Der Fluch des Flößers - Carlo Fehn - E-Book

Der Fluch des Flößers E-Book

Carlo Fehn

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Bei einer Erlebnisfloßfahrt taucht vor den Augen von Hauptkommissar Pytlik, der mit seinem Team auf der Wilden Rodach einen vergnüglichen Ausflug machen wollte, wie aus dem Nichts eine Leiche im Wasser auf. Der zunächst unbekannte Tote ist Atze Thon, mit dem er Tage vorher noch telefoniert hatte. Schnell kristallisiert sich heraus, dass der auswärtige Privatdetektiv mysteriöse und bereits Jahrzehnte zurückliegende Todesfälle in Wallenfels untersuchen wollte. Zudem wird die Stadt schon kurz nach Beginn der Ermittlungen von einem bestialischen Verbrechen erschüttert, das auch Pytlik und seinen Assistenten Hermann an ihre Grenzen bringt. Je weiter die Kronacher Ermittler in der Vergangenheit wühlen, desto größer wird die Gewissheit, dass sich der Fluch eines jungen Flößers wie ein dunkler Schatten auf die Menschen gelegt hat.

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Carlo Fehn

Der Fluch des Flößers

 

 

Bei einer Erlebnisfloßfahrt taucht vor den Augen von Hauptkommissar Pytlik, der mit seinem Team auf der Wilden Rodach einen vergnüglichen Ausflug machen wollte, wie aus dem Nichts eine Leiche im Wasser auf. Der zunächst unbekannte Tote ist Atze Thon, mit dem er Tage vorher noch telefoniert hatte.

Schnell kristallisiert sich heraus, dass der auswärtige Privatdetektiv mysteriöse und bereits Jahrzehnte zurückliegende Todesfälle in Wallenfels untersuchen wollte. Zudem wird die Stadt schon kurz nach Beginn der Ermittlungen von einem bestialischen Verbrechen erschüttert, das auch Pytlik und seinen Assistenten Hermann an ihre Grenzen bringt.

Je weiter die Kronacher Ermittler in der Vergangenheit wühlen, desto größer wird die Gewissheit, dass sich der Fluch eines jungen Flößers wie ein dunkler Schatten auf die Menschen gelegt hat.

 

Der Fluch des Flößers - Hauptkommissar Pytliks 13. Fall

Carlo Fehn

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Copyright: © 2020 Verlag Carlo Fehn

ISBN 978-3-753128-42-9

 

Samstag, 21. Juli 2012

 

Die Begrüßungsworte des Wallenfelser Bürgermeisters schallten aus den Lautsprechern am Stauwehr in Schnappenhammer. Auch bei dieser Fahrt waren alle Flöße voll besetzt mit erwartungsvollen und gut gelaunten Touristen und Einheimischen, die sich nun in das Abenteuer auf der Wilden Rodach stürzen wollten.

Pytlik saß mit Cajo Hermann, Justus Büttner und seiner Sekretärin Adelgunde Reif auf einem der Flöße, das weit hinten eingereiht war. Als der Countdown aus Hunderten Kehlen ertönte, machte sich auch beim Kronacher Hauptkommissar ein wenig die Anspannung bemerkbar, die er bis dahin erfolgreich versteckt und mit lockeren Sprüchen weggelächelt hatte. Sein Assistent Hermann und Büttner, der Leiter der Schutzpolizei, hatten bereits früher einmal an der beliebten Touristenattraktion teilgenommen, auch Adelgunde Reif kannte den Spaß schon.

»Und, Franz, scho aufgereechd?«, stichelte Büttner, der die Floßfahrt zu seinem Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Nachdem das Wehr komplett geöffnet war und die ersten Flöße sich unter dem lauten Geschrei und Gejohle der Fahrgäste auf die 45-minütige Reise machten, bewegte sich auch das Holzgefährt mit den Kronachern langsam in Richtung der engen Staumündung.

»Ich habe ja nichts zu verbergen, wenn mir das Wasser bis zum Hals steht und meine Klamotten nass sind! Dein wohlgeformter Körper kommt da schon besser zur Geltung«, musste Pytlik gegen den immer lauter werdenden Umgebungslärm anschreien. Büttner, der auf der Anreise schon die ersten beiden Flaschen Bier getrunken hatte, lachte ausgelassen.

Vor dem Hauptkommissar saß Hermann, der mit Justus Büttner Adelgunde Reif in die Mitte genommen hatte. Pytlik war aber auch wegen einer anderen Sache etwas nervös. Kurz vor dem Ablegen war auf ihr Floß noch eine Frau zugestiegen, die sich augenscheinlich verspätet hatte und froh war, noch den letzten Platz auf der Holzbank hinter dem Ermittler einnehmen zu können. Schon auf den ersten flüchtigen Blick war Pytlik elektrisiert gewesen, als er sich kurz umgedreht und der Frau, die er auf Ende vierzig schätzte, unterstützend die Hand gereicht hatte, damit sie sich setzen konnte.

Ihr blondes Haar hatte sie zu einem einfachen Pferdeschwanz gebunden, eine helle Strähne hinter ein Ohr gesteckt. Eine dezente Sonnenbrille mit kleinen Gläsern steckte hinter dem Haaransatz, so dass ihre braunen Augen deutlich zu sehen waren. Ihr Gesicht war makellos; ein leichter brauner Teint gab einen interessanten Kontrast zu ihren vollen Lippen, die nach Pytliks erster Einschätzung nicht geschminkt waren und zartrosa strahlten. Pytlik hatte intuitiv zuerst und so unauffällig wie möglich ihre Beine gemustert. Mit für den Anlass angemessenen Flipflops wirkte sie dennoch hochgewachsen, der deutlich oberhalb der Knie endende weiße Minirock aus leichtem Stoff war noch etwas bedeckt von einem lachsfarbenen Top, unter dem in gleicher Farbe die Träger und grob geschnürten Knoten eines Bikinis zu sehen waren. Ihre Oberweite war auffallend, und als sich die Frau, die wohl tatsächlich allein unterwegs war, hinter Pytlik gesetzt hatte, gerieten seine Gedanken in Wallung.

Üblicherweise war Körperkontakt während der Fahrt nicht zu vermeiden, abgesehen davon, dass bei Durchfahrt der Stauwehre die Fahrgäste meist bis knapp unter den Hals vom Wasser bedeckt wurden.

Auch Hermann hatte gesehen, dass noch ein Passagier auf den letzten Drücker auf das Floß gekommen war. Er wusste um die aktuelle Situation seines Chefs, was dessen Liebesleben anging, und er versuchte, ihn zu ermutigen.

»Scheint heute dein Tag zu sein! Mein lieber Herr Gesangsverein!«, zeigte sich auch er von der Blonden beeindruckt und flüsterte Pytlik die aufmunternden Worte zu.

»Schau du mal lieber nach vorne!«, erwiderte der nur kurz.

»Nicht, dass du dir gleich den Kopf anstößt!«

Es dauerte noch einige Minuten, dann passierte alles ganz schnell. Der junge Flößer setzte den Floßhaken einige Male rasch und gezielt tief ins Wasser, von allen Seiten waren Kommandos und Anweisungen zu hören. Als das Floß im Sog des Wasserlaufs plötzlich Fahrt aufnahm und die Körper der vorne sitzenden Fahrgäste im Nu immer mehr im Wasser verschwanden, waren die obligatorischen Aufschreie zu hören. Sekunden später spürte auch Pytlik das Nass unerbittlich von den Füßen bis knapp unter seinen Brustkorb steigen. Erst, als das Floß sich wieder in ruhigerem Fahrwasser befand und alle Passagiere ihre nassen Klamotten an ihren Körpern strafften und ausrichteten, bemerkte der Hauptkommissar, dass sich die Frau hinter ihm bereits bei der Durchfahrt des Stauwehrs mit ihren Händen oberhalb seiner Hüften festgeklammert hatte. Außerdem war sie eng nach vorne an ihn herangerutscht, so dass er auch jetzt noch ihre Brüste auf seinem Rücken spüren konnte. Zunächst sagte er nichts und ließ die allgemein aufgeheiterte Stimmung etwas abflachen.

»Huch!«, hörte er es dann hinter sich kichern und lachen. Seine Begleitung schien ebenso das erste Mal auf einem Floß die Wilde Rodach zu befahren und war genauso erstaunt, schon jetzt bis unter das Kinn nass geworden zu sein.

»Entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihnen so auf die Pelle gerückt bin, aber ich war wohl etwas überrascht, als es dann losging.«

Auf dem schmalen Sitzbalken konnte sich Pytlik nicht bequem umdrehen, was er gerne gemacht hätte. Da sie ihm aber ohnehin immer noch sehr eng am Rücken saß, musste er nur seinen Kopf ein wenig zur Seite neigen, um ihr zu antworten.

»Keine Ursache! Ging mir genauso! Halten Sie sich nur gut fest, es kommen noch einige Stauwehre! Soll ja niemand über Bord gehen!«

Pytlik ließ seine Worte in Windeseile noch einmal Revue passieren. War das ein guter Einstieg gewesen? Wie würde sie darauf reagieren? Hermanns Vermutung kam ihm wieder in den Sinn: Scheint heute dein Tag zu sein! Hoffentlich, dachte er. Nachdem die Fahrt etwas ruhiger verlief, alle Mitreisenden entweder mit sich selbst beschäftigt waren oder aufgeregt mit anderen redeten, dauerte es einige Augenblicke, ehe Pytlik sich ein Herz fasste. Was hatte er schon zu verlieren? Er war sich sicher, dass es kein Zufall war, dass sich die festen Nippel immer noch an seinen Rücken schmiegten.

»Ich heiße übrigens Franz! Das klingt jetzt eher unspektakulär, ist aber Fakt! Wenn Sie nichts dagegen haben, darfst du mich auch gerne duzen.«

Pytlik hatte seine Anmache gegen das Rauschen des Wassers ohne direkten Blickkontakt wieder über seine Schulter hinweg adressiert. Die Antwort kam ohne Verzögerung, und das begleitende und herzhafte Lachen machte ihm Mut und Hoffnung.

»Ich finde deinen Namen viel spektakulärer als Thomas, Heiko oder Stefan! Ich bin übrigens Franziska.«

Pytlik lachte ebenso. Nun drehte er sich um und schaute in das Gesicht einer Frau, die er am liebsten gleich geküsst hätte. Für einen kurzen Moment waren ihrer beiden Blicke wie eingefroren. Womöglich dachten sie in diesem Augenblick auch dasselbe.

»Kein Witz?«

»Kein Witz!«, antwortete sie. Der Lärmpegel nahm wieder zu; ein untrügliches Zeichen, dass die Durchfahrt des nächsten Stauwehres kurz bevorstand.

»Es wird wohl wieder etwas stürmischer, Franziska. Halt dich gut fest!«

Pytlik wandte sich nach vorne. Kurz darauf spürte er ihr Kinn neben seinem Nacken auf seiner Schulter. Ihr warmer Atem ließ ihn das leichte Frösteln wegen des Wassers in seinen Kleidern vergessen.

»Und wie gut ich mich festhalten werde!«

Kaum, dass sie die Worte in sein Ohr geflüstert hatte, krallten sich ihre Hände bereits fest in seinen vorderen Lendenbereich. Sie konnte seine Erregung sicherlich bereits spüren. Hermann anscheinend auch, da der etwas weiter nach vorne rutschte.

Pytlik war angenehm überrascht, dass nach dieser unerwarteten Kontaktaufnahme im weiteren Verlauf zunächst nichts passierte, das ihn womöglich in eine unangenehme Situation gebracht hätte. Er genoss den Augenblick und spürte eine ehrliche Erwiderung hinter sich. Vielleicht auch eine Frau in ähnlicher Situation wie ich, dachte er sich. Die Trennung von seiner Lebensgefährtin Martina war absehbar. Spätestens als sie ihm im Herbst des vergangenen Jahres mitgeteilt hatte, für einen weiteren Job für längere Zeit in die USA zu gehen, war er sich der Tatsache bewusst, dass die Fernbeziehung mit ihr keine Chance hatte. Seine gehegte Vermutung, dass Martina bereits während ihres ersten Aufenthaltes in den Staaten eine Affäre gehabt hatte, hatte sich im Nachhinein bestätigt.

Der Flößer kämpfte hart, das tonnenschwere Gefährt in der engen Fahrrinne auf Kurs zu halten. Auch wenn der Hauptkommissar im Moment mit seinen Gedanken woanders war, führte er sich dennoch vor Augen, was dieser Beruf in früheren Zeiten für eine immense Anstrengung bedeutet haben musste. Bei niedrigem Lohn und unter schwierigsten Bedingungen wurden die Holzstämme aus den einheimischen Wäldern über die Flüsse des Frankenwaldes und weiter auf dem Main und dem Rhein teilweise sogar bis nach Holland verbracht.

Die Wilde Rodach führte aktuell gut Wasser und das etwa zwei Meter breite und über zehn Meter lange Floß bahnte sich rücksichtslos seinen Weg bis hinunter zur Floßlände in Wallenfels. Es war ein herrlicher Sommertag. Der wolkenlose Himmel und die warmen Temperaturen würden die durchnässte Kleidung am Ankunftsort schnell trocknen lassen. Pytlik und Franziska hatten nach gut der Hälfte der Fahrt kaum weiter miteinander gesprochen; beide genossen den Augenblick der Unbeschwertheit und die Schönheit der Natur neben dem Erlebnis der spektakulären Floßfahrt. Wieder hatten sie eines der Stauwehre passiert und erneut hatte das Wasser bis zum Oberkörper für eine Abkühlung gesorgt, als plötzlich Schreie und Rufe von den vorausfahrenden Flößen zu hören waren.

Hermann drehte sich sofort zu seinem Chef um, Pytlik kniff die Augen zusammen und legte die Stirn in Falten. Das klang nicht nach Begeisterung, und nachdem Pytlik sich entgegen der eigentlichen Anordnung von der Sitzbank erhoben hatte, um nach vorne zu schauen, passierte alles sehr schnell. Hinter dem vorausfahrenden Floß trieb ein mannsgroßer Gegenstand, der allem Anschein nach kurz vorher mit dem Holzgefährt kollidiert war. Pytlik stand immer noch, auch Hermann hatte sich leicht erhoben, um über Adelgunde Reif hinweg nach vorne schauen zu können. Immer näher kam das Floß dem Fremdkörper im Wasser, der noch an einem Ast im Wasser festzuhängen schien. Und Pytlik und sein Assistent ahnten, dass ihr Flößer keine Chance haben würde, den nächsten Aufprall zu verhindern. In wenigen Augenblicken würde es soweit sein und spätestens jetzt hatten die beiden Kronacher Ermittler auch erkannt, worum es sich bei dem leblosen Treibgut handelte.

»Scheiße! Das gibt es doch nicht!«, fluchte Pytlik so leise und verhalten wie möglich, obwohl er genau wusste, dass alle anderen Fahrgäste längst die gleiche Wahrnehmung haben mussten.

»Was ist denn los?«, wollte Franziska wissen, die Pytlik leicht an dessen Hose zupfte. Der Hauptkommissar wartete mit der Antwort, da just in diesem Augenblick ein dumpfer Schlag zu hören war. Intuitiv schaute er dann nach links, wo der Körper am Floß vorbeihuschte und danach weiter regungslos im Wasser trieb. Auf dem Floß herrschte helle Aufregung. Pytlik hatte für einen Moment überlegt, ins Wasser zu springen, doch die Vernunft hatte ihn zurückgehalten; am Ufer standen in regelmäßigen Abständen Rettungskräfte. In seltenen Fällen war es in der Vergangenheit schon passiert, dass Fahrgäste aus unterschiedlichen Gründen ins Wasser gefallen waren und gerettet werden mussten. Pytlik hörte bereits die Sirenen und wenige Sekunden später fuhr schon ein Einsatzfahrzeug der Wasserwacht flussaufwärts, um sich um den leblosen Körper zu kümmern. Der Hauptkommissar drehte sich nach vorne und sah, dass der Flößer trotz des schockierenden Erlebnisses konzentriert seine Arbeit verrichtete, da bereits das nächste Stauwehr unmittelbar zu sehen war. Auf dem Floß wurde intensiv diskutiert und spekuliert, den meisten Reisenden stand der Schrecken in den bleichen Gesichtern. Bevor Pytlik und Hermann sich wieder setzten, schaute der Hauptkommissar zu Franziska, die wie konsterniert auf dem Balken saß und nicht so richtig einschätzen konnte, was da gerade passiert war. Mit versteinerter Miene gab er ihr zu verstehen, dass aus dem geplanten gemeinsamen Nachmittag unter Umständen nichts werden würde.

»War das…?«, wollte Franziska ihre Frage formulieren, doch sie wurde von Pytlik gleich unterbrochen.

»Da müsste ich mich jetzt schwer getäuscht haben, wenn das kein Mensch war.«

Pytlik blickte noch einmal nach hinten. Da der Fluss aber eine leichte Biegung gemacht hatte, konnte er bereits nichts mehr sehen. Und nachdem Hermann, Adelgunde Reif und Justus Büttner schon entsprechende Überlegungen anstellten und die weitere Vorgehensweise besprachen, konnte Pytliks weibliche Begleitung ihre Neugierde nicht mehr zurückhalten.

»Ihr seid von der Polizei?«

Pytlik nickte nur kurz. Das vom Wasser eng anliegende Outfit seiner Bekanntschaft ließ er nur im Augenwinkel auf sich wirken. Was für eine Scheiße, fluchte er innerlich. Warum ausgerechnet heute, fragte er sich fast weinerlich. Unabhängig davon, was mit der Person im Wasser geschehen war und warum sie in der Wilden Rodach trieb, ob sie bereits tot war oder noch leben würde: Sobald sie am Flößerhaus in Wallenfels festgemacht haben würden, würde er sich zunächst um diese Angelegenheit kümmern müssen. Noch während seine Gedanken kreisten, war von Floß zu Floß die Information weitergegeben worden, dass alle in Schnappenhammer zugestiegenen Fahrgäste auf ihren Flößen immer noch an Bord waren. Als der junge Flößer diese Nachricht auch Pytlik und den Anderen mitgeteilt hatte, schaute Hermann seinen Chef mit ernstem Blick an.

»Du weißt ja, was das heißt, oder?«, fragte er und brachte mit der Tonlage seiner Stimme zum Ausdruck, dass er ebenso wenig begeistert von dieser Tatsache war. Im gleichen Augenblick spürte Pytlik wieder die zarte Umklammerung von hinten.

»Das heißt also, dass euch euer Ausflug jetzt direkt in Wochenendarbeit stürzt. Sehe ich das richtig?«

Pytlik legte seine Hände auf ihre und nickte gedankenverloren. Dann spürte er, wie Franziska ihren Kopf seitlich auf seinen Rücken legte.

»Schade! Ich hoffe, dass du irgendwo noch eine trockene Visitenkarte von dir hast, denn den Fall Franziska solltest du noch nicht ad acta legen.«

Trotz der ganzen Anspannung musste Pytlik schmunzeln und er überlegte kurz, um die richtigen Worte zu finden.

»Ich hoffe, dass mich der Fall Franziska noch längere Zeit beschäftigen wird!«

An der Floßlände in Wallenfels hatten sich nach und nach alle Flöße eingereiht und die Fahrgäste zum großen Teil bereits wieder festen Boden unter den Füßen. Der Schock stand allen ins Gesicht geschrieben und für das eigentlich unvergessliche Erlebnis war in den Köpfen nun zunächst wenig Platz. Pytlik wechselte noch einige Sätze mit Franziska. Er gab ihr eine Telefonnummer und bat sie, ihn anzurufen.

Da auf dem Floß niemand ein Handy dabei gehabt hatte, machten sich Pytlik und Hermann sofort auf die Suche nach den Leitern der Einsatzkräfte vor Ort um herauszufinden, ob die Person bereits aus dem Wasser geborgen werden konnte und wie der aktuelle Stand der Rettungsmaßnahmen war. Die beiden Ermittler verabschiedeten sich dann von Adelgunde Reif und Justus Büttner, denen sie die Heimfahrt nahelegten.

»Seid ihr sicher, dass ihr mich nedd braucht? Also wecher meina zwaa Bier…!«, wollte Justus Büttner wissen. Pytlik schüttelte aber nur den Kopf.

»Lass gut sein, Justus! Womöglich wird es ausreichend sein, ein paar formelle Dinge zu erledigen und der Rest geht dann seinen Gang. Das können wir beide erledigen, schließlich war der Ausflug heute ja ein Geschenk für dich. Mach dir noch ein schönes Wochenende!«, beschwichtigte Pytlik den Leiter der Schutzpolizei.

Der Hauptkommissar hatte mit den Verantwortlichen des Flößervereins Wallenfels besprochen, die Fahrgäste zu bitten, das Gelände am Floßteich möglichst rasch und unaufgeregt zu verlassen. Unabhängig davon, ob die leblose Person noch gerettet werden konnte oder bereits tot war, würden entsprechende Maßnahmen und eine Erstbegutachtung sicherlich direkt vor Ort stattfinden.

Nach und nach leerte sich das Gelände, und aus den Funkgeräten der Verantwortlichen vor Ort kamen in kurzen Abständen immer wieder neue Informationen. Pytlik und Hermann standen in Hörweite und nachdem es ein weiteres Mal aus einem der kleinen Lautsprecher gerauscht hatte, bekamen sie die Nachricht, auf die sie gewartet hatten. Ein Sanitäter mit roter Hose und weißem T-Shirt kam auf die Kronacher Beamten zu. Nachdem er sich kurz vorgestellt hatte, schilderte er Pytlik und Hermann, was er soeben erfahren hatte.

»Zwei Kollegen der Wasserwacht haben die Person im Fluss bergen und danach ans Ufer ziehen können. Der dazugekommene Notarzt hat zwar zunächst noch Wiederbelebungsversuche unternommen, allerdings soll der Mann bereits tot gewesen sein. In ein paar Minuten müssten die Kollegen mit der Leiche hier ankommen.«

Pytlik bedankte sich bei dem Mann. Als er zu seinem Assistenten blickte, wusste er genau, was der ihm gleich sagen würde.

»Eine Leiche einfach so in der Wilden Rodach! Ein Mann, der anscheinend bereits tot war und – wenn man den Aussagen der Fahrgäste und Flößer glauben darf, die den Körper zuerst gesehen haben – sich aus dem Gestrüpp am Ufer gelöst hat! Das hört sich alles zumindest nicht so an, als ob wir jetzt seelenruhig nach Hause fahren könnten, um mit einem gemütlichen Bier bei dir im Garten den Samstagnachmittag ausklingen zu lassen. Ich war wirklich der Meinung, das wäre heute dein Tag. Ich hätte es dir gegönnt.«

Pytlik atmete ganz tief ein. Sein Brustkorb hob sich merklich und er konnte Hermann nur beipflichten. Sein Mitleid ignorierte er enttäuscht.

»Wenn wir Glück haben, ist es vielleicht jemand, der einen über den Durst getrunken hat und dann aus irgendeinem Grund und wie auch immer in den Fluss gefallen ist. Zu viel Alkohol, beim Sturz vielleicht noch verletzt, bewusstlos, ertrunken, irgendwo hängen geblieben und durch die vielen Flöße jetzt freigespült! Dumm gelaufen, Pech gehabt, selbst schuld! Identifiziert, die Angehörigen benachrichtigt, Punkt, aus, fertig! Wenn es so war – bitte!«

Pytlik und Hermann schauten sich an. Beide wussten, was der jeweils andere dachte. Beide dachten das Gleiche. Während sie sich mit Handtüchern noch die letzte Feuchtigkeit von ihren Körpern wischten, grübelte Hermann vor sich hin.

»Und warum beschleicht mich gerade so ein komisches Gefühl, dass das alles nicht so sein wird, wie du hoffst?«

Pytlik ließ sich mit seiner Antwort einige Sekunden Zeit.

»Weil wahrscheinlich alles tatsächlich nicht so sein wird!«

 

***

 

Die beiden Kronacher Ermittler waren in der Zwischenzeit in ihre vorher am Zielort deponierten Wechselklamotten geschlüpft und hatten ihre Wertsachen abgeholt. Nachdem der Rettungswagen mit dem Leichnam am Flößerhaus angekommen war, warteten Pytlik und Hermann zunächst, bis der Körper in das kleine Zelt des Roten Kreuzes getragen worden war. Ein Mann mit einem Rucksack auf den Schultern, den sie für den zuständigen Notarzt hielten, lief ihnen entgegen. Womöglich hatte er schon erfahren, dass bereits zwei Polizisten zufällig vor Ort waren.

»Grüß Gott! Andreas Winkler! Ich bin Arzt und war zuerst beim Verunglückten.«

Pytlik und Hermann gaben ihm nacheinander die Hand und stellten sich ebenfalls vor. Danach baten sie den Mediziner zu erzählen, was er bereits wusste.

»Die beiden Männer der Wasserwacht haben den Mann bergen und ans Ufer ziehen können. Ich war kurz danach zur Stelle und habe mir zunächst angesehen, ob er äußerliche Verletzungen hatte. Die erste Inaugenscheinnahme gab mir keine Hinweise darauf, dass der Mann schon sehr lange im Wasser gelegen hat. Also keine typischen Merkmale, die man von einer Wasserleiche üblicherweise kennt.

»Sie hatten also gleich den Verdacht, dass er bereits tot sein könnte?«, fragte Hermann dazwischen.

»Ja, ich dachte es mir! Ich habe dann zunächst mit Reanimationsmaßnahmen begonnen, es hat sich dann aber herausgestellt, dass die Körpertemperatur deutlich abgesunken war und auch die Leichenstarre schon eingesetzt hatte. Der Mann war komplett bekleidet, am rechten Oberarm war seine Jacke zerfetzt und der Arm hing sichtbar in einer unnatürlichen Haltung weg.«

Pytlik und Hermann hörten gespannt zu.

»Er ist mindestens zweimal kräftig mit einem Floß kollidiert«, informierte Pytlik den Arzt. Winkler überlegte kurz und nickte dann zustimmend.

»Kann sein, dass das damit zu tun hat. Da müsste man sicherlich auch die Kleidung nach entsprechenden Holzspänen untersuchen.«

»Sonstige Verletzungen oder etwas, das Ihnen noch aufgefallen ist?«, wollte Hermann wissen.

»Nein! Ich habe noch keine weiteren Untersuchungen durchgeführt«, antwortete Winkler, ohne dass es sich wie eine Rechtfertigung anhörte.

»Sicherlich möchten Sie auch einen ersten Blick auf den Leichnam werfen«, bot er Pytlik und Hermann dann an, ihn ins Zelt zu begleiten. Hermann stimmte unmittelbar zu, sein Chef machte in diesem Moment einen abwesenden Eindruck, folgte den beiden aber.

 

***

 

Vor den Polizisten lag auf vier zusammengestellten Bierzelttischen der Körper eines Mannes, der Pytlik spontan an den Schauspieler Götz George in dessen Rolle als »Tatort«-Kommissar Schimanski erinnerte. Trotz der seit einigen Tagen sommerlichen Temperaturen war der Unbekannte mit einer olivgrünen Feldjacke bekleidet, deren Reißverschluss bis fast ganz nach oben zugezogen war. Wie vom Arzt bereits berichtet, war ein Arm stark in Mitleidenschaft gezogen worden und das Kleidungsstück entsprechend zerfetzt. Pytlik beugte sich an dieser Stelle etwas nach unten, um nach ersten Spuren von Spänen oder Spreißeln zu suchen. Er nickte fast unmerklich.

»Und?«, fragte Hermann.

»Ja!«, bestätigte sein Chef den gehegten Verdacht.

»Könnte von der Kollision sein!«

Die Ermittler gingen einige Male um den Leichnam herum. Die vom Wasser durchnässten Jeans und die klobigen, abgelaufenen Schuhe ließen keine Rückschlüsse darauf zu, was passiert war. Nach einigen Minuten nahm Pytlik sein Mobiltelefon zur Hand und machte ein Foto des Kopfes des Toten. Im Zelt befanden sich neben dem Arzt noch zwei Rettungssanitäter.

»Sind Sie hier aus der Gegend?«, fragte Pytlik, indem er beide nacheinander anschaute.

»Ich bin aus Wallenfels«, gab der etwas Korpulente zuerst Antwort, der eine Figur wie ein in die Jahre gekommener Boxer hatte.

»Ich kumm aus Neuagrü.«

Auch Neuengrün, von wo der zierliche Bursche kam, gehörte zur Stadt Wallenfels, das wusste Pytlik.

»Kennen Sie den Mann? Haben Sie ihn vielleicht schon mal gesehen?«

Die beiden Männer traten einen Schritt näher, so als würden sie unterstreichen, sich auch noch ein letztes Mal zu vergewissern, obwohl sie die Antwort wohl schon längst wussten. Wieder äußerte sich der Ältere zuerst.

»Also, der ist nicht von hier. Ich werde nächsten Monat fünfzig und lebe seit meiner Geburt in Wallenfels. Das Gesicht kenne ich nicht.«

Sein Kollege schüttelte den Kopf.

»Naa, ko ich a nijä souch, dass ich denn scho amoll gsehn hädd.«

»Gut, danke! Wenn Sie mich und meinen Kollegen dann noch einen kurzen Moment allein lassen würden.«

Die beiden Sanitäter verließen danach das Zelt; mit dem Arzt besprachen Pytlik und Hermann noch einige Formalitäten, dann ging auch er. Pytlik klappte die Zeltplanen an der Kopfseite nach unten, so dass er mit seinem Assistenten und der Leiche nun alleine war. Die Luft war schlecht, die Sonne hatte den Innenraum bereits deutlich erwärmt und Pytlik und Hermann wussten, dass sie eine Entscheidung treffen mussten, für die ihnen im Moment noch die Grundlage fehlte. Sie prüften, ob der Mann irgendwelche Papiere, einen Ausweis oder sonstiges bei sich trug. Nichts!

»Was meinst du, Franz? Unfall?«

»Weiß nicht!«, erwiderte der Hauptkommissar.

»Wenn nicht, muss er so schnell wie möglich in die Rechtsmedizin, damit…«

»Ich weiß!«, unterbrach ihn Pytlik und wirkte dabei angespannt. Hermann konnte die Reaktion nur schwierig einschätzen, meinte allerdings, eine Erklärung zu haben. Er wartete einige Sekunden.

»Grübel nicht so viel, Franz! Sie wird sich bei dir melden und dann wird alles gut laufen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!«

Pytlik stutzte.

»Was? Ach so! Du meinst wegen Franziska? Darum geht es doch jetzt gar nicht.«

»Sondern? Irgendwas ist doch!«, hakte Hermann nach, der spürte, dass den Hauptkommissar noch etwas anderes zu beschäftigen schien.

Pytlik packte seinen Assistenten leicht am Arm und drängte ihn behutsam Richtung Ausgang. Draußen gingen sie ein paar Schritte, um allein zu sein.

»Also?«, war Hermann neugierig. Pytlik machte ein Gesicht, das sein Assistent kannte und das so viel bedeutete wie: Es gibt da was, das du wissen musst!

»Es gibt da was, was du wissen musst!«, druckste Pytlik etwas verlegen herum.

»Schieß los!«

Pytlik nahm Hermann noch etwas mehr zur Seite, so dass sie außer Hörweite der umherstehenden Personen in Ruhe reden konnten.

»Ich habe vor etwa zehn Tagen, abends einmal, bevor ich aus dem Büro gegangen bin, einen Anruf erhalten. Anfangs habe ich gedacht, das sei ein Spinner, der sich einen Spaß mit der Polizei erlauben wollte. Noch dazu, als er sich als Privatdetektiv Atze Thon vorstellte.«

»Das Lösungsmittel?«

»Habe ich zunächst auch gedacht«, wischte Pytlik die Bemerkung seines Assistenten aber gleich beiseite.

»Thon war sein Nachname, wie der berühmte ehemalige Fußballer. Atze scheint in bestimmten Regionen Deutschlands eine traditionelle Abwandlung für männliche Vornamen zu sein, die mit ›A‹ beginnen, habe ich mal irgendwo gelesen. Daher also Atze Thon, wie sein richtiger Vorname war, weiß ich nicht.«

Pytlik machte eine Pause, unbewusst schaute er sich auf dem Gelände am Flößerhaus noch einmal um, ob Franziska nicht doch auf ihn gewartet hatte. Hermann merkte es, sagte aber nichts dazu.

»Und weiter? Was wollte der Typ von dir?«

»Das war mir selbst nach dem Telefonat noch nicht ganz klar. Wie gesagt: Es hörte sich alles nach Schwachsinn an! Ich konnte ihm nicht so wirklich folgen; hatte auch den Eindruck, dass er schon was getrunken hatte. Er hat sich oft wiederholt und immer wieder von einer Flaschenpost gesprochen, die sein Vater wohl als kleiner Junge irgendwo am Rheinufer gefunden hatte und die anscheinend von einem Flößer stammte.«

»Eine Flaschenpost? Von einem Flößer? Und der Anruf war vor zehn Tagen?«, fragte Hermann nach, der seinen Chef spüren lassen wollte, dass er nicht sehr erfreut darüber war, erst jetzt davon zu erfahren.

»Ja, ich weiß, was du jetzt denkst. Aber nach dem Telefonat bestand zunächst keinerlei Grund, irgendein Fass aufzumachen und du warst da noch im Urlaub.«

Pytlik wartete zunächst ab, Hermann holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen.

»Ich kenne dich schon viel zu lange, deswegen erzähl mir einfach alles Weitere am Stück! Ich kann mir schon vorstellen, was jetzt kommen wird.«

Pytlik hatte in der Zwischenzeit etwas über das Display seines Handys eingegeben und schien auf Antwort aus dem Internet zu warten. Nach einigen Momenten versteinerte seine Miene. Er drehte das Mobiltelefon um und zeigte Hermann das Foto eines Mannes, der mit Schnauzbart und in einer olivgrünen Feldjacke in die Kamera lächelte.

»Scheiße!«, entfuhr es Hermann, nachdem er mit dem Zeigefinger weiter nach unten gescrollt und in dem zugehörigen Steckbrief auf der Internetseite den Namen Arthur »Atze« Thon lesen konnte.

Pytlik und Hermann schauten sich an, der Hauptkommissar brach zuerst das Schweigen.

»Das kann kein Zufall sein, Cajo! Überleg mal: Wenn ich jetzt nur mal annehme, dass es hier um irgendwas in der Vergangenheit geht, in das Flößer, womöglich aus Wallenfels, verwickelt waren und ein Privatdetektiv von weit weg uns extra deswegen aufscheucht und hierher kommt, um seine Nachforschungen zu intensivieren! Und plötzlich treibt genau dieser Mensch tot in der Wilden Rodach vor dem Floß, auf dem wir einen schönen Ausflug machen! Leck mich doch am Arsch!« Hermann kniff die Augen zusammen und überlegte.

»Der Typ, der da drin liegt, ist auf jeden Fall derjenige, der hier auf dieser Webseite zu sehen ist. Zweimal wird es diesen Namen ja wohl nicht geben. Außerdem ist die Ähnlichkeit zu groß. Er ist es!«, stellte Hermann fest.

Pytlik nickte bestätigend.

»Ohne Zweifel! So eine verdammte Scheiße!«

»Erzähl weiter! Was hat er noch gesagt, als er dich angerufen hat?«

»Seine Geschichte war ein bisschen märchenhaft. Von der Flaschenpost, einem Fluch und seiner Großmutter hat er erzählt. Ich habe nebenbei noch ein paar Akten sortiert und mir zunächst alles nur mit einem halben Ohr angehört. Ich dachte wirklich, der spinnt, aber ich wollte ja nicht unhöflich sein. Als er mir aber dann davon berichtet hat, dass er bereits einige Untersuchungen angestellt und wohl herausgefunden hatte, dass es im Landkreis Kronach in der Vergangenheit einige mysteriöse Todesfälle gegeben haben soll, über die er gerne mit mir reden wollte, habe ich mich ein bisschen mehr auf das Gespräch mit ihm konzentriert. Und wenn ich jetzt, hier und heute, nachdem wir uns ja eigentlich getroffen haben, um diese Floßfahrt zu machen, genau darüber nachdenke, dann bekomme ich eine Gänsehaut.«

Hermann schaute ihn fragend an.

»Was dieser Atze Thon erzählt hat, ist eine Geschichte, die, wenn sie so stimmen sollte und wir das entsprechend nachprüfen können...«

Pytlik senkte seine Stimme und trat ganz nah an seinen Assistenten heran. Bevor er weitersprach, vergewisserte er sich, dass niemand hören konnte, was er ihm nun zuflüstern würde.

»Dann wird den Flößern das Wasser vielleicht noch weiter als bis zum Hals stehen!«

Hermann war verwirrt ob der Geheimniskrämerei seines Chefs. Er streckte die Unterarme nach vorne und drehte die Handflächen nach oben, als wollte er fragen, worum genau es nun eigentlich ging. Der Hauptkommissar schaute sich wieder um, bevor er mit einem Gesichtsausdruck, der vorab schon um Vergebung bitten sollte, Hermann ein weiteres Mal überraschte.

»Dieser Atze Thon hat mich am Donnerstagabend, also vorgestern, erneut angerufen und mir mitgeteilt, dass er soeben in Wallenfels angekommen beziehungsweise auf dem Weg dorthin war.«

Hermann schüttelte heftig den Kopf und verkniff es sich, seiner Wut freien Lauf zu lassen. Pytlik versuchte, ihn mit einer beschwichtigenden Geste und den Händen auf seinen Schultern zu beruhigen; sein Assistent ging einige Schritte im Kreis und schlug sich mit der flachen Hand ein paar Mal gegen die Stirn.

»Sag mal, geht’s noch? Und du hättest mir immer noch nichts davon erzählt?«

»Hör mir zu, Cajo! Ich wollte dir das gestern erzählen, das musst du mir glauben! Dass ich mir kurzfristig den Tag freinehmen musste, wirst du ja wohl verstehen können. Sie ist immerhin meine Schwägerin, und für meinen Bruder ist die Sache natürlich auch nicht leicht. Die Ärzte sagen aber, sie wird es überleben.«

Hermann atmete ein paarmal tief ein, dann nickte er und signalisierte Pytlik, dass er es verstanden hatte.

»Gut, lassen wir das mal so stehen! Welche Überraschungen hast du jetzt noch auf Lager? Was habt ihr denn am Donnerstag besprochen?«