4,99 €
Nach der Trennung von seinem Freund zieht der Sportstudent Joey vorerst zu seinem Vater Massimo, zu dem er ein eher distanziertes Verhältnis hat. Dort wartet jedoch eine Überraschung auf ihn: Yogalehrer Allard, Massimos neuer Partner. Vom ersten Moment an ist Joey Feuer und Flamme für ihn, doch der Mann ist tabu. Allerdings scheinen bei seinem Vater und Allard dunkle Wolken über der Beziehung zu hängen, die zusätzlich Joeys Beschützerinstinkte auf den Plan rufen. Eine Verletzung bringt Joey und Allard einander näher, als es für Stiefvater und -sohn üblich ist, aber darf ein Sohn Gefühle für den Freund seines Vaters entwickeln? Oder ist das zum Scheitern verurteilt?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2021
Noa Liàn
Roman
1. Auflage, 04/2021
© Noa Liàn – Alle Rechte vorbehalten.
c/o Werneburg Internet Marketing und Publikations-Service, Philipp-Kühner-Straße 2, 99817 Eisenach
Text: © Noa Liàn
Coverdesign: © Noa Liàn
Bildmaterial von depositphotos.com: © byheaven, MikeOrlov, YAYImages, filkusto, david_franklin
Lektorat und Korrektur: Katharina Rose und Tatjana Germer
www.noa-lian.de
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden/realen oder verstorbenen Personen wäre daher rein zufällig.
»Hast du alles?«
Er nickte seiner Mutter zu, ging aber gedanklich doch noch einmal alles durch, was er hatte mitnehmen wollen. »Ich denke, das Wichtigste habe ich. Und ich nehme mal an, dass er meine anderen Sachen nicht verkauft hat.«
Sie schnaufte. »Das sollte er sich nicht trauen.«
Joeys Mutter war normalerweise nicht so deutlich, wenn sie über seinen Vater sprachen, doch die Aussicht, ihr Kind bei dem Mann leben zu lassen, der sich all die Jahre kaum einmal gekümmert hatte, ließ sie ihre Zurückhaltung vergessen.
»Ich rufe dich an«, sagte er. »Wenn auch nur ein Taschentuch fehlt, kannst du die Armee rufen.«
»Werd nicht albern.«
Joey gluckste und zog seine große Reisetasche zum Auto, um diese dann mit Schwung in den Kofferraum zu befördern. »Lass uns losfahren, sonst grübeln wir, bis der Zug ohne mich losgefahren ist.«
»Auf keinen Fall, Marie kommt nachher zur Weinverkostung.«
»Bloß weg hier!«, forderte Joey, der sich schon vorstellen konnte, wie dieser Abend ablaufen würde, und stieg eilig ins Auto.
Seine Mutter stieg ebenfalls ein und ließ den Motor an. »Wer weiß. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie du unbedingt bei deiner Oma übernachten wolltest und mich dann heulend –«
»Ich war fünf! Außerdem ist es ja nicht so, als würde ich das erste Mal woanders wohnen.«
»Damals warst du aber mit deinem Freund in einer WG, das wird nicht dasselbe sein wie jetzt.«
»Ex-Freund«, korrigierte Joey sie genervt, weil sie immer wieder davon anfing. »Und wie schlimm kann mein Vater schon sein? Dustin hat meinen Laptop aus dem Fenster geworfen.«
»Diese Frage möchte ich nicht beantworten«, antwortete sie mit einem Lächeln, das dem Autofahrer neben ihr an der Ampel garantiert Angst einjagte.
Viel zu schnell kamen sie am Bahnhof an und auch wenn Joey es nie offen zugeben würde, sich von seiner Mutter für mehrere Monate verabschieden zu müssen, fiel ihm einfach immer schwer.
»Du meldest dich, ja?«, fragte sie und kramte dabei viel zu lange in ihrer Handtasche herum. Sie waren sich wirklich sehr ähnlich.
»Na klar.«
»Wenn etwas ist –«
»Holst du mich sofort ab.«
»Wenn dein Knie wehtut –«
»Warte ich nicht wieder monatelang, sondern gehe gleich zum Arzt.«
»Braver Junge.« Sie tätschelte kurz sein Knie, bevor sie dann wohl doch beschloss, dass es unnötig war, in ihrer Handtasche weiter nach dem Sinn des Lebens zu suchen.
Gemeinsam stiegen sie aus und gingen zum Gleis. »Wollen wir uns noch einen Kaffee holen?«, fragte er und zeigte auf einen kleinen Bäckerladen.
»Gute Idee, warte hier. Mit deiner Tasche rennst du sonst noch jemanden um.« Sie ging einfach los und ließ ihn an der Seite stehen.
Während sie den Bäcker noch mit Extrazusätzen zu ihrem Latte macchiato überforderte, konnte Joey nicht umhin, zuzugeben, dass er wirklich nervös war.
Natürlich würde es vieles einfacher machen, sich nicht selbst um eine Wohnung und neue Mitbewohner kümmern zu müssen. Dass sich sein Vater dann tatsächlich bereiterklärt hatte, Joey in der verbleibenden Zeit seines Studiums bei sich wohnen zu lassen, war überraschend gewesen. Eigentlich hatte Joey nur gefragt, weil er sich nicht durchringen konnte, den Master an einer anderen Uni fortzusetzen, zumal ihm genau diese spezielle Vertiefungsrichtung sehr zugesagt hatte. Mit seinen Freunden dort würde es auch wesentlich leichter sein, bis zum Ende weiterzumachen. Und bei ihnen konnte er sich sicher sein, dass sie ihm helfen würden, wenn seine Verletzung Probleme machen sollte. Verlässliche Trainingspartner zu haben, war immer Gold wert.
»Der hatte nicht einmal Vanillearoma«, beschwerte sich seine Mutter, als sie mit dem Kaffee zurückkam.
»Passt das nicht zu unserem Tag? Ein Abschied mit Tränen – nicht einmal der Kaffee konnte ihn erträglich machen.«
Sie lachte und stupste ihm in die Seite. »Der Abschied ist ja nicht für immer. Denk daran, um dich wieder nach Hause zu bringen, würde ich dich auch in der Wüste suchen.«
»Mach so weiter und ich werde noch ganz rührselig.«
Ohne darauf einzugehen, umarmte sie ihn so fest, als hätte sie heute nicht mehr vor, ihn wirklich fahren zu lassen.
Verstohlen atmete er tief durch und räusperte seinen kleinen Kloß im Hals weg. »Na komm, der Zug soll in fünf Minuten einfahren.«
Langsam schlenderten sie zum Gleis. Oben angekommen umarmte Joey seine Mutter noch einmal und drückte sie, so fest es ging.
»Du bist schon rührselig, oder?«, fragte sie, doch selbst sah sie nicht viel besser aus, als Joey sich fühlte.
»Hm, ist wohl so. Außerdem hast du mit dem Wüstenkram angefangen.«
Sie legte einen Arm auf seine Schulter und musste sich dabei schon beinahe strecken. »In meinem Kopf bist du eben immer noch mein kleines Baby.«
»Ich bin eins neunzig groß!«, sagte er empört und versuchte, sich ihrem Griff zu entwinden, der aber überraschend fest war.
»Und trotzdem verhältst du dich noch manchmal wie ein süßes, kleines –«
»Du musst aber zugeben, ich habe schon lange nicht mehr heulend angerufen, damit du mich von irgendwo abholst.«
»Es ist eine Weile her, ja«, sagte sie nachdenklich. »Aber wer weiß, sag niemals nie.«
Er verdrehte nur die Augen und dachte sich seinen Teil. Der Tag, an dem er seine Mutter heulend anrufen musste, würde ein ziemlich dunkler sein.
Die aufbauende Roboterstimme verkündete, dass der Zug nun gleich einfahren würde, weswegen Joey noch einmal zuließ, dass seine Mutter ihn fest umarmte.
»Vergiss nicht, dich zu melden. Und nimm am besten ein Taxi bis zum Haus, du bist sowieso spät da, ich möchte nicht, dass du im Dunkeln herumrennst.«
»Ja, Mama.«
»Du hast wirklich alles?«
»Ich habe Smartphone, Schlüssel, Geld und ein Schweizer Taschenmesser. Sollte die Welt untergehen, werde ich mir zu helfen wissen.«
»Na dann … mach’s gut. Und meld dich!«
Der Zug fuhr ein. Ein letztes Mal winkte er ihr zu, bevor er einstieg und sich im oberen Teil des Waggons einen Platz suchte.
Nun war es wirklich so weit. Außerhalb der Reichweite seiner Mutter konnte er sich erlauben, offen nervös zu sein, und rieb sich seine Hände an seiner Hose trocken. Dann lehnte er sich zurück und versuchte, nicht komplett den Kopf zu verlieren. Es war nur sein Vater, bei dem er wohnen würde, oder? Kein völlig Fremder. Andererseits hatte sich dieser Mann nie wirklich für ihn interessiert und immer nur so gewirkt, als wäre Joey eine Belastung für ihn. Was hatte ihn wohl dazu gebracht, seine Meinung über ihn zu ändern?
Seine Mutter hatte ihm kurz vor der Abreise noch erzählt, dass es da einen Lebensgefährten gab. Wenn das stimmte, hatte der vielleicht einen guten Einfluss auf seinen Vater gehabt. Warum sonst sollte der plötzlich auf die Idee kommen, Joey aufzunehmen? Oder dachte er, dann weniger Geld zahlen zu müssen?
Joey trank weiter seinen Kaffee und schüttelte den Kopf. Er war wirklich froh, dass sich seine Mutter bisher um die ganzen Zahlungen gekümmert hatte, er selbst wäre wohl irgendwann ausgerastet, während sie mit einer Engelsruhe jeden Monat zum Telefon griff und überfreundlich an die vergessene Zahlung erinnerte. Dass sich Joey nie wirklich Sorgen um seine Finanzen während des Studiums machen musste, war der Tatsache geschuldet, dass ihm seine Mutter immer auch das Geld seines Vaters mit vorstreckte.
Vorsichtig streckte Joey sein Knie weiter aus, da es ein wenig schmerzte. Sehr lange war die Operation nicht her und er hoffte, dass sein Vater ihm nicht gleich in den ersten Wochen mit einem Job in den Ohren liegen würde. Eigentlich wollte er erst einmal weiter Sport machen und trainieren, damit er die Prüfungen alle erfolgreich absolvieren konnte. Die letzten Checks beim Arzt hatten Joey Hoffnung gegeben, doch noch immer war er bei harten Stopps und Landungen unsicher. Das waren keine guten Voraussetzungen für sein Badmintonspiel, aber er wollte auch nicht länger aussetzen.
Um sich abzulenken, tippte er ein paar Nachrichten an seine Kommilitonen, die wissen wollten, ob er tatsächlich zum Semesterstart dabei sein würde. Irgendwie konnten sie es sich noch nicht so richtig vorstellen, allerdings machte ihnen Joey keine Vorwürfe, sein Unfall hatte bestimmt übel ausgesehen. Letztlich war er aber einfach zu stur, um sich davon länger aufhalten zu lassen, zur Not würde er ein paar der Sportprüfungen später machen.
Die Landschaft zog schnell an ihm vorbei und machte ihn irgendwann schläfrig. Viel hatte er in der Nacht nicht geschlafen. Stattdessen war er früh aufgestanden, um noch einige Male seine Sachen durchzugehen. Jetzt, da er sich seinem Ziel näherte, wurde er langsam wieder ruhiger. Aber irgendwie war er schon immer so gewesen. Kurz vor Prüfungen oder Wettkämpfen war mit ihm nichts anzufangen, doch wenn es endlich so weit war, legte sich ein Schalter in seinem Kopf um und er war nur noch auf das Ziel konzentriert. Das hier war auch eine Art Prüfung. Und er hatte nicht vor, in dieser zu versagen. Wenn er halbwegs mit seinem Vater auskommen würde, würde er sein Studium entspannt zu Ende bringen können. Vielleicht würde es sogar möglich sein, ihr angeknackstes Verhältnis zu kitten. Bei ihm zu leben, konnte eine Möglichkeit sein, sich auszusprechen und gegenseitiges Verständnis entstehen zu lassen. Joey hatte zwar keine allzu großen Hoffnungen, doch es wäre schöner, wenn er sich nicht weiter fragen müsste, warum sein Vater nicht wirklich etwas mit ihm zu tun haben wollte. Was hatte Joey ihm getan, außer eben entstanden zu sein?
Hoffentlich war der Lebenspartner nett, wenn Joey und er sich verstehen würden, würde sein Vater womöglich auch erkennen, dass er eigentlich kein so schlechter Sohn war. Ob es einfach werden würde? Viel hatte er vom Liebesleben seines Vaters nie mitbekommen. Die letzte Person, an die er sich erinnerte, war eine unangenehm besitzergreifende Frau gewesen, die sich immer in ihre Telefonate eingemischt hatte. Die und Joeys Mutter hatten echt nichts gemeinsam, daher war er sehr gespannt, wie der Mann an der Seite seines Vaters sein mochte.
Nach zweieinhalb Stunden hatte er es fast geschafft. Schon der nächste Halt verkündete sein Reiseziel. Er quetschte seinen Kaffeebecher in den viel zu kleinen Mülleimer an seinem Platz und packte sein Tablet ein, das ihn über die Reisezeit hinweg mit witzigen Youtube-Videos versorgt hatte. Dann zog er sich wieder an und ging hinunter, wartete hinter einem mürrisch dreinblickenden Herren, der sich murmelnd über die zwei Minuten Verspätung beschwerte, die der Zug aktuell hatte.
Er musste es wirklich eilig haben, denn noch bevor der Zug ganz angehalten hatte, drückte er ungeduldig auf den Knopf, der die Tür öffnen sollte. Doch erst, nachdem der Zug stand, tat ihm die Tür diesen Gefallen und noch bevor sie sich ganz geöffnet hatte, quetschte sich der Mann ins Freie.
»Meine Güte«, murmelte Joey und ging kopfschüttelnd hinterher.
Doch der Bahnhof selbst schien dem Mann recht zu geben. Menschen rannten hin und her, schrien sich laut etwas zu oder fluchten über die Bahn. Joey hasste Bahnhöfe aus genau diesem Grund. Sie waren laut und die Menschen wütend und gestresst. Außerdem bedeutete am Bahnhof stehen, sich wenigstens von einer Sache oder jemanden zu verabschieden. Und im Verabschieden war Joey sehr schlecht.
Es dämmerte schon und wie er es seiner Mutter versprochen hatte, machte er sich schnurstracks auf den Weg zum Taxistand, wo er sogar Glück hatte und gleich eines bekam. Er nannte die Adresse, die ab heute so etwas wie ein Zuhause für ihn sein würde, und lehnte sich zurück.
Ja, er war bereit. Was auch kommen würde, er würde zusehen, dass er es für sich passend machte. Falls es gar nicht klappen sollte, würde er sich eben doch eine WG suchen müssen und wieder im Fitnessstudio anfangen. Irgendwie würde es schon gehen, es gab immer mehr als nur einen einzigen Weg.
Das Taxi bog in eine Siedlung ein und hielt vor einem schlichten, weißen Reihenhaus, mit einem kleinen Vorgarten. Es sah fast zu gutbürgerlich aus für seinen Vater. Oder die Vorstellung, die Joey von seinem Vater hatte. Hatte er ihn über die Jahre vielleicht doch falsch eingeschätzt und er hatte sich schon lange mehr Kontakt zu ihm gewünscht? Joey gestand es sich nicht gern ein, aber ein kleiner Teil in ihm, der, der seine Mutter früher gefragt hatte, ob sein Vater nicht doch noch zu seinem Geburtstag auftauchen würde, hoffte es. Hoffte, dass der Mann inzwischen mehr in ihm sehen konnte als nur einen Ausrutscher von früher.
Er bezahlte den Taxifahrer, stieg aus und ließ sich seine Reisetasche geben, bevor er die letzten Schritte zum Haus zurücklegte. Das kleine Tor zum Vorgarten war zwar geschlossen, ließ sich aber ohne Schlüssel öffnen. Nun atmete er doch noch einmal tief durch, das Ziel klar vor Augen. Dann stand er an der blau gestrichenen Haustür, in die sogar kleine Milchglasfenster eingesetzt waren. Das Fenster neben der Tür war angekippt, doch eine Gardine davor verhinderte, dass Joey einen ersten Blick ins Haus erhaschen konnte. Aber eigentlich war das auch nicht so wichtig, immerhin würde er sich gleich umsehen können.
Er sah sich kurz um und entdeckte eine kleine Taste, neben der zwei Namen standen.
Massimo Santoro und Allard Morel. Direkt darunter entdeckte er einen weiteren Namen, den man wohl erst kürzlich angebracht hatte. Joe Kühne.
Da sein Vater Massimo hieß, gehörte Allard wohl zu dem Lebensgefährten. Dass sein Vater ihn anscheinend immer noch Joe nannte, nervte ihn ein wenig, aber das würde er schon noch klären können.
Neugier machte sich in Joey breit. Wie war der Mann, der es mit seinem Vater aushielt? Am Ende gab es nur einen Weg, auf all diese vielen Fragen eine Antwort zu bekommen.
Er klingelte.
Niemand öffnete.
Joey klingelte erneut und wartete. Angestrengt horchte er, doch er konnte keine Schritte hören. Er kramte sein Smartphone aus der Jacke und las noch einmal im letzten Chat mit seinem Vater. Dass Joey heute gegen acht ankommen würde, hatte er bestätigt.
Noch einmal klingelte er. Vielleicht war sein Vater ja gerade im Bad und brauchte einfach einen Moment. Doch wieder wurde die Tür nicht geöffnet und kein einziges Geräusch war von drinnen zu vernehmen.
»Wehe, der hat mich vergessen.« Genervt öffnete Joey den Chat und begann, eine Nachricht zu tippen. Doch dann hörte er eilige Schritte hinter sich und drehte sich um.
Ein schlanker, dunkelhaariger Mann, vielleicht um Ende dreißig herum, öffnete das Tor und lief auf ihn zu. Er trug eine schwer aussehende Einkaufstasche und die roten Flecken auf den Wangen zeugten davon, dass er sich wohl beeilt hatte. »Hallo. Du bist Joe, richtig?« Atemlos streckte er ihm eine Hand entgegen und ließ beinahe die Einkaufstasche fallen, woraufhin Joey aus Reflex nach der Tasche griff.
»Ja, bin ich. Aber Joey ist mir lieber. Ähm, du bist …«
»Allard«, antwortete er. »Ich bin der Lebensgefährte von deinem Vater.« Er lächelte freundlich und wollte Joey schon wieder die Einkäufe abnehmen.
»Lass mal, schließ auf, so schwer ist die Tasche nicht, das bekomme ich schon reingetragen.« Außerdem brauchte er etwas, um sich abzulenken, denn in Allards Stimme lag ein leichter Akzent, der durch Joeys Körper kribbelte. Er konnte ihn nicht ganz zuordnen, dafür war er zu schwach, aber Allard sah nicht nur gut aus, er hörte sich auch sehr gut an.
»Oh, danke.« Eilig schloss Allard die Tür auf und ließ Joey hinein. »Wartest du schon lange? Eigentlich wollte Massimo bereits hier sein.« Er sah zur Uhr und runzelte die Stirn.
»Nein, ich bin gerade erst angekommen.«
»Zum Glück. Tut mir leid, dass du warten musstest, das war anders geplant. Ich …« Allard griff nach der Einkaufstasche und ging in einen Raum kurz hinter der Eingangstür.
Joey ging ihm nach und stellte fest, dass das geöffnete Fenster zu einer Küche gehörte. Sie war nicht besonders groß, besaß aber einen Essplatz, an dem vier Personen sitzen konnten.
Allard stellte gerade die Einkäufe auf die Küchenzeile und drehte sich dann wieder zu ihm um. »Ich zeig dir dein Zimmer, dann kannst du dich erst einmal einrichten, während ich etwas zu essen mache. Du hast bestimmt Hunger, oder?«
»Ein wenig, ja«, antwortete Joey zurückhaltend, dem der Mann jetzt irgendwie leidtat, weil er sich wegen ihm zu stressen schien. »Aber das hat keine Eile. Ich würde erst einmal den Rest auspacken und duschen, wenn das okay ist.«
»Ja, natürlich, ich –«
»Meine Tasche kann ich tragen, keine Sorge«, sagte er schnell, als ihm Allard auch noch das Gepäck abnehmen wollte.
»Oh … gut. Dann … hier entlang.«
Allard führte ihn einen schmalen Flur entlang bis zu einer Treppe, die nach oben führte. Während er voranging, musste sich Joey zusammenreißen, um ihm nicht auf den Hintern zu sehen, der in einer gut sitzenden Jeans steckte. Das war nun wirklich nicht akzeptabel, der Mann war schließlich vergeben. Und nicht einfach an irgendwen, sondern an seinen Vater!
Oben angekommen, drehte sich Allard lächelnd zu ihm um und wies zu einem der Zimmer. »Hier ist dein Raum. Ich habe schon einmal ein paar von deinen Büchern in die Regale geräumt, damit du das nicht machen musst.« Er zeigte auf einen weiteren Raum. »Hier ist das große Badezimmer. Ich habe dir deine Handtücher an die Haken gehängt, die findest du dann schon. Wenn du etwas brauchst, ruf mich einfach. Ich würde sonst erst einmal Essen machen. Magst du Lasagne?«
»Klar, klingt lecker«, antwortete Joey und versuchte, sein Staunen zu verbergen. Sein Vater mochte ihn vielleicht vergessen haben, aber wenigstens ein Mann war in diesem Haushalt auf ihn vorbereitet gewesen.
»Gut, dann … gehe ich wieder runter. Ich bin in der Küche.«
Joey ließ ihn vorbei und sah ihm verwirrt hinterher. Er hatte seine Bücher eingeräumt? Misstrauisch betrat er das Zimmer und sah sich um. Ein großzügiger Schreibtisch stand in der Nähe des Fensters, neben dem sich tatsächlich ein Bücherschrank befand, der seine Fachbücher enthielt. Als er zu dem Kleiderschrank herüberging, stellte Joey mit Erstaunen fest, dass seine Schuhe und die Sportkleidung ebenfalls schon einsortiert worden waren. Selbst seine Badmintonschläger hatten eine eigene Halterung bekommen, an der sie jetzt hingen. Und Joey hatte den eindeutigen Verdacht, dass Allard auch daran einen großen Anteil hatte.
Das Bett war ordentlich bezogen worden und mit mehren Kissen, dicken und dünneren ausgestattet worden. Ohne Frage, hier ließ es sich leben und studieren. Wenn Allard nur halb so gut kochte, wie es die ersten Gerüche aus der Küche vermuten ließen, würde er sich schnell wie zuhause fühlen. Einzig seine Mutter fehlte.
Er schrieb ihr schnell eine Nachricht, dass er gut angekommen war, hing seine Jacke über einen Kleiderhaken, nahm sich ein paar lockere Sachen und ging ins Bad. Es war wirklich groß. Besaß eine Wanne und eine Dusche und sogar zwei Waschbecken. Die Toilette war mit einem Wandvorsprung abgegrenzt und ließ etwas Privatsphäre zu.
Joey drehte sich herum und suchte die Handtücher. Über einem kleinen Regal waren mehrere Haken, die beschriftet waren. Joe stand über dem einen, an dem ein großes Badetuch hing. Auch an dem Regal stand sein Name, über einem der Fächer, die weitere, verschieden große Handtücher enthielten.
»Alle Achtung«, murmelte Joey und pfiff durch die Zähne. Dann beeilte er sich und duschte schnell, weil er umso bestrebter war, Allard näher kennenzulernen.
Das heiße Wasser tat gut. Der September war bisher zwar nicht allzu kalt gewesen, doch die Abende waren immer noch frisch. Nachdem er sich gründlich gewaschen hatte, rubbelte er sich fix trocken und schlüpfte in seine Alltagskleidung. Sein Handtuch hängte er wieder an den sorgfältig beschrifteten Haken.
Zurück in seinem Übergangszimmer entdeckte er eine Wäschetruhe, von der er annahm, dass er dort seine getragenen Sachen reinwerfen konnte. Im Bad selbst hatte er jedenfalls keine gesehen. Dann räumte er noch seine Reisetasche aus und legte sie zusammen mit seinen anderen Sachen in den Kleiderschrank.
Nun hielt ihn aber wirklich nichts mehr auf. Barfuß ging er nach unten, um nachzusehen, wie weit Allard mit dem Essen war. Und um ihm vielleicht ein bisschen zuzusehen und mit ihm zu reden.
»Hey«, sagte Joey, um auf sich aufmerksam zu machen.
Allard drehte sich um, wieder mit diesem freundlichen Lächeln, das seine braunen Augen auf merkwürdige Weise leuchten ließ. »Es dauert nicht mehr lange. Ich hoffe, dass dein Vater auch gleich hier ist, aber er schrieb gerade, dass er auf Arbeit aufgehalten worden ist.«
»Okay«, antwortete Joey nur, wenn es nach ihm ginge, konnte sein Vater jetzt auch noch eine Weile wegbleiben. »Ich will nicht unhöflich sein, aber … du bist nicht hier in Deutschland geboren worden, oder?«
»Nein«, sagte Allard und wirkte ein wenig beschämt, weswegen sich Joey direkt schlecht fühlte. »Meine Eltern sind kurz vor meiner Geburt nach Frankreich ausgewandert. Allerdings bin ich zweisprachig aufgewachsen.« Er lachte zurückhaltend. »Ich bin am Wochenende bei ihnen gewesen, den Akzent nehme ich jedes Mal wieder mit. Er verliert sich in ein paar Tagen wieder. Ich hoffe, es ist nicht so schlimm.« Offensichtlich verlegen strich er sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.
Joey hätte ihn gerne beruhigt, denn Allard klang seiner Meinung nach schlicht heiß, aber so eine Antwort würde ihn vermutlich noch mehr irritieren. »Gar nicht«, sagte er stattdessen und räusperte sich. »Vielleicht kannst du mir … ein paar Worte beibringen.« Er musste wirklich sein Gehirn wieder einschalten, jetzt hätte er den armen Kerl beinahe gefragt, ob er ihm Französisch beibringen konnte. Und wie sich Joey selbst kannte, hätte er dabei unangemessen gegrinst.
»Sehr gern. Wenn du das möchtest?«
»Klar. Aber nur, wenn du Zeit hast. Ich will dir nicht auf die Nerven gehen.«
»Nein, nein, gar nicht, ich … ich freue mich darüber.« Und tatsächlich strahlte er ihn so breit an, dass Joeys Herz einen kleinen Hüpfer machte.
Verstohlen atmete er tief durch, um sich wieder zu beruhigen. Er sollte wirklich das Thema wechseln. »Wie lange wohnst du schon hier?«
»Ich, ähm …« Allard errötete. »Das ist mein Haus.«
»Oh … echt? Sorry, das wusste ich nicht. Ich wusste zwar, dass mein Vater umgezogen ist, aber ich bin davon ausgegangen, dass er sich ein Haus gekauft hat. Er hat immer davon gesprochen.«
»Kein Problem, kein Problem. Das denken irgendwie einige. Wir wohnen aber schon seit einer ganzen Weile zusammen. Seit, ähm … beinahe sechs Jahren. Das Haus gehörte vorher meinen Großeltern. Nachdem mein Opa gestorben ist, ist Oma in ein betreutes Wohnheim gezogen. Sie konnte dann nicht mehr hierbleiben. Meine Eltern haben selbst ein Haus, also habe ich das hier bekommen. Aber … tut mir leid, dass … ich erzähle gerne ein bisschen zu viel.«
Joey hatte sich an den Tisch gesetzt und Allard aufmerksam zugehört. War es normal, dass man den ruhigen Klang der Stimme des Lebenspartners des eigenen Vaters als außergewöhnlich beruhigend empfand? Er erzählte zwar viel, doch es klang alles nach etwas, was er unbedingt wissen sollte. »Erzähl ruhig weiter. Ich bleibe ja eine Weile. Auf jeden Fall sollte ich mich dann bei dir bedanken, dass ich mit hier wohnen darf.«
»Das ist doch selbstverständlich. Ich hatte es mitbekommen und war sofort einverstanden. Ist doch auch besser für dich.« Allards Blick glitt hinunter zu Joeys Beinen, was in ihm ein aufgeregtes und völlig unangebrachtes Kribbeln auslöste. »Geht es denn mit deinem Knie inzwischen besser?«
»Meinem … Ja, ich war noch mal im MRT, aber es sieht alles gut aus. Habe auch eine Sportfreigabe. Muss nur langsam wieder auf mein Niveau von vorher trainieren.«
Allard nickte verständnisvoll, bevor er sich wieder dem Ofen zuwandte und nach der Lasagne sah. »Ich kann mir vorstellen, dass das eine ganz schöne Aufgabe ist. Umso besser ist es, dass du nicht noch nebenbei arbeiten musst.« Er drehte sich erneut um. »Ich habe unten einen kleinen Trainingsraum, wenn du den nutzen möchtest, kannst du das gerne tun.«
Ehe sich Joey aufhalten konnte, huschte sein Blick über Allards Figur. Er räusperte sich erneut und sah ihm wieder ins Gesicht. »Du trainierst hier?«
»Ja. Ich gebe Yogastunden. In einem Studio hier in der Nähe. Aber ich habe auch zwei Onlinetage in der Woche, dann unterrichte ich von hier aus.«
Der Mann machte Yoga. Joey entließ stockend seinen Atem und nickte, bevor er sich einen unverfänglichen Punkt im Raum aussuchte. Die Lasagne. Lasagne war lecker.
»Wann musst du genau los? Nächste Woche?«
»Ja.« Er sah nun doch wieder zu Allard, um nicht unhöflich zu sein. Dieser lehnte an der Küchenzeile und sah ihn interessiert an. »Ich dachte nur, dass ich ein bisschen früher kommen kann, um mich zu sortieren und einzuleben. Wenn ich gewusst hätte –«
Allard winkte sofort ab und setzte sich nun ebenfalls an den Tisch. »Das ist wirklich kein Problem. Im Gegenteil, wir müssen uns, wie du schon sagtest, auch erst Kennenlernen und sehen, wie sich der Alltag einspielt. Ein paar ruhige Tage mehr sind da ganz gut.«
Während er sprach, hatte Joey nach einem Anzeichen dafür gesucht, dass Allard vielleicht nicht ganz so verständnisvoll war, wie er sagte, doch er konnte nur aufrichtiges Interesse erkennen. »Das ist wirklich cool von dir. Echt.«
Allard lächelte breit, wobei seine Augen schon wieder vor Begeisterung strahlten. Das Piepen des Ofens unterbrach dann aber leider ihren Blickkontakt. Allard eilte hinüber und besah sich aufmerksam die Lasagne, die, so weit Joey das beurteilen konnte, genauso lecker aussah wie ihr Koch. Kurz war er versucht, seinem Vater zu schreiben, dass er sich ruhig noch Zeit lassen konnte.
Nachdem Allard der Meinung war, dass die Lasagne fertig war, holte er sie aus dem Ofen und zwei Teller aus dem Schrank und beorderte Joey sofort wieder zurück auf seinen Stuhl, als er Anstalten machte, helfen zu wollen.
Mit schlechtem Gewissen sah er zu, wie Allard alles vorbereitete und sogar Servietten herausholte. Machte er das sonst auch? Der Gedanke, dass sein Vater dieselbe Aufmerksamkeit bekam, versetzte ihm einen Stich in der Magengegend. Joey war wirklich nicht mehr zu helfen. Warum dachte er all diesen Mist? Er stand nicht mal auf Männer, die locker mehr als zehn Jahre älter waren als er selbst.
Und trotzdem fühlte sich dieses gemeinsame Essen nicht wie eines zwischen Stiefvater und -sohn an, sondern sehr viel vertrauter. Inniger. Obwohl das absoluter Blödsinn war. Joey musste echt aufpassen. Ein lädiertes Knie konnte sicherlich mit genügend Sport ausheilen, mit einem kaputten Gehirn war es schwieriger.
Die Lasagne half allerdings nicht dabei, seinen Kopf davon zu überzeugen, dass Allard ein ganz schlechter Anbetungsgegenstand war. Denn was er kochte, war auch ohne diesen ansprechenden Körper anbetungswürdig. »Das ist verdammt lecker«, kommentierte er zwischen zwei Bissen und lud sich sofort wieder die Gabel voll.
Allard wurde auf seinem Stuhl gleich größer und sah offensichtlich geschmeichelt aus. »Danke, das freut mich. Manchmal geht auch was daneben, ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass es zu salzig ist –«
»Unsinn«, insistierte Joey harsch und schob sich den nächsten Bissen in den Mund. »Kochst du gerne?«
»Ja, schon.« Allard wirkte etwas verlegen. »Ich versuche, immer ausgewogen zu kochen, wobei Massimo, also dein Vater, meine ich, er mag es meistens etwas deftiger. Wenn du mal etwas anderes möchtest, kannst du es auch sagen, ich mache häufiger zwei verschiedene Sachen.«
Obwohl das für Allard wohl kein Problem zu sein schien, verlor sein Vater bei Joey sofort weitere Sympathiepunkte. Nicht nur, dass er ihn vor der Tür hatte stehen lassen, Allard musste ihm im wahrsten Sinne des Wortes auch noch Extrawürste braten. Ob Joey unauffällig das Schloss der Haustür wechseln konnte?
»Da ich auch darauf achte, was ich esse, würde ich mich einfach nach dir richten«, sagte er schließlich und gab sich Mühe, nicht allzu wütend zu klingen. Denn immerhin war nicht Allard Gegenstand seiner Wut, sondern der Typ, der Joey gezeugt hatte und bis jetzt, kurz vor zehn, immer noch nicht aufgetaucht war.
Doch als wären seine Gedanken vom Teufel persönlich gelesen worden, hörte er plötzlich, wie jemand die Haustür aufschloss.
Hatte er beim letzten Mal auch schon so alt ausgesehen? Graue Strähnen zogen sich bereits durch das Haar seines Vaters, obwohl der gerade einmal fünfzig war. Mit dem Anzug und der Krawatte wirkte er wie einer dieser Anwälte, die Leute vertraten, mit denen niemand etwas zu tun haben wollte.
Allard stand auf und half ihm aus dem bereits aufgeknöpften Mantel. »Hey, war es sehr stressig?«, fragte er besorgt, während Massimo keinen allzu erschöpften Eindruck machte.
»Du weißt doch, wie es ist«, sagte er in dem nachsichtigen Tonfall eines Lehrers, der schon zwanzigmal dasselbe gesagt hatte und von dem Intellekt seines Schülers nicht überzeugt war. »Wir müssen gerade wichtige Entscheidungen treffen, da kann es auch mal länger dauern. Du brauchst mir deswegen nicht hinterherzutelefonieren.«
Da sich Allard wegdrehte und den Mantel in den Flur brachte, konnte Joey sich nicht sicher sein, doch für einen Moment dachte er, gesehen zu haben, dass Allard beschämt wirkte.
Bevor er ihm nachlaufen konnte, setzte sich sein Vater allerdings an den Tisch und lächelte Joey zu. »So sehen wir uns auch mal wieder«, sagte er nonchalant und sah sich nach einem dritten Teller um, den Allard, der schon wieder in der Küche war, sogleich aus dem Schrank holte.
»Ja«, antwortete Joey knapp, weil er sich nach wie vor kaum beruhigen konnte. Was war das denn für ein Verhalten?
Sein Vater schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Deine Manieren sind über die Jahre nicht besser geworden. Wie wäre es, wenn du mir einen guten Abend wünschst?«
»Wie wäre es, wenn du mir sagst, warum du mir nicht einmal mitteilen konntest, dass du es nicht rechtzeitig zum Haus schaffst?« Joey bekam sogar ein Lächeln hin. Eines von der Sorte, die seine Mutter immer für Leute reservierte, kurz bevor sie sie anbrüllte.
Und genau die hatte ihm beigebracht, dass man sich als Kind nicht alles gefallen lassen musste, nur weil ein Erwachsener erwachsen war. »Wenn sie auf etwas bestehen, einfach weil du klein und Kind bist«, hatte sie gesagt, »bist du ihnen nichts schuldig. Alter ist kein Argument.« Nein, aus seiner Mutter und seinem Vater wäre nie ein Paar geworden, dafür waren sie zu unterschiedlich und seine Mutter darüber hinaus zu eigenwillig.
Sein Vater sah ihm aufmerksam ins Gesicht und die Grimasse, von der er vielleicht dachte, dass sie ein Lächeln darstellte, sagte Joey, dass er vermutlich ebenfalls etwas von seiner Mutter in ihm sah. »Hm«, brummte er dann. »Wie ich es Al schon sagte, die Firma hat eben Vorrang. Ich kann nicht einfach mitten in einem Meeting abhauen. Transaktionen in Millionenhöhe erfordern einen wachen Verstand und Arbeitseinsatz. Aber was erzähle ich dir das, davon kannst du noch nicht so viel wissen.« Er lachte und schien sich auch nicht daran zu stören, dass er der Einzige war, der das witzig fand.
Allard sah sogar regelrecht schockiert aus und ließ beinahe den Teller mit der Lasagne fallen.
Joey hatte dagegen Mühe, den Teller nicht an sich zu reißen und das Gesicht seines Vaters damit Bekanntschaft machen zu lassen. Warum hatte er eigentlich gedacht, dass hier zu leben eine gute Idee war? Er konnte nur hoffen, dass sein Vater die Wahrheit sagte und wirklich viel unterwegs war. Dann würden sie sich selten genug sehen, damit es gutgehen konnte.
»Bitte«, sagte Allard und stellte den Teller ab. »Ich hole noch eine Gabel. Möchtest du etwas trinken?«
»Ein Bier wäre mir recht«, antwortete sein Vater und sah dann wieder zu Joey. »Wie lange musst du jetzt noch studieren?«
»Zwei Semester, vorausgesetzt, mein Knie lässt mich bei den Prüfungen nicht im Stich.«
Er nickte. »Das wäre gut, immerhin hättest du dann endlich eine abgeschlossene Ausbildung. Mit fünfundzwanzig haben andere schon leitende Positionen inne.«
»Dreiundzwanzig.«
»Hm?«
»Ich bin dreiundzwanzig.«
Sein Vater runzelte die Stirn und nickte dann seinem Essen zu. »Ja, dreiundzwanzig. Wie die Zeit vergeht.«
Joey überlegte, ob es sich lohnte, darauf einzugehen, aber Allards bittender Blick ließ es ihn darauf bewenden. Stattdessen suchte er nach einer Ausrede, um dieser unangenehmen Situation zu entfliehen.