1,99 €
Seit rund fünf Monaten führt die Jurastudentin Fernande mit ihrem Freund Tristan eine Beziehung. Doch ihr Glück ist nicht ungetrübt, denn ausgerechnet Tristan, der selbst als Schauspieler arbeitet, hat mit starker Eifersucht zu kämpfen. Ständig nagt an ihm die Sorge, seine Freundin könnte einen anderen Mann ihm vorziehen. Also lässt er sich etwas einfallen: Er will sie auf die Probe stellen.
Nachdem sie den ersten Test bestanden hat, ist Tristan allerdings noch lange nicht beruhigt. Wieder und wieder denkt er sich etwas Neues aus - bis etwas geschieht, was er überhaupt nicht eingeplant hat ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 114
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Der Treuetest
Vorschau
Impressum
Der Treuetest
Was als Scherz beginnt, entwickelt sich zur Katastrophe
Karin Graf
Seit rund fünf Monaten führt die Jurastudentin Fernande mit ihrem Freund Tristan eine Beziehung. Doch ihr Glück ist nicht ungetrübt, denn ausgerechnet Tristan, der selbst als Schauspieler arbeitet, hat mit starker Eifersucht zu kämpfen. Ständig nagt an ihm die Sorge, seine Freundin könnte einen anderen Mann ihm vorziehen. Also lässt er sich etwas einfallen: Er will sie auf die Probe stellen.
Nachdem sie den ersten Test bestanden hat, ist Tristan allerdings noch lange nicht beruhigt. Wieder und wieder denkt er sich etwas Neues aus – bis etwas geschieht, was er überhaupt nicht eingeplant hat.
Nach diesem Vorfall ist plötzlich alles ungewiss. Und dann entscheidet in der Frankfurter Sauerbruch-Klinik schließlich das Schicksal darüber, wie es mit den beiden weitergeht und wem Fernandes Herz für immer gehören soll ...
»Ich heiße übrigens Bruno.«
»Wie schön.« Fernande beugte sich weit nach links in den Mittelgang, weil der Typ, der im Kino neben ihr saß, sich so weit zu ihr hinüberlehnte, dass ihr sein schlechter Atem ins Gesicht wehte.
Der Hauptfilm lief erst seit fünf Minuten, aber dieser Bruno hatte ihr bereits seine gesamte Lebensgeschichte erzählt.
»Und du?«
»Ich heiße nicht Bruno«, erwiderte sie abweisend. Doch der Kerl kapierte einfach nicht, dass sie sich nicht für ihn interessierte.
»Mal trinken?« Er hielt ihr seinen Riesenbecher Cola hin.
»Nein, danke.«
»Popcorn?«
»Auch nicht.«
»Kennst du den Film schon?«
»Wäre ich dann hier?«
»Hätte ja sein können, dass der Film so klasse ist, dass du ihn dir ein zweites Mal anguckst.«
»Nein.«
»Was Süßes für die Süße?« Er zerrte eine laut knisternde Bonbontüte aus seiner Jackentasche. Wie aufs Kommando drehten sich fast alle Kinobesucher um.
Natürlich taten sie das, denn diese tödlich langweilige Romantikschnulze, die dort vorne auf der Leinwand lief, war so lähmend, dass das Knistern der Bonbontüte vermutlich den Höhepunkt des ganzen Films darstellte. Den wollte sich natürlich keiner entgehen lassen.
Tristan hatte ihr den Film als den cineastischen Höhepunkt des Jahrhunderts angepriesen. Als ein Kunstwerk, das man unbedingt gesehen haben musste. Und er musste es schließlich wissen, denn er war vom Fach. Er war Schauspieler und spielte eine Nebenrolle in einer seichten Vorabendserie.
Tristan, mit dem Fernande seit rund fünf Monaten eine sogenannte On-off-Beziehung führte, saß ganz vorne in der ersten Reihe, während sie in der letzten saß. Angeblich war es nicht anders gegangen, weil die Vorführung bis auf diese beiden Plätze total ausverkauft war.
Hielt Tristan sie für blind? Oder für geistig unterbelichtet? Mehr als die Hälfte der Sitze waren leer. Und das war kein Wunder, denn das angebliche Kunstwerk war in Wirklichkeit eine dieser erbärmlichen Romantikkomödien, in denen abgehalfterte Hollywoodsternchen platte Texte absonderten, die bereits in hundert anderen Machwerken dieser Art genauso oder so ähnlich aufgesagt worden waren.
»Ich bin übrigens auch vom Film.«
»Wahnsinn.«
»Regieassistent. Beim regionalen Fernsehen. Noch. Aber bald führe ich selbst Regie. Dann bin ich Regisseur und drehe selbst Filme.«
»Aufregend.«
»Du siehst verdammt gut aus. Ich könnte da vielleicht was machen.«
»Ja, mach das.«
»Gibst du mir deine Telefonnummer?«
»Steht im Telefonbuch.«
»Okay. Und dein Name?«
»Steht gleich daneben.«
Hoffentlich hatte er jetzt endlich kapiert, dass sie weder an einer Unterhaltung mit ihm noch an einer großen Karriere als Star des Gutnachtprogramms für Fuchs und Hase beim Regionalsender Hinterwaldhausen interessiert war. Jedoch ...
»Ha, ha, witzig bist du auch. Wir drehen demnächst eine Sitcom. Ich könnte dich da eventuell unterbringen.«
»Oh ja, bitte, bitte! Davon habe ich schon immer geträumt.« Sie fuhr so abrupt zu ihm herum, dass er erschrak, seinen riesigen Becher fallen ließ und eine geschätzte halbe Tonne Popcorn sich wie eine Lawine von der letzten bis zur ersten Reihe abwärtswälzte.
Fernande gab sich sehr aufgeregt.
»Bestimmt möchtest du, dass wir nach dem Film noch was trinken und dann noch zu dir auf einen Kaffee gehen, damit du mich erst besser kennenlernst, ehe du mich berühmt machst. Richtig?«
Sie konnte ihn im Dunkeln nicken und seine Augen aufblitzen sehen.
»Ja, das wäre nicht schlecht. Ich müsste ja vorher wissen, ob du ... wie du ... ob du ...«
»Ob ich auch ohne Kleidung eine halbwegs passable Figur mache und ob ich auch Liebesszenen spielen kann, ohne vor Befangenheit dunkelrot anzulaufen oder ins Stottern zu geraten?«
Sie hörte ihn mehrmals hintereinander schlucken, und er schien plötzlich unter Atemnot zu leiden.
»Ja! Ich meine, ja ... also ... genau«, stammelte er. »Das sollte ich vermutlich vorher besser checken, ehe ich ... ich ...«
»Okay. Super. Ich bin dabei. Geht es auch morgen? Heute habe ich noch was vor.«
»Gut. Also morgen. Wann?«
»Wir treffen uns um acht Uhr abends, wenn das für dich okay ist.« Sie schlüpfte in ihre Jacke, die sie über die Lehne ihres Sitzes gehängt hatte.
»Super! Und wo?«
Sie stand auf. »Du kannst mich von zu Hause abholen. Also ... noch besser klingelst du bei mir und wartest an der Ecke, denn ich habe einen wahnsinnig eifersüchtigen Freund, der dich nicht sehen sollte. An der linken Ecke, okay?«
»Geht klar. Und wo ist das genau?«
»Die Adresse steht auch im Telefonbuch«, erwiderte sie und ging.
An der Tür holte Tristan sie ein.
»Autsch!« Er stolperte im Dunkeln über einen verlorenen Handschuh und knallte mit der Schulter gegen die Tür, die sie gerade geöffnet hatte. Wie immer, wenn er in der Öffentlichkeit unterwegs war, trug er eine schwarze Sonnenbrille. Kein Wunder, dass er kaum sehen konnte, wohin er trat.
Dabei wäre die Sonnenbrille weiß Gott nicht notwendig gewesen. Fernande hatte noch nie erlebt, dass irgendwo irgendwer ihn jemals erkannt hätte. Wie denn auch? In der Serie, in der er mitspielte, hatte er nur sehr selten einen Auftritt, sagte ein, zwei Sätze und war auch schon wieder weg. Die Zeit war viel zu kurz, um sich seine Gesichtszüge einzuprägen.
Aber vielleicht trug er die Sonnenbrille ja genau deswegen. Damit er eine gute Erklärung dafür hatte, dass niemand ihn erkannte.
»Musst du bloß zur Toilette, oder gehst du schon, Nanni?«, raunte er ihr fragend zu.
»Ich gehe nach Hause«, erwiderte sie stark unterkühlt. »Und nenne mich bitte nicht Nanni!«
Sie konnte Spitznamen nicht ausstehen und mochte ihren Namen Fernande zu sehr, um ihn zu verstümmeln. Außerdem hörte Nanni sich für ihren Geschmack zu sehr nach unbedarftem, kleinem Mädchen an.
»Okay, okay, tut mir leid!« Er schloss die Tür hinter sich und hielt sie am Arm zurück. »Aber warum gehst du schon. Gefällt dir der Film nicht?«
»Den cineastischen Höhepunkt des Jahrhunderts meinst du?«, unkte sie.
»Okay, ich habe vielleicht ein bisschen übertrieben«, gestand er. »Aber die Kritik, die ich gelesen habe, die war wirklich vom Feinsten.«
»Deshalb also die total ausverkaufte Vorführung.« Sie lachte laut auf.
»Die Frau am Ticketschalter hat mir das so gesagt«, verteidigte er sich. »Ehrlich! Vielleicht sind viele, die sich die Tickets schon vor Tagen gekauft haben, nicht gekommen, weil sie inzwischen gehört haben, dass der Film Mist ist.«
»Möglich«, erwiderte sie, obwohl sie ziemlich sicher war, dass er flunkerte. »Außerdem ging mir der Typ tierisch auf den Keks, den du mir wieder einmal auf den Hals gehetzt hast.«
»Wer?« Er riss erstaunt – übertrieben erstaunt – die Augen auf. »Wer? Welcher Typ?«
»Bruno vom Film.«
»Was habe ich mit dem zu schaffen?«
»Hör mal, Tristan.« Sie waren inzwischen auf der Straße angelangt. Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. »Das war nun schon das x-te Mal. Du lädst mich zum Essen ein, aber wir bekommen bloß noch Plätze an verschiedenen Tischen, und ich lande rein zufällig neben einem gut aussehenden Kerl – oder zumindest einem, der sich dafür hält –, der mich unverschämt anbaggert.«
»Dafür konnte ich doch nichts! Das war ...«, begann er sich zu rechtfertigen, doch sie übertönte ihn einfach.
»Wir gehen ins Theater, bekommen aber keine Sitzplätze nebeneinander, und wieder sitze ich zufällig neben einem Kerl in meinem Alter, der unverzüglich damit beginnt, mich anzumachen. Obwohl er mich im Dunkeln doch gar nicht sehen kann und ich ja auch siebzig und potthässlich sein könnte.«
Sie musste über Tristans völlig unschuldige Miene lachen. Kein Wunder, dass er bloß Minirollen mit drei oder vier Zeilen Text in schlechten Serien ergatterte. Einen Oscar würde er für seine Darbietungen ganz bestimmt niemals bekommen.
»Wir verabreden uns vor einem Nachtclub«, fuhr sie fort, »du kommst fast eine Stunde zu spät, zufällig ist ein gut aussehender Typ zur Stelle, der sich rührend um mich kümmert, und so weiter. Das ist natürlich alles nur Zufall. Richtig?«
Er nickte. »Ja. Zufall. Natürlich. Ehrenwort. Ich schwöre es. Ich schwöre es beim Leben meiner Großmutter. Was denn sonst?«
Fernande seufzte tief. »Deine Großmutter ist vor drei Jahren gestorben. Wenn du mich für so naiv hältst, dann ist es besser, wenn wir uns endgültig trennen. Ich kann es nicht ausstehen, wenn man mich anlügt.«
»Nein!« Er riss erschrocken die Augen auf. »Bitte nicht! Ich liebe dich doch. Ich brauche dich. Du bist das Licht meines Lebens. Mein Fels in der Brandung. Meine Wärmequelle bei Eis und Schnee. Mein Leitstern am Firmament.«
»Ah ja?« Sie schaute ihn herausfordernd an. »Dann erklär mir doch bitte mal, was das alles zu bedeuten hat und wofür du Bruno vom Film engagiert hast.«
»Okay.« Er seufzte tief. »Aber nicht hier. Darf ich dich zum Essen einladen? Und dabei lege ich ein volles Geständnis ab.«
»Das wird schwierig sein, wenn ich wieder am anderen Ende der Gaststube sitze und mich gegen einen aufdringlichen Kerl wehren muss«, gab sie zu bedenken.
»Das wird diesmal nicht passieren. Das wird nie wieder passieren. Ich verspreche es dir.« Er legte eine Hand auf sein Herz und hob zwei Finger der anderen Hand hoch. »Der Blitz soll mich treffen, die Erde soll sich auftun und mich verschlingen, die Pest soll mich hinwegraffen, und der Himmel soll mir auf den Kopf fallen, wenn ich mein Versprechen jemals breche.«
Sie musste lachen. »Sind das nicht ein bisschen viele Tode auf einmal?« Sie überlegte ein paar Sekunden lang. Dann nickte sie. »Okay, ich werde mir zumindest mal deine Erklärung anhören. Wenn diese halbwegs plausibel ist, dann sehen wir weiter.«
***
Es kam nicht oft vor, dass Emil Rohrmoser, der Verwaltungsdirektor der Frankfurter Sauerbruch-Klinik, vor zehn Uhr abends nach Hause fuhr. Nicht selten saß er bis Mitternacht in seinem Büro im sechsten Stock des Krankenhauses.
In seinem Alter – er war zweiundsechzig – brauchte man nicht mehr so viel Schlaf. Seine Klinik brauchte hingegen ein oder noch besser zwei wachsame Augen und das am besten rund um die Uhr.
An diesem Abend fuhr er seinen Wagen allerdings bereits kurz nach neun Uhr aus der Tiefgarage.
Seine Frau hatte ihn wieder einmal beschwatzt, mit ihr ins Kino zu gehen. In die Spätvorstellung um zehn. Und das, obwohl er ihr erst an Weihnachten einen dieser absurd riesigen Fernseher gekauft hatte, die flach wie ein Nudelbrett waren und die man wie ein Bild an die Wand hängen konnte. Wozu brauchte sie da noch ins Kino zu gehen?
Emil wusste jetzt schon, dass er wieder Höllenqualen leiden würde.
Erstens waren da die engen Sitze. Er musste seine Leibesfülle immer mit Gewalt zwischen die Armlehnen quetschen, konnte sich sowieso nicht auf den Film konzentrieren, weil sein stattliches Hinterteil in einem Schraubstock steckte und die Lehnen schmerzhaft gegen seine Hüftknochen drückten, und brauchte jedes Mal ein paar Minuten, um sich wieder daraus zu befreien, wenn der Film zu Ende war.
Außerdem war es der reinste Wucher, was die einem für die Kinokarten abknöpften. Und es blieb natürlich nicht bei den Karten, es musste auch noch Popcorn her und ein Getränk, und weil das Popcorn so salzig war, brauchte seine Frau hinterher noch was Süßes.
Das alles musste er zweimal bezahlen, denn wenn Monika neben ihm wie ein Scheunendrescher futterte, bekam er immer Appetit, und sie weigerte sich stets, ihm etwas von ihren Sachen abzugeben.
Dazu kam noch, dass ihn die Filme, die seine Frau gerne sah, schrecklich langweilten. Die Handlung war eigentlich immer die gleiche: Sie liebt ihn, er liebt eine andere, sie sucht sich auch einen anderen, das passt ihm nicht, denn er liebt sie doch, aber jetzt liebt sie ihn nicht mehr ...
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann ist der Film noch immer nicht aus!
Ein einziges Mal hatte seine Frau ihm erlaubt, selbst einen Film auszusuchen. Es war eine Katastrophe gewesen. Eine Katastrophe mit sehr kostspieligen Nebenwirkungen.
Der Film hatte den verheißungsvollen Titel »Der Buchhalter« gehabt. Doch der Buchhalter hatte weder gerechnet noch Geld gezählt, wie Emil gehofft hatte. Er war nachts in die Häuser junger Damen eingestiegen und hatte sie zersägt. Die Damen natürlich, nicht die Häuser. Mit einer Motorsäge!
Emils Gattin hatte sich noch Wochen danach so sehr geängstigt, dass ihm nichts anderes übrig geblieben war, als für sündhaft teures Geld eine Alarmanlage anzuschaffen, die ständig zu heulen anfing, wenn Santa frühmorgens für kleine Hunde musste und Emil vergaß, das dämliche Ding vor dem Öffnen der Tür zu deaktivieren.
Emil war noch keine drei Minuten lang unterwegs, als er am Straßenrand eine alte Dame durch den graubraunen Schneematsch stapfen sah. Unter einem dunkelroten Morgenmantel lugten ihre nackten Beine hervor, und ihre Füße steckten ihn völlig durchnässten Plüschpantoffeln.
Sie eilte leicht nach vorne gebeugt dahin, hatte beide Arme um ihren Oberkörper geschlungen, um sich ein bisschen zu wärmen, und bibberte dennoch vor Kälte.
»Heiliges Sparschwein!« Emil fuhr rechts ran, stieg aus und lief über die Fahrbahn. Da er eines der ihm wohlbekannten Kliniknachthemden seines Krankenhauses aufblitzen sah, wenn ihr Morgenmantel vorne aufklaffte, ging er davon aus, dass es sich bei der alten Dame um eine Patientin der Sauerbruch-Klinik handelte, die – aus welchem Grund auch immer – ausgebüxt war.
Da musste er etwas unternehmen, ansonsten wären spätestens morgen sämtliche Tageszeitungen voll mit vernichtenden Schlagzeilen.
Sauerbruch-Klinik lässt verwirrte alte Dame nachts im Nachthemd bei Minusgraden im Freien spazieren gehen.