Der Geruch von Heimat - Mona Checinski - E-Book

Der Geruch von Heimat E-Book

Mona Checinski

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Beschreibung

Ohne Wurzeln lebt man das Leben der anderen. In unterhaltsamen wie informativen Lebensabschnitts-Geschichten erlebt der Leser 46 Jahre Jahre einer Frau und zugleich typische Auswüchse damaliger Zeiten. Die prüden 60er und ihre Folgen. In den 80ern in einem italieniischen Klan und endlich nach der Jahrtausendwende einen völligen Neustart. Was treibt Wurzellose an? Was gibt Menschen Ruhe? Was ist Heimat? Persönlich und informativ.

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Seitenzahl: 171

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Mona Checinski

Der Geruch von Heimat

ohne Wurzeln lebst du das Leben der anderen

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über den Autor

Prolog

Um was es geht

Manchmal ist ein Anfang ohne Zauber

Zum Säuglingsheim

Mutter-Wurzeln

Preußen im Schwabenland

Verschickung und Adoption

Vaterwurzeln

Beruf aber keine Berufung

Es wird italienisch

Intermezzo – von Angesicht zu Angesicht

Hochzeit Italiana

Intermezzo - Vino, Land, Leute und Kakerlaken

15 Jahre !

Neue Wohnung, neues Glück – aller Anfang ist schwer

Schlag auf Schlag

Neue Heimat, neues Glück – schwieriges Neuland

Was einem bleibt

Der Geruch von Heimat

Impressum neobooks

Über den Autor

Mona Checinski wurde 1966 in Remscheid, Nordrhein-Westfalen, geboren und wuchs in Herrenberg, Baden-Württemberg auf. Durch die Ehe mit einem italienischen Klan sowie ihren in dieser Zeit geborenen drei Kindern mußte sie sich früh mit interkulturellen Themen und resultierenden Problemen auseinandersetzen. Die Suche nach ihren eigenen spanischen Wurzeln begann vor über 20 Jahren und fand in diesem Jahr ihren Abschluß.

Mona Checinski schrieb Lokales für den Schwarzwälder Boten, später online-Berichte über lokale Persönlichkeiten am Bodensee und war Ghostwriterin für eine astrologische Zeitschrift. Bis heute sind ihre Passionen die Naturheilkunde sowie das Schreiben.

Unter dem gleichen Künstlernamen ist ihr erstes Buch „Schamanenschule“ (ebook) erschienen. Dies ist ihr zweites Buch, das Buch ihrer eigenen Lebensreise.

Sie lebt heute in Engen am Bodensee.

Oktober 2013

Der Geruch von Heimat

Mona Checinski

Prolog

Eine Tasche in jeder Hand stehe ich da und warte wie alle anderen. Irgendwie ist alles sehr real und irreal zugleich. Ich glaube es irgendwie immer noch nicht. Durch die riesige Fensterfront sehe ich sie stehen, die Maschine. Die freundliche Dame vor uns kontrolliert unsere Bordkarten und wir marschieren zum Shuttle-Bus, der uns auf die Piste bringt. Jetzt nur nicht plärren, wie peinlich. Alle Menschen um mich herum sind in gespannter aber froher Erwartungshaltung. Klar, die machen ja auch Urlaub. Gut, ich auch, könnte man sagen. Aber es ist mehr, viel mehr. Der Shuttlebus ist endlich voll und fährt uns jetzt hinaus zur Maschine, die mich dorthin bringen wird, wohin ich bereits seit 25 Jahren vergeblich zu reisen versuchte. Jetzt knicke ich doch ein wenig ein und mir kommen die Tränen. Ich laufe mit Alex auf die Gangway zu und bin froh, dass er mich kurz fest in den Arm nimmt. Ein Herzenswunsch, der nie wahr zu werden schien, geht nun in Erfüllung. Malaga, Andalusien.

Es ist auch mein erster Flug. Ich sitze in meinem engen Sitz, links neben mir ein buckliges Muttchen und rechts ein düster wirkender junger Mann. Der Flug ist interessant aber nicht in meinem Fokus der Aufmerksamkeit. Schade nur, dass wir keinen Platz nebeneinander bekommen haben, Alex und ich. Aber auch zum Glück, ich glaube, ich hätte mich sonst nicht so zusammengenommen und die Tränen tiefer Berührtheit wären reichlicher geflossen. Und am Ende hätte mich noch eine der griesgrämig dreinschauenden Stewardessen nach meinem Befinden gefragt. Scheint wohl doch kein Traumjob zu sein, wie man das immer so annimmt.

Nach über drei zwei Stunden Flug sind wir endlich über Andalusien und die Maschine hat deutlich an Höhe verloren. Endlich, da sind sie, die andalusischen Berge, die Serranias. Von den vielen Photos meines Vaters weiß ich, was mich landschaftlich erwartet. Das Flugzeug setzt zur Landung an und wieder steht mir das Wasser in den Augen. Es ist immer noch wie in einem Traum, ein Ding der Unmöglichkeit. Endlich, rumms, die Maschine hat Bodenhaftung und rattert nun in Bremsfahrt auf ihren Platz zu. Wir müssen noch durch die Passagierbrücke dann durch den elendlangen Flughafen Malagas latschen, um unsere Koffer zu holen. Immer noch keine spanische Erde unter den Füßen. Recht lange dauert es, bis die Koffer auf dem Band erscheinen - im spanischen Tempo eben. Jetzt geht es typisch südländisch weiter. Alex hat bereits von Deutschland aus einen Mietwagen bestellt, zu dem wir allerdings erst mit einem weiteren Shuttlebus geführt werden. Und hier beginnt schon das Durcheinander, fremde Sprache, keine Ahnung und eine leicht chaotische Hektik macht sich überall breit. Wir fragen uns durch und stehen nun endlich an dem langen Bordstein, an dem auch all die anderen Urlauber stehen, die zu ihrem Mietauto gebracht werden wollen. Sollen wir am Punkt 1 oder 2 oder gar 3 warten? Mit Handzeichen und einigen Worten, die wir teils sogar verstehen, schickt uns einer der hektischen Fahrer zum Punkt 2. Wir warten, und warten weiter. Ich bin total happy. Der Geruch des Südens liegt in der Luft, eine angenehme Unruhe und ein Gefühl von Durcheinander durchfließt alles. Ich liebe das. Und am Ende, wie immer im Süden, funktionieren die Dinge doch und jeder kommt an seinen Bestimmungsort. Alex wird allerdings langsam säuerlich. Unser Shuttlebus kommt, kutschiert uns im Eilverfahren durch Straßen und wir kommen bei der spanischen Autovermietung an. Einen Fiat 500 bekommen wir, neues Modell und rundherum vermackt und verdellt. Aber er hat uns fünf Tage lang ohne zu Murren über Stock und Stein gebracht und vor allem einmal recht laut über Stein. Und ein andermal durch Gassen, durch die wir in Deutschland nicht mit zwei Fahrräder nebeneinander hätten fahren wollen.

Dies ist meine Reise in das Land meiner Väter. Eine Reise, die ich erst mit 46 Lenzen antreten konnte und die den Kreis der Ahnen und auch meine Wurzelsuche geschlossen hat. Natürlich haben wir trotz der kurzen Zeit in Andalusien, eine knappe Woche nur, nicht nur meine Vatersfamilie besucht, sondern uns neben Malaga auch die Alhambra angeschaut und auf einer dreistündigen Fahrt in unserem schnuckeligen Cinquecento die Serrania von Ronda erlebt. In Ronda selbst haben wir auch Halt gemacht und bei Serrano und Wein direkt an der gut 100 m tiefen Schlucht den atemberaubenden Ausblick genossen. In Cortes de la Frontera dann, nur 10 km weiter, haben wir einen Teil meiner mir bis dato unbekannten Familie besucht. Von den vielen Brüdern meines Vaters leben noch zwei. Einer von ihnen ist für diesen Tag unser stolzer Gastgeber. Auch habe ich meine Großeltern aufgesucht, die allerdings schon seit einigen Jahren einen ruhigen Platz gefunden haben. Alex und ich werden herzlich auf spanisch aufgenommen. Nach fünf Stunden Familienschnellkennenlerntrip, Mittagessen, von Onkel zu Onkel, und Cousinen in Mengen, von Friedhof zum ehemaligen Haus meiner verstorbenen Großeltern und zum Abschluß noch gemeinsam in eine Bar sind wir beide völlig platt. Das wenige Spanisch, dass ich von mir gebe wird am Ende noch weniger und obwohl mein Onkel nicht verstehen kann, warum wir nicht bei ihm übernachten, was ich zunächst auch gerne getan hätte, bin ich am Ende doch froh, dass Alex Druck macht und wieder zurück nach Malaga in unsere Ferienwohnung will.

Die prall gefüllten Tage in Andalusien vergehen wie im Flug. Ich bin sofort ganz da und sauge den Geruch des Südens jeden Tag in mich ein. Zu gerne wäre ich dort geblieben. Ausgeklügelte Phantasien eines jungen Mädchens überfallen mich am Abreisetag. Einfach einen Job finden, am besten gleich bei der Autovermietung selbst, die brauchen ja auch Deutschsprachige…und da bleiben. Ich will nicht zurück.

Herzlich willkommen

im internationalen Lesezimmer, nehmen Sie Platz und lesen Sie, was ich aus meinem Leben ausplaudern werde. Was nicht erwähnt wird, das mag der geneigte Leser selbst zwischen den Zeilen erahnen. Spanien, Deutschland, Italien, mehr Europa geht nicht. In Deutschland geboren, Vater aus Andalusien, der vor fast 50 Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland kam, Mutter aus Westpreußen sowie drei Kindern aus einer 15jährigen italienischen Ehe kann ich mich getrost als Europäerin bezeichnen. Ich spreche meine Mutters Sprache und suchte lange Jahre nach Vaters Land. Das habe ich in diesem Jahr endlich besucht und mit allen Sinnen gefunden, was gefehlt hat. Heimat kann ich auf Nachfragen zwar immer noch schwer deklarieren, aber ich kann sie fühlen. Heimat, nicht ohne Wurzeln.

Dieses Buch ist in Lebensabschnitts-Kurzgeschichten aus meinem bislang 47jährigen Dasein eingeteilt. Wer mag, kann also nach persönlicher Leselaune einzelne Episoden lesen oder chronologisch von vorn bis hinten. Ich bin ein Kind des Windes und somit der Freiheit, meiner und ihrer verpflichtet.

Warum ich schon im Alter von 47 Jahren meine Lebenserinnerungen aufschreibe? Im Verhältnis zu Herrn Heesters mag ich noch als Backfisch wirken, stimmt. Allerdings zeichnet sich derzeit eine große Veränderung in meinem Leben ab. Eine innere Veränderung zunächst, gefühlt aber einem Abschluß einer Epoche gleich und diese möchte ich festhalten. Für mich, für alle beteiligten Personen, für die vielen Menschen, denen es ähnlich geht und erging. Diesen soll meine Geschichte als verstehender, freundschaftlicher Schulterschluss dienen.

Und ich schreibe für Frauen, die wie ich in den 60ern geboren und von Müttern dieser Zeit geprägt wurden. Ganz besonders sind die nachfolgenden Seiten für Frauen gedacht, die ihre Kinder mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit schon recht früh in Kindertagesstätten stecken oder zu Tagesmüttern bringen, nur der Karriere, der Finanzen oder gar der Ruhe wegen. Und obwohl die Folgen von Fremderziehung, vor allem seitens des Staates, genug bekannt sind, werden in Deutschland schon wieder Kinder je früher, desto besser weggesteckt. Raus aus dem familiären Verbund, raus aus dem, was die Kultur eines Landes, Kultur des Menschseins ausmacht bzw. ausmachen sollte. Ich schreibe für Frauen, die sich wie selbstverständlich in internationale Beziehungen begeben und deren Kinder dann die ewig Wurzelsuchenden bleiben. Mir ist es selbst so ergangen und genau so auch meinen eigenen Kindern. Und ich schreibe für Menschen, die wissen, dass man aus jeder Lebensgeschichte, wenn es auch nicht die eigene ist, immer etwas Nützliches herausziehen kann. Und last but not least schreibe ich ganz besonders für meine drei Kinder meine Lebensgeschichte nieder. Die Geschichte, die auch Teil ihrer eigenen ist.

Alle folgenden Begebenheiten entsprechen den Tatsachen. Natürlich sind sie auch mit der Farbe meiner ganz persönlichen Erfahrung und Wahrnehmung getüncht. Bei den weniger schönen Episoden meines Lebens fiel es mir teilweise schwer, nicht einen gewissen Zynismus und den erhobenen Zeigefinger aufblitzen zu lassen. Meiner Schwester sei Dank. Sie hat mich auf meine teils harten Worte hingewiesen und gemahnt, hin und wieder emotionale Befindlichkeiten nicht ganz so intensiv einfließen zu lassen. Viele Geschichten sind hier nicht erwähnt, andere nur am Rande gestreift oder sehr zusammengerafft erzählt. Bis ins Detail zu gehen ist manchmal zu tief. Zum Schutz aller Beteiligten habe ich ALLE Namen verändert. Einzig Herrn Dr. Burschel sowie seine Website zum Thema Säuglingsheime habe ich mit seinem Einverständnis mit realem Namen belassen. Auch die Orte sind nicht verändert worden.

Um was es geht

Ich bin am 10. Oktober 1966 in Remscheid geboren und habe meine Lebensreise bereits als sechs Wochen alter Säugling mit einer dreijährigen „Voll-Pension“ gestartet. Seinerzeit waren dies gut gebuchte Säuglingsheime, die in ganz Deutschland sowie angrenzenden Ländern (Schweiz, Österreich, DDR) Orte der Wahl waren, in denen man Kinder wie mich unterbrachte. Kinder ohne Vater oder mit Vater (aber Ausländer) oder schlicht gesellschaftlich aus irgendeinem anderen irrelevanten Grunde untragbare Erdenbürger. Allein zu damaliger Zeit gab es in Deutschland über 300 solcher Heime. Die allerdings konnten den seinerzeit gut 250 000 Babyinsassen allerdings niemals Heimat sein.

Nach drei Jahren Heimaufenthalt ging die Reise für zwei Jahre zu einer Tagesmutter und mit fließendem Übergang in eine Patchworkfamilie. Wie man das heute so schön nennt, aber eine mit deutschem Stiefdaddy. Ein Vater musste her, meinte meine Mutter, die das Gequatsche der Leute Leid war. Nach knapp 15 Jahren siedelte ich fast nahtlos über in (m)eine italienische Schwieger-Familie. Der Familie meines italienischen Mannes von dem ich drei Kinder bekam. Hier lernte ich zunächst Familie und Nestgefühl kennen, schnell aber auch Kleingeistigkeit, kulturelle Zwänge und klassisches Gastarbeiterdenken.

Mein werter Gatte gönnte sich schon vor der Geburt unseres dritten Kindes eine 19jährige Freundin. Und so folgte Trennung und Scheidung. Nach dem ersten Jahr der Trennung zog ich mit meinen drei Kindern, mittlerweile im Alter von 1 ½, 10 und 12 Jahren, aus der noch im gemeinsamen Besitz befindlichen Wohnung. Wie sich schnell herausstellte war es allerdings wenig sinnvoll, im gleichen Ort zu bleiben. Letztlich nur einen Steinwurf von der ehemaligen Wohnung entfernt. Ich tat es der Kinder wegen.

Es folgten fast fünf sehr bewegte aber auch freie Jahre mit meinen drei Kindern. Diese Jahre waren bunt wie das Leben und oft sehr, sehr anstrengend. Ich hatte selbst mit mir noch zu kämpfen, ähnlich jemanden, der aus den Klauen einer Sekte entfliehen konnte. Absolut unfrei, sich ständig für alles und jeden erklärend, von meinen eigenen Kindern meist genauso respektlos behandelt wie von ihrem Vater und mit einem desolaten Selbstwertgefühl.

Da der Druck und die Kontrollmaßnahmen meines Ex-Mannes auch zu jener Zeit statt nachzulassen immer unerträglicher wurden, entschloss ich mich nach Jahren, nochmals weiter zu ziehen und wenigstens 80 km zwischen ihn und mir kommen zu lassen. Diesen Entschluss konnten meine beiden Größeren nicht folgen, die ohnehin lange schon sehr vaterbezogen waren und für die ihre Mutter immer noch ein gefälligst zu funktionierendes Etwas war. So zog ich also „alleine“ mit meinem Jüngsten, damals fünfjährigen Sohn gen Süden an den Bodensee. Es war mir zu derzeit unmöglich, die Stimme zu erheben, durchzugreifen und meine beiden Großen zum Mitziehen zu zwingen. Bitten meinerseits wurden ignoriert. Es war eine sehr, sehr schwere Entscheidung. Allerdings ließen mir die damaligen Zustände keinen anderen Weg mehr offen. Ich war nervlich mit meinen drei Kindern, deren Ablehnungen und Auflehnungen und dem nicht nachlassenden Psychostress seitens meines Ex-Mannes, irgendwann völlig am Ende. Jahre brauchte es dann auch in der Ferne bis ich das Gefühl der Freiheit mit dem kasteienden Gefühl, als Mutter versagt zu haben, zusammenbringen und daraus endlich ein neues Lebensgefühl erwachsen konnte.

Heute, rückblickend betrachtet, jedoch die beste Entscheidung. Mein Herz und vor allem meine Seele blühten auf – auch wenn ich nach kurzer Zeit für 1 ½ Jahre Kunde des Job-Centers wurde. Eine sehr einprägsame Zeit. Harz IV Kunde zu sein stand der Unterdrückung und Kontrolle meiner italienischen Familie in nichts nach.

Mich wieder zu finden, als Mensch und vor allem als Frau, nahm gut zehn Jahre in Anspruch. Eine Zeit im Freiflug. Es gab keinen familiären Heimathafen mütterlicherseits und auch väterlicherseits nicht. Beide waren regelrecht nicht existent. Das Warum erkläre ich später ausführlicher. Es gab keinen Heimatort zu dem ich hätte zurückziehen können oder wollen. Es gab nach der Scheidung auch keinen Mädchennamen, den man hätte wieder annehmen können. Denn Nomen est Omen und ich wollte den Namen meines Stief- und später Adoptiv-Vaters keinesfalls wieder annehmen. Dieser nämlich galt leider nach meiner Adoption im zarten Alter von 10 Jahren gesetzlich als so genannter „Mädchenname“.

Was blieb also? Wer bin ich? Wo ist Heimat?

Ich wünsche eine bewegte und vergnügliche Lesezeit mit meinen Erinnerungen, einer Mischung aus interkulturellen Geschichten, humoristische Lebenseinlagen, kritischen und persönlichen Ansichten. Sie nehmen teil an der Zeitgeschichte in Deutschland zwischen 1966 bis heute; geschrieben von einem Kriegsenkel, um den von Frau Susanne Bode(*1) geprägten Begriff zu nutzen. Es ist meine Reise auf der Suche nach dem Geruch von Heimat.

(*1) Autorin u.a. von „Kriegskinder“ sowie „Kriegsenkel“, www.sabine-bode-koeln.de

Manchmal ist ein Anfang ohne Zauber

Distanziert betrachtet

(0-6 Jahre – 1966 - 1973)

Man schreibt das Jahr 1966. Eine deutsche Frau wird schwanger von einem spanischen Gastarbeiter. Das, so ist man geneigt zu glauben, ergibt wohl nichts, was so schrecklich interessant wäre, um darüber zu schreiben. Auf den ersten Blick sicher nicht, denn so oder so ähnlich ist es seinerzeit vielen Frauen ergangen. Allerweltsgeschehen sozusagen.

Das Kind erblickt das Licht der Welt. Erster Schwierigkeitsgrad für den neuen Erdenbürger im beginnenden Spiel des Lebens: Man schreibt nicht das Jahr 1980 oder gar 2013, nein, es sind die wilden aber immer noch schrecklich verklemmten 60er Jahre im Nachkriegsdeutschland des vergangenen Jahrhunderts.

Zu jener Zeit war es eben nicht normal, sich mit einem Ausländer einzulassen und gar noch von diesem ein Kind zu bekommen. Und dann noch einer aus ärmlichen Verhältnissen. Die Gastarbeiter eben. Die kamen in jenen Jahren zuhauf aus den südlichen Armenhäusern Europas nach Deutschland. Dem nämlich fehlte es nach verlorenem Krieg auch an Arbeitskräften. Wieso „auch“? Ja nun, es fehlte dem armen Deutschland auch an sozialer Kompetenz. Ausländer zwar als Arbeitskräfte willkommen zu heißen, damit der Wirtschaftsaufschwung auch bezwungen werden konnte, sie ansonsten als Menschen zweiter Klasse einzustufen, das lässt meines Erachtens auf einen gewissen Mangel an sozialer Kompetenz schon schließen. Vielleicht war es auch nur Unwissenheit oder Unsicherheit?

Der zweite Schwierigkeitsgrad, der sich nun dem neuen Erdenbürger entgegenstellte, war der Umstand, dass besagte deutsche Frau nicht mit dem Ausländervater verheiratet war und auch nicht beabsichtigte, die Beziehung weiterzuführen. Also, ein uneheliches Kind.

Diesen seinerzeit in Massen auftretenden „Problemen“ wurde man in Deutschland aber sehr gut Herr – wie man gewissen Problemen schon knapp 25 Jahr zuvor Herr wurde: Internierung. Man steckte uneheliche Kinder (sehr gehäuft von Ausländervätern) einfach in eigens dafür eingerichtete Heime, den sogenannten Säuglingsheimen. Dort waren sie erst mal weg vom Fenster. Der eingangs erwähnten deutschen Frau erging es ebenso. Das Jugendamt, nun Vormundschaft innehabend, legte ihr mehr als Nahe, ihr sechs Wochen altes Baby in ein solches Heim zu geben. Im Grunde gab es keine andere Möglichkeit. Damals waren Erziehungszeit oder Ähnliches noch nicht en vogue. Und leider gab es in ihrem Falle auch keine eigene Familienstruktur von der sie in dieser Situation aufgefangen wurde. In einem solchen Heim, so meinten Staatsbedienstete, wäre das Kind „gut“ versorgt und Frau konnte in Ruhe weiterhin arbeiten gehen. Allerdings hatte Frau damit auch keinen Einfluß mehr auf ihr Kind. Alle Macht über Gedeih und Verderb desselben oblag für die kommenden Jahre nun einzig und alleine dem Staate.

Nach gut drei Jahren wurde es der Mutter gestattet, ihr Kind wieder in eigene Obhut nehmen zu können oder es in weiterführenden Kinderheimen aufzubewahren. Die Frau entschied sich für das Kind. So bekam sie also ihr Mädchen nach drei Jahren Heimaufenthalt wieder zurück.

Mancher wird schon Zeilen zuvor nach dem Vater gefragt haben. Zu Recht. Hier lag es an der Mutter, dass aus der klassischen Vater-Mutter-Kind Konstellation nichts wurde. Der Vater sah sich zwar gemäß seiner südländischen Erziehung in der Pflicht, die geschwängerte Frau auch zu heiraten. Allerdings war die Mutter nicht gewillt, sich auf eine fremde Kultur dauerhaft einzulassen. Vermutlich spielte auch seine „niedere“ Herkunft, also Gastarbeiterstand, eine nicht zu verachtende Rolle. Heute wäre die Entscheidung gegen den Kindsvater und für ein alleiniges Erziehen des Kindes kein allzu großes Problem mehr. Säuglingsheime wie zu jener Zeit sind zum großen Glück abgeschafft. Eine alleinstehende Mutter kann heute zumindest die ersten Lebensjahre ihr Kind selbst erziehen und ihm vor allem die Zuwendung geben, die ein Kind benötigt.

Leider ist heute für viele Frauen das Mutterdasein lange schon nicht mehr an erster Stelle. Geld, Karriere, Emanzipation und ein von vielen Seiten fehlgeleitetes Frauenbild haben das Dasein als Mutter in ein ungünstiges Licht gerückt. Nicht nur die Gesellschaft, auch der Staat fördert diese bedenkenswerte Entwicklung. Kein Wunder, daß aus Kindergärten Kindertagesstätten werden und neuerdings sogar stolz auf 24h-Kitas verwiesen wird. Statt vorwärts machen wir wieder rückwärts. Nestwärme, Familienbande, Werte…nix da!

Nun also zurück in die Zeit der 60er Jahre. Die deutsche Frau bekam ihr Kind wieder, in eigene Verantwortung sozusagen. Sie zog von Westfalen nach Baden-Württemberg und erhielt dort auch gleich eine seinerzeit gut bezahlte Stellung im Schreibbüro des Verwaltungsapparates eines großen schwäbischen Autoherstellers in Untertürkheim. Um ihrer Arbeit wie gewohnt nachgehen zu können, kam das Kind zu einer Tagesmutter. Nach gut zwei Jahren Kind morgens in aller Frühe hingeschleppt und abends wieder abgeholt, zudem dem Gerede der Leute ausgesetzt, hatte die Frau es satt. „Hast du denn keinen Vater?“ bekam das Mädchen oft zu hören. Mit ihren fünf Jahren war die Kleine ob solcher Anfragen schlichtweg überfordert und die Mutter im Grunde auch. Also, ein Vater musste her. Natürlich ein potenter; sonst hätte sie ja den Gastarbeiter heiraten können.

Und so schneite ein Schwabe mit Häusle in die kleine zweier WG. Oder besser gesagt, die beiden schneiten bei ihm ein. Denn schließlich hatte er ja ein Haus und war zudem sehr gewillt, die beiden Damen aufzunehmen, um endlich eine Familie zu gründen. Sein eigener Versuch in dieser Richtung war bislang fehlgeschlagen. Seine erste Frau starb – kinderlos – an Krebs. Geheiratet hat die Preußin den Schwaben 1972.

Und siehe da, es wurde ruhiger mit dem Gequatsche der Leute. Auch die Mutter wurde ruhiger, schließlich war ja jetzt eine Basis geschaffen, die ihre Außenseitersituation als Alleinerziehende beendet hatte.

Allerdings ging die Mutter weiterhin arbeiten, schließlich hatte sie eine recht passabel bezahlte Stellung. Das Mädchen wurde weiterhin untergebracht. Neue Tagseltern.