Der Notarzt 305 - Karin Graf - E-Book

Der Notarzt 305 E-Book

Karin Graf

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Beschreibung

"Peter! Schnell!", ruft die Oberschwester keuchend über den Flur. "Ein Patient. Im Warteraum. Plötzlich umgefallen", berichtet sie im Telegrammstil. "Brustkorb verdächtig aufgebläht. Vermutlich Herzbeuteltamponade. Du musst sofort operieren!"

Notarzt Peter Kersten, der sich gerade die erste kleine Pause seit Stunden gönnen wollte, springt hektisch auf. Sein Kollege Elmar Rösner ist gerade mit einem anderen Patienten beschäftigt, wer kann ihm also bei dem dringend nötigen Eingriff assistieren?
In dem Moment betritt ein junger Mann die Notaufnahme. Dem Himmel sei Dank, der angekündigte neue Assistenzarzt ist da!
"Super!", ruft der Notarzt erleichtert aus. "Es tut mir leid, aber ich brauche Sie sofort! Reden können wir nachher. Kommen Sie mit!"

Während der Operation erweist sich der Neue als gute Hilfe. Mark redet zwar kaum, arbeitet aber konzentriert. Doch auf einmal sieht Peter Kersten, wie der Assistenzarzt mit leichenblassem Gesicht ein paar Schritte weit vom OP-Tisch wegtaumelt. Mark gibt noch einen erstickten Laut von sich, dann fällt er plötzlich der Länge nach auf den weißen Fliesenboden ...

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Seitenzahl: 118

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Noteinsatz im OP

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Poznyakov/shutterstock

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5695-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Noteinsatz im OP

Während einer Operation bricht der Assistenzarzt leblos zusammen

Karin Graf

„Peter! Schnell!“, ruft die Oberschwester keuchend über den Flur. „Ein Patient. Im Warteraum. Plötzlich umgefallen“, berichtet sie im Telegrammstil. „Brustkorb verdächtig aufgebläht. Vermutlich Herzbeuteltamponade. Du musst sofort operieren!“

Notarzt Peter Kersten, der sich gerade die erste kleine Pause seit Stunden gönnen wollte, springt hektisch auf. Sein Kollege Elmar Rösner ist gerade mit einem anderen Patienten beschäftigt, wer kann ihm also bei dem dringend nötigen Eingriff assistieren?

In dem Moment betritt ein junger Mann die Notaufnahme. Dem Himmel sei Dank, der angekündigte neue Assistenzarzt ist da!

„Super!“, ruft der Notarzt erleichtert aus. „Es tut mir leid, aber ich brauche Sie sofort! Reden können wir nachher. Kommen Sie mit!“

Während der Operation erweist sich der Neue als gute Hilfe. Mark redet zwar kaum, arbeitet aber konzentriert. Doch auf einmal sieht Peter Kersten, wie der Assistenzarzt mit leichenblassem Gesicht ein paar Schritte weit vom OP-Tisch wegtaumelt. Mark gibt noch einen erstickten Laut von sich, dann fällt er plötzlich der Länge nach auf den weißen Fliesenboden …

Die Entscheidung, die Prof. Lutz Weidner, der Chefarzt der Frankfurter Sauerbruch-Klinik, heute getroffen hatte, fühlte sich gut und richtig an.

Er war von jeher der Meinung gewesen, dass die Schicksale aller Menschen eng miteinander verbunden waren und dass jeder, der sich abgrenzte und sich selbst dazu beglückwünschte, nicht so doof zu sein wie alle anderen, sich nur ins eigene Fleisch schnitt.

Bestimmt hatte es auch schon damals, als der Urzeitmensch sich auf die Hinterbeine erhob und den aufrechten Gang erlernte, welche gegeben, die der Meinung gewesen waren, auf zwei Beinen zu laufen sei total bescheuert und unnatürlich.

Doch die Evolution scherte sich eben nicht um einzelne Griesgrame. Es war immer die Masse, die sich durchsetzte und den Lauf der Geschichte bestimmte.

Die Handvoll Mächtiger, die die Welt beherrschten, hatten das schon vor Jahrhunderten kapiert und dirigierten die Masse in die Richtung, in der sie sie haben wollten. Kriege, Konsumrausch, Frust, Angst und die Gewissheit, ohnmächtig und wertlos zu sein, waren die Folge.

Seit vielen Jahren ergriff Prof. Weidner jede sich bietende Gelegenheit, um dem entgegenzuwirken. Vor allem die Jugend hatte es ihm angetan, und wann immer es sich anbot, legte er es jungen Menschen nahe, sich ihrer Macht bewusst zu werden, sich zu bilden, zu informieren und ihrem Leben einen Sinn zu geben.

Was er heute bei der Vorstandssitzung über die Köpfe fast aller anderen Anwesenden hinweg gefordert und auch bekommen hatte, war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das war ihm völlig klar. Aber schließlich bestand doch auch der Ozean aus vielen kleinen Wassertropfen, und selbst die weiteste Reise setzte sich aus vielen einzelnen Schritten zusammen.

„Genau so werde ich ihm das erklären. Er wird es schon verstehen. Er ist ja ein kluger Mann.“

Prof. Weidner waren die geschockten Blicke von Emil Rohrmoser, dem Verwaltungsdirektor, nicht entgangen, als sein Vorschlag bei der Sitzung genehmigt worden war.

Deshalb war der Chefarzt jetzt – nach einem langen und ereignisreichen Arbeitstag – unterwegs in die oberste Etage der Klinik, um mit Rohrmoser darüber zu reden.

Trotz aller Differenzen und Kämpfe, die sie ständig miteinander ausfochten, schätzte und achtete Lutz Weidner den schwergewichtigen Direktor sehr. Immerhin schaffte er es seit nunmehr dreißig Jahren, eine der größten Kliniken des Landes unbeschadet durch sämtliche Krisen zu steuern.

Und dass das alles andere als einfach oder selbstverständlich war, konnte man an den gravierenden Problemen sehen, mit denen fast alle anderen Krankenhäuser zu kämpfen hatten.

„Damit fange ich an!“, nahm sich Lutz Weidner vor, als er oben in der Direktionsetage aus dem Fahrstuhl stieg. „Ein bisschen Lob kann nie schaden, und er hat es sich ja wirklich verdient.“

Dass er Direktor Rohrmoser trotz der späten Stunde – es war kurz vor zehn Uhr abends – noch in seinem Büro antreffen würde, daran zweifelte der Chefarzt keine Sekunde lang.

Der Verwaltungsdirektor arbeitete mindestens so hart wie er selbst auch und ging nicht selten erst gegen Mitternacht nach Hause.

„Noch besser, ich bringe ihm einen Schokoriegel mit“, beschloss der Professor, als er in dem Foyer vor der Direktionsetage den Kaffee- und Snackautomaten stehen sah. „Nein, lieber ein Päckchen Studentenfutter. Das schmeckt ihm sicher auch, und es ist noch dazu gesund.“

Die Mischung aus verschiedenen Nüssen und Rosinen zum haarsträubenden Preis von fast fünf Euro in der Hand, wollte er beschwingt die Glastür zum Verwaltungstrakt aufreißen.

„Au!“ Er blickte verwundert auf seine schmerzende Hand. Die Tür war abgeschlossen.

Erst jetzt sah er das kleine Kästchen unter der Klinke. Er beugte sich tiefer hinab und las, was darauf geschrieben stand.

Bitte stecken Sie Ihre Zutrittsberechtigungskarte in den Schlitz, ziehen Sie sie wieder heraus und drücken Sie dabei die Klinke nach unten. Wenn Sie nicht im Besitz einer Karte sind, bitte rechts klingeln.“

„Was, zum Teufel …?“ Die Vorstandssitzung hatte um neun Uhr vormittags stattgefunden, und da hatte es dieses Sicherheitsschloss noch nicht gegeben. „So ein hirnrissiger Blödsinn!“, ärgerte sich der Chefarzt und drückte auf den Klingelknopf rechts neben der Tür.

Er wartete zwei, drei Minuten, dann klingelte er noch einmal. Diesmal länger. Er schirmte seine Augen mit beiden Händen ab, um durch die Glastür sehen zu können, in der sich das Licht der Neonröhren spiegelte.

Es dauerte weitere fünf Minuten, bis er am anderen Ende des Korridors Emil Rohrmoser entdeckte, der seinen Kopf zur Bürotür seiner Sekretärin herausstreckte und mit zusammengekniffenen Augen zu erkennen versuchte, wer hier Einlass verlangte.

Schließlich hob er grüßend eine Hand hoch und schob seine beachtliche Leibesfülle im Zeitlupentempo den Flur entlang.

„Ah, Weidner! Na?“

„War das Ihre Idee?“ Der Chefarzt deutete mit einer Kopfbewegung auf das elektronische Türschloss.

„Ja. Auch ich habe manchmal Ideen. Nicht nur Sie“, erwiderte der Direktor schnippisch und machte sich auf den Rückweg zu seinem Büro.

„Hier, das habe ich Ihnen mitgebracht.“

Emil Rohrmoser drehte sich um und beäugte die kleine Plastiktüte misstrauisch.

„Ah! Danke! Glasperlen, was?“

„Nüsse sind das“, korrigierte Lutz Weidner. „Und Rosinen. Studentenfutter eben.“

„Ja, das sehe ich. Aber in Wahrheit sind es Glasperlen!“, beharrte Emil bockig darauf, recht zu haben.

„Das verstehe ich nicht.“

„Was gibt es denn da nicht zu verstehen?“

Emil Rohrmoser schüttelte den Kopf so heftig, dass sein schwammiges Dreifachkinn bedrohlich zu schwanken begann. „Schon die alten Seefahrer haben den Eingeborenen Glasperlen mitgebracht, bevor sie ihnen eins übergebraten und ihnen ihr Land geklaut haben.“

„Ich habe aber nicht vor, Ihnen etwas zu klauen, Direktor!“ Der Professor war entrüstet über eine solche Unterstellung.

„Sie nicht. Aber die Ganoven, die Sie so großzügig in unsere Klinik einladen möchten.“

Lutz Weidner wollte protestieren, doch da drückte ihm der Verwaltungsdirektor die längst aufgerissene und halb leer gefutterte Tüte mit den Nüssen in die Hand.

„Da, halten Sie mal kurz. Aber nichts davon nehmen! Geschenkt ist geschenkt, wieder holen ist gestohlen!“

„Keine Sorge, ich werde schon nicht …“ Der Chefarzt brach ab, als er den großen Schlüsselbund sah, den Emil jetzt aus seiner Hosentasche zerrte. „Was …?“

Erst jetzt sah er die Schlösser – es waren fünf – an Emil Rohrmosers Bürotür.

„Meinen Sie nicht, dass das ein bisschen übertrieben ist? Das sind junge Menschen. Fast noch Kinder.“

„Ja, aber Kinder mit sehr langen Fingern!“ Die Schlüssel klirrten aneinander, als Herr Rohrmoser ein Schloss nach dem anderen entriegelte.

„Jugendliche, Direktor, junge Leute, die einmal einen Fehler gemacht haben!“

„Einmal kriminell – immer kriminell!“ Der Direktor hatte es endlich geschafft, die Tür zu öffnen, tippte hastig einen Code in das Tastenfeld einer Alarmanlage hinter der Tür und riss dann dem Chefarzt die Nusstüte wieder aus der Hand. „Meins!“

„Heiliger Strohsack!“ Lutz Weidner schaute sich erstaunt um. „Nicht einmal Al Capone würde durch diese Tür gelangen. Wozu dann noch der riesige Tresor?“

„Vorsorge ist besser als hinterher das Nachsehen zu haben!“, konterte der Direktor schnippisch, ließ sich ächzend in seinen wuchtigen Chefsessel fallen und deutete mit einer flüchtigen Handbewegung auf den wenig bequemen Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch.

„Es ist die Barmherzigkeit, die den Menschen vom Tier unterscheidet!“, brauste der Chefarzt auf. Die Engstirnigkeit des Direktors ärgerte ihn maßlos, und längst hatte er wieder vergessen, dass er eigentlich gekommen war, um Emil Rohrmoser zu besänftigen.

„Und die Armut macht ihn wieder zum Tier!“, erwiderte Emil. „Sie werden es schon sehen, wenn die erst mal alles geklaut haben, was nicht niet- und nagelfest ist. Aber kommen Sie dann bloß nicht hier angekrochen und jammern mich um Geld an!“ Er schaute den Chefarzt herausfordernd an. „Und?“

„Und was?“

„Na ja, machen Sie schon fleißig Werbung in den Hochsicherheitsgefängnissen des Landes? Dass die Sauerbruch-Klinik neuerdings ein Herz für Mörder, Vergewaltiger und Betrüger hat? Dass wir sie alle mit offenen Armen aufnehmen?“

„Also, das geht ja nun wirklich völlig an den Tatsachen vorbei!“ Lutz Weidner wurde laut. „Jugendliche nehmen wir auf! Solche, die aus Dummheit eine leichte Straftat begangen haben und denen das Gericht die Möglichkeit bietet, ihre Schuld durch wohltätige Dienste an der Allgemeinheit zu begleichen!“

Der Chefarzt atmete tief durch. Er hatte sich so sehr in Rage geredet, dass er Herzklopfen hatte.

„Sozialstunden nennt man das“, fuhr er fort, nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte. „Auch andere öffentliche Einrichtungen haben sich dazu bereit er …“

„Seit wann tun wir, was andere tun?“

„Was spricht dagegen, wenn es für einen guten Zweck ist?“

„Fragt sich nur, für wessen Zwecke das gut sein soll!“ Direktor Rohrmoser riss ein Stück Klebeband von der Rolle und klebte es demonstrativ über den Einwurfschlitz seines Sparschweins. „So!“

„Sie sind unbelehrbar, Direktor!“

„Und Sie sind ein unverbesserlicher Weltverbesserer, Weidner!“

„Sie sind manchmal richtig engstirnig, kleinkariert und selbstgerecht!“

„Und Sie sind ein idealistischer alter Zausel! Und ein Schinkensandwich wäre mir lieber gewesen!“

„Wie bitte?“

„Gibt es auch im Automaten. Schinkensandwich. Wäre sogar billiger gewesen. Das ist, was den Menschen vom Tier unterscheidet, Weidner. Das Tier isst Nüsse, wir essen Tiere!“

Prof. Weidner prustete hinter vorgehaltener Hand.

„Essen Sie jetzt auch schon Eichhörnchen, Direktor?“

„Na ja, warum nicht? In einer leckeren Soße mit Kraut und Knödeln dazu?“

Emil Rohrmoser musste schlucken.

„Im Augenblick würde ich so ziemlich alles essen. Ich habe seit dem Abendbrot um sechs nichts mehr zwischen die Zähne bekommen.“

„Ach …?“

„Die zählen nicht als Mahlzeit! Die gehen bestenfalls als kleiner Snack durch“, stellte Emil Rohrmoser energisch klar, als der Chefarzt mit einer hochgehobenen Augenbraue auf die leere Nusstüte blickte.

„Kommen Sie.“ Der Professor stand seufzend auf. „Genug für heute. Ich lade Sie noch zum Italiener ein. Herr Luigi hat ein Herz für hungrige Ärzte, die sich nicht an die üblichen Essenszeiten halten können. Er bereitet uns bestimmt auch zu dieser späten Stunde noch etwas Warmes zu.“

„Kaum zu glauben!“ Emil Rohrmoser grinste und stemmte sich ächzend aus seinem Lederthron. „Sie können ja tatsächlich auch richtig gute Ideen haben! Wer hätte das gedacht? Da sage ich nicht Nein.“

Er wischte die leere Nusstüte mit einer flüchtigen Bewegung in den Papierkorb, warf einen skeptischen Blick auf Rosi, sein Sparschwein, und schloss es dann sicherheitshalber im neuen Tresor ein.

„Lassen wir es uns gut gehen, Weidner!“, frohlockte er. „Auf Ihre Kosten natürlich. Man soll schließlich jeden Tag so leben, als ob es der letzte wäre. Und wenn demnächst die Sträflinge ankommen, ist diese Vorstellung auch durchaus realistisch.“

„Lassen Sie es gut sein, Direktor“, winkte Prof. Weidner seufzend ab. „Ich will heute nicht mehr darüber reden.“

Dann wartete er mehr oder weniger geduldig, bis Emil Rohrmoser die Alarmanlage aktiviert und die zahlreichen Schlösser an seiner Tür verriegelt hatte.

***

Unten in der Notaufnahme der Frankfurter Sauerbruch-Klinik ging es im Moment relativ ruhig zu. Dr. Peter Kersten, der Leiter der Station, wusste jedoch, dass es sich nur um eine vorübergehende Flaute handelte.

Der Feierabendverkehr war vorüber. Die verunglückten Autofahrer und die überfahrenen Fußgänger waren versorgt, jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die „häuslichen Unfälle“ eintrafen.

Die Ehefrauen, die „gegen eine Tür gelaufen“ oder „die Treppe runtergefallen“ waren, weil das Abendbrot nicht geschmeckt hatte oder kein Bier im Kühlschrank war.

Die Männer, die nach Dienstschluss in den Kneipen einen zu viel gezwitschert hatten und zu Hause mit der erhobenen Bratpfanne erwartet worden waren.

Und leider auch die Kleinkinder, die nicht einschlafen konnten und einmal zu oft nach Mama oder Papa gerufen hatten.

Die nächste Welle, die erfahrungsgemäß weit nach Mitternacht einsetzte, würde dann die Drogensüchtigen, die sich einen Schuss zu viel gesetzt hatten, die Opfer der Kneipenschlägereien und die in den dunklen Gassen Überfallenen in den Warteraum spülen.

Es war nie Ruhe in der Stadt und somit auch nicht in der Notaufnahme. Als ob die zahlreichen Herzinfarkte, Schlaganfälle, Infektionen und Krebserkrankungen nicht schon reichten, mussten sich die Leute auch noch gegenseitig nach dem Leben trachten.

Auch hier, in der am stärksten frequentierten Abteilung der Klinik, war Prof. Lutz Weidners Entscheidung, jugendlichen Straftätern die Möglichkeit zu bieten, ihre Schuld zu tilgen und wieder auf den rechten Weg zurückzufinden, Thema Nummer eins.

Peter Kersten hatte das gesamte Team, das heute mit ihm Nachtdienst hatte, im Bereitschaftsraum versammelt.

Wie so oft hatte Frau Rosi, die Pächterin der Cafeteria, übrig gebliebene Speisen, die sich nicht bis zum nächsten Tag halten würden, in der Notaufnahme abgeliefert, ehe sie nach Hause gegangen war.

Kuchenstücke, Sandwichs und bunte Salatteller mit Russischen Eiern standen auf dem Esstisch in der kleinen Kaffeeküche im hinteren Bereich des Bereitschaftsraums. Erfahrungsgemäß würden sie dort ganz gewiss nicht verderben.

Peter hatte dazu frischen Kaffee aufgebrüht. Verfressen, wie die ganze Bande war, konnte er jetzt sagen, was er sagen wollte, ohne dabei ständig unterbrochen zu werden. Zumindest nicht in dem Ausmaß wie sonst.

„Ich bitte euch alle, möglichst keine Vorurteile zu haben. Oder sie zumindest nicht offen zur Schau zu stellen.“

„Ähm …!“ Dr. Hannes Fischer, der sechzigjährige Anästhesist, hob wie in der Schule eine Hand hoch und spülte hastig ein Stück Apfelkuchen mit einem Schluck Kaffee hinunter, um den Mund frei zu bekommen.

„Ich weiß schon, was du sagen willst, Hannes“, winkte Peter ab. „Dazu wollte ich gerade kommen. Natürlich werden wir dafür sorgen, dass keine Medikamente frei herumliegen, die man als Drogen missbrauchen könnte. Selbstverständlich werden wir alles wegschließen, was die schlimmen Jungs auf dumme Gedanken bringen könnte.“