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»Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.« – So enden viele Geschichten, aber wer fragt nach dem Glück derer, die diese Geschichten aufschreiben? Einer dieser Autoren ist Charles. Eigentlich vom Erfolg verwöhnt, quält er sich seit Monaten mit einer Schreibblockade. Einer der Gründe dafür ist seine heimliche Liebe zu Ben – ausgerechnet der Mann, dem er das Schlimmste angetan hat, was man einem anderen Autor antun kann. Nach vielen Jahren voll von mühsam unterdrückten Schuldgefühlen kreuzen sich ihre Wege erneut und Charles ist gezwungen, sich mit den Fehlern seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Alles steht auf dem Spiel, doch die wichtigste Sache in seinem Leben fehlt noch: sein eigenes Happy End. Kann sich Charles vielleicht selbst eines schreiben? Und was passiert nach dem Ende?
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Noa Liàn
Kurzroman
1. Auflage, 11/2020
© Noa Liàn – Alle Rechte vorbehalten.
c/o Werneburg Internet Marketing und Publikations-Service, Philipp-Kühner-Straße 2, 99817 Eisenach
Text: © Noa Liàn
Coverdesign: © Noa Liàn
Bildmaterial von depositphotos.com: © myronstandret, Syda_Productions, mrsiraphol & ksana-gribakina
Lektorat und Korrektur: Katharina Rose und Tatjana Germer
www.noa-lian.de
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden/realen oder verstorbenen Personen wäre daher rein zufällig.
Auf dieser Bank habe ich so oft gesessen, dass ich es nicht mehr zählen kann. Oft stundenlang, unfähig, mich aufzuraffen, mit meinem Leben weiterzumachen. Ich kann nicht mehr zurück, seit ich ihn wiedergesehen habe und jetzt erst recht nicht mehr, nachdem ich mit ihm geredet habe. Mein Gewissen lässt mich nicht mehr schlafen, doch wenigstens weiß ich endlich, was zu tun ist.
Das war neulich noch nicht so. Stattdessen war ich wie paralysiert gewesen, habe auf etwas gewartet, was nicht erreichbar schien. Habe darauf gewartet, dass er wieder als Letzter das Gebäude verlässt und sorgsam abschließt. Ihn als Angestellten einer großen Fastfood-Kette wiederzusehen, hat mich überrascht. Noch mehr, dass er zufrieden aussah. Dabei hätte ich vor allem froh sein müssen, dass es ihm anscheinend gutging. Gerüchte hatte es nämlich viele gegeben, die meisten drehten sich um Drogen, Absturz und Schlimmeres. Und es erschien mir damals nicht abwegig. Nach allem, was ich getan und was ich nicht getan habe, war das sogar naheliegend gewesen. Ich habe ihn immerhin ruiniert. Jede Chance genommen, sich zu etablieren. Dabei hätte er es verdient gehabt. Niemand weiß das besser als ich, denn ich habe sein Talent bewundert. Bewundere es noch immer. Die gefühlvolle, bedeutsame Art, wie er seine Worte eingesetzt hat, fasziniert mich nach wie vor. Auch nach dem Skandal, wenn die Sehnsucht größer war als meine Scham, war ich heimlich in den Zeilen versunken, die er damals geschrieben hat.
Nun habe ich ihn lange Wochen beobachtet. Wenn er sorgenvoll ausgesehen hat, habe ich mich hilflos gefühlt. Noch hilfloser als für gewöhnlich, denn ich habe nicht gewusst, was ihn beschäftigt hat, war außen vor gewesen. Habe nur ein paar Stunden am Tag am Rand seiner Welt gelebt. Auf einer gewöhnlichen Bank vor einem Schnellrestaurant.
Bis heute. Und nur meine letzten Gedanken halten mich noch hier fest, lassen mich die vergangene Zeit erinnern, die ich hier verbracht habe. Bis er mich gefunden hat.
Ich war wieder hierhergekommen. Meine Gedanken verließen diesen Ort nie, nur mein Körper konnte nicht mehr als ein paar Stunden hierbleiben. Die letzten Tage war es noch schlimmer geworden. Ich hatte das Gefühl, in einem Karussell zu sitzen und nicht aussteigen zu können.
Erneut dachte ich an den Tag, an dem ich durch die Tür gegangen war, durch die Ben später wieder herauskommen musste. Ich hatte mir damals eine Kleinigkeit holen wollen, weil ich vor dem Gespräch im Verlag zu aufgeregt war, um etwas zu essen. Ich hatte drinnen keinen Blick für die Menschen gehabt, nur zur grell beschrifteten Anzeigetafel gesehen, überwältigt von dem Angebot.
»Einen Hamburger zum mitnehmen, bitte«, hatte ich schließlich gesagt, erst nach unten und dann in die Augen des Mannes vor mir sehend.
Ich hatte ihn sofort erkannt. Kein Zweifel, auch nach all den Jahren nicht. Er hatte älter ausgesehen, reifer, aber die seelenvollen Augen, das kräftige Kinn, das Grübchen in seiner rechten Wange – für mich ganz unverkennbar.
Eine schreckliche Sekunde lang hatte ich befürchtet, er hätte mich ebenso erkannt. Da war so ein Flimmern in seinen Augen gewesen. Doch er hatte höflich gelächelt, meine Bestellung aufgenommen und geduldig gewartet, bis meine zittrigen Finger das Kleingeld zusammen hatten. Und nachdem er mir die Tüte überreicht hatte, einen schönen Tag gewünscht.
Nein, er hatte mich nicht erkannt, da war ich mir sicher, sonst hätte er ganz gewiss anders reagiert. Sicherlich immer noch professionell, doch anders. Ich konnte froh sein, dass ich ein Allerweltsgesicht hatte und selten Interviews gab. Und wenn, dann ohne Bild. Der Verlag kannte mich da schon. Nur wenige Bilder existierten von mir und die, die es gab, waren alle wenigstens zehn Jahre alt. Ben hatte mich vielleicht dreimal insgesamt gesehen und auch nur kurz über die verpixelte Kamera meines Laptops, als einer von vielen, die seinen Erzählungen gelauscht hatten. Ich sollte froh sein, dass mein Gesicht keinen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte, ich sollte es ihm sogar wünschen. Er sollte sich nicht an das Gesicht des Mannes erinnern, der seine Karriere zerstört hatte.
Ich zuckte zusammen, als ein eiskalter Regentropfen auf meine Stirn fiel. Weitere folgten, doch nicht so viele, um mich dazu zu bringen, aufzustehen und zu gehen. Ich wartete, wollte sehen, wie es Ben ging. Seinen Weg zum Auto bewachen.
Da kam er endlich. Er war spät dran, wirkte noch sorgenumwölkter als am Tag zuvor. Mein Herz verkrampfte sich. Ich wollte, dass es ihm gutging, etwas anderes hielt ich nicht aus. Mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern lief er zu seinem Auto. Der Regen schien ihm genauso wenig auszumachen wie mir. Aber als er wegfuhr, ging es mir noch schlechter.
Und meine Gedanken drehten sich ungeachtet dessen weiter. Zurück zu Bens melodischer Stimme auf der damals neuartigen Livestream-Plattform. Er hatte nur eine kleine Community gehabt, doch das hatte alles so nahe und persönlich gemacht. Als hätte er nur mir seine Geschichten vorgelesen. Genau wie an dem Abend, an dem ich ihn aufgenommen hatte.
Ich schloss meine Augen, ließ zu, dass ich mich vollständig erinnerte. Wie damals bekam ich Gänsehaut, als er mit tiefer werdender Stimme die intime Szene zwischen seinen Protagonisten vorgelesen hatte. Er hatte nie viel vorgelesen, nur kleine Auszüge, die so viel mehr versprochen hatten. Alle waren intensiv und eindringlich, doch diese eine Szene war noch so viel mehr gewesen. Ich hatte ihn sehr dafür bewundert, wie er den besonderen Moment festhalten konnte. Es war nie vulgäre Erotik, keine technische Liebelei, sondern pures Gefühl gewesen, beinahe poetisch.
Ich hatte schon einige Erfolge mit meinen Büchern gehabt, doch immer wieder wurde mir gesagt, dass ich keine solchen Szenen schreiben konnte. Dass sie zu steril wären, zu lieblos. Und es stimmte. Es hatte mir sogar Unbehagen bereitet, sie zu schreiben. Ich hatte viel gelesen, wusste irgendwann, wie es funktionierte, doch am Ende gelang mir immer nur ein Umriss einer schönen Szene, die sich nicht in ihrem ganzen Potential entfalten wollte.
Und dann war da Ben. Und er hatte mir gezeigt, mit welcher Leichtigkeit ihm das gelang. Ich hätte neidisch sein müssen, doch seine Fähigkeiten hatten mich beeindruckt. Ihn zum ersten Mal über den Stream zu sehen, hatte meine hohe Meinung über ihn nur gefestigt. Ich hatte jedes Buch von ihm gekauft, hatte jedes einzelne viele Male gelesen. Ich konnte mich nicht einmal dazu überwinden, die Sprachaufnahme zu löschen, die alles kaputtgemacht hatte. Es war wie mit seinen Büchern. Wenn meine Sehnsucht zu groß wurde und das immerwährende Schamgefühl überlagerte, dann hörte ich sie mir an. Erlebte noch einmal den Moment, bekam wieder Gänsehaut, wenn sich die Protagonisten so nahe waren, dass sie den Atem des anderen auf ihrem Gesicht spüren konnten. Es war unheimlich intim gewesen, denn nur ich hatte das Privileg gehabt, diese eine Szene vorgelesen zu bekommen. Einfach so, weil er mir vertraut hatte.
Erst, wenn die Aufnahme zu Ende war, ich meine Augen wieder aufschlug, kam der Absturz. Bis heute könnte ich die Szene auswendig aufsagen, weil ich sie so oft gehört und – schlussendlich – aufgeschrieben hatte. Weil ich wissen wollte, wie sich so ein Moment beim Schreiben anfühlte. Es war beinahe magisch gewesen. Fast so, als wäre ich selbst der Protagonist gewesen, der auf wundersame Weise den Körper seines Partners entdeckte und entdeckt wurde.
»Seine bisher beste Szene!«, hatten später alle gesagt. Und sie hatten recht. Es war Bens beste und eine bessere hatte auch später nie wieder in einem meiner Bücher gestanden.
Das sinkende Gefühl in meinem Magen nahm zu, während ich langsam wieder zu mir kam und die Augen öffnete. Es war dunkle Nacht und mir war kalt. Mein Körper zitterte sogar. Ich sollte nach Hause, doch da erwartete mich eine noch größere Leere als auf der einsamen Bank.
Der Abend hatte Spuren hinterlassen. Ich fühlte mich ausgelaugt, doch ein wenig fühlte sich das auch gut an, wie eine angemessene Bestrafung. Ich wusste, ich konnte nicht mehr lange so weitermachen. Mein Verlag wollte endlich das Skript haben und meine Schreibblockade, die mich seit Monaten fest im Griff hatte, wurde nicht dadurch besser, dass ich jeden Tag stundenlang auf einer Bank saß.
Bestrafung. Ja, das war es. Bisher war ich um sie herumgekommen, wahrscheinlich setzte sich mein Körper deshalb jeden Tag aufs Neue ganz automatisch in Bewegung. Allerdings machte das weder etwas ungeschehen, noch sorgte es dafür, dass Ben zu seinem Recht kam. Ich wusste, worauf ich hier eigentlich hinarbeitete. Wusste es, seit ich ihn wiedergesehen hatte. Doch die bloße Vorstellung, ihn um Verzeihung zu bitten, ließ mich frösteln.
›Charles! Bitte! Du musst das beenden! Wir wissen beide, wie es ist. Ich will nichts weiter als das, behalte von mir aus, was du verdient hast. Sag nur einfach die Wahrheit! Heute früh hat mir einer deiner Fans aufgelauert, ich musste verdammt noch mal die Polizei rufen!