Der Notarzt 289 - Karin Graf - E-Book

Der Notarzt 289 E-Book

Karin Graf

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dr. Peter Kersten ist weit über die Grenzen Frankfurts hinaus dafür bekannt, dass er ein hervorragender Notarzt ist. In unzähligen Situationen hat er immer wieder bewiesen, dass er selbst in den dramatischsten Situationen stets einen kühlen Kopf bewahrt und konzentriert und ruhig sein Möglichstes tut, um das Leben seiner Patienten zu retten.

Doch diesmal ist alles anders. Peter Kersten steht im OP der Notaufnahme und ist kurz davor, die Nerven zu verlieren. Vor ihm auf dem Operationstisch liegt Lea - seine große Liebe. Noch vor wenigen Stunden haben sie miteinander geredet und gelacht, und nun liegt sie hier und wird nur noch von Maschinen am Leben erhalten.

Dreißig Prozent Überlebenswahrscheinlichkeit, hämmert es im Kopf des Notarztes. Seine Hände und Knie zittern, aber er weiß, dass er seine Freundin jetzt nicht im Stich lassen darf ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 122

Veröffentlichungsjahr: 2017

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Dr. Kerstens schwerster Kampf

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Kotin

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4594-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Dr. Kerstens schwerster Kampf

Auf dem OP-Tisch lag die Freundin des Notarztes

Karin Graf

Dr. Peter Kersten ist weit über die Grenzen Frankfurts hinaus dafür bekannt, dass er ein hervorragender Notarzt ist. In unzähligen Situationen hat er immer wieder bewiesen, dass er selbst in den dramatischsten Situationen stets einen kühlen Kopf bewahrt und konzentriert und ruhig sein Möglichstes tut, um das Leben seiner Patienten zu retten.

Doch diesmal ist alles anders. Peter Kersten steht im OP der Notaufnahme und ist kurz davor, die Nerven zu verlieren. Vor ihm auf dem Operationstisch liegt Lea – seine große Liebe. Noch vor wenigen Stunden haben sie miteinander geredet und gelacht, und nun liegt sie hier und wird nur noch von Maschinen am Leben erhalten.

Dreißig Prozent Überlebenswahrscheinlichkeit, hämmert es im Kopf des Notarztes. Seine Hände und Knie zittern, aber er weiß, dass er seine Freundin jetzt nicht im Stich lassen darf …

Eine falsche Entscheidung, ein einziger Moment der Unachtsamkeit kann das Leben eines Menschen in völlig andere Bahnen lenken. Ein falscher Schritt und man findet sich in einer dunklen Sackgasse wieder, weiß nicht, wie man dorthin geraten ist und erst recht nicht, wie man wieder hinausfindet.

Wer hätte das besser gewusst als Nina Lembert? Bei ihr war es ein falsches Wort gewesen. Ein Ja zur falschen Zeit auf die falsche Frage des falschen Mannes hatte sie in eine jener Frauen verwandelt, die ihr zuvor nur aus Zeitungsberichten und aus der Talkshow geläufig gewesen waren. Aus ihrer eigenen Talkshow wohlgemerkt.

Ja, sie hatte tatsächlich einmal gearbeitet und ihr eigenes Geld verdient. Sie war eine selbstbewusste junge Frau gewesen und hatte eine große Karriere vor sich gehabt.

„Erzähl’s doch Nina“, so hatte ihre eigene Fernsehsendung geheißen. Darin waren Leute aufgetreten, denen irgendwann einmal ein Unrecht widerfahren war, die den daraus entstandenen Frust oft jahrelang in sich hineingefressen hatten und die ihrem Ärger endlich Luft machen und dem Übeltäter gründlich die Meinung sagen wollten.

Das Konzept dafür hatte sie ganz alleine entwickelt, sie hatte auch die redaktionelle Arbeit zum Großteil selbst erledigt, und sie hatte streng darauf geachtet, dass ihre Sendung nicht in eine dieser unsäglichen Shows ausartete, in denen die Leute wie die Tiere übereinander herfielen.

Eigentlich hatte sie Talkshows nie besonders gemocht. Ein politisches oder auch ein wissenschaftliches Magazin zu moderieren und auch die Beiträge selbst zu gestalten, das war immer ihr eigentliches Ziel gewesen, und das hatte ihr der Programmchef ihres Senders auch versprochen.

Mit „Erzähl’s doch Nina“, sollte sie ein paar Jahre lang Erfahrung sammeln, die nötige Routine erlangen und dabei auch gleich ein bisschen älter und reifer werden. Sie war ja damals noch sehr jung gewesen – erst vierundzwanzig – und war eben erst mit dem Studium der Kommunikationswissenschaften und Politologie fertig geworden.

Kein Mensch würde einem eben erst der Pubertät entwachsenen Mädchen abkaufen, dass es auch selbst verstand, worüber es redete, wenn es den Leuten die politische Weltlage erklärte, hatte Rainer Kaufmann, der Programmchef, gemeint.

Nina hatte ein kleines, aber todschickes Appartement in der Frankfurter Altstadt bewohnt, ihre ehemaligen Schulfreundinnen hatten sie glühend beneidet und bewundert, und an den Wochenenden hätte sie sich vierteilen müssen, um auch nur die Hälfte aller Einladungen annehmen zu können.

Gott! Wie lange war das alles her? Hundert Jahre? Tausend? Eine Ewigkeit? Oder war überhaupt alles nur ein Traum?

Seufzend beobachtete Nina den Sekundenzeiger ihrer Armbanduhr. Jonathan, ihr eineinhalbjähriger Sohn, hatte im Kinderzimmer leise zu brabbeln begonnen.

Das vergnügte Plappern, mit dem Jonathan ihr sagen wollte, dass er aus dem Mittagsschlaf aufgewacht war, würde sich recht bald in ein klägliches Wimmern verwandeln und sich dann zu einem lautstarken Geschrei steigern. Erst Frust, dann Wut, dann Angst.

Es kostete Nina eine enorme Überwindung, nicht sofort loszulaufen und ihren kleinen Goldschatz aus dem Bettchen zu holen. Bestimmt war er hungrig, wollte von seiner nassen Windel befreit werden, fühlte sich einsam oder hatte gar Angst, seine Mutter könnte ihn verlassen haben.

Aber Roland hatte es verboten. Genau fünf Minuten lang musste sie den armen Kleinen schreien lassen, um ihm von Anfang an klarzumachen, dass es im Leben nichts umsonst gab. Schließlich sollte aus dem Jungen ja einmal ein richtiger Mann werden und kein „erbärmliches hohlköpfiges Nichts“, wie sie eines war.

„Erst eine Minute!“ Nina pochte mit dem Zeigefinger auf das Uhrglas, um herauszufinden, ob der Sekundenzeiger vielleicht hängen geblieben war. Nein, war er nicht. „Armer kleiner Liebling.“

Nach Ninas Verständnis bewirkte diese tägliche Grausamkeit keineswegs eine Stärkung der Willenskraft. Logisch überlegt, konnte Jonathan daraus nur lernen, dass seine Mutter unzuverlässig war, ihn nicht liebte und dass man, wenn man etwas haben wollte, nur laut genug randalieren musste.

Aber vermutlich war es genau das, was ihr Mann damit bezweckte. Jonathan würde seine Mutter irgendwann für ihre Grausamkeit hassen, und dann hatte Roland seine Frau wieder ganz für sich allein.

Zwei Minuten. Das Geschrei klang mittlerweile so verzweifelt, dass ihr das Herz blutete. Aber wenn sie vor der Zeit in sein Zimmer ging oder ihm auch nur zurief, dass sie da sei und gleich kommen würde, dann würde Nina wieder mindestens eine Woche lang weder sitzen noch liegen können. Zumindest nicht ohne höllische Schmerzen.

Drei Minuten. Das Schreien ihres Kindes schnitt Nina tief ins Herz.

Aber Roland war allgegenwärtig. Er sah und hörte alles. Auch dann, wenn er nicht zu Hause war. Wo er die Überwachungsgeräte versteckt hatte, wusste Nina nicht. Nur, dass sie da waren.

Drei Jahre! Konnte es wirklich erst drei Jahre her sein, dass sie mit einem unbedachten Ja ihr ganzes Leben zerstört hatte? War es denn überhaupt möglich, sich in so kurzer Zeit so grundlegend zu verändern? Sich in eine Frau zu verwandeln, die sich beinahe täglich dafür entschuldigte, dass sie dumm, hässlich, völlig unfähig und ein lästiger Klotz am Bein ihres gottähnlichen Ehemannes war?

In eine Frau, die sich nach der angeblich gerechten Bestrafung auch noch dafür bedankte, dass sie nur ein paar geprellte Rippen und Blutergüsse hatte, dass nichts gebrochen war und sie noch lebte?

Es musste wohl möglich sein, denn genau das war mit ihr geschehen.

Vier Minuten waren vergangen. Vier Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten.

Die Erinnerung daran, wie es war, ein Mensch zu sein, ein Mensch, der eigene Entscheidungen treffen, eigene Bedürfnisse haben und eigene Wünsche äußern durfte, diese Erinnerung war wie ausgelöscht. Roland hatte ihr den festen Glauben daran, dass sie ohne ihn nicht existieren könnte, unwiderruflich ins Bewusstsein gehämmert.

Warum sie ihn geheiratet hatte? Jede Einzelne ihrer damaligen Freundinnen hätte ebenfalls Ja gesagt, wenn er sie gefragt hätte. Roland war attraktiv, er war gebildet, und er war unglaublich charmant. Gewesen. Jetzt nicht mehr. Zumindest nicht ihr gegenüber.

Aber was Nina am meisten fasziniert hatte, war seine unheimlich originelle Spontaneität gewesen.

Na ja, woher hätte sie auch wissen sollen, dass seine originelle Verhaltensweise absolut nichts mit Fantasie zu tun hatte, sondern Ausdruck seines kranken Hirns war? Jetzt wusste sie es. Aber jetzt war es zu spät.

„Fünf! Endlich!“ Nina rannte ins Kinderzimmer, hob ihren kleinen Sohn, der sein tränennasses Gesichtchen wie ein gefangenes Tier gegen die weiß lackierten Holzstäbe presste und seine kurzen Ärmchen flehend nach ihr ausstreckte, aus dem Gitterbett, drückte ihn an sich und flüsterte ihm tausend süße Zärtlichkeiten in sein kleines rosiges Ohr.

„Wir gehen fort von hier, mein kleiner Sonnenschein“, hauchte sie fast unhörbar. „Mami verspricht dir, dass du in Zukunft nie wieder weinen musst. Mami bringt dich an einen anderen Ort, an dem niemand herumbrüllt, an dem es erlaubt ist, mit Mami zu schmusen, bei Mami im Bett zu schlafen, mit den Topfdeckeln in der Küche Krach zu schlagen und in der Badewanne zu spielen, ohne ständig aufpassen zu müssen, dass kein einziger Wassertropfen über den Wannenrand …“

Als in diesem Augenblick das Telefon in der Diele klingelte, verkrampfte sich Ninas ganzer Körper. Ihre Knie und ihre Hände begannen unkontrolliert zu zittern, und der Schweiß brach ihr aus allen Poren. Angst!

Warum denn? Sie hatte doch nur ganz leise geflüstert. War es möglich, dass Roland ihre rebellischen Worte trotzdem gehört hatte?

Ihr „Ja?“ klang wie das Piepsen einer Maus. Mehr brachte sie nicht heraus, denn auf dem Weg vom Kinderzimmer in die Diele hatte sie vor Angst auch noch zu hyperventilieren begonnen.

Doch schon nach Rolands ersten paar Worten atmete sie erst einmal erleichtert auf, denn der Anruf hatte nichts mit ihren unbedacht geflüsterten Äußerungen zu tun.

„Ich komme in einer Stunde nach Hause, um meinen Koffer zu holen. Bist du mit dem Packen fertig?“

„Ich … nein … ähm …? Packen? Wofür denn?“

„Oh bitte! Ich habe dir doch schon am Montag gesagt, dass ich am Sonntagabend geschäftlich nach Wien fliegen muss! Das hast du wohl auch wieder vergessen! Sag mal, wie dämlich bist du eigentlich?“

Nina wusste ganz genau, dass sie garantiert keine solche Information bekommen hatte. Oder? Nein! Weder am Montag noch an irgendeinem anderen Tag der vergangenen Woche. Aber das laut auszusprechen, wäre nicht besonders klug gewesen.

„Es tut mir so schrecklich leid, Roland. Ich packe sofort. Ähm, wie lange, sagtest du am Montag, bleibst du in Wien?“

„Bis morgen Mittag! Eine Übernachtung! Herrgott noch mal! Du hast den Intelligenzquotienten einer Küchenschabe! Ich muss dort am Montagmorgen die Pläne für den Neubau eines Einkaufszentrums einreichen, das Modell abliefern, das ich eben noch fertiggestellt habe, und über die Konditionen verhandeln. Wir brauchen das Geld, denn schließlich muss ich ja dich und das Kind ganz alleine finanzieren, weil du leider nicht dazu fähig …“

Er brach ab und seufzte theatralisch.

„Ach, wozu erzähle ich dir das überhaupt? Genauso gut könnte ich mit Nachbars Lumpi reden. Selbst ein Hund hat mehr Grips als du!“

„Es tut mir so leid, dass ich so schrecklich dumm bin, Roland. Ich weiß gar nicht, wie du es mit mir aushalten kannst.“

„Ja, das frage ich mich manchmal auch. Wirst du wenigstens dazu in der Lage sein, ein paar Sachen in einen Koffer zu werfen, oder soll ich lieber meine Sekretärin bitten, dich dabei zu unterstützen?“

„Ja … ich meine, nein, ich glaube, dass ich das schaffe, Roland. Nein, ich bin sogar ziemlich sicher“, stammelte sie und konnte sich gar nicht mehr richtig auf die Flut von Demütigungen konzentrieren, mit denen ihr Mann seine Beleidigungen noch abrundete.

Das ist die Gelegenheit! Dieser eine Gedanke hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt, füllte ihr ganzes Bewusstsein aus, wurde immer größer und bedeutsamer und fühlte sich so ähnlich an, als hätte ihr Mann soeben vergessen, den Schlüssel von der Tür des Käfigs abzuziehen, in dem sie seit drei Jahren gefangen war.

***

„Ähm, wie bitte? Heidi? Ist das der Anschluss von Frau Heidi Solms?“

Lea König glaubte, sich verwählt zu haben, denn was aus dem Telefonhörer kam, hörte sich nach einer recht exotischen Sprache an, die hauptsächlich aus kehligen und krächzenden Lauten bestand.

„Krpfrz, zröff, grmpf, chrzmöh.“

Die Kinder- und Jugendpsychologin, die mit ihrem Freund, dem Leiter der Notaufnahme an der Frankfurter Sauerbruch-Klinik, in einer großen alten Villa am Stadtrand von Frankfurt lebte, hatte eigentlich vorgehabt, bei ihrer besten Freundin nachzufragen, wo sie denn bliebe.

Dr. Peter Kersten, der Notarzt, hatte sich nach langer Zeit endlich wieder einmal ein freies Wochenende gegönnt, und am heutigen Sonntag hatten Lea und er geplant, sich mit seinem besten Freund und dessen Familie sowie Heidi Solms zu einem späten Mittagessen in einem neu eröffneten veganen Bio-Restaurant zu treffen.

Da das Wohnhaus, in dem die Sozialpädagogin Heidi Solms ein kleines Appartement besaß, keine drei Minuten Fußweg von Leas Villa entfernt war, hätte Leas beste Freundin um halb drei hier sein sollen, damit sie dann gemeinsam losfahren konnten. Jetzt war es fast Viertel vor drei, und von Heidi war noch immer keine Spur zu sehen.

„Entschuldigen Sie bitte, ich muss wohl eine falsche Nummer erwischt …“

Ein fast panisch klingendes „Liiicht!“ hinderte sie am Weitersprechen.

„Licht? Wo ist Licht? Oder … was … meinten Sie denn?“

„Leil, licht Licht! Licht auflegel!“

„Aha! Nicht Licht, sondern nicht auflegen“, übersetzte Lea. „Das ist eindeutig Schnupfen-Deutsch. Dann bin ich hier also doch richtig. Heidi?“

„Ja!“

„O Gott, du klingst ja schrecklich! Bist du krank?“

„Was heißt hier ‚krank‘? Ich liege im Sterben! In der Zeitung stand neulich, dass die Grippewelle schon Tausende dahingerafft hat. Jetzt bin ich dran. Leb wohl, Lea, du warst mir immer eine treue Freundin. Dafür sollst du nach meinem Tod meinen Sparstrumpf bekommen. Der ist zwar leer, aber aus echter Schafwolle.“

Die Psychologin musste kichern.

„Na komm, jetzt übertreib mal nicht so schamlos, Heidi. Wir kommen sofort, Peter und ich. Brauchst du irgendwas?“

„Ja! Einen Lotar bitte!“

„Einen was?“

„Einen Lotar fürs Testament. Und ein bisschen Motoröl für die letzte Ölung, oder wie das heißt.“

„Ein Notar und Motoröl, okay, schon notiert“, erwiderte Lea grinsend und winkte Peter zu sich, der gerade aus dem Bad kam.

„Heidi ist krank. Vermutlich Grippe“, informierte sie ihn und ging in die Küche, um ein bisschen Obst, Pudding, Kekse und Kräutertee zum Mitnehmen in einen Korb zu packen.

„Heiliger Strohsack!“

Peter, der seiner Freundin den Hörer aus der Hand genommen hatte, zuckte zusammen, als ein lautes Niesen sein Trommelfell in heftige Schwingungen versetzte.

„Heidi, du armes Kind!“, sagte er lachend. „Ich suche nur rasch mein Werkzeug zusammen. Du weißt ja, Rohrzange für die tropfende Nase, Pömpel für den verstopften Hals und was man halt sonst noch so braucht. Halte durch, wir sind gleich bei dir.“

Die Sozialpädagogin bot einen bemitleidenswerten Anblick, als Lea und Peter etwa zehn Minuten später vor ihrer Tür standen. Sie trug einen rosaroten Schlafanzug, der mit Mäusen bedruckt war, ihre Füße steckten in Häschenpantoffeln, ihr Hals war mit einem bunten Wollschal dick umwickelt, und ihre Nase war so rot, dass sie zu glühen schien.

„Ich hätte mich doch impfen lassen sollen!“, klagte sie, während sie zurück ins Wohnzimmer wankte. „Gerade vorhin haben sie es wieder im Fernsehen gebracht. Tausende Tote. Wer nicht geimpft ist, muss mit dem Schlimmsten rechnen, haben sie gesagt.“

„Ach, Quatsch!“, winkte Peter ab. „Jedes Jahr derselbe Käse! Also, in der Sauerbruch-Klinik ist in diesem Jahr noch kein einziger Patient an Grippe gestorben.“

„Willst du etwa behaupten, dass mein Fernseher lügt? Der ist fast neu!“, krächzte Heidi Solms und wühlte sich wieder zwischen die geschätzten fünfzig Decken und Kissen, die sich auf der Couch vor dem Fernseher hoch auftürmten.

„Auch wenn es keine direkte Lüge sein sollte, muss es deswegen noch lange nicht der Wahrheit entsprechen.“

Peter schob leere Teetassen, Papiertaschentücher, Nasenspray, Wundsalben, ein Honigglas, Hustenbonbons und ein Fieberthermometer auf dem Couchtisch zur Seite und stellte seine Notfalltasche darauf ab.