Biertafel mit Colaklops - Matthias Biskupek - E-Book

Biertafel mit Colaklops E-Book

Matthias Biskupek

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Beschreibung

Der Autor ist ein Meister der Satire. Teilweise ins Sächsische verfallend oder das Englische eindeutschend, blödelt er über das Befinden der Ostdeutschen kurz nach der Wende. Eingeschlossen sind erste Reisen in vorher verbotene Länder, das Treffen mit der Westverwandtschaft und viele, viele Wortspielereien wie der Colaklops.

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Impressum

Matthias Biskupek

Biertafel mit Colaklops

Satirische Zutaten von Claudia bis Kanada

ISBN 978-3-96521-440-8 (E-Book)

Umschlaggestaltung: Ernst Franta

Das Buch erschien 1995 bei Eulenspiegel Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH

2021 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

I. Von Frau Claudia bis J. Christus

Volkswohlgefühl

Ach nö. Ist ja nicht mit anzusehen. Da hockt Ihr trübetimplig rum, stochert lustlos in Eurer Vergangenheit, wisst mit Euern Gedanken nicht, in welches Schubfach stopfen, und fühlt Euch belogen und betrogen. Wenn Ihr Strick, Messer, zwölften Stock und Tablettenröhrchen seht, denkt Ihr immer nur das eine. Alles bloß, weil fiese Typen Euch den Glauben genommen haben und die Utopien und die bessere Gesellschaft und den Kampf für ein schöneres Morgenrot.

Nun hört mir mal zu und bohrt nicht im Großhirn herum. Es gibt immer einen Weg. Weg mit fruchtloser Grübelei! Für Euch haben kluge Männer, Philosophen, Vordenker, Zeit-Kolumnisten und Lehrstuhlgänger schon längst was gefunden. Ein ganz neues Denken ist wie ein neues Leben. Wir singen erst mal zusammen: „Ein ganz neues Denken ist wie ein neues Leben, nanananana!“ Und alle: „Heut - ist - der schönnnnste Taak …"

Geht’s uns schon besser? Fühlen wir uns schon wohler?

Darum geht’s. Ums Wohlfühlen.

Die Vordenker haben nämlich für Euch erforscht, dass kleine Dummermenschen einen Kompass im Leben brauchen. Ein unverbrüchliches Unterpfand. Also die zehn Gebote vom Moses. Oder den Glauben des Papstes, dass Verhüterli Teufelshäute sind. Oder die verinnerlichte Hymne der rechthubernden Partei. Oder die ewige Freundschaft zur ruhmreichen So – na und so. Weiter.

Und so ein Kriterium haben sie jetzt wieder aufgestellt. Endlich. Marx ist lange genug tot, und Jesus lebt verbibelt und verborgen. Nun also unser neuer Vati, der uns Richtschnur sein wird. Neu-Vati heißt Wellness. Ok? Understand? Wir müssen a little bit Zeitgeist speaken. Wellness – that’s Zeitgeist. Wir denken als Eselsbrücke Wellfleisch, also richtig wohlgekochtes Fleisch. Heiß. Satt. Gut Fleisch. Well Fleisch. Wellness. That’s life.

Alles, was Ihr macht, machen wollt, gemacht habt, müsst ihr jetzt unter dem Kriterium Wellness sehen. Oh, Mann, ich fühl mich so wohl! – diesen Satz kennt Ihr doch aus den Staunaugen-Fiesfeix-Serien? Das ist das Ziel unseres Daseins. Und wie gelangen wir dahin? Mit einer Frage: Baby, are you happy? Das ist die neue Grundfrage der Philosophie: Baby, are you happy? Die Praxis von Wellness ist das Kriterium der Wahrheit und die Wahrheit erweist sich beim Wellnessen – also very well essen, trinken, feelingsen – so ähnlich sagt es der Show talkende Philosoph.

Ihr müsst wirklich nicht mehr trübe vor Euch hin dümpeln, nein froh ausstrahlen sollt Ihr. Ist doch uninteressant, ob Dein Stiefel auf dem Fuß des Nachbarn steht, wenn Du gut stehst, wenn Du weich stehst, wenn es in ist, weil Du well bist. All diese blöden christlich-sozialistischen Skrupel vom Gemeinsinn, von Solidarität und so, gelten für Euch nur, wenn Ihr sie braucht, zur Wellness. Aber mal ehrlich, seid jetzt bitte ganz well: So blöde werdet Ihr doch nicht sein? Mühsal tragen? Trübsal blasen? Bloß weil der Nachbar down & out ist? Denk positiv an ihn. Handle positiv. Wenn Du bei Strick, Messer, zwölfter Stock und Tablettenröhrchen immer nur an Dich denkst, bist Du nicht well. Denk einfach an den andern. Handle nach Deinem Goodwill, well. Wenn Dein Messer und ein Ausländer zusammenstoßen, dann ist das einfach ein ganz scharfes neues Gefühl für Dich. Dein Messer macht ’n satten Ton, well. Very well.

Drum bist Du ein Mensch, wenn Du tust, was Du tun musst. Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum hat er Stiefel in fremden Gesichtern gern. Zur Not auf Video, aber live is a better Wellness. You will feeling Wellness. Wellness all over the world. Oder auf philosophisch: Es geht ein Gespenst um in der europäisch gestimmten Welt, das Gespenst von Wellness.

Selbstsicherheit, lightgemaked

Die psychischen Krankheiten kommen von falscher Ernährung. Persönliches Unglück beruht auf dem Irrglauben, es gäbe feststehende Wahrheiten. Mangelnder Erfolg ist stockendem Sprechvermögen geschuldet.

Lieber Epochenteilnehmer, Sie wollen gesund, glücklich und erfolgreich werden, sein und bleiben? Lassen Sie sich im Folgenden einfach ein wenig von meinen Gedanken verwöhnen. Sie sind in keiner Weise dazu verpflichtet, sie mir abzunehmen. Doch ich darf Ihnen bei praktischer Anwendung gleichbleibenden sowie durchschlagenden Erfolg in Aussicht stellen. Mit Gedanken-zurück-Garantie!

Zunächst Beispiele für Sie, aus denen Sie lernen können: In beredter Runde wirft jemand die Frage nach der Amtssprache im Königreich Lesotho auf. Einer der Anwesenden sagt sofort: Afrikaans. Gläubiges Schweigen. Nur ein Zögerling wirft unsicher ein, er glaube aber, das sei vielleicht eher so was wie Englisch oder Kisuaheli. Der Sofortsager weist ihn zurecht: Das seien Umgangs- und Schriftsprachen, gemeinhin auch Staatsmundarten geheißen, aber die Amtssprache (aemteriisk sproaak) heiße seit einem Erlass vom Juli 1953 Afrikaans – übrigens vom damaligen südafrikanischen Generalgouverneur für die Nordost-Innergebiete, Ronald Houtemaker, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion (juristischer Fachbegriff: Night-nouvelle-Conclusion) durchgesetzt.

Der Einwerfer muss passen; der Sofortsager aber scheint für die Umstehenden zwei Zentimeter über dem platten Boden zu schweben.

Ähnliches können Sie bei Einwohnerzahlen erleben. Es geht z. B. um Southampton. Die zwischen achtzigtausend und einer halben Million geäußerten Zahlen klärt leis lächelnd der Experte: einhundertsiebenundvierzigtausend. Denn bekanntlich wird nach traditionellem englischem Recht einerseits nur der Hausbesitzer, andererseits aber werden alle ihm verwandten Personen gezählt, wobei nicht verwandte Bewohner nach den British House Acts ebenfalls dem Zahlenspiegel einverleibt werden dürfen, sofern sie nicht zugleich Halter frei laufender Tiere seien. Man kenne doch, schmunzelt der Experte, die spleenigen und traditionsbewussten Inselbewohner.

Auf vergleichbare Weise können Experten klarmachen, dass die Kupferstecher-Innung sich in der Defloration der Töchter einer angesehenen Augsburger Familie, den Kupfers, gründe; die Pariser Metro ihren Namen aus der Pünktlichkeit herleite, da ärmere französischen Schichten die Zugfolge als Metronomangabe nutzten und Potemkin ein von Stalin gegründetes Musterdorf war.

Nach dieser Ihrer Lernphase sollten Sie zum eigenmündigen Beeindrucken der Mitmenschen übergehen. Versehen Sie schnell alle Fragen mit spiegelglatten Antworten; Zögern verrät Unsicherheit. Angaben dürfen niemals ungefähr, sondern müssen stets absolut sein.

Sagen Sie Folgendes den zu Beeindruckenden auf den Kopf zu: Die Jungen Pioniere waren eine militärische Knabenorganisation, die vor allem Brücken bauen musste; bei absoluter Unterwerfung erhielten die Mitglieder den „Goldenen Ponton“. In selbstbewusster Bescheidung setzen Sie hinzu: Ich habe das damals abgelehnt und musste deshalb zwangsweise das verpönte Brustschwimmen lernen.

Erläutern Sie, dass der Auspuff des „Trabant“ so konstruiert war, dass eine gewisse Schadstoffmenge ins Wageninnere gelangte und den Fahrer zur Rammdösigkeit brachte, so dass er stets feige unter Tempo Einhundert bleiben musste. Setzen Sie nachdrücklich hinzu: Ich fuhr mutig bei geöffnetem Fenster einhundertunddrei und wurden dafür von schnüffelnden VoPopels an die Flensburger Stasizentrale gemeldet.

Verkünden Sie Ihren Bewunderern, dass ein großer Teil der Deutschen Mark derzeit in einer Frankfurter Hochdeponie lagert, um im Notfall europaweit aus Gulaschkanonen an die Bevölkerung verabfolgt zu werden.

Und glauben Sie sich vor allem selbst, wenn Sie unwiderruflich feststellen: Zweiundfünfzig Prozent aller Wähler sind überhaupt nicht zeugungsberechtigt. Eine neue Autobahn ist wie ein neues Leben. In Bulgarien wurde die Blutrache erst ab 1956 erlaubt. Der SPIEGEL schreibt Wahrheit wie gedruckt. Weiße Blutkörperchen ermöglichen AIDS. Willy Brandt war aber ja nun wirklich völlig erwiesenermaßen bei der Stasi. Soljanka fördert Depressionen. Katholiken sind glücklicher als weiße Versuchskaninchen. Deutsche Männer haben die Ausflugsgaststätte erfunden. Nur wer laut spricht, zeigt die lautere Selbstsicherheit. Gott ist christlich und glaubt deshalb an die CSU.

Frau Claudia sagt’s

Frau Claudia ist immer pflichtbewusst in unser Theater gegangen. Man darf über Kultur nicht bloß reden, hat Frau Claudia gesagt, man muss sie auch genießen. Genießen, hat Frau Claudia gesagt und sich dabei auf dem scharfen ß ausgeruht.

Frau Claudia hat immer betont, dass sie Interesse an Theater, guten Reisen, schönen Büchern und allem Wahren hat.

Früher gab es in unserem Theater ja auch halbgewalkte Lederjackisten, Provokationäre von außerhalb, die unser ehrwürdiges Theater mit modernösen Dingen bereichert haben. Doch immer wusste Frau Claudia: Es gibt eine Grenze, die im Interesse der arbeitenden Zuschauer von Theatersachverständigen festgelegt wird.

Müpften hergelaufene Inhumankünstler zu sehr auf, so wurde eingeschritten. Mit eiserner Faust und dem sicheren Instinkt der Macht, die uns in die Hände gegeben, auf dass wir sie nie nie … Worauf sich Frau Claudia verlassen konnte.

Im Theater gab es nie menschenfeindliche Horrorkunst, sondern immer kreative Entäußerung. Ansonsten wurden auf Krisensitzungen Maßnahmen gegen gewisse Arbeitergroschenverschleuderer festgelegt.

Fanden aber ungewöhnliche Theaterabende statt, so war Frau Claudia davon bereichert worden. Innerlich. Sie musste sich bisweilen in einen ästhetischen Widerspruch begeben lassen, wegen allerlei Anstößlerischem und Abstraktionistischem. Doch sie wusste sehr genau: Dem Neuen darf man sich nicht verschließen.

Man muss sich, hat Frau Claudia gesagt, auseinandersetzen. Weite und Vielfalt, hat Frau Claudia betont. Die besten Leistungen der Kunst muss man eben auch, hat Frau Claudia erläutert, genießend zu dechiffrieren verstehen, nach der bestätigten Lehre vom verstandesintensiven Genuss. Hat Frau Claudia gesagt. Sie wusste schließlich: Der ganze Welthorizont wird immer besser erschlossen.

Eine ansprechend hervorgehobene Leistung: Dies war die Botschaft eines jeden Theaterabends. Frau

Claudia hat zu Recht herabgesehen auf jene Mitbürger, die diese Errungenschaft außer acht ließen. Theater gehört ein für alle Mal zur Persönlichkeitsweiterherausbildung. Nun aber mag Frau Claudia unser Theater nicht mehr. Denn in unserem Theater sitzen halbgewalkte Lederjackisten, Provokationäre von außerhalb, nunmehr ohne übergeordneten Theatersachverstand. Sie tragen nicht mehr mit sicherem Instinkt zur kulturellen Hebung bei, sondern verwirklichen ein totalitär-individualistisches Selbst, ohne auf die Stimmung des Volkes zu achten.

Im Theater wird laut herumgeschrien oder unkünstlerisch geflüstert. Man darbietet mit Fistel- oder Brüllstimmen auch die real überlieferten Klassiker. Die angeblichen Theaterkünstler sind schmutzig oder obszön oder gar nicht angezogen, was unästhetisch abstößt und nicht dem sittlichen Reifegrad deutscher Bühnenkunst entspricht. Auch die Dekoration: Lumpen und Dreck und kalte Neonröhren und Verpackungsmaterial. Es spricht ästhetisch überhaupt nicht an, meint Frau Claudia. Gab es früher tapetenverklebte Bühnenbilder, ausgezogene Schauspielerinnen und verweiblichte Männerstimmen im Theater, so war das, sagt Frau Claudia, zwar auch ungewöhnlich, aber doch ein Zeichen dafür, dass unser Theater nicht hinterprovinzlerisch, sondern sehr frei vorausentfaltet war. Heute hingegen, erläutert Frau Claudia, ist das Theater einfach abstoßend. Denn, so sagt Frau Claudia, es ist nicht volkstümlich. Es hebt nicht reif und vollgültig unser Wahres und Schönes hervor. So wird die Aufgabe der Kunst, stellt Frau Claudia fest, immer tiefer und tiefer in den Schmutz hinabgetreten.

Frau Claudia kann sich nun endlich in den Dienst ihres Abscheus stellen. Der Schleier einer ideologischen Befangenheit ist von der Geschichte zerfetzt worden. Nackt und bloß stehen die Nichtskönner auf kahlen Bühnenbrettern und schreien ihre Antihumanstimmung in die Zuschauergegend, zerschlagen die Reste einstmals ästhetischer Kulissen.

Frau Claudia wird sich bald zu Wort melden, im Theateraufsichtsgremium oder in der Bühnenkreditierungsgesellschaft, wo auch immer man sie endlich zum freien Wort kommen lässt. Frau Claudia kann ein sauberes und gesundes Volkstheaterempfinden aufweisen. Sie wird auf die Ästhetik pochen. Frau Claudia lässt sich unser heruntergekommenes Theater nicht mehr bieten. Frau Claudia lässt sich die schlampigen Schauspieler im Stadtbild nicht mehr bieten. Frau Claudia lässt sich die Unsummen, die das alles kostet, nicht mehr bieten. Frau Claudia lässt sich entstellende Herabwürdigungen und fehlerhafte Aufwertungen, Verzerrungen, Entblößungen, Verwirrungen und plumpe Beleidigungen nicht mehr gefallen.

Frau Claudia lebt in einer Demokratie. Frau Claudia wird dafür sorgen, dass diese Demokratie nicht länger Geld zur eigenen Unterminierung ausgibt. Sondern nur noch zur ästhetischen Verdeutschlichung ihrer Schönhaftigkeit.

Nieder mit Kunstterroristen! Es lebe Frau Claudia!

Bei der Wahrsagerin

Was man riecht: Zuckerwatte, Grillfleisch, Biertümpel. Was man hört: Heulsirenen, Stampfmusik, Losverkaufsgeschrei. Was man sieht: Lichtblitze, Farbenkreisel, Menschenschübe. Das Mediale aber schwebt über den einfachen Sinnesreizungen …

Volksfeste sind Wirtschaftsfaktoren; deshalb werden Sie auch gern von Würdenträgern eröffnet & gesegnet. Doch kundige Volksfestorganisatoren bieten nicht nur schnöde Mammonscheffler und Abzocker, sondern auch was für den Feinsinn. Ein solches Krönchen, das über niedern Schmatzgenüssen thront, ist noch immer das Okkulte. Das Übersinnliche erst gibt einer Feier was für Meier.

So trat ich kürzlich auf traditionsreichem Volksfest, einem, das einen lauten Farbklecks in die gräuliche Normalwelt setzt, in ein Büdchen; hinein durch einen Schnürevorhang. An einem Tischchen harrte reif und schwer und schwarzhaarig und rotakzentuiert die Wahrsagerin, ergriff meine Linke und schaute mir ins Aug (oder in beide?). Ganz so, wie an der Budentür beschrieben: Sie liest Ihnen aus Hand und Augen.

Seiltänzerin war sie einst, aus der Artistenfamilie Traber, und in Lima liegen genetische Wurzeln, und dazu sprach sie ein polnisches Rheinländisch: Einer solchen Frau will ich einfach glauben. Zumal sie mir aufs Auge zu sagte, dass ich Bandscheibenprobleme hätte (was seltsamerweise stimmt, denn ich gehöre zu den lediglich vierundsechzig Prozent mitteleuropäischer Bandscheibenschadhaften) und dass ich nie ein Pflegefall würde (was man gern hört, wenn man bisweilen den Bundespflegeminister hören muss) und dass ich bald viel mehr Geld haben werde (was mein Finanzamt gewiss auch registrieren wird), wobei die gute Frau nur einen winzigen Moment lang zuckte, als ich staunend ausrief: Was? Noch mehr! Doch fing sie sich sogleich und sah, dass in meiner Hand Grundbesitz läge (was das Bauministerium zu noch kräftigeren Maßnahmen treiben wird); auch meinte sie, dass ich eine große Reise machen und gesund zurückkehren werde (was das ganze Bundeskabinett freuen wird).

Sie sind von hier? fragte sie. Und noch bevor ich antworten konnte, versicherte sie: Da konnten Sie früher nicht reisen … und wieder war sie einen Moment verunsichert, als ich ausrief: O doch! Was bin ich gereist!

Dann kamen wir zum Pikanten. Hier wusste sie, dass ich ein ansehnlicher Mann sei (fast wollt ich’s nicht glauben), doch gelegentlich Partnerschaftsprobleme hätte, neigte ich doch zu Eifersucht, was mich zu so glücklichem Lächeln hinriss, dass sie sich schnell glaubte korrigieren zu müssen: Partnerin neigt wohl mehr dazu – wobei ich nicht weiß, ob sie das große I von Partnerin auch deutlich aussprach.

Als ich zwanzig Mark Honorar hervorzog (die Zeitungsausschnitte an ihrer Tür vermerkten zehn, doch das galt wohl für weniger aufschwingende Zeiten), schaute sie über meinen Kopf, nahm den Schein und sprach, dass die Menschen zu sehr nach äußerm Reichtum strebten; sie sehe das auch bei den Schaustellern: Jeder wolle nur Geld scheffeln, und dabei stürbe unsere Welt. Und wieder schaute sie über meinen Kopf und meinte, dass die Menschheit durch eitel Streben sich zugrunde richte. Denken Sie nur, wie wird alles so selbstzerstörerisch, murmelte sie verschwörerisch und schaute aufmerksam allzeit über mich, wobei sie mir anvertraute, dass ich einen Schutzengel habe (die Volksparteien werden wissen, wer das ist, und es mir balde mitteilen). Noch immer blickte sie mir unverwandt starr übers Haupt, so dass ich unwillkürlich dahin griff; vermeinte, meinen Schutzengel zu fassen. Doch dort war nur ein Spiegel, in dem sich ein neuer Kunde vor der Tür zeigte, so dass ich nicht erfahren habe, was auf die Menschheit im einzelnen zukommen wird, ich vermute jedoch: Ozonloch, Müll und GAU.

Bald nach mir bestieg der Baudezernent die verschnürte Kammer und meldete hernach rotköpfig und glücklich, dass er nun werde bauen können, auch der Finanzexperte kam frohen Mutes und die Inhaberin eines Reisebüros desgleichen. Der in Scheidung liegende Elektronikgeschäftsmann trat, verwirrt kopfnickend, hervor. Nur die offiziell zum Volksfestbesuch weilende Eröffnungsministerin mochte kein Pressefoto mit Wahrsagerin, ist sie doch Pfarrerstochter und die jahrhundertelange unerklärliche Feindschaft zwischen Christentum und Okkultismus allbekannt.

Warum eigentlich gelingt es unsern Bundesbehörden nicht, so anschaulich und glaubhaft wahrzusagen und alle in den dicksten Optimismus zu treiben? Sind Behörden nicht reif, schwarz und schwer genug? Oder liegt’s daran, dass sie ihre Voraussagen für umsonst machen?

Der Wahlburger

Ein nahrungsmittelwertvoller Exkurs

Der Wahlburger (sprich: Waalbörger) wird in den geöffneten unteren Teil des menschl. Kopfes gestopft, wo er, nach schluckhaft-ruckweisem Herabplumpsen im urnenförmigen Magen- und Darmtrakt seine Wirkung entfaltet: Sattheit, Müdigkeit, Gläubigkeit.

Den statistischen Durchschnittsmenschen befällt bei Genuss eines Wahlburgers der Sinnverschluss: Augenlider klappen ab, Ohren werden eingerollt, das Maul bleibt zu. Die Hl. Dreifaltigkeit aller Affenartigen setzt ein: Nixsehenhörensagen.

Der Wahlburger ist ein Spitzen-Produkt moderner Abspeisungswissenschaftler. Früher wurden Nahrungsmittel getrennt genossen: Hie das Brot der frühen Jahre, da die Milch der frommen Denkungsart, dort der reife Käse. In Wurst war alles Wurst, den Braten roch man meilenweit, und Kohl galt nicht als Kraut und Rüben, sondern als Frischgemüse. Im Wahlburger hingegen wird alles schichtweis geschluckt: Für jeden Geschmack ist etwas da. Von einem einzigen Biss allein hat man schon den Hals voll mit sämtlichen Genüssen rechter und linker Art; vom Kleingarten bis zur Großgrundpflanze sprießet es hoffnungsglücklich. Filetstücke sind von sozialen Adern durchzogen; der biologisch hervorschießende Weizenkeimling wuchert im Konsumbrot und das Pressformfleisch kann überall eingepasst werden. Bürgernahe Würzmischungen entfalten Volkswohlgeruch; knackige Verkrustungen knicksen im Gleichschritttakt; stabile Preiselbeeren geben ein Bild fürs Auge; der liberale Käse zieht heiße Fäden, weil sonst zusammenbäckt, was im Ofen ruft: Zieh uns raus, zieh uns raus, sonst verbraten wir das Erbe unserer Enkel! Fertigbetongeschmack wabert über Arbeitsplätzchenbäckereien. Datenschutzlöcher lockern Aufschwungschäume. Multikulturelle Mohren-Rüben werden gekrönt von geduldiger Mähmähkologie. All das bildet den farbenprächtigsten Salat zum Satthaben: rot und grün, schwarz und blau, und mit hübschen Marmelflecken nationaler Sauerbratentunke. Wir sind das Kraut! ruft es zwischen allen Schichten des Wahlburgers hervor, hier ist dein Reis und Dein Kraftfleisch und Dein Soßenkuchen! Wir wollen sein Dir ein treuer Maulstopfpilz und wenn Du uns endlich frissest, so wirst Du immer aus dem offenen Kopf nach uns riechen; wir sind Dein schwarzes Pfeffersackkorn in der Weißwurst und Deine rote Tomate fürs blaue Aug und Dein Gold in der Hose, wenn Du uns erst wirst verdaut haben.

Der Wahlburger wird in modernen Zeiten an allen Ecken rundweg angeboten, und weil er so runtergekommen stinkt, wird er uns eines Tages hochkommen: High, hupps und nochmals hick – wir habens gefressen.

Der Sachse & Sein Buch

Wir werden mit normierten Produkten geknechtet. Von Flensburg über Leipzig bis Passau dieselbe Müll-Milch und eine allen EU-Normformen angepasste Klobrillenaussparung. Am schmerzlichsten aber ist Normierung für die Krone deutscher Geistigkeit, das Buch.

Das Buch wird, unabhängig von der Regionalität seines Nutzers, in gleicher Ausfertigung, mit derselben ISBN-Kennzeichnung, konformer Einbandgestaltung und der nämlichen Seitenzahl in Buchstapellager aller deutschen Länder und sogar jene der stolzen Freistaaten verschickt. Dabei weiß die Wissenschaft heute längst um die unterschiedliche Befindlichkeit des Buch-Nutzers. Mag der Friese dem Buch, nöch, sein’ bäten Snack entnehmen und der reiche Schwabe heimlich sein Zweit-Buch im Keller, hinterm Eingeweckten, verstecken, damit ihm die Steuerfahnder nicht drauf kommen – der Sachse hat zum Buch ein ungleich anderes Verhältnis. Nicht umsonst gilt er als Erfinder doppelter Buchführung und nannte eines seiner Nationalgerichte nach ihm, die Buchteln.

Der Sachse ist zärtlich zu seinem Buche. Es ist ihm Gefährte und eine feste Rätsellöseunterlage im Liegestuhl. Er braucht es beim Dösen am Baggerseeufer gegen Sonne. Er nennt sein Buch Wälldsor, weil er sich mit ihm ganz mauschelig-wuschelig in die Scheselong-Ecke kuschelt. Auch wenn ein Wälzer heutzutage fast immer ein Hardcover ist – um nicht Hart-Kaffer zu sagen, wovon sich weichherzige Bürger schwarzafrikanischer Staaten diskriminiert fühlen könnten – legt der Sachse seinen Wälzer gern unters Sofakissen, um den Kopf beim Fernsehen höher tragen zu können.

Im Grunde seines Buchliebhaberherzens aber mag der Sachse es weesch, das Buch, schön rundgegnuddeld, babbisch, ein Babybag. Obwohl er sein Buch oft knallhart praktisch nutzt, beispielsweise zum Sichern des Autos beim Parken auf schiefer Ebene.