Termin vor. Ein ausgeklügelter Verteiler-Schlüssel und ein geschulter Außendienst-Kollege versorgten alle interessierten Institutionen mit dem Listen-Material.

Etwa zehn Tage vor dem geplanten Termin traf die konkretisierende Nachricht ein, dass nicht die gesamte Höchste Zentrale Stelle, wohl aber ein Leitender Mitarbeiter der Höchsten Zentralen Stelle mit mehreren seiner Referenten und Hauptabteilungsleiter auf der Sonder-Veranstaltung anwesend sein werde.

In den verbleibenden Tagen wurde jeder beteiligte Kollege des Hauses einer eingehenden Befragung unterzogen, die mit einer freundschaftlichen Belehrung über Aufgaben der Sonder-Veranstaltung gekoppelt war. Ein aufs Genaueste instruierter Personenkreis wurde alle zwölf Stunden ins Vulpianeum entsandt, um das Gebäude einer sorgfältigen Überprüfung zu unterwerfen.

Für den engen Mitarbeiterkreis wurde allmorgendlich eine Schulung anberaumt, in deren Verlauf Informationen über die Tätigkeit des Leitenden Mitarbeiters der Höchsten Zentralen Stelle gegeben wurde.

Es wurde weiterhin ein Katalog möglicher Fragen des Leitenden Mitarbeiters zusammengestellt, und jeder Kollege des Hauses legte eine Prüfung dazu ab; durch die Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung war eine Auswertung schnell und sicher möglich. Kollegen, denen Unsicherheiten bei der Prüfung nachzuweisen waren, wurden von der weiteren Mitarbeit zwar nicht entbunden, doch konnten ihnen nur noch periphere Tätigkeiten übertragen werden.

Am vierten Mai erfolgte in einer außerordentlichen Versammlung nochmals eine Darlegung der Bedeutung der Sonder-Veranstaltung. Es wurde über die verschiedenen Aspekte der Sonder-Veranstaltung referiert, letzte Unklarheiten bei einigen Mitarbeitern konnten gemeinsam ausgeräumt werden.

Am fünften Mai sechs Uhr dreißig, exakt vierundzwanzig Stunden vor der entscheidenden Abfahrt, begann die Aktion „Sonder-Veranstaltung“. Nach achtundzwanzig Minuten reibungsloser Fahrt war der Zielort, das Vulpianeum, erreicht. Die elastischen Sicherheitsvorkehrungen am Ort befriedigten allgemein; bereits seit zwei Wochen konnten nur noch unmittelbar beteiligte Kollegen das Gebäude nach Ausweisung betreten.

Die die Zufahrtsstraße säumenden Weiden wurden ein letztes Mal registriert; auf mögliche Umsturzgefahr hin abgeklopft.

Alle Kollegen des engen Mitarbeiterkreises wurden nochmals zu einer Aussprache zusammengerufen, die mit einer einstimmigen Resolution beendet wurde. Von diesem Zeitpunkt an übernahm jeder selbständig sein bestätigtes Aufgabengebiet. Der Organisationsstab arbeitete reibungslos; jedes Anzeichen von Hektik wurde im Keim erstickt.

Auf die Sekunde genau vierundzwanzig Stunden vor Sonder-Veranstaltungs-Beginn (Stufe IV) erfolgte die Durchführung einer genauen Nachbildung in zeitlicher Vor-Verschiebung der Sonder-Veranstaltung. Verdiente Mitarbeiter des Hauses wurden zur körperlichen Darstellung des Leitenden Mitarbeiters sowie seiner Referenten und Hauptabteilungsleiter eingesetzt. Die Nachbildung der Sonder-Veranstaltung lief präzis und problemlos ab.

In einer offiziellen Verlautbarung wurde festgestellt, dass die Vorbereitungen bestens gediehen waren. In Auswertung derselben wurde beschlossen, die Leistungen aller Kollegen des Hauses zu einem späteren Zeitpunkt in einer Feierstunde zu würdigen.

Die Sonder-Veranstaltung fand am sechsten Mai statt. Sie war ein voller Erfolg.

Büroleim

Ich ruhe, meine lichtdurchlässige Farblosigkeit angenehm getrübt, in der Glasflasche. Mittels Gummistopfen gegen die Außenwelt zeitweilig abgeschlossen, warte ich auf meinen Chef, warte, dass ich mich seinen Papieren hingeben kann. Zäh und mit unbewegter Oberfläche harre ich, versunken in mir.

Umfasst dann mein Chef mit festem Griff die Flasche, wird mir warm. Umgewälzt, gerate ich in Bewegung, durch eine Handbewegung im Innersten aufgewühlt. Ich dränge durch den aufgebrochenen Gummistopfen hinaus. Ganz langsam ziehe ich mich als feuchte gelbe Bahn auf hellen Bögen entlang. So, eine Spur hinterlassend mit meinem Leben, an der man haften bleibt, verausgabe ich mich, lasse einen Teil von mir zurück, der für das Papier bleibend ist.

Schmiegsam fließe ich hin, wo ich gebraucht werde. Angekommen, verhärte ich mich und halte unerbittlich die mir auferlegten Zettel und Blätter. So bin ich: angesichts meines Chefs weich, zwischen Papieren dann fest und halte zusammen, was mich beidseitig drückt.

Stets gebe ich mich ganz hin, solange Kraft in mir ist. Wenn ich mich als letzten zähen Fleck auf hellen Flächen verströmt habe, ist mir gewiss: Ich bin für immer vorhanden in den geleimten Papieren; ich klebe nicht umsonst.

Die Meldestelle für Bedenken

Er hatte in der lokalen Presse von dieser neuen Einrichtung gelesen und wollte sie jetzt endlich nutzen. Die Öffnungszeiten waren günstig gelegt, so dass er nach der Arbeit genügend Zeit hatte, dort vorzusprechen. Links neben dem Eingang glänzte das schlichte Metallschild mit der Bezeichnung: „Meldestelle für Bedenken im VEB Dienstleistungskombinat“.

Er wurde in ein Zimmer längs eines Ganges verwiesen. Eine Dame, die hinter einem Schalter saß, schob ihm drei Formulare zu: weiß, gelb und grün. Er nahm sie verwundert und sagte: Entschuldigen Sie, aber ich bin hier, weil ich Bedenken habe, wegen ... Ganz recht, meinte die Dame, Sie wollen Bedenken anmelden. Deshalb sind Sie hier. Füllen Sie nur die Formulare aus; hinten links finden Sie Schreibpulte. Wenn Sie keinen Stift bei sich haben, rechts drüben liegen welche. – Und wenn ich alles ausgefüllt habe, was dann, fragte er. Dann registrieren wir Ihre Bedenken mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung. Sie haben Ihre Bedenken somit angemeldet. Die Wartezeit beträgt im Normalfall fünf Jahre. Damit liegen wir unter dem Republikdurchschnitt. –

Und dann, fragte er und drückte die Formulare an sich. Nach dieser Zeit erhalten wir Nachricht, ob Ihre Bedenken berechtigt sind oder ob sie nicht mehr zutreffen. In den meisten Fällen können wir dann die Bedenken zerstreuen. Unsere Zerstreuungsquote liegt bei etwa 85%. Eine Anmeldefrist von fünf Jahren hat sich bei Versuchen bisher als optimal erwiesen.

Er blieb eine Weile stehen, wendete sich dann doch noch einmal an die freundliche Dame hinter dem Schalter: Und was geschieht mit den restlichen 15 % ? Nun, meinte diese, sollten sich für die angemeldeten Bedenken nach Ablauf der Wartefrist noch objektive Gründe finden, verweisen wir die Bedenken an die Bezirksmeldestelle.

Aha, sagte er und fürchtete lästig zu werden, wenn er weiter fragte. Er nickte und wollte zum Ausfüllen der Formulare an eines der Stehpulte gehen. Doch die zuvorkommende Dame lächelte verbindlich: Wir erteilen gern Auskunft. Ausführlich finden Sie alles in unserer Informationsschrift. Damit drückte sie ihm ein Faltblatt in die Hand.

Er ging an eines der Stehpulte, und bevor er begann, die Formulare auszufüllen, las er aufmerksam das Informationsblatt durch. Da meldeten sich bei ihm Bedenken.

Eine schwarz-weiße Geschichte

Es hatte einmal ein kluger Mensch das, was kluge Menschen immer haben, eine Idee. Er hatte viele düstere Nächte durchdacht, bis ihm einfiel, mit der blauen Farbe zu sparen. Es sparten damals alle Leute in diesem Land, und so freute man sich, dass man nun auch mit einer Farbe sparen konnte. Also sparte man sie ein.

Und der kluge Mensch bekam eine erfreulich anständige Prämie. Und jeder Mensch, der mithalf beim Einsparen der blauen Farbe, bekam ebenfalls eine erfreulich anständige Prämie. Es gab nun keine blauen Autos mehr und keine blauen Blumen und keinen blauen Dunst. Nur der Himmel war manchmal noch blau, doch meistens schloss er sich der Bewegung der Blau-Sparer an und bezog sich grauweiß.