1,99 €
Wenige Tage vor Heiligabend ist in der Frankfurter Sauerbruch-Klinik noch nicht viel von Besinnlichkeit zu spüren. Heftige Schneefälle verursachen zahlreiche Unfälle, und das Wartezimmer der Notaufnahme wird gar nicht mehr leer. Doch ausgerechnet von der Kinderstation geht ein Zauber aus, der sich schon bald über die ganze Klinik legt. Da ist zum Beispiel der fünfjährige Maxim, der in seinem bisherigen Leben kaum einen schmerzfreien Moment erlebt hat und der zu schwach ist, auch nur einen Schritt zu gehen. Da ist der Kinderarzt Dr. Marius Heidecker, der vor Jahren von seiner großen Liebe verlassen wurde und auf einmal gerade dieser Frau wieder gegenübersteht. Und da ist Ennie, die bis vor Kurzem noch dachte, die Welt würde für sie nie wieder schön, und die jetzt das glücklichste Mädchen der Welt ist. Aber die Sechsjährige ist fest entschlossen, dieses Glück nicht für sich allein zu behalten. Sie will es an andere weitergeben. Und so kommt es, dass Ennie als kleine Weihnachtselfe dafür sorgt, dass es für alle in der Sauerbruch-Klinik richtig Weihnachten wird ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 118
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
... dann mach ich eure Wünsche wahr
Vorschau
Impressum
... dann mach ich eure Wünsche wahr
Dr. Kersten und eine ganz besondere »Weinachtselfe«
Karin Graf
Wenige Tage vor Heiligabend ist in der Frankfurter Sauerbruch-Klinik noch nicht viel von Besinnlichkeit zu spüren. Heftige Schneefälle verursachen zahlreiche Unfälle, und das Wartezimmer der Notaufnahme wird gar nicht mehr leer. Doch ausgerechnet von der Kinderstation geht ein Zauber aus, der sich schon bald über die ganze Klinik legt. Da ist zum Beispiel der fünfjährige Maxim, der in seinem bisherigen Leben kaum einen schmerzfreien Moment erlebt hat und der zu schwach ist, auch nur einen Schritt zu gehen. Da ist der Kinderarzt Dr. Marius Heidecker, der vor Jahren von seiner großen Liebe verlassen wurde und auf einmal gerade dieser Frau wieder gegenübersteht. Und da ist Ennie, die bis vor Kurzem noch dachte, die Welt würde für sie nie wieder schön, und die jetzt das glücklichste Mädchen der Welt ist. Aber die Sechsjährige ist fest entschlossen, dieses Glück nicht für sich allein zu behalten. Sie will es an andere weitergeben. Und so kommt es, dass Ennie als kleine Weihnachtselfe dafür sorgt, dass es für alle in der Sauerbruch-Klinik richtig Weihnachten wird ...
»Im Kindergarten hat Tante Sonja heute gesagt, dass der Advent die friedlichste Zeit im Jahr ist«, hatte die sechsjährige Adrienne Schönthal – ihre Eltern und Freunde nannten sie Ennie – beim Abendbrot verkündet. Sie hatte es nur für den Fall erwähnt, dass ihre Eltern vielleicht noch nicht wussten, dass gerade Advent war. Oder wenn sie es doch wussten, dann wussten sie vielleicht das mit der friedlichsten Zeit im Jahr noch nicht.
»Ja, das stimmt«, hatten Mama und Papa fast gleichzeitig erwidert. Sie wussten es also doch. Trotzdem hatten sie ihre Streitereien nahtlos fortgesetzt.
»Du hast schon wieder gekleckert, Daniel! Kannst du nicht ein bisschen besser aufpassen? Die rote Soße ist aus der weißen Tischdecke fast nicht mehr herauszubekommen.«
»Ich verstehe nicht, warum du überhaupt eine weiße Tischdecke auf den Esstisch tust, Lisa, wenn du dann jedes Mal nörgelst. Tu sie doch weg. Kein Mensch braucht eine Tischdecke und schon gar keine weiße.«
»Entschuldige bitte, dass ich versuche, unser Heim so gemütlich wie möglich zu gestalten!«
»Es ist aber nicht gemütlich! Wie kann es denn gemütlich sein, wenn du ständig nörgelst?«
»Ich müsste nicht nörgeln, wenn du ein bisschen rücksichtsvoller wärst und nicht dauernd kleckern würdest!«
»Rücksichtsvoller? Ja, denkst du denn vielleicht, ich kleckere mit Absicht? Ich kleckere aus Angst! Weil ich spüre, wie du ständig darauf lauerst, dass ich kleckere, damit du endlich wieder einen Grund zum Nörgeln hast.«
»Ach, jetzt bin ich also daran schuld, dass du kleckerst?«
»Das habe ich nicht gesagt! Ich sagte lediglich, dass ich es nicht mit Absicht mache.«
»Ob mit oder ohne Absicht – lass es einfach sein!«
»Okay! Bravo! Großartig! Jetzt hast du es wieder einmal geschafft! Vielen Dank auch!« Papa hatte sein Besteck auf den noch fast vollen Teller fallen lassen und war aufgestanden.
»Wo gehst du hin, Daniel? Wir sind noch nicht fertig. Es gibt doch noch Nachtisch.«
»Danke, kein Bedarf. Mir ist der Appetit vergangen. Ich denke, ich werde in Zukunft auswärts essen, damit deine saublöde Tischdecke schön sauber bleibt!«
»Daniel! Achte auf deine Worte! Ennie plappert dir doch immer alles nach.«
»Saublöd!«, hatte Ennie prompt gesagt.
»Na, bitte! Bitte sehr! Hast du das gehört? Hast du? Ja? Da hast du es! Bist du jetzt zufrieden?«
»Von saublöd geht die Welt nicht unter. Schlimmer wäre es, wenn sie sich dein ständiges Keifen und Nörgeln angewöhnen und genauso eine Schreckschraube wie du werden würde.«
»Schreckschraube? Schreckschraube! Also, bitte! Ich müsste dich nicht ständig ermahnen, wenn du ...«
»Weiß ich schon!«
»Dann halte dich doch daran, wenn du es weißt! Daniel? Daniel! Wo gehst du hin?«
»Ins Gasthaus! Essen! Dort muss ich keine Angst haben, dass der Kellner mich anschreit, wenn ein Krümel neben den Teller fällt!«
»Ich habe dich nicht angeschrien! Ich habe dich lediglich darum gebeten ...«
Rumms, war die Haustür hinter Papa ins Schloss gefallen. Mama war so wütend gewesen, dass die Salatschüssel zerbrochen war, weil sie sie ein bisschen zu heftig in die Spüle gepfeffert hatte.
Jetzt lag Ennie schon seit einer ganzen Weile in ihrem Bett, dachte über alles das nach und konnte nicht einschlafen. Sie hatte vorhin so getan als ob, weil sie gewollt hatte, dass Mama mit dem Vorlesen aufhörte.
Ennie bekam jeden Abend vor dem Einschlafen eine Gutenachtgeschichte vorgelesen. Normalerweise liebte sie das sehr und hätte am liebsten noch eine zweite und eine dritte Geschichte gehört. Bloß heute nicht. In der Weihnachtsgeschichte, die Mama vorzulesen begonnen hatte, hatten sich die Weihnachtselfe, der kleine weiße Hase und die Engelchen nämlich ständig nur angebrüllt.
Das hatte natürlich nicht an der Geschichte gelegen, sondern an Mama, die noch immer so wütend gewesen war, dass alles so geklungen hatte, als ob sich alle anbrüllen würden.
»Es schneit!!!«, sagte der kleine weiße Hase!!! Er riss sein Schnäuzchen weit auf und fing die weichen, weißen Flocken mit seiner Zunge auf!!!
»Wie schön!!!« Tiffie, die Weihnachtselfe, nahm eine Handvoll Schnee, formte eine Kugel daraus und rollte sie über die Wiese!!! »Helft mit!!! Wir bauen einen Schneemann!!!«
Ennie vermutete, dass der Schneemann später zum Leben erwachen würde, wenn er fertig gebaut war. Sie hätte wirklich gerne gehört, ob sie recht hatte. Aber sie war sicher gewesen, dass auch der Schneemann genauso gereizt herumschreien würde wie all die anderen. Deshalb hatte sie lieber die Augen zugemacht und so getan, als wäre sie eingeschlafen.
Schreiende Elfen und Häschen waren irgendwie nicht schön. Und Engel sollten schon gar nicht schreien. Die wohnten doch im Himmel, und Ennie wollte nicht, dass auch im Himmel gestritten wurde. Schon gar nicht in der friedlichsten Zeit des Jahres.
Jetzt kam Papa endlich nach Hause. Obwohl ihr Fenster geschlossen war, hörte Ennie, wie die Gartentür quietschte. Die quietschte schon lange. Es hörte sich immer so an, als ob jemand einer Katze auf den Schwanz treten würde. Auch darüber stritten Mama und Papa sich ständig.
»Kannst du nicht endlich mal die Gartentür ölen, wie du es versprochen hast?«
»Okay, morgen. Da muss ich erst zum Heimwerkermarkt und Schmieröl besorgen.«
»Das sagst du nun schon seit Jahren! Morgen, morgen, morgen! Wann ist denn nun endlich morgen?«
»Da kann man mal sehen, wie maßlos du übertreibst! Wir haben das Haus erst seit sechs Monaten. Ich kann also gar nicht seit Jahren sagen, dass ich es morgen mache!«
Als sie hörte, wie ein Schlüssel ins Schlüsselloch der Haustür gesteckt und herumgedreht wurde, biss Ennie die Zähne zusammen und hielt den Atem an.
Nicht schimpfen, Mami, bitte, bitte, bitte nicht schimpfen, flehte sie in Gedanken. Doch ihre Bitte wurde nicht erhört. Mama schien bereits hinter der Tür gewartet zu haben und legte sofort los.
»Nett, dass du mich mit der ganzen Arbeit alleine lässt und gemütlich essen gehst! Hat es denn wenigstens geschmeckt?«
»Besser als hier auf alle Fälle!«
»Oh! Vielen Dank! Ich habe ja auch nur zwei Stunden lang vorm Herd gestanden, um dein Lieblingsessen zuzubereiten! Macht ja nichts! Kippen wir doch deine Portion einfach ins Klo, nicht wahr?«
»Stell's in den Kühlschrank. Ich esse es morgen.«
»Lasagne kann man nicht morgen essen, weil morgen der Käse hart ist!!!«
»Ich kann sie ja in der Mikrowelle ...«
»Weißt du, wie kompliziert es ist, eine Lasagne zu machen? Na? Weißt du das? Ha! Natürlich weißt du es nicht! Du weißt ja nie etwas! Ich stelle mich doch nicht drei Stunden lang in die Küche, nur damit du die Lasagne dann in der Mikrowelle ...«
»Dann kipp sie doch ins Klo! Mir doch egal, verdammt noch mal! Du gehst mir auf die Nerven!«
»Du gehst mir schon lange auf die Nerven!«
»Dann geh doch! Lass dich scheiden und such dir irgendeinen Hanswurst, der sich von dir herumkommandieren und anschreien lässt!«
»Wenn hier jemand geht, dann bist das wohl du! Ennie und ich, wir bleiben hier im Haus!«
»Du glaubst doch nicht, dass ich dir Ennie überlasse? Damit du sie zu genau so einem Drachen erziehst, wie du einer bist?«
»Ich fürchte, das wirst nicht du zu bestimmen haben, wer Ennie bekommt. Bei einer Scheidung werden kleine Kinder prinzipiell der Mutter zugesprochen.«
»Das war vielleicht früher einmal so. Heutzutage werden die Kinder gerecht aufgeteilt.«
»Ha! Das werden wir schon sehen!«
»Und wie wir das sehen werden!«
Das Gezänk ging ganz lange hin und her. Und es hörte sich kein bisschen besser und erwachsener an als die Streitereien, die es manchmal im Kindergarten gab.
Hab ich nicht! Hast du doch! Das wird dir noch leidtun! Wird es nicht! Wird es doch! Du bist doof! Bin ich nicht! Bist du doch! Das sag ich Tante Sonja! Tust du nicht! Tu ich doch! Blöde Petze! Selber blöde Petze!
Das angestrengte Lauschen war so ermüdend, dass Ennie die Augen zufielen und sie endlich einschlief.
***
Ennie hatte einen Traum. Einen ganz entsetzlichen, fürchterlichen und schrecklichen Traum.
Sie kam vom Kindergarten nach Hause. Im Traum durfte sie schon alleine nach Hause gehen. Das durfte sie in Wirklichkeit nicht. Da wurde sie immer abgeholt, obwohl sie doch im Frühling schon sechs wurde und bald zur Schule gehen durfte.
Als sie das Haus betrat, stritten Mama und Papa natürlich wieder einmal. Sie stritten sich so laut, dass sie Ennie gar nicht kommen hörten.
Früher hatten sie sich nie gestritten. Da hatten sie viel gelacht und sich geküsst und all so was. Das Streiten hatte erst angefangen, nachdem sie in das neue Haus gezogen waren.
Papa hatte sich für das neue Haus Geld von der Bank ausleihen müssen. Papa war Klempner und hatte zusammen mit einem Freund, der auch Klempner war, eine kleine Firma. Seit sie das neue Haus hatten, musste Papa doppelt so viele verstopfte Toiletten und tropfende Wasserhähne reparieren wie zuvor. Manchmal sagte er, das neue Haus würde ihm die Haare vom Kopf fressen.
Ennie guckte immer ganz genau, ob schon welche fehlten. Aber Papa hatte so viele Haare, dass man nicht sagen konnte, ob schon welche gefressen worden waren oder nicht.
Sie stand in ihrem Traum also in der Diele und hörte zu, wie die beiden sich zankten. Sie stritten darüber, wie Ennie nach der Scheidung gerecht aufgeteilt werden sollte.
»Ich behalte auf alle Fälle den Kopf!«, sagte Mama. »Ich bin schließlich diejenige, die ihr ständig die Haare kämmt und die Ohren putzt. Du würdest das vergessen oder es nur schlampig machen, und dann sähe sie in ein paar Tagen wie ein verfilzter Wischmopp aus!«
»Ach ja? Und was soll ich mit dem Rest anfangen? Ich könnte dann ja nicht mal mit ihr ins Kino gehen, weil sie den Film ohne Kopf doch nicht sehen würde!«
»Ha, ha, ha, wann gehst du schon mal mit ihr ins Kino? Du hast ja ohnehin nie die Zeit, auch mal etwas mit ihr zu unternehmen! Du bist ja nie da!«
»Und warum?«, brüllte Papa. »Warum bin ich nie da? Weil ich das ganze Geld heranschaffen muss, damit Madame im Luxus leben kann. Darum! Nein, nein, Ennie wird gerecht aufgeteilt. So, wie es der Herr von der Scheidung gesagt hat. Jeder bekommt exakt die Hälfte!«
»Wenn wir sie der Länge nach aufteilen, dann hätte jede Hälfte doch nur noch eine Hand und ein Bein. Wie soll sie dann noch seilspringen? Wo sie doch so gerne seilspringt! Wie soll sie mit nur einem Bein Radfahren, Skilaufen oder schwimmen?«
»Dann muss sie eben Dinge tun, für die man nur eine Hand und ein Bein braucht. Lesen, zum Beispiel.«
»Mit nur einem Auge kann man nicht gut lesen.«
»Kann man doch.«
»Und was, wenn sie einmal eine Brille braucht? Wie soll man eine Brille an nur einem Ohr und einer halben Nase befestigen?«
»Wieso sollte sie eine Brille brauchen?«
»Vom Lesen mit nur einem Auge natürlich!«
Ennie schlich auf Zehenspitzen näher an die Küchentür heran und linste vorsichtig um die Ecke. Was sie da sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren, die Haare zu Berge stehen, und ihre Zähne fingen so laut zu klappern an, wie es die Wäscheklammern immer taten, wenn sie den Beutel fest schüttelte, in dem Mama sie aufbewahrte.
Auf dem Küchentisch lag eine riesige Säge! Sie hatten schon alles vorbereitet, um sie aufzuteilen, und warteten nur noch auf sie.
Und da ihre Zähne so schrecklich laut klapperten, entdeckten sie sie natürlich sofort.
Sie kamen beide, jeder ein zuckersüßes Lächeln im Gesicht, mit ausgestreckten Armen auf sie zu.
»Nein!«, schrie Ennie laut auf. »Nein!« Sie wollte weglaufen, aber das klappte nicht richtig. Sie konnte nur ganz, ganz langsam laufen. So, wie wenn man bis zum Hals im Wasser des Schwimmbeckens stand und zu laufen versuchte.
Mama erwischte sie zuerst. Sie packte sie am Arm und ...
»Es ist nur ein Traum, Mäuschen. Nur ein Traum. Hab keine Angst.«
Ennie schlug die Augen auf. Sie konnte spüren, dass ihr Schlafanzug durch und durch nass geschwitzt war. Ihr Herz klopfte wie verrückt, und sie konnte nur ganz flach atmen.
»Du hast geschrien, Ennie. Hat dich im Traum ein Ungeheuer verfolgt?« Mama nahm sie in die Arme und wiegte sie sanft hin und her.
Ennie nickte. »Und ich konnte nicht laufen. Bloß so wie im Schwimmbecken.«
»Das kenne ich.« Mama lachte leise und strich ihr sanft eine Locke aus der schweißnassen Stirn. »Das ist oft so. Jeder hatte schon mal so einen Traum, in dem er plötzlich nicht mehr laufen konnte.«
»Warum ist das so?«
Mama zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Die Psychologen sagen, dass einen das Unterbewusstsein damit auf etwas aufmerksam machen will.«
»Auf was?«
»Auf eine Gefahr vielleicht. Vielleicht solltest du in nächster Zeit auf dem Spielplatz langsamer laufen, weil du sonst womöglich hinfällst und dich verletzt?«
»Ah ja, kann sein«, behauptete Ennie, obwohl sie ganz genau wusste, vor welcher Gefahr ihr Unter...dings sie in Wahrheit warnen wollte. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und ...
»Mama, haben wir eine Säge?«
»Oh ja, eine ganz große Säge sogar. Papa bewahrt sie im Werkzeugschrank in der Garage auf. Warum fragst du?«
»Nur so.«