Der Notarzt 342 - Karin Graf - E-Book

Der Notarzt 342 E-Book

Karin Graf

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Beschreibung

Damit du wieder fröhlich bist
In einer schweren Zeit steht die kleine Lucy ihrem Papa bei
Karin Graf

Als der Notarzt Dr. Peter Kersten seinen neuen Nachbarn Philipp Domian kennenlernt, ist er fassungslos. Selten ist ihm ein so grantiger und unfreundlicher Mann wie dieser hier begegnet. Richtiggehend unverschämt kanzelt er den Notarzt ab. Umso bezaubernder ist jedoch die kleine Tochter des Grobians, die vierjährige Lucy. Sie sprüht nur so vor Charme und rügt ihren Papa liebevoll, dass er doch nicht wieder so "brummelig" sein soll.
In den folgenden Tagen macht sich Dr. Kersten viele Gedanken darüber, wie es dem Kind bei diesem griesgrämigen Vater wohl ergehen mag. Schön kann die Kleine es dort ja wohl kaum haben. Aber es gibt etwas, was Peter Kersten nicht weiß: Philipp Domian ist selbst Arzt und hat in der Vergangenheit einen furchtbaren Verlust erlitten, unter dem er noch immer sehr leidet. Sein feindseliges Auftreten ist nur ein verzweifelter Selbstschutz, der ihn vor weiteren Verletzungen schützen soll. Zum Glück weiß Lucy das ganz genau. Und die Vierjährige will alles tun, um ihren Papa wieder fröhlich zu machen. Sie hat da auch schon einen ausgeklügelten Plan ...

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Seitenzahl: 121

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Damit du wieder fröhlich bist

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Vasyl Dolmatov / iStockphoto

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-7941-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Damit du wieder fröhlich bist

In einer schweren Zeit steht die kleine Lucy ihrem Papa bei

Karin Graf

Als der Notarzt Dr. Peter Kersten seinen neuen Nachbarn Philipp Domian kennenlernt, ist er fassungslos. Selten ist ihm ein so grantiger und unfreundlicher Mann wie dieser hier begegnet. Richtiggehend unverschämt kanzelt er den Notarzt ab. Umso bezaubernder ist jedoch die kleine Tochter des Grobians, die vierjährige Lucy. Sie sprüht nur so vor Charme und rügt ihren Papa liebevoll, dass er doch nicht wieder so „brummelig“ sein soll.

In den folgenden Tagen macht sich Dr. Kersten viele Gedanken darüber, wie es dem Kind bei diesem griesgrämigen Vater wohl ergehen mag. Schön kann die Kleine es dort ja wohl kaum haben. Aber es gibt etwas, was Peter Kersten nicht weiß: Philipp Domian ist selbst Arzt und hat in der Vergangenheit einen furchtbaren Verlust erlitten, unter dem er noch immer sehr leidet. Sein feindseliges Auftreten ist nur ein verzweifelter Selbstschutz, der ihn vor weiteren Verletzungen schützen soll. Zum Glück weiß Lucy das ganz genau. Und die Vierjährige will alles tun, um ihren Papa wieder fröhlich zu machen. Sie hat da auch schon einen ausgeklügelten Plan …

Sechzig Stunden Dienst hatte Dr. Peter Kersten, der Leiter der Notaufnahme an der Frankfurter Sauerbruch-Klinik, hinter sich. Von Freitagmorgen bis Sonntagabend. Durchgehend. Am Stück.

Halt, nein! Er hatte ja zwischendurch geschlafen. Dreimal sogar. Einmal fünfzehn und einmal dreißig Minuten lang und einmal sogar fast eine ganze Stunde.

Der Wetterdienst hatte am Freitagmorgen ein strahlend schönes Wochenende vorhergesagt, und wie auf Befehl hatte sich ein beträchtlicher Teil der Frankfurter Bevölkerung nach Feierabend in die Autos gesetzt, nur, um sich auf den diversen Autobahnen ineinander zu verkeilen.

Gleich vier Massenkarambolagen mit Dutzenden Schwerverletzten hatten die Notaufnahme das ganze Wochenende lang in ein Schlachtfeld verwandelt.

Jetzt, endlich auf dem Heimweg, fühlte er sich, als wäre ein ausgewachsenes Flusspferd von einem dreißigstöckigen Hochhaus direkt auf ihn draufgefallen. Oder als hätte ihn ein D-Zug überrollt.

Es war bereits kurz vor neun Uhr abends, er fuhr durch die dunkle Stadt heimwärts und konnte nur noch an das eine denken: Bett! Decke bis über die Ohren und wie Dornröschen hundert Jahre lang schlafen!

Doch er hatte da so seine Zweifel, dass das möglich sein würde, denn da war das Haus, das auf dem Baugrund, der hinten an seinen und Leas Garten angrenzte, offensichtlich im Rekordtempo hochgezogen werden sollte.

Seit die Arbeiter vor etwa drei Monaten damit begonnen hatten, die halb verfallene Villa der längst verstorbenen alten Frau Ratmann abzureißen, redeten Lea und er nur noch aneinander vorbei. Und das, obwohl sie sich seither angewöhnt hatten, einander so laut anzuschreien, als lägen etliche Kilometer zwischen ihnen. Selbst dann, wenn sie sich am Frühstückstisch direkt gegenübersaßen.

Schatz, kannst du mir bitte mal die Butter reichen?

Was sagst du?

Die Butter!

Ja, sehr schön!

Wie bitte?

Deine Frisur! Du hast doch gerade gesagt, dass du gestern beim Friseur warst, oder?

Nein, heute Abend geht es nicht, Schatz. Bei mir wird es spät werden. Kannst du mir jetzt bitte die Butter geben?

Wie bitte?

Die Butter!!!

Danke, das wünsche ich dir auch, Liebling.

So oder so ähnlich liefen fast alle ihre Gespräche neuerdings ab. Wenn es etwas wirklich Wichtiges zu sagen gab, dann erledigten sie das nur noch schriftlich.

Besonders schlimm war es in der Donnerstagnacht, vor Beginn seines Sechzigstunden-Dienstes gewesen. Da hatten sie beide kein Auge zubekommen, weil nebenan bis weit nach Mitternacht durchgemacht wurde. Mit einer Flutlichtanlage, die ihr Schlafzimmer heller erleuchtet hatte, als die Sonne es selbst an den sonnigsten Hochsommertagen vermochte.

Dass er daraufhin die massiven Fensterläden entnervt zugeknallt hatte, hatte die Sache nur noch schlimmer gemacht. Das gleißende Licht war durch die Ritzen gedrungen und hatte das Schlafzimmer in ein überdimensionales Lakritzbonbon verwandelt. In eines von der gestreiften Sorte. Schwarz-weiß-schwarz-weiß.

Aber auch wenn das Licht nicht gewesen wäre, sie hätten sowieso nicht schlafen können, weil die teilweise recht zotigen Scherze, die die Bauarbeiter sich quer über das Grundstück hinweg zubrüllten, sie wach gehalten hätten.

Als er jetzt vor der verwinkelten alten Villa aus dem Auto stieg, in der er mit seiner Lebensgefährtin, der Kinder- und Jugendpsychologin Dr. Lea König, wohnte, war es still. Und dunkel.

Doch das würde nicht mehr lange so bleiben. In wenigen Stunden würde der Montagmorgen heraufdämmern, und die Baumaschinen würden wieder dafür sorgen, dass der Wecker auf seinem Nachtschränkchen Rumba tanzte, der Lüster über seinem Kopf hin- und herschwang und der Boden vibrierte.

Als Peter sich müde durch den Vorgarten schleppte, fragte er sich, ob es nicht erholsamer gewesen wäre, in der Sauerbruch-Klinik zu bleiben und gleich noch eine Schicht dranzuhängen.

Aber als er die Haustür aufsperrte, die weitläufige Eingangshalle betrat und den heimeligen Lichtschein sah, der durch die Milchglastür aus der Küche drang, wusste er wieder, warum er sich beeilt hatte, endlich nach Hause zu kommen.

„Wie schön, dass du noch wach bist. Ich hab dich ganz schrecklich vermiss…“

In diesem Augenblick explodierte irgendetwas. In der Mikrowelle. Peter fühlte sich wie in einen Horrorfilm versetzt, denn ein ganzer Schwall Blut schwappte im Inneren des Geräts gegen die hell erleuchtete Glastür.

„O Gott!“ Entsetzt starrte er auf das sich noch immer drehende Etwas, dessen Innereien sich in dem ziemlich großen Gerät bis in den hintersten Winkel verteilt hatten.

Als Unfallchirurg war Peter ja an so einiges gewöhnt, aber das hier sah so schrecklich aus, dass er schlagartig hellwach wurde.

„Wa… wen hast du da hineingetan, Schatz?“, erkundigte er sich verunsichert.

„Was heißt hier wen?“, brauste Lea kopfschüttelnd auf. Doch dann warf sie einen Blick auf die Mikrowelle. „Okay, es sieht tatsächlich so aus, als wäre Nachbars Katze hineingeraten“, musste sie schaudernd zugeben. „Aber reg dich nicht auf, das Rote ist nur die Himbeerfüllung.“

„Die Füllung von was?“

„Kuchen.“

„Du backst einen Kuchen?“

Jeder, der Lea kannte, hätte jetzt ähnlich belämmert dreingeschaut wie der Notarzt.

Die attraktive Psychologin hatte sich mit ihren sechsunddreißig Jahren längst einen herausragenden Ruf erarbeitet. Ihre Praxis war stets ausgebucht, ihre Vorträge und Seminare immer bis auf den letzten Platz ausverkauft, und wenn in den Medien irgendein brisantes Thema diskutiert wurde, war sie meistens die Erste, die um ihre Expertenmeinung dazu befragt wurde.

Auch in Haus und Garten war sie um einiges geschickter als Peter. Sie führte etliche Reparaturen selbst durch, sie wusste, wie Bäume und Sträucher fachgerecht zurückgeschnitten werden mussten, und wenn an ihrem Auto ein Scheinwerfer ausfiel oder eine Zündkerze kaputtging, dann tauschte sie die schadhaften Teile selbst aus.

Aber mit der Küche stand Lea auf Kriegsfuß. Da wollten ihr nicht einmal so einfache Sachen wir Rührei oder Tütensuppe gelingen.

Die Küche war Peters Reich. Er musste nie lange überlegen oder gar ein Kochbuch zurate ziehen. Er komponierte einfach nach Gefühl drauflos, und es schmeckte immer hervorragend.

Mit drei großen Schritten durchquerte er jetzt die Küche und schaltete die Mikrowelle aus, durch deren Ritzen bereits schwarzer, stinkender Qualm drang. Lea starrte kopfschüttelnd auf eine Schachtel, die sie in der Hand hielt.

„Ich verstehe das nicht! Das ist eine Backmischung, und Frau Grete von der Bäckerei hat mir versichert, dass selbst ein durchschnittlich intelligenter Schimpanse damit einen tadellosen Kuchen hinbekommen könnte.“ Sie hob lachend eine Hand hoch, als Peter zu einer Antwort ansetzte. „Sag nichts, was du hinterher bereuen könntest, Schatz!“

„Nein, nein, ich wollte dich nicht kritisieren“, winkte der Notarzt schmunzelnd ab. „Wenn du dich genau an die Anleitung gehalten hast, dann war womöglich der Inhalt der Packung nicht ganz in Ordnung. So was kommt vor.“

„Also, wortwörtlich habe ich mich nicht an die Anleitung gehalten“, gestand Lea. „Ich habe den Teig ein bisschen fester als vorgesehen gemacht, eine schöne Kuppel daraus geformt, die Himbeeren mit Zucker verrührt, sie oben hineingeleert, das Loch gut verkleistert und auch noch gleich die Schokoladenglasur drübergegossen. Wozu alles einzeln und nacheinander machen, wenn es auch in einem Aufwasch geht?“

„Ach, na dann …“ Peter musste sich das Lachen verkneifen. „Wahrscheinlich lag es an der Mikrowelle. Die ist eigentlich zum Kuchenbacken nicht so besonders geeignet. Für wen sollte das … ähm … Kunstwerk denn sein?“

„Für unsere neuen Nachbarn“, erwiderte Lea und machte sich seufzend daran, das Geschirr – sie hatte so ziemlich alles benutzt, was sie in den Schränken gefunden hatte – zu spülen. „Es ist hier in der Gegend so üblich, dass man neue Nachbarn mit irgendwas Selbstgebackenem willkommen heißt.“

„Ah, ich verstehe.“ Mit Schaudern erinnerte sich Peter an einen früheren Backversuch von Lea.

Der Kuchen, den sie ihm zum Geburtstag gebacken hatte, war so hart geworden, dass sie die Kerzenhalter mit dem Hammer hatte hineintreiben müssen. Das Krawumm!, mit dem er dann später in der Mülltonne aufgeprallt war, hatte sämtliche Bewohner der Panoramastraße aus dem Schlaf gerissen.

„Du denkst also, wenn du den Kuchen jetzt schon backst, dann ist er in einem oder zwei Jahren, wenn das Haus fertig gebaut ist und die Besitzer einziehen, weich und genießbar?“

„Nein, das dachte ich nicht!“ Lea überließ Peter gerne den Platz an der Spüle, als er ihr sanft die Drahtbürste entwand, mit der sie die Antihaftschicht aus einem Topf scheuerte. „Ich wollte ihnen den Kuchen morgen bringen. Die sind nämlich heute bereits eingezogen.“

Sie nickte, als Peter sie ungläubig anschaute.

„Doch, doch! Das Haus ist fix und fertig. Es muss so ein Fertigteilhaus gewesen sein. Und ich glaube, sie haben Kinder, denn als ich kurz vor Mittag zur Bäckerei ging, um Brötchen fürs Frühstück zu holen, habe ich im Vorgarten ein Kinderfahrrad gesehen. Deswegen habe ich ja die Backmischung gekauft.“

„Großartig!“ Peter freute sich wirklich. Darüber, dass endlich Schluss mit dem Baulärm war und auch über das fröhliche Kinderlachen, das demnächst aus dem Nachbargarten zu hören sein würde. Seiner Meinung nach gab es in diesem Wohnviertel ohnehin viel zu wenig junges Blut.

Die Aussicht auf eine ruhige Nacht und darauf, morgen lange schlafen zu können, verlieh ihm neue Kräfte, und als er sah, dass sämtliche Zutaten für einen neuen Kuchen und auch noch jede Menge Himbeeren vorhanden waren, machte er sich mit Feuereifer ans Werk.

„Angeber!“, spöttelte Lea, als keine zwei Stunden später eine prächtige Torte auf dem großen, bunten Kuchenteller stand. „Meiner wäre mindestens so schön geworden, wäre die Backmischung nicht irgendwie fehlerhaft gewesen.“

„Ganz bestimmt.“ Peter lachte. „Du kannst es ja morgen noch einmal versuchen und einen Kuchen für die Bauarbeiter backen.“

„Wieso für die Bauarbeiter?“, wunderte sich die Psychologin. „Ich dachte, die mochtest du nicht so besonders?“

Peter zögerte seine Antwort darauf so lange hinaus, bis er mit allem fertig war. Er stellte den Kuchen in den Kühlschrank, dann verließ er die Küche und lief die Treppe nach oben.

„Eben deshalb!“, rief er lachend über die Schulter zurück. „Damit sie auch ganz bestimmt keinen Fuß mehr in unser Wohnviertel setzen.“

Als Lea, das nasse Küchentuch schwingend, hinter ihm herrannte, legte er, vor gespielter Angst quiekend, einen Zahn zu.

***

Obwohl es ein sehr langer, anstrengender Tag gewesen war und Lucy vor Müdigkeit kaum noch geradeaus gucken konnte, war es ihr unmöglich, einzuschlafen.

„Achtung, Lucy, wir haben jetzt eine Treppe!“, ermahnte sie sich selbst, als sie nun schon zum dritten Mal in ihrem wunderschönen neuen Kinderzimmer aus dem Bett geklettert war und nach unten laufen wollte, um sich das neue Haus noch einmal genau anzuschauen. Das neue Haus im neuen Garten in der neuen Straße in der neuen Stadt!

Weil Papa trotz der mindestens hundert Ermahnungen auf Nummer sicher gehen wollte, hatte er aus dem gleichen Holz, aus dem das Treppengeländer gedrechselt worden war, auf dem obersten Treppenabsatz ein niedriges Absperrgitter mit einem Türchen anbringen lassen.

Sie hatten ja vorher keine Treppe gehabt, weil sie in einem ebenerdigen Bungalow gewohnt hatten. In Düsseldorf. Und Lucy ging nachts ganz gerne mal auf Wanderschaft. Entweder, weil sie zur Toilette musste oder ein Glas Wasser wollte, oder weil sie „schafwandelte“.

Lucy wusste natürlich, dass es schlafwandeln mit L heißen musste. Sie war ja immerhin schon vier Jahre alt und ganz bestimmt nicht auf den Kopf gefallen. Aber wenn Papa sie nachts irgendwo einsammelte und sie aufwachte und sich nicht auskannte, dann brachte Papa sie immer zum Lachen, wenn er sagte, dass das Schaf schon wieder gewandelt sei.

Dann stellte sie sich immer ein wollig weißes Schäfchen vor, das aufrecht auf den Hinterbeinen durch die Zimmer schlich und vorsichtig um alle Ecken lugte.

„Treppe!“, rief Papa von unten, als sie das Holztürchen öffnete und es zu quieken begann. Papa wollte nämlich auf Nummer super-extra-sicher gehen und hatte eine Alarmanlage an dem Türchen angebracht.

Papa hatte schon immer gut auf Lucy aufgepasst, aber seit Mama tot war, wollte er sie am liebsten in Watte packen oder sie sich in die Jackentasche stecken. Oder ihr wenigstens so ein Katzenglöckchen um den Hals hängen, damit er immer wusste, wo sie war und was sie gerade machte.

„Weiß ich schon!“, rief sie rasch, als sie hörte, wie er eine Umzugskiste fallen ließ und die Kellertreppe nach oben polterte. Er hatte panische Angst davor, dass ihr etwas zustoßen könnte. So wie Mama etwas zugestoßen war.

Mama hatte beim Radfahren immer, immer einen Helm aufgesetzt. Erstens, weil sie nicht dumm gewesen war, und zweitens, weil Papa ihr mindestens jeden Tag einmal gesagt hatte, sie solle den Helm nicht vergessen, wenn sie mit dem Rad fuhr.

Nur ein Mal, wirklich nur ein einziges Mal, da war sie ohne Helm gefahren. Weil sie bloß um die Ecke zum Supermarkt radeln wollte, um noch schnell Eier fürs Frühstück zu besorgen. Und ausgerechnet an diesem Abend hatte ein dummer, dummer Mann sich betrunken in sein Auto gesetzt, war mit einem Affenzahn aus seiner Garagenausfahrt geschossen und hatte sie totgemacht.

Manchmal, wenn Lucy nachts wach wurde, konnte sie Papa im Schlaf reden hören.

„Vergiss den Helm nicht, Melissa!“, rief er oft gleich fünfmal hintereinander. Dann wachte er auf und weinte. Und Lucy schlüpfte dann zu ihm ins Bett und tröstete ihn.

Nicht, dass sie nicht selbst auch traurig gewesen wäre, dass keine Mama mehr da war. Aber sie war damals ja erst zwei Jahre alt gewesen, und somit war diese schlimme Sache schon ihr halbes Leben lang her. Viele länger als bei Papa.