Der Notarzt 417 - Karin Graf - E-Book

Der Notarzt 417 E-Book

Karin Graf

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Beschreibung

Die dreiundzwanzigjährige Veronika ist voller Vorfreude, als sie die Frankfurter Sauerbruch-Klinik betritt. Sie kann ihr Glück, in diesem renommierten Krankenhaus eine Stelle als Assistenzärztin ergattert zu haben, kaum fassen.
An ihrem ersten Arbeitstag wird sie von Dr. Ulrich Zelenka, dem Leiter der Pathologie, direkt in die Arbeit eingewiesen. Der ältere Mediziner ist begeistert von seiner neuen Unterstützung. Sie ist genau so, wie er es sich gewünscht hat: intelligent, fleißig, kollegial und mit Leidenschaft bei der Arbeit.
Als ein Notfall in die Sauerbruch-Klinik eingeliefert wird, wird Veronika aus der Pathologie in die Notaufnahme gerufen, um dort zu unterstützen. Doch ausgerechnet hier passiert ihr ein schrecklicher Fehler.
Den Mitarbeitern der Notaufnahme stockt der Atem, als sie erkennen, was Veronika getan hat. Offensichtlich hat sich hier eine Katastrophe ereignet, wie es sie in der Geschichte der Sauerbruch-Klinik noch nie gegeben hat ...


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Seitenzahl: 121

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Abgelenkt

Vorschau

Impressum

Abgelenkt

In der Klinik kommt es zu einer folgenschweren Verwechslung

Karin Graf

Die dreiundzwanzigjährige Veronika ist voller Vorfreude, als sie die Frankfurter Sauerbruch-Klinik betritt. Sie kann ihr Glück, in diesem renommierten Krankenhaus eine Stelle als Assistenzärztin ergattert zu haben, kaum fassen.

An ihrem ersten Arbeitstag wird sie von Dr. Ulrich Zelenka, dem Leiter der Pathologie, direkt in die Arbeit eingewiesen. Der ältere Mediziner ist begeistert von seiner neuen Unterstützung. Sie ist genau so, wie er es sich gewünscht hat: intelligent, fleißig, kollegial und mit Leidenschaft bei der Arbeit.

Als ein Notfall in die Sauerbruch-Klinik eingeliefert wird, wird Veronika aus der Pathologie in die Notaufnahme gerufen, um dort zu unterstützen. Doch ausgerechnet hier passiert ihr ein schrecklicher Fehler.

Den Mitarbeitern der Notaufnahme stockt der Atem, als sie erkennen, was Veronika getan hat. Offensichtlich hat sich hier eine Katastrophe ereignet, wie es sie in der Geschichte der Sauerbruch-Klinik noch nie gegeben hat ...

Bei Inlandsflügen waren eigentlich immer noch ein paar Restplätze frei, deshalb hatte Arthur Christ sich auch gar nicht erst die Mühe gemacht, vorher ein Ticket zu buchen.

Das hätte er auch gar nicht gekonnt, denn er hatte erst vor rund einer Stunde die dringende Anfrage erhalten, ob er am Frankfurter Schauspiel kurzfristig als Lysander im Sommernachtstraum einspringen könnte.

Der Kollege, der ursprünglich dafür vorgesehen gewesen war, war während der Probe von der Bühne in den Zuschauerraum gestürzt und hatte sich dabei so schwer verletzt, dass in den nächsten paar Monaten nicht mehr mit ihm zu rechnen sein würde.

Auch wenn es langweilig war, dieselbe Rolle, die er erst am St. Pauli Theater hier in Hamburg abgespielt hatte, ein paar weitere Monate lang zu spielen, so freute er sich dennoch über das Angebot, denn er war noch jung und brauchte das Geld.

Mit sechsundzwanzig Jahren stand er erst am Beginn seiner beruflichen Karriere. Da war es noch nicht selbstverständlich, von einem Engagement gleich zum nächsten zu wechseln oder an einer der großen Bühnen fest angestellt zu werden.

Viele seiner gleichaltrigen Kollegen rannten ergebnislos von einem Vorsprechen zum anderen und mussten sich mit Hilfsarbeiten durchs Leben schlagen, bis sie endlich wieder irgendwo eine Rolle ergatterten.

Er bildete sich nicht ein, besser als seine Kollegen zu sein. Er hatte vermutlich einfach gerade eine Glückssträhne. Und die musste er nutzen, solange es gut für ihn lief.

Deshalb hatte Arthur sich auch nicht lange geziert und behauptet, er müsse das erst mit seinem Agenten – den er nicht hatte – besprechen, wie das in seinen Kreisen so üblich war, um das Honorar nach oben zu drücken.

Er hatte sofort verbindlich zugesagt und nicht damit hinterm Berg gehalten, wie sehr er sich über dieses Angebot freute. Er hatte umgehend seinen Rucksack gepackt, das Zimmer in der billigen Pension in Hamburg gekündigt und sich auf den Weg zum Flughafen gemacht.

Als er jetzt jedoch die mindestens fünfzigköpfige Reisegruppe sah, die lärmend durch die Türen in die Abflughalle drängte, fragte er sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, sich vorab telefonisch nach freien Plätzen in der Maschine zu erkundigen, die in einer Dreiviertelstunde in Richtung Frankfurt abheben sollte.

Es war ihm klar, dass seine Hoffnung illusorisch war, dass auch diese lärmende Truppe für Restkarten anstehen wollte. Dass sie für den nächsten Flug einchecken wollten, der nach Sydney ging, war ebenfalls unrealistisch. Dazu hatten sie zu wenig Gepäck, stattdessen jedoch zu viele Babys und Kleinkinder bei sich.

Dennoch beeilte er sich, vor ihnen an den betreffenden Terminal zu gelangen, und seufzte erleichtert auf, als er wenig später seine Bordkarte in der Hand hielt.

Um seine Sorgen erleichtert, konnte er jetzt die restliche Wartezeit mit einer seiner Lieblingsbeschäftigungen herumbringen. Mit Charakterstudien.

Kein Ort auf der Welt war dafür geeigneter als Flughäfen und Bahnhöfe. Menschen, die verreisten, solche, die sich von ihren Lieben verabschiedeten, und jene, die lange vermisste Angehörige abholten, hatten sich selten unter Kontrolle und stellten die gesamte Bandbreite ihrer Gefühle offen zur Schau.

Helle Aufregung. Vorfreude auf die große Reise. Angst vor dem langen Flug. Abschiedsschmerz. Gewissensbisse, wenn man von jemandem Abschied nahm, der selbst noch nie eine Flugreise unternommen hatte. Sorge um die, die man zurücklassen musste. Wiedersehensfreude. Befangenheit, wenn man jemanden abholte, den man jahrelang nicht gesehen hatte. Angespanntheit und Nervosität.

Alles, jedes einzelne Gefühl, zu dem ein Mensch fähig war, war hier vertreten. Und so manches Mal hatte Arthur sich schon eine solche Begegnung in Erinnerung gerufen, wenn er eine neue Rolle einstudierte. Menschen in außergewöhnlichen Situationen zu beobachten, gehörte zu seinem Handwerk.

Die chaotische Reisegruppe, die sich jetzt um den Bordkartenautomaten drängte, kam ihm wie ein riesiger Heimwerkermarkt vor, bei dem er sich kostenlos mit dem für ihn so wichtigen Handwerkszeug eindecken konnte.

Bei näherer Betrachtung schien es sich doch nicht um eine Reisegruppe zu handeln, denn nur eine der geschätzten fünfzig Personen hatte ein Gepäckstück – einen ziemlich ramponierten Trolley – dabei.

Die anderen Personen waren offensichtlich Mitglieder einer Familie. Einer Großfamilie. Nein, einer XXL-Familie. Vom wenige Wochen alten Säugling bis zur hundertjährigen Urgroßmutter musste es sich hierbei wohl um mindestens vier Generationen handeln. Fünf, wenn die weißhaarige alte Dame, die hier unüberhörbar das Kommando führte, so alt war, wie sie aussah, und vielleicht sogar dreimal Ur vor der Großmutter stehen hatte.

Die Reisende war eine junge Frau. Arthur schätzte sie auf maximal Mitte zwanzig. Sie war hübsch. Sehr hübsch sogar. Groß, makellose Figur und kastanienbraune Haare, die sich in einer Fülle nicht zu bändigender Locken um Gesicht und Schultern kringelten.

Wie es aussah, war die junge Frau – genauso wie auch der Rest der Familie – noch nie geflogen. Jeder Einzelne von ihnen – die beiden Säuglinge, die vier oder fünf Babys, die sieben oder acht Kleinstkinder und die rund zwanzig Kinder ausgenommen – versuchte jetzt, aus dem Automaten schlau zu werden.

Arthur, der alle Nase lang mit dem Flugzeug irgendwohin flog, hätte ihnen helfen können. Das hatte er auch vor, aber nicht sofort. Er wollte das amüsante Schauspiel noch eine Weile beobachten.

»Gut möglich, dass man da irgendwo hineinsprechen muss«, schlug die zwei oder dreimal Ur-Großmutter vor und rief ein freundliches »Hallo? Veronika braucht bitte eine Bordkarte, damit sie in den Flugapparat einsteigen darf!« lautstark in jede Öffnung des Automaten.

»Du glaubst doch nicht etwa, dass da drinnen jemand sitzt, der uns dann eine Bordkarte herausreicht, Oma Auguste«, erwiderte ein etwa siebzigjähriger Mann lachend. Er beugte sich geschäftig über den Touchscreen. Doch eine etwa gleichaltrige Dame schubste ihn sanft beiseite.

»Fass das Ding lieber nicht an, Konrad!«, mahnte sie gutmütig lachend. »Du schaffst es ja noch nicht mal, ein U-Bahn-Ticket aus dem Automaten zu ziehen, ohne dass der Automat danach kaputt ist. Lass Papa ran. Papa hat Technik studiert.«

»Ja, aber vor sechzig Jahren!«, entgegnete ein sehr alter Herr. »Da gab es solche neumodischen Dinger doch noch gar nicht. Ich habe noch gelernt, wie man Dampflokomotiven baut.«

Uroma Auguste, die vermutlich die Mutter des alten Herrn war, verpasste ihrem Sohn einen Klaps mit der Krücke auf den Po.

»Technik ist Technik, August! Kennt man eine Maschine, kennt man sie alle. Mach voran, sonst verpasst Veronika am Ende noch den Flugapparat!«

»Also gut, probieren kann ich es ja.« August beugte sich nun seinerseits über den Bildschirm. Er setzte seine Lesebrille auf und studierte leise murmelnd die Instruktionen. Dann streckte er fordernd die Hand aus. »Ich brauche den Buchungsbeleg von deinem Ticket, Nika.«

Die bildhübsche junge Frau gab ihm das Gewünschte. Er tippte auf dem Touchscreen herum, dann nickte er zufrieden.

»Erledigt! Die Bordkarte wird jetzt direkt auf dein Handy gesendet.«

»Ach nein, was hast du gemacht, Opa August?«, protestierte die Angesprochene. »Dazu bräuchte ich doch ein Smartphone mit Internetzugang. Ich habe aber bloß ein gewöhnliches Handy. Was mache ich denn jetzt?«

Als Arthur sah, dass die als Veronika benannte junge Frau den Tränen nahe war, machte ihm die Beobachtung der turbulenten Szene keinen Spaß mehr. Er drängte sich durch die aufgeregt durcheinander schnatternde Gruppe bis zu ihr durch.

»Kein Grund zur Sorge«, versicherte er ihr. »Gehen Sie direkt zum Terminal, die werden das korrigieren und Ihnen eine Bordkarte geben. Fliegen Sie nach Frankfurt?«

Sie schaute aus großen moosgrünen Augen, die jetzt in Tränen schwammen, zu ihm auf, schluckte und nickte.

»Dann ist das die Nummer acht. Dort drüben.«

»Aber Opa August hat meine Buchungsnummer und meine Handynummer schon hier eingegeben, und der Kasten versucht jetzt wohl, die Bordkarte auf mein Handy zu senden.«

Sie hob ihr vorsintflutliches Mobiltelefon hoch.

»Das kann so was aber nicht. Das kann bloß telefonieren.«

»Das macht gar nichts«, beruhigte er sie. »Die Leute am Terminal bringen das wieder in Ordnung. Vertrauen Sie mir.«

Arthur konnte sich gerade noch rechtzeitig mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit bringen, als die Großfamilie sich jetzt in Bewegung setzte und wie eine sturmgepeitschte Meereswelle in die Richtung der Terminals schwappte.

»Danke! Vielen Dank!«, rief Veronika, die von ihrer Familie gnadenlos vorwärts geschoben wurde, über die Schulter zurück.

»Netter Junge«, hörte er eine der sehr betagten Damen sagen. »Und er sieht rattenscharf aus, wenn du mich fragst, Kleines. Ich wette, der macht sehr hübsche Kinder.«

»Wenn du in der Flugmaschine in seiner Nähe zu sitzen kommst, Liebes, dann frag ihn doch nach seiner Telefonnummer«, instruierte Auguste ihre Urenkelin. »Einen Job hast du ja nun schon, als Nächstes brauchst du jetzt einen Ehemann.«

Arthur musste lachen. Er konnte sich gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlte, eine so große Familie zu haben.

Er selbst war das Einzelkind einer Alleinerziehenden. Da seine Mutter ihre Mutterpflichten kurz nach seiner Volljährigkeit für erfüllt und erledigt erachtet und sich mit einem pensionierten Opernsänger auf die Bahamas abgesetzt hatte, hatte er inzwischen gar keine Familie mehr. Zumindest nicht in greifbarer Nähe.

Fünfzig Verwandte – und das war vermutlich nur der engere Familienkreis –, die einen zum Flughafen brachten, einen wieder abholten, mit einem Geburtstag oder Weihnachten feierten und einen dreimal am Tag anriefen, um sich zu erkundigen, ob man wohlauf war oder etwas brauchte, das musste entweder der Himmel auf Erden sein oder die Hölle.

Die hübsche Veronika schien es allerdings zu genießen, dass sie jetzt von jedem einzelnen mehr oder weniger erwachsenen Familienmitglied hochgehoben und geküsst und überschwänglich zu der unglaublichen Meisterleistung beglückwünscht wurde, sich am Terminal eine Bordkarte geholt zu haben.

»Ich hab wirklich eine gekriegt!«, rief sie ihm zu und winkte mit dem Ticket. »Ich hab sie! Danke! Vielen, vielen Dank!«

Er winkte lächelnd zurück. Mittlerweile hoffte er genauso wie Uroma Auguste, dass er im Flugapparat in Veronikas Nähe zu sitzen kam und sie ihn nach seiner Telefonnummer fragte.

Sie war nämlich nicht nur hübsch, sondern schien auch erfrischend unkompliziert, natürlich und herzlich zu sein. Ganz anders als die mitunter recht überkandidelten und neurotischen Schauspielerinnen, mit denen er sonst immer zu tun hatte.

***

»Nein!«, rief Marianne Hoppe erschrocken, als der Chefarzt der Frankfurter Sauerbruch-Klinik sie darum bat, schnell mal ins vierte Untergeschoss der Klinik hinunterzulaufen, um Dr. Zelenka, dem Leiter der Pathologie, etwas zu bringen. »Da müssten Sie mich vorher schon erschießen, ehe ich das mache«, fügte sie noch hinzu und schüttelte so energisch den Kopf, dass ihr die bordeauxroten Korkenzieherlöckchen wie ein Regenwurmballett um den Kopf tanzten.

»Marianne!«, seufzte Prof. Lutz Weidner. »Wenn ich Sie erschießen würde, könnten Sie dann doch nirgendwo mehr hinlaufen.«

»Trotzdem! Auf keinen Fall!«

»Und warum nicht?«

»Weil ich noch nicht tot bin! Was soll ich also auf der Pathologie?«

Der Klinikchef verdrehte stöhnend die Augen.

»Was ist das denn für ein Argument, Marianne? Sie erledigen doch auch Botengänge für mich in die Notaufnahme, obwohl Sie kein Notfall sind.«

»In die Notaufnahme gehe ich auch nur im äußersten Notfall. Sie wissen doch, dass ich kein Blut sehen kann. Als Sie mich das letzte Mal zu Dr. Kersten geschickt haben, habe ich dort einen Fuß gesehen! Meine Nerven waren danach so zerrüttet, dass ich wochenlang nicht schlafen konnte.«

»Einen Fuß?« Prof. Weidner schaute an sich selbst hinab. »Ich habe zwei Stück davon, und ich sehe sie täglich, ohne mich zu erschrecken.«

»Ha, ha, ha, sehr witzig!«, unkte sie. »Der Fuß lag in einem Mülleimer voller menschlicher Reste, der gerade aus dem OP getragen wurde. Er war abgeschnitten, völlig zermatscht und blutig. Die Zehen haben gewippt und mir zugewinkt, als der Typ den Eimer nach draußen trug. Ich bin mir wie in einem Horrorfilm vorgekommen.« Sie schaute fragend zu Lutz Weidner auf. »Was passiert eigentlich mit so einem Zeug? Wird das beerdigt?«

Der Klinikchef schüttelte schmunzelnd den Kopf.

»Nein, abgetrennte Körperteile werden nicht zu Grabe getragen, Marianne. Die werden von einem speziellen Entsorgungsunternehmen abgeholt und verbrannt.«

Frau Hoppe schauderte. »Barbarisch ist das!«

»Ein amputierter Fuß ist ja nicht beseelt«, widersprach der Klinikchef. »Außerdem wäre vermutlich das ganze Land ein einziger riesiger Friedhof, wenn man für jede beim Kochen abgeschnittene Fingerkuppe, jeden entfernten Blinddarm und jede extrahierte Gallenblase ein Mausoleum errichten würde.«

Er malte Gänsefüßchen in die Luft.

»Hier ruht Alfons Mayers linkes Bein«, witzelte er. »Es war ein gutes Bein und musste diese Welt viel zu früh verlassen.«

»Wie auch immer.« Marianne zuckte mit den Schultern. »Auf alle Fälle ist mir der Anblick von Blut oder irgendwelchem anderen blutigen Zeug unerträglich.«

»Gut, dann sollten Sie auf der Pathologie keine Probleme haben, denn Tote bluten nicht mehr. Mit dem Herzschlag kommt auch der Kreislauf zum Stillstand.«

»Ich kann aber auch keine toten Leichen sehen!«

»Die werden Sie auch nicht zu Gesicht bekommen«, seufzte der Chefarzt. »Die stehen dort ja nicht vor der Stationstür Schlange und warten ungeduldig darauf, dass sie endlich an die Reihe kommen, obduziert zu werden. Die Leichen sind hinter verschlossener Tür im Kühlraum verwahrt, während Sie ja nur das Büro des Kollegen Zelenka aufsuchen und ihm etwas überbringen sollen.«

»Und was soll ich ihm überbringen?« Marianne kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Vielleicht einen Patienten, den Sie abgemurkst haben?«

»Natürlich nicht!« Der Chefarzt und Leiter der Kardiologie schüttelte entschieden den Kopf. »Das gehört überhaupt nicht zu Ihrem Aufgabenbereich. Niemals würde ich so etwas von Ihnen verlangen. Und außerdem murkse ich keine Patienten ab.«

»Was dann?«

Lutz Weidner hob eine Mappe hoch.

»Darin befinden sich die Unterlagen der neuen Kollegin, die gegen Mittag aus Hamburg ankommen soll.«

Die vollschlanke Mittfünfzigerin warf einen Blick auf ihren Tischkalender, auf dem sie sich die Termine des heutigen Tages notiert hatte.

»Dr. Veronika Marijan? Die habe ich für ein Uhr eingetragen.«

Prof. Weidner nickte. »Genau diese. Ihre Bitte war es, ihre Ausbildung zur Fachärztin auf der Pathologie beginnen zu dürfen.«

»Igitt!« Die Sekretärin schauderte. »Ist sie ein bisschen ...?« Sie drehte mit dem Zeigefinger ein paar schnelle Kringel über ihrer Stirn. »Pervers? Abartig?«