Der Notarzt 274 - Karin Graf - E-Book

Der Notarzt 274 E-Book

Karin Graf

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Früher war Lisa Selbach mit ihrem Mann Tim unfassbar glücklich, doch mittlerweile gleicht ihre Wohnung einer Traueranstalt, sobald Tim abends von der Arbeit heimkehrt. Mit leerem Blick stiert er vor sich hin, isst nicht und redet kaum. Selbst die beiden Kinder, Sofia und Florian, behandeln ihren Papa inzwischen wie ein rohes Ei. Schon ewig hat er nicht mehr mit ihnen gelacht oder gespielt.

Niedergeschlagen vertraut sich Lisa dem Notarzt an, den sie nach einem Unfall ihres Sohnes in der Frankfurter Sauerbruch-Klinik kennenlernt. Dr. Kersten ist erschüttert, als er erfährt, wie sehr die Familie leidet und welche Umstände zu Tim Selbachs tiefer Depression geführt haben. Vielleicht sollte er einmal mit dem mutlosen Familienvater sprechen? Womöglich kann er ja helfen. Gemeinsam mit Lisa fasst er einen Plan.

Wenige Tage später besucht Lisa mit Tim und den Kindern den nahe gelegenen Streichelzoo, wo sie - wie geplant - "zufällig" auf den Notarzt treffen. Doch es kommt alles ganz anders: Anstatt mit Tim zu sprechen, kniet der Notarzt plötzlich über dem jungen Mann und versucht in einem verzweifelten Kampf, dessen Leben zu retten. Das viele Blut, das aus dem Bauch des Familienvaters sprudelt, lässt den Notarzt allerdings ahnen, dass dies ein nahezu aussichtsloses Unterfangen ist ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 112

Veröffentlichungsjahr: 2016

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Noteinsatz im Streichelzoo

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: iStockphoto/Kali Nine LLC

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-3574-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Noteinsatz im Streichelzoo

Als ein schöner Nachmittag zum Albtraum wurde

Karin Graf

Früher war Lisa Selbach mit ihrem Mann Tim unfassbar glücklich, doch mittlerweile gleicht ihre Wohnung einer Traueranstalt, sobald Tim abends von der Arbeit heimkehrt. Mit leerem Blick stiert er vor sich hin, isst nicht und redet kaum. Selbst die beiden Kinder, Sofia und Florian, behandeln ihren Papa inzwischen wie ein rohes Ei. Schon ewig hat er nicht mehr mit ihnen gelacht oder gespielt.

Niedergeschlagen vertraut sich Lisa dem Notarzt an, den sie nach einem Unfall ihres Sohnes in der Frankfurter Sauerbruch-Klinik kennenlernt. Dr. Kersten ist erschüttert, als er erfährt, wie sehr die Familie leidet und welche Umstände zu Tim Selbachs tiefer Depression geführt haben. Vielleicht sollte er einmal mit dem mutlosen Familienvater sprechen? Womöglich kann er ja helfen. Gemeinsam mit Lisa fasst er einen Plan.

Wenige Tage später besucht Lisa mit Tim und den Kindern den nahe gelegenen Streichelzoo, wo sie – wie geplant – „zufällig“ auf den Notarzt treffen. Doch es kommt alles ganz anders: Anstatt mit Tim zu sprechen, kniet der Notarzt plötzlich über dem jungen Mann und versucht in einem verzweifelten Kampf, dessen Leben zu retten. Das viele Blut, das aus dem Bauch des Familienvaters sprudelt, lässt den Notarzt allerdings ahnen, dass dies ein nahezu aussichtsloses Unterfangen ist …

„Manche Leute sind so unglaublich bescheuert, dass man heulen könnte!“

Frustriert seufzend öffnete Tim Selbach auf seinem Computer die Datei des Kunden, dessen Brief er eben gelesen hatte, stülpte sich sein Headset über den Kopf, bewegte den Mauszeiger auf die Schaltfläche ‚Verbinden‘ und verharrte so.

Er konnte sich nicht dazu überwinden, die linke Maustaste zu drücken.

Tim hatte absolut keine Lust drauf, an einem Montagmorgen kurz nach acht mit einem Idioten zu telefonieren, der sogar zum Betrügen zu blöde war.

Und wieso war überhaupt schon wieder Montag? Konnte es sein, dass sein gesamtes Leben nur noch aus Montagen bestand? Vielleicht war er in irgendeiner Zeitschleife gefangen? So wie bei diesem Film: Und täglich grüßt das Murmeltier. Ja, genauso ging es auch ihm. Täglich klingelte der Wecker um Punkt sechs, und täglich war es Montagmorgen. Und das seit fast sechs Jahren.

Ganz ehrlich: Das Einzige, wozu er jetzt wirklich Lust hätte, wäre, aus dem Fenster zu springen, unten auf dem Willy-Brandt-Platz aufzuschlagen und dann bis in alle Ewigkeit zu schlafen.

Kein Wecker mehr, keine nervigen Kunden, mit denen er tagaus, tagein über jeden einzelnen Cent feilschen musste, und kein blasierter Gockel von einem Chef, der ihn mindestens einmal in der Woche in sein luxuriöses Büro zitierte und ihn ermahnte, er solle sich zusammenreißen, weil sonst sein Arbeitsplatz gefährdet sei.

Aber nicht einmal diese Option stand ihm offen. Um aus dem Fenster springen zu können, müsste er erst über drei seiner Kollegen hinwegklettern, deren Schreibtische zwischen ihm und der großen Panoramascheibe standen. Und dann müsste er die Scheibe natürlich erst noch einschlagen, denn hier gab es keine Fenster, die man öffnen konnte.

Warum? Nun, vermutlich genau deshalb. Bei der drückenden Stimmung und dem grenzenlosen Frust, der hier in diesem tristen Großraumbüro herrschte, war er vermutlich nicht der Einzige, der gerne auf diese Weise fristlos gekündigt hätte.

„Ich bin nichts als eine verdammte, elende Labormaus!“, murmelte Tim.

Gestern war eine Freundin von Lisa – seiner Frau – mit einer Tierschutz-Petition vorbeigekommen. Gegen die Käfighaltung von Hühnern und gegen Tierversuche. Natürlich hatte er unterschrieben. Nur … ganz ehrlich … ging es ihm besser als einem Huhn in einer Legebatterie?

Er hatte ungefähr einen Quadratmeter Platz zur Verfügung. Mehr als die Hälfte davon beanspruchte sein Schreibtisch. Wenn er aufstehen wollte, dann musste er den Bauch einziehen, denn wenn er mit seinem Drehsessel zu weit nach hinten fuhr, dann rammte er den Schreibtisch von Manuela Richter, der Labormaus, die hinter ihm saß, und ihr Bildschirm wurde schwarz. Der hatte nämlich einen Wackelkontakt.

„Scheiß-Montag! Scheiß-Job! Scheiß-Leben! Scheiß …!“

„He! Mach voran! Blödmann hat dich im Auge!“ Roland Hofer, sein Kollege von links, hatte ihm diese Warnung zugeraunt, ohne dabei seine Lippen zu bewegen. Als Tim jetzt den Kopf hob, sah er tatsächlich Eckehard Blomann – von allen nur Blödmann genannt – in der offenen Tür zu seinem Büro stehen und ihn mit gerunzelter Stirn beobachten. Rasch drückte er die linke Maustaste.

„Guten Morgen, Herr Wilhelms, hier spricht Tim Selbach, Ihr Schadensregulierer von der ‚Frankfurter A bis Z‘, Ihrer praktischen und preiswerten Rundumversicherung. Ich habe soeben Ihre Schadensmeldung erhalten und muss Ihnen leider sagen, dass wir in diesem Fall keinen Schadensersatz leisten können.“

Autsch! Er schob den kleinen Kopfhörer, der auf seinem rechten Ohr saß, so weit nach hinten, dass sein dichtes kastanienbraunes Haar die Lautstärke dämpfte. Dann ließ er mit erzwungener Geduld den schrillen Wortschwall über sich ergehen, bei dem er längst vorhersagen konnte, wie der nächste Kraftausdruck lauten würde.

Verbrecher, Betrüger, Abzocker, Gauner, Banditen, Schweine … Wenn es sich um einen negativen Bescheid handelte, dann waren die Kunden ziemlich einfallslos. Die Antworten lauteten fast immer gleich.

Als Karl Wilhelms endlich sein gesamtes Pulver verschossen und sämtliche Tiernamen aufgezählt hatte, die man gerne als Schimpfwörter heranzog, sprach Tim ruhig weiter.

„Herr Wilhelms, Sie hätten besser nicht dazugeschrieben, dass die antike Porzellanvase zu Bruch gegangen ist, weil Ihre Frau sie Ihnen an den Kopf werfen wollte. Bei mutwilliger Sachbeschädigung tritt der Versicherungsschutz außer Kraft. Das steht auch so in Ihrem Vertrag.“

Er lauschte wieder und bestätigte dann die Frage des Kunden.

„Ja, Sie sind selbstverständlich auch gegen Naturkatastrophen abgesichert.“

Tim riskierte einen Blick nach vorne und stellte fest, dass Eckehard Blomann ihn noch immer beobachtete. Also zwang er sich zu einem Lächeln, denn er hatte keine Lust, heute gleich wieder zu einem „vertraulichen Gespräch“ in sein Büro zitiert zu werden.

„Ach, Ihre Frau ist eine Naturkatastrophe? Ha, ha, das war echt witzig, Herr Wilhelms. Sie hätten Kabarettist werden sollen.“

Statt dem ungehobelten Kerl am anderen Ende der Leitung ordentlich die Meinung zu sagen, musste er ihm jetzt auch noch Honig ums Maul schmieren. So hatte man es ihm in dem Schnellkurs, den er vor sechs Jahren zu Beginn seiner frustrierenden Tätigkeit gemacht hatte, beigebracht.

Der Kunde ist König. Man darf und soll ihn belügen, betrügen und ihm so viel Kleingedrucktes unterjubeln wie nur möglich, aber … bitte in aller Höflichkeit und mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen!

Am besten schob er gleich noch ein bisschen Honig hinterher, denn Blomann starrte ihn noch immer an.

„Sie haben mein vollstes Verständnis, Herr Wilhelms, und wenn es nur nach mir ginge, würde ich Ihnen den Betrag noch heute überweisen. Aber ich muss mich leider an die vorgegebenen Richtlinien halten. Vielleicht ist es ja sogar ganz gut, wenn Ihre Frau sich keine neue Vase leisten kann?“, fügte er hastig hinzu, ehe sich der Kunde ein paar neue Tiernamen für ihn überlegen konnte. „Kaufen Sie ihr doch einen billigen Ersatz aus Plastik. Gummi wäre noch besser. Sie sehen, Ihre Sicherheit liegt mir wirklich sehr am Herzen.“

Uff! Damit hatte er es geschafft, den Kunden friedlich zu stimmen. Polterndes Gelächter dröhnte jetzt aus dem Kopfhörer. Man schien es bis nach vorne zu hören, denn die Falten auf der Stirn seines Chefs glätteten sich, und seine Mundwinkel zuckten nach oben.

Sehr gut, dachte Tim. Dann wollen wir Blödmann mal zeigen, was wir draufhaben. Er sog zischend die Luft ein.

„Herrgott! Herr Wilhelms, ich sehe gerade, wir haben Ihre Villa, Ihre Autos, die Gattin, die Kinder und sogar den Hund gegen alles und jeden versichert. Aber wir haben Sie selbst vergessen! Für nur fünfhundert Euro mehr pro Quartal könnten Sie sich in der feudalsten Privatklinik des Landes wiederherstellen lassen, sollte Ihre Gattin demnächst besser zielen und vielleicht sogar treffen.“

Tim beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Blomann einen Schritt vorwärts machte und seine Augenbrauen interessiert nach oben schossen. Klar, er versuchte gerade, einem Bankdirektor die teuerste Zusatzversicherung anzudrehen, die sonst nur von Leuten, die nicht rechnen konnten, Snobs und Neureichen angenommen wurde.

„Ja? Oh, ich weiß, das ist verdammt viel Geld, Herr Wilhelms. Aber Sie könnten doch die Kosten dafür – wegen der erhöhten Gefahr, in der Sie schweben – Ihrer Frau vom Haushaltsgeld abziehen“, scherzte Tim. Das dröhnende Lachen, das aus dem Hörer drang, zeigte ihm, dass er zumindest schon mal einen Fuß in der Tür hatte.

So, wie ein Schreiner Nägel und ein Klempner eine Rohrzange brauchte, gehörten geschmacklose Witze zum Handwerkszeug des erfolgreichen Versicherungsvertreters. Gemeinsames Lachen stellte eine Verbindung her und erschwerte den Kunden das Neinsagen. Und da hatte er ihn auch schon!

„Na klar, das ist gar kein Problem, Herr Wilhelms. Ich notiere mir das gleich und schicke Ihnen den modifizierten Vertrag …“

Nein! Am besten gleich festnageln, ehe der Mann zum Nachdenken kam.

Tim brach ab und machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Ach was! Haben Sie heute in Ihrer Mittagspause Zeit? Dann lade ich Sie zum Essen ein. Sie erheitern mich mit Ihren köstlichen Anekdoten, und ich bringe den Vertrag gleich mit. Ja? Super! Um eins in dem Restaurant neben Ihrer Bank? Ja? Geritzt, Herr Wilhelms! Wir sehen uns!“

Blomann grinste über das ganze Gesicht, hielt Tim anerkennend seinen erhobenen Daumen hin und verschwand dann mit einem zufriedenen Nicken endlich in seiner Luxus-Kemenate, wo er vermutlich die Beine hochlegte und erst mal Kaffee trank.

Geschafft! Antrag auf Kostenerstattung: abgelehnt. Fünfhundert pro Quartal mehr an Land gezogen. Korrigierten Vertrag: ausdrucken. Terminplaner: Arbeitsessen um eins eintragen. Fall Wilhelms: erledigt. Datei: schließen.

„Klappe zu – Affe tot!“ Seufzend nahm Tim den nächsten Antrag aus dem Eingangskorb. Dabei warf er einen flüchtigen Blick auf das Foto von Lisa und seinen beiden Kindern.

„Spioniert Blödmann?“, erkundigte sich sein vor ihm sitzender Kollege Lukas Schröder ein paar Sekunden später mit leiser Stimme.

„Nein, die Jalousie an seinem Fenster ist zu“, erwiderte Tim und erschrak, weil sich nicht nur Lukas mit einem Ruck umdrehte, sondern auch noch ein paar andere Kollegen plötzlich neben seinem Schreibtisch auftauchten.

„He!“, protestierte er. „Heute habe ich noch gar nichts ge …“

Er brach ab, und sein Blick fiel auf seine Schreibtischunterlage, die ein Notizblock im Großformat war. Er hatte also doch …! Das ganze große Blatt war vollgekritzelt mit kleinen Karikaturen.

Während er mit Herrn Wilhelms telefoniert hatte, hatte er – wie immer völlig unbewusst – die Szene, wie ihm seine Frau die Vase auf den Kopf knallte, als kompletten Comicstrip gezeichnet.

„Mensch, ist das cool!“ Andrea Kaminski von drei Reihen weiter hinten dämpfte das Gelächter, das sie nicht zurückhalten konnte, indem sie sich beide Hände vor den Mund presste.

„Dass einer, der so begabt ist wie du, hier herumhockt und für ein paar Peanuts andere Leute abzockt, das werde ich nie begreifen“, murmelte Klaus Siebert aus der letzten Tischreihe.

„Genial!“, lobte Adrian Schneider, der mit seinen achtzehn Jahren die jüngste Labormaus im Käfig war. „Ich würde es regelmäßig kaufen, wenn es davon ein Heftchen gäbe.“

„Gibt es aber nicht!“, grummelte Tim. „Wird es auch nie geben!“, fügte er seufzend hinzu und schielte sehnsüchtig zum Fenster hinüber.

Eines Tages … eines Tages würde er es tun. Mit Anlauf durch die Scheibe. Mit einem gewaltigen Sprung raus aus dem sich seit sechs Jahren unermüdlich drehenden Hamsterrad! Raus aus dem Labormauskäfig! Endlich kein Batteriehuhn mehr sein! Chillen bis zum jüngsten Tag! Freiheit und Frieden für immer und ewig!“

***

Ein fünfjähriges Mädchen und einen vierjährigen Jungen am Morgen aus ihren Betten zu holen, sie zu waschen, anzukleiden, dafür zu sorgen, dass sie ihr Frühstück halbwegs zivilisiert aßen, und sie rechtzeitig um acht im Kindergarten abzuliefern, das war ähnlich „beschaulich“ wie ein Marathonlauf durch den Dschungel.

Normalerweise war Lisa Selbach mit ihren Nerven und mit ihren Kräften so ziemlich am Ende, wenn die Tür zum Kindergarten hinter ihren beiden Lieblingen zugefallen war. Normalerweise. Heute jedoch nicht. Heute war Lisa schon vor dem gemeinsamen Frühstück völlig fertig.

Vielleicht lag es daran, dass Sofia und Florian schlecht geschlafen hatten? Vielleicht war schon wieder Vollmond? Vielleicht – nein, ziemlich sicher sogar! – lag es aber auch an den vielen Süßigkeiten, die ihre Schwiegereltern am gestrigen Sonntag wieder einmal zentnerweise herbeigekarrt hatten. Und das, obwohl Lisa ihnen bereits geschätzte tausend Mal gesagt hatte: „Bitte keine Süßigkeiten für die Kinder!“

Schon beim Aufwecken um sieben war es losgegangen. Natürlich war die schöne bunte und bis an den Rand mit gefärbtem Zuckerzeug gefüllte Schachtel, die Omi und Opi auf den Schrank im Kinderzimmer gestellt hatten, leer gewesen. Wie erwartet, hatte es nichts genützt, dass sie mit erhobenen Zeigefingern gemahnt hatten: „Jeden Tag nur ein Stück!“

Florian war auf einer Tafel Nougatschokolade eingeschlafen, und da er im Schlaf alle paar Sekunden seine Position wechselte, hatte er die geschmolzene dunkelbraune Substanz nicht nur im ganzen Bett verteilt, sondern sich auch noch von Kopf bis Fuß damit einbalsamiert. Lisa hatte den süßen kleinen Jungen in die Badewanne setzen müssen.

Ein weitaus schlimmeres Unterfangen war es gewesen, die fünfzehn bunten Gummibärchen aus Sofias blonden Locken zu bekommen. Das Geschrei war so ohrenbetäubend gewesen, dass Herr Nolte, ihr Nachbar, der schon ziemlich alt und eigentlich stocktaub war, mehrmals mit seinem Krückstock gegen die Wand gehämmert hatte.

Zwar war Lisa nicht wie die meisten ihrer Freundinnen alleinerziehend, doch was nützte ihr das? Ihr Mann Tim war keine große Hilfe, er hatte sich schon nach den ersten Anzeichen der drohenden Katastrophe verdünnisiert.

„Oh, da fällt mir ein, dass ich ja heute früher ins Büro muss!“, hatte er gerufen. Die Wohnungstür war hinter ihm ins Schloss gefallen, noch ehe die letzte Silbe seiner faulen Ausrede verklungen war.