Der Narrenspiegel - Gerhard Branstner - E-Book

Der Narrenspiegel E-Book

Gerhard Branstner

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Beschreibung

Gleich sieben Künsten widmet sich der Autor in diesem Buch, worin die erste jene die Kunst zu lachen ist. Auch dort kommt Branstner bald auf sein eigentliches Thema zu sprechen – auf die Kunst zu leben, also auf die Lebenskunst, wie er am Beispiel einer anderen Kunst erläutert: Eine Lebenskunst Ein Mann verwendete die beste Zeit seines Lebens darauf, die Kunst des Drachentötens zu erlernen; und er hatte sein ganzes Vermögen dafür hingegeben. Einen Drachen aber bekam er niemals zu Gesicht. Also: Kunst und Leben treffen sich mitunter nur gelegentlich Auch in diesem ersten Kunst-Kapitel finden sich einige seiner Nepomuk-Anekdoten wie die beiden folgenden: Logik Nepomuk sollte nach B. fahren. Er erkundigte sich auch alsbald nach einem passenden Zug, schob jedoch die Reise immer wieder hinaus. Als aber auf der Strecke nach B. ein Zugunglück geschah, sagte er: „So, jetzt haben wir das Unglück hinter uns, und ich kann beruhigt fahren.“ Charakter Nepomuk hatte etwas außerhalb der Stadt, gut zwei Wegstunden von seiner Wohnung entfernt, ein Gartengrundstück erworben und stellte, noch bevor der Zaun errichtet war, eine Gartentür auf und versah sie mit einem sicheren Schloss. Eines Tages, vor der Tür stehend, musste er feststellen, dass er den Schlüssel vergessen hatte. Ohne Zögern kehrte er um, den Schlüssel zu holen. „Es hätte ein schlechtes Beispiel gemacht“, erklärte er, „wenn ich mein Eigentum neben der Tür betreten hätte.“ Und da haben wir einen guten Eindruck von der hintergründigen Sicht des Autors auf zwei der von ihm behandelten Künste. Auch die anderen fünf Künste behandelt Gerhard Branstner auf ähnliche Weise. Greifen wir als Beispiel und Einladung zum Selber-Lesen und Mit-Denken nur die Kunst zu lästern heraus. Was würde man erwarten? Auch hier präsentiert Branstner einige Nepomuk-Anekdoten: Gegen Spontaneität Nepomuk stand gewöhnlich morgens auf und legte sich gewöhnlich abends zu Bett. Die Selbstverständlichkeit, mit der er das tat, verdross ihn. Er beschloss, es fortan bewusst zu tun. Berufsverkehr In einem Gespräch wurde die Ansicht geäußert, dass der Besitzer eines Autos mehr von der Welt zu sehen bekomme als ein Benutzer der volkstümlichen Verkehrsmittel. „Von welcher Welt?“, fragte Nepomuk.

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Impressum

Gerhard Branstner

Der Narrenspiegel

Aber auch Das Buch der sieben Künste

Als da sind:

Die Kunst zu lachen

Die Kunst zu lieben

Die Kunst zu leiden

Die Kunst zu lästern

Die Kunst zu loben

Die Kunst zu lernen

Die Kunst zu leben

Das Buch erschien 1971 im VEB Hinstorff Verlag Rostock.

ISBN 978-3-96521-750-8 (E–Book)

Titelbild: Ernst Franta

© 2022 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E–Mail: verlag@edition–digital.de

Internet: http://www.edition-digital.de

Geleitwort

Was jetzt kommt, ich sage es nur gleich und ohne Umstände, verstößt gegen alle Regeln der Kunst. Es war dies ein schweres Stück Arbeit. Nicht nur dass ich mir erst alle Regeln erfragen musste, um gegen sie verstoßen zu können! Manche sind so anziehend, dass man bestimmt auf sie hereinfallen würde, wenn man sie nicht genau kannte. Man muss schon kein Dummkopf sein, wenn ein solches Versprechen, alle Regeln der Kunst wie Luft zu achten, kein hohles Wort sein soll. Kaum hat man einen Satz geschrieben in dem guten Glauben, dass darin aber auch gar nichts an Kunst enthalten sei, und schon springt einem eine Regel ins Auge, der man unvermerkt gefolgt ist. Man tilgt sie aus, um letzten Endes doch nur einer anderen Genüge getan zu haben. Ja, es ist schwer, kein Künstler zu sein. In einem fort fällt man über seine Unfähigkeit, der Kunst aus dem Wege zu gehen.

Nun, mein Lieber, wird der Leser sagen, wir haben dich durchschaut. Du willst deine totale Unfähigkeit, den Regeln der Kunst zu folgen, als eine aparte Fähigkeit, die Regeln der Kunst zu umgehen, ausgeben und dafür noch einen besonderen Respekt einhandeln. Nichts von alledem, verehrter Leser, nichts von alledem. Zwar rechne ich auf deinen Respekt, aber in dem Bewusstsein, ihn ehrlich verdient zu haben. Wenn du es nicht wahrhaben willst, so versuch es nur einmal selber, und du wirst sehen, dass die Regeln der Kunst wie kleine Kinder sind, über die man allenthalben stolpert, wenn man nur genug davon hat.

Was also blieb mir übrig in einer Lage, in der Fleiß nicht helfen konnte? Ich musste eine Idee haben, um der Kunst mit einem Hieb den Garaus zu machen, das Übel durch einen Husarenstreich gleichsam mit der Wurzel auszureißen, und die Wurzel aller Kunst ist die Wahrheit. Ohne sie ist die Kunst, was die Pflaume ohne Wurm: ein Ding, worüber sich kein Mensch aufregt.

Nachdem ich nun auf diese Weise jedem Vorwurf, das Kommende sei keine Kunst und nicht des Aufregens wert, weil absolut ohne Wahrheit, begegnet bin auf eine Weise, dass der Leser nicht sieht, wie er mir diesen Vorwurf trotzdem noch machen kann, ohne sich in den Schlingpflanzen meiner Vorrede zu verheddern, komme ich ohne weiteres zur Sache.

Die Kunst zu lachen

Humor hat, wer gleich lacht. Später lachen ist keine Kunst.

Herein, ihr Narrenvolk!

In vielerlei Gestalt

verkappt sich Narrenheit

und treibt ihr böses Spiel

noch immer weit und breit.

Die Narrheit stellt sich weise

und lebt auf großem Schuh.

Die Weisheit steht daneben

und drückt ein Auge zu.

Die Weisheit ist nichts nutze,

wenn sie nicht Narren bläut.

Die Kappe reißt vom Kopfe

den Narren hier und heut!

Herein, ihr Narrenvolk!

Und schön der Reihe nach.

Verdrückt euch nicht, es trifft

euch doch der Narrenschlag.

Von einem Manne, der sich zu Tode lachte, nachdem er sein Testament gemacht hatte

Nur wenige verstehen es, lachend zu sterben. Aber nur einem Manne ist es bisher gelungen, lachend zu Grabe getragen zu werden. Dass es in einem in den südfranzösischen Weinbergen gelegenen Dorfe geschah, mag jedoch manches erklären. Dieser seltsame Kauz nun – oder soll man ihn einen seltenen Weisen nennen? – hatte nämlich ein Testament aufgesetzt, das in seiner Art wohl einmalig genannt werden darf. Sein Lebenlang ein wahrer Till Eulenspiegel, dachte er auch auf ein Begräbnis, das seiner würdig sein sollte. So bestimmte er, dass sein gesamtes Vermögen demjenigen zufallen sollte, dem es gelänge, die Trauergemeinde zum Lachen zu bringen, denn er wolle bei seinem Begräbnis keine traurigen Gesichter um sich sehen. Von seiner lebhaften Vorstellungskraft gepeinigt, brach er, kaum dass er das letzte Wort des Testaments niedergeschrieben hatte, in ein unbändiges Lachen aus. Der Gedanke an sein eigenes Begräbnis brachte ihn förmlich um. Sein vom Alter geschwächter Körper wurde von immer neuen Ausbrüchen eines nicht enden wollenden Gelächters hin und her geworfen, bis ihn schließlich das Leben verließ. Als der gewaltige Trauerzug – die merkwürdige Klausel des Testaments hatte viele Menschen angelockt – sich in Bewegung setzte, begann bereits der eine und andere, seinen Nebenleuten die Lachmuskeln zu kitzeln. Da jedoch keiner dem anderen das Erbe gönnte, blieb zunächst jeder Erfolg aus. Nun dachte dieser und jener, euch werde ich schon kriegen, das wäre ja zum Lachen. Und er holte aus seinem Gedächtnis heraus, was er nur jemals an Belachenswertem erlebt oder erhört hatte. Noch immer vergebens. Aber an Aufgeben dachte keiner, das Erbe lockte. Man musste es nur richtig anfangen. Wohlüberlegte Witze, die man fürs erste noch zurückgehalten hatte, wurden zum Besten gegeben. Und jetzt schien es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis das erste Lachen ausbrach. Einige zeigten schon unverkennbar Wirkung: vom zurückgehaltenen Lachen schmerzhaft verzogene Gesichter waren zu sehen, und je näher der Trauerzug dem Friedhofe kam, desto größer wurde die Zahl derer, die mit gekrümmtem Körper und verzerrten Gesichtern dahinschritten, und endlich hatte der ganze Trauerzug dieses Aussehen erhalten. Bald wussten sich die Leute nicht anders zu helfen, als durch ununterbrochenes Erzählen von Witzen sich davor zu bewahren, die Witze ihres Nachbarn auf sich wirken zu lassen, so dass der Zug das merkwürdige Geräusch eines ununterbrochenen und vielstimmigen Gemurmels hervorbrachte. Ein entfernt Stehender konnte dieses Geräusch in Verbindung mit den schmerzgekrümmten Gestalten nur für inbrünstige Litaneien einer von tiefer Trauer gebeugten Gemeinde ansehen. Wäre er jedoch näher getreten, es hätte ihm die Sprache verschlagen, denn inzwischen waren die Trauernden bei den Witzen von der übelsten Sorte angelangt. Keiner legte sich mehr irgendwelchen Zwang auf; man kämpfte verzweifelt, versuchte die anderen zu überschreien, schnitt die unverschämtesten Grimassen und hielt zugleich die immer wieder aufkommende Lachlust, die sich wegen ihrer widernatürlichen Unterdrückung inzwischen in eine erbitterte Lachwut gesteigert hatte, verbissen zurück.

Endlich hatte der Trauerzug den Friedhof erreicht. Der Sarg wurde vor der ausgeworfenen Grube niedergesetzt, und der Pfarrer begann mit seiner Predigt. Da ihm aber das Testament nicht unbekannt geblieben und niemand als Bewerber um das Erbe ausgeschlossen war, trug auch er sich mit der Absicht, den Sieg davonzutragen. Zunächst ließ er nur einige harmlose Späße in die Predigt einfließen. Als diese nicht verfingen, erzählte er einige Anzüglichkeiten aus dem Alten Testament. Die Trauergemeinde hörte interessiert zu, war jedoch noch mühelos in der Lage, das Lachen zu unterdrücken. Der Diener Gottes geriet in Rage und schmetterte seinen Zuhörern jetzt die deftigsten Witze entgegen, die er sonst nicht einmal in der intimsten Stammtischrunde zu erzählen gewagt hätte. Die Trauergäste fingen wieder an sich zu krümmen, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Der Gottesmann kam außer sich, die Erfolglosigkeit seiner Anstrengungen ließ ihn jeden Witz vergessen, und mit donnernder Stimme schleuderte er der Trauergemeinde die schrecklichsten Verwünschungen entgegen. Jetzt, wo er ein Erreichen seines Zieles schon aufgegeben hatte, wäre es ihm fast gelungen, das entscheidende Gelächter auszulösen. Das die grimmigsten Flüche ausstoßende Gesicht des sonst so gottgefälligen Mannes bot eine solche Komik, dass selbst ein wirklich in tiefste Trauer versenkter Mensch all sein Leid vergessen und ein unbändiges Gelächter angestimmt hätte. Die Zuhörerschaft des Pfarrers hatte sich jedoch schon wieder gefasst und lauschte seinen Donnerworten mit der ernsthaftesten Miene. Dabei traten den so mörderisch Gepeinigten vor zurückgehaltenem Lachen schier die Augen aus den Höhlen. Als der Pfarrer, befreit von der Absicht, die anderen zum Lachen zu bringen, mit nüchternem Blick die ihn mit hervorquellenden Augen anstarrenden Trauergäste gewahr wurde, kam ihm ein ganz eigenartiges Gefühl an. Und plötzlich lachte er wie verrückt los. Das tollste Gelächter, das je gesehen oder gehört wurde, schüttelte ihn durch und durch. Vom Lachen haltlos geworden, taumelte er hin und her und stürzte schließlich in die ausgehobene Grube. Jetzt war es auch um die Trauergemeinde geschehen. Ein schreckliches Gelächter brach los. Die Menschen schlugen sich gegenseitig in die Seite, hieben sich auf die Schulter, stießen sich gegen die Brust, lachten wie die Tollen, und bald wälzte sich die gesamte Trauergemeinde auf dem Friedhof. Einige fielen zu dem Pfarrer in die Grube, andere rollten gegen Grabsteine, wieder andere blieben still auf dem Rücken liegen, und nur ihre Bäuche zuckten seltsam. Erst nach einer geraumen Zeit raffte man sich auf. Einer nach dem anderen ordnete seine Kleider, befreite sich vom Schmutz und half dem Pfarrer und den übrigen aus der Grube heraus, um an ihrer Statt den Sarg hineinzusenken. All das geschah unter ständigem Gelächter, das, waren die Kräfte auch erschöpft, nur langsam abebben wollte. Nach Vollzug der letzten Feierlichkeiten machte sich der Zug auf den Rückweg. Witze wurden nicht mehr erzählt, denn alle hatten den Schluckauf, und ein entfernter Stehender hätte meinen können, die zurückflutende Trauergemeinde wäre in Gedanken an den Dahingegangenen von einem allgemeinen Schluchzen ergriffen.

Das Erbe aber kam allen zugute, denn schließlich war es die Trauergemeinde in ihrer Gesamtheit, die den Pfarrer und dieser wiederum, der die Gemeinde zum Lachen gebracht hatte.

Das Ende der Welt

(Tacitus)

Im Norden der Suionen liegt ein anderes Meer, träge und fast ohne Bewegung. Die Annahme, es schließe den Erdkreis ringsum ab, findet ihre Bestätigung dadurch, dass der letzte Schein der bereits sinkenden Sonne stets so hell bis zu ihrem Wiederaufgang weiterleuchtet, dass er die Sterne überstrahlt. Außerdem ist, so glaubt man noch, das Klingen der aus dem Meere auftauchenden Sonne zu hören und sind Umrisse von Pferden und ein strahlenumkränztes Haupt zu sehen. Hier ist – und das darf man glauben – das Ende der Welt.

Noch vor gar nicht allzu langen Jahren

war die Vorstellung von dieser Welt

sehr beschränkt.

Heut’ dagegen wird zum Mars gefahren,

und die Venus selbst ist

stark bedrängt.

Unter Vorbedingung dieses Dreistes –

um die Hoffnung ist’s nicht

schlecht bestellt.

dass als „wesentliche Form des Geistes“

uns die Heiterkeit bald

leichter fällt.

Humor ist die Selbstbestätigung als Subjekt, die zum Gegenstand eines Genusses geworden ist, wodurch ihre Handhabung die spielerische Eleganz, die Leichtigkeit, den Charme gewinnt, welche Eigenschaften in ihrer Gesamtheit das „gewisse Etwas“ ausmachen, welches der Erscheinung des Humors eigen ist.

Mancher würde die Hälfte seines Lebens hingeben, wenn ihm der Tod erspart bliebe.

Wer seinen Humor verliert, beweist, dass er nur Witz gehabt hat.

Dass der Mensch sich freuen kann, setzt voraus, dass er sich ärgern kann, aber nicht, dass er sich ärgert.

Humor äußert sich als Spiel mit der Form, weil der Inhalt beherrscht wird.

Humor ist eine ernsthafte Sache, die in der ihr entgegengesetzten Form in Erscheinung tritt und dadurch beides erhöht und vertieft: sowohl die Ernsthaftigkeit wie die Heiterkeit.

Heiterkeit ist die Vermenschlichung des Ernstes.

Das Lachen der Schadenfreude entspringt oft weniger der Genugtuung über den Schaden des anderen als vielmehr der Freude über das eigene Davongekommensein.

Der Humor ist (kybernetisch gesprochen) das Regulativ des psychischen Menschen als sichselbststabilisierendes System.

Das Spiel des Erwachsenen, will es nicht kindisch sein, muss Humor haben; ebenso die Kunst.

Heute sind wir noch immer entweder ernst oder heiter, und das auch in der Literatur. Dabei wird das eine wie das andere vollkommen erst durch die wirkliche Verschmelzung beider, auf die einige Leute allerdings schlecht zu sprechen sind, weil sie nicht wissen, wie sie sich ihr gegenüber verhalten sollen.

Ein lahmer Schreiber kann keinen eiligen Brief schreiben*

Ein Kaufmann bat einen Schreiber: „Setze mir einen Brief auf, es ist eilig!“

„Das geht nicht“, erwiderte der Schreiber, „ich habe mir den Fuß verstaucht.“

Der Kaufmann konnte diese rätselhafte Rede nicht verstehen. Da stand der Schreiber auf und humpelte einige Male hin und her. „Wenn der Brief etwas weniger eilig ist“, sagte er, „könnte es gehen.“

Der Kaufmann verstand noch immer nicht. „Ich will dich ja nirgendwo hinschicken“, sagte er, „du sollst mir doch nur den Brief aufsetzen.“

„Jedes Mal, wenn jemand einen von mir geschriebenen Brief erhält“, erklärte jetzt der Schreiber, „lässt man mich rufen, da kein anderer als ich meine Handschrift lesen kann.“

„Das trifft sich gut“, sagte der Kaufmann, „denn der Brief soll eine geheime Botschaft enthalten. Und gar so eilig ist er nicht.“

Da war der Schreiber einverstanden und setzte die geheime Botschaft auf. Er kritzelte jedoch nur willkürliche Zeichen auf das Papier, denn in Wirklichkeit konnte er überhaupt nicht schreiben. Aber er besaß ein ausgezeichnetes Gedächtnis.

Also: Das schlimmste Gekrakel gilt oft als Orakel

Die durch ein * gekennzeichneten Anekdoten wurden nach dem Orientalischen geschrieben.

Der wundertätige Schelm*

Ein armer Schelm hatte im Streit einen angesehenen Mann erschlagen und sollte mit dem Leben dafür büßen.

„Wenn ich ein Wunder vollbringe“, sagte der Schelm zum Richter, „wirst du mir dann die Strafe erlassen?“

Der Richter sagte das zu, und der Schelm erklärte: „Ich werde dich, nachdem ich dich getötet habe, wieder zum Leben erwecken.“

Da lachte der Richter und sprach: „Ich erlasse dir die Strafe, aber erlass mir auch das Wunder.“

Also: Witz wirkt mitunter

so gut wie ein Wunder

Ein Geizhals begleicht eine Rechnung*

Von zwei Nachbarn war der eine Kaufmann und der andere ein Fischbratkoch, geizig aber waren sie alle beide. Also setzte sich der Kaufmann zur Essenszeit stets neben die dampfende Bratpfanne seines Nachbarn, aß eine Scheibe trockenen Brotes und genoss den köstlichen Fischgeruch dazu. Der Fischbratkoch wiederum schrieb eine Rechnung über die tägliche Verköstigung der nachbarlichen Nase.

Der Kaufmann nahm die Rechnung mit einem verbindlichen Lächeln entgegen, prüfte sie auf ihre Richtigkeit und nickte mit dem Kopf. Hierauf tat er mehrere Münzen in ein Kästchen, schüttelte es einige Male kräftig und sprach: „Ich genoss den Duft deiner Fische und bezahle dich mit dem Klang meines Geldes. Somit sind wir beide zufriedengestellt.“

Also: Schall und Rauch

tun’s manchmal auch

Erkenntnis des Wesens der Schweine*

Als ein Schweinehirt unter seinen schwarzen Schweinen ein weißköpfiges entdeckte, hielt er es, da er so etwas noch nicht gesehen hatte, für eine Kostbarkeit und beschloss, es dem König zu bringen. Auf dem Wege dorthin aber, schon ganz in der Nähe des Königshofes, erblickte er lauter Schweine mit weißen Köpfen, und er kehrte verdrossen wieder um. Da aber kam ihm ein Gedanke, und als er zu Hause angelangt war, nahm er eines von den gewöhnlichen schwarzen Schweinen und machte sich wieder auf den Weg zum König. Als dieser das schwarze Schwein sah, war er ganz entzückt, denn so etwas hatte er noch nie gesehen, und er beschenkte den Schweinehirten reichlich.

Der Schweinehirt aber kaufte für das erhaltene Geld eine ganze Herde der weißköpfigen Schweine, die in dieser Gegend sehr billig waren, und brachte sie nach Hause, wo er sie für teures Geld wieder verkaufte. Jetzt erwarb er eine noch größere Herde schwarzer Schweine und trieb sie in die Gegend der weißköpfigen, um sie dort für teures Geld zu verkaufen. Auf diese Weise gelangten schließlich alle schwarzen Schweine in die Gegend der weißköpfigen und umgekehrt, und jeder hielt nun die eigenen Schweine für besonders kostbar, obwohl sich doch allein ihr Ort, nicht aber ihr Wert verändert hatte.

Allmählich verlor sich jedoch die Täuschung, und endlich sah man in beiden Gegenden die eigenen wie die fremden Schweine gleichermaßen für ganz gewöhnliche Tiere an, ungeachtet, welche Farbe sie hatten. Der Schweinehirt aber war unterdessen ein reicher Mann geworden.

Also: Ob schwarzes oder weißes Schwein –

im Topfe endet aller Schein

Ein Gelehrter kauft einen Esel*

Ein Gelehrter wollte eine längere Reise unternehmen. Da er aber nicht gut zu Fuß war, begab er sich auf den Markt, um einen Reitesel zu kaufen. Nach reiflichem Überlegen entschied er sich für eins der feilgebotenen Tiere und setzte einen Kaufvertrag auf. Er füllte einen Bogen nach dem anderen mit Schriftzeichen, doch das Wort Esel kam nicht darin vor.

Der Markt leerte sich bereits, und der Verkäufer drängte den Gelehrten, doch endlich den Vertrag zum Abschluss zu bringen. „Was schreibt Ihr nur so viel?“, fragte er verwundert. „Ihr braucht doch nur zu erklären, dass ich den Kaufpreis erhalten habe und Ihr den Esel.“

„Nur Geduld“, erwiderte der Gelehrte, „gleich komme ich auch zum Esel.“

Doch bevor er dahin kam und den Esel aufs Papier gebracht hatte, war vom wirklichen Esel nichts mehr zu sehen, denn der Verkäufer hatte endlich die Geduld verloren und das Tier einem anderen, der nicht so gelehrt war, verkauft. Der Gelehrte aber blickte, den Kaufvertrag in der Hand, auf dem verlassenen Markt umher und fragte sich, wo der Esel geblieben sei.

Also: Zuviel Gelehrsamkeit

kommt nie zur rechten Zeit

Eine Lebenskunst*

Ein Mann verwendete die beste Zeit seines Lebens darauf, die Kunst des Drachentötens zu erlernen; und er hatte sein ganzes Vermögen dafür hingegeben.

Einen Drachen aber bekam er niemals zu Gesicht.

Also: Kunst und Leben treffen sich

mitunter nur gelegentlich

Die Liste für alle Fälle*

Ein Glaubenslehrer ritt auf einem lahmen Pferd von einem Ort zum anderen, seine wenigen Schüler aber liefen hinter ihm her und lauschten seinen Worten. Da stolperte das lahme Pferd, und dem Reiter fiel der Turban vom Kopf. Er glaubte, die Schüler würden ihn aufheben, und ritt weiter. Nach einer Weile aber fragte er: „Wo ist mein Turban?“ „Er wird dort liegen, wo er niedergefallen ist“, antworteten die Schüler.

Da wurde der Glaubenslehrer zornig und rief: „Was niederfällt, muss man aufheben!“

Sogleich lief einer der Schüler zurück, hob den Turban auf und legte auch den Dung hinein, den das Pferd an der gleichen Stelle verloren hatte. Als der Lehrer den Turban aufsetzte, fiel ihm der Dung ins Gesicht, und er geriet außer sich und gab dem Schüler eine Maulschelle.

„Wie, Herr!“, rief der Schüler, „sagtest du nicht soeben, dass alles, was niederfällt, aufzuheben sei? Und nun, da ich deiner Vorschrift folge, schlägst du mich!“

„Wie kann man so einfältig sein“, erwiderte der Glaubenslehren „Es gibt Dinge, die man aufhebt, und andere, die man liegenlässt.“

Damit wussten die Schüler jedoch nichts anzufangen, und sie baten ihn, die Dinge, die man aufheben soll, auf eine Liste zu schreiben. Das tat er denn auch.

Nach einiger Zeit stolperte nun das Pferd ein weiteres Mal und warf den Glaubenslehrer kopfüber in eine Grube. Da eilten die Schüler herbei und nahmen die Liste zur Hand. Und während einer sie vorlas, zogen die anderen ihrem Lehrer den Turban, das Überkleid, die Jacke und das Beinkleid aus und hoben es auf, den Glaubenslehrer aber ließen sie nackt in der Grube liegen. Und so wie er auch schrie, die Schüler sagten ungerührt: „Du stehst nicht auf der Liste. Wir tun nur, was geschrieben steht.“

Da half alles nichts, er musste sich die Liste geben lassen und schrieb, mit dem Kopf in der Grube: „Wenn Euer Glaubenslehrer gefallen ist, so müsst ihr ihn wieder aufheben.“ Und sobald die Schüler das geschrieben sahen, zogen sie ihn heraus und setzten ihn wieder aufs Pferd.

Also: Wortgetreue Schüler sind

im Ernstfall hilflos wie ein Kind

Der strenge Lehrer im Brunnen*

Der Lehrer einer Dorfschule hielt die Knaben ungemein streng. Und wenn er einmal nieste, so mussten sie aufstehen, die Arme kreuzen und rufen: „Gott erbarme dich dein!“ Worauf der Lehrer entgegnete: „Gott möge euch verzeihn!“ Und wenn einer der Knaben auch nur ein wenig säumte, diese Pflicht zu erfüllen, bekam er unbarmherzig die Rute zu spüren.

Eines Tages nun machte der Lehrer mit den Knaben einen Ausflug. Und als sie durstig geworden waren und aus einem am Wege befindlichen Ziehbrunnen Wasser schöpfen wollten, mussten sie feststellen, dass an dem Seil der Eimer fehlte. Da band sich der Lehrer das Seil unter den Achseln fest, ergriff eines der mitgeführten Gefäße und forderte die Knaben auf das Seil zu halten und ihn in den Brunnen gleiten zu lassen. Als er aber das Gefäß mit Wasser gefüllt hatte und auf seine Aufforderung hin wieder nach oben gezogen wurde, kam ihm, eben da er den Kopf über den Brunnenrand hob, ein unwiderstehlicher Drang an, und er musste heftig niesen. Da erfüllten die Knaben ungesäumt ihre Pflicht, kreuzten die Arme und riefen: „Gott erbarme dich dein!“

Der Lehrer erwiderte aber diesmal nicht: „Gott möge euch verzeihn!“, denn er war mitsamt dem ledigen Seil in die Tiefe gestürzt und hatte sich das Genick gebrochen.

Also: Gebrochnes Genick

erspart den Strick

Die doppelte Lehre*

Zwei Brüder gingen auf die Jagd. Als sie eine Wildgans am Himmel fliegen sahen, legten beide einen Pfeil auf, und der eine der Brüder sagte: „Wenn wir sie herunterschießen, werden wir sie kochen.”

„Nein“, erwiderte der andere, „wir werden sie braten.“

Ein Mann, der zufällig des Weges kam, hörte diese Worte und sagte: „Ihr werdet die Gans weder kochen noch braten!“

Das wollten die Brüder nicht glauben. Doch der Mann bot ihnen eine Wette an, und sie schlugen ein. Jetzt legten sie die Pfeile wieder auf, von der Wildgans war aber nichts mehr zu sehen. Also hatte der Mann die Wette gewonnen und verlachte die Brüder. Die gerieten in Zorn und zahlten ihm die Wette mit Schlägen aus.

Also: Belehre, ohne zu beschämen,

man könnte es sonst übel nehmen

Die Antwort des Verrückten*

Ein Gelehrter hatte seine Schüler um sich versammelt und sprach zu ihnen von den Dingen des Lebens. Da stellte sich ein Verrückter neben den Gelehrten, zog ein Buch hervor und blätterte eifrig darin herum. Er blätterte und blätterte und blätterte in einem fort.

Da riss dem Gelehrten die Geduld, und er rief: „Mann, du hast ja das Buch umgekehrt in der Hand!“

„Entschuldige bitte“, erwiderte der Verrückte, „ich bin Linkshänder.“

Also: Wer einen Verrückten belehrt,

ist schnell bekehrt

Einem Kahlkopf schenkt man keinen Kamm.

Wer vom Schweigen nichts versteht, soll den Mund halten.

Wechsle nicht den Löffel, wenn die Suppe angebrannt schmeckt.

Ein platter Arsch ist besser denn ein platter Kopf.

Auch der Dieb weiß, was Unrecht ist, wenn er bestohlen wird.

Die Wahrheit fängt man nicht mit Speck.

Ein gieriger Bauch braucht ein gefräßiges Maul.

Eine Frage an Gott den Herrn

Von der Bibel ersten Seiten

ist uns allgemein bekannt,

dass am ersten Tag, am zweiten,

auch am dritten deine Hand

unerhörte Werke schuf,

die von Weltniveau sich zeigen

und für immer deinem Ruf

einen Platz im hehrsten Reigen

edler Geister sichern sollen.

Noch dazu am vierten Tage

(wenn wir ehrlich rechnen wollen)

und am fünften ohne Klage

deine Hand sich rührig zeigt.

Doch der sechste ward zur Qual,

darum wurde abgezweigt,

damals und für alle Mal,

Nummer sieben zu dem Zwecke,

abzustehn vom Schöpfertum.

Fertig bis zur kleinsten Ecke

war die flotte Schöpfung, drum

sei gestattet eine Frage:

Was tat Gott am achten Tage?

Es gibt Frauen, die nur deshalb an Gott glauben weil er ein Mann ist.

Welthumor

Gefragt, weshalb er nicht an Gott glaube, erwiderte Nepomuk: „Weil mir nicht bewiesen werden konnte, dass Gott jemals gelacht hat. Wie aber könnte ein Mann, der diese Welt gemacht hätte, ernst bleiben.“

Der rettende Beweis

Als Nepomuk aufgefordert wurde, einen Ertrinkenden zu retten, sprang er ohne weiteres ins Wasser.

Nachdem beide herausgefischt worden waren, wollte man wissen, weshalb Nepomuk nicht gesagt habe, dass er nicht schwimmen könne.

„Es war Eile geboten“, entgegnete Nepomuk. „Daher musste ich Ihnen meine Unfähigkeit, dem Ertrinkenden zu helfen, ohne viele Worte beweisen.“

Logik

Nepomuk sollte nach B. fahren. Er erkundigte sich auch alsbald nach einem passenden Zug, schob jedoch die Reise immer wieder hinaus. Als aber auf der Strecke nach B. ein Zugunglück geschah, sagte er: „So, jetzt haben wir das Unglück hinter uns, und ich kann beruhigt fahren.“

Charakter

Nepomuk hatte etwas außerhalb der Stadt, gut zwei Wegstunden von seiner Wohnung entfernt, ein Gartengrundstück erworben und stellte, noch bevor der Zaun errichtet war, eine Gartentür auf und versah sie mit einem sicheren Schloss. Eines Tages, vor der Tür stehend, musste er feststellen, dass er den Schlüssel vergessen hatte. Ohne Zögern kehrte er um, den Schlüssel zu holen.

„Es hätte ein schlechtes Beispiel gemacht“, erklärte er, „wenn ich mein Eigentum neben der Tür betreten hätte.“

Wie ein Pfarrer den lieben Gott ankündigte, und was darauf geschah

Es muss bereits einige Jahre zurückliegen, denn das Fernsehen war noch nicht erfunden, als der Pfarrer eines kleinen Kirchsprengels mit dem geringen Kirchbesuch nicht mehr zufrieden war und auf Abhilfe sann. Alle bisherigen Mittel hatten fehlgeschlagen, und der gute Mann griff schließlich zum letzten, zu Gott persönlich. Er kündigte, um den religiösen Eifer seiner Gemeinde zu befeuern, den nächsten Gottesdienst mit der Schlagzeile an: „Heute kommt Gott selber!“ Das Ergebnis war überraschend . Es erschien überhaupt keiner, und da nicht einmal der liebe Gott an das Versprechen des guten Pfarrers geglaubt hatte, blieb die Kirche völlig leer. Wie sich der Pfarrer selber verhalten hat, ist leider nicht bekannt geworden.

Wie Onkel Fritz den Teufel in der Flasche erschlug, und wie es dazu kam

Als Onkel Fritz noch ein junger Bursche und voller Tatenlust war (heute hat er einen Bauch und trägt eine Nickelbrille), hatte er sich sein Bett auf dem Dachboden aufgestellt und schlief nicht anders als mit einer selbstgefertigten Holzkeule unter der Bettstatt. Es hätte doch leicht sein können, dass ein nächtlicher Besuch kam und ihm nach dem Leben trachtete. Man schläft ja schließlich nicht für nichts und wieder nichts auf dem Dachboden. Auf diese Weise hatte der Jüngling schon manche Nacht mutig hinter sich gebracht; und es ist verständlich, dass ihn diese Art zu schlafen jeden Morgen mit einem Gefühl der Kühnheit die Treppe nach unten steigen ließ, womit der Tag für ihn stets einen guten Anfang hatte.