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Vielleicht habe ich nur noch einen einzigen Sommer mit meinem Sohn! Am Ende dieser Jahreszeit steht seine Herzoperation an, und niemand kann mir sagen, ob er sie überleben wird. "Die Chancen, dass Ihr Kind die Operation übersteht, stehen bei etwa 80 Prozent." Und was ist, wenn Timo zu den anderen 20 Prozent gehört? Haben Sie sich schon einmal vorgestellt, wie es wäre, wenn Ihr Kind stirbt und Sie ab diesem Moment ohne Ihr zweites Ich auskommen müssen? Ich lebe mit diesem Gedanken seit zwei Jahren und vier Monaten, und weiß Gott, er wiegt im Laufe der Zeit nicht um ein einziges Gramm leichter.
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Seitenzahl: 16
Marion Brüning
Der letzte Sommer
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Impressum neobooks
MARION BRÜNING
DER LETZTE SOMMER
KURZGESCHICHTE
Eigentlich ist es faszinierend, wie die Zeit vergeht. Ich habe meine Winterstiefel gegen leichte Turnschuhe ausgetauscht. Die Natur ist erwacht. Der Kirschbaum vor unserem Wohnzimmerfenster steht in voller Blüte. Gerade komme ich an einer Löwenzahnwiese vorbei, deren Blüten mit der Sonne um die Wette leuchten. Verliebte Pärchen halten noch inniger Händchen als sonst, und in manchen Nächten scheint selbst der Mond schöner zu leuchten.
Wir haben Frühling, der Sommer steht kurz bevor – und ich bin ein emotionales Wrack. Ich schiebe meinen Sohn im Kinderwagen vor mir her und kann nicht verstehen, dass sich die Welt einfach weiter dreht.
Heute ist ein warmer Tag. Am Brunnen sitzt ein Kind auf der Mauer und betrachtet eine Bronzestatue, die in der Mitte steht. Es ist ein Mond, auf dessen Sichel ein Kind sitzt und gen Himmel lacht.
„Mama, der Mond steht doch am Himmel, oder?“
„Ja, mein Schatz, warum?“
„Das da geht nicht!“, sagt es und zeigt auf die Statue. „Ein Kind sollte nicht im Himmel sein!“
„Die Chancen, dass Ihr Kind die Operation übersteht, stehen bei etwa 80 Prozent.“
Und was ist, wenn Timo zu den anderen 20 Prozent gehört?
Ein Kind sollte wirklich nicht im Himmel sein. Keiner kann diesen Satz besser nachvollziehen als ich. Verzweifelt schaue ich in den Kinderwagen, in dem mein kleiner Sohn sitzt. Mein Herz liegt schwer in meiner Brust. Es gibt Momente, in denen ich selber nicht verstehe, wie ich es noch immer schaffe, zu atmen, zu gehen und all die Dinge zu tun, die ich am liebsten gar nicht mehr tun würde.
Vielleicht habe ich nur noch einen einzigen Sommer mit meinem Sohn!