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Notarzt Dr. Peter Kersten ist alles andere als begeistert, als er erfährt, dass er ausgerechnet Franziska Faber als neue Assistenzärztin zugeteilt bekommen soll. Der jungen Frau eilt ihr Ruf bereits voraus, bei ihren vorherigen Arbeitgebern galt sie als schwierig und nicht gut genug. Und trotzdem beharrt der sonst so vernünftige Direktor der Frankfurter Sauerbruch-Klinik darauf, genau diese Kandidatin einzustellen. Sie hat bei ihrem Bewerbungsgespräch etwas an sich gehabt, das Prof. Weidner davon überzeugt hat, dass sie die Richtige für die ausgeschriebene Stelle ist. Irgendetwas an ihr ist in seinen Augen so besonders, dass er ihr unbedingt diese Chance geben will.
Seufzend fügt sich Peter Kersten den Anweisungen seines Chefs und verspricht sich nur das Schlimmste von dieser Medizinerin. Doch als Franziska Faber dann zu ihrem ersten Arbeitstag in der Notaufnahme antritt, erkennt Dr. Kersten schnell, dass er sich getäuscht hat. Franziska ist ganz anders als erwartet und zugleich auch ganz anders als jede Kollegin, die er je gehabt hat. Sie ist eine Ärztin mit außergewöhnlichen Nebenwirkungen ...
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Seitenzahl: 123
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Ärztin mit Nebenwirkungen
Vorschau
Impressum
Ärztin mit Nebenwirkungen
Wie eine junge Medizinerin die Notaufnahme auf Trab hielt
Karin Graf
Notarzt Dr. Peter Kersten ist alles andere als begeistert, als er erfährt, dass er ausgerechnet Franziska Faber als neue Assistenzärztin zugeteilt bekommen soll. Der jungen Frau eilt ihr Ruf bereits voraus, bei ihren vorherigen Arbeitgebern galt sie als schwierig und nicht gut genug. Und trotzdem beharrt der sonst so vernünftige Direktor der Frankfurter Sauerbruch-Klinik darauf, genau diese Kandidatin einzustellen. Sie hat bei ihrem Bewerbungsgespräch etwas an sich gehabt, das Prof. Weidner davon überzeugt hat, dass sie die Richtige für die ausgeschriebene Stelle ist. Irgendetwas an ihr ist in seinen Augen so besonders, dass er ihr unbedingt diese Chance geben will.
Seufzend fügt sich Peter Kersten den Anweisungen seines Chefs und verspricht sich nur das Schlimmste von dieser Medizinerin. Doch als Franziska Faber dann zu ihrem ersten Arbeitstag in der Notaufnahme antritt, erkennt Dr. Kersten schnell, dass er sich getäuscht hat. Franziska ist ganz anders als erwartet und zugleich auch ganz anders als jede Kollegin, die er je gehabt hat. Sie ist eine Ärztin mit außergewöhnlichen Nebenwirkungen ...
»Sind Sie vom wilden Affen gebissen, Weidner?«, donnerte Emil Rohrmoser, der Verwaltungsdirektor der Frankfurter Sauerbruch-Klinik. »Ausgerechnet diese tranige Trulla wollen Sie haben?«
Er zog die Mappe mit den Bewerbungsunterlagen zu sich heran und schlug sie auf.
»Haben Sie denn die Bewertung der Städtischen Klinik, in der sie ihr Praktikum gemacht hat, nicht gelesen?«
»Seit wann geben wir etwas darauf, was die Städtische Klinik zu sagen hat?«, schoss der Chefarzt Prof. Lutz Weidner scharf zurück.
»Seit wann sammeln wir den Abfall auf, den die Städtische Klinik entsorgt?«, konterte Emil Rohrmoser.
»Seit wann bezeichnen wir hoffnungsvolle junge Menschen als Abfall, Direktor?«
»Ach, Sie immer mit Ihren Wortklaubereien, Weidner!«
Dr. Peter Kersten, der Leiter der Notaufnahme, räusperte sich in der Hoffnung, den verbalen Schlagabtausch der beiden Kampfhähne damit zu beenden und das Gespräch wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.
Er saß nun schon seit einer halben Stunde auf der Couch in der Besucherecke von Lutz Weidners Büro und fragte sich, was er hier überhaupt sollte.
In den letzten Wochen hatten einige Assistenzärzte ihre Facharztdiplome erhalten und die Klinik verlassen, um sich selbstständig zu machen. Somit waren einige Ausbildungsplätze frei geworden.
Der Chefarzt hatte ihn darum gebeten, ihm bei der Auswahl des letzten Kandidaten aus zahlreichen Bewerbungen behilflich zu sein.
Doch bis jetzt war er noch kein einziges Mal um seine Meinung gefragt worden. Und so, wie es aussah, würde das wohl auch so bleiben, denn keiner der beiden Klinikchefs, die sich an Prof. Weidners Schreibtisch wie zwei Duellanten gegenüberstanden, war zu Kompromissen bereit.
»Ruhe auf den billigen Plätzen!«, schnauzte der Verwaltungsdirektor den Notarzt an, ohne sich nach ihm umzudrehen.
Dann beugte er sich erneut über die Bewerbungsunterlagen der jungen Dame, über die er und Prof. Weidner sich nicht einig werden wollten.
»Ich zitiere: Frau Franziska Faber hat sich redlich bemüht, dennoch sehen wir uns nicht dazu in der Lage, sie als Assistenzärztin zu übernehmen, da wir es uns zum Grundsatz gemacht haben, ausschließlich die Besten der Besten auszubilden«.
Prof. Weidner lachte laut auf.
»Sollte wohl die Billigsten der Billigsten heißen«, unkte er. »Sie wissen ganz genau, dass die Städtische aus Kostengründen ständig reguläres Personal feuert und dann gerne auch mal Praktikanten oder Assistenzärzte im ersten Ausbildungsjahr alleine operieren lässt, wenn Not am Mann ist.«
Er schüttelte missbilligend den Kopf.
»Das ist natürlich viel billiger, denn Absolventen des praktischen Jahres erhalten ja nur eine geringe Aufwandsentschädigung und kein richtiges Monatsgehalt. Auf diese Weise versuchen sie, aus den roten Zahlen herauszukommen. Auf ein paar tote Patienten mehr oder weniger kommt es ihnen dabei nicht an.«
Der Verwaltungsdirektor runzelte nachdenklich die Stirn.
»Warum machen wir das eigentlich nicht auch so, Weidner?«, erkundigte er sich schließlich.
»Direktor!«, brauste der Chefarzt empört auf.
»Was pudeln Sie sich so auf, Weidner?« Emil zuckte arglos mit den Schultern. »Wir schreiben zwar keine roten Zahlen, aber wie heißt es so schön? Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.«
»Möchten Sie von einem Praktikanten operiert werden, der in der Aufregung Ihren Appendix mit der Bauchspeicheldrüse verwechselt?«
Emil Rohrmoser bedeckte reflexartig die Stelle, an der er die Bauchspeicheldrüse vermutete, mit der Hand.
»So dämlich sind die?«
»Sie sind nicht dämlich«, nahm der Chefarzt die zukünftigen Kollegen in Schutz. »Sie an deren Stelle hätten jetzt das untere Drittel der Speiseröhre entfernt. Die ist nämlich genau dort, wo Ihre Hand liegt.«
Emils Hand rutschte stückweise immer ein bisschen tiefer.
»Zwerchfell, Magen, Milz«, kommentierte Prof. Weidner. »Sie suchen auf der falschen Seite, Direktor.«
»Dann eben hier drüben.« Emils Hand rutschte auf seine rechte Seite.
»Leber ... Galle ... Zwölffingerdarm«, zählte der Chefarzt auf. Dann nickte er. »Ja, jetzt haben Sie die Bauchspeicheldrüse so ungefähr lokalisiert. Hätte ich Sie operieren lassen, dann wäre der Patient längst ausgeweidet, und Sie hätten den Appendix noch immer nicht gefunden.«
»Das kann man doch nicht vergleichen, Weidner! Ich bin ja kein Arzt!«
»Praktikanten sind ebenfalls noch weit davon entfernt, Ärzte zu sein. Es handelt sich um blutige Anfänger. Sie waren doch auch einmal ein Anfänger, der noch unsicher war und Fehler gemacht hat, oder?«
Emil schüttelte entschieden den Kopf.
»Ich glaube nicht. Ich konnte schon rechnen, ehe ich das Laufen erlernt habe. Und bereits im zarten Alter von fünf Jahren habe ich über mein Guthaben an Bonbons und Lollis, die ich zu Geburtstagen, Ostern und anderen Anlässen bekommen habe, Buch geführt und im Kindergarten damit lukrative Geschäfte getätigt.«
Peter Kersten reagierte zu spät und konnte ein herzhaftes Gähnen nicht mehr unterdrücken.
»Was?«, blaffte Emil Rohrmoser ihn an. »Zeit für Ihr Nickerchen? Oder langweilen wir Sie etwa?«
»Das nicht, Herr Direktor, aber ich sitze nun schon seit mehr als einer halben Stunde hier, und Sie beide streiten sich um eine einzige Kandidatin. Könnte man die Dame nicht vorerst beiseitelegen und einen der übrigen dreißig Bewerber in Erwägung ziehen?«
Emil deutete triumphierend mit seinem massigen Dreifachkinn auf Peter.
»Na? Haben Sie es gehört, Weidner? Wie heißt es so schön? Selbst ein blinder Quacksalber findet mal eine gute Idee. Genauso machen wir es.«
»So machen wir es nicht!«, protestierte der Chefarzt. »Ich will diese hier und keine andere!«
»Heiliges Sparschwein!« Direktor Rohrmoser drosch seine Faust so heftig auf den Schreibtisch, dass Lutz Weidners Kaffeebecher, der zum Glück längst leer war, einen Hopser über den Tischrand machte. »Wie kann man nur so stur sein? Warum denn ausgerechnet diese hier?«
Emil warf abermals einen Blick in die Unterlagen der Bewerberin.
»Sie hat fast jede Prüfung erst beim zweiten oder dritten Mal bestanden. Sie ist mit der schlechtestmöglichen Punktezahl gerade noch so durch das zweite Staatsexamen gerutscht. Uni, Städtische Klinik und auch die Uniklinik, in der sie ihr Pflegepraktikum gemacht hat, überschlagen sich nicht gerade vor Lob.«
Prof. Weidner zuckte mit den Schultern.
»Na und? Sie hat ihr Studium vollendet und ihre Approbation erhalten, nicht wahr? Und das ist schließlich alles, was am Ende zählt.«
»Vielleicht könnte ich inzwischen wieder runter in meine Abteilung ...?« Der Notarzt schaffte es nicht, seine Frage zu vollenden.
»Sie bleiben gefälligst hier!«, brauste der Chefarzt ungewohnt heftig auf. »Immerhin werden Sie es sein, der die Kollegin unter seine Fittiche nehmen soll. Ich möchte, dass sie ihre Ausbildung mit einem Jahr in der Notaufnahme beginnt.«
Peter war von der Aussicht auf eine Schülerin und Mitarbeiterin, die bislang überall bestenfalls mittelmäßig abgeschnitten hatte, nicht gerade begeistert.
»Will sie denn Notärztin werden?«, hakte er seufzend nach.
Der Chefarzt zuckte mit den Schultern.
»Sie weiß noch nicht, welche Fachrichtung sie einschlagen soll. Bislang hat sie diesbezüglich noch keine Präferenzen.«
»Tranige Trulla, wie ich sagte!«, zischte Emil Rohrmoser. »Warum versteifen Sie sich gar so sehr auf sie? Ist sie irgendwie verwandt mit Ihnen?«
»Natürlich nicht! Es ist nur so, dass die junge Kollegin sich persönlich bei mir vorgestellt hat. Und ... na ja ... sie hat etwas an sich, das mich sehr anspricht.«
»Weidner!« Emil verschluckte vor Schreck das ganze Bonbon, das er sich aus einer Schale auf Lutz Weidners Schreibtisch genommen hatte, und musste husten. »Und das in Ihrem Alter! Außerdem sind Sie verheiratet! Dass Sie sich nicht schämen! Wo hat sie es denn?«
»Wo hat sie was?«
»Na, das, was Sie anspricht. Hat sie es hier oben oder hier hinten?« Emil deutete erst auf seine Brust, dann auf sein Hinterteil.
»Direktor!« Das Gesicht des Chefarztes färbte sich vor Empörung ein paar Töne dunkler. »So habe ich das nicht gemeint! Was denken Sie bloß von mir? Ich meinte ihre Art. Sie strahlt etwas aus, das sehr beruhigend und wohltuend wirkt.«
»Tranige Trulla, wie ich sagte!«
Peter rutschte unruhig auf der Couch hin und her. Dieses Gespräch konnte sich noch stundenlang im Kreis herumdrehen und er wollte doch endlich in seine Abteilung zurückkehren, um dort nach dem Rechten zu sehen. Außerdem stand eine beruhigende Ausstrahlung nicht gerade ganz oben auf der Liste mit den Eigenschaften, die eine gute Notärztin mitbringen sollte.
»Wieso bekomme eigentlich immer ich die Wackelkandidaten aufs Auge gedrückt?«, maulte er. »Es kommt nicht oft vor, dass wir Assistenzärzte entlassen müssen. Aber wenn, dann bin fast immer ich der Böse.«
Direktor Rohrmoser richtete seinen wurstähnlichen Zeigefinger auf Peter.
»Sie nehmen gefälligst, was Ihnen zugeteilt wird, und damit basta! Da beißt die Maus keinen Faden ab. Das wäre ja noch schöner, wenn Sie glaubten, Sie könnten sich die Rosinen aus dem Kuchen picken!«
Peter Kersten seufzte augenverdrehend. Er hätte es wissen müssen. Selbst wenn die beiden sich noch so uneinig waren – mischte sich ein Dritter ein, dann hielten sie wie Pech und Schwefel zusammen. Das war immer so.
»Warum nehmen Sie sie nicht selbst unter Ihre Fittiche, wenn sie Ihnen so viel bedeutet?«
»Die Kardiologie ist im Moment voll besetzt«, erwiderte der Chefarzt. »Ich habe derzeit keinen Platz für eine weitere Assistenzärztin. Sie jammern doch immer, dass Sie zu wenig Personal haben!«
»Damit meine ich aber Leute, die tüchtig mit anpacken können. Zum Beruhigen haben wir Tabletten. Wir können ja tauschen. Geben Sie mir den Kollegen Jung, den Sie sich selbst zugeteilt haben, und nehmen Sie stattdessen die Beruhigende.«
»Der Kollege Jung möchte Kardiologe werden!«
»Na und? Im Zuge seiner Facharztausbildung muss er trotzdem alle Abteilungen durchmachen. Da kann er genauso gut auch mit der Notaufnahme anfangen.«
»Als Ihr Vorgesetzter habe immer noch ich das Sagen hier! Und ich wünsche jetzt keine weitere Diskussion mehr!«
»Großartig!«, grummelte Peter. »Das nennt man, glaube ich, ein Totschlagargument. Heißt das jetzt, dass es entschieden ist und ich die ... ruhige Rosine ... zugeteilt bekomme?«
»Genau das heißt es«, erwiderten die beiden Klinikchefs beinahe einstimmig.
»Morgen um sieben tritt sie ihren Dienst in Ihrer Abteilung an. Und ich verlasse mich darauf, dass Sie der Kollegin ein bisschen mehr Selbstvertrauen und ... ähm ... Ehrgeiz und ... ähm ... alles, was man für den Arztberuf so braucht, einimpfen«, fügte Prof. Weidner noch streng hinzu.
»Einimpfen, ja?« Peter stand auf. »Als ob ich nicht schon genug um die Ohren hätte, soll ich jetzt auch noch Kindergartenonkel für eine orientierungslose junge Dame sein. Ich frage mich nur ...«
Bereits in der offenen Tür drehte er sich noch einmal um.
»Warum sollte ich denn unbedingt an der Auswahl teilhaben, Professor?«, fragte er, »wenn ich dann ohnehin nicht mit entscheiden darf?«
»Aber das hätten Sie doch gedurft«, erwiderte Lutz Weidner kopfschüttelnd. »Ein klares Nein von Ihnen hätte mich meine Entscheidung zumindest noch einmal überdenken lassen.«
»Oh! Kann ich jetzt noch ...?«
»Nein! Jetzt ist es zu spät. Die Entscheidung ist gefallen.«
Während Direktor Rohrmoser und der Chefarzt sich höchst zufrieden mit ihrer raschen Entscheidung in die Cafeteria begaben, um eine Kleinigkeit zu essen, kehrte Peter mit gemischten Gefühlen in die Notaufnahme zurück.
»Und? Kriegen wir einen neuen Kollegen?«, erkundigte sich Dr. Elmar Rösner, als Peter den Bereitschaftsraum betrat.
»Kollegin ...«, antwortete der Notarzt einsilbig.
»Großartig! Und wie ist sie so?«
»Beruhigend!«
»Ähm ... Wozu brauchen wir ...?« Der rothaarige Assistenzarzt wusste nicht recht, was er mit dieser Information anfangen sollte. Doch er kam nicht dazu, seine Frage fertig auszusprechen.
»Du nimmst gefälligst, was dir zugeteilt wird!«, schnauzte Peter ihn an. »Das wäre ja noch schöner, wenn du glaubtest, du könntest dir die Rosinen aus dem Kuchen picken!«
»Was ist dir denn über die Leber ...? Ach so, ich verstehe. Geteilter Frust ist halber Frust, nicht wahr?« Elmar grinste wissend. »Na gut, ich bringe dir noch einen Kaffee. Du hattest zwar vorhin schon zwei, aber wenn wir ohnehin eine wandelnde Beruhigungspille kriegen, dürfen es zum Ausgleich ruhig ein bisschen mehr Aufputschmittel sein.«
***
Franziska Faber glaubte keine Sekunde lang daran, dass sie einen Job und damit auch einen Ausbildungsplatz in der Sauerbruch-Klinik erhalten würde. Sie war nicht einmal sicher, ob sie das überhaupt wollte.
Sie hatte sich dort beworben, weil sie sich schließlich irgendwo für irgendetwas bewerben musste und weil die Sauerbruch-Klinik nicht weit von dem Wohnhaus entfernt war, in dem sie ein winziges Einzimmerappartement hatte.
Sie wusste, dass sie sich bei dem Gespräch mit Prof. Weidner ziemlich dumm angestellt hatte. Ihre häufigste Antwort auf all seine Fragen war »Ich weiß nicht« gewesen.
Aus welchen Gründen haben Sie Medizin studiert? Ich weiß nicht. Wollten Sie schon immer Ärztin werden? Ähm ... eigentlich ... nicht direkt. Welche Fachrichtung interessiert Sie denn am meisten? Ich weiß nicht. Streben Sie eine wissenschaftliche Karriere an? Oder wollen Sie sich selbstständig machen? Oder schwebt Ihnen eine Zukunft an einer Klinik vor? Ich weiß nicht.
So ähnlich war es fast eine Stunde lang gegangen. Sie hatte so oft mit den Schultern gezuckt, dass ihr Nacken hinterher völlig verspannt gewesen war.
Dass Prof. Lutz Weidner sie nicht gleich nach fünf oder zehn Minuten vor die Tür gesetzt hatte, darüber wunderte sie sich bis heute. Vermutlich hatte er Mitleid mit ihr empfunden. Er war ja als geduldiger und freundlicher Mensch, der vor allem ein großes Herz für junge Leute hatte, weithin bekannt.
Möglicherweise hatte er auch angenommen, dass ihr deshalb keine halbwegs vernünftigen Antworten auf seine Fragen eingefallen waren, weil sie schrecklich schüchtern war. Viele glaubten das von ihr. Vielleicht hatte er gedacht, das würde sich schon irgendwann auswachsen.
Aber sie war nicht schüchtern. Sie wusste nur wirklich nicht genau, warum sie Medizin studiert hatte. Sie wusste auch nicht, ob sie wirklich Ärztin sein wollte.
Das Studium hatte ihr nicht besonders gefallen. Das praktische Jahr noch viel weniger. All das viele Blut und die oft recht barbarisch anmutenden Methoden, mit denen man versuchte, kranke oder verletzte Menschen wieder gesund zu machen, verstörten sie zutiefst.
Es gefiel ihr, Menschen gesund zu machen. Das hatte ihr schon immer viel Freude bereitet, und sie hatte schon immer einen großen Drang verspürt, genau das zu tun.