Feuertaufe - Carlo Fehn - E-Book

Feuertaufe E-Book

Carlo Fehn

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Nachdem er die Pläne für den Ruhestand ad acta gelegt hat, befindet sich Hauptkommissar Pytlik in einer persönlichen Lebenskrise. Die Kollegen – allen voran Cajo Hermann – haben unter ihm zu leiden. Als Pytlik auf dem Johannisfeuer in Knellendorf ein weiteres Mal unangenehm auffällt und mit einem Einheimischen aneinandergerät, endet der zunächst feuchtfröhliche Abend in einem Fiasko – und für den Hauptkommissar in der Frankenwaldklinik! Schlimmer noch: Fast parallel kommt es nur wenige hundert Meter weiter zu einem Brand mit einem Todesopfer. Da er Verdacht schöpft, es könnte ein Verbrechen vorliegen, übernimmt Cajo Hermann die Ermittlungen in einem Fall, in dem der Assistent mit einem lädierten und uneinsichtigen Hauptkommissar Pytlik im Nacken und an seiner Seite seine Bewährungsprobe bestehen muss.

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Carlo Fehn

Feuertaufe

Nachdem er die Pläne für den Ruhestand ad acta gelegt hat, befindet sich Hauptkommissar Pytlik in einer persönlichen Lebenskrise. Die Kollegen – allen voran Cajo Hermann – haben unter ihm zu leiden. Als Pytlik auf dem Johannisfeuer in Knellendorf ein weiteres Mal unangenehm auffällt und mit einem Einheimischen aneinandergerät, endet der zunächst feuchtfröhliche Abend in einem Fiasko – und für den Hauptkommissar in der Frankenwaldklinik! Schlimmer noch: Fast parallel kommt es nur wenige hundert Meter weiter zu einem Brand mit einem Todesopfer. Da erVerdacht schöpft, es könnte ein Verbrechen vorliegen, übernimmt Cajo Hermann die Ermittlungen in einem Fall, in dem der Assistent mit einem lädierten und uneinsichtigen HauptkommissarPytlik im Nacken und an seiner Seite seine Bewährungsprobe bestehen muss.

Feuertaufe - Hauptkommissar Pytliks 16. Fall

Carlo Fehn

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Copyright: © 2023 Verlag Carlo Fehn

ISBN 978-3-758431-23-4

Freitag, 26. Juni 2015

Die Uhr zeigte gerade einmal kurz nach halb neun an diesem wolkenlosen Sommerabend, der mit erträglichen Temperaturen zum Johannisfeuer nach Knellendorf eingeladen hatte.

Hermann sah mit Besorgnis, dass sein Chef schon wieder auf dem besten Weg war, die Kontrolle über sich zu verlieren. Etwas mehr als ein halbes Jahr war es nun her, dass Hauptkommissar Franz Pytlik von seiner Lebensgefährtin verlassen worden war und sich seitdem nach Meinung seines Assistenten merklich verändert hatte.

»Tu mir bitte einen Gefallen!«, musste Cajo Hermann nicht einmal sonderlich vorsichtig mit ihm reden oder gar flüstern, da auf der Festwiese ein reges Treiben herrschte und die gute und ausgelassene Stimmung für einen ordentlichen Lärmpegel sorgte.

»Übertreibs heute nicht wieder so maßlos! Ich habe mich nicht angeboten zu fahren, damit ich wieder allergrößte Mühe haben werde, dich irgendwie nach Hause zu bringen.«

Hermanns Blick war ernst und ermahnend, doch gegenüber auf der Bierbank sah er in zwei Augen eines Mannes, der ihm mit einem schmallippigen Lächeln in väterlicher Manier antwortete, nachdem er noch einen kräftigen Schluck aus dem Glaskrug genommen und das Gefäß anschließend unwirsch auf dem Tisch abgestellt hatte.

»Lass mich, Cajo! Du verstehst das nicht und wirst es nie verstehen! Ich habe es dir doch erzählt: Zwei Jahre...«

Pytlik streckte Hermann Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand entgegen und wiederholte dann:

»Zwei Jahre hat die mich komplett verarscht! Ja, ja, ich weiß! Ich kann es nicht beweisen! Ich bilde mir was ein! Vielleicht stimmt es ja tatsächlich, dass sie nur sauer war, dass ich dann doch nicht den Mut hatte, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen und alles nur Honig um ihren Mund geschmiert war nach dem geklärten Fall in Steinbach im letzten Jahr!«

Plötzlich hob Pytlik das Bierglas mit einem schnellen Griff einige Zentimeter an, um es anschließend mit Wucht wieder auf die Oberfläche des Biertisches zu hauen, so dass von dem wenigen Inhalt, der sich noch darin befand, ein Teil herausschwappte. Seinem zornigen Blick folgten in kurzer Abfolge einige Flüche und Anschuldigungen, die auch den anderen Besuchern nun nicht mehr entgingen.

Als der Hauptkommissar einem Mann um die fünfzig androhte, mit ihm »auch gerne mal ums Eck« zu gehen, falls der ein Problem mit ihm hätte und einer älteren Dame, deren Blick ihm wohl nicht gefallen hatte, lauthals mitteilte, dass sie ihn nicht so »saublöd anglotzen« sollte, da er sich ansonsten noch in sie verlieben könnte, riss auch bei Hermann der Geduldsfaden. Unauffällig, aber mit Wirkung, knallte er die flache Hand nah vor Pytliks Oberkörper auf den Tisch und fixierte ihn mit großen Augen.

»Reiß dich jetzt zusammen! Zum letzten Mal! Sonst kannst du schauen, wie du heute nach Hause kommst! Ich möchte wenigstens noch das Feuer sehen, wenn ich schon sonst keinen Spaß mehr mit dir haben kann! Verdammt noch mal!«

Hermann hatte mit seinem Chef schon viele unterhaltsame, lustige, auch mal ausufernde und anstrengende Abende und Nächte verbracht. Allen gemein war immer gewesen, dass es zwischen den beiden nie zu Auseinandersetzungen gekommen war. In den letzten Wochen und Monaten hatte sich das aber geändert; nicht selten hatte Pytliks Assistent seinen Chef auch im engsten Kreis der Kollegen als »Kotzbrocken« bezeichnet. Er wusste, dass der Hauptkommissar litt. Allerdings wäre es – Hermann hasste sich selbst wegen dieses Gedankens – wohl kein Verlust, würde sein Chef seine aktive Berufslaufbahn jetzt beenden. Nun konnte er allerdings erst einmal durchatmen.

An den Tisch zurück kamen Justus Büttner, Leiter der Kronacher Schutzpolizei und langjähriger Wegbegleiter Pytliks und Hermanns, sowie Karl Förster, der von allen Kollegen in der Dienststelle am Kaulanger die längste Amtszeit vorzuweisen hatte und vor wenigen Tagen in den Ruhestand gegangen war.

»So, Vorsichd moll bidde!«, rief Justus Büttner mit brummiger und durchdringender, tiefer Stimme und einem breiten Grinsen im Gesicht, als er zwei große Teller aus Pappkarton zwischen Pytlik und Hermann auf den Tisch stellte. Förster tat es seinem ehemaligen Vorgesetzten gleich und brüllte:

»Achtung, Nachschub!«

Die drei Maß Bier flogen förmlich auf die Garnitur, der Schaum wippte einladend in alle Richtungen. Hermann stellte der weißhaarige und etwas untersetzte Förster das gewünschte Radler vor die Nase.

»Strohhalme waren aus, Cajo!«, lachte er und gab dem Jüngsten am Tisch einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.

»Schmeckt auch ohne, Karli«, bedankte sich Hermann und schaute parallel zu Pytlik, der ihn aber keines Blickes würdigte und stattdessen eine der Semmeln mit einem Paar Bratwürste nahm und herzhaft hineinbiss.

»Also dann, Karli: auf dich! Herzlichen Dank für die Einladung und alles Gute für deine Zukunft!«, ließ es sich Hermann nicht nehmen, den Spender von Speis und Trank wenigstens entsprechend zu würdigen. Auch Büttner nickte zustimmend und ließ mit kräftig Senf in den Mundwinkeln ein bäriges »Danggschö, Karli!« folgen. Mittlerweile war es kurz vor neun.

***

Eine Dreiviertelstunde später schien der Ärger, der sich zwischen Pytlik und Hermann angebahnt hatte, verflogen zu sein. Die vier Männer unterhielten sich angeregt, Büttner und Förster erzählten Anekdoten und gaben Geschichten aus fast drei Jahrzehnten gemeinsamer Zeit zum Besten, und die Köstlichkeiten vom Grill sowie das frische Fassbier taten das Übrige zu einem feuchtfröhlichen Abend, dessen Dämmerung nun immer weiter fortschritt. Hermann konnte sehen, dass sich eine kleine Gruppe junger Männer bereits in der Nähe des hoch aufgetürmten Holzhaufens aufhielt. Man gestikulierte und besprach sich. Einer brachte Fackeln, sein Begleiter hatte zwei Kanister in den Händen.

Hermann sah im Augenwinkel, dass sein Chef trotz der vermeintlichen Ruhe innerlich aufgewühlt und mit sich beschäftigt war. Er stupste ihn leicht an und deutete in Richtung des Feuerplatzes.

»Jetzt fangen sie bald an. Siehst du?«

Pytliks Reaktion war freundlich, aber nicht ehrlich. Hermann wusste, dass er schon wieder zu viel getrunken hatte; die Bratwürste und Steaks, die er dazu gegessen hatte, würden den Alkohol nicht kompensieren können. Er hoffte, dass der Abend nicht noch zum Fiasko werden würde.

***

Um 22 Uhr brannte das Johannisfeuer in Knellendorf lichterloh. Der sanft über die Dorfwiese wehende Wind wirbelte die Funken wie eine große Armee kleiner Glühwürmchen in den Nachthimmel des Kronacher Stadtteils.

Die ersten Jugendlichen hatten damit begonnen, weitere Bierbänke aufzustellen und in ausreichender Entfernung um das Feuer herum zu platzieren. Auch am Tisch der Polizisten waren die Blicke nun in den lodernden Haufen gerichtet, der vorher wie eine spitze Pyramide modelliert gewesen war und dessen Skelett mit jeder weiteren Minute der Feuersbrunst mehr und mehr zum Vorschein kam.

Nicht mehr lange, dachte Hermann, und die gebrechlichen Balken und Äste würden den Kampf verloren haben und in sich zusammenfallen. Er konnte seinen Kollegen Büttner und Karl Förster richtig ansehen, dass es ihnen gerade guttat, für ein paar Minuten dem Disput mit dem lamentierenden Pytlik entkommen zu sein.

Auch Hermann selbst fühlte in diesem Moment etwas Angenehmes. Er schaute ins Feuer, dessen Hitze sich langsam immer mehr ausbreitete und die während des Abends abgekühlte Luft nun wieder ordentlich erhitzte. Er blickte sich um. Viele fröhliche Menschen konnte er sehen, viele gut gelaunte Paare und Familien! Junge Menschen, die das erste Mal Alkohol tranken, das erste Mal die vermeintlich große Liebe ihres Lebens eng umschlungen küssten und die Welt um sich herum vergaßen. Aber er sah auch die Alten, die Spaß hatten mit den Jungen, die ihre weinenden Enkel mit Routine beruhigten und für die überforderten Eltern nur ein Kopfschütteln übrighatten.

Und ich? Wo gehöre ich eigentlich hin? Ist das hier der Platz, den das Leben für mich vorgesehen hat? Reservierung für Carl Joseph Hermann: Polizeidienststelle am Kaulanger in Kronach! Geschätzte Restparkdauer etwa 15 Jahre!

Hermann überlegte plötzlich, wie der Abend wohl weitergehen würde. Um Karl, den »Karli«, wie alle den Neuruheständler immer nannten, musste er sich keine Gedanken machen. Er wohnte einen Steinwurf entfernt. Auch seine Schwiegertochter und der Sohn mit deren Kindern hatten sich schon kurz vorgestellt und würden den Opa dann sicherlich mit nach Hause nehmen.

So ein Leben wie der Karli? Hm! Quadratisch, praktisch, gut! Rechtschaffen! Haus gebaut, Familie gegründet, Kinder, Enkel! Jetzt Ruhestand, gesund! Hm! Sollte so auch das Leben des Carl Joseph aussehen? Hm! Vielleicht ja! Egal, eh zu spät!

Dann drehte er den Kopf leicht nach links und sah Büttner gegenüber mit breitem Grinsen das Feuer beobachten.

Er nahm einen kräftigen Schluck aus dem Glaskrug, nachdem er mit Karl Förster und Pytlik angestoßen hatte.

»Brost, Leud! Is duch a schöss Fest, odder!«

Karli nickte und ließ die Gläser nochmal krachen.

Büttner, dachte Hermann dann weiter.

Auch einer, der mit seinem Leben bestimmt nicht unzufrieden ist. Macht seinen Job hervorragend, ist beliebt, kommt mit seiner kauzigen Art und seiner bärenhaften Gestalt überall gut an! Familie ist versorgt, Kinder und Enkel wohlgeraten, die paar Jahre, die er noch Dienst machen muss, kriegt er auch noch rum! Gut, seinen Bauch und die Blutwerte möchte ich nun nicht haben. Aber ist es dieses Andere, wonach ich mich sehne? Glück? Familienglück? Glückseligkeit? Oder würde mir das alles nur tierisch auf den Sack gehen? Mit wem war ich denn schon glücklich? Mit meinem Job? Mit Franz Pytlik? Wo stehe ich jetzt, mit fast 50?

Er schaute kurz zu seinem Chef, der schon einen deutlich angeschlagenen Eindruck machte. Dass er sich schon minutenlang nicht mehr zu Wort gemeldet hatte, konnte nichts Gutes heißen. Hermann dachte an die Frauen, mit denen er in der Vergangenheit zusammen gewesen war. Plötzlich kam ihm ein sanftes Lächeln über die Lippen.

Die Bernadette, ja, die wäre wohl eine gewesen, mit der es hätte funktionieren können. Was die heute wohl macht?

»Ich brauch noch was gegen meinen Hunger«, sagte er dann spontan und stand auf. Als er das rechte Bein nach hinten über die Bank schwenkte, stieß er mit seinem Knie an die Tischkante. Pytliks Krug wackelte bedenklich.

»Pass doch auf! Verdammt!«, ging der ihn harsch an. Hermann ließ es unkommentiert. Büttner und Förster taten unbeteiligt, ihre besorgten Blicke waren Hermann aber nicht entgangen.

»Also, möchte noch jemand was haben? Die Runde geht auf mich.«

Pytlik hätte in diesem Moment die Einladung wohl selbst dann nicht angenommen, hätte er kurz vor dem Hungertod gestanden. Die beiden anderen Kollegen machten entsprechende Handbewegungen und deuteten auf ihre Bäuche. Hermann hob kurz die Schultern und ging los.

Auf dem Weg zum Bratwurststand überlegte er angestrengt, ob es nicht besser wäre, seinen Chef einzupacken und nach Hause zu fahren. Er wusste, dass er damit zwar kurzfristig für mächtig Ärger sorgen würde und sich wieder würde anhören müssen, dass man mit ihm ja nicht einmal auf ein Bier irgendwohin gehen und ein bisschen Spaß haben könnte; dass er seine Situation anscheinend ja gar nicht verstehe. Und überhaupt: Wie könne er nur ständig sagen, dass er Franziska endlich vergessen solle? Sie hätte ihn halt einfach verarscht und sei nicht ehrlich gewesen!

Lieber ein Ende mit Stress, als Stress ohne Ende!

Er hatte den Entschluss gefasst, als er sich am Ende der Schlange vor dem Bratwurststand anstellte: Nach dem Essen würde er seinen Chef ansprechen und hoffte auf dessen Verständnis und Einsicht.

Von hier aus hatte man noch einmal einen anderen, schöneren Blick auf das Feuer, und Hermann beschloss, alle Gedanke über sein Leben und das Leben der Anderen für den Moment und heute wegzuschieben. Er freute sich auf ein Paar Bratwürste vom Rost, der typische Duft lag in der Luft und wehte ihm bereits seit Minuten in die Nase.

Bald war er dran, und die Vorfreude in ihm war groß wie bei einem kleinen Jungen, der die Zuckerwatte auf dem Schützenfest immer größer werden sah und dem die Augen schon übergingen. Er hätte in diesem Moment nicht gewagt, daran zu denken, dass ihm die Gaumenfreude nicht gegönnt sein sollte.

»So, der Näggsde bidde! Woss mougsdn?«, wollte der urige Alteingesessene mit der weißen Metzgerschürze um seinen wohlgeformten Körper wissen. Sein knallrotes Gesicht, das von seinem dunklen Vollbart fast vollständig verdeckt war, spiegelte das Feuer teilweise wider und Hermann wünschte sich, diesem Typen nicht bei Nacht zu begegnen.

»Ein Paar bitte!«, äußerte er seinen Wunsch und musste reflexartig neben sich auf den Tresen schauen, wo ein Besucher, der vor ihm von einer jungen Frau bereits bedient worden war, Mühe hatte, seine in Alufolie eingepackte Bestellung, den Autoschlüssel und das untypisch große und vermutlich einer Frau gehörende, rote Armani-Portemonnaie in seine beiden Hände zu nehmen. Hermann überlegte, ob er den sportlichen Mann, ein paar Jahre jünger als er – vielleicht Mitte vierzig –, kannte. Natürlich war sein kriminalistischer Instinkt gleich geweckt und er malte sich aus, wie die Frau des Kurzhaarigen mit leicht rötlichem Stich zuhause schon wartete, weil sie nach dem tollen Sex vor einer halben Stunde und der angenehmen Dusche danach jetzt erst recht ausgehungert war und sich auf das frische Fleisch freute. Oder war es das verspätete Abendessen für die Kinder, das der überbeschäftigte Manager mit nach Hause brachte, weil seine Frau es wieder nicht geschafft hatte, etwas Anständiges zu kochen?

»So, biddschön der Herr! Zwaa fuchzich macht‘s!«

Fast hätte Hermann wegen seiner spontanen Fantasien seine Bratwürste vergessen. Er legte drei Euro in die Schale und bedankte sich mit einem Lächeln.

»Passt so!«

Als er dann die Semmel, die er in der linken Hand hielt, noch einmal aufklappte und mit der anderen Hand bereits den langen Hebel des Senfspenders leicht nach unten gedrückt hatte, brach wie aus heiterem Himmel das Chaos aus.

Die Sirene des örtlichen Feuerwehrhauses, das nicht weit entfernt war, ertönte mit dem langgezogenen und immer lauter werdenden Alarmton. Ebenso war fast gleichzeitig weiter vorne, ungefähr da, wo Hermann mit seinen Kollegen gesessen hatte, plötzlich heller Aufruhr entstanden und wildes Geschrei war zu hören. Er meinte sehen zu können, dass bereits ein Handgemenge begonnen hatte.

»Do dengd wuhl aaner, es brennd und hodd die Feuerwehr ogerufn! Hahaha!«, schrie dann noch einer, der weiter hinten in der Bratwurstschlange stand und dachte, mit seinem hinterhergebrüllten Lachen einen Volltreffer gelandet zu haben.

Ach du Scheiße, der wird doch nicht tatsächlich…

***

Es war kurz nach 23 Uhr. Hermann sprach noch einmal mit einem der Sanitäter und erkundigte sich, wie schwer die Verletzungen waren, die Pytlik davongetragen hatte. Dass er selbst mit einer blutigen Nase auf dem Gehweg der Zufahrtsstraße stand, war ihm nicht so wichtig. Zu tief stand auch ihm noch der Schock ins Gesicht geschrieben über das, was passiert war.

»Sieht wohl schlimmer aus, als es ist!«, klärte der junge Mann ihn auf und wirkte dabei unaufgeregt.

»Lassen Sie sich von dem vielen Blut nicht verrückt machen! Die Platzwunde über dem Auge war schon groß. Ein Maßkrug, oder?«

Justus Büttner, der mit Karl Förster und einigen der Kollegen, die aufgrund des Vorfalls gerufen worden waren, ebenfalls am Rettungswagen stand, nickte ungläubig und bestätigte die Ursache für Pytliks dicken Verband um Kopf und Auge. Der Leiter der Schutzpolizei schien äußerlich unversehrt, war aber dennoch sichtlich benommen von dem, was geschehen war. Einer nach dem Anderen lugte noch einmal durch die geschlossenen Hecktüren in das Innere des Sankas, der zum Abtransport bereit war.

»Ich denke, dass er wohl auch mindestens eine leichte bis mittlere Gehirnerschütterung haben wird, ansonsten konnten wir jetzt äußerlich nichts feststellen. Das wird man im Krankenhaus aber noch mal checken. Machen Sie sich keine Sorgen!«, berichtete einer der Rettungsassistenten.

Hermann nickte nicht überzeugend, ihm blieb aber nichts Anderes übrig, als auf die Einschätzung zu vertrauen. Wenige Augenblicke später fuhr der Kastenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht davon.

Hermann, Büttner und Karl Förster gingen zurück zur Dorfwiese, nachdem sie sich bei den Kollegen noch einmal vergewissert hatten, dass alles unter Kontrolle war.

Das Johannisfeuer brannte immer noch. Gut eine Dreiviertelstunde nach einer kurzen und wilden Schlägerei zwischen Hauptkommissar Pytlik und einem Einheimischen schien alles bereits wieder vergessen zu sein. Es lag aber wohl auch daran, dass in Knellendorf plötzlich ein ganz anderer Schauplatz das Interesse gewonnen hatte und sich die Reihen um die mittlerweile deutlich kleinere Feuerstelle merklich gelichtet hatten.

»Ich brauche jetzt irgendwas Starkes!«, sagte Hermann trotzig und auch wütend über das Geschehene. Wenig später lehnten er und Justus Büttner an einem Cocktailtisch, auf dem eine Flasche Kräuterlikör und zwei volle Schnapsgläser standen. Sie sahen, wie sich Karl Förster von zwei Personen verabschiedete und sich dann wieder zu den beiden Kronacher Polizisten gesellte.

»Dringsd ach ann, Karli? Greuterligör! Der hilft jeddsd!«

Förster wiegelte ab und seine Miene war ernst. Aber bevor er erzählen konnte, ergriff zunächst Hermann das Wort.

»So, und jetzt nochmal langsam für den kleinen Cajo, alles zum Mitschreiben: Was genau ist in den wenigen Minuten, die ich dann weg war, um mir ein Paar Bratwürste zu holen, genau passiert? Ist ja nicht so, dass ich nicht bereits vermutet hatte, dass er noch Stress machen würde. Aber was? Was genau?«

Hermann kippte den Likör hinunter, schenkte sich nach und schaute die beiden Anderen erwartungsvoll an. Förster erzählte, nachdem er zunächst ein paarmal den Kopf geschüttelt hatte.

»Ich hätte nicht gedacht, dass ihn die Sache mit seiner Franziska so mitnimmt – ehrlich! Ich war mir wirklich sicher, dass es eine gute Idee ist, euch heute einzuladen und sozusagen noch mal unter uns meinen Ausstand zu feiern, im engsten Kreis. Und dass ihn das vielleicht ein bisschen ablenken würde. Es tut mir echt leid!«

Hermann legte Karl Förster, der sichtlich mitgenommen war, kurz eine Hand auf die Schulter.

»Mach dir keine Vorwürfe, Karli! Wir sind gerne gekommen und es war ja auch wirklich schön, bis…«

Förster nickte und fuhr fort. Justus Büttner schenkte sich ebenfalls nach und hörte andächtig zu.

»Ja, bis der Franz die Lotte – die ist aus dem Dorf, Lotte Betz heißt die – gefragt hat, ob sie eine Zigarette für ihn hätte. Als sie das verneint hat, hat sich der Franz wieder zu uns gedreht, aber dummerweise laut und deutlich ›blöde Kuh‹ gesagt.«

Karl Förster schaute kurz zu Büttner, der die Schilderung bestätigte.

»Laut und deutlich, Cajo! Der wollte Ärger haben, der Franz! Dem war alles egal!«

Hermann schüttelte verzweifelt den Kopf, dann trank er das nächste Glas leer und füllte gleich wieder auf.

»Weiter, Karli!«, bat er Förster.

»Naja, dann kam, was kommen musste. Der Mann von der Lotte ist halt kein Kind von Traurigkeit und ich weiß nicht, ob der anders reagiert hätte, wenn der gewusst hätte, dass der Franz der Hauptkommissar Pytlik ist. Der Dieter ist schon seit vielen Jahren auf Montage, wenn du verstehst. Der sieht seine Frau nur selten. Das ist wie ein Fernfahrerleben. Der hat Druck in jeder Hinsicht. Dann gab’s immer wieder mal Gerüchte um sie, um ihn! Also ein Pulverfass – und eines mit mächtig Dampf in den Armen!«

Hermann schüttelte permanent den Kopf.

»Um es kurz zu machen!«, berichtete Förster weiter.

»Der Dieter hat den Franz gleich angeherrscht und verlangt, dass er sich bei seiner Lotte entschuldigt und ihr noch einen Sekt holt. Der Franz hat ihn nur angelächelt und ihn gefragt, ob er – also der Dieter – vielleicht Zigaretten hätte. Der hat dann gesagt: ›Ja, aber nicht für dich! Und jetzt mach! Entschuldigen und Sekt holen! Aber dalli!‹«

Hermann bereitete sich innerlich darauf vor, jetzt nicht lachen zu müssen, nachdem er Förster gefragt hatte, was dann passierte. Büttner nahm die Hand vor den Mund.

»Der Franz hat dann nur gesagt: ›Und zu der blöden Kuh passt so einer dummer Ochse wie du wie die Faust aufs Auge!‹«

Hermann drehte sich etwas zur Seite, legte den Kopf auf den Oberkörper und konnte sich dann nicht mehr zurückhalten. Auch Justus Büttner schossen Tränen in die Augen und er versuchte, das Lachen nach Möglichkeit zu unterdrücken. Karl Förster stand da wie ein begossener Pudel, und nachdem Hermann sich entschuldigt hatte, konnte auch der Karli sein Schmunzeln nicht mehr verbergen. Er wirkte jetzt für einige Momente etwas gelöster.

»Naja, das mit dem Maßkrug aufs Auge war dann ja wohl ein Eigentor für den Franz! Erst hat der Dieter ihn über die beiden Tische hinweg am Kragen gepackt und zu sich herangezogen. Als euer werter Chef dann zum ersten Faustschlag ausgeholt hat, traf ihn auch schon mit ziemlicher Wucht die Maß am Kopf.«

Büttner schaltete sich nun noch ein.

»Dann konnster ja vorstell: Der Dieder und sei Sibbschaft gecher uns! Aweng gerangelt, geschubbst, mir homm brobierd zu besenfdichn! Der Franz woa hinüber, hodd omm Boden gelechn und gebludd wie sau und dann – dess woa dess verdammde Glügg – is die Sirehn luhsganga!«

»Ja, wirklich Glück!«, machte Karl Förster weiter.

»Hier ist ja fast jeder in der Feuerwehr. Kaum, dass der Alarm zu hören war, haben die sofort alles stehen und liegen gelassen, auch uns! Dich haben sie ja auch über den Haufen gerannt, kannst du mal sehen!«

Hermann fasste sich an die Nase.

»Ja, aber leider kam ich zu spät!«

»Du häddsd es nedd vohinner könna, Cajo! Glaabs mir!«, beraubte Büttner seinen Kollegen jeglicher Illusion, dass er bei Anwesenheit Pytliks Aktion verhindert hätte. Jetzt schenkte sich auch Förster in Büttners Glas einen Likör ein und trank ihn mit einem Zug aus. Hermann schüttelte erneut den Kopf, dann hatte er noch Fragen.

»Gut! Und dann volles Programm mit 110 und 112! Ist wieder eine ganz tolle Geschichte, die man sich da erzählen wird! Aber was war denn nun mit dem Feueralarm? Was ist denn genau passiert?«, wollte Hermann wissen und Försters Gesichtsausdruck wurde wieder ernst.

Nachdem er noch einmal kurz den Kopf geschüttelt hatte, erzählte er, was er bereits wusste.

»Es ist ja der absolute Wahnsinn! Ich weiß nicht, wann es in Knellendorf überhaupt das letzte Mal gebrannt hat. Und dann hast du einmal im Jahr das Johannisfeuer und genau an diesem Abend fliegt hier auch noch ein Haus in die Luft. Unglaublich!«

Hermann machte große Augen und konnte nicht glauben, was er da hörte. Kurz schaute er zu Büttner, von dem er wusste, dass er von seinem Stellvertreter, der vor Ort an der Brandstelle war, auch schon informiert worden war. Justus Büttner legte die Stirn in Falten und kniff die Augen zusammen, sein Gesichtsausdruck verriet Hermann, dass Karl Förster mit seiner Schilderung wohl etwas übertrieb.

»Haus in die Luft geflogen?«, tat Hermann dennoch verwundert und wollte mehr wissen.

»Das ist hier gleich ein paar Straßen weiter hoch, das letzte Haus vor dem Waldrand«, erklärte Förster und zeigte mit ausgestrecktem Arm in nördliche Richtung.

»Also der Sepp, mein Freund und Nachbar, dessen Sohn ist auch bei der Feuerwehr; fast alle Männer hier im Ort sind bei der Feuerwehr, wie gesagt. Und der war vorhin ja auch noch hier auf dem Fest. Und als die Sirene losging, war der Hannes, also der Sohn vom Sepp, als einer der ersten vor Ort. Mittlerweile haben die Jungs den Brand wohl unter Kontrolle und der Hannes hat den Sepp schon angerufen und ihm einiges erzählt.«

Hermann und Büttner wünschten sich, dass Karl Förster etwas schneller auf den Punkt kommen und nicht zu langatmig erzählen würde. Ihr ehemaliger Kollege schien das zu bemerken und fasste sich nun etwas kürzer.

»Also, ist ja auch egal! Jedenfalls hat das Haus, in dem es kurz nach dem Eintreffen der Feuerwehr wohl zwei oder drei Explosionen gegeben haben soll, keine direkten Nachbarhäuser, weshalb auch niemand genau sagen kann, wann der Brand letztendlich ausgebrochen ist.«

»Und wie schlimm ist es?«, wollte Hermann wissen.

»Also der Hannes, eben der Sohn vom Sepp, hat wohl erzählt, dass die eine Seite des Hauses eine Art Nebengebäude ist, das die Dana Fischer für ihre künstlerischen Tätigkeiten genutzt hat. Und das muss wohl im Vollbrand gestanden haben, hat der Sepp mir erzählt. Möglicherweise – aber das weiß ich nicht genau – konnte das Übergreifen auf das Haupthaus gerade noch rechtzeitig verhindert werden. Ist ja ein riesiges Haus, das Haus von der Dana Fischer!«

»Dana Fischer!«, grübelte Hermann und überlegte, ob er mit dem Namen etwas anfangen konnte. Büttner half ihm.

»Fischer Sanitärgroßhandel, im Industriegebiet!«

»Okay!«, nickte Hermann, der nun Bescheid wusste.

»Sie ist die Chefin?«, wollte er nur noch so nebenbei wissen.

»Sie steckt irgendwie mit drin, nachdem ihr Vater vor ein paar Jahren gestorben ist. Ist so lange noch gar nicht her«, wusste Karl Förster.

»Aber ich glaube, dass ihre Tochter das Geschäftliche macht und der Mann von der Dana, der Thomas.«

»Naja, auch egal jetzt!«, winkte Hermann ab.

»Und diese Frau Fischer hat den Brand gemeldet?«, fragte er nach. Karl Förster hob einmal kurz die Schultern und verzog die Mundwinkel.

»Das weiß ich nicht, aber ich muss dann eh nochmal zum Sepp, und da werde ich auf jeden Fall nochmal nachfragen, ob er schon was Neues weiß. Aber das ist jetzt schon schade! Die ganzen Leute sind natürlich dahingerannt, sensationsgierig wie sie sind, um sich lieber anzuschauen, wie die Feuerwehr ein Haus löscht, anstatt hierzubleiben. Naja, irgendwie schon eine ganz verrückte Situation: hier brennt‘s und da unten brennt‘s auch!«

Karl Förster wirkte müde. Er schenkte die beiden Gläser noch einmal voll und verabschiedete sich dann.

»Trinkt noch einen Likör auf den Schrecken! Ich werde versuchen, noch etwas herauszufinden.«

Hermann und Büttner schauten Karl Förster noch kurz hinterher, dann nahm jeder von ihnen sein Glas in die Hand, und nachdem sie mit säuerlicher Miene auf den unvergesslichen Abend angestoßen hatten, kippten sie den Inhalt in ihren Mund. Hermann schenkte gleich noch einmal ein.

»Bissd du nedd middm Audo do?«, war Büttner skeptisch.

»Ja! Aber scheiß drauf! Nach so einem verkackten Abend ruf ich mir halt ein Taxi. Ist mir jetzt auch egal!«, war in Hermanns Stimme eine Mischung aus Wut und Verzweiflung zu hören.

»Und was ist mit dir? Wer holt dich ab?«, wollte er von Büttner wissen.

»Eichendlich hodd mei Fraa gsochd, dess ich sa oruhf söll und sie dääd mich huhln, obber jeddsd, wu eh scho unner ganza Monnschafd do is, werd sich duch jemond finna, der mich haamfährd, nooch Staabich.«

Hermann konnte es nicht fassen.

»Spinnst du? Und überhaupt: Warum stehst du eigentlich hier und trinkst einen Schnaps nach dem andern, während deine Kollegen vorne an der Brandstelle sind?«

Büttner zog selbstgefällig die Mundwinkel nach oben, stützte beide Ellenbogen auf den Cocktailtisch, öffnete seinen Mund und goss die nächste Füllung Kräuterlikör hinein.

»Ich hobb heud Urlaub, mei Lieber! Außerdem hodd der Schneider alles im Griff und der söll ruich ach moll zeich, desser a guder Stellvodreder is. Mir mussten unners ja schließlich um unner Sorchenkind kümmer.«

Dann machte Büttner zunächst eine Pause, bevor er noch etwas ergänzte.

»Ich hobb vor zea Minudn nuchmoll middm Schneider delefoniert.«

»Und, was sagt er?«, war Hermann neugierig.

»Es scheind zu stimma, woss der Karli gsochd hodd, dess die Feuerwehr de Brond jeddsd einichermoßen under Kondrolle hodd. Der Schneider maand obber, do wär woss komisch gewesen und alla boa Minudn häddswieder irchendwu gebrennd. Froch mich nedd, keine Ahnung!«

Hermann schüttelte den Kopf und auch er machte sich das Glas noch einmal voll.

»Also, wenn du mich fragst: Ich hatte schon irgendwie so ein komisches Gefühl im Magen. In erster Linie natürlich wegen Franz! Wenn der nicht bald damit aufhört, sich im Selbstmitleid zu suhlen, wird das noch ein böses Ende mit ihm nehmen.«

»Ich hobbs ihm duch a gsochdd, Cajo! Obber der is im Momend einfoch a emoddsionales Fragg, glaab ich. Ich denk, des Bessda is wuhl, wemmer den einfoch in Ruh lässd und dann…«

»Und dann?«, ging Hermann – jetzt leicht aufgebracht – dazwischen und schaute Büttner eindringlich an.

»Soll ich dir sagen, was dann?«

Büttner starrte ihn an, und jetzt merkte man auch dem hünenhaften Leiter der Schutzpolizei an, dass der Alkoholkonsum der letzten Stunden nicht spurlos an ihm vorbeigegangen war.

»Also, woss?«

Hermann trank das Glas leer, schaute um sich und dann zum Johannisfeuer, um das herum immer noch vereinzelte Leute saßen, die nicht daran interessiert waren, sich ein abgebranntes Haus anzuschauen.

»Und dann wird er irgendwann entweder besoffen nachts um eins vor ein Auto laufen oder mal früh im Dienst, wenn er noch nicht wieder ganz nüchtern ist, bei einer Routinekontrolle in irgendeiner Wohnung seine Pistole zücken und irgendeinen Unschuldigen erschießen. Wir müssen da jetzt wirklich ein bisschen aufpassen. Und ich denke, dass das heute für ihn ein deutlicher Schuss vor den Bug gewesen sein muss und ich ihm morgen auch entsprechend einmal die Leviten lesen werde.«

Büttner klopfte dreimal mit dem Schnapsglas auf den Tisch.

»Jawoll, Cajo! Dess maggsda! Und wennda middm Franz nedd zurechdkümmst, dann sogsdmer einfoch Boscheid, dann kumm ich vorbei und nehm na nei die Mangel!«

Während Büttner dem Gesagten ein freudetrunkenes Lächeln folgen ließ, schlug Hermann die Hände über dem Kopf zusammen und wünschte sich, bereits zuhause in seinem Bett zu liegen. Die kurze Stille danach wurde vom Klingeln eines Mobiltelefons beendet. Nachdem Büttner einmal kräftig aufgestoßen hatte, griff er mit seiner rechten Hand nach hinten und holte aus der Hosentasche sein Handy hervor. Nach einem kurzen prüfenden Blick auf das Display stellte er trocken fest:

»Schneider! Vielleichd Neuichkeidn!«

Hermann spürte die Wirkung des Alkohols und als er mit Daumen und Zeigefinger das Schnapsglas unterhalb der Mündung fasste, um es ein weiteres Mal zu leeren, nahm er ein Gefühl in sich wahr, das er nur allzu gut kannte. Es war dieser Instinkt, der sich in den vielen Jahren der Zusammenarbeit mit seinem Chef Franz Pytlik zu einem verlässlichen Warnsystem entwickelt hatte.

Obwohl Justus Büttner ebenso schon längst nicht mehr nüchtern war, sah Hermann, dass er dem, was Egon Schneider ihm gerade am Telefon berichtete, mit angestrengtem Gesichtsausdruck, Sorgenfalten auf der Stirn und bedächtigem Nicken folgte. Für Pytliks Assistenten war dies ein untrügliches Zeichen, dass der Leiter der Schutzpolizei nach Beendigung des Telefonats ihm etwas mitteilen könnte, das ihm womöglich nicht gefallen würde.

»Also, Egon, nur nuchmoll, ümm sicher zu senn: Dess is absolud sicher? Also, ich maan dess midder Idendidäd vo derrer Berson?«, hakte Büttner bei seinem Stellvertreter nach.

In der kurzen Pause nach Büttners Frage nahm Hermann um sich herum eine komische Stille wahr. Büttner schaute zu ihm und er blickte in die Augen seines Kollegen. Ein letztes Nicken Büttners, dann nahm er das Handy vom Ohr, tippte einmal auf das Display und legte es auf den Tisch.

»Was ist los?«, wollte Hermann wissen, der das Glas mit dem Kräuterlikör vor seinem Oberkörper hielt.

»Stell den Schnabs wech, Cajo!«, antwortete Büttner mit ruhiger Stimme und sofort war der Hüne wie ausgewechselt. Während Hermann tat, was ihm befohlen wurde, hörte er den Satz, den er wohl am meisten hasste.

»Mir homm a Leich!«

***

Fünf Minuten nachdem sie den Festplatz neben dem Knellendorfer Sportheim verlassen hatten, konnten Hermann und Büttner am Ende der Sackgasse im nördlichen Teil der Ortschaft die Blaulichter einiger Feuerwehrautos, einen Rettungswagen sowie das Fahrzeug des Notarztes sehen. So, wie Karl Förster es beschrieben hatte, befand sich das Anwesen mit dem großen Haus, das von mobilen Leuchten der Einsatzkräfte rundherum bestrahlt wurde und das von langsam davonziehenden Rauchschwaden umhüllt war, etwas abgelegen.

Der direkt hinter dem Grundstück beginnende Wald wirkte durch das auf ihn fallende Licht bedrohlich. Mit automatisiertem Kopfnicken begrüßte Hermann die postierten Kollegen der Schutzpolizei und der Feuerwehren, die um den Brandort herum bereits eine gut sichtbare Absperrung installiert hatten. Die zahlreichen Schaulustigen standen in kleinen Gruppen zusammen. Hermann und Büttner sahen Menschen, die fassungslos die Hände vor den Mund hielten, andere gestikulierten wild und weitere spekulierten bereits über mögliche Gründe für das Unglück.