Der Heidenfürst - Bernard Cornwell - E-Book
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Der Heidenfürst E-Book

Bernard Cornwell

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Beschreibung

Ein fauler Frieden. Ein böser Krieg. Nur ein Ausgestoßener kann England retten. König Alfred ist tot und sein Sohn Edward hat den Thron bestiegen. Das Reich scheint gerettet, doch der Frieden ist gefährdet: Dänenherrscher Cnut Langschwert begehrt nichts mehr als die Smaragdkrone von Wessex. Und im Land selbst schwärt der Verrat. Uhtred kann nicht helfen: Er ist am Hofe Edwards unerwünscht. So beschließt er, mit einer Truppe furchtloser Krieger seinen Familiensitz Bebbanburg von seinem tückischen Onkel Ælfric zurückzuerobern. Bündnisse und Schwüre brechen und viele Männer müssen sterben, als nacheinander alle sächsischen Reiche in die bis dahin blutigste Auseinandersetzung mit den Dänen geraten: in einen Krieg, der über mehr als einen Thron entscheiden wird und über das Schicksal Englands. Die erfolgreichste Serie historischer Abenteuerromane, die es überhaupt gibt: «Wie Game of Thrones. Nur echt.» (Observer) «Dreckig, gewalttätig und randvoll mit Action … hervorragend recherchiert und sehr gut erzählt.» (The Times) «Eine packende Geschichte, die das angelsächsische England zum Leben erweckt.» (Daily Mail) «Cornwell hat sein Material immer fest im Griff. Wie viele seiner Figuren ist er König auf dem Land, das er als seines in Besitz genommen hat.» (Sunday Times)

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Seitenzahl: 603

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Bernard Cornwell

Der Heidenfürst

Historischer Roman

Aus dem Englischen von Karolina Fell

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Ein fauler Frieden. Ein böser Krieg. Nur ein Ausgestoßener kann England retten.

 

König Alfred ist tot und sein Sohn Edward hat den Thron bestiegen. Das Reich scheint gerettet, doch der Frieden ist gefährdet: Dänenherrscher Cnut Langschwert begehrt nichts mehr als die Smaragdkrone von Wessex. Und im Land selbst schwärt der Verrat. Uhtred kann nicht helfen: Er ist am Hofe Edwards unerwünscht. So beschließt er, mit einer Truppe furchtloser Krieger seinen Familiensitz Bebbanburg von seinem tückischen Onkel Ælfric zurückzuerobern.

 

Bündnisse und Schwüre brechen und viele Männer müssen sterben, als nacheinander alle sächsischen Reiche in die bis dahin blutigste Auseinandersetzung mit den Dänen geraten: in einen Krieg, der über mehr als einen Thron entscheiden wird und über das Schicksal Englands.

 

Die erfolgreichste Serie historischer Abenteuerromane, die es überhaupt gibt: «Wie Game of Thrones. Nur echt.» (Observer)

 

«Dreckig, gewalttätig und randvoll mit Action … hervorragend recherchiert und sehr gut erzählt.» (The Times)

 

«Eine packende Geschichte, die das angelsächsische England zum Leben erweckt.» (Daily Mail)

 

«Cornwell hat sein Material immer fest im Griff. Wie viele seiner Figuren ist er König auf dem Land, das er als seines in Besitz genommen hat.» (Sunday Times)

Über Bernard Cornwell

Bernard Cornwell, geboren 1944, machte nach dem Studium Karriere bei der BBC. Nach Übersiedlung in die USA entschloss er sich, einem langgehegten Wunsch nachzugehen, dem Schreiben. Im englischen Sprachraum gilt er als unangefochtener König des historischen Abenteueromans. Bernard Cornwells Werke wurden in über 20 Sprachen übersetzt, die Gesamtauflage liegt bei über 20 Millionen Exemplaren.

 

Weitere Veröffentlichungen:

 

Die Uhtred-Serie:

Band 1: Das letzte Königreich

Band 2: Der weiße Reiter

Band 3: Die Herren des Nordens

Band 4: Schwertgesang

Band 5: Das brennende Land

Band 6: Der sterbende König

Band 7: Der Heidenfürst

 

Die Artus-Chroniken:

Band 1: Der Winterkönig

Band 2: Der Schattenfürst

Band 3: Arthurs letzter Schwur

 

Die Bücher vom Heiligen Gral:

Band 1: Der Bogenschütze

Band 2: Der Wanderer

Band 3: Der Erzfeind

 

Die Starbuck-Chroniken:

Band 1: Der Rebell

Band 2: Der Verräter

Band 3: Der Gegner

Band 4: Der Kämpfer

 

Sowie

Das Zeichen des Sieges

Stonehenge

Das Fort

1356

Waterloo

 

Gemeinsam mit seiner Frau Judy hat Bernard Cornwell unter dem Pseudonym «Susannah Kells» zwei weitere historische Romane verfasst:

 

Das Hexen-Amulett

Die dunklen Engel

Inhaltsübersicht

WidmungKarteOrtsnamenDie Königsfamilie von WessexERSTER TEIL Der AbtEinsZweiZWEITER TEIL MiddelnihtDreiVierFünfDRITTER TEIL KriegsgerüchteSechsSiebenAchtNeunZehnVIERTER TEIL EisracheElfZwölfDreizehnNachwort des AutorsLeseprobe: Der leere ThronDer leere Thron

Für Tom und Dana

Go raibh mile maith agat

Ortsnamen

Die Schreibung der Ortsnamen im angelsächsischen England war eine unsichere und regellose Angelegenheit, in der nicht einmal über die Namen selbst Übereinstimmung herrschte. London etwa wurde abwechselnd als Lundonia, Lundenberg, Lundenne, Lundene, Lundenwic, Lundenceaster und Lundres bezeichnet. Zweifellos hätten manche Leser andere Varianten der Namen, die unten aufgelistet sind, vorgezogen, doch ich habe mich in den meisten Fällen nach den Schreibungen gerichtet, die entweder im Oxford Dictionary of English Place-Names oder im Cambridge Dictionary of English Place-Names für die Jahre um die Herrschaft Alfreds von 871 bis 899 zu finden sind. Aber selbst diese Lösung ist nicht narrensicher. So wird die Insel Hayling dort für das Jahr 956 sowohl Heilincigae als auch Hæglingaiggæ geschrieben. Auch bin ich selbst nicht immer konsequent geblieben; ich habe die moderne Bezeichnung England dem älteren Englaland vorgezogen, und anstelle von Norðhymbraland habe ich Northumbrien geschrieben, weil ich den Eindruck vermeiden wollte, dass die Grenzen des alten Königreiches mit denjenigen des modernen Countys identisch sind. Aus all diesen Gründen folgt die unten stehende Liste ebenso unberechenbaren Regeln wie die Schreibung der Ortsnamen selbst.

Æsc’s Hill

Ashdown, Berkshire

Afen

Fluss Avon, Wiltshire

Beamfleot

Benfleet, Essex

Bearddan Igge

Bardney, Lincolnshire

Bebbanburg

Bamburgh Castle, Northumberland

Bedehal

Beadnell, Northumberland

Beorgford

Burford, Oxfordshire

Botulfstan

Boston, Lincolnshire

Buchestanes

Buxton, Derbyshire

Ceaster

Chester, Cheshire

Ceodre

Cheddar, Somerset

Cesterfelda

Chesterfield, Derbyshire

Cirrenceastre

Cirencester, Gloucestershire

Coddeswold Hills

The Cotswolds, Gloucestershire

Cornwalum

Cornwall

Cumbraland

Cumberland

Dunholm

Durham, County Durham

Dyflin

Dublin, Irland

Eoferwic

York, Yorkshire

Ethandum

Edington, Wiltshire

Exanceaster

Exeter, Devon

Fagranforda

Fairford, Gloucestershire

Farnea Islands

Farne-Inseln, Northumberland

Flaneburg

Flamborough, Yorkshire

Foirthe

Fluss Forth, Schottland

Gewæsc

Wash

Gleawecestre

Gloucester, Gloucestershire

Grimesbi

Grimsby, Lincolnshire

Haithabu

Hedeby, Dänemark

Humbre

Fluss Humber

Liccelfeld

Lichfield, Staffordshire

Lindcolne

Lincoln, Lincolnshire

Lindisfarena

Lindisfarne (Heilige Insel), Northumberland

Lundene

London

Mærse

Fluss Mersey

Pencric

Penkridge, Staffordshire

Sæfern

Fluss Severn

Sceapig

Sheppey-Insel, Kent

Snotengaham

Nottingham, Nottinghamshire

Tameworþig

Tamworth, Staffordshire

Temes

Fluss Thames

Teotanheale

Tettenhall, West Midlands

Tofeceaster

Towcester, Northamptonshire

Uisc

Fluss Exe

Wiltunscir

Wiltshire

Wintanceaster

Winchester, Hampshire

Wodnesfeld

Wednesbury, West Midlands

Die Königsfamilie von Wessex

ERSTER TEIL Der Abt

Eins

Ein düsterer Himmel.

Die Götter machen den Himmel; er spiegelt ihre Laune, und an diesem Tag war sie düster. Es war Hochsommer, und schneidend kalter Regen trieb von Osten heran. Man fühlte sich wie im Winter.

Ich saß auf Blitz, meinem besten Pferd. Es war ein Hengst, schwarz wie die Nacht, aber mit einer Fellzeichnung, die ihm wie ein schräger grauer Strich über die Hinterhand hinablief. Er hieß nach einem großen Jagdhund, den ich einst Thor geopfert hatte. Ich hatte es gehasst, diesen Hund zu töten, aber die Götter gehen hart mit uns um; sie fordern Opfer, und dann beachten sie uns nicht mehr. Dieser Blitz war ein riesiges Tier, kräftig und reizbar, ein Schlachtross, und ich war für die Schlacht gerüstet. Ich trug ein Kettenhemd und war in Stahl und Leder gehüllt. Schlangenhauch, das beste aller Schwerter, hing an meiner linken Seite, auch wenn ich bei dem Gegner, den ich an jenem Tag vor mir hatte, kein Schwert brauchte, keinen Schild und keine Kampfaxt. Aber ich trug Schlangenhauch dennoch, weil diese Klinge meine Gefährtin war. Ich besitze sie noch immer. Wenn ich sterbe, und das muss wohl bald geschehen, wird mir jemand die Finger um ihr abgenutztes, mit Leder umwickeltes Heft schließen, und sie wird mich nach Walhall tragen, in die Totenhalle der großen Götter, und dort werden wir feiern.

Aber nicht an jenem Tag.

An jenem düsteren Sommertag saß ich mitten auf einer morastigen Straße im Sattel und stellte meine Feinde. Ich konnte sie hören, aber sehen konnte ich sie nicht. Sie wussten, dass ich da war.

Die Straße war gerade eben breit genug, dass zwei Fuhrwerke aneinander vorbeikamen. Die Häuser auf beiden Seiten bestanden aus Lehm und Flechtwerk, ihre Dächer waren gedeckt mit Riedgras, das schwarz war vom Regen und dick mit Flechten überwachsen.

Der Morast der Straße war knöcheltief, von Karrenfurchen durchzogen und durchsetzt mit dem Kot von Hunden und freilaufenden Schweinen. Der tückische Wind kräuselte das Wasser in den Pfützen, die in den Karrenfurchen standen, und wehte den Holzrauch vom Abzugsloch eines der Dächer zu uns herüber.

Ich hatte zwei Begleiter. Ich war mit zweiundzwanzig Mann von Lundene losgeritten, aber mein Vorhaben in diesem nach Kot stinkenden und regengepeitschten Dorf war persönlich, und deshalb hatte ich die meisten meiner Männer eine Meile entfernt warten lassen. Osbert aber, mein jüngster Sohn, saß hinter mir auf einem grauen Hengst. Er war neunzehn Jahre alt, trug eine Kettenrüstung und ein Schwert an der Seite. Er war jetzt ein Mann, auch wenn ich ihn immer noch als Jungen sah. Ich schüchterte ihn ein, ebenso wie mein Vater mich eingeschüchtert hatte. Manche Mütter lassen ihre Söhne verweichlichen, aber Osbert war mutterlos, und ich hatte ihn mit harter Hand erzogen, denn ein Mann muss hart sein. Die Welt ist voller Feinde. Die Christen erzählen uns, dass wir unsere Feinde lieben und unsere andere Wange hinhalten sollen. Die Christen sind Narren.

Neben Osbert ritt Æthelstan, der älteste Sohn König Edwards von Wessex und ein Bastard. Er war erst acht Jahre alt, doch wie Osbert trug er eine Kettenrüstung. Æthelstan konnte ich nicht einschüchtern. Ich hatte es versucht, aber er hatte mich mit seinen blauen Augen nur kühl angeblickt und dann gegrinst. Ich liebte diesen Jungen, ebenso wie ich Osbert liebte.

Beide waren Christen. Ich schlage eine verlorene Schlacht. In einer Welt des Todes, des Verrats und des Elends gewinnen die Christen. Die alten Götter werden noch verehrt, gewiss, aber sie werden in die Hochtäler zurückgedrängt, in die einsamen Regionen, an die kalten Nordgrenzen der Welt; die Christen dagegen verbreiten sich wie eine Pest. Ihr angenagelter Gott ist mächtig. Das nehme ich hin. Ich habe schon immer gewusst, dass ihr Gott große Macht besitzt, und ich verstehe nicht, warum meine Götter den Bastard gewinnen lassen, aber sie tun es. Er betrügt. Das ist die einzige Erklärung, die mir einfällt. Der angenagelte Gott lügt und betrügt, und Lügner und Betrüger gewinnen immer.

Und so wartete ich auf der feuchten Straße ab, und Blitz scharrte mit einem schweren Huf in einer Pfütze. Über meinem ledergefütterten Kettenhemd trug ich einen Umhang aus dunkelblauer Wolle mit einem Randbesatz aus Wieselfell. Der Thorshammer hing um meinen Hals, und der Helm auf meinem Kopf war mit einem Wolfskopf gekrönt. Die Wangenstücke des Helms waren offen. Regen tropfte von seinem Rand herunter. Ich trug hohe Lederstiefel, deren Schaftränder ich mit Lumpen ausgestopft hatte, damit kein Regenwasser in die Stiefel lief, dazu Stulpenhandschuhe, und über meine Arme hatte ich die Ringe aus Gold und Silber gestreift, die Armringe, die sich ein Kriegsherr verdient, indem er seine Feinde tötet. Ich strahlte in all meiner Pracht, doch der Gegner, dem ich gegenüberstand, verdiente diesen Respekt nicht.

«Vater», begann Osbert, «was ist, wenn …»

«Habe ich mit dir gesprochen?»

«Nein.»

«Dann sei still», knurrte ich.

Ich hatte nicht so zornig klingen wollen, aber ich war zornig. Es war ein Zorn, der sich nirgends entladen konnte, ein Zorn auf die Welt, auf die elende, trübselige Welt, ein ohnmächtiger Zorn. Die Feinde befanden sich hinter geschlossenen Türen, und sie sangen. Ich hörte ihre Stimmen, wenn ich auch ihre Worte nicht verstehen konnte. Sie hatten mich gesehen, das war sicher, und sie hatten gesehen, dass die Straße bis auf uns menschenleer war. Die Leute, die in dieser Stadt lebten, wollten nichts mit dem zu tun haben, was gleich geschehen würde.

Doch was geschehen würde, wusste ich selbst nicht, obwohl ich es verursachen würde. Oder würden die Türen vielleicht geschlossen bleiben, weil es die Gegner vorzogen, sich im Schutz dieses robusten Balkengebäudes zusammenzukauern? Das war zweifellos die Frage, die Osbert hatte stellen wollen. Was war, wenn die Feinde im Haus verharrten? Allerdings hätte er sie vermutlich nicht Feinde genannt. Er hätte gefragt, was wäre, wenn «sie» im Haus blieben.

«Wenn sie im Haus bleiben», sagte ich, «dann schlage ich die verdammte Tür ein, gehe hinein und zerre den Bastard heraus. Und wenn ich das tue, dann bleibt ihr zwei hier und haltet Blitz.»

«Ja, Vater.»

«Ich komme mit Euch», sagte Æthelstan.

«Du tust, verdammt noch mal, was man dir sagt.»

«Ja, Herr Uhtred», sagte er respektvoll, aber ich wusste, dass er grinste. Ich musste mich nicht umdrehen, um dieses freche Grinsen zu sehen, aber ich hätte mich ohnehin nicht umgedreht, denn in diesem Augenblick hörte der Gesang auf. Ich wartete. Ein Moment verging, und dann öffneten sich die Türen.

Und sie kamen heraus. Zuerst ein halbes Dutzend älterer Männer, dann die jungen, und ich sah, dass mich diese jüngeren anschauten, aber selbst der Anblick Uhtreds, des Kriegsherrn in all seinem Zorn und all seiner Pracht, konnte ihre Freude nicht dämpfen. Sie sahen so glücklich aus. Sie lächelten, klopften sich gegenseitig auf den Rücken, umarmten sich und lachten.

Die sechs älteren Männer lachten nicht. Sie kamen auf mich zu, und ich rührte mich nicht. «Man hat mir gesagt, Ihr wärt Herr Uhtred», sagte einer von ihnen. Er trug ein schmutziges weißes Gewand, das mit einem Strick gegürtet war, hatte weißes Haar, einen grauen Bart und ein schmales, sonnenverbranntes Gesicht mit tiefen Falten um Mund und Augen. Sein Haar fiel ihm bis über die Schultern, und sein Bart reichte ihm bis zur Mitte. Er hatte ein listiges Gesicht, strahlte aber auch Autorität aus, und er musste ein Kirchenmann von gewissem Rang sein, denn er trug einen schweren Stab, der mit einem kunstvoll verzierten Silberkreuz gekrönt war.

Ich sagte nichts zu ihm. Ich beobachtete die jüngeren Männer. Sie waren überwiegend noch Jungen oder gerade erst zum Mann geworden. Ihre Köpfe glänzten dort, wo ihnen das Haar von der Stirn nach hinten geschoren worden war, weißlich im trüben Tageslicht. Nun kamen auch einige ältere Leute aus den Türen. Ich vermutete, dass es die Eltern dieser jungenhaften Männer waren.

«Herr Uhtred», kam es wieder von dem Mann.

«Ich spreche mit Euch, wenn ich zum Sprechen bereit bin», knurrte ich.

«Das ziemt sich nicht», sagte er und deutete mit dem Kreuz auf mich, als wollte er mir Angst einjagen.

«Wascht Euch Euer dreckiges Maul mit Ziegenpisse aus», sagte ich. Ich hatte den jungen Mann entdeckt, den ich hier suchte, und ich trieb Blitz vorwärts. Zwei der älteren Männer versuchten mich aufzuhalten, aber Blitz schnappte mit seinen kräftigen Zähnen vor, und sie taumelten rückwärts, als sie ihm erschrocken auswichen. Selbst Speerdänen waren vor Blitz geflüchtet, und die sechs älteren Männer stoben auseinander wie Spreu im Wind.

Ich trieb den Hengst in das Gedränge der jüngeren Männer, beugte mich aus dem Sattel und packte den Burschen an seinem schwarzen Umhang. Ich zog ihn zu mir hinauf, drückte ihn bäuchlings vor den Sattelknauf und lenkte Blitz mit den Knien, damit er umdrehte.

Und in diesem Augenblick begann der Ärger.

Zwei oder drei der jüngeren Männer versuchten mich anzuhalten. Einer griff nach dem Zaum von Blitz, und das war ein Fehler, ein schwerer Fehler. Die Zähne schnappten, der Junge schrie, und ich ließ Blitz auf die Hinterbeine gehen und mit den Vorderhufen durch die Luft wirbeln. Ich hörte den dumpfen Schlag, mit dem ein Huf auf Knochen traf, und sah unvermittelt hellrotes Blut aufspritzen. Blitz, der darauf abgerichtet war, immer in Bewegung zu bleiben, damit ihm kein Gegner die Sehnen an den Hinterläufen durchschneiden konnte, machte einen Satz vorwärts. Ich gab ihm die Sporen und sah aus dem Augenwinkel einen Mann mit blutigem Schädel auf dem Boden liegen. Ein weiterer Narr versuchte meinen rechten Stiefel zu packen, und ich ließ meine Hand niederfahren und spürte, wie sein Griff erlahmte. Dann forderte mich der Mann mit dem langen weißen Haar heraus. Er war mir in die Menge gefolgt und rief, ich solle meinen Gefangenen freilassen, und dann holte er wie ein Narr mit dem schweren Silberkreuz aus und zielte auf Blitz’ Kopf. Doch Blitz war für die Schlacht abgerichtet und wich etwas zur Seite aus, während ich mich aus dem Sattel beugte, den Stab ergriff und ihn dem Mann aus den Händen riss. Und er gab immer noch nicht auf. Er überschüttete mich mit Flüchen und versuchte zugleich, Blitz am Zaum zwischen die dichtgedrängt stehenden Jünglinge zu ziehen, weil er wohl hoffte, dort würde ich von ihrer Überzahl überwältigt werden.

Ich hob den Stab und stieß ihn heftig nach unten. Ich benutzte das untere Ende wie einen Speer und sah nicht, dass es mit einer Metallspitze versehen war, vermutlich, damit das Kreuz in die Erde gesteckt werden konnte. Ich hatte den geifernden Narren nur betäuben wollen, doch stattdessen bohrte sich der Stab in seinen Kopf. Er durchdrang seinen Schädel. Er erhellte diesen trüben, düsteren Tag mit glitzerndem Blut. Er verursachte so laute Schreie, dass sie wohl bis zum Christenhimmel hinaufhallten, und ich ließ den Stab los, und der in Weiß gekleidete Mann, dessen Gewand nun rot getupft war, stand schwankend da, öffnete und schloss seinen Mund, starrte aus glasigen Augen, und von seinem Kopf ragte ein Christenkreuz zum Himmel empor. Sein langes, weißes Haar färbte sich rot, und dann fiel er um. Er fiel einfach um, mausetot. «Der Abt!», rief jemand, und ich trieb Blitz an, und er sprang vor, sodass die letzten der jungen Männer auseinanderstoben und ihre Mütter aufschrien. Der Mann, der quer über meinem Sattel lag, strampelte, und ich versetzte ihm einen harten Schlag auf den Hinterkopf, als wir aus der Menschenmenge heraus und zurück auf die freie Straße galoppierten.

Der Mann auf meinem Sattel war mein Sohn. Mein ältester Sohn. Er war Uhtred, Sohn des Uhtred, und ich war zu spät aus Lundene losgeritten, um zu verhindern, dass er Priester wurde. Ein Wanderprediger, einer von diesen langhaarigen, augenrollenden Priestern mit struppigen Bärten, die den Tölpeln für einen Segen ihr Silber aus der Tasche ziehen, hatte mir von der Entscheidung meines Sohnes erzählt. «Die gesamte Christenheit frohlockt», hatte er gesagt und mich mit verschlagenem Blick angesehen.

«Frohlockt worüber?», hatte ich gefragt.

«Dass Euer Sohn ein Priester wird! In zwei Tagen, habe ich gehört, in Tofeceaster.»

Und das war es, was die Christen in ihrer Kirche getan hatten. Sie hatten ihre Zauberer geweiht, indem sie Jungen zu schwarzgewandeten Priestern machten, die ihre unsinnige Lehre noch weiter verbreiten würden, und mein Sohn, mein ältester Sohn, war nun ein verdammter Christenpriester, und ich schlug ihn noch einmal. «Du Bastard», knurrte ich, «du hasenfüßiger Bastard. Du verräterischer Schwachkopf.»

«Vater …», begann er.

«Ich bin nicht dein Vater», schnauzte ich. Ich hatte Uhtred die Straße hinuntergebracht, wo vor einer Hüttenwand ein besonders übelriechender, feuchter Dunghaufen lag. Ich warf ihn hinein. «Du bist nicht mein Sohn», sagte ich, «und dein Name ist nicht Uhtred.»

«Vater …»

«Soll ich dir das Maul mit Schlangenhauch stopfen?», schrie ich. «Wenn du mein Sohn sein willst, dann zieh diese verdammte schwarze Kutte aus, leg eine Rüstung an und tu, was ich dir sage.»

«Ich diene Gott.»

«Dann such dir deinen verdammten Namen selbst aus. Du bist nicht Uhtred Uhtredson.» Ich wandte mich im Sattel um. «Osbert!»

Mein jüngerer Sohn trieb seinen Hengst zu mir. Er wirkte unruhig. «Vater?»

«Von diesem Tage an ist dein Name Uhtred.»

Er warf einen Blick auf seinen Bruder, dann sah er wieder mich an. Zögernd nickte er.

«Wie lautet dein Name?», wollte ich wissen.

Er zögerte noch immer, aber er sah meinen Zorn und nickte noch einmal. «Mein Name ist Uhtred, Vater.»

«Du bist Uhtred Uhtredson», sagte ich, «mein einziger Sohn.»

Auch mir war dies einst geschehen, vor langer Zeit. Ich war von meinem Vater, der selbst Uhtred hieß, Osbert genannt worden, doch als mein älterer Bruder, ebenfalls Uhtred, von den Dänen niedergemetzelt worden war, hatte mich mein Vater umbenannt. So ist es in unserer Familie. Der älteste Sohn trägt den Namen weiter. Meine Stiefmutter, ein närrisches Weib, hat mich sogar noch einmal nach Christenart taufen lassen, weil mich sonst, wie sie sagte, die Engel, die das Himmelstor bewachen, nicht beim Namen kennen würden, und so wurde ich in das Wasserfass getaucht, aber das Christentum verwusch sich mit der Zeit, Dank sei dem Herrn, und ich entdeckte die alten Götter und habe seither immer sie angebetet.

Die fünf älteren Priester kamen mir nach. Ich kannte zwei von ihnen, die Zwillinge Ceolnoth und Ceolberht, die ungefähr dreißig Jahre zuvor in Mercien mit mir als Geiseln festgehalten worden waren. Wir waren jung gewesen, und die Dänen hatten uns gefangen, ein Schicksal, das ich begrüßte und das die Zwillinge gehasst hatten. Sie waren jetzt alt, zwei gleich aussehende Priester mit stämmigem Körperbau, ergrauenden Bärten und runden Gesichtern, auf denen sich deutlich ihre Wut abzeichnete. «Ihr habt Abt Wihtred getötet!», beschuldigte mich einer der Zwillinge. Er war aufgebracht, entsetzt, beinahe außer sich vor Zorn. Ich hatte keine Ahnung, welcher der beiden Zwillinge er war, denn ich hatte sie noch nie auseinanderhalten können.

«Und Pater Burgreds Gesicht ist für immer entstellt!», sagte der andere Zwilling. Er machte eine Bewegung, als wolle er Blitz am Zaum nehmen, und ich ließ das Pferd augenblicklich umdrehen, sodass es die Zwillinge mit den großen gelben Zähnen bedrohte, die dem neu geweihten Priester das Gesicht weggebissen hatten. Die Zwillinge traten einen Schritt zurück.

«Abt Wihtred!», wiederholte der erste Zwilling den Namen. «Ein heiligerer Mann hat nie gelebt!»

«Er hat mich angegriffen», sagte ich. In Wahrheit hatte ich den alten Mann nicht töten wollen, aber den Zwillingen das zu erzählen, hatte keinen Sinn.

«Dafür werdet Ihr büßen!», kreischte einer der Zwillinge. «Ihr seid für alle Zeiten verflucht!»

Der andere streckte eine Hand in Richtung des jämmerlichen Burschen auf dem Dunghaufen aus. «Pater Uhtred», sagte er.

«Sein Name ist nicht Uhtred», knurrte ich, «und wenn er es wagt, sich Uhtred zu nennen», ich wandte ihm den Blick zu, «dann werde ich ihn finden, ihm den Bauch aufschlitzen und seine jämmerlichen Eingeweide an meine Schweine verfüttern. Er ist nicht mein Sohn. Er ist es nicht wert, mein Sohn zu sein.»

Der Mann, der es nicht wert war, mein Sohn zu sein, stieg triefend vor Jauche von dem Dunghaufen herab. Er sah zu mir auf. «Wie soll ich dann heißen?», fragte er.

«Judas», sagte ich höhnisch. Ich war als Christ erzogen worden, und man hatte mich gezwungen, mir all ihre Geschichten anzuhören, und ich erinnerte mich, dass ein Mann namens Judas den angenagelten Gott verraten hatte. Für mich hatte das nie einen Sinn ergeben. Der Gott musste ans Kreuz genagelt werden, um ihr Heiland werden zu können, und doch tadeln die Christen den Mann, der dieses Sterben ermöglicht hat. Ich fand, sie sollten Judas als Heiligen verehren, aber stattdessen schmähen sie ihn als Verräter. «Judas», wiederholte ich, erfreut darüber, dass mir der Name eingefallen war.

Der Junge, der mein Sohn gewesen war, zauderte ein wenig, dann nickte er. «Von jetzt an», sagte er zu den Zwillingen, «soll man mich Pater Judas nennen.»

«Ihr könnt Euch doch nicht selbst …», begann entweder Ceolnoth oder Ceolberht.

«Ich bin Pater Judas», sagte er schroff.

«Ihr werdet Pater Uhtred sein!», schrie ihn einer der beiden Zwillinge an, dann deutete er auf mich. «Er hat hier keine Bestimmungsgewalt! Er ist ein Heide, ein Ausgestoßener, er ist Gott verhasst!» Er bebte vor Wut, war kaum imstande zu sprechen, doch dann atmete er tief ein, schloss die Augen und hob beide Hände dem düsteren Himmel entgegen. «Oh Gott», rief er, «lasse deinen Grimm auf diesen Sünder herniederfahren! Strafe ihn! Vernichte seine Ernte, und schlage ihn mit Krankheit! Zeige deine Macht, oh Herr!» Seine Stimme steigerte sich zu schrillem Gekreisch. «Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes verfluche ich diesen Mann und seine gesamte Sippe.»

Keuchend holte er Luft, und ich drückte Blitz mein Knie in die Flanke, und das große Pferd ging einen Schritt näher auf den eifernden Dummkopf zu. Ich war ebenso wütend wie die beiden Zwillinge.

«Verfluche ihn, oh Herr», rief er, «und werfe ihn nieder in deinem großen Erbarmen! Verfluche ihn und seine Sippe, damit sie niemals Gnade erfahren! Schlage ihn, oh Herr, mit Entbehrung und Schmerz und Elend!»

«Vater!», rief der Mann, der mein Sohn gewesen war.

Æthelstan lachte in sich hinein. Uhtred, mein einziger Sohn, schnappte nach Luft.

Denn ich hatte den eifernden Dummkopf getreten. Ich hatte meinen rechten Fuß aus dem Steigbügel gezogen und den schweren Stiefel vorgestoßen, und sofort versiegten seine Worte und statt ihrer kam Blut über seine Lippen. Er taumelte ein paar Schritte zurück, die rechte Hand vor den aufgeplatzten Mund geschlagen. «Spuckt Eure Zähne aus», befahl ich ihm, und als er nicht gehorchte, zog ich Schlangenhauch halb aus der Scheide.

Er spuckte eine Mischung aus Blut, Speichel und zerbrochenen Zähnen aus. «Welcher seid Ihr?», fragte ich den anderen Zwilling.

Dieser starrte mich an, sammelte sich aber dann und antwortete: «Ceolnoth.»

«Zumindest kann ich Euch jetzt unterscheiden», sagte ich.

Ich sah Pater Judas nicht an. Ich ritt einfach weg.

Ich ritt nach Hause.

 

Vielleicht hatte Ceolberhts Fluch gewirkt, denn ich kehrte zurück zu Tod, Rauch und Zerstörung.

Cnut Ranulfson hatte meinen Palas überfallen. Er hatte ihn niedergebrannt. Er hatte getötet. Er hatte Sigunn gefangen genommen.

Nichts davon ergab Sinn, jedenfalls nicht in diesem Moment. Mein Besitz lag dicht bei Cirrenceastre, tief im Inland Merciens. Eine Gruppe Dänen war weit geritten, hatte es auf einen Kampf und ihre Gefangennahme ankommen lassen, um meinen Palas anzugreifen. Das konnte ich nachvollziehen. Ein Sieg über Uhtred würde einem Mann Ruhm verleihen, er würde die Sänger zu Spottliedern über meine Niederlage anstacheln, doch sie hatten angegriffen, als der Palas beinahe leer war. Obwohl sie ganz bestimmt Kundschafter vorausgeschickt hatten. Und bestimmt hatten sie einfache Leute als Spitzel bestochen, um herauszufinden, wann ich dort war und wann vermutlich nicht, und solche Spitzel mussten ihnen gesagt haben, dass ich nach Lundene gerufen worden war, um die Männer König Edwards bei den Verteidigungsanlagen der Stadt zu beraten. Und dennoch hatten sie es auf ein Verhängnis ankommen lassen, um einen beinahe leeren Palas anzugreifen? Es ergab keinen Sinn.

Und sie hatten Sigunn mitgenommen.

Sie war meine Frau. Nicht meine Ehefrau. Seit Giselas Tod hatte ich keine andere Ehefrau genommen, und doch hatte ich in jener Zeit Geliebte. Æthelflæd war meine Geliebte, aber Æthelflæd war die Ehefrau eines anderen Mannes und die Tochter des toten Königs Alfred, und wir konnten nicht als Mann und Frau zusammenleben. Stattdessen lebte Sigunn mit mir zusammen, und Æthelflæd wusste es. «Wenn es nicht Sigunn wäre», hatte sie mir eines Tages erklärt, «dann wäre es eine andere.»

«Womöglich ein Dutzend andere.»

«Womöglich.»

Ich hatte Sigunn bei Beamfleot gefangen. Sie war Dänin, eine schlanke, blasse, hübsche Dänin, die um ihren niedergemetzelten Ehemann geweint hatte, als wir sie aus einem Wassergraben zogen, in dem das Blut Richtung Meer lief. Inzwischen lebten wir schon beinahe zehn Jahre zusammen, und sie wurde mit Respekt behandelt und mit Gold behängt. Sie war die Herrin in meinem Palas, und nun war sie verschwunden. Sie war entführt worden von Cnut Ranulfson, Cnut Langschwert.

«Es war vor drei Tagen, morgens», berichtete mir Osferth. Er war der Bastardsohn König Alfreds, und Alfred hatte ihn zum Priester machen wollen, doch Osferth, auch wenn er das Antlitz und den Geist eines Klerikers besaß, zog es vor, Krieger zu werden. Er war vorsichtig, genau, klug, verlässlich und ließ sich selten aus der Ruhe bringen. Er hatte Ähnlichkeit mit seinem Vater, und je älter er wurde, desto mehr sah er wie sein Vater aus.

«Also war es am Sonntagvormittag», sagte ich niedergeschlagen.

«Alle waren in der Kirche, Herr», erklärte Osferth.

«Bis auf Sigunn.»

«Die keine Christin ist, Herr.» Er klang missbilligend.

Finan, mein irischer Kampfgefährte und der Mann, der in meiner Abwesenheit den Befehl über meine Truppen führte, war mit zwanzig Mann unterwegs gewesen, um Æthelflæds Leibwache zu verstärken, während sie in Mercien umherreiste. Sie hatte die Wehrstädte inspiziert, die Mercien vor den Dänen beschützten, und zweifellos in den Kirchen auf dem Land gebetet. Ihr Ehemann Æthelred verließ die Sicherheit Gleawecestres nur sehr ungern, und deshalb erfüllte Æthelflæd seine Pflicht. Sie hatte ihre eigenen Krieger zum Schutz, aber ich fürchtete dennoch immer um ihre Sicherheit. Nicht wegen der Mercier, die Æthelflæd liebten, sondern wegen der Gefolgsleute ihres Ehemannes. Und deshalb hatte ich darauf bestanden, dass sie Finan und zwanzig meiner Männer mitnahm, und in der Abwesenheit des Iren war Osferth für die Männer verantwortlich gewesen, die Fagranforda bewachten. Er hatte sechs Männer dazu bestimmt, den Palas, die Scheunen, die Stallungen und die Mühle zu bewachen, und sechs Männer hätten mehr als genug sein müssen, denn mein Besitz lag weit entfernt von den nördlichen Gebieten, in denen die Dänen regierten. «Ich gebe mir die Schuld», sagte Osferth.

«Sechs waren genug», sagte ich. Und die sechs waren allesamt tot, ebenso wie Herric, mein verkrüppelter Verwalter, und drei weitere Bedienstete. Etwa vierzig bis fünfzig Pferde fehlten, und der Palas war niedergebrannt. Einige der Wände standen noch, hoch aufragende, angekohlte Stämme, aber die Mitte des Palas war nur noch ein rauchender Aschehaufen. Die Dänen waren schnell gekommen, hatten die Tür des Palas aufgebrochen, Herric und jeden anderen, der sich ihnen entgegenstellte, niedergemacht, dann hatten sie Sigunn gepackt und waren verschwunden. «Sie wussten, dass alle in der Kirche sind», sagte ich.

«Und deshalb sind sie am Sonntag gekommen», beendete Sihtric, ein anderer meiner Männer, den Gedanken.

«Und sie müssen gewusst haben, dass Ihr nicht beim Gottesdienst seid», sagte Osferth.

«Wie viele waren es?», fragte ich Osferth.

«Vierzig oder fünfzig», antwortete er geduldig. Ich hatte ihm diese Frage schon ein Dutzend Mal gestellt.

Dänen unternehmen solche Raubzüge nicht einfach zur Zerstreuung. Es gab viele sächsische Anwesen und Gehöfte in bequemer Nähe zu ihrem Gebiet, aber diese Männer waren tief ins feindliche Mercien geritten. Für Sigunn? Sie bedeutete ihnen nichts.

«Sie sind wohl gekommen, um Euch zu töten, Herr», vermutete Osferth.

Doch dann hätten die Dänen zuerst die Umgebung erkundet, sie hätten mit Reisenden gesprochen, sie hätten gewusst, dass ich immer wenigstens zwanzig Mann bei mir hatte. Ich hatte entschieden, diese zwanzig Mann nicht mit nach Tofeceaster zu nehmen, wo ich den Mann bestrafen wollte, der mein Sohn gewesen war, denn ein Krieger braucht keine zwanzig Mann, um mit einer Bande Priester fertigzuwerden. Mein Sohn und ein Kind waren Begleitung genug gewesen. Aber die Dänen konnten nicht gewusst haben, dass ich in Tofeceaster war, sogar ich hatte nicht gewusst, dass ich dorthin gehen würde, bis ich gehört hatte, dass mein verdammter Sohn ein christlicher Zauberer werden sollte. Und doch hatte Cnut Ranulfson das Leben seiner Männer auf einem langen, zwecklosen Raubzug aufs Spiel gesetzt, obwohl er damit rechnen musste, auf meine Männer zu treffen. Er wäre in der Überzahl gewesen, aber er hätte Verluste hinnehmen müssen, die er sich kaum leisten konnte, und Cnut Langschwert war ein berechnender Mann und neigte keineswegs zu törichten Wagnissen. Es ergab alles keinen Sinn. «Bist du sicher, dass es Cnut Ranulfson war?», fragte ich Osferth.

«Sie haben sein Banner getragen, Herr.»

«Die Axt mit dem zerschmetterten Kreuz?»

«Ja, Herr.»

«Und wo ist Pater Cuthbert?», fragte ich. Ich habe auch Priester in meinen Diensten. Ich bin kein Christ, aber der angenagelte Gott hat einen derartigen Einfluss, dass meine Männer Christen sind, und zu jener Zeit war Cuthbert mein Priester. Ich mochte ihn. Er war der Sohn eines Steinmetzen, schlaksig und unbeholfen und mit einer freigelassenen Sklavin verheiratet, die den merkwürdigen Namen Mehrasa trug. Sie war eine dunkelhäutige Schönheit, einst gefangen in einem seltsamen Land weit im Süden und nach Britannien gebracht von einem Sklavenhändler, der durch die Klinge meines Schwertes starb, und nun jammerte und schrie Mehrasa, weil ihr Ehemann verschwunden war. «Warum war er nicht in der Kirche?», fragte ich Osferth, dessen Antwort nur in einem Schulterzucken bestand. «Hat er Mehrasa besprungen?», fragte ich säuerlich.

«Tut er das nicht ständig?» Osferth klang wieder missbilligend.

«Und wo ist er?», fragte ich noch einmal.

«Vielleicht haben sie ihn mitgenommen», sagte Sithric.

«Sie würden einen Priester eher umbringen als gefangen nehmen», sagte ich. Ich ging zu dem niedergebrannten Palas hinüber. Männer harkten die Asche auseinander, zogen verkohlte und rauchende Balken zur Seite. Vielleicht war Cuthberts Leiche hier, eingeschrumpft und schwarz. «Sag mir, was du gesehen hast», forderte ich Osferth erneut auf.

Geduldig wiederholte er alles noch einmal. Er war in der Kirche von Fagranforda gewesen, als er Schreie aus der Richtung meines Palas gehört hatte, der nicht weit entfernt lag. Er war aus der Kirche getreten und hatte den ersten Rauch in den Sommerhimmel aufsteigen sehen, doch bis er seine Männer zusammengerufen hatte und aufs Pferd gestiegen war, hatten sich die Angreifer schon zurückgezogen. Er hatte sie verfolgt und einen Blick auf sie erhaschen können, und er war sicher, zwischen den Reitern in ihren dunklen Rüstungen Sigunn gesehen zu haben. «Sie hat das weiße Kleid getragen, Herr, das Euch so gefällt.»

«Aber Pater Cuthbert hast du nicht gesehen, oder?»

«Er hat Schwarz getragen, Herr, aber die meisten der Angreifer ebenfalls, also könnte es sein, dass ich ihn nicht erkannt habe. Wir sind nicht nahe genug an sie herangekommen. Sie sind geritten wie der Teufel.»

In der Asche tauchten Knochen auf. Ich ging durch den Eingang des Palas, der nun durch verkohlte Pfosten markiert war, und der stechende Geruch von verbranntem Fleisch stieg in meine Nase. Ich trat einen rauchschwarzen Balken zur Seite und sah eine Harfe in der Asche. Warum war sie nicht verbrannt? Die Saiten waren zu schwarzen Stummeln geschrumpft, aber der Rahmen der Harfe wirkte unbeschädigt. Ich beugte mich hinunter, um sie aufzuheben, und das warme Holz zerfiel einfach in meiner Hand. «Was ist mit Oslic?», fragte ich. Er war der Harfner, ein Dichter, der im Palas Kriegslieder sang.

«Sie haben ihn umgebracht, Herr», sagte Osferth.

Mehrasa begann noch lauter zu jammern. Sie starrte die Knochen an, die ein Mann aus der Asche geharkt hatte. «Sag ihr, sie soll still sein», knurrte ich.

«Das sind Hundeknochen, Herr», sagte der Mann mit der Harke und neigte den Kopf.

Die Palashunde, die Sigunn so liebte. Es waren kleine Terrier, sehr geschickt im Töten von Ratten. Der Mann zog eine geschmolzene Silberplatte aus der Asche. «Sie sind nicht gekommen, um mich zu töten», sagte ich und starrte die kleinen Brustkörbe an.

«Wen sonst?», fragte Sihtric. Sihtric war einmal mein Diener gewesen, nun aber ein Hauskrieger und ein guter dazu.

«Sie sind wegen Sigunn gekommen», sagte ich, weil mir keine andere Erklärung einfallen wollte.

«Aber warum, Herr? Sie ist nicht Eure Ehefrau.»

«Er weiß, dass ich sie gernhabe», sagte ich, «und das bedeutet, dass er etwas will.»

«Cnut Langschwert», sagte Sihtric unheilvoll.

Sihtric war kein Feigling. Sein Vater war Kjartan der Grausame gewesen, und Sihtric hatte die Geschicklichkeit seines Vaters im Umgang mit Waffen geerbt. Sihtric hatte mit mir im Schildwall gestanden, und ich kannte seine Tapferkeit, doch er hatte unruhig geklungen, als er Cnuts Namen aussprach. Kein Wunder. Cnut Ranulfson war in den Ländern, in denen die Dänen regierten, eine Legende. Er war sehnig, sehr hellhäutig, und sein Haar war knochenweiß, obwohl er kein alter Mann war. Ich vermutete, dass er nun etwa vierzig Jahre sein mochte, was alt genug war, aber sein Haar war vom Tag seiner Geburt an weiß gewesen. Und er war schon durchtrieben und skrupellos geboren worden. Sein Schwert, Eisrache, wurde von den nördlichen Inseln bis zur Südküste von Wessex gefürchtet, und sein Ruhm hatte Schwurmänner angezogen, die übers Meer gekommen waren, um ihm zu dienen. Er und sein Freund Sigurd Thorrson waren die größten dänischen Herren Northumbriens, und ihr Ehrgeiz war es, zu den größten Herren Britanniens zu werden, doch sie besaßen einen Gegner, der sie schon wiederholt aufgehalten hatte.

Und nun hatte sich Cnut Ranulfson, Cnut Langschwert, der gefürchtetste Schwertmann Britanniens, die Frau dieses Gegners geholt. «Er will etwas», sagte ich noch einmal.

«Euch?», fragte Osferth.

«Das werden wir herausfinden», sagte ich, und so war es dann auch.

Was Cnut Ranulfson wollte, erfuhren wir noch am gleichen Abend, als Pater Cuthbert nach Hause kam. Der Priester wurde von einem Pelzhändler auf seinem Fuhrwerk gebracht. Es war Mehrasa, die uns darauf aufmerksam machte. Mit ihrem Schrei.

Ich war in der großen Scheune, die abzubrennen die Dänen keine Zeit gehabt hatten und die wir als Palas nutzen konnten, bis ich einen neuen gebaut hatte, und ich sah meinen Männern zu, die aus Steinen eine Feuerstelle anlegten, als ich den Schrei hörte, hinausrannte und das Fuhrwerk den Weg entlangschlingern sah. Mehrasa hing am Ärmel ihres Ehemanns, während Cuthbert mit seinen langen, mageren Armen ruderte. Mehrasa schrie immer noch. «Still!», rief ich.

Meine Männer folgten mir. Der Pelzhändler hatte seinen Karren angehalten und war auf die Knie gefallen, als ich näher kam. Er erklärte, dass er Pater Cuthbert in nördlicher Richtung gefunden hatte. «Es war bei Beorgford, Herr», sagte er, «am Fluss. Sie haben ihn mit Steinen beworfen.»

«Wer hat Steine geworfen?»

«Jungen, Herr. Einfach spielende Jungen.»

Also war Cnut zu der Furt geritten, wo er anscheinend den Priester freigelassen hatte. Cuthberts lange Soutane war schlammbespritzt und zerrissen und sein Kopf mit geronnenem Blut verschmiert. «Was hast du mit den Jungen gemacht?», fragte ich den Händler.

«Ich habe sie weggejagt, Herr.»

«Und wo war er?»

«Er lag im Schilf, Herr, beim Fluss. Er hat geweint.»

«Pater Cuthbert», sagte ich und trat an das Fuhrwerk.

«Herr! Herr!» Er streckte die Hand nach mir aus.

«Er konnte nicht weinen», erklärte ich dem Händler. «Osferth! Gib dem Mann Geld.» Ich deutete auf den Retter des Priesters. «Wir geben dir zu essen», sagte ich zu dem Mann, «und stellen deine Pferde über Nacht bei uns unter.»

«Herr!», jammerte Pater Cuthbert.

Ich beugte mich über die Ladefläche des Karrens und hob Cuthbert auf meine Arme. Er war groß, aber überraschend leicht. «Könnt Ihr stehen?», fragte ich ihn.

«Ja, Herr.»

Ich stellte ihn auf den Boden, hielt ihn fest, bis er sicher stand, und dann trat ich ein paar Schritte weg, weil Mehrasa ihn in die Arme schloss.

«Herr», sagte er über ihre Schulter. «Ich habe eine Botschaft.»

Er klang, als würde er weinen, und das tat er vielleicht auch, aber ein Mann ohne Augen kann nicht weinen. Ein Mann mit zwei blutigen Augenhöhlen kann nicht weinen. Ein Mann, dem man das Augenlicht geraubt hat, muss weinen und kann es doch nicht.

Cnut Ranulfson hatte ihm die Augen ausgestochen.

 

Tameworþig. Dort sollte ich Cnut Ranulfson treffen. «Er hat gesagt, Ihr wüsstet schon, warum, Herr», erklärte mir Pater Cuthbert.

«Mehr hat er nicht gesagt?»

«Ihr wüsstet schon, warum», wiederholte er, «und Ihr würdet es wiedergutmachen, und Ihr müsst ihn treffen, bevor der Mond ganz abgenommen hat, sonst tötet er Eure Frau. Ganz langsam.»

Ich ging zum Scheunentor und sah in die Nacht hinaus, aber der Mond war von Wolken verborgen. Nicht, dass ich hätte sehen müssen, wie schmal die Sichel schimmerte. Bis zum Neumond war es noch eine Woche. «Was hat er sonst noch gesagt?»

«Nur, dass Ihr nach Tameworþig gehen sollt, bevor der Mond verschwindet, Herr.»

«Um es wiedergutzumachen?», fragte ich ratlos.

«Er sagte, Ihr wüsstet schon, was das bedeutet, Herr.»

«Ich weiß es nicht!»

«Und er hat gesagt …», fing Pater Cuthbert langsam an.

«Was gesagt?»

«Er sagte, dass er mir die Augen ausgestochen hat, damit ich sie nicht sehen kann.»

«Sie sehen kann? Wen sehen?»

«Er sagte, ich sei es nicht wert, sie anzuschauen, Herr.»

«Wen anzuschauen?»

«Und deshalb hat er mir die Augen ausgestochen!», jammerte er, und Mehrasa fing an zu kreischen, und ich bekam aus beiden kein vernünftiges Wort mehr heraus.

Aber zumindest kannte ich Tameworþig, auch wenn mich das Schicksal noch nie in diese Stadt geführt hatte, die an der Grenze zu Cnut Ranulfsons Besitzungen lag. Es war einmal eine große Stadt gewesen, die Hauptstadt des mächtigen Königs Offa, des mercischen Herrschers, der einen Verteidigungswall gegen die Waliser gebaut und sowohl Northumbrien als auch Wessex dominiert hatte. Offa hatte für sich beansprucht, der König aller Sachsen zu sein, aber er war schon lange tot und sein mächtiges Königreich Mercien nur noch ein kümmerliches Relikt, das zwischen Dänen und Sachsen aufgeteilt worden war. Tameworþig, das einst den mächtigsten König Britanniens beherbergt hatte, die Festungsstadt, die seine gefürchteten Truppen untergebracht hatte, bestand nur noch aus verfallenen Ruinen, in denen Sachsen für dänische Jarle Sklavendienste verrichteten. Außerdem stand dort der südlichste Palas von Cnut, ein Außenposten dänischer Macht in einem umkämpften Grenzgebiet.

«Das ist eine Falle», warnte mich Osferth.

Doch irgendwie bezweifelte ich das. Gespür ist alles. Was Cnut Ranulfson getan hatte, war gefährlich gewesen, ein großes Wagnis. Er hatte Männer geschickt oder diese Männer selbst tief nach Mercien geführt, wo sein kleiner Stoßtrupp leicht hätte in die Enge getrieben und bis auf den letzten Mann niedergemacht werden können. Doch irgendetwas hatte ihn dazu getrieben, dieses Wagnis einzugehen. Er wollte etwas, und er glaubte, dass ich es besaß, und er hatte mich zu sich bestellt, nicht zu einem großen Palas, tief in seinem eigenen Land, sondern nach Tameworþig, das sehr dicht an sächsischem Gebiet lag.

«Wir reiten», sagte ich.

Ich nahm jeden Mann, der imstande war, aufs Pferd zu steigen. Wir waren sechsundachtzig Krieger, mit Rüstung, Helm, Schilden, Äxten, Schwertern, Speeren und Kriegshämmern. Wir ritten unter meinem Banner mit dem Wolf, und wir ritten nordwärts durch kühle Sommerwinde und unvermittelte heftige Regenschauer. «Die Ernte wird mager ausfallen», erklärte ich Osferth, als wir über Land ritten.

«Wie letztes Jahr, Herr.»

«Wir sollten feststellen, wer Getreide zu verkaufen hat.»

«Der Preis wird hoch sein.»

«Besser als tote Kinder», sagte ich.

«Ihr seid der Hlaford», sagte er.

Ich drehte mich im Sattel um. «Æthelstan!»

«Herr Uhtred?» Der Junge trieb seinen Hengst an meine Seite.

«Warum werde ich Hlaford genannt?»

«Weil Ihr die Brotlaibe hütet, Herr», sagte er, «und die Pflicht eines Hlafords ist es, die Leute zu ernähren.»

Ich brummte anerkennend. Ein Hlaford ist ein Herr; der Mann, der den Hlaf hütet, den Laib. Er ist der Brotherr. Meine Pflicht war es, meine Leute lebendig durch die harten Winter zu bringen, und wenn das Gold erforderte, dann musste dieses Gold ausgegeben werden. Ich hatte Gold, aber nie genug. Ich träumte von Bebbanburg, von der Festung im Norden, die mir von meinem Onkel Ælfric gestohlen worden war. Es war eine uneinnehmbare Festung, die letzte Zuflucht an der northumbrischen Küste, so stark und gewaltig, dass die Dänen sie niemals hatten einnehmen können. Sie hatten den gesamten Norden Britanniens erobert, von den üppigen Weiden Merciens bis zur wilden schottischen Grenze, aber Bebbanburg hatten sie nie eingenommen, und wenn ich sie mir zurückholen wollte, brauchte ich mehr Gold für Männer, mehr Gold für Speere, mehr Gold für Kriegsäxte, mehr Gold für Schwerter, mehr Gold, damit wir meine Verwandten schlagen konnten, die meine Festung geraubt hatten. Doch um das zu tun, würden wir uns durch das ganze dänische Land kämpfen müssen, und ich hatte zu fürchten begonnen, dass ich sterben könnte, bevor ich Bebbanburg jemals wiedersah.

Wir erreichten Tameworþig am zweiten Tag unseres Ritts. Irgendwo überquerten wir die Grenze zwischen dem sächsischen und dem dänischen Gebiet, eine Grenze, die keine festgelegte Linie war, sondern ein breiter Landstreifen, auf dem die Gehöfte niedergebrannt und die Obstbäume abgehackt worden waren und wo, von wilden Tieren abgesehen, kaum Vieh graste. Doch einige der alten Bauerngehöfte waren wieder aufgebaut worden; ich sah eine neue Scheune aus frischen, hellen Balken, und auf einigen Weiden standen Rinder. Der Friede brachte Menschen ins Grenzland. Dieser Friede währte seit der Schlacht in Ostanglien, die auf Alfreds Tod gefolgt war, doch es war immer ein unruhiger Friede gewesen. Es hatte Raubzüge gegeben, um Vieh und Sklaven zu erbeuten, und Streitereien um den Grenzverlauf, aber nie war eine Armee aufgestellt worden. Die Dänen wollten immer noch den Süden erobern, und die Sachsen träumten davon, den Norden zurückzuholen, doch seit zehn Jahren lebten wir in mürrischer Untätigkeit. Ich hatte den Frieden stören wollen, um eine Streitmacht nordwärts zur Bebbanburg zu führen, doch weder Mercien noch Wessex wollte mir Männer geben, und so hatte auch ich den Frieden gehalten.

Und jetzt hatte Cnut ihn gestört.

Er wusste, dass wir kamen. Gewiss hatte er Späher aufgestellt, um sämtliche Wege von Süden zu beobachten, und deshalb trafen wir keine Vorsichtsmaßnahmen. Normalerweise, wenn wir ins wilde Grenzland ritten, schickten wir unsere eigenen Späher weit voraus, doch nun bewegten wir uns auffällig und hielten uns auf einer Römerstraße, weil wir wussten, dass uns Cnut erwartete. Und das tat er auch.

Tameworþig war am Nordufer des Flusses Tame erbaut worden. Cnut ließ es auf dem Südufer zur Begegnung kommen, und er wollte uns einschüchtern, denn er hatte mehr als zweihundert Mann in einem Schildwall aufgestellt, der sich quer über die Straße zog. Sein Banner mit der Kriegsaxt, die ein christliches Kreuz zerschmettert, flatterte über der Mitte der Linie, und Cnut selbst, prächtig angetan mit einer Kettenrüstung, einem dunkelbraunen Pelzumhang über den Schultern und goldenen Armringen, erwartete uns im Sattel sitzend ein paar Schritt vor seinen Männern.

Ich hielt meine Männer an und ritt allein vor.

Cnut ritt mir entgegen.

Wir zügelten unsere Pferde, als wir noch eine Speerlänge voneinander entfernt waren. Wir sahen uns an.

Sein hageres Gesicht wurde von einem Helm umrahmt. Seine blasse Miene wirkte erschöpft, und sein Mund, der normalerweise so bereitwillig lächelte, war ein grimmiger Strich. Er sah älter aus, als ich ihn in Erinnerung hatte, und während ich ihn in diesem Moment ansah, ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass Cnut Ranulfson, wenn er seine Lebensträume noch verwirklichen wollte, dies wohl bald tun musste.

Wir musterten uns, und es regnete. Aus einer Gruppe von Eschen flatterte ein Rabe auf, und ich fragte mich, was für ein Omen das wohl sein mochte. «Jarl Cnut.» Ich brach das Schweigen.

«Herr Uhtred», sagte er. Sein Pferd, ein grauer Hengst, machte ein paar kurze Seitwärtsschritte, und er klopfte ihm mit der behandschuhten Hand auf den Hals, um ihn zu beruhigen. «Ich habe Euch herbefohlen», sagte er, «und Ihr kommt gelaufen wie ein ängstliches Kind.»

«Wollt Ihr Beleidigungen austauschen?», fragte ich ihn. «Ihr, der Ihr von einer Frau geboren wurdet, die sich auf ein Fingerschnippen mit jedem Mann hingelegt hat?»

Er schwieg eine Zeitlang. Zu meiner Linken, halb von Bäumen verborgen, lief ein kühler Fluss unter dem trüben Sommerregen dahin. Zwei Schwäne flogen mit langsamen Flügelschlägen durch die kalte Luft flussaufwärts. Ein Rabe und zwei Schwäne? Ich berührte den Thorshammer, der um meinen Hals hing, und hoffte, dass dies gute Omen waren.

«Wo ist sie?», sagte Cnut schließlich.

«Wenn ich wüsste, wer sie ist», sagte ich, «könnte ich Euch vielleicht antworten.»

Er sah an mir vorbei zu meinen Männern, die auf ihren Pferden abwarteten. «Ihr habt sie nicht mitgebracht», sagte er ausdruckslos.

«Wollt Ihr in Rätseln sprechen?», fragte ich ihn. «Dann löst mir dieses: Vier schwingende Nippel, vier lange Ständer, zwei krumme Röhren und ein Wedler.»

«Nehmt Euch in Acht.»

«Die Antwort ist eine Ziege», sagte ich. «Vier Zitzen, vier Beine, zwei Hörner und ein Schwanz. Ein einfaches Rätsel. Aber Eures ist schwierig.»

Er starrte mich an. «Vor zwei Wochen», sagte er, «war dieses Banner auf meinem Land.» Er deutete auf meine Flagge.

«Ich habe es nicht geschickt, und ich habe es nicht dorthin gebracht», sagte ich.

«Siebzig Mann, wurde mir berichtet», er achtete nicht auf meine Worte, «und sie sind nach Buchestanes geritten.»

«Ich war dort, aber das ist viele Jahre her.»

«Sie haben meine Frau mitgenommen und meinen Sohn und meine Tochter.»

Ich starrte ihn an. Seine Worte hatten ausdruckslos geklungen, aber sein Gesichtsausdruck war verbittert und herausfordernd. «Ich habe gehört, dass Ihr einen Sohn habt», sagte ich.

«Er heißt Cnut Cnutson, und Ihr habt ihn gefangen, zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester.»

«Das habe ich nicht», sagte ich nachdrücklich. Cnuts erste Frau war vor Jahren gestorben, ebenso wie seine Kinder, aber ich hatte von seiner neuen Heirat gehört. Es war eine überraschende Heirat. Man hätte erwartet, dass Cnut heiratete, um einen Vorteil davon zu haben, für Land, für eine reiche Mitgift oder für einen Verbündeten, aber es hieß, seine neue Frau sei ein Bauernmädchen. Sie stand in dem Ruf, eine außergewöhnliche Schönheit zu sein, und sie hatte ihm Zwillinge geboren, einen Jungen und ein Mädchen. Er hatte natürlich noch andere Kinder, allesamt Bastarde, doch seine neue Frau hatte ihm geschenkt, was er sich am meisten wünschte: einen Erben. «Wie alt ist Euer Sohn?», fragte ich.

«Sechs Jahre und sieben Monate.»

«Und warum war er in Buchestanes?», fragte ich. «Um sich seine Zukunft voraussagen zu lassen?»

«Meine Frau hat ihn zu der Zauberin gebracht», antwortete Cnut.

«Sie lebt noch?», fragte ich erstaunt. Die Zauberin war schon steinalt gewesen, als ich bei ihr gewesen war, und ich hatte angenommen, sie wäre längst tot.

«Betet, dass meine Frau und meine Kinder am Leben sind», sagte Cnut schroff, «und dass sie unverletzt sind.»

«Ich weiß nichts von Eurer Frau und Euren Kindern.»

«Eure Männer haben sie mitgenommen!», stieß er wütend hervor. «Es war Euer Banner!» Er führte die behandschuhte Hand zum Heft seines berühmten Schwertes, Eisrache. «Bringt sie mir zurück», sagte er, «oder Eure Frau wird meinen Männern überlassen, und wenn sie mit ihr fertig sind, werde ich sie lebendig häuten, ganz langsam, und dann werde ich Euch ihre Haut schicken, damit Ihr Euch eine Satteldecke daraus machen könnt.»

Ich drehte mich um. «Uhtred! Komm her!» Mein Sohn gab seinem Pferd die Sporen. Neben mir blieb er stehen, sah Cnut an und dann mich. «Steig ab», befahl ich ihm, «und geh zu Jarl Cnuts Steigbügel hinüber.» Uhtred zögerte einen Wimpernschlag lang, dann schwang er sich aus dem Sattel. Ich beugte mich vor, um den Zügel seines Hengstes zu nehmen. Cnut runzelte verständnislos die Stirn, dann sah er auf Uhtred hinab, der gehorsam neben seinem großen, grauen Pferd stand. «Das ist mein einziger Sohn», sagte ich.

«Ich dachte …», fing Cnut an.

«Das ist mein einziger Sohn», sagte ich wütend. «Wenn ich Euch jetzt belüge, könnt Ihr ihn nehmen und mit ihm machen, was Ihr wollt. Ich schwöre beim Leben meines einzigen Sohnes, dass ich Eure Frau und Eure Kinder nicht verschleppt habe. Ich habe keine Männer in Euer Land geschickt. Ich weiß nichts von einem Raubzug in Buchestanes.»

«Sie haben Euer Banner getragen.»

«Banner sind leicht herzustellen», sagte ich.

Der Regen nahm zu, vorangetrieben von böigem Wind, der die Wasserpfützen in den Furchen der nahe gelegenen Felder kräuselte. Cnut sah auf Uhtred herab. «Er sieht aus wie Ihr», sagte er, «hässlich wie eine Kröte.»

«Ich bin nicht nach Buchestanes geritten», erklärte ich barsch, «und ich habe keine Männer in Euer Land geschickt.»

«Steig auf dein Pferd», sagte Cnut zu meinem Sohn, dann sah er mich an. «Ihr seid ein Feind, Herr Uhtred.»

«Das bin ich.»

«Aber ich vermute, Ihr seid durstig.»

«Das auch», sagte ich.

«Dann erklärt Euren Männern, dass sie ihre Klingen in der Scheide lassen sollen, erklärt Ihnen, dass dies mein Land ist und dass es mir ein Vergnügen sein wird, jeden Mann zu töten, der mich verärgert. Und dann bringt Ihr sie zum Palas. Wir haben Ale. Es ist kein gutes Ale, aber vermutlich gut genug für sächsische Schweine.»

Er ließ sein Pferd umdrehen und galoppierte davon. Wir folgten ihm.

 

Der Palas stand auf einem kleinen Hügel, und der Hügel war von einem alten Erdwall umgeben, der meiner Vermutung nach auf Befehl König Offas angelegt worden war. Eine Palisade erhob sich auf dem Wall, und hinter diesem hölzernen Bollwerk stand ein Palas mit hohen Giebeln, dessen Balken altersdunkel waren. In einige dieser Balken waren verzwickte Muster geschnitzt worden, doch nun überdeckten Flechten diese Schnitzereien. Über dem großen Tor hingen Geweihe und Wolfsschädel, und im Inneren des alten Gebäudes wurde das Dach von schweren Eichenbalken gestützt, an denen noch mehr Schädel hingen. Der Palas wurde von einem lebhaften Feuer erhellt, das in der Feuerstelle in der Mitte loderte. Wenn ich schon von Cnuts Gastfreundschaft überrascht gewesen war, so erwartete mich eine noch größere Überraschung, als ich diesen hohen Palas betrat, denn dort auf dem erhöhten Podest, grinsend wie ein schwachsinniges Wiesel, stand Haesten.

Haesten. Ich hatte ihn vor Jahren gerettet, ihm seine Freiheit und sein Leben gegeben, und das hatte er mir mit Verrat vergolten. Es hatte eine Zeit gegeben, in der Haesten mächtig war, in der seine Armee selbst Wessex bedroht hatte, aber das Schicksal hatte ihn tief fallen lassen. Ich hatte vergessen, wie oft ich gegen ihn gekämpft hatte, und aus jedem dieser Kämpfe war ich als Sieger hervorgegangen, doch er überlebte wie eine Schlange, die sich aus der Harke eines Bauern herauswindet. Seit Jahren hielt er nun das alte Römerkastell bei Ceaster besetzt, und wir hatten ihn dort mit seiner Handvoll Männer in Frieden gelassen, aber nun war er hier, in Tameworþig. «Er hat mir Gefolgschaft geschworen», erklärte Cnut, als er meine Überraschung sah.

«Die hat er mir auch geschworen», sagte ich.

«Mein Herr Uhtred.» Haesten eilte mir entgegen, die Arme zum Willkommen ausgebreitet und auf dem Gesicht ein Lächeln, das breiter war als die Temes. Er sah älter aus, und er war älter; wir waren alle älter. Sein blondes Haar war silbrig geworden, sein Gesicht war faltig, doch sein Blick war immer noch durchtrieben, lebhaft und belustigt. Er war offenkundig vorangekommen. Er trug Gold an den Armen, eine Goldkette mit einem goldenen Hammer um den Hals und einen weiteren goldenen Hammer am seinem linken Ohrläppchen. «Es ist immer ein Vergnügen, Euch zu sehen», erklärte er mir.

«Ein einseitiges Vergnügen», sagte ich.

«Wir müssen Freunde sein!», erklärte er. «Die Kriege sind vorüber.»

«Sind sie das?»

«Die Sachsen halten den Süden, und wir Dänen leben im Norden. Das ist eine saubere Lösung. Besser, als uns gegenseitig umzubringen, nicht wahr?»

«Wenn du mir erzählst, dass die Kriege vorüber sind», sagte ich, «dann weiß ich, dass bald wieder Schildwälle aufgestellt werden.» Und das würden sie, wenn ich es heraufbeschwören konnte. Ich hatte Haesten seit zehn Jahren aus seiner Zuflucht in Ceaster vertreiben wollen, aber mein Cousin Æthelred, der Herr von Mercien, hatte es immer abgelehnt, mir die Truppen zur Verfügung zu stellen, die ich dazu brauchte. Ich hatte sogar Edward von Wessex darum angebettelt, aber er hatte nein gesagt und erklärt, Ceaster liege in Mercien, nicht in Wessex, und daher sei es Æthelreds Verantwortung, aber Æthelred hasste mich und wollte lieber Dänen in Ceaster haben, als mein Ansehen zu erhöhen. Nun schien es so, als habe Haesten Cnuts Schutz gewonnen, und das machte es zu einem weitaus schwierigeren Unternehmen, Ceaster zu erobern.

«Mein Herr Uhtred vertraut mir nicht», sagte Haesten an Cnut gewandt, «aber ich bin jetzt ein anderer Mann, ist es nicht so, Herr?»

«Ihr seid jetzt ein anderer Mann», sagte Cnut, «denn wenn Ihr mich betrügt, reiße ich Euch die Knochen aus dem Leib und verfüttere sie an meine Hunde.»

«Dann müssen Eure armen Hunde hungrig bleiben, Herr», sagte Haesten.

Cnut schob sich an ihm vorbei und führte mich zu dem Ehrentisch auf dem Podest. «Er ist mir nützlich», erklärte er Haestens Anwesenheit.

«Ihr vertraut ihm?», fragte ich.

«Ich vertraue keinem einzigen Mann, aber ich jage ihm Angst ein, und daher vertraue ich darauf, dass er meinen Anordnungen Folge leistet.»

«Warum besetzt Ihr Ceaster nicht selbst?»

«Wie viele Männer braucht man dazu? Hundertfünfzig? Also lasse ich sie von Haesten ernähren und schone meine Mittel. Er ist jetzt mein Hund. Ich kraule ihm den Bauch, und er gehorcht meinen Befehlen.» Er gab Haesten dennoch einen Platz am Ehrentisch, allerdings weit weg von uns beiden. Der Palas war groß genug, um allen Kriegern Cnuts und meinen Männern Platz zu bieten, und am anderen Ende, weit weg vom Feuer und dicht bei dem großen Haupttor, standen zwei Tische für die Krüppel und Bettler bereit. «Sie bekommen, was übrig bleibt», erklärte Cnut.

Die Krüppel und Bettler aßen gut, denn Cnut bot uns an diesem Abend ein Festmahl. Es gab gebratene Pferdekeulen, Platten mit Bohnen und Zwiebeln, fette Forellen und Barsche, frisch gebackenes Brot und jede Menge von dem Blutpudding, den ich so mochte, und alles wurde mit Ale gereicht, das erstaunlich gut war. Er schenkte mir das erste Horn selbst ein, dann starrte er verdrießlich dorthin, wo sich meine Männer unter seine mischten. «Ich benutze diesen Palas nicht oft», sagte er, «er liegt zu dicht bei euch stinkenden Sachsen.»

«Soll ich ihn für Euch niederbrennen?», schlug ich vor.

«Weil ich Euren Palas niedergebrannt habe?» Dieser Gedanke schien ihn aufzuheitern. «Euren Palas niederzubrennen war die Rache für die See-Schlachter», sagte er grinsend. Die See-Schlachter war sein wertvolles Schiff gewesen, und ich hatte es in ein verkohltes Wrack verwandelt. «Ihr seid ein Bastard», sagte er und stieß mit mir an. «Und was ist mit Eurem anderen Sohn passiert? Ist er gestorben?»

«Er ist ein Christenpriester geworden, also ja, soweit es mich betrifft, ist er gestorben.»

Er lachte, dann deutete er auf Uhtred. «Und der da?»

«Ist ein Krieger», sagte ich.

«Er sieht aus wie Ihr. Hoffen wir, dass er nicht wie Ihr kämpft. Wer ist der andere Junge?»

«Æthelstan», sagte ich. «Der Sohn König Edwards.»

Cnut sah mich stirnrunzelnd an. «Ihr bringt ihn hierher? Warum sollte ich den kleinen Bastard nicht als Geisel nehmen?»

«Weil er ein Bastard ist», sagte ich.

«Ah», sagte er, weil er verstanden hatte, «also wird er nicht König von Wessex.»

«Edward hat andere Söhne.»

«Ich hoffe, dass mein Sohn mein Land halten wird», sagte Cnut, «und vielleicht tut er das auch. Er ist ein guter Junge. Aber regieren sollten die Stärksten, Herr Uhtred, nicht derjenige, der zwischen den Beinen einer Königin herausrutscht.»

«Darüber dürfte die Königin anders denken.»

«Wen kümmert, was Weiber denken?» Er sagte es leichthin, aber ich vermutete, dass er log. Er wollte, dass sein Sohn sein Land und sein Vermögen erbte. Das tun wir alle, und beim Gedanken an Pater Judas überlief mich ein Schauder vor lauter Zorn. Aber ich hatte wenigstens einen zweiten Sohn, einen guten Sohn, während Cnut nur einen hatte, und dieser Junge war verschwunden. Cnut schnitt in eine Pferdekeule und hielt mir eine großzügige Portion hin. «Warum essen Eure Männer kein Pferdefleisch?», fragte er. Er hatte bemerkt, wie viele das Fleisch nicht anrührten.

«Ihr Gott erlaubt es nicht», sagte ich.

Er sah mich an, als wolle er feststellen, ob ich scherzte. «Wirklich?»

«Wirklich. Sie haben einen Oberzauberer in Rom», erklärte ich, «einen Mann, den sie den Papst nennen, und er hat gesagt, dass Christen kein Pferdefleisch essen dürfen.»

«Warum nicht?»

«Weil wir Odin und Thor Pferde opfern und das Fleisch essen. Also sollen sie es nicht tun.»

«Umso mehr bleibt für uns», sagte Cnut. «Zu schade, dass ihr Gott sie nicht lehrt, sich von Frauen fernzuhalten.» Er lachte. Er hatte Scherze schon immer gemocht, und nun überraschte er mich mit einem. «Wisst Ihr, warum Fürze stinken?»

«Nein.»

«Damit auch diejenigen etwas davon haben, die taub sind.» Er lachte wieder, und ich fragte mich, wie ein Mann, der so unter der Verschleppung seiner Frau und seiner Kinder litt, derart unbeschwert sein konnte. Und vielleicht hatte er meine Gedanken gelesen, denn mit einem Mal wurde er ernst. «Wer hat also meine Frau und meine Kinder weggebracht?»

«Ich weiß es nicht.»

Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch. «Meine Gegner», sagte er nach ein paar Augenblicken, «sind die Sachsen, die Nordmänner in Irland und die Schotten. Also muss es jemand von ihnen gewesen sein.»

«Warum kein Däne?»

«Das würden sie nicht wagen», sagte er selbstsicher. «Und ich glaube, es waren Sachsen.»

«Warum?»

«Jemand hat sie reden hören. Und gesagt, sie hätten Eure unflätige Sprache gesprochen.»

«Es gibt Sachsen, die den Nordmännern dienen», sagte ich.

«Aber nicht viele. Also, wer hat sie weggeholt?»

«Jemand, der sie als Geiseln benutzen wird», sagte ich.

«Wer?»

«Ich nicht.»

«Aus irgendeinem Grund», sagte er, «glaube ich Euch. Vielleicht werde ich ja alt und einfältig, aber es tut mir leid, dass ich Euren Palas niedergebrannt und Eurem Priester das Augenlicht genommen habe.»

«Cnut Langschwert entschuldigt sich?», fragte ich in gespieltem Erstaunen.

«Ich muss wirklich alt werden», sagte er.

«Ihr habt auch meine Pferde gestohlen.»

«Die behalte ich.» Er stach sein Messer in einen Klumpen Käse, schnitt ein Stück ab, und dann blickte er durch den großen Raum, um dessen Feuerstelle in der Mitte ein Dutzend Hunde schliefen. «Warum habt Ihr Euch nicht Bebbanburg geholt?», fragte er.

«Und warum habt Ihr es Euch nicht geholt?»

Diese Bemerkung würdigte er mit einem kurzen Nicken. Wie alle Dänen im Norden begehrte er Bebbanburg, und ich wusste, dass er überlegt haben musste, wie die Festung erobert werden konnte. Er zuckte mit den Schultern. «Dazu würde ich vierhundert Mann brauchen», sagte er.

«Ihr habt vierhundert. Ich nicht.»

«Und sogar dann würden sie bei der Überquerung der Landenge dort sterben.»

«Und wenn ich Bebbanburg einnehmen will», erklärte ich ihm, «muss ich vierhundert Mann durch Euer Land führen, durch Sigurd Thorrsons Land, und mich dann den Männern meines Onkels auf der Landenge entgegenstellen.»

«Euer Onkel ist alt. Und wie ich höre, ist er krank.»

«Gut.»

«Sein Sohn wird die Festung halten. Besser er als Ihr.»

«Besser?»

«Er ist nicht der Krieger, der Ihr seid», sagte Cnut. Er zollte mir diese Anerkennung widerwillig und sah mich dabei nicht an. «Wenn ich Euch einen Gefallen tue», fuhr er fort und hielt den Blick weiter auf die lodernden Flammen der großen Feuerstelle gerichtet, «werdet Ihr mir dann auch einen tun?»

«Wahrscheinlich», sagte ich misstrauisch.

Er schlug auf den Tisch und scheuchte dadurch vier Jagdhunde auf, die unter der Tafel geschlafen hatten, dann gab er einem seiner Männer ein Zeichen. Der Mann stand auf; Cnut deutete auf das Tor des Palas, und der Mann ging gehorsam in die Dunkelheit hinaus. «Findet heraus, wer meine Frau und meine Kinder verschleppt hat», sagte Cnut.