Der Cassandra-Plan - Robert Ludlum - E-Book

Der Cassandra-Plan E-Book

Robert Ludlum

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Beschreibung

Von erschreckender Realität

Das Pockenvirus scheint besiegt. Nur in zwei Geheimlabors in Russland und in den USA werden noch Restproben zu Forschungszwecken aufbewahrt. Jetzt sollen unter Weltraumbedingungen Experimente mit diesen tödlichen Viren angestellt werden, die nur friedlichen Zwecken dienen sollen. Ein skrupelloser Wissenschaftler hat allerdings andere Pläne …

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Das Buch

Lt. Colonel Jon Smith erhält einen Hilferuf aus Venedig: Der russische Informant Juri Danko hat eine derart brisante Botschaft, dass er sofort außer Landes eskortiert werden muss. Smith trifft Danko, wechselt einige Worte mit ihm – und muss hilflos mitansehen, wie der Agent vor seinen Augen erschossen wird. Was er herausgefunden hat, nimmt er mit ins Grab. Unter Hochdruck beginnen der Colonel und sein Team zu ermitteln und kommen einem bedrohlichen Vorfall auf die Spur: Aus einem russischen Geheimlabor wurde ein Probe des Pockenvirus entwendet. Während Smith um den halben Globus reist, um das gefährliche Diebesgut zu sichern, hat sich ein skrupelloser Wissenschaftler längst jedem Zugriff entzogen. An Bord eines Raumschiffs verfolgt er mit den Viren seine ganz eigenen Pläne. Dem Colonel bleibt nur wenig Zeit, das Schlimmste zu verhindern. Ein Ausbruch der offiziell ausgestorbenen Seuche, gegen die kaum mehr Impfstoffe existieren, würde die gesamte Menschheit bedrohen …

Zu den Autoren

Robert Ludlum erreichte mit seinen Romanen, die in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden, weltweit eine Auflage von über 300 Millionen Exemplaren. Er verstarb im März 2001. Die Romane aus seinem Nachlass erscheinen bei Heyne.

Philip Shelby lebt in Los Angeles. Mit seinem Debütroman Die Stunde der Trommeln gelang ihm auf Anhieb der internationale Durchbruch.

Lieferbare Titel

Die Bourne Identität – Das Bourne Ultimatum – Das Bourne Imperium  – Das Bourne Vermächtnis – Das Jesus-Papier – Die Lennox-Falle  – Der Ikarus-Plan – Der Janson-Befehl – Der Tristan-Betrug – Der Matarese-Bund – Das Scarlatti-Erbe – Das Sigma-Protokoll – Die Paris-Option – Der Cassandra-Plan – Der Hades-Faktor – Der Altman-Code  – Die Ambler-Warnung – Der Arktis-Plan – Die Bancroft Strategie  – Das Moskau Virus

Die Originalausgabe THE CASSANDRA COMPACT erschien 2001 bei St. Martin’s Press, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2001 by Myn Pyn Llc.Copyright © 2003 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Fotos von © shutterstock / Gilmanshin

ISBN 978-3-641-09005-0V003

www.heyne.de

Vorwort

THE NEW YORK TIMESDienstag, 25. Mai 1999Sektion D: Wissenschaft Seite D-3Von Lawrence K. Altmann, MD

 

 

Vor zwanzig Jahren wurden die Pocken, jene uralte Geißel der Menschheit, endgültig besiegt. Das Pockenvirus befindet sich sozusagen in der Todeszelle, in zwei streng bewachten Labors in den Vereinigten Staaten und Russland eingefroren ...

Gestern hat die Weltgesundheitsbehörde mit Unterstützung Russlands und anderer Regierungen dem Virus in aller Form einen weiteren Hinrichtungsaufschub gewährt ...

... Forschungsarbeiten zur Entwicklung von Medikamenten gegen die Krankheit oder von verbesserten Impfstoffen hätten praktisch keinen Sinn; es sei denn, irgendein Schurkenstaat würde seine geheimen Bestände an Pockenviren bei einem biologischen Terrorangriff einsetzen, eine Vorstellung, die inzwischen keineswegs mehr als absurd gilt.

Auf Ersuchen der Weltgesundheitsorganisation haben russische und amerikanische Wissenschaftler die kompletten DNS-Daten von Variola aufgezeichnet. Die Weltgesundheitsorganisation war der Ansicht, damit über hinreichende Informationen für künftige Forschungsvorhaben und für den Vergleich mit Viren zu verfügen, die etwa von Terroristen freigesetzt würden ...

Aber dann hat sich eine Anzahl von Wissenschaftlern gegen diese Vorstellung ausgesprochen und erklärt, dass sich mit solchen Sequenzen allein keineswegs bestimmen ließe, in welchem Maße ein Virus durch bestimmte Heilmittel unschädlich gemacht werden könnte.

1

Der Wärter blickte auf, als er das Knirschen von Autoreifen auf dem Kies hörte. Es war schon beinahe völlig dunkel, und er hatte sich gerade Kaffee gekocht und eigentlich keine Lust, aufzustehen. Aber dann überwog doch seine Neugierde. Besucher, die nach Alexandria kamen, suchten nur selten den Friedhof von Ivy Hill auf; in der historischen Stadt am Potomac gab es eine ganze Menge anderer attraktiverer Sehenswürdigkeiten für die Lebenden. Und Ortsansässige kamen an den Wochentagen nur sehr selten heraus; ganz besonders nicht an einem Spätnachmittag im April, wenn es zu allem Überfluss noch regnete.

Er spähte durch das kleine Fenster seiner Wachstube hinaus und sah einen Mann, der aus einem unauffälligen Wagen stieg. Staatsbeamter? Seiner Schätzung nach war der Besucher Anfang der Vierzig, groß und sichtlich durchtrainiert. Der herrschenden Witterung gemäß trug er eine wasserdichte Jacke, dunkle Hosen und derbe Stiefel. Der Wärter beobachtete, wie der Mann sich ein paar Schritte von dem Wagen entfernte und sich umsah, sich ein Bild von seiner Umgebung verschaffte. Nicht Staatsbeamter – Militär. Er öffnete die Tür, trat unter das Vordach und beobachtete den Besucher, wie der dastand, durch die Friedhofstore hereinsah und dabei offenbar den Regen, der ihm das dunkle Haar durchnässte, überhaupt nicht zur Kenntnis nahm.

Vielleicht ist er das erste Mal hier, dachte der Wärter. Beim ersten Mal wirkten sie alle ein wenig verstört und scheuten davor zurück, einen Ort zu betreten, der mit Schmerz, Leid und Verlust verbunden war. Er sah auf die linke Hand des Mannes und entdeckte dort keinen Ring. Ein Witwer? Er versuchte sich zu erinnern, ob hier in letzter Zeit eine junge Frau beerdigt worden war.

»Hallo.«

Die Stimme verblüffte den Wärter. Für einen Mann dieser Größe war sie erstaunlich sanft und weich, gerade so als hätte da ein Bauchredner gesprochen.

»Tag. Wenn Sie reinkommen wollen, kann ich Ihnen einen Schirm geben.«

»Das wäre sehr nett, vielen Dank«, sagte der Mann, bewegte sich aber nicht von der Stelle.

Der Wärter griff hinter sich in einen Schirmständer, der früher einmal eine Gießkanne gewesen war. Er nahm den Regenschirm, ging auf den Mann zu und musterte dabei sein Gesicht mit den hohen Backenknochen und den auffallend blauen Augen.

»Ich heiße Barnes und bin hier der Wärter. Wenn Sie mir sagen, wen Sie aufsuchen wollen, kann ich Ihnen die Mühe ersparen, in dem Matsch hier herumzustapfen.«

»Sophia Russell.«

»Russell haben Sie gesagt? Kann mich im Augenblick nicht erinnern. Lassen Sie mich nachsehen. Es dauert bloß einen Moment.«

»Machen Sie sich keine Umstände. Ich finde mich schon zurecht.«

»Ich muss Sie trotzdem ins Besucherbuch eintragen.«

Der Mann spannte den Regenschirm auf. »Jon Smith. Dr. Jon Smith. Ich weiß schon, wo ich sie finden kann. Vielen Dank.«

Der Wärter glaubte eine kurze Unsicherheit in der Stimme des anderen zu hören. Er hob den Arm und wollte ihm schon etwas nachrufen, aber der Mann hatte sich bereits mit langen, zielstrebigen Schritten in Bewegung gesetzt, ging so, wie Soldaten das tun, und war gleich darauf in den grauen Regenschwaden verschwunden.

Der Wärter starrte ihm nach. Ein kalter Schauder lief ihm über den Rücken und ließ ihn zusammenzucken. Er kehrte in das kleine Wachhäuschen zurück, schloss die Tür ab und verriegelte sie fest.

Dann holte er das Besucherbuch von seinem Schreibtisch, klappte es auf und trug bedächtig den Namen des Mannes und den Zeitpunkt seiner Ankunft ein. Einem plötzlichen Impuls folgend klappte er die hintere Hälfte des Buches auf, wo die Begrabenen in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet waren.

Russell ... Sophia Russell. Da ist sie: Reihe 17, Platz 12. Beerdigt... vor genau einem Jahr!

Drei Trauergäste hatten damals im Register unterschrieben, und einer davon war Jon Smith, M.D.

Warum haben Sie dann keine Blumen mitgebracht?

 

Smith war für den Regen dankbar, als er auf dem gewundenen Weg Ivy Hill durchquerte. Er war wie ein Grabtuch, spannte sich über Erinnerungen, die immer noch wehtaten, Erinnerungen, die ihn das ganze letzte Jahr nicht losgelassen, die ihm nachts zugeflüstert, seine Tränen verspottet und ihn gezwungen hatten, jenen schrecklichen Augenblick immer wieder aufs Neue zu durchleben.

Er sieht den kalten, weißen Raum in dem Krankenhaus des Militärischen Forschungsinstituts für Infektionskrankheiten in Frederick, Maryland, vor sich. Sophia liegt vor ihm, die Frau, die er liebt, die Frau, die er heiraten will. Er sieht, wie sie sich unter dem Sauerstoffzelt windet, keuchend um Atem kämpft. Nur wenige Schritte ist er von ihr entfernt, und ist doch machtlos, kann ihr nicht helfen. Er schreit auf das Krankenhauspersonal ein, aber seine Schreie hallen von den Wänden wider, als wollten sie ihn verspotten. Sie wissen nicht, was ihr fehlt. Sie sind ebenso machtlos wie er.

Plötzlich stößt sie einen Schrei aus – Smith hört ihn immer noch in seinen Albträumen und betet darum, ihn nie wieder hören zu müssen. Ihr Rücken, angespannt wie ein Bogen, bäumt sich in einem unmöglichen Winkel auf; Schweiß strömt ihr aus allen Poren, wie um ihren Körper von dem Toxin zu reinigen. Ihr Gesicht ist vom Fieber gerötet. Einen Augenblick lang ist sie wie erstarrt. Dann bricht sie zusammen. Blut strömt ihr aus Mund und Nase, und tief aus ihrem Inneren ertönt das Rasseln des Todes, gefolgt von einem sanften Seufzer, als ihre Seele endlich befreit aus dem gemarterten Körper entflieht ...

Smith fröstelte und sah sich schnell um. Ihm wurde gar nicht bewusst, dass er stehen geblieben war. Der Regen trommelte immer noch auf seinen Schirm, schien jetzt aber wie in Zeitlupe zu fallen. Er hatte das Gefühl, jeden einzelnen Tropfen hören zu können, der auf den Nylonstoff klatschte.

Er wusste nicht genau, wie lange er so dastand, einer verlassenen, vergessenen Statue gleich, oder was ihn schließlich dazu veranlasste, weiterzugehen. Er wusste nicht, wie er schließlich den Weg erreichte, der ihn zu ihrem Grab führte oder wie es dazu kam, dass er plötzlich davor stand.

 

 

SOPHIA RUSSELL JETZT IM SCHUTZ DES HERRN

 

Smith beugte sich vor und strich mit den Fingerkuppen über den glatten, weißrosa Granit des Grabsteins.

»Ich weiß, ich hätte öfter kommen sollen«, flüsterte er. »Aber ich hab es einfach nicht fertig gebracht. Ich dachte, wenn ich hierher komme, müsste ich mir eingestehen, dass ich dich für immer verloren habe. Und das konnte ich nicht ... bis heute nicht.

Den ›Hades Faktor‹, so haben sie es genannt, Sophia, dieses Entsetzliche, das dich mir weggenommen hat. Du hast nie die Gesichter der Männer gesehen, die damit zu tun hatten; wenigstens das hat Gott dir erspart. Aber du sollst wissen, dass sie für ihre Verbrechen bezahlen mussten.

Ich habe meine Rache ausgekostet, meine Liebste, und ich dachte immer, das würde mir Frieden bringen. Aber das tat es nicht. Seit Monaten habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, wie ich diesen Frieden endlich finden könnte, doch am Ende war die Antwort immer dieselbe.«

Smith holte ein kleines Etui aus der Jackentasche, ein Etui wie Juweliere es benutzen. Er klappte es auf und musterte den in Platin gefassten sechskarätigen Diamanten, den er bei Van Cleef & Arpel in London gekauft hatte. Es war der Ehering, bestimmt für den Finger der Frau, die er hatte heiraten wollen.

Smith kauerte sich nieder und drückte den Ring in die weiche Erde am Fuße des Grabsteins.

»Ich liebe dich, Sophia. Ich werde dich immer lieben. Du wirst immer das strahlende Licht meines Lebens sein. Aber für mich ist jetzt die Zeit gekommen, um weiterzuziehen. Ich weiß nicht, wohin mich mein Weg führt oder wie ich dorthin kommen werde. Aber ich muss gehen.«

Smith führte seine Fingerspitzen an die Lippen und berührte dann den kalten Stein.

»Möge Gott dich segnen und dich stets behüten.«

Er hob den Regenschirm auf, trat einen Schritt zurück und betrachtete den Grabstein, als müsse er sich das Bild für alle Zeiten tief in sein Gedächtnis einprägen. Dann hörte er die leisen Schritte hinter sich und drehte sich schnell um.

Die Frau mit dem schwarzen Regenschirm war Mitte dreißig, groß, mit leuchtend rotem Haar, das ihr schräg in die Stirn fiel. Ihre Nase und ihre Backenpartie waren von Sommersprossen gesprenkelt. Ihre Augen, so grün wie die Brandung an einem Riff, weiteten sich, als sie Smith ins Gesicht sah.

»Jon? Jon Smith?«

»Megan ...?«

Megan Olson trat schnell auf ihn zu, nahm seinen Arm und drückte ihn.

»Bist du das wirklich? Mein Gott, das sind ja ...«

»Es war eine lange Zeit.«

Megan sah an ihm vorbei auf Sophias Grab. »Es tut mir so Leid, Jon. Ich wusste nicht, dass jemand hier sein würde. Ich wollte nicht stören.«

»Ist schon gut. Ich habe das getan, was ich hier tun wollte.«

»Ich denke, wir sind beide aus demselben Grund hier«, sagte sie leise.

Sie zog ihn unter die schützenden Äste einer mächtigen Eiche und sah ihn an. Die Linien und Falten in seinem Gesicht waren tiefer als sie das in Erinnerung hatte, und eine ganze Menge neue waren dazugekommen. Sie konnte sich ausmalen wie das Jahr gewesen war, das Jon Smith hinter sich hatte.

»Das war ein schwerer Verlust für dich, Jon«, sagte sie. »Ich kann es dir nachfühlen und wünschte, ich hätte dir das früher sagen können.« Sie zögerte. »Ich wünschte, ich wäre hier gewesen, als du Beistand gebraucht hast.«

»Ich habe versucht, dich anzurufen, aber du warst nicht da«, erwiderte er. »Deine Arbeit ...«

Megan nickte bedrückt. »Ich war nicht da«, sagte sie vage.

Sophia Russell und Megan Olson waren beide in Santa Barbara aufgewachsen, waren dort gemeinsam zur Schule gegangen und dann später auf die UCLA. Nach dem College hatten sich ihre Wege getrennt. Sophia hatte ihren Doktor in Zell- und Molekularbiologie gemacht und war beim Militärischen Institut für Seuchenerkrankungen eingetreten, USAMRIID (US Army Medical Research Institute of Infectious Diseases) in der Kürzelsprache des Pentagon. Nach ihrem Diplomabschluss in Biochemie hatte Megan eine Stelle bei der Staatlichen Gesundheitsbehörde angenommen. Aber nach nur drei Jahren der Tätigkeit dort war sie von der ärztlichen Forschungsabteilung der Weltgesundheitsorganisation angestellt worden. Sophia hatte von ihr Postkarten aus der ganzen Welt erhalten und sie in einem Album gesammelt, um wenigstens auf diese Weise mit ihrer Freundin Verbindung zu halten, die der Beruf zur Globetrotterin gemacht hatte. Und jetzt war Megan ohne jede Vorankündigung plötzlich zurückgekehrt.

»NASA«, sagte Megan, um damit Smith’ unausgesprochene Frage zu beantworten. »Ich bin des Zigeunerlebens müde geworden und habe mich zur Schulung für das Space Shuttle gemeldet. Man hat mich angenommen. Jetzt stehe ich auf Platz eins der Warteliste für die nächste Weltraummission.«

Smith hatte Mühe, seine Überraschung zu verbergen. »Sophie hat immer gesagt, sie wüsste nie, womit du einen als Nächstes überraschst. Gratuliere.«

Megan lächelte schwach. »Danke. Wahrscheinlich weiß niemand von uns, was einem bevorsteht. Bist du immer noch bei der Army, bei USAMRIID?«

»Ich weiß im Augenblick nicht so recht, wo ich eigentlich hingehöre«, erwiderte Smith. »Ich bin sozusagen zwischen den Einsätzen.« Das war nicht die ganze Wahrheit, kam ihr aber nahe genug. Er wechselte das Thema. »Wirst du eine Weile in Washington bleiben? Vielleicht könnten wir uns mal treffen.«

Megan schüttelte den Kopf. »Das würde ich gerne tun, aber ich muss noch heute Abend zurück nach Houston. Trotzdem möchte ich den Kontakt mit dir nicht verlieren, Jon. Wohnst du immer noch in Thurmont?«

»Nein, ich habe das Anwesen verkauft. Da hingen zu viele Erinnerungen dran.«

Er kritzelte ihr seine Adresse in Bethesda auf die Rückseite einer Visitenkarte und schrieb seine Telefonnummer daneben.

»Sieh zu, dass wir einander nicht fremd werden«, meinte er, als er ihr die Karte reichte.

»Bestimmt nicht«, versprach Megan. »Pass gut auf dich auf, Jon.«

»Du auch. War nett, dich zu sehen, Megan. Viel Glück bei all deinen Vorhaben.«

Sie sah ihm nach, wie er unter dem schützenden Ast hervortrat und im strömenden Regen verschwand.

»Ich weiß im Augenblick nicht so recht, wo ich eigentlich hingehöre ...«

2

Das Pentagon beschäftigt mehr als 23000 Mitarbeiter – Zivilisten und Militärs – und hat diese in einem recht einmaligen Gebäude von beinahe 40000 Quadratmetern untergebracht. Auf der Suche nach Sicherheit, Anonymität und Zugang zu modernsten Kommunikationsanlagen und den Machtzentren Washingtons könnte man sich wohl kaum einen perfekteren Ort vorstellen.

Die Abteilung für Liegenschaften beansprucht für sich einen winzigen Teil der Büros im E-Block des Pentagons. Wie ihr Name besagt, ist diese Abteilung mit der Beschaffung, der Verwaltung und der Sicherheit militärischer Gebäude und Liegenschaften befasst und damit zuständig für den Immobilienbestand auf der ganzen Welt, angefangen bei Lagerhäusern in St. Louis bis hin zu den ausgedehnten Erprobungsarealen der Luftwaffe in der Wüste von Nevada. In Anbetracht der alles andere als ruhmreichen Arbeit, die in dieser Abteilung geleistet wird, neigen die dort tätigen Männer und Frauen eher zur zivilen als zur militärischen Wesensart. Sie treffen um neun Uhr morgens an ihren Schreibtischen ein, leisten ihre Arbeit und verlassen die Büros um siebzehn Uhr wieder. Weltereignisse, die ihre Kollegen in anderen Bereichen manchmal Tag und Nacht an ihren Schreibtischen festhalten, haben keinen Einfluss auf sie. Den meisten von ihnen gefällt das durchaus.

Auch Nathaniel Fredrick Klein gefiel es – freilich aus völlig anderen Gründen. Kleins Büro befand sich am Ende eines Korridors und war dort zwischen zwei Türen eingezwängt, von denen die eine die Aufschrift STROMVERSORGUNG und die andere HAUSVERWALTUNG trug. Nur dass sich hinter diesen Türen keine derartigen Räume befanden und die Türschlösser sich nicht einmal mit den kompliziertesten Schlüsselkarten öffnen ließen. Die dahinter liegenden Räume waren Teil von Kleins geheimen Büros.

Die Tür Kleins selbst trug kein Namensschild, nur eine interne Pentagonbezeichnung: 2E377. Die wenigen Kollegen, die ihn je zu Gesicht bekommen hatten, beschrieben ihn als einen mittelgroßen Mann Anfang der sechzig, an dem mit Ausnahme seiner ziemlich langen Nase und seiner Stahlbrille wenig Auffälliges war. Möglicherweise erinnerten sie sich auch an seine konservativ geschnittenen und immer irgendwie zerknittert aussehenden Anzüge, und vielleicht auch an sein beiläufiges Lächeln, wenn man ihm im Flur begegnete. Möglicherweise hatten sie auch gehört, dass Klein gelegentlich zu den Vereinigten Stabchefs oder vor einen Kongressausschuss bestellt wurde. Aber das stand durchaus in Einklang mit seinem Dienstrang. Vielleicht wussten sie auch, dass er für die Sicherheitsvorkehrungen sämtlicher dem Pentagon unterstellten Anlagen in der ganzen Welt verantwortlich war. Was wiederum die Tatsache erklärte, dass man ihn nur höchst selten zu Gesicht bekam. Tatsächlich war es manchmal recht schwierig mit Sicherheit zu sagen, wer oder was Nathaniel Klein eigentlich war.

Um acht Uhr abends saß Klein immer noch hinter seinem Schreibtisch in dem bescheidenen Büro, das sich durch nichts von all den anderen in diesem Gebäudeflügel unterschied. Er hatte nur ganz wenige persönliche Gegenstände darin untergebracht: ein paar eingerahmte Drucke, die die Welt so zeigten, wie die Kartographen des 16. Jahrhunderts sie sich vorgestellt hatten; einen altmodischen Globus auf einem Piedestal und eine große, vom Space Shuttle aus aufgenommene gerahmte Fotografie der Erde.

Obwohl das nur wenigen Menschen bewusst war, stand Kleins Neigung für die globale Sicht durchaus im Einklang mit seinem eigentlichen Auftrag: Er war Auge und Ohr des Präsidenten. Von seinem unauffälligen Büro aus führte Klein eine Organisation, die die Bezeichnung Covert-One trug. Der Präsident hatte Covert-One nach der schrecklichen Hades Seuche als eine Art Frühwarnsystem mit geheimen Reaktionsmöglichkeiten ins Leben gerufen.

Da Covert-One außerhalb der üblichen Militär- und Geheimdienstbürokratie operierte und damit auch nicht der Überwachung durch den Kongress unterstand, besaß es keine formelle Organisation und auch keine Zentrale. Anstelle akkreditierter Agenten rekrutierte Klein Männer und Frauen, die er als »große Unbekannte« bezeichnete – alle waren sie in ihren jeweiligen Tätigkeitsbereichen angesehene Experten, die aber irgendwie, sei es nun durch die Umstände bedingt oder weil sie das so wollten, außerhalb der normalen Gesellschaft standen. Die meisten von ihnen  – aber ganz bestimmt nicht alle – hatten eine militärische Karriere hinter sich, waren hoch dekoriert, hatten sich aber mit den etablierten Kommandostrukturen nicht zurechtfinden können und hatten deshalb den Dienst quittiert. Andere kamen aus dem zivilen Leben: ehemalige Ermittler – auf nationaler ebenso wie auf bundesstaatlicher Ebene; Menschen, die sich in einem Dutzend Sprachen fließend verständigen konnten; Ärzte, die die ganze Welt bereist hatten und damit auch den unwirtlichsten Klimabedingungen gewachsen waren. Und die Besten von ihnen, wie Colonel Jon Smith, waren in vielen Welten zu Hause.

Allen war ein Faktor gemeinsam, dessen Fehlen die meisten Kandidaten disqualifizierte, die Klein sich ansah: Ihr Leben gehörte ausschließlich ihnen allein. Sie hatten kaum oder gar keine Familie, wenige Bindungen und erfreuten sich einer professionellen Reputation, die selbst der schärfsten Untersuchung standhalten konnte. Für jemanden, der sich Tausende Meilen von Zuhause entfernt im Dienste seines Landes größten Gefahren aussetzen musste, waren dies Eigenschaften von unschätzbarem Wert.

Klein klappte den Aktendeckel mit dem Bericht zu, den er gelesen hatte, nahm die Brille ab und rieb sich die müden Augen. Er freute sich darauf, jetzt nach Hause zu fahren, dort von seinem Cocker Spaniel Buck begrüßt zu werden und vor dem Abendessen, das seine Haushälterin ihm im Ofen bereitgestellt hatte, einen Fingerbreit Single Malt Scotch zu genießen. Er war gerade im Begriff aufzustehen, als die Verbindungstür zum Nebenzimmer geöffnet wurde.

»Nathaniel?«

Eine schlanke Frau, Anfang der Fünfzig mit leuchtend blauen Augen und mit in einem lockeren Twist hochgestecktem, leicht angegrautem blondem Haar stand unter der Tür. Sie trug ein konservativ geschnittenes blaues Kostüm, dessen schlichte Eleganz eine schmale Perlenkette und ein goldenes Filigranarmband betonten.

»Ich dachte, du wärst schon nach Hause gegangen, Maggie.«

Maggie Templeton, die Klein in seinen zehn Jahren bei der National Security Agency als Assistentin zugearbeitet hatte, hob die fein gezeichneten Brauen.

»Wann bin ich eigentlich das letzte Mal vor dir weggegangen? Und das ist, denke ich, heute auch ganz gut so. Denn du solltest dir das einmal ansehen.«

Klein folgte Maggie in den nebenan gelegenen Raum, der fast völlig von Computern und sonstigem elektronischem Gerät beherrscht wurde. Drei Bildschirme waren nebeneinander aufgereiht, dazu kam eine Unzahl von Servern und externen Speichern, alle mit der modernsten Software ausgestattet, die der Regierung zur Verfügung stand. Klein blieb stehen und bewunderte wieder einmal die Fingerfertigkeit und Eleganz, mit der Maggie ihre Tastatur bearbeitete.

Mit Ausnahme des Präsidenten war Maggie Templeton der einzige Mensch, der Funktion und Arbeitsweise von Covert-One wirklich in allen Details durchblickte. Klein hatte von Anfang an gewusst, dass er als rechte Hand jemanden brauchen würde, dem er hundertprozentig vertrauen konnte, und hatte daher darauf bestanden, dass Maggie in alle Details eingeweiht wurde. Abgesehen von der Tatsache, dass sie schon bei der NSA für ihn tätig gewesen war, verfügte sie über mehr als zwanzig Jahre Erfahrung in der gehobenen Hierarchie der CIA. Am Allerwichtigsten war für Klein freilich, dass sie ein Mitglied seiner Familie war. Maggies Schwester Judith war Kleins Frau gewesen, bis sie vor Jahren eine heimtückische Krebserkrankung dahingerafft hatte.

Auch Maggie hatte Tragisches erlebt: Ihr Mann, ein CIA-Geheimagent, war von einem Auslandseinsatz nicht zurückgekehrt. Das Schicksal hatte es so gewollt, dass Maggie und Klein die einzig Übriggebliebenen ihrer jeweiligen Familien waren.

Maggie hatte inzwischen aufgehört die Tasten zu bearbeiten und tippte jetzt mit einem elegant manikürten Fingernagel an den Bildschirm.

VECTOR SIX.

Die zwei Worte pulsierten in der Mitte des Bildschirms wie eine blinkende Verkehrsampel über der leeren Kreuzung einer Kleinstadt. Klein spürte, wie sich die feinen Härchen auf seinem Unterarm aufrichteten. Er wusste genau, wer Vector Six war; er sah sein Gesicht so deutlich vor sich, als ob der Mann neben ihm stünde. Vector Six: Eine Codebezeichnung, die für Klein, wenn sie je auftauchte, ein Paniksignal bedeutete.

»Soll ich die Mitteilung aufrufen?«, fragte Maggie leise.

»Ja, bitte ...«

Sie schlug ein paar Tasten an, und die verschlüsselte Nachricht erschien als ein Gemenge von Buchstaben, Symbolen und Ziffern auf dem Bildschirm. Dann tippte sie auf ein paar weitere Tasten, um die Entschlüsselungs-Software aufzurufen. Sekunden später erschien die Nachricht in Klartext:

Diner – Prix fixe – 8 EURO Spécialités: Fruits de mer Spécialités du bar: Bellini Fermé entre 2-4 heures

Selbst wenn ein Dritter es irgendwie geschafft hätte, die Nachricht zu decodieren, wäre dieses Menü eines namenlosen französischen Restaurants ebenso unschuldig wie irreführend gewesen. Klein hatte den einfachen Code festgelegt, als er Vector Six das letzte Mal persönlich begegnet war. Der Inhalt der Nachricht hatte natürlich nicht das Geringste mit französischer Cuisine zu tun. Vielmehr handelte es sich um einen Notschrei, eine flehentliche Bitte, ihn sofort herauszuholen.

Klein zögerte keine Sekunde. »Bitte antworte folgendermaßen: ›Réservations pour deux.‹«

Maggies Finger flogen über die Tasten, tippten die Antwort. Der kurze Text wurde von zwei Militärsatelliten reflektiert, bevor er zurück zur Erde geschickt wurde. Klein wusste nicht, wo Vector Six sich in diesem Augenblick aufhielt, aber so lange er Zugang zu dem Laptop fand, den Klein ihm gegeben hatte, konnte er die Antwort herunterladen und entschlüsseln.

»Sofort melden!«

Klein warf einen Blick auf den Zeitstempel der Nachricht: Sie war vor acht Stunden abgesetzt worden. Wie war das möglich?

Zeitdifferenz! Vector Six war acht Zeitzonen östlich von ihm eingesetzt. Klein sah auf seine Uhr: In Realzeit war die Nachricht weniger als zwei Minuten alt.

Eine Antwort huschte über den Bildschirm: »Réservations confirmées.«

Klein atmete tief durch, als der Bildschirm schwarz wurde. Vector Six würde nicht länger online bleiben als unbedingt notwendig war. Der Kontakt war hergestellt, ein Treffpunkt vorgeschlagen, akzeptiert und bestätigt worden. Vector Six würde diesen Kommunikationskanal nicht ein zweites Mal benutzen.

Als Maggie offline ging, ließ Klein sich auf den einzigen anderen Sessel im Raum sinken und fragte sich, was für außergewöhnliche Umstände Vector Six wohl dazu veranlasst haben mochten, ihn zu kontaktieren.

Im Gegensatz zur CIA und anderen Geheimdienststellen verfügte Covert-One über keine Kette von Auslandsagenten. Trotzdem hatte Klein eine Anzahl ausländischer Kontakte geknüpft. Einige davon hatte er sich während seiner Zeit bei der NSA aufgebaut, andere gingen auf zufällige Begegnungen zurück, die sich zu einer auf Vertrauen und wechselseitigem Eigennutz basierenden Beziehung entwickelt hatten.

Es war eine recht vielschichtige Gruppe: Ein Arzt in Ägypten, der den größten Teil der herrschenden Elite seines Landes zu seinen Patienten zählte; ein Computerunternehmer in New Delhi, der für seine Regierung tätig war; ein Banker in Malaysia, der sich wie kaum ein anderer darauf verstand, Devisenbeträge überall auf der Welt zu bewegen, zu verbergen oder aufzuspüren. Untereinander kannten sich diese Leute nicht. Sie hatten mit Ausnahme ihrer Freundschaft mit Klein und dem Computer Notebook, das er jedem von ihnen gegeben hatte, nichts gemeinsam. Für sie war Klein ein Bürokrat mittleren Ranges, von dem sie wussten, dass er insgeheim eine wesentlich wichtigere Funktion ausübte. Sie hatten sich nicht nur aus Freundschaft und weil sie an das glaubten, was er repräsentierte, bereit erklärt, ihm als Augen und Ohren zu dienen, sondern auch weil sie darauf vertrauten, dass er ihnen helfen würde, sollte ihnen aus irgendeinem Grund der Boden in ihrer jeweiligen Heimat unter den Füßen zu heiß werden.

Vector Six war einer aus dieser Hand voll Freunde.

»Nate?«

Klein blickte zu Maggie auf.

»Wer bekommt den Auftrag?«, fragte sie.

Gute Frage ...

Auf Auslandsreisen bediente Klein sich immer seiner Pentagonpapiere. Falls er sich mit einer Kontaktperson traf, sorgte er dafür, dass dies in der Öffentlichkeit und an einem sicheren Ort geschah. Offizielle Veranstaltungen in einem Botschaftsgebäude der Vereinigten Staaten eigneten sich dafür am besten. Aber Vector Six war weit von jeder Botschaft entfernt. Er befand sich auf der Flucht.

»Smith«, sagte Klein schließlich. »Hol ihn mir bitte ans Telefon, Maggie.«

 

Smith träumte von Sophia, als das hartnäckige Klingeln des Telefons ihn störte. Er sah sie beide an einem Flussufer sitzen, im Schatten riesiger dreieckiger Bauwerke. In der Ferne dehnte sich die Silhouette einer Großstadt. Die Luft war heiß, erfüllt von dem Duft von Rosen und von Sophia. Kairo ... sie befanden sich in der Nähe der Pyramiden von Gizeh außerhalb von Kairo.

Die spezielle Leitung ...

Smith war, nachdem er vom Friedhof nach Hause zurückgekommen war, in den Kleidern auf der Couch eingeschlafen; jetzt fuhr er in die Höhe. Der Regen prasselte gegen die Fenster, der Wind heulte und trieb dichte Wolken über den Himmel. In seiner Zeit als Soldat hatte Smith sich die Fähigkeit angeeignet, sofort hellwach zu sein, wenn er geweckt wurde. Bei USAMRIID, wo man sich den Schlaf gewöhnlich zwischen Stunden endloser strapaziöser Arbeit stehlen musste, war ihm diese Fähigkeit zustatten gekommen. Und das tat sie jetzt auch.

Smith warf einen Blick auf die Zeitangabe in der rechten unteren Ecke des Bildschirms: fast neun Uhr. Er hatte zwei Stunden geschlafen. Emotional ausgepumpt und Sophias Bild vor Augen war er nach Hause gefahren, hatte sich dort etwas Suppe angewärmt und sich dann auf die Couch fallen lassen und dem Prasseln des Regens zugehört. Er hatte nicht vorgehabt einzuschlafen, war aber jetzt dankbar, dass es dazu gekommen war. Es gab nur einen Mann, der berechtigt war, ihn auf dieser ganz speziellen Leitung anzurufen. Und die Nachricht, die er jetzt gleich zu hören bekommen würde, konnte den Anfang eines endlosen Tages bedeuten.

»Guten Abend, Mr. Klein.«

»Auch Ihnen einen guten Abend, Jon. Ich hoffe, ich störe nicht beim Abendessen.«

»Nein, Sir, ich habe schon früher gegessen.«

»Wie schnell können Sie zum Luftwaffenstützpunkt Andrews kommen?«

Smith atmete tief durch. Gewöhnlich gab Klein sich geschäftsmäßig höflich. Kurz angebunden hatte Smith ihn bisher noch selten erlebt.

Und das bedeutet, dass es Ärger gibt – ziemlich großen Ärger. »Etwa eine Dreiviertelstunde, Sir.«

»Gut. Und, Jon ... packen Sie für ein paar Tage.«

Smith starrte das inzwischen wieder verstummte Telefon an, das er in der Hand hielt. »Ja, Sir.«

Was jetzt ablief, war Smith so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ihm kaum bewusst wurde, was da eigentlich geschah. Drei Minuten um zu duschen und sich zu rasieren; zwei Minuten zum Anziehen, zwei weitere, um den Inhalt der in einem begehbaren Schrank bereitstehenden Tasche noch einmal zu überprüfen und ein paar Dinge dazuzulegen. Beim Hinausgehen schaltete er die Alarmanlage für das Haus ein; als er den Wagen in der Einfahrt stehen hatte, aktivierte er den Alarm für die Garage mit der Fernbedienung.

Infolge des Regens dauerte die Fahrt zum Andrews Luftwaffenstützpunkt etwas länger als gewöhnlich. Smith vermied es den Haupteingang zu benutzen und fuhr am Lieferanteneingang vor. Ein in einen Poncho gehüllter Wachposten musterte seinen in Plastikfolie eingeschweißten Ausweis, suchte dann seinen Namen auf der Liste der zugangsberechtigten Personen und winkte ihn durch.

Smith war schon oft genug von Andrews abgeflogen, um sich auszukennen. Er hatte keine Mühe, den Hangar der Jets zu finden, mit denen die meiste Zeit hohe Offiziere unterwegs waren. Er stellte den Wagen auf einem abgesperrten Parkplatz abseits der Piste ab, holte seine Reisetasche aus dem Kofferraum und platschte zu dem riesigen Hangar hinüber.

»Guten Abend, Jon«, sagte Klein. »Beschissenes Wetter. Wahrscheinlich wird es noch schlimmer.«

Smith stellte seine Tasche ab. »Ja, Sir. Aber bloß für die Navy.«

Diesmal nötigte er Klein mit dem abgedroschenen Witz kein Lächeln ab.

»Tut mir Leid, Sie in einer solchen Nacht aufzuscheuchen. Es hat sich etwas ergeben. Kommen Sie mit.«

Smith sah sich um, ehe er Klein zu dem Tisch mit der Kaffeemaschine folgte. In dem Hangar standen vier Gulfstream Jets, aber es war keinerlei Wartungspersonal zu sehen. Smith nahm an, dass Klein sie weggeschickt hatte, um ungestört zu sein.

»Die tanken einen Vogel mit Langstreckentanks auf«, sagte Klein und sah auf die Uhr. »Sollte in zehn Minuten fertig sein.«

Er reichte Smith einen Styroporbecher mit dampfendem schwarzem Kaffee und musterte ihn dann nachdenklich.

»Jon, es handelt sich um eine Extraktion. Deshalb die Eile.«

Und deshalb braucht man einen großen Unbekannten.

Dank seiner Militärvergangenheit war Smith mit dem Begriff »Extraktion«, so wie Klein ihn benutzt hatte, vertraut. Man verstand darunter, jemanden oder etwas so schnell und so lautlos wie möglich von einem bestimmten Ort oder aus einer bestimmten Situation zu entfernen – gewöhnlich unter widrigen Umständen und in höchster Eile.

Aber Smith wusste auch, dass es für solche Aufträge gewöhnlich Spezialisten gab – militärische wie zivile.

Als er sich in diesem Sinne äußerte, erwiderte Klein: »Im vorliegenden Fall haben wir es mit besonderen Umständen zu tun. Ich möchte keine anderen Stellen einschalten – zumindest jetzt noch nicht. Außerdem kenne ich den Betreffenden – und Sie kennen ihn auch.«

Smith zuckte zusammen. »Wie bitte, Sir?«

»Der Mann, mit dem Sie sich treffen und den Sie herausholen sollen, ist Juri Danko.«

»Danko ...«

Vor seinem inneren Auge sah Smith einen Mann wie einen Bären, ein paar Jahre älter als er, mit einem sanften Mondgesicht, das ein paar Aknenarben aus seiner Kinderzeit verunzierten. Juri Danko, der Sohn eines Kohlebergmanns aus Dobnez, mit einem von Geburt an verkrüppelten Bein, hatte es in der Abteilung für medizinische Ermittlungen der russischen Armee zum Oberst gebracht.

Smith konnte seine Überraschung nicht verhehlen. Er wusste, dass Klein, bevor er die Sicherheitsvereinbarung unterzeichnet hatte, mit der Smith Mitglied von Covert-One geworden war, sein ganzes Leben unter das Mikroskop genommen hatte. Klein war also klar, dass Smith Danko kannte, er hatte aber in keiner ihrer Besprechungen auch nur angedeutet, dass er selbst eine Beziehung zu dem Russen unterhielt.

»Gehört Danko zu ...?«

»Covert-One? Nein, und Sie werden ihm gegenüber auch nicht erwähnen, dass Sie dazu gehören. Aus Dankos Sicht schicke ich einfach jemanden, den er kennt, um ihn herauszuholen. Das ist alles.«

Daran hatte Smith starke Zweifel. So schlicht und einfach war bei Klein nie etwas. Aber eines stand für ihn fest: Klein würde nie einen Agenten in Gefahr bringen, nur weil er ihm nicht alles gesagt hätte, was er wissen musste.

»Als Danko und ich uns das letzte Mal begegnet sind«, meinte Klein, »haben wir einen einfachen Code verabredet, der nur im Falle größter Not angewendet werden sollte. Der Code war eine Speisekarte. Der Preis – acht Euros – weist auf das Datum hin, 8. April, zwei Tage von heute an gerechnet. Einer nach europäischer Zeit.

Die Spezialität sind Meeresfrüchte, und das deutet an, dass Danko auf dem Seeweg kommen wird. Bei dem Bellini handelt es sich um einen Cocktail, der das erste Mal in Harry’s Bar in Venedig gemixt wurde. Dass das Restaurant zwischen zwei und vier Uhr nachmittags geschlossen ist, weist auf den Zeitpunkt hin, an dem der Kontakt am Treffpunkt stattfinden soll.« Klein hielt kurz inne. »Ein einfacher, aber sehr wirksamer Code. Selbst wenn der Schlüssel geknackt und die Nachricht abgefangen worden ist, wäre es immer noch unmöglich, mit dem Menü etwas anzufangen.«

»Da Danko erst in frühestens vierundzwanzig Stunden eintreffen wird, weshalb dann das Alarmsignal?«, fragte Smith.

»Danko hielt es für richtig, es sofort auszulösen«, erwiderte Klein sichtlich besorgt. »Er könnte vorzeitig nach Venedig kommen; er könnte sich verspäten. In letzterem Fall möchte ich nicht, dass er in der Luft hängt.«

Smith nickte und nahm dann einen Schluck von seinem Kaffee. »Verstanden. Jetzt zur Vierundsechzigtausend-Dollar-Frage: Weshalb zieht Danko Leine?«

»Das wird nur er uns sagen können. Und glauben Sie mir, ich will diese Gründe kennen. Danko befindet sich in einer einmaligen Position. Die hätte er nie gefährdet ...«

Smith hob eine Augenbraue. »Es sei denn?«

»Es sei denn, er ist im Begriff aufzufliegen.« Klein stellte seinen Kaffeebecher ab. »Ich kann das nicht mit Sicherheit sagen, Jon, aber ich glaube, Danko hat Informationen. Und wenn das der Fall ist, dann ist er der Ansicht, dass ich diese Informationen erhalten muss.«

Klein blickte über Smith’ Schulter auf einen Sergeant der Air-Police, der gerade den Hangar betreten hatte.

»Die Maschine ist startbereit, Sir«, meldete der Sergeant zackig.

Klein tippte Smith an den Ellbogen, und die beiden gingen zu den Hangartoren.

»Fliegen Sie nach Venedig«, sagte er leise. »Holen Sie Danko ab und finden Sie heraus, über welche Informationen er verfügt. Und zwar schnell.«

3

Im katholischen Teil Europas ist Ostern eine Zeit familiärer Begegnungen und Pilgerfahrten. Firmen und Schulen schließen ihre Tore, Züge und Hotels sind überbucht, und in Städten und Dörfern bereiten die Menschen sich auf eine Flut von Besuchern vor. In Italien ist Venedig eines der beliebtesten Ziele für jene, die das Nützliche mit dem Angenehmen und die Religion mit der Kultur verbinden wollen. Die Serenissima mit ihrer Vielzahl von Kirchen und Kathedralen erfüllt die Bedürfnisse auch noch so beflissener Pilger. Zugleich ist die Lagunenstadt jedoch auch seit tausend Jahren Tummelplatz der Reichen und Schönen. Ihre schmalen Straßen und die mit Kopfstein gepflasterten Gassen bieten ein ganzes Spektrum irdischer Vergnügungen.

Um Punkt 13 Uhr 45 bahnte sich Smith, so wie er das auch an den beiden vorangegangenen Tagen getan hatte, seinen Weg durch die dicht nebeneinander aufgereihten Tische vor dem Café Florian an der Piazza San Marco. Er nahm jedes Mal denselben Tisch dicht an einer kleinen Plattform, auf der ein Flügel stand. In ein paar Minuten würde der Pianist eintreffen, und pünktlich um halb drei würden sich die Tonfolgen Mozarts oder Bachs in den Hall der Stimmen und Schritte der Hunderte von Touristen mischen, die sich auf dem Platz drängten.

Der Kellner, der Smith an den beiden letzten Tagen bedient hatte, eilte an den Tisch seines Kunden. Der Amerikaner – der Akzent, mit dem er Italienisch sprach, wies ihn eindeutig als solchen aus – war ein guter Kunde; will sagen einer, der schlechten Service nicht als solchen erkannte und dennoch reichlich Trinkgeld gab. Dem gut geschnittenen anthrazitfarbenen Anzug und den sichtlich handgefertigten Schuhen nach zu schließen hielt der Kellner Smith für einen wohlhabenden Geschäftsmann, der irgendwelche Transaktionen abgeschlossen hatte und jetzt noch auf Firmenspesen ein paar Tage das Touristendasein genoss.

Smith lächelte dem Kellner zu, bestellte seinen üblichen Caffe Latte und dazu ein Prosciutto Sandwich und schlug dann den Wirtschaftsteil der International Harold Tribune auf.

Sein Imbiss traf genau in dem Augenblick ein, in dem der Pianist die ersten Akkorde eines Bach-Konzerts anschlug. Smith warf zwei Würfel Zucker in seinen Kaffee und ließ sich mit dem Rühren Zeit. Dann musterte er im Schutz der aufgeschlagenen Zeitung den Platz zwischen seinem Tisch und dem Dogenpalast.

Der stets überfüllte Markusplatz eignete sich geradezu ideal dazu, sich mit jemandem zu treffen, der sich auf der Flucht befand. Aber der Flüchtling hatte sich bereits einen Tag verspätet, und Smith fragte sich, ob Juri Danko es überhaupt geschafft hatte, Russland zu verlassen.

Smith war für USAMRIID tätig gewesen, als er die Bekanntschaft Dankos gemacht hatte, der im medizinischen Geheimdienst der russischen Armee so etwas wie sein Pendant gewesen war. Der Treffpunkt war das luxuriöse Victoria-Jungfrau Grand Hotel in der Nähe von Bern gewesen. Vertreter der beiden Länder waren sich dort in gelockerter Atmosphäre begegnet, um sich gegenseitig zusätzlich zu den formellen internationalen Inspektionen über die Fortschritte im stufenweisen Abbau ihrer jeweiligen biologischen Waffensysteme zu informieren.

Smith war nie damit befasst gewesen, Agenten zu rekrutieren, war aber wie alle anderen Angehörigen des US-Teams von Mitarbeitern der CIA gründlich darüber informiert worden, wie die andere Seite möglicherweise an ihn herantreten könnte. An den beiden ersten Konferenztagen war Danko sein Gesprächspartner gewesen, und obwohl Smith stets vorsichtig blieb, war ihm der große, vierschrötige Russe doch unwillkürlich sympathisch geworden. Danko machte aus seiner patriotischen Gesinnung kein Hehl, ließ aber Smith zugleich wissen, dass ihm seine Arbeit deshalb so wichtig war, weil er nicht ständig Angst haben wollte, dass seine Kinder mit der Gefahr heranwuchsen, dass irgendein Verrückter eine Bio-Waffe auf die Menschheit losließ, sei es nun um sie zu terrorisieren oder um Rache zu nehmen.

Smith war sehr wohl bewusst, dass für ein solches Szenario nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar durchaus eine beängstigende Wahrscheinlichkeit bestand. Russland wurde augenblicklich von Krisen und Unsicherheit geplagt, verfügte aber nach wie vor über ein gewaltiges Lager an Bio-Waffen, die in vor sich hinrostenden Behältern halbherzig von Forschern, Wissenschaftlern und Militärs überwacht wurden, deren Einkommen in den meisten Fällen kaum dazu ausreichte, ihre Familien zu ernähren. Unter solchen Umständen konnte die Versuchung, irgendwelche Nebengeschäfte zu machen, geradezu überwältigende Ausmaße annehmen.

Smith und Danko fingen an, sich außerhalb der regulären Konferenzstunden zu treffen. Als sich dann die beiden Delegationen schließlich anschickten, in ihre Heimatländer zurückzukehren, war zwischen den beiden Männern eine auf wechselseitigem Respekt und Vertrauen basierende Freundschaft entstanden.

Im Laufe der darauf folgenden zwei Jahre kamen sie mehrmals zusammen – in Sankt Petersburg, Atlanta, Paris und Hongkong –, immer im Rahmen irgendeiner Konferenz. Dabei fiel Smith auf, dass Danko von Mal zu Mal unruhiger wirkte. Obwohl er den Alkohol mied, beklagte er sich manchmal überschäumend bitter und wortreich über die Unredlichkeit seiner militärischen Vorgesetzten. Russland, so ließ er durchblicken, verletzte die Vereinbarungen, die es mit den Vereinigten Staaten und der ganzen Welt geschlossen hatte. Es erweckte äußerlich den Anschein, seine Bio-Waffenprogramme abzubauen, hatte aber in Wirklichkeit seine Forschungsarbeiten sogar verstärkt. Und was das Schlimmste war, russische Wissenschaftler und Techniker verschwanden und tauchten in China, Indien und dem Irak wieder auf, wo ihr Wissen in hohem Maße gefragt war und wo für ihre Arbeit schier unbegrenzte Mittel zur Verfügung standen.

Smith war ein guter Menschenkenner, und so kam es, dass er am Ende einer der gequälten Geständnisse Dankos gesagt hatte: »Ich werde mit dir zusammenarbeiten, Juri. Falls es das ist, was du möchtest.«

Dankos Reaktion darauf erinnerte an die eines reuigen Sünders, den man endlich von der Last seiner Sünde befreit hat. Er erklärte sich bereit, Smith Informationen zu liefern, von denen er glaubte, dass die Vereinigten Staaten sie bekommen sollten. Dabei äußerte er nur zwei Vorbehalte: Erstens würde er nur mit Smith verhandeln, mit niemandem sonst von den amerikanischen Nachrichtendiensten. Und zum Zweiten wollte er Smith’ Ehrenwort, dass dieser sich um seine Familie kümmern würde, falls ihm etwas zustoßen sollte.

»Dir wird nichts zustoßen, Juri«, hatte Smith ihm versichert. »Du wirst eines Tages in deinem eigenen Bett sterben, umgeben von deinen Enkelkindern.«

Während er jetzt auf die Menschenmenge blickte, die aus dem Dogenpalast drängte, grübelte Smith über diese Worte nach. Sie waren damals aus aufrichtiger Überzeugung über seine Lippen gekommen, schmeckten aber jetzt, wo Danko sich bereits um vierundzwanzig Stunden verspätet hatte, in seinem Mund wie Asche.

Aber Klein hast du kein einziges Mal erwähnt, dachte Smith. Auch nicht, dass du bereits einen Kontakt in den Vereinigten Staaten hattest. Warum, Juri? Ist Klein dein versteckter Trumpf?

Aus den Gondeln und Motorbooten in der Lagune strömten immer neue Menschenmassen und drängten sich auf dem Platz vor der eindrucksvollen Basilika. Smith beobachtete sie – die jungen, Händchen haltenden Paare, die Väter und Mütter, die ihre Kinder nicht aus den Augen ließen, die Touristengruppen, die sich um ihre Reiseführer scharten, die in einem Dutzend verschiedener Sprachen die Sehenswürdigkeiten erklärten. Er hielt seine Zeitung in Augenhöhe, aber sein Blick schweifte unablässig über den Rand des Blattes, musterte Gesichter und versuchte jenes eine zu entdecken, das er kannte.

Wo bist du? Was hast du gefunden, das so schrecklich ist, dass du dein Leben riskieren musst, um es aus Russland herauszubringen?

Die Fragen nagten an Smith. Da Danko alle Kontakte abgebrochen hatte, gab es keine Antwort darauf. Wie Klein es geschildert hatte, würde der Russe durch das vom Krieg zerrissene Jugoslawien reisen, sich im Schutz des Chaos und des Elends halten, das in jener Region herrschte, bis er schließlich die Küste erreichte. Und dort würde er ein Schiff finden, das ihn über die Adria nach Venedig brachte.

Komm hierher, dann wirst du sicher sein.

Die Gulfstream stand auf dem Marco Polo Flughafen von Venedig bereit; an dem Steg neben dem Palazzo delle Prigioni am Rio di Palazzo war ein schnelles Motorboot vertäut. Sobald Smith Danko entdeckte, würde es keine drei Minuten dauern, bis er ihn auf dem Boot hatte. Und eine Stunde später würden sie sich bereits in der Luft befinden.

Wo bist du?

Smith griff gerade nach seiner Tasse, als er aus dem Augenwinkel etwas bemerkte: einen kräftig gebauten Mann, der sich am Rand einer Touristengruppe hielt. Vielleicht gehörte er zu ihr, vielleicht auch nicht. Er trug einen Nylonanorak und eine Golfmütze; ein dichter Bart und eine große Sonnenbrille verbargen sein Gesicht. Aber da war etwas an ihm ...

Smith fuhr fort den Mann zu beobachten, und dann sah er es – der Mann zog das linke Bein etwas nach. Juri Danko war mit einem linken Bein zur Welt gekommen, das zwei Zentimeter kürzer als das rechte war. Selbst maßgefertigte orthopädische Schuhe konnten nicht ganz verhindern, dass er hinkte.

Smith rutschte auf seinem Stuhl etwas zur Seite und senkte die Zeitung ein Stück, um Dankos Näherkommen verfolgen zu können. Der Russe nutzte die Touristengruppe sehr geschickt, hielt sich immer an ihrem Rand auf, nahe genug, um den Eindruck zu erwecken, er würde dazugehören, und doch nicht so nahe, um dem Reiseführer aufzufallen.

Langsam wandte die Gruppe sich von der Basilika ab und bewegte sich in Richtung auf die andere Seite des Markusplatzes. Ehe eine Minute verstrichen war, hatte sie die äußerste Tischreihe des Café Florian erreicht. Ein paar Touristen lösten sich aus der Gruppe und strebten auf eine kleine Snackbar dicht neben dem Café zu. Smith regte sich nicht von der Stelle, als die Touristen laut miteinander plaudernd an seinem Tisch vorbeikamen. Erst als Danko dicht vor dem Tisch stand, blickte er auf.

»Der Stuhl ist frei.«

Smith beobachtete, wie Danko sich umdrehte, als er eindeutig Smith’ Stimme erkannte.

»Jon?«

»Ja, ich bin’s, Juri. Komm, setz dich.«

Der Russe ließ sich auf den Stuhl sinken. Man konnte ihm die Verblüffung ansehen.

»Aber, Mr. Klein ... er hat dich geschickt? Arbeitest du ...?«

»Nicht hier, Juri. Ich bin gekommen, um dich rüberzuholen.«

Danko schüttelte den Kopf, winkte einem vorbeieilenden Kellner zu und bestellte Kaffee. Er holte ein Päckchen Zigaretten heraus, entnahm ihm eine und zündete sie an. Smith stellte fest, dass nicht einmal der Bart verbergen konnte, wie hohlwangig Danko geworden war. Seine Finger zitterten, als er die Zigarette anzündete.

»Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du das bist ...«

»Juri ...«

»Ist schon gut, Jon. Man ist mir nicht gefolgt. Ich bin sauber.« Danko lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte zu dem Pianisten hinüber. »Wunderbar, nicht wahr? Die Musik, meine ich.«

Smith beugte sich vor. »Alles in Ordnung bei dir?«

Danko nickte. »Ja, jetzt schon. Hierher zu kommen war nicht leicht, aber ...«

Er verstummte, als der Kellner seinen Kaffee brachte. »In Jugoslawien war es sehr schwierig. Die Serben sind ein einziger paranoider Haufen. Ich hatte einen ukrainischen Pass, aber selbst den hat man gründlich überprüft.«

Smith gab sich alle Mühe, die hundert Fragen zu verdrängen, die ihm durch den Kopf wirbelten, und versuchte sich ganz auf das zu konzentrieren, was jetzt geschehen musste.

»Gibt es etwas, was du mir sagen oder mir geben willst – ich meine jetzt gleich?«

Allem Anschein nach hatte Danko ihn nicht gehört. Er konzentrierte sich ganz auf zwei Carabinieri, die sich langsam, die Maschinenpistolen vor der Brust hängend, durch die Touristenmassen bewegten. »Eine Menge Polizei«, murmelte er.

»Das liegt an den Feiertagen«, meinte Smith. »Da setzen die immer zusätzliche Streifen ein. Juri ...«

»Ich habe Mr. Klein etwas zu sagen, Jon.« Danko lehnte sich über den Tisch. »Was die vorhaben – ich hätte das nie geglaubt. Das ist heller Wahnsinn!«

»Was haben sie vor?«, wollte Smith wissen und hatte Mühe, dabei nicht laut zu werden. »Und wer sind diese sie?«

Danko sah sich nervös um. »Hast du Vorkehrungen getroffen? Kannst du mich hier wegbringen?«

»Wir können sofort abreisen.«

Als Smith in die Tasche griff, um seine Brieftasche herauszuholen, bemerkte er, dass die beiden Carabinieri jetzt zwischen den Tischen des Cafés näher kamen. Einer lachte, als ob der andere gerade einen Witz gemacht hätte, und deutete dann auf die Sandwich-Bar.

Smith zählte ein paar Lire-Scheine ab, beschwerte sie mit einem Teller und war gerade im Begriff, seinen Stuhl nach hinten zu schieben, als die ganze Welt um ihn herum explodierte.

»Jon!«

Der brutale Lärm von in unmittelbarer Nähe abgefeuerter Automatikwaffen übertönte seinen Schrei. Die beiden Carabinieri waren an ihrem Tisch vorbeigegangen, waren herumgewirbelt – und dann hatten ihre Waffen zu knattern begonnen. Die beiden Maschinenpistolen spieen den Tod, zerfetzten Dankos Körper; mit solcher Wucht trafen die Geschosse auf, dass sie ihn vom Stuhl rissen und den Stuhl umkippten.

Smith hechtete bereits in Richtung des kleinen Podiums, noch bevor er den Überfall ganz registriert hatte. Kugeln prallten rings um ihn auf das Steinpflaster und fetzten in die hölzernen Balken. Der Pianist machte den tödlichen Fehler aufzuspringen, und eine Garbe von Schüssen riss ihn förmlich in Stücke. Die Sekunden schienen sich wie in zähem Leim gefangen dahinzuschleppen. Smith schien es unglaublich, dass die Killer sich so viel Zeit nehmen und ungestraft ihr tödliches Werk verrichten konnten. Was er nicht wusste war, dass der Flügel, dessen glänzend schwarzes Gestell und dessen weiße Tasten auf schreckliche Weise zerschmettert wurden, ihm das Leben rettete und einen Feuerstoß nach dem anderen auffing, der für ihn bestimmt war.

Die Killer waren Profis; sie wussten, wann es Zeit war zu verschwinden. Plötzlich ließen sie die Waffen fallen, duckten sich hinter einen umgekippten Tisch und rissen ihre Uniformjacken herunter. Darunter trugen sie unauffällige Windjacken in Grau und Beige. Sie zogen Fischermützen aus den Taschen, rannten ins Café Florian und nutzten die Panik der sie umgebenden Touristen als Deckung. Als sie durch die Eingangstür hasteten, schrie einer von ihnen: »Assassini! Die bringen alle um! Um Himmels willen, ruft die Polizia!«

Smith hob den Kopf und konnte gerade noch sehen, wie die Killer zwischen den Gästen des Cafés untertauchten. Er sah sich nach Danko um, der mit zerfetzter Brust auf dem Rücken lag. Ein leises, animalisches Knurren kam aus Smith’ Kehle, als er von dem Podest sprang und sich mit den Ellbogen den Weg ins Café bahnte. Die Menschenherde riss ihn mit durch die Küche und nach draußen in die schmale Gasse hinter dem Café. Keuchend sah Smith in beide Richtungen. Zur Linken verschwand gerade eine graue Windjacke um die Ecke.

Die Killer waren mit der Gegend vertraut. Sie rannten durch das Gewirr von Gassen und erreichten schließlich einen schmalen Kanal, wo eine Gondel an einem Pfosten angebunden war. Einer sprang hinein und griff nach der Ruderstange, der andere löste das Tau vom Pfosten. Sekunden später trieben sie auf dem Kanal.

Der Killer, der die Ruderstange hielt, zündete sich eine Zigarette an.

»Einfache Arbeit«, sagte er zu seinem Partner.

»Für zwanzigtausend Dollar war das fast zu einfach«, erwiderte der Zweite. »Aber wir hätten den anderen auch umlegen sollen. Der Schweizer Gnom hat das eindeutig gesagt: Die Zielperson und jeden, der mit ihm Kontakt hat.«

»Basta! Wir haben unseren Auftrag erfüllt. Wenn der Schweizer Gnom möchte ...«

Ein Ausruf des Ruderers unterbrach ihn. »Zum Teufel!«

Der zweite Killer schaute in die Richtung, in die sein Freund zeigte. Der Mund blieb ihm offen stehen, als er sah, wie der Partner ihres Opfers auf dem Fußweg neben dem Kanal heranhetzte.

»Leg den figlio di puttana um!«, schrie er.

Der Ruderer zog eine großkalibrige Pistole aus dem Hosenbund. »Mit dem größten Vergnügen.«

Smith sah, wie die Hand des Ruderers sich hob, sah die Pistole zittern, als die Gondel schwankte. Ihm war klar, wie verrückt das war, was er da tat – bewaffnete Killer verfolgen, ohne auch nur ein Messer zu haben, mit dem er sich verteidigen konnte. Aber das Bild des ermordeten Danko hielt ihn in Schwung. Er war jetzt keine zehn Meter mehr von der Gondel entfernt, und der Abstand wurde schnell kleiner, weil der Ruderer immer noch sein Gleichgewicht zu finden versuchte, um besser zielen zu können.

Acht Meter.

»Tommaso ...«

Der Ruderer, Tommaso, wünschte sich, sein Partner würde endlich den Mund halten. Er konnte schließlich selbst sehen, dass der Verrückte näher kam, aber was hatte das schon zu besagen? Er war ja offensichtlich unbewaffnet, sonst hätte er schon längst seine Waffe gezogen.

Und dann sah er etwas anderes, halb von den Planken am Boden der Gondel verborgen: eine Batterie, mehrfarbige Drähte ... etwas, was er selbst schon oft genug benutzt hatte.

Tommasos Schrei wurde von der Explosion übertönt. Ein Feuerball hüllte die Gondel ein, schleuderte sie zehn Meter hoch in die Luft. Einen Augenblick lang war nur noch schwarzer, beißender Rauch zu sehen. Smith wurde gegen die Ziegelmauer einer Glasfabrik geschleudert und sah nach dem Blitz nichts mehr, roch aber brennendes Holz und verkohltes Fleisch, als die Trümmer aus dem Himmel herunterregneten.

 

In dieser Szenerie des Entsetzens, die den ganzen Platz beherrschte, blieb ein Mann, der sich hinter einem der Granitlöwen von St. Markus versteckt hatte, absolut ruhig. Auf den ersten Blick sah er aus, als wäre er Anfang fünfzig, aber möglicherweise ließen ihn sein Schnurrbart und sein Backenbart auch älter erscheinen. Er trug ein großkariertes Sportsakko im französischen Schnitt mit einer gelben Rosette im Revers und hatte ein paisley gemustertes Halstuch in den Kragen gesteckt. Jemand, der ihn beiläufig sah, würde ihn für einen Dandy halten, vielleicht einen Universitätsprofessor oder einen gut situierten Rentner.

Allerdings bewegte er sich sehr schnell. Während noch das Echo der Schüsse über den Platz hallte, eilte er bereits in die Richtung, die die fliehenden Killer genommen hatten. Er musste sich entscheiden, ob er ihnen und dem Amerikaner folgen sollte, der hinter ihnen herrannte, oder ob es besser wäre, zu dem Verwundeten zu eilen. Er zögerte keinen Augenblick.

»Dottore! Lassen Sie mich durch! Ich bin Arzt!«

Die Touristen reagierten sofort auf sein akzentfreies Italienisch. Sekunden später kniete er neben der von den Geschossgarben durchsiebten Leiche Juri Dankos. Er erkannte auf den ersten Blick, dass für Danko jede Hilfe zu spät kam, presste aber trotzdem zwei Finger gegen den Hals des Mannes, als würde er nach dem Puls suchen. Gleichzeitig suchte seine andere Hand in der Jacketttasche Dankos.

Die Leute an den Tischen waren aufgesprungen und sahen sich um. Sahen ihn an. Einige kamen auf ihn zu. So benommen sie auch waren, würden sie trotzdem Fragen stellen, denen er lieber aus dem Weg gehen wollte.

»Sie dort!«, sagte der Arzt mit scharfer Stimme zu einem jungen Mann, der wie ein Student wirkte. »Kommen Sie her, helfen Sie mir.« Er packte den Studenten und zwang ihn, Dankos Hand zu halten. »So, und jetzt drücken ... drücken, habe ich gesagt!«

»Aber er ist tot!«, protestierte der Student.

»Idiot!«, brauste der Arzt auf. »Er lebt noch. Aber wenn er keinen menschlichen Kontakt spürt, stirbt er!«

»Können Sie nicht ...«

»Ich muss Hilfe holen. Sie bleiben da!«

Der Arzt bahnte sich einen Weg durch die Menge, die sich inzwischen um die Toten gesammelt hatte. Die Augen, die ihm folgten, kümmerten ihn nicht. Die meisten Zeugen waren selbst unter günstigen Voraussetzungen alles andere als verlässlich. Und unter diesen Bedingungen hier würde ihn niemand genau beschreiben können.

Jetzt waren die ersten Polizeisirenen zu hören. In wenigen Minuten würde der ganze Platz von Carabinieri wimmeln und abgesperrt werden. Man würde potenzielle Zeugen festhalten; die Verhöre würden mehrere Tage in Anspruch nehmen. Der Arzt konnte sich nicht leisten, in dieses Netz zu geraten.

Ohne den Eindruck zu erwecken als wolle er flüchten, rannte er schnell auf die Seufzerbrücke zu, eilte die Treppe hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Vorbei an den Buden mit Andenken und T-Shirts hastete er durch die Drehtür des Danieli Hotels in dessen Halle.

»Guten Tag, Herr Dr. Humboldt«, sagte der Concierge.

»Auch Ihnen einen guten Tag«, erwiderte der Mann, der weder Arzt war noch Humboldt hieß. Für die wenigen, die das wissen mussten, war sein Name Peter Howell.

Howell war nicht überrascht, dass die Kunde von dem Massaker die Oase der Stille, die das Danieli darstellte, noch nicht erreicht hatte. In diesen Palast aus dem 14. Jahrhundert, der für den Dogen Dandolo errichtet worden war, drang nur wenig von der Außenwelt.

Er steuerte nach links auf die kleine Bar in der Ecke zu, bestellte sich einen Brandy und schloss kurz die Augen, als der Barmann ihm den Rücken zuwandte. Howell hatte schon genug Tote gesehen, Gewalt war ihm nicht fremd, im passiven Sinne ebenso wenig wie im aktiven. Aber was er da gerade auf dem Markusplatz miterlebt hatte, bereitete ihm Übelkeit.

Er leerte das Glas mit einem einzigen Schluck zur Hälfte. Als der starke Brandy seinen Kreislauf belebte und er spürte, wie sich seine Muskeln entspannten, griff er in seine Jacketttasche.

Jahrzehnte waren verstrichen, seit man Howell die Kunst der Taschendiebe gelehrt hatte, und als er jetzt den Zettel aus Dankos Tasche zwischen seinen Fingern spürte, war er froh, dass er nichts davon verlernt hatte.

Er las den Satz einmal, und dann ein zweites Mal. Obwohl er es besser wusste, hatte er gehofft, dass irgendetwas auf diesem Blatt ihm einen Hinweis dafür liefern würde, weshalb Danko so hingemetzelt worden war. Und dass sich vielleicht auch ein Hinweis auf den Schuldigen finden würde. Aber nichts, was er las, ergab einen Sinn, mit Ausnahme eines Wortes: Bioaparat.

Howell faltete das Papier wieder zusammen und steckte es ein. Er leerte sein Glas und bedeutete dem Barmann, dass er ihm nachschenken solle.

»Alles in Ordnung, Signore?«, fragte der Mann beflissen, als er ihm das Glas hinstellte.

»Ja, danke.«

»Wenn Sie irgendetwas brauchen, sagen Sie es mir bitte.«

Howells eisiger Blick veranlasste den Barmann, eilig den Rückzug anzutreten.

Von dir brauche ich gar nichts, alter Junge. Ich brauche etwas ganz anderes.

 

Als Smith die Augen aufschlug, sah er sich verblüfft einer Anzahl grotesker Gesichter gegenüber, die auf ihn herunterstarrten. Er fuhr unwillkürlich zurück, bis er dann feststellte, dass er im Eingang zu einem Geschäft zusammengesunken war, in dem Masken und Kostüme verkauft wurden. Taumelnd richtete er sich auf und tastete sich instinktiv nach irgendwelchen Verletzungen ab. Nichts schien gebrochen, aber sein Gesicht brannte. Er strich sich mit der Hand über die Wange und sah, dass seine Finger blutig waren.

Zumindest bin ich am Leben.

Von den Killern, die in der Gondel zu entfliehen versucht hatten, konnte man das nicht behaupten. Die Explosion des Bootes hatte auch die Identität seiner Insassen mit in die Ewigkeit befördert. Selbst wenn die Polizei Augenzeugen auftreiben konnte, würden sie wertlos sein: Professionelle Killer waren häufig Meister der Maske.

Der Gedanke an die Polizei machte Smith Beine. Wegen der Feiertage waren sämtliche Läden am Kanal geschlossen, und man sah kaum Leute. Aber die Sirene der Polizeibarkasse wurde immer lauter. Die Behörden hatten mit Sicherheit eine Verbindung zwischen dem Massaker auf dem Markusplatz und der Explosion im Kanal hergestellt. Die Zeugen würden ihnen sagen, dass die Mörder in diese Richtung gerannt waren.

Man könnte mich finden ... dieselben Zeugen werden aussagen, dass ich bei Danko gesessen bin ...

Die Polizei würde wissen wollen, welche Beziehung zwischen Smith und dem Toten bestand, weshalb sie sich getroffen und worüber sie geredet hatten. Sie würden sich daran festklammern, dass Smith dem amerikanischen Militär angehörte, und das Verhör würde noch eindringlicher werden. Und doch konnte Smith ihnen am Ende nichts sagen, was geeignet gewesen wäre, das Massaker zu erklären.

Smith richtete sich auf, wischte sich das Gesicht so gut er konnte ab und klopfte sich den Staub vom Anzug. Er machte ein paar vorsichtige Schritte und ging dann so schnell er konnte ans Ende der kurzen Gasse, überquerte eine Brücke und begab sich in den Schatten einer mit Brettern vernagelten Sequero, einer Werkstätte, in der Gondeln gebaut wurden. Einen halben Block weiter betrat er eine kleine Kirche, durchquerte lautlos den schattigen Innenraum und verließ sie durch eine Nebentür. Einige Minuten später tauchte er auf der Promenade neben dem Canale Grande in der dort ständig wogenden Menschenmenge unter.

Als Smith schließlich den Markusplatz erreichte, war der bereits abgeriegelt. Finster blickende Carabinieri mit Maschinenpistolen bildeten eine menschliche Barriere zwischen den Granitlöwen. Europäer, insbesondere Italiener, verstanden sich auf das, was nach einem offenkundigen Terroristenanschlag zu tun war: Sie blickten starr nach vorn und schoben sich am Schauplatz des Geschehens vorbei. Und das tat Smith auch.

Er ging über die Seufzerbrücke, passierte die Drehtür des Danieli Hotels und begab sich sofort in die Herrentoilette. Dort spritzte er sich kaltes Wasser ins Gesicht und atmete ein paarmal tief durch. Er schaute in den Spiegel über dem Waschbecken, sah dort aber nur Dankos Körper, sah ihn unter dem Aufprall der Kugeln zusammenzucken. Er hörte die Schreie der Passanten, die Rufe der Killer, als sie merkten, dass er auf sie zurannte. Und dann die schreckliche Explosion, die sie zerfetzt hatte ...

All das in einer Stadt, die als eine der sichersten in ganz Europa galt. Was in Gottes Namen hatte Danko bei sich geführt, das dieses Massaker rechtfertigte?

Smith verweilte noch ein paar Augenblicke und verließ dann die Toilette. Die Hotelhalle war leer, mit Ausnahme von Peter Howell, der an einem kleinen Tisch hinter einer Marmorsäule saß. Smith griff wortlos nach dem Cognac-Schwenker und leerte ihn. Howell schien dafür Verständnis zu haben.

»Ich hatte mich schon gefragt, was aus dir geworden ist. Du hast diese Mistkerle verfolgt, nicht wahr?«

»Die Killer liefen zu einer Gondel, die auf sie wartete«, erwiderte