Der Fürst der Nacht - Christine Feehan - E-Book
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Christine Feehan

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Beschreibung

Alexandria Houton würde alles tun, um ihren kleinen Bruder zu beschützen. Als beide in San Francisco in tödliche Gefahr geraten, erscheint Aidan Savage, um sie vor einem schrecklichen Schicksal zu bewahren. Doch kann Alexandria ihm wirklich trauen? Der leidenschaftliche, aber bedrohliche Aidan erscheint ihr so mysteriös, fast wie eine mystische Kreatur der Nacht. Ist er ein Monster oder das Beste, was Alexandria passieren konnte? Während Aidan sich danach sehnt, Alexandria ganz in seine Arme zu schließen, traut sie ihm noch nicht ganz. Doch lange kann sie seiner wilden, überirdischen Verführungskunst nicht widerstehen ...

Dunkel, gefährlich und extrem heiß - Der Fürst der Nacht ist der dritte Band der umfangreichen NEW YORK TIMES und SPIEGEL-Bestsellerserie Die Karpatianer.

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Alexandria Houton würde alles tun, um ihren kleinen Bruder zu beschützen. Als beide in San Francisco in tödliche Gefahr geraten, erscheint Aidan Savage, um sie vor einem schrecklichen Schicksal zu bewahren. Doch kann Alexandria ihm wirklich trauen? Der leidenschaftliche, aber bedrohliche Aidan erscheint ihr so mysteriös, fast wie eine mystische Kreatur der Nacht. Ist er ein Monster oder das Beste, was Alexandria passieren konnte? Während Aidan sich danach sehnt, Alexandria ganz in seine Arme zu schließen, traut sie ihm noch nicht ganz. Doch lange kann sie seiner wilden, überirdischen Verführungskunst nicht widerstehen …

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CHRISTINE FEEHAN

Der Fürstder Nacht

Aus dem amerikanischen Englischvon Katja Thomsen

Kapitel 1

Joshua, es ist wirklich ein sehr wichtiges Geschäftsessen«, ermahnte Alexandria Houton ihren kleinen Bruder eindringlich, während sie ihren verbeulten VW auf dem großen Parkplatz hinter dem Restaurant abstellte. Dann ließ sie kurz die Hand auf Joshuas Lockenkopf ruhen und blickte in seine glänzenden Augen. Schon wurde sie von der Liebe zu ihrem Bruder durchflutet, die alle Ängste und Enttäuschungen verdrängte. Alexandria lächelte. »Du bist schon so erwachsen, Josh. Ich weiß auch nicht, warum ich mich wiederhole. Aber ich bekomme heute meine einzige Chance auf so einen Traumjob. Du weißt doch, wie dringend wir diesen Job brauchen, oder?«

»Klar, Alex. Keine Sorge. Ich bleibe hinter dem Restaurant und spiele mit meinem Laster.« Josh lächelte seine Schwester an, die ihn aufgezogen hatte, seit ihre Eltern kurz vor Joshs zweitem Geburtstag bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.

»Es tut mir Leid, dass dein Babysitter abgesagt hat. Sie ist … krank.«

»Nein, sie ist betrunken, Alex«, verbesserte Joshua sie ernst, während er seinen Rucksack und den Spielzeuglaster zusammenpackte.

»Wo hast du das denn schon wieder gehört?«, fragte Alexandria, entsetzt darüber, dass ein Sechsjähriger schon wusste, was Trunkenheit war. Sie stieg aus dem Auto und strich sorgfältig ihr Kostüm glatt – es war das einzige gute, das sie besaß. Es hatte ein ganzes Monatsgehalt verschlugen, doch Alexandria betrachtete es als notwendige Investition. Sie sah leider viel jünger aus als dreiundzwanzig und brauchte die Eleganz und Ernsthaftigkeit, die ihr das teure Kostüm verlieh.

Joshua hielt sein Lieblingsspielzeug im Arm, einen abgenutzten Kipplaster. »Ich habe gehört, wie du sie nach Hause geschickt hast, weil sie zu betrunken war, um auf mich aufzupassen.«

Alexandria hatte ihn extra in sein Zimmer geschickt. Doch statt zu gehorchen, hatte er gelauscht. Josh wusste, dass man dadurch viele interessante Dinge aufschnappen konnte, die seine Schwester nur für Erwachsene geeignet hielt. Gegen ihren Willen lächelte Alexandria, als sie Joshs spitzbübisches Gesicht sah. »Du hast eben große Ohren, stimmt’s?«

Josh sah betreten zu Boden.

»Schon gut, Kumpel. Wir schaffen es allein sowieso viel besser«, sagte Alexandria mit mehr Optimismus, als sie empfand. Sie lebte mit Josh in einer kleinen Bruchbude, in einem Apartmenthaus, das vor allem von Prostituierten, Alkoholikern und Junkies bewohnt wurde. Alexandria sorgte sich um Joshs Zukunft. Alles hing nun von dieser Besprechung ab.

Thomas Ivan war der geniale Kopf, der hinter den fantasievollen und sehr beliebten Video- und Computerspielen steckte, in denen es um Vampire und Dämonen ging. Er suchte einen neuen Grafik-Designer. Ivan war auf der Titelseite jeder wichtigen Zeitschrift abgebildet gewesen, und er war immerhin von Alexandrias Probeentwürfen so beeindruckt gewesen, dass er sie um ein Treffen gebeten hatte. Alexandria wusste, dass sie genügend Talent besaß, Thomas Ivan durfte sie nur nicht nach ihrem jugendlichen Aussehen beurteilen. Schließlich bewarben sich auch viele wesentlich erfahrenere Designer um die Stelle.

Alexandria zerrte die Mappe mit ihren Entwürfen aus dem Auto und nahm Joshuas Hand. »Es kann eine Weile dauern. Du hast doch etwas zu essen im Rucksack?«

Er nickte, sodass einige seidige Locken auf seiner Stirn tanzten. Alexandria umfasste seine Hand fester. Joshua bedeutete ihr alles. Er war ihre Familie und der einzige Grund dafür, dass sie so hart darum kämpfte, in eine bessere Gegend zu ziehen und ihren Lebensstandard zu verbessern. Joshua war ein aufgeweckter, sensibler und mitfühlender Junge, und Alexandria wollte dafür sorgen, dass er alle Chancen bekam, die das Leben zu bieten hatte.

Sie führte Josh zu dem kleinen baumbestandenen Garten hinter dem Restaurant. Ein schmaler Pfad führte zu den Klippen, die über das Meer ragten. »Geh nicht zu den Klippen hinaus, Joshua. Sie sind gefährlich. Die Felsen könnten unter deinen Füßen wegbrechen, oder du könntest ausrutschen und hinunterfallen.«

»Ich weiß, das hast du mir schon gesagt.« In Joshs Stimme lag ein ungeduldiger Unterton. »Ich kenne die Regeln, Alex.«

»Henry ist heute Abend hier. Er wird auf dich aufpassen.« Henry war ein alter, obdachloser Mann aus der Gegend, der oft im Garten hinter dem Restaurant übernachtete. Alexandria gab ihm häufig etwas zu essen oder Kleingeld, und sie behandelte ihn mit Respekt. Zum Dank ließ Henry nie eine Gelegenheit aus, ihr einen Gefallen zu tun.

Alexandria winkte dem schmächtigen, gebeugten Mann zu, der langsam heranhumpelte. »Hallo, Henry. Es ist wirklich nett von dir, Josh die Zeit zu vertreiben.«

»Du hattest Glück, dass du mich vorhin beim Supermarkt getroffen hast. Ich wollte heute eigentlich unter der Brücke schlafen.« Henry ließ den Blick unruhig umherschweifen. »In dieser Gegend gehen seltsame Dinge vor sich.«

»Straßengangs?«, fragte Alexandria besorgt. Sie wollte nicht, dass Joshua den Gefahren ausgesetzt wurde, die die Jugendbanden mich sich brachten.

Henry schüttelte den Kopf. »Nein, nichts dergleichen. Die Polizei in der Gegend duldet keine Gangs. Deshalb übernachte ich ja auch so oft hier. Die würden ja nicht mal mich bleiben lassen, wenn sie es wüssten.«

»Von welchen seltsamen Dingen sprichst du denn dann?«

Joshua zupfte seine Schwester am Rock. »Du kommst zu spät zu deinem Treffen, Alex. Henry und ich kommen schon klar«, sagte er voller Überzeugung, da er spürte, wie besorgt sie um ihn war. Dann setzte Josh sich im Schneidersitz auf einen großen Stein unter den Bäumen. Gleich neben ihm begann der Pfad, der zu den Klippen führte.

Mit einem lauten Ächzen in den Kniegelenken setzte sich Henry zu ihm. »Du kannst ruhig gehen, Alex«, meinte er mit einer scheuchenden Handbewegung. »Wir zwei werden uns die Zeit mit diesem tollen Laster vertreiben, stimmt’s, Josh?«

Unschlüssig presste Alexandria die Lippen zusammen. Sollte sie Josh wirklich bei einem alten, schwachen, von Arthritis geplagten Mann zurücklassen?

»Alex!« Als hätte Josh ihre Gedanken gelesen, warf er ihr einen finsteren Blick zu. Er fühlte sich eindeutig in seiner männlichen Ehre gekränkt.

Alexandria seufzte. Durch die schwierigen Lebensumstände, denen er ausgesetzt war, war Josh schon viel zu reif für sein Alter. Außerdem hatte er Recht: Das Geschäftsessen war wichtig. Immerhin ging es um seine Zukunft. »Danke, Henry, ich schulde dir etwas. Dieser Job ist sehr wichtig für uns.« Alexandria beugte sich vor und gab Josh einen Kuss. »Ich hab dich lieb, kleiner Kumpel. Pass auf dich auf.«

»Ich hab dich auch lieb, Alex«, antwortete Josh.

Alexandria fühlte sich getröstet, als sie an den Zypressen vorbeiging, um die Restaurantküche herum, zu den Stufen, die zur Aussichtsterrasse auf den Klippen führten. Das Restaurant war berühmt für den Blick auf die tosenden Wellen, die sich an den Felsen brachen. Ein Windstoß zupfte an ihrem eleganten Haarknoten, und ein feiner Nebel aus Wassertropfen besprühte ihr Gesicht. Alexandria blieb an der mit Schnitzereien verzierten Eingangstür stehen. Sie atmete tief durch, hob den Kopf und betrat das Restaurant. Sie wirkte gelassen und selbstsicher, obgleich sich ihr innerlich vor Aufregung schier der Magen umdrehte.

Leise Musik, Kristallleuchter und viele imposante Grünpflanzen vermittelten den Eindruck einer anderen Welt. Der Speiseraum war in kleine, intime Nischen unterteilt, und der große Kamin mit dem flackernden Feuer verlieh dem Raum eine gemütliche Atmosphäre.

Alexandria schenkte dem Oberkellner ein freundliches Lächeln. »Ich bin mit Mr. Ivan verabredet. Ist er schon eingetroffen?«

»Hier entlang, bitte«, entgegnete der Ober mit einem anerkennenden Blick.

Thomas Ivan verschluckte sich an seinem Whisky, als die bildschöne Alexandria Houton auf seinen Tisch zuging. Er verabredete sich oft mit Frauen in diesem gemütlichen Restaurant, doch Alexandria war etwas Besonderes. Eher klein, schlank, jedoch mit verführerischen Kurven und schönen Beinen. Ihre großen, saphirblauen Augen wurden von langen, dunklen Wimpern umrahmt, und ihre Lippen waren voll und sinnlich. Sie trug ihr blondes Haar in einem eleganten Nackenknoten, und die strenge Frisur betonte ihr klassisch geschnittenes Gesicht und die hohen Wangenknochen. An den anderen Tischen drehte man sich nach ihr um, doch Alexandria schien nicht zu bemerken, welches Aufsehen sie erregte. Selbst der Oberkellner benahm sich, als geleite er eine Prinzessin zu ihrem Platz. Diese Frau hatte etwas Besonderes an sich.

Thomas räusperte sich, um seine Stimme wiederzufinden. Dann erhob er sich, schüttelte Alexandrias Hand und beglückwünschte sich im Stillen zu dieser günstigen Gelegenheit. Diese bezaubernde junge Frau brauchte ihn. Er war gut fünfzehn Jahre älter als sie und verfügte über Geld, Macht und Einfluss. Er konnte ihre Karriere fördern oder sie zerstören und beabsichtigte, diese vorteilhafte Position in vollen Zügen auszukosten.

»Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Mr. Ivan«, begann Alexandria leise. Ihre sanfte Stimme wirkte auf Thomas wie eine zärtliche Liebkosung.

»Ganz meinerseits.« Er hielt Alexandrias Hand ein wenig länger als nötig fest. Der unschuldige Ausdruck in ihren Augen machte ihre sinnliche Ausstrahlung noch reizvoller. Thomas begehrte sie und nahm sich fest vor, sie zu erobern.

Alexandria faltete die Hände und hielt sie auf ihrem Schoß versteckt, damit ihr Zittern nicht verriet, wie nervös sie war. Sie konnte es kaum fassen, dass sie tatsächlich einem so brillanten Mann wie Thomas Ivan gegenübersaß und dass er sie auch noch als Grafikerin für sein nächstes Projekt in Betracht zog. Dies war die Chance ihres Lebens. Als er schwieg und sie nur eingehend betrachtete, suchte Alexandria verzweifelt nach einer höflichen und halbwegs intelligenten Bemerkung. »Dies ist ein sehr schönes Restaurant. Kommen Sie oft hierher?«

Thomas’ Herz klopfte schneller. Sie interessierte sich für ihn! Warum hätte sie ihm sonst diese Frage stellen sollen? Alexandria mochte zwar kühl und unschuldig, ja selbst ein wenig unnahbar wirken, doch sie versuchte zweifellos, etwas über seine persönlichen Beziehungen in Erfahrung zu bringen. Thomas hob eine Augenbraue und schenkte ihr sein sorgfältig eingeübtes strahlendes Lächeln, das allen Frauen den Atem raubte. »Es ist mein Lieblingsrestaurant.«

Sein selbstzufriedener Gesichtsausdruck beunruhigte Alexandria, doch sie lächelte trotzdem. »Ich habe einige Skizzen mitgebracht, Zeichnungen, die zu den Plänen für Ihr nächstes Computerspiel passen. Als Sie mir die Idee beschrieben, konnte ich alles ganz deutlich vor mir sehen. Ich weiß, dass Don Michaels NightHawks für Sie entworfen hat. Er ist sehr gut, aber ich glaube nicht, dass er Ihre Vision optimal umsetzt. Es müsste viel mehr Details geben, mehr Tempo und Kraft.« Unter dem Tisch rang Alexandria ängstlich die Hände, bemühte sich jedoch, äußerlich ruhig zu wirken.

Thomas war überrascht. Sie hatte vollkommen Recht. Michaels verfügte über einen großen Namen und ein noch größeres Ego, aber er hatte die Idee der Spiele nie richtig verstanden. Dennoch störte ihn Alexandrias sachliche Art. Sie wirkte kühl und unnahbar und wollte offenbar nur über Geschäftliches reden. Normalerweise warfen sich ihm die Frauen schier an den Hals.

Alexandria sah, dass sich ein verärgerter Ausdruck auf Thomas’ Zügen ausbreitete. Sie ballte die Fäuste. Was hatte sie nur falsch gemacht? Wahrscheinlich ging sie zu aggressiv vor. Ein Mann, der immerhin den Ruf eines Abenteurers und Frauenhelden hatte, zog vermutlich bei einer Frau eine femininere Ausstrahlung vor. Sie brauchte diesen Job und konnte es sich nicht leisten, Thomas Ivan zu verärgern. Außerdem würde ein kleiner Flirt nichts schaden. Ivan war ein wohlhabender, gut aussehender Junggeselle, also sollte sie sich eigentlich sowieso zu ihm hingezogen fühlen. Alexandria unterdrückte ein Seufzen. Noch nie hatte ein Mann ernsthaft ihr Interesse erregt. Zuerst hatte sie es auf die zweifelhaften Männer in ihrer Umgebung geschoben und auf ihre Verantwortung für Joshua. Doch in letzter Zeit kam ihr immer wieder der Gedanke, dass sie vielleicht einfach nur gefühlskalt war. Das würde sie jedoch nicht daran hindern, Thomas Ivan etwas vorzuspielen, wenn es sein musste.

Seine nächste Bemerkung bestätigte ihre Vermutung. »Wir sollten uns das Abendessen nicht vom Geschäft verderben lassen, finden Sie nicht auch?«, sagte er mit einem charmanten Lächeln.

Alexandria blinzelte, um den Eindruck loszuwerden, dass Ivans Gesichtsausdruck plötzlich dem eines Barrakudas glich. Dann ließ sie ein sanftes, verführerisches Lächeln um ihre Lippen spielen. Es versprach ein langer Abend zu werden. Sie schüttelte den Kopf, als Ivan ihr ein Glas Wein einschenken wollte, und konzentrierte sich auf ihren Shrimps-Salat, während sie gleichzeitig versuchte, eine belanglose Plauderei in Gang zu halten. Ivan beugte sich immer wieder zu ihr vor und berührte wie zufällig ihre Hand.

Während des Essens gelang es Alexandria immerhin einmal, sich hinauszuschleichen, um nach Joshua zu sehen. Im Licht des Sonnenuntergangs saßen Henry und Joshua unter den Bäumen und spielten Black-Jack mit einem abgenutzten Kartenspiel.

Henry grinste sie fröhlich an, nahm dankbar das Essen entgegen, das Alexandria aus dem Restaurant geschmuggelt hatte, und scheuchte sie dann mit einer Handbewegung davon.

»Uns geht es gut, Alex. Geh und angle dir den Job, den du so gern haben möchtest.«

»Bringst du Josh etwa Glücksspiele bei?«, fragte Alexandria mit einem gespielt vorwurfvollen Blick. Beide Verschwörer lachten übermütig, und Alexandria konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, Josh fest an sich zu drücken.

»Henry sagt, ich könnte unseren Lebensunterhalt mit diesem Spiel verdienen, weil ich immer gewinne«, berichtete Josh stolz. »Er sagt, du müsstest dich dann nicht mehr mit seltsamen Kerlen abgeben.«

Alexandria presste die Lippen zusammen, um ihre Belustigung und die schier überwältigende Zuneigung zu verbergen. »Gut, aber bis du dich zu einem echten Kartenhai herausgemacht hast, sorge ich wohl besser für uns. Und deshalb muss ich jetzt wieder gehen. Falls ihr beide frieren solltet, könnt ihr euch eine Decke aus dem Wagen holen.« Sie gab Joshua die Schlüssel. »Pass gut darauf auf, Josh. Wenn du die Schlüssel verlierst, müssen wir hier bei Henry übernachten.«

»Prima!«, antwortete Josh mit leuchtenden Augen.

»Und ziemlich kalt«, warnte Alexandria. »Sei vorsichtig. Ich versuche, mich zu beeilen, aber dieser Mann lässt sich ziemlich viel Zeit. Ich glaube, er rechnet sich Chancen bei mir aus.« Sie schnitt eine Grimasse.

Henry schüttelte seine knochige Faust. »Wenn er dir Schwierigkeiten macht, schickst du ihn einfach zu mir.«

»Danke, Henry. Benehmt euch gut, Jungs.« Alexandria drehte sich um und begab sich zum Restaurant zurück.

Der Wind frischte auf, trieb die Wellen auf die Klippen zu, sodass Gischt sich mit den Böen vermischte. Nebel zog auf, und die Schwaden umgaben die Wurzeln der Bäume mit einem milchigen Schleier. Alexandria fröstelte und rieb sich die Arme. Es war nicht wirklich kalt, doch der Nebel mit seiner geheimnisvollen Aura ließ sie erschauern.

Energisch schüttelte Alexandria den Kopf, um das Gefühl zu vertreiben, dass hinter jedem Baum das Böse lauerte. Aus irgendeinem Grund war sie an diesem Abend besonders unruhig, schob ihre Nervosität jedoch auf das Geschäftsessen. Sie brauchte diesen Job unbedingt.

Alexandria ging ins Restaurant zurück und bahnte sich einen Weg an den riesigen Topfpflanzen und hängenden Efeuranken vorbei.

Ivan sprang auf, als sie an den Tisch trat, und schob ihr den Stuhl zurecht. Er wusste, dass ihn alle anderen Männer im Raum beneideten. Alexandria Houton verfügte über einen besonderen Zauber, der ihn an heiße Nächte voller Leidenschaft denken ließ.

Er strich mit den Fingerspitzen über ihren Handrücken. »Sie frieren ja«, bemerkte er rau. Sie gab ihm das Gefühl, ein ungeschickter Schuljunge zu sein, während sie kühl und überlegen wirkte – eine unberührbare Sirene, die seine Unbeholfenheit amüsiert beobachtete.

»Ich bin kurz nach draußen gegangen, als ich aus dem Waschraum kam. Die Nacht war so schön, dass ich einfach nicht widerstehen konnte. Ich musste einen Blick aufs Meer werfen. Wir scheinen heute ziemlich raue See zu haben.« Ihre Augen schienen unzählige Geheimnisse zu hüten, welche die langen, dunklen Wimpern vor neugierigen Blicken schützten.

Thomas schluckte trocken und wandte sich ab. Er musste einfach die Beherrschung zurückgewinnen. Dann griff er auf seinen bewährten und berühmten Charme zurück und begann, Alexandria amüsante Geschichten zu erzählen, die sie auflockern und ihr Interesse wecken sollten.

Alexandria bemühte sich nach Kräften, der Unterhaltung zu folgen, doch es fiel ihr schwer, sich auf all die Anekdoten zu konzentrieren, die von Ivans großartiger Karriere handelten, seinen vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen und dem schier endlosen Reigen von Frauen, die ihn nur um seines Geldes willen liebten. Sie fühlte sich immer unbehaglicher, und ihre Hände begannen zu zittern. Einen Augenblick war ihr so, als legten sich eisige Finger um ihren Hals. Die Illusion war so täuschend echt, dass Alexandria sich tatsächlich an die Kehle griff, um sich zu vergewissern, dass niemand versuchte, sie zu erwürgen.

»Sie trinken doch sicher ein kleines Glas Wein mit mir? Es ist ein ausgezeichneter Jahrgang«, drängte Thomas, hob die Weinflaschen und lenkte Alexandrias Aufmerksamkeit wieder auf sich.

»Nein, danke, ich trinke nur sehr selten Alkohol.« Das sagte sie ihm nun schon zum dritten Mal. Alexandria widerstand der Versuchung, Thomas Ivan zu fragen, ob er schwerhörig war. Sie würde sich nicht bei einem so wichtigen Geschäftsessen durch Alkohol benebeln lassen. Außerdem trank sie niemals, wenn sie mit dem Auto unterwegs war, und schon gar nicht in Joshuas Gegenwart. Er bekam bereits genug von den Alkoholikern zu sehen, die sich auf dem Bürgersteig vor dem Apartmenthaus tummelten.

Alexandria lächelte, um ihrer Ablehnung die Schärfe zu nehmen. Als der Kellner die Teller abgeräumt hatte, griff sie entschlossen nach ihrer Zeichenmappe.

Ivan seufzte. Normalerweise warfen sich ihm die Frauen nach dem Essen bereits an den Hals. Doch Alexandria schien noch immer völlig unnahbar und immun gegen seinen Charme zu sein. Aber sie faszinierte ihn nach wie vor, und er erneuerte seinen Vorsatz, sie auf jeden Fall zu erobern. Ivan wusste, dass die Stelle in seinem Team Alexandria viel bedeutete, und er würde diesen Umstand ausnutzen, wenn es sein musste. Er konnte die Leidenschaft spüren, die sich hinter ihrem kühlen Blick und dem höflichen Lächeln verbarg, und freute sich schon auf heiße Nächte mit ihr.

Doch als Thomas einen Blick auf Alexandrias Zeichnungen warf, vergaß er seine Gelüste und sein Ego. Es war ihr gelungen, die Bilder in seiner Vorstellung besser umzusetzen, als er sie hatte beschreiben können. Die Zeichnungen begeisterten ihn so sehr, dass er sich kaum noch halten konnte. Alexandria war genau die Grafikerin, die er für sein neues Projekt brauchte. Das Konzept des Spiels war schnell, Furcht erregend und kompliziert und würde die Konkurrenz auf die hinteren Plätze verweisen. Alexandrias frischer, einfallsreicher Stil war genau richtig, um das Konzept umzusetzen.

»Es sind nur einige schnelle Skizzen«, meinte sie leise, »ohne Animation. Aber ich hoffe, dass Sie erkennen können, was ich zum Ausdruck bringen möchte.« Alexandria vergaß, dass sie Thomas Ivan eigentlich nicht besonders mochte, als sie sah, wie sehr er ihre Arbeit bewunderte.

»Sie haben einen großartigen Blick für Details. Und soviel Fantasie! Und Ihre Technik ist ausgezeichnet. Wenn ich mir die Skizzen so ansehe, glaube ich fast, Sie könnten meine Gedanken lesen. Hier fangen Sie tatsächlich das Gefühl ein, durch die Luft zu fliegen«, stellte er fest und deutete auf eine der Skizzen. Er konnte kaum glauben, dass es ihr gelungen war, allein mit ihren Illustrationen einen so Schwindel erregenden Eindruck zu erwecken. Was würde sie erst erreichen können, wenn er ihr seine Computer und Design-Programme zur Verfügung stellte?

Thomas betrachtete eine der gezeichneten Szenen und hatte das Gefühl, sie tatsächlich in Bewegung zu sehen. Es war, als hätte Alexandria das Foto eines echten Vampirs als Vorlage genommen, der in einen tödlichen Kampf verstrickt war. Die Darstellung wirkte so real, dass sie ihm beinahe Angst einjagte. Alexandrias Zeichnungen, die seine Ideen so detailgetreu einfingen, schufen die Verbindung zu ihr, die er den ganzen Abend über nicht hatte herstellen können.

Sie war sich plötzlich der sanften Berührung seiner Hand bewusst, seiner starken Arme und breiten Schultern. Seine markanten Züge wirkten mit einem Mal ausgesprochen anziehend. Hoffnung keimte in Alexandria auf. Reagierte sie tatsächlich körperlich auf einen Mann? Es war erstaunlich, welche Wirkung eine gemeinsame Leidenschaft haben konnte. Voller Stolz beobachtete sie Thomas, während er jede einzelne ihrer Skizzen bewunderte.

Doch plötzlich wehte ein eisiger Hauch durch das Restaurant, der eine Aura des Bösen mit sich brachte. Alexandria schauderte angewidert und lehnte sich blass und zitternd auf ihrem Stuhl zurück. Vorsichtig sah sie sich um. Die anderen Gäste schienen weder die Kälte noch den Geruch des Bösen zu bemerken. Sie war von leisem Stimmengewirr und Gelächter umgeben. Die gelassene Normalität hätte sie eigentlich beruhigen müssen, doch sie zitterte nur noch stärker. Sie spürte, dass ihr Schweißperlen auf die Stirn traten, und ihr Herz pochte laut.

Thomas Ivan war viel zu sehr damit beschäftigt, die Zeichnungen durchzugehen, als dass er Alexandrias Zustand bemerkt hätte. Mit gesenktem Kopf betrachtete er voller Faszination die lebendigen, aufregenden Skizzen und murmelte dabei ein Kompliment nach dem anderen.

Doch etwas stimmte nicht. Irgendetwas Schreckliches würde geschehen. Alexandria wusste es. Sie wusste solche Dinge immer, so war es seit dem Augenblick, in dem ihre Eltern ums Leben gekommen waren. Sie wusste, wenn in der Gegend ein Gewaltverbrechen verübt wurde, erkannte alle Drogendealer und durchschaute jede Lüge. Und jetzt, während die anderen Leute im Restaurant ungestört den schönen Abend genossen, spürte sie, dass etwas Böses in der Nähe war, eine Kreatur von so abgrundtiefer Schlechtigkeit, dass sie es sich kaum vorzustellen vermochte.

Noch einmal sah sie sich sorgfältig im Speiseraum um. Die Gäste aßen und unterhielten sich ungestört. Die drei Frauen am Nebentisch lachten ausgelassen und prosteten einander zu. Alexandrias Herz raste. Wie erstarrt vor Angst konnte sie weder sprechen noch sich bewegen. Über die Wand hinter Thomas Ivan kroch ein Schatten, der sich langsam über den ganzen Raum ausbreitete. Es war eine grauenhafte Erscheinung, die offenbar niemand sonst sehen konnte. Der Schatten griff mit seinen Klauen nach Alexandria und nach den drei Frauen, die sich so angeregt unterhielten. Alexandria saß ganz still, während ein schreckliches Flüstern in ihrem Kopf widerhallte und ihr Befehle gab, denen sie kaum zu widerstehen vermochte.

Komm zu mir. Sei an meiner Seite. Ich will mich an dir laben. Komm zu mir.

Die Worte stürmten immer wieder auf Alexandria ein, bis sie unerträgliche, stechende Kopfschmerzen bekam. Die Schattenklaue an der Wand winkte ihr zu, lockte sie.

Zu ihrer Rechten schabten Stuhlbeine über den Boden, und das Geräusch brach den Bann. Alexandria blinzelte, und der Schatten verblasste langsam mit einem leisen wahnsinnigen Lachen. Sie konnte sich endlich wieder bewegen und wandte den Kopf, als sie hörte, dass zwei weitere Stühle zurückgeschoben wurden. Alexandria sah, wie die drei Frauen gemeinsam aufstanden, Geld auf den Tisch legten und plötzlich seltsam schweigend das Restaurant verließen.

Alexandria wollte ihnen zurufen, dass sie zurückkommen sollten, obwohl sie nicht wusste, warum. Doch als sie gerade den Mund öffnete, schnürte sich ihr die Kehle zu, sodass sie plötzlich nach Luft schnappen musste.

»Alexandria!« Thomas sprang auf und eilte ihr zu Hilfe. Sie war aschfahl geworden, und winzige Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. »Was fehlt Ihnen denn?«

Hastig versuchte sie, ihre Zeichnungen in die Mappe zurückzuschieben, doch ihre Hände zitterten so sehr, dass die Blätter zu Boden fielen. »Es tut mir Leid, Mr. Ivan, aber ich muss gehen!« Sie stand so überraschend auf, dass sie Ivan beinahe umgeworfen hätte. Ihre Gedanken schienen nur langsam und zäh zu fließen, als klebte noch immer das Böse an ihnen. Alexandria drehte sich der Magen um.

»Sie sind krank, Alexandria. Ich werde Sie nach Hause fahren.« Thomas Ivan versuchte, die kostbaren Skizzen aufzuheben und gleichzeitig Alexandria zu stützen.

Doch sie machte sich von ihm los. Ihr einziger Gedanke galt Joshua. Welche bösartige Kreatur sich auch immer in der Nacht herumtreiben mochte, Henry und Joshua waren in großer Gefahr. Das Böse befand sich draußen im Garten. Alexandria spürte seine Anwesenheit wie einen dunklen Fleck auf ihrer Seele.

Sie drehte sich um und rannte los, ohne sich um die neugierigen Blicke oder um Thomas Ivans Erstaunen zu kümmern. Auf der Treppe stolperte sie, verfing sich mit dem Absatz in ihrem Rocksaum und hörte, wie der Stoff zerriss. Schmerz und Furcht durchfuhren sie, und es fühlte sich an, als wollte ihr jemand das Herz aus dem Leib reißen. Der Eindruck war so real, dass Alexandria sich an die Brust griff, auf ihre Hände hinabblickte und erwartete, Blut zu sehen. Nein. Es war das Blut eines anderen. Irgendjemand dort draußen war verletzt – oder Schlimmeres.

Alexandria biss sich so fest auf die Lippe, dass sie sich wehtat. Dieser Schmerz gehörte nur ihr allein und erlaubte ihr, sich zu konzentrieren. Die Kreatur hatte jemanden getötet. Sie konnte das Blut riechen und spürte eigenartige Schwingungen, die das Echo der Gewalt zu sein schienen. Inständig hoffte sie, dass nicht Joshua dem Bösen zum Opfer gefallen war. Schluchzend stürzte sie auf den schmalen Weg zu, der um das Restaurant herum führte. Sie durfte Joshua nicht verlieren. Warum hatte sie ihn nur in der Obhut eines alten Mannes zurückgelassen?

Plötzlich fiel ihr der dichte Nebel auf, der die Bäume wie eine feste, weiße Mauer zu umgeben schien. Alexandria vermochte kaum die Hand vor Augen zu sehen, und der Nebel fühlte sich sogar zäh und unnachgiebig an, als müsste sie sich einen Weg durch Treibsand bahnen. Jeder Atemzug schien beinahe unmöglich zu sein. Sie wollte nach Joshua rufen, aber eine seltsame Eingebung riet ihr, sich ruhig zu verhalten. Das Ungeheuer genoss es, den Schmerz und die Angst seiner Opfer zu spüren. Sie würde seinen makaberen Gelüsten nicht nachgeben.

Vorsichtig ertastete sich Alexandria den Weg zwischen den Bäumen hindurch und stolperte über etwas. Über jemanden. »O Gott«, flüsterte sie und betete, dass es sich nicht um ihren Bruder handelte. Als sie sich hinunterbeugte, bemerkte sie, dass die Leiche zu groß war. Kalt und reglos lag er da, als hätte ihn jemand einfach achtlos beiseite geworfen. »Henry.« Alexandria umfasste seine Schulter, um ihn umzudrehen, während Trauer ihr das Herz zu zerreißen schien.

Die Trauer verwandelte sich in blankes Entsetzen, als sie Henrys Verletzung sah. Sein Herz war buchstäblich herausgerissen worden. Alexandria ging schnell einige Schritte zur Seite und übergab sich. An Henrys Hals waren Bisswunden zu sehen, die von einem Tier stammen mussten.

Höhnisches Gelächter erfüllte plötzlich Alexandras Kopf. Sie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Dieser wahnsinnige Mörder würde Joshua nichts zuleide tun. Fest entschlossen und einem Instinkt folgend, lief Alexandria auf die Klippen zu. Die Wellen schlugen krachend gegen die gezackten Felsen, und der Wind heulte so laut, dass Alexandria nichts hören konnte.

Ohne im Nebel etwas erkennen zu können, lief sie weiter, dem Mörder entgegen. Sie hatte das Gefühl, dass er wusste, wie nahe sie ihm war, dass er auf sie wartete. Außerdem schien er zu glauben, dass er ihren Willen kontrollierte und ihr absichtlich befahl, ihn zu suchen.

Trotz des stürmischen Windes trieben die Nebelschwaden nicht auseinander, aber Alexandria konnte dennoch erkennen, dass der Albtraum noch lange nicht vorbei war. Die drei Frauen aus dem Restaurant stolperten auf die Klippen zu. Sie hatten das Restaurant kurz vor Alexandria verlassen, und sie sah, dass sich die drei in einer Art Trancezustand befanden. Entzückt blickten sie auf einen Mann, dessen Silhouette sich gegen den Nachthimmel abzeichnete.

Er war hoch gewachsen und schlank, strahlte jedoch große Macht und Stärke aus. Sein Gesicht war von makelloser Schönheit, umrahmt von schulterlangem, welligem Haar. Als er lächelte, blitzten seine ungewöhnlich weißen Zähne.

Wie die eines Raubtiers. Als Alexandria dieser Gedanke kam, verschwand die Illusion von Schönheit, und sie sah das Blut an seinen Händen und an seinem Kinn. Das freundliche Lächeln verzerrte sich zu einer höhnischen Grimasse, die seine scharfen Eckzähne entblößte. Seine Augen glichen schwarzen Löchern, die in der Dunkelheit rot glühten.

Die Frauen lächelten glücklich, himmelten das Ungeheuer an und streckten die Hände nach ihm aus. Als sie näher kamen, hob er die Hand und deutete auf den Boden. Gehorsam fielen die drei auf die Knie und krochen weiter. Sie wanden sich, stöhnten und zerrten an ihrer Kleidung. Nebelschwaden verbargen das obszöne Geschehen für einige Augenblicke, und als sie sich verzogen, sah Alexandria, dass sich eine der Frauen bereits zu seinen Füßen räkelte. Sie riss sich die Bluse vom Leib und entblößte ihre Brüste. Dann rieb sie sich verführerisch an dem Unhold und flehte ihn an, sie zu nehmen. Die zweite Frau erreichte die Klippen und schlang die Arme um die Taille des Mannes, während sie ihm sehnsüchtige Blicke zuwarf.

Am liebsten hätte sich Alexandria von dem entsetzlichen Schauspiel abgewandt, doch dann entdeckte sie Joshua, der langsam auf das Wesen zuging. Er sah sich nicht um, reagierte auf nichts, sondern ging einfach weiter, als wandle er im Schlaf.

Trance. Der Mann musste Joshua in einen Trancezustand versetzt haben! Alexandrias Herz hämmerte schmerzhaft. Irgendwie hatte es der Kerl geschafft, Joshua und die drei Frauen zu hypnotisieren. Sie gehorchten seinen Befehlen wie willenlose Marionetten. Alexandria rannte auf Joshua zu, um ihn abzufangen, während sie gleichzeitig fieberhaft überlegte, wie der Mann diese Tat zu Stande gebracht haben mochte. Glücklicherweise bewegte sich Joshua sehr langsam. Es schien beinahe, als würde er gegen seinen Willen vorwärts gezogen.

Obwohl der dichte Nebel ihr etwas Schutz bot, spürte Alexandria die Wirkung seines schrecklichen Blickes, als der Unhold den Kopf in ihre Richtung wandte. Sein Hals bewegte sich wie der eines Reptils.

Während er sie durch die Nebelschleier hindurch betrachtete, begannen die stechenden Kopfschmerzen wieder, Alexandria zu quälen. Die leise, verführerische Stimme wisperte unaufhörlich in ihrem Kopf. Alexandria ignorierte die Schmerzen und konzentrierte sich darauf, Joshua zu erreichen. Sie würde diesem Ungeheuer nicht die Befriedigung verschaffen zu sehen, wie sehr er ihr zusetzte.

Schließlich gelang es ihr, Joshua am Hemd festzuhalten. Seine Füße bewegten sich zwar weiter vorwärts, doch Alexandria stemmte ihre fest auf den Boden und zog Joshua an sich. Sie stand dem Mörder direkt gegenüber, nicht einmal fünf Meter von ihm entfernt.

Er stand an der äußersten Spitze der Klippen. Die Frauen umschmeichelten ihn wie Marionetten und bettelten um seine Aufmerksamkeit. Doch er schien sie überhaupt nicht zu bemerken, sondern konzentrierte sich allein auf Alexandria. Er lächelte sie an und entblößte dabei seine Eckzähne.

Alexandria schauderte, als sie Henrys Blut an seinen Lippen und Zähnen sah. Dieser Wahnsinnige hatte den harmlosen, gutmütigen Henry ermordet.

»Komm zu mir.« Er streckte ihr die Hand entgegen.

Sie spürte seine Stimme überall in ihrem Körper und fühlte sich dazu gezwungen, seinem Willen zu gehorchen. Alexandria blinzelte und bemühte sich, die Blutflecke und die langen, dolchartigen Krallen der Kreatur im Blick zu behalten. Während sie auf seine Klauen sah, verlor seine Stimme alle verführerische Sanftheit und wurde schrill, nörgelnd und hässlich.

»Wohl kaum. Lass uns gehen. Ich nehme Joshua mit. Du bekommst ihn nicht.« Alexandria sprach mit fester Stimme. Sie richtete sich auf, und ihre blauen Augen blitzten entschlossen.

Abwesend strich der Unhold mit seiner widerlichen Hand einer der Frauen über den Kopf. »Komm zu mir. Sieh dir diese Frauen an. Sie lieben mich, sie begehren mich.«

»Du machst dir etwas vor.« Alexandria versuchte, einen Schritt zurück zu gehen, aber Joshua sträubte sich. Sie zog ihn fester an sich, um ihn daran zu hindern, auf den Mann zuzugehen, doch als sie ihn mit sich ziehen wollte, begann er, wie wild um sich zu schlagen, sodass sie schließlich aufgeben musste.

Das Ungeheuer auf der Klippe hob spöttisch eine Augenbraue. »Glaubst du mir etwa nicht?« Er wandte sich der Frau zu, die sich an seine Taille schmiegte. »Komm, meine Süße. Ich möchte, dass du für mich stirbst.« Er deutete auf den Abgrund hinter sich.

Zu Alexandrias Entsetzen küsste die Frau seine ausgestreckte Hand und kroch an ihm vorbei. »Nein!«, schrie Alexandria, doch die Frau stürzte bereits in die Tiefe. Während sie noch versuchte, das Unfassbare zu begreifen, zerrte der Mann die zweite Frau an den Haaren zu sich herauf. Er küsste sie auf den Mund, bog dann ihren Kopf nach hinten und senkte die schrecklichen Fänge in ihren Hals.

Die detaillierten Skizzen, die Alexandria von Thomas Ivans Ideen für das Horror-Computerspiel angefertigt hatte, schienen plötzlich vor ihren Augen lebendig zu werden. Die Kreatur trank das Blut, das am Hals der unglückseligen Frau hinunterrann, und warf sie dann so gleichgültig über den Rand der Klippe, als wäre sie nichts als eine Muschel, die er am Strand gefunden hatte. Genüsslich leckte er sich danach die Lippen.

Alexandria begann, ein Gebet zu flüstern, eine Beschwörung, die sie immer aufs Neue wiederholte. Wer der Unhold auch sein mochte, den sie vor sich hatte, sein Wahnsinn und seine Gefährlichkeit überstiegen ihre Vorstellungskraft. Sie hielt Joshua krampfhaft fest und hob ihn hoch.

Der Junge wehrte sich und trat mit den Füßen um sich, während der Mann leise, knurrende Geräusche von sich gab und drohend die Zähne bleckte. Dennoch gelang es Alexandria, Joshua einige Meter zurückzuzerren, ehe sie gezwungen war, ihn abzusetzen. Solange sie nicht versuchte, ihn von dem Wahnsinnigen zu entfernen, verhielt sich Joshua still.

Der Unhold hob den Kopf, leckte sich die Finger und lächelte spöttisch. »Siehst du? Sie würden alles für mich tun. Sie beten mich an. Nicht wahr, meine Kleine?« Er half der letzten Frau auf die Beine. Sofort schmiegte sie sich an ihn und liebkoste ihn voller Sehnsucht. »Du möchtest mir doch nichts als Freude bereiten, oder?«

Die Frau begann, ihn zu küssen, seinen Hals, seine Brust. Sie wanderte immer weiter hinunter, bis sie schließlich am Verschluss seiner Hose nestelte. Er streichelte ihren Hals. »Erkennst du nun meine Macht? Und du bist diejenige, die ich dazu auserwählt habe, diese Macht mit mir zu teilen.«

»Diese Frau liebt dich nicht«, widersprach Alexandria. »Du hast sie durch Hypnose gefügig gemacht. Sie hat keinen eigenen Willen mehr. Nennst du das etwa Macht?« Sie versuchte, so viel Verachtung wie möglich in ihre zitternde Stimme zu legen.

Ein leises, bedrohliches Zischen drang aus dem Mund des Unholds, doch er lächelte Alexandria noch immer an. »Vielleicht hast du Recht. Die hier ist wirklich nutzlos.« Während er Alexandria noch immer lächelnd ansah, umfasste er mit beiden Händen den Kopf der anderen Frau und brach ihr das Genick. Alexandria zitterte so heftig, dass ihr die Zähne klapperten. Mit einer Hand hielt das Ungeheuer die Tote über dem Abgrund. Die einst so schöne Frau sah wie eine zerbrochene Puppe aus. Der Unhold öffnete seine Hand und ließ die Leiche ins tosende Meer fallen.

»Jetzt hast du mich ganz für dich allein«, sagte er leise. »Komm zu mir.«

Alexandria schüttelte energisch den Kopf. »Nein, ich falle dir bestimmt nicht zu Füßen. Ich kann dich sehen, wie du wirklich bist, nicht als das Trugbild, das du diesen armen Frauen vorgegaukelt hast.«

»Du wirst zu mir kommen, und sogar freiwillig. Du bist die Richtige. Ich habe auf der ganzen Welt nach einer Frau wie dir gesucht. Du musst zu mir kommen.« Seine Stimme klang sanft, doch in seinen Worten lag auch eine deutliche Drohung.

Sie versuchte, einen Schritt zurück zu gehen, aber Joshua begann wieder, zu knurren und um sich zu schlagen. Alexandria blieb stehen und hielt ihn fest, damit er ihr nicht entwischen konnte. »Du bist krank. Du brauchst Hilfe, einen Arzt vielleicht. Ich kann nichts für dich tun.« Sie suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus diesem Albtraum und hoffte, dass irgendjemand ihr zu Hilfe kommen würde. Ein Wachmann, ein Polizist, egal, wer.

»Du weißt nicht, was ich bin, nicht wahr?«

Alexandria fühlte sich wie gelähmt vor Angst. Sie hatte viel Zeit damit verbracht, Nachforschungen über die alten Vampirlegenden anzustellen, um die Skizzen für Thomas Ivan mit Leben zu füllen. Und dieser Mann war die Verkörperung des Mythos. Er trank das Blut seiner Opfer und machte sie sich mit Hypnose gefügig. Alexandria atmete tief durch und versuchte, sich wieder auf die Realität zu konzentrieren. Sicher lag es nur am Nebel, am Wind und an der dunklen, sternlosen Nacht, dass sie plötzlich das Undenkbare für möglich hielt. Dabei hatte sie es mit einem modernen Psychopathen zu tun, nicht mit einer uralten Sagengestalt. Sie musste sich zusammenreißen und durfte nicht zulassen, dass die Ereignisse der Nacht ihr logisches Denken beeinflussten.

»Jedenfalls weiß ich, wofür du dich hältst«, entgegnete sie ruhig, »doch in Wahrheit bist du nichts als ein brutaler Mörder.«

Er lachte leise. Sein Lachen klang so angenehm wie das Kratzen von Fingernägeln auf einer Schiefertafel. Alexandria schauderte, als strichen eisige Finger über ihre Haut.

»Du bist wie ein Kind, das sich vor der Wahrheit fürchtet.« Er hob die Hand und winkte Joshua zu sich heran, den glühenden Blick unverwandt auf das Gesicht des Jungen gerichtet.

Joshua wehrte sich heftig gegen die Umarmung seiner Schwester. Er trat um sich und biss Alexandria sogar in den Arm, um sich zu befreien.

»Lass ihn in Ruhe!« Sie konzentrierte sich darauf, ihren kleinen Bruder zu beruhigen, doch im Trancezustand war Joshua tatsächlich kräftig genug, um sich loszumachen. Er rannte auf den Unhold zu, umklammerte seine Knie und blickte bewundernd zu ihm auf.

Kapitel 2

Alexandrias Herz klopfte zum Zerspringen. Sie richtete sich langsam auf und beobachtete mit Schrecken, wie der Unhold seine Klauenhände auf Joshuas Schultern legte.

»Jetzt wirst du zu mir kommen, nicht wahr?«, fragte er leise.

Alexandria hob trotzig das Kinn. »Das nennst du also ›freiwillig‹?« Ihre Beine waren so schwach, dass sie nur wenige Schritte auf ihn zugehen konnte, bevor sie eine Pause einlegen musste. »Wenn du Joshua dazu benutzt, mich zu kontrollieren, ist es nicht mein eigener Entschluss, der mich zu dir führt«, erwiderte sie herausfordernd.

Der Unhold zischte böse, packte Joshua dann an einem Bein und hielt ihn über den Rand der Klippe. »Da dir die Freiheit des Geistes so viel zu bedeuten scheint, werde ich den Bann aufheben, damit der Junge alles sehen und hören kann, was jetzt geschieht.« Er sprach langsam, in eisigem Tonfall.

Seine Worte ließen Alexandria wieder vorwärts stolpern, bis sie direkt vor ihm stand. Sie streckte die Arme nach Joshua aus. »O Gott, bitte lass ihn nicht fallen! Gib ihn mir!« Schmerz und große Furcht lagen in ihrer Stimme, die den Unhold freuten und anstachelten.

Er lachte leise, während Joshua plötzlich aus seiner Trance erwachte. Seine Züge verzerrten sich vor Angst, und er schrie auf. Dann rief er nach Alexandria, die seine einzige Rettung war. Der Unhold wehrte Alexandria mühelos mit einer Hand ab, während er Joshua über dem Meer baumeln ließ.

Sie zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. »Gib ihn mir. Du brauchst ihn nicht. Er ist doch nur ein Kind.«

»Aber er ist sehr wichtig, denn nur er kann mir zu deiner Einwilligung verhelfen.« Der Wahnsinnige lächelte und hob Joshua wieder auf die Klippe zurück. Er machte eine Handbewegung, und der Junge hörte auf zu schreien, einmal mehr im Bann dieser bösen Kreatur. »Du wirst bei mir bleiben und zu dem werden, was ich bin. Gemeinsam werden wir über mehr Macht verfügen, als du dir vorstellen kannst.«

»Aber ich will überhaupt keine Macht«, protestierte Alexandria und arbeitete sich vorsichtig näher an den Mörder heran. »Warum behauptest du, dass ich diejenige bin, nach der du gesucht hast? Bis heute Abend wusstest du überhaupt nicht, dass ich existiere. Du kennst ja nicht einmal meinen Namen.«

»Alexandria. Es ist leicht, die Gedanken des Jungen zu lesen. Zwar bestehst du darauf, mich als Sterblichen anzusehen, doch ich bin so viel mehr als das.«

»Was bist du?« Alexandria hielt den Atem an. Sie fürchtete sich vor seiner Antwort, denn tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie keinen Menschen vor sich hatte. Er war tatsächlich das Ungeheuer aus den alten Legenden. Er konnte Gedanken lesen und Menschen hypnotisieren, um sie zu sich zu locken. Er hatte Henry das Herz herausgerissen, einer Frau das Genick gebrochen und einer anderen das Blut aus dem Körper gesaugt – vor Alexandrias Augen. Kein Zweifel, sie hatte es nicht mit einem Menschen zu tun.

»Ich bin der Albtraum der törichten Sterblichen, der Vampir, der sich von ihrem Blut ernährt. Du bist die Frau, die an meiner Seite an meiner Macht teilhaben wird.«

Er schien es völlig ernst zu meinen, und Alexandria schwankte zwischen einem Weinkrampf und hysterischem Gelächter. Selbst Thomas Ivan hätte keinen so bizarren Dialog erfinden können. Dieser Mann schien tatsächlich zu glauben, was er sagte. Schlimmer noch, auch Alexandria begann allmählich, ihm zu glauben.

»Das … das ist kein Leben für mich.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern, und sie konnte nicht fassen, dass sie mit einer so unsinnigen Äußerung versuchte, Joshuas und ihr eigenes Leben zu retten. Doch welche Antwort gab es schon auf diesen Wahnsinn?

»Glaubst du, dass du mich ungestraft verspotten kannst?« Er umklammerte Joshuas Schultern so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.

Alexandria schüttelte den Kopf und versuchte, Zeit zu gewinnen. »Nein, ich meine es ernst. Ich liebe den Sonnenschein, und Vampire treiben sich ja hauptsächlich nachts herum. Ich trinke meistens nicht einmal Alkohol, von Blut ganz zu schweigen. Aber ich kenne eine Bar, in der du viele Frauen finden kannst, die solche Sachen mögen. Sie tragen schwarz, beten den Teufel an und behaupten, dass sie das Blut ihrer Freundinnen trinken. Ich dagegen bin viel zu konservativ.«

Wie war es möglich, dass sie hier in aller Seelenruhe eine Unterhaltung mit einem wahnsinnigen Mörder führte? Wo blieben die Sicherheitskräfte? Hatte denn niemand Henrys Leiche gefunden? Wieso kam ihr niemand zu Hilfe? Und wie lange würde es ihr gelingen, den Unhold abzulenken?

Sein leises Gelächter verhöhnte sie. »Niemand wird dich retten, meine Liebe. Ich kann die Sterblichen nicht nur zu mir bringen, sondern auch von mir fern halten.«

»Warum ich?«

»Es gibt nur wenige Frauen wie dich. Dein Geist ist sehr stark, deshalb kannst du auch nicht kontrolliert werden. Du kannst wirklich hellsehen, nicht wahr? Nur eine Frau wie du kann meine Gefährtin werden.«

»Ich weiß nicht, ob ich diese Fähigkeit besitze. Manchmal weiß ich Dinge, die andere Leute nicht wissen«, gestand Alexandria ein und fuhr sich nervös durchs Haar. »Ich wusste zum Beispiel, dass du hier bist, falls du darauf anspielst.« Irgendjemand würde sie hier finden. Sicherlich suchte Thomas Ivan schon nach ihr. »Bitte lass mich Joshua nach Hause bringen … oder wenigstens an einen sicheren Ort. Du brauchst ihn nicht, schließlich geht es dir um mich. Und ich verspreche dir, dass ich morgen Abend hierher zurückkehren werde. Außerdem kannst du mich mit deiner großen Macht überall finden, falls ich mein Wort brechen sollte.« Sie musste Joshua unbedingt befreien. Es war schrecklich, ihn so teilnahmslos in den Klauen des Ungeheuers zu sehen. Alexandria wollte ihren kleinen Bruder in die Arme nehmen und ihn beschützen, damit diese Kreatur ihm nie wieder etwas anhaben konnte. Wenn es ihr nur gelang, Joshua zu retten, war alles andere unwichtig.

»Ich darf dich leider nicht aus den Augen lassen. Es gibt noch andere, die nach dir suchen. Ich muss bei dir bleiben, damit ich dich vor ihnen beschützen kann.«

Alexandria rieb sich die pochenden Schläfen. Der Unhold versuchte ständig, Kontrolle über ihre Gedanken zu erlangen, und es bereitete ihr immer mehr Schmerzen, ihn abzuwehren. Sie musste ihre Taktik ändern. »Hör zu … hören Sie zu, Mr. … Wie heißen Sie eigentlich?«

»Wollen wir uns jetzt höflich und zivilisiert verhalten?« Er lachte sie aus.

»Ja, ich glaube, das wäre das Beste.« Alexandria verlor langsam die Kontrolle über sich. Sie musste einen Weg finden, Joshua aus dem Bann des Wahnsinnigen zu befreien. Er musste überleben, gleichgültig, ob es ihr auch gelang oder nicht. Absichtlich ballte sie die Fäuste und grub die Fingernägel in ihre Handflächen. Wenn sie sich auf den Schmerz konzentrierte, würde es ihr vielleicht gelingen, die Kontrolle über ihre Gedanken zu behalten.

»Meinetwegen gern. Mein Name ist Paul Yohenstria. Ich stamme aus den Karpaten. Du hast sicher meinen Akzent bemerkt.«

Alexandria streckte wieder die Arme nach Joshua aus. Sie konnte einfach nicht anders. »Bitte lassen Sie Joshua los, Mr. Yohenstria. Er ist doch noch ein kleiner Junge.«

»Du möchtest, dass er am Leben bleibt, und ich möchte, dass du mich begleitest. Ich bin sicher, wir werden eine Lösung finden, die für uns beide befriedigend ist. Meinst du nicht?«

Alexandria ließ die Arme sinken. Sie war erschöpft und ängstlich und hatte schreckliche Kopfschmerzen. Seine ständigen Versuche, in ihre Gedanken einzudringen, ermüdeten sie zusehends. Das ständige Flüstern in ihrem Kopf brachte sie allmählich um den Verstand. »Ich komme mit, aber lassen Sie meinen Bruder hier.«

»Nein, meine Liebe, das werde ich nicht tun. Komm jetzt.«

Alexandria ging zögernd auf ihn zu. Es war die einzige Möglichkeit. Sie liebte Joshua, er bedeutete ihr alles. Wenn ihm etwas zustieß, würde sie alles verlieren. Als Yohenstria sie berührte, würde ihr übel. Seine blutbefleckten Finger legten sich um ihren Oberarm, und sie konnte die Blutspuren unter den langen, scharfen Krallen erkennen. Henrys Blut. Yohenstria ließ Joshua zu Boden fallen, und der Junge blieb regungslos liegen.

»Sie brauchen mich nicht festzuhalten. Ich will nur sehen, ob es Josh gut geht«, sagte Alexandria. Die Berührung dieses bösartigen Wesens drehte ihr schier den Magen um, sodass sie befürchtete, sich wieder übergeben zu müssen.

»Vergiss den Jungen für einen Augenblick.« Er verstärkte seinen Griff und zog Alexandria an sich, sodass sie seinen Ekel erregenden Atem riechen konnte, den Gestank von Blut und Tod. Seine Haut war eiskalt und klamm.

Alexandria wand sich in seinem Griff, obwohl sie wusste, dass es zwecklos war. Sie konnte ihm nicht entkommen. Er beugte sich über ihren Hals, sodass sein heißer, übel riechender Atem über ihre Haut strich.

»Nicht. O Gott, nicht«, flüsterte Alexandria. Ihre Stimme versagte. Wenn er sie jetzt losließ, würden ihre Knie nachgeben, doch er hielt sie fest, während er sich weiter zu ihr herunterneigte.

»Dein Gott hat dich verlassen«, zischte er. Seine Zähne sanken tief in ihren Hals und bereiteten Alexandria so große Schmerzen, dass sie schwarze Schleier vor den Augen sah. Der Vampir zog sie in seine Arme und trank. Sie spürte seine Zähne in ihrem Körper, den Biss, der sie auf eine schreckliche Weise mit diesem Ungeheuer verband. Sie fühlte sich schwach. Ihre Herzschläge wurden unregelmäßig, während sie immer mehr Blut verlor. Alexandria schloss die Augen. Immer wieder sagte sie sich, dass sie am Leben bleiben und Joshua retten musste, doch schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen, und sie sank hilflos gegen die Brust der bösen Kreatur.

Der Vampir hob den Kopf, und Blut rann aus seinen Mundwinkeln. »Jetzt musst du trinken, damit du leben kannst.« Mit den Zähnen öffnete er sein Handgelenk, presste es auf Alexandrias Lippen und gab ihr von seinem Blut zu trinken.

Alexandria hatte noch genug Lebenswillen, um zu versuchen, die Ekel erregende Flüssigkeit nicht zu schlucken. Sie versuchte, ihren Kopf abzuwenden und ihren Mund zu schließen, doch der Vampir hielt sie mühelos fest und füllte ihren Mund mit seinem Blut. Dann strich er immer wieder über ihre Kehle, bis sie unwillkürlich zu schlucken begann. Er achtete allerdings darauf, ihr nicht die Menge zu geben, die er ihr genommen hatte. Er wollte sie in einem geschwächten Zustand halten, damit sie sich seinen Befehlen nicht widersetzen konnte.

Paul Yohenstria ließ sein Opfer neben Joshua zu Boden sinken und hob dann den Blick zum pechschwarzen Nachthimmel. Er hatte sie gefunden. Ihr Blut war heiß und süß, ihr Körper jung und verführerisch. Sie würde dafür sorgen, dass seine Gefühle zurückkehrten. Er würde wieder etwas empfinden können. Yohenstria stieß ein Triumphgeheul aus und schüttelte seine Faust gen Himmel, um Gott zu trotzen. Er hatte sich dazu entschlossen, seine Seele aufzugeben, doch das machte nun nichts mehr. Er hatte seine Gefährtin gefunden, die ihm zurückgeben konnte, was er verloren hatte.

Alexandrias schwache, unbewusste Versuche, sich von ihm zu entfernen, lenkten seine Aufmerksamkeit wieder auf sie. Alexandria kroch zu Joshua und nahm ihn beschützend in die Arme. Der Vampir knurrte eifersüchtig. Viele Männer würden sie begehren, doch sie gehörte ihm. Er würde sie mit niemandem teilen. Sobald die Umwandlung vollzogen war und sie sich endlich an ihn gebunden fühlte, würde er den Jungen loswerden. Er beugte sich hinunter, packte Joshua am Hemd und zog ihn von Alexandria fort.

Sie versuchte, sich aufzusetzen, doch alles drehte sich um sie herum. Dennoch spürte sie genau, wo Joshua sich befand. Sie würde keinesfalls zulassen, dass Josh das gleiche Schicksal bevorstand wie ihr. Wenn Yohenstria sie tatsächlich auch in ein Ungeheuer verwandeln konnte, blieb ihr nur der Tod als einziger Ausweg.

Ohne Vorwarnung stürzte sie sich vorwärts, packte Joshua und zog ihn an sich. Der Schwung ihrer Bewegung schleuderte Joshua und sie über die Klippe. Der Wind heulte um sie herum, und die Gischt sprühte ihr ins Gesicht und reinigte sie. Unter ihr tosten die Wellen, die sie in ihrem feuchten Grab willkommen zu heißen schienen, während sie donnernd gegen die Felsen schlugen.

Plötzlich schlugen Klauen in ihre Schultern. Alexandria hörte das Rauschen großer Schwingen und spürte den übel riechenden Atem ihres Feindes. Sie schrie auf, als seine scharfen Krallen sie packten und der Unhold sie ihrer einzigen Hoffnung auf Erlösung beraubte. Alexandria konnte es nicht über sich bringen, Joshua fallen zu lassen. Vielleicht gab es noch eine Chance, ihn in einem unbeobachteten Moment zu befreien. Sie umarmte ihren Bruder fest, barg das Gesicht in seinen blonden Locken und schloss die Augen. Flüsternd bat sie ihn um Verzeihung, weil sie nicht stark genug war, ihn zu erlösen, während sie noch am Leben war. Tränen brannten in ihren Augen, und sie fühlte sich befleckt von dem Bösen, das in Yohenstria lebte und das sie nun durch sein Blut für immer mit ihm verband.

Der Ort, an den er sie brachte, war dunkel und feucht, eine Höhle tief in den Klippen, umgeben von der aufgewühlten See. Es schien keinen Fluchtweg zu geben. Er warf seine erschöpften Opfer achtlos auf den feuchten Sand am Höhleneingang und ging dann ruhelos auf und ab. Nur mit Mühe konnte er seinen Ärger über ihren Widerstand zurückhalten.

»Du wirst so etwas nicht noch einmal tun, oder ich werde deinem Bruder die Hölle auf Erden bereiten. Haben wir uns verstanden?«, herrschte er Alexandria an.

Sie versuchte, sich aufzusetzen. Noch immer fühlte sie sich durch den Blutverlust geschwächt. »Wo sind wir?«

»In meiner Höhle. Der Jäger kann mich hier nicht aufspüren, weil die Höhle von Wasser umgeben ist. Das Meer verwirrt seine Sinne.« Paul Yohenstria lachte hämisch. »Er hat schon viele meines Volkes getötet, doch mich kann er nicht finden.«

Vorsichtig blickte Alexandria sich um. Soweit sie sehen konnte, gab es nur hohe Wellen. Die Klippen über ihr waren steil, schlüpfrig und unmöglich zu überwinden. Joshua und sie waren die Gefangenen des Vampirs. Die Höhle war kalt, eisig kalt. Alexandria begann zu zittern. Ein leichter Nebel stieg in die Höhle, und sie zog Joshua an sich, um ihn vor der Kälte zu schützen.

Das Wasser stieg, und der Sand, auf dem Joshua und sie lagen, wurde bereits vom Salzwasser überspült. »Wir können nicht hier bleiben. Wenn die Flut kommt, werden wir ertrinken.« Das Sprechen fiel Alexandria schwer. Sie hielt Joshuas Kopf in ihrem Schoß und stellte dankbar fest, dass er nichts von den Geschehnissen zu bemerken schien.

»Die Höhle führt bergauf in den Felsen hinein. Je tiefer man hineingeht, desto trockener wird es.« Yohenstria legte den Kopf zur Seite und betrachtete Alexandria. »Du wirst leider einen unangenehmen Tag verbringen müssen, meine Liebe. Ich vertraue dir noch nicht genug, um dich bei mir zu haben, während ich schlafe, aber ich kann dich auch nicht frei in der Höhle herumlaufen lassen. Zwar glaube ich nicht, dass du von hier entkommen kannst, aber bisher bist du einfallsreicher gewesen, als ich dir zugetraut hatte. Also lässt du mir keine andere Wahl, als dich in der Höhle anzuketten. Es wird etwas feucht werden, doch ich bin mir sicher, dass du es überstehst.«

»Warum tust du das alles? Was versprichst du dir davon? Warum tötest du uns denn nicht einfach?«, fragte Alexandria verzweifelt.

»Ich habe nicht die Absicht, dich sterben zu lassen. Ganz im Gegenteil. Du wirst werden wie ich, mächtig und unersättlich. Wir werden gemeinsam herrschen und unbesiegbar sein. Niemand wird in der Lage sein, uns aufzuhalten.«

»Aber muss ich mich dir denn nicht freiwillig anschließen?«, protestierte Alexandria hastig. Sie würde auf keinen Fall ein Leben mit ihm akzeptieren. Er würde sie schon dazu zwingen müssen. Es gab absolut nichts, mit dem er sie davon überzeugen konnte, seine abscheuliche Existenz mit ihm zu teilen. Doch während sie sich an diesem Gedanken festhielt, spürte sie, dass sich Joshua in ihren Armen regte.

Der Vampir blickte auf sie hinunter. »Das wirst du auch, meine Liebe. Irgendwann wirst du um meine Aufmerksamkeit betteln, das kann ich dir versprechen.« Er beugte sich hinunter, packte Alexandrias Arm und zerrte sie auf die Beine.

Sie schwankte im Wind, während ihr die Gischt ins Gesicht spritzte, hielt Joshua jedoch noch immer mit aller Kraft fest.

Paul schüttelte den Kopf. »Für eine Sterbliche bist du wirklich ungewöhnlich stark. Dein Geist ist sehr widerstandsfähig gegen Kontrolle und Beeinflussung. Ein sehr interessanter Fall. Aber du solltest meine Geduld nicht zu sehr auf die Probe stellen, meine Liebe. Ich kann sehr grausam sein, wenn man mich provoziert.«

Alexandria hätte am liebsten laut aufgeschluchzt. Wenn sein Verhalten im Augenblick bedeutete, dass er geduldig mit ihr war, wollte sie sich nicht einmal vorstellen, was er unter Grausamkeit verstand. »Irgendjemand wird die drei Frauen vermissen. Man wird ihre Leichen finden. Und Henrys auch.«

»Wer ist Henry?«, hakte er misstrauisch nach.

»Das sollten Sie wissen, schließlich haben Sie ihn umgebracht.«

»Ach, der törichte alte Mann? Er war mir im Weg. Außerdem hatte ich dich im Restaurant aufgespürt, fühlte aber deinen Widerstand. Irgendwie musste ich ja deine Aufmerksamkeit erregen. Der alte Mann und der Junge gehörten zu dir. Sie erfüllten ihren Zweck.«

»Haben Sie Henry deshalb umgebracht? Weil Sie wussten, dass ich ihn mochte?«, fragte Alexandria entsetzt, während sie innerlich zu verbrennen schien. Das Blut des Vampirs verströmte eine schmerzhafte, abscheuliche Hitze in ihrem Körper. In ihrem Herzen aber trauerte Alexandria um ihren alten Freund Henry.

»Ich kann nicht zulassen, dass dich die Überbleibsel aus deinem alten Leben ablenken. Du gehörst mir, mir allein. Ich werde dich mit niemandem teilen.«

Alexandrias Herz klopfte schneller, und sie drückte Joshua unwillkürlich an sich. Der Vampir würde ihren Bruder irgendwann ermorden. Offensichtlich hatte er nicht die Absicht, den Jungen zu einem Teil des Lebens zu machen, das er sich vorstellte. Sie musste einfach einen Weg finden, Joshua zu befreien. Wieder schwankte sie und wäre gestürzt, wenn Yohenstria sie nicht festgehalten hätte.

»Das Sonnenlicht wird nicht so weit in die Höhle dringen, dass es dich verbrennen könnte. Komm, wir müssen hineingehen, ehe der Tag anbricht.«

»Ich darf mich nicht in der Sonne aufhalten?«

»Du wirst leicht einen Sonnenbrand bekommen. Noch ist die Verwandlung nicht ganz vollzogen.« Ohne sich darum zu kümmern, dass Alexandria sich kaum auf den Beinen halten konnte, zerrte der Vampir sie mit sich, während sie Joshua noch immer fest in den Armen hielt. Er verhielt sich nach wie vor ganz still. Verzweifelt bemühte sich Alexandria, über einen Fluchtweg nachzudenken, war jedoch zu erschöpft dazu.

Sie gingen einige Meter in die Höhle hinein, dann stieß der Vampir Alexandria gegen die Felswand, an der eine schwere Kette befestigt war, die in einer Fessel endete. Als er Alexandria die Fessel anlegte, bemerkte sie, dass Blut am Stahl der Handschellen klebte. Offenbar war sie nicht das erste seiner Opfer, das an dieser Wand auf den Tod gewartet hatte. Die scharfen Metallkanten schnitten in ihre Handgelenke, und Alexandria sank kraftlos zu Boden, ohne die Wellen wahrzunehmen, die wieder und wieder über ihre Beine schwappten. Sie lehnte sich an den Felsen und wiegte ihren Bruder in den Armen, während sie vor Kälte zitterte.

Der Vampir lachte leise. »Ich werde mich jetzt ausruhen. Allerdings fürchte ich, dass es dir bald nicht mehr gelingen wird, das Gleiche zu tun.« Er drehte sich um und ging tiefer in die Höhle hinein, während sein höhnisches Lachen von den Wänden widerhallte.

Joshua regte sich plötzlich auf ihrem Schoß. Er setzte sich auf und rieb sich die Augen. Der Vampir schien ihn aus dem Trancezustand befreit zu haben, denn Josh schrie auf und klammerte sich ängstlich an Alexandria. »Er hat Henry getötet. Ich habe es gesehen, Alex. Er ist ein Monster!«

»Ich weiß, Josh. Es tut mir so Leid, dass du etwas so Entsetzliches mit ansehen musstest.« Sie schmiegte ihre Wange an seine blonden Locken. »Ich werde dich nicht anlügen. Wir sind in großen Schwierigkeiten, und ich weiß nicht, ob ich uns daraus befreien kann.« Alexandrias Stimme klang schleppend. Immer wieder fielen ihr die Augen zu. »Das Wasser steigt, Josh. Ich möchte, dass du dich hier umsiehst, nach einem Vorsprung oder einem Felsen, auf den du klettern kannst.«

»Ich will dich nicht loslassen, Alex. Ich habe Angst.«

»Ich weiß, kleiner Kumpel. Ich habe auch Angst. Aber du musst jetzt ganz tapfer sein und tun, was ich sage.«

Eine Welle traf die Höhle und spülte Sand und Salzwasser bis an Alexandrias Kinn, bevor sie zurückwich und nur einen Schaumteppich hinterließ. Joshua schrie ängstlich auf und klammerte sich an Alexandria. »Ich kann es nicht tun, Alex, wirklich nicht!«

»Du musst versuchen, aus der Höhle zu klettern und einen Platz zu finden, an dem du vor dem Wasser sicher bist.«

Josh schüttelte so energisch den Kopf, dass seine Locken hin und her wippten. »Nein, Alex, ich lass dich nicht allein. Ich muss bei dir bleiben.«

Alexandria hatte keine Kraft, sich mit ihm zu streiten. »Okay, Josh, ist schon gut.« Sie stützte sich an der Wand ab und stand mühsam auf. Jetzt reichte ihr das Wasser nur bis an die Waden. »Wir schaffen es auch zusammen. Komm, wir sehen uns mal um.«

Es war beinahe unmöglich, im Dämmerlicht der Höhle etwas zu erkennen, und das Geräusch der Wellen, die sich an den Felsen brachen, klang wie Donner in ihren Ohren. Alexandria zitterte unkontrolliert, und ihre Zähne schlugen so heftig aufeinander, dass sie fürchtete, sie könnten zerbrechen. Das Meersalz überzog ihre Haut, und die Wunde an ihrem Hals brannte. Mit Mühe hielt sie die Tränen zurück. Die einzige Felsnische, auf der Joshua Platz haben würde, befand sich zu hoch über ihrem Kopf. Wenn sie größer gewesen wäre, hätte sie ihn vielleicht hinaufheben können, doch so hatte er keine Chance, den Vorsprung zu erreichen.

Die nächste Welle riss Josh beinahe von den Beinen. In letzter Sekunde hielt er sich an Alexandrias Hüften fest. Sie schloss die Augen und lehnte sich an die Wand. »Josh, du musst so lange wie möglich stehen bleiben. Wenn das nicht mehr geht, werde ich dich auf den Arm nehmen, und später setze ich dich auf meine Schultern, okay? Es wird schon nicht so schlimm werden.« Sie tat ihr Bestes, um hoffnungsvoll zu klingen.

Joshua sah zwar ängstlich aus, nickte aber vertrauensvoll. »Wird der Mann zurückkommen und uns umbringen?«

»Er wird zurückkommen, Josh, weil er etwas von mir will. Wenn ich ihn hinhalten kann, haben wir vielleicht etwas Zeit, uns zu überlegen, wie wir hier herauskommen.«

Er sah sie ernst an. »Alex, als er dich gebissen hat, konnte ich ihn in meinem Kopf lachen hören. Er sagte, dass er dich dazu zwingen will, mich umzubringen. Wenn du erst so wärst wie er, würdest du mich töten wollen, weil ich dir im Weg wäre. Er meinte, du würdest all mein Blut trinken.« Er umarmte sie fester. »Ich wusste, dass es nicht stimmte.«

»Sehr gut, Josh. Das ist Teil seines Plans. Er will, dass wir voreinander Angst haben. Aber wir sind ein Team, Josh, das darfst du nie vergessen. Was auch passiert, du weißt, dass ich dich lieb habe, stimmt’s?« Sie ließ ihren Kopf auf Joshs ruhen, während das Meer ihre Beine umspülte. Alexandria war so müde und erschöpft, dass sie bezweifelte, den Tag überstehen zu können, von einer erneuten Konfrontation mit dem Vampir ganz zu schweigen. Immer wieder sprach sie stumme Gebete, bis die Worte sich in ihrem Kopf verwirrten und es ihr nicht mehr möglich war, einen klaren Gedanken zu fassen.