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Normalerweise ist Dr. Peter Kersten ein Ausbund an Freundlichkeit, Geduld und Einfühlungsvermögen. Doch an diesem Morgen erkennen ihn seine Mitarbeiter kaum wieder. Der Leiter der Notaufnahme an der Frankfurter Sauerbruch-Klinik ist wie ausgewechselt: Er herrscht seine Kollegen an, reagiert gereizt und unwirsch. Erst dem Klinikleiter Prof. Lutz Weidner gelingt es, den Grund für Peter Kerstens schwaches Nervenkostüm herauszufinden: Der Notarzt leidet unter höllischen Zahnschmerzen, die er aber unbedingt ignorieren will. Der sonst so mutige Mediziner hat nämlich Panik vor der dringend nötigen Zahn-OP, die ihn von seinen Schmerzen befreien könnte.
Als es schließlich gar nicht mehr anders geht, schleppt sich Dr. Kersten notgedrungen zu der renommierten Zahnarztpraxis, die ihm von einem Patienten empfohlen wurde. Doch was eigentlich das Ende seiner Qualen bewirken soll, erweist sich als Albtraum mit schrecklichen Folgen ...
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Seitenzahl: 126
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Zahn-OP mit bösen Folgen
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Iakov Filimonov / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9777-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Zahn-OP mit bösen Folgen
Dr. Kersten und ein ungewöhnlicher Fall
Von Karin Graf
Normalerweise ist Dr. Peter Kersten ein Ausbund an Freundlichkeit, Geduld und Einfühlungsvermögen. Doch an diesem Morgen erkennen ihn seine Mitarbeiter kaum wieder. Der Leiter der Notaufnahme an der Frankfurter Sauerbruch-Klinik ist wie ausgewechselt: Er herrscht seine Kollegen an, reagiert gereizt und unwirsch. Erst dem Klinikleiter Prof. Lutz Weidner gelingt es, den Grund für Peter Kerstens schwaches Nervenkostüm herauszufinden: Der Notarzt leidet unter höllischen Zahnschmerzen, die er aber unbedingt ignorieren will. Der sonst so mutige Mediziner hat nämlich Panik vor der dringend nötigen Zahn-OP, die ihn von seinen Schmerzen befreien könnte.
Als es schließlich gar nicht mehr anders geht, schleppt sich Dr. Kersten notgedrungen zu der renommierten Zahnarztpraxis, die ihm von einem Patienten empfohlen wurde. Doch was eigentlich das Ende seiner Qualen bewirken soll, erweist sich als Albtraum mit schrecklichen Folgen …
Als Dr. Erik Leopold am Freitagmorgen mit einer blutigen Platzwunde auf der Stirn in seine Praxis kam, wussten seine drei Mitarbeiterinnen sofort, was ihm zugestoßen war.
Es war längst kein Geheimnis mehr, dass seine Frau – um es mal höflich auszudrücken – sehr leicht die Geduld verlor, wenn nicht alles genau nach ihrem Kopf ging.
„Guten Morgen, meine Damen“, grüßte der attraktive fünfunddreißigjährige Zahnarzt freundlich. „Was denn?“, fragte er lachend, als er keine Antwort erhielt und nur betretenes Schweigen herrschte.
„Guten Morgen, Chef“, murmelte Nathalie, die Auszubildende, mit tief gesenktem Kopf. Sandra, die bereits fertig ausgebildete Zahnarzthelferin, nickte nur und rang sich ein Lächeln ab. Nina, die hinter dem Empfangstresen saß, Dr. Leopolds Termine koordinierte und den ganzen administrativen Kram erledigte, sog zischend die Luft ein.
„Wie ist das denn passiert?“, fragte Nathalie überflüssigerweise. Sie wollte einfach nur das peinliche Schweigen durchbrechen. „Tut es sehr weh?“
„Was denn? Ach, das! Geht schon“, winkte der Zahnarzt ab. „Ich bin mit dem Kopf genau gegen die Türkante gelaufen, als ich das Haus verlassen wollte.“ Erik tupfte mit einem Taschentuch das Blut von der Wunde, als ihm ein Tropfen ins linke Auge lief. „Nina, wären Sie bitte so nett, mit mir in den Behandlungsraum zu kommen, mir das zu desinfizieren und zu verbinden?“
Die Angesprochene schüttelte den Kopf.
„Das muss genäht werden, Eri… ähm … Dr. Leopold. Der erste Patient kommt um neun. Da können Sie vorher noch problemlos in die Notaufnahme der Sauerbruch-Klinik laufen und sich dort fachgerecht behandeln lassen. Andernfalls behalten Sie eine unschöne Narbe zurück, sofern Sie das Glück haben, dass die Wunde sich nicht entzündet.“
„Könnten Sie mir das nicht rasch zunähen?“ Erik schaute die Dreißigjährige mit der pfiffigen kastanienbraunen Kurzhaarfrisur flehend an.
Nina Bach war OP-Assistentin in der Städtischen Klinik gewesen. Vor zwei Jahren hatte sie ihren Mann dabei erwischt, wie er eines ihrer beiden Kinder – den damals erst viereinhalbjährigen Henri – schlug. Sie hatte ihn noch am selben Tag vor die Tür gesetzt und die sofortige Scheidung beantragt.
Ein Jahr lang hatte sie sich danach wie ein nicht besonders talentierter Jongleur gefühlt, dem das Kunststück gelingen sollte, zehn Bälle zugleich in der Schwebe zu halten.
Sie war fast am Ende ihrer Kräfte gewesen, als Erik Leopold die Praxis von einem Kollegen übernommen hatte, der in Rente ging. Sie hatte Dr. Leopold bei ihrem Vorstellungsgespräch offen über ihre Probleme aufgeklärt. Er hatte ihr dennoch eine Chance gegeben.
Sie war unheimlich froh und erleichtert gewesen, ihre Zwölfstundendienste und die wechselnden Tag- und Nachtschichten gegen normale Achtstunden-Arbeitstage tauschen zu können.
So dankbar sie dem Zahnarzt auch dafür war, dass er von Anfang an mitgeholfen hatte, ihr das stressige Leben als Alleinerziehende zu erleichtern – sie konnte jetzt nur abermals den Kopf schütteln.
„Es tut mir leid, Chef, aber dafür sind wir hier nicht eingerichtet. Sie müssen geröntgt werden.“ Sie deutete auf die stark blutende Wunde. „Ich kann sogar mit freiem Auge erkennen, dass Splitter in der Wunde stecken. Lacksplitter von der Tür“, fügte sie rasch hinzu, obwohl kein Zweifel daran bestand, dass es sich um Glassplitter handelte.
Ziemlich dicke Glassplitter sogar.
„Einige davon könnten tiefer eingedrungen sein. Wenn auch nur ein kleiner Splitter in der Wunde bleibt, haben Sie lebenslang Probleme mit Entzündungen. Oder es gerät ein kleiner Splitter in die Blutbahn und wird ins Gehirn oder zum Herzen gespült. Dann gnade Ihnen Gott.“
Sein verzweifelter Blick erregte ihr Mitgefühl. Sie kam hinter dem Tresen hervor.
„Aber ich kann die Wunde zumindest oberflächlich säubern und provisorisch verbinden, damit Sie nicht mit dem blutigen Cut die Straße entlanglaufen müssen. Kommen Sie, Herr Doktor.“
Sie ignorierte die wissenden Blicke, die ihre beiden Kolleginnen sich zuwarfen, und eilte den Gang entlang, der zu den beiden großen Behandlungsräumen, dem kleinen Röntgenraum, einem Büro und einem Ruheraum führte. Den Ruheraum nutzten Henri und Hannah, ihr fast sechsjähriger Sohn und ihre viereinhalbjährige Tochter, häufig als Spiel- oder auch als Krankenzimmer, wenn sie wieder einmal nicht wusste, wohin mit den beiden.
„Was war es denn diesmal?“, fragte Nina, kaum dass sie die Tür des Behandlungsraums hinter sich geschlossen hatte. Es lag kein bisschen Sarkasmus in ihrer Stimme. Nur aufrichtiges Mitgefühl.
Sie hätte Erik jetzt gerne umarmt und geküsst. Doch sie hatten vor zwei Wochen beschlossen, ihre Beziehung vorerst auf Eis zu legen. Obwohl sie einander seit über einem halben Jahr aufrichtig liebten.
„Eine Teetasse? Ein Wasserglas? Die Kaffeekanne kann es nicht gewesen sein. Die hast du ja schon vor fünf Wochen an den Kopf bekommen.“
„Bleikristallvase“, murmelte Erik mit gesenktem Kopf. Er setzte sich auf den Behandlungsstuhl, als Nina ihn mit einer Kopfbewegung dazu aufforderte.
„Großer Gott!“ Nina sog zischend die Luft ein. Sie konnte sich vorstellen, mit welcher Wucht Eriks Frau die Vase geschleudert haben musste, damit das dicke Glas an seinem Kopf zerbrach. „Was ist denn nun wieder vorgefallen? Weißt sie …?“ Nina suchte aus den Schränken und Schubladen zusammen, was sie brauchen würde. „Hat sie etwas über uns erfahren?“
„Nein!“ Dieser Gedanke schien Erik maßlos zu erschrecken. „Nein, sie hat keine Ahnung. Es ging um etwas anderes. Sie hat angeordnet, dass wir übers kommende verlängerte Wochenende ihre Eltern in Düsseldorf besuchen.“ Er lachte bitter auf. „Ich habe zu sagen gewagt, dass ich am Sonntagmorgen mit Freunden zum Fußballspielen verabredet bin.“
Er zuckte mit den Schultern und schüttelte zugleich den Kopf.
„Das hat ihr nicht gefallen.“
„Halt still jetzt.“ Nina beugte sich mit einer Pinzette über ihn. „Das kann ein bisschen wehtun, aber nur ganz kurz.“ Sie zog den größten Splitter aus der Wunde und ließ ihn klirrend in eine Auffangschale fallen. Dann nahm sie sich den nächsten vor. „Achtung, jetzt!“
Erik biss die Zähne fest zusammen.
„Hältst du es wirklich für nötig, dass ich in die Sauerbruch-Klinik laufe?“
Nina nickte und schaute sich die Wunde durch eine starke Lupe an.
„Jetzt noch mehr als zuvor. „Bleikristall, Erik. Das heißt so, weil Blei darin verarbeitet ist. Und Blei ist verdammt giftig, wie du weißt. Sag das dem behandelnden Notarzt, damit er wirklich gründlich nach kleinen Splittern sucht und die Wunde danach mit Selen spült. Das bindet eventuelle Nanopartikel von Schwermetallen an sich, die sonst in die Blutbahn gelangen könnten.“
„Okay, wenn du es sagst, dann mache ich es. Dir vertraue ich blind. Dir glaube ich alles.“
„Fast alles“, relativierte Nina seufzend.
„Was denn nicht?“ Erik zuckte ein bisschen zusammen, als ihn ein kalter Sprühstoß aus einer Flasche Desinfektionsmittel traf, mit dem Nina die provisorische Wundbehandlung abschloss.
„Wie oft habe ich dir schon dazu geraten, diese Verrückte zu verlassen, ehe es zu spät ist“, sagte sie leise. Sie legte eine dicke Wundauflage auf seine Stirn und fixierte sie mit Klebstreifen. „Und ich habe dir das ganz bestimmt nicht deshalb geraten, weil ich dich für mich haben möchte.“ Sie lachte wehmütig auf. „Oder eigentlich … nicht nur, um ehrlich zu sein.“
Sie seufzte tief und hielt Erik beide Hände hin, damit er sich daran hochziehen konnte.
„Seit einem Jahr beobachte ich nun schon, wie sich die Lage immer mehr zuspitzt. Anfangs waren es nur blaue Flecken und ein paar harmlose Kratzer. Jetzt sind es schon blutige Wunden. Was kommt als Nächstes?“
Sie tupfte mit einem Papiertuch ein paar Blutspritzer von seinem Gesicht.
„Merkst du denn nicht, wie sie immer tiefer in irgendeine Psychose abgleitet? Wie sie nach und nach auch noch die letzten Hemmungen verliert? Wirst du demnächst morgens mit einem Beil in deinem Schädel hier auftauchen? Oder mit einem Messer im Rücken? Wie lange willst du noch warten, bis du endlich begreifst, dass Ida total durchgeknallt ist?“
Sie wandte sich ab, um die benutzten Instrumente in den Sterilisator zu werfen.
„Liebst du sie denn so sehr, dass du einfach darüber hinwegsehen kannst, dass sie dich misshandelt?“
„Nein!“ Mit einem großen Schritt war er bei ihr, fasste sie an beiden Schultern und drehte sie zu sich herum. „Du bist es, die ich liebe, Nina. Das weißt du doch! Nur du. Dich liebe ich. Nach dir sehne ich mich Tag und Nacht. Du bist das Licht meines Lebens. Nur der Gedanke daran, vielleicht irgendwann einmal für immer mit dir zusammen sein zu können, hält mich noch aufrecht.“
„Irgendwann einmal!“ Sie lachte wehmütig. „Und wann wird das sein? In zwanzig Jahren? In fünfzig? Im nächsten Leben, so es denn eines gibt? Wie lange soll ich auf dich warten? Wie lange muss ich vor aller Welt verbergen, dass ich dich liebe?“
„Du weißt doch, warum ich sie vorerst nicht verlassen kann.“ Erik wollte Nina an sich ziehen, doch sie wich zurück.
„Nicht. Es braucht nur eines der Mädels hereinzukommen. Sie ahnen ohnehin schon was, aber noch ist es nur ein Verdacht. Wir sollten ihnen keinen Grund geben, etwas herumzutratschen, wovon Ida Wind bekommen könnte. Ich möchte mir nicht einmal vorstellen, was sie dir dann antun würde.“
Nina schaute misstrauisch zur geschlossenen Milchglastür. Als sie sicher war, dass ihre Kolleginnen sich vorne beim Empfang aufhielten, knüpfte sie wieder an das vorherige Thema an.
„Ich weiß natürlich, was du meinst, Erik. Du hast Angst, dass sie dir Theo wegnimmt. Glaubst du wirklich, dass sie das tun würde? Damit würde sie ihrem eigenen Kind doch genauso sehr schaden wie dir. Sie liebt den Jungen doch. Das hoffe ich zumindest.“
„Ha! Und ob sie das tun würde.“ Erik lachte auf, doch das Lachen klang nicht besonders fröhlich. „Sie hat mir gleich nach Theos Geburt klargemacht, dass ich meinen Sohn nie wiedersehe, sollte ich jemals auf die Idee kommen, sie zu verlassen.“
„Da hat doch aber auch das Familiengericht ein Wörtchen mitzureden.“
„Na klar!“, erwiderte Erik zynisch. „Wem, meinst du, wird der Richter glauben? Einem fast eins neunzig großen muskulösen Mann, der behauptet, seine zierliche kleine Frau würde ihn misshandeln und unterdrücken? Oder der zierlichen kleinen Frau, die unter einer wahren Tränenflut von dem unermesslichen Leid erzählt, das sie seit Jahren mit ihrem gewalttätigen Ehemann durchmacht?“
Nina seufzte. Sie hatten schon so oft darüber gesprochen und würden auch jetzt auf keinen grünen Zweig kommen. Der dreijährige Theo war Eriks Ein und Alles. Als Mutter konnte sie natürlich gut verstehen, dass alleine der Gedanke daran, den süßen kleinen Jungen nie wiedersehen zu dürfen, für Erik die Hölle sein musste. Dass er alles auf sich nehmen würde, damit dieser Fall niemals eintrat.
„Du musst jetzt gehen, sonst bist du nicht rechtzeitig zurück, wenn der erste Patient kommt.“ Sie legte ihm eine Hand auf den Rücken und schob ihn mit sanfter Gewalt zur Tür. „Denk nicht mehr drüber nach“, empfahl sie ihm, als sie seine feucht schimmernden Augen sah. Sie blickte nach oben. „Wenn irgendwer dort oben der Meinung ist, dass wir beide es verdient haben, glücklich zu sein, wird er sich schon einen Weg einfallen lassen.“
Erik seufzte verzweifelt auf.
„Du meinst, wir sollen einfach auf das Schicksal vertrauen?“
„Einfach ist es ganz bestimmt nicht“, widersprach Nina wehmütig lächelnd. „Aber ja, auf ein Wunder zu hoffen, ist wohl die einzige Möglichkeit, die wir haben.“
Sie öffnete die Tür und nahm einen unbeschwerten, fröhlichen Tonfall an.
„Sie haben noch genug Zeit, Doktor. Sie brauchen sich nicht zu hetzen. Wenn Sie es nicht rechtzeitig zurückschaffen, soll Sandra die Zahnreinigung eben ausnahmsweise einmal vor der Behandlung durchführen.“
***
Dr. Peter Kersten, der Leiter der Notaufnahme, war in der ganzen Frankfurter Sauerbruch-Klinik für seine Umgänglichkeit bekannt und beliebt.
Er hatte stets für jeden ein offenes Ohr. Er war – gerade mit Berufseinsteigern – sehr geduldig. Er hatte für fast alles Verständnis, brüllte nie herum, wie andere Oberärzte das gerne taten, und pflegte ein freundschaftliches Miteinander mit jedem einzelnen Mitglied seines Teams.
Ob das nun ein Vorgesetzter, ein Kollege, ein Krankenpfleger oder jemand vom Reinigungspersonal war, Peter behandelte alle gleich freundlich und respektvoll.
Das war zumindest bis gestern so gewesen. Seit heute um sieben, als er seinen Dienst angetreten hatte, war er nicht wiederzuerkennen. Er war übel gelaunt und fuhr seine Mitarbeiter wegen der kleinsten Lappalie unwirsch an. Er war fahrig, gereizt und nervös wie ein alter Kettenhund, und keiner wusste, warum.
Eben jetzt kam er nach der Behandlung einer simplen Kreislaufschwäche in den Bereitschaftsraum zurück.
Elmar Rösner, der rothaarige Assistenzarzt, der zuvor versucht hatte, ihm zu assistieren, wartete mit angehaltenem Atem auf eine Entschuldigung oder zumindest eine Erklärung.
Peter hatte seinen jungen Kollegen vorhin im Behandlungsraum wegen jeder Kleinigkeit angeblafft. So lange, bis Elmar nervös geworden und ihm eine Infusionsflasche aus der Hand gefallen war. Peter hatte ihn vor der Patientin grob heruntergeputzt und ihn mit ein paar ziemlich unschönen Bezeichnungen aus dem Behandlungsraum gejagt.
„Was war denn das vorhin?“, hakte Elmar trotzig nach, als Peter sich schweigend an seinen Schreibtisch setzte. „Hast du schlecht geschlafen? Bist du mit dem falschen Fuß aufgestanden? Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?“
„Mich fragst du das?“, brauste der Notarzt auf. „Frag dich lieber selbst, was mit dir los ist! Erst brauchst du ein halbes Jahr dazu, ein Blutentnahme-Set aus der Schublade zu holen. Dann gibst du mir eine Kinder-Braunüle für eine erwachsene Frau, und dann zerdepperst du auch noch eine volle Infusionsflasche!“, keifte er. „Mir scheint, du bist nicht nur nicht mit dem falschen Fuß aufgestanden, sondern du bist noch gar nicht aufgestanden. Du schläfst noch immer!“
„Huch!“ Jens Jankovsky, der fast zwei Meter lange Sanitäter der Notaufnahme, verdrehte grinsend die Augen. „Da ist aber heute einer richtig schlecht gelaunt!“
„Spar dir deine dummen Bemerkungen!“, schnauzte Peter nun auch den Sanitäter an. „Dich hat keiner nach deiner Meinung gefragt!“
„Einen wunderschönen guten Morgen allerseits!“ Mit diesem freundlichen Gruß betrat Prof. Lutz Weidner, der Chefarzt der Sauerbruch-Klinik, den Bereitschaftsraum. „Kollege Kersten!“ Er eilte auf Peters Schreibtisch zu. „Haben Sie schon diese interne Nachricht gelesen, die …?“ Weiter kam er nicht.
„Und wann hätte ich Zeit haben sollen, um was auch immer zu lesen?“, bellte Peter nun auch den Chefarzt an. „Soll ich mich vielleicht vierteilen? Was steht denn drin? Dass im Klinikpark eine Zecke gesehen wurde und wir deshalb alle sterben werden, wenn wir uns nicht sofort impfen lassen? Oder hat Direktor Rohrmoser aufgedeckt, dass im vergangenen Jahr ein Heftpflaster mehr als im vorletzten Jahr verbraucht wurde? Was?“