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Johanna Sommer war sich immer sicher, Ärztin werden zu wollen - bis ein Schicksalsschlag während ihres praktischen Jahres alles ins Wanken bringt. Der Tod ihres Patienten Mika, dem sie näherstand, als sie jemals zugeben wollte, erschüttert sie zutiefst. Plötzlich zweifelt sie an allem: an ihrem Beruf, an sich selbst - und daran, ob sie die Kraft hat, Menschen in ihrer dunkelsten Stunde beizustehen. In der Umkleide, nur Augenblicke vor ihrem endgültigen Abschied, steht sie unerwartet Elias gegenüber - dem Kollegen, der sie besser versteht, als ihr lieb ist. Er ringt um die richtigen Worte, um sie zum Bleiben zu bewegen. Doch Johanna hat ihre Entscheidung längst getroffen ...
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Seitenzahl: 116
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhalt
Nicht mehr meine Zukunft
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Impressum
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Medizin war ihr Leben, doch dann kam alles anders
Caro Stein
Johanna Sommer war sich immer sicher, Ärztin werden zu wollen – bis ein Schicksalsschlag während ihres praktischen Jahres alles ins Wanken bringt. Der Tod ihres Patienten Mika, dem sie näherstand, als sie jemals zugeben wollte, erschüttert sie zutiefst. Plötzlich zweifelt sie an allem: an ihrem Beruf, an sich selbst – und daran, ob sie die Kraft hat, Menschen in ihrer dunkelsten Stunde beizustehen.
In der Umkleide, nur Augenblicke vor ihrem endgültigen Abschied, steht sie unerwartet Elias gegenüber – dem Kollegen, der sie besser versteht, als ihr lieb ist. Er ringt um die richtigen Worte, um sie zum Bleiben zu bewegen. Doch Johanna hat ihre Entscheidung längst getroffen ...
Medizinstudentin Johanna Sommer blinzelte gegen das Licht der Neonröhren an. Die Uhr im Schockraum zeigte, dass es halb vier Uhr in der Nacht war. Johannas Augen brannten dementsprechend vor Müdigkeit, und ihr Mund war trocken, da sie schon seit Stunden nichts mehr getrunken hatte.
Aber es war nicht an der Zeit, irgendwelchen Bedürfnissen nachzukommen. Sie musste funktionieren, immerhin wollte sie Ärztin werden.
»Johanna, bereite die Thoraxdrainage links vor. Sofort!« Dr. Peter Kersten, der Leiter der Notaufnahme, beugte sich über einen verletzten Motorradfahrer, der vor wenigen Minuten eingeliefert worden war. Der Mann war mit einem Lastwagen zusammengestoßen und hatte mehrere Rippenbrüche und innere Verletzungen davongetragen, von denen sie noch nicht wussten, wie schwer sie tatsächlich waren.
Die Achtundzwanzigjährige nickte und zog sich mechanisch neue sterile Handschuhe über. Der Rand riss fast, da sie nicht richtig aufpasste, sondern in Gedanken schon mit ihren nächsten Handgriffen beschäftigt war.
Dann platzierte sie Drainageschlauch, Klemme, Tupfer, Skalpell und eine Pinzette in der richtigen Reihenfolge auf dem Instrumententisch. Das Abdecktuch legte sie über den Brustkorb des Patienten, um so das Operationsfeld einzugrenzen.
Für einen Moment hielt sie inne. Wie war das noch im Seminar an der Uni gewesen? Wenn die Drainage links sein sollte, musste der Schnitt zwischen der fünften und sechsten Rippe mittig gesetzt werden.
»Hier«, murmelte sie zu sich selbst. Sie markierte die Stelle mit einem Stift, was gar nicht so einfach war, da sich der Brustkorb des Mannes wie ein schlaffer Gummiballon hob und senkte.
»Fertig«, sagte sie schließlich. Ihr Herz klopfte etwas schneller, als Dr. Kersten einen prüfenden Blick auf ihre Markierung warf. Er nickte und nahm das Skalpell.
Erleichtert atmete Johanna aus. Sie wollte keinen Fehler machen, immerhin war das praktische Jahr ein wichtiger Teil, um ihr Studium erfolgreich abzuschließen.
Dr. Kersten setzte einen kleinen Schnitt zwischen den Rippen, damit die Luft entweichen konnte. Ansonsten würde sie von innen auf die Lunge drücken, was unweigerlich zum Erstickungstod führen würde.
Der Monitor, der die Vitalwerte anzeigte, piepte währenddessen wie ein Alarmsignal, das an Johannas Nerven zerrte, aber daran würde sie sich mit der Zeit sicherlich gewöhnen.
Den erfahrenen Notarzt schien die Geräuschkulisse nicht zu irritieren. Er führte die Drainage mit ruhigen Handgriffen durch, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Johanna hätte bei dieser Aufgabe wohl vor Aufregung gezittert.
Angespannt hielt sie den Atem an. Das war einer jener Momente, die zwischen Leben und Tod entschieden. In den letzten Wochen hatte sie bereits einiger solcher Momente miterlebt, aber trotzdem schoss jedes Mal das Adrenalin durch ihren Körper.
Dann hörte sie ein leises Zischen, als die Luft aus der Brusthöhle wich. Beinahe zeitgleich piepte der Monitor mit den Vitalwerten ruhiger und gleichmäßiger. Die Linie auf dem Bildschirm hob und senkte sich rhythmisch. Der Mann würde überleben.
Johannas Herz klopfte schneller. Sie hatte dazu beigetragen, einem Menschen das Leben zu retten. Das Glücksgefühl rauschte durch ihre Adern und machte sie ganz kribbelig. Am liebsten wäre sie auf und ab gehüpft, um ihrer Freude Luft zu machen, aber das gehörte sich im Schockraum ziemlich sicher nicht.
Stattdessen tauschte sie einen Blick mit Dr. Hannes Fischer, dem knapp sechzigjährigen Anästhesisten. Er nickte ihr zu, als wollte er ihr damit sagen, dass sie ihre Arbeit gut gemacht hatte.
Sie nahm Dr. Kersten das Skalpell ab und legte es in die Schale mit den benutzten Instrumenten.
»Das war Schritt eins«, sagte der Arzt in die Runde, »sehen wir uns nun die Organe an ... Johanna, Ultraschall bitte.«
***
Völlig gerädert schlurfte Johanna eine Stunde später aus dem Schockraum. Die OP des verunglückten Motorradfahrers hatte sich in die Länge gezogen, sodass ihre Euphorie allmählich verblasst war und stattdessen wieder die Müdigkeit überhandgenommen hatte.
Sie schleppte sich in Richtung Bereitschaftsraum, wo sie sich zumindest für ein paar Minuten hinlegen wollte. Danach würde sie sich wohl einen Liter Kaffee einflößen, um die letzten Stunden bis zum Schichtende zu überstehen.
Es war ihre erste Nachtschicht in der Sauerbruch-Klinik. Zu Beginn ihres praktischen Jahrs war man so gnädig gewesen, sie für die Tagschichten einzuteilen, bis sie sich etwas an den Klinikalltag gewöhnt hatte. Aber damit war es nun vorbei, und sie musste gegen ihren natürlichen Körperrhythmus ankämpfen, um ihren Aufgaben gerecht zu werden.
Eigentlich hatte sie von Anfang an gewusst, dass ihre Anfangszeit in der Klinik nicht einfach werden würde. Immerhin arbeiteten ihre Eltern und ihr Bruder Andreas ebenfalls als Ärzte, wenn auch in der eigenen Privatpraxis.
Johanna hatte sich aber bewusst dagegen entschieden und wollte Erfahrung in einer großen Klinik sammeln. Schließlich musste sie sich irgendwie vom Rest ihrer Familie abheben, ansonsten hätte man sie ständig mit ihrem älteren Bruder verglichen, der mit seinen dreiunddreißig Jahren bereits als chirurgisches Genie galt.
Sogar ihre Großeltern waren Mediziner, also war es nur logisch, dass sie ebenfalls diesen Weg einschlug. Ihre Familie war so stolz auf sie gewesen, als sie sich für das Medizinstudium eingeschrieben hatte und so die langjährige Tradition fortsetzte.
»Und wie läuft die Nachtschicht?« Ihr Kollege Elias Roth kam mit einem unverschämt breiten Grinsen auf sie zu. Er befand sich bereits im dritten Ausbildungsjahr als Assistenzarzt in der inneren Medizin und war ihr damit ein Stück weit voraus. Trotzdem war er seit ihrem Arbeitsbeginn in der Klinik zu einer wichtigen Stütze geworden, auf die sie nicht mehr verzichten wollte.
Gleich an ihrem ersten Tag hatte eine Patientin Johanna scharf angefahren und darauf bestanden, dass jemand Erfahrenes sich um sie kümmerte. Elias hatte das mitbekommen und war für sie eingesprungen. Anschließend war er mit Kaffee und einer Tafel Schokolade in den Bereitschaftsraum gekommen, wohin sich Johanna heulend zurückgezogen hatte.
Seitdem bestand diese zarte Verbindung zwischen ihnen, die irgendwo zwischen Freundschaft und dem leisen Kribbeln beginnender Verliebtheit hin und her pendelte.
Sie lächelte ihn schief an. »Ich verstehe endlich, was die Leute meinen, wenn sie sagen, ihre Beine wären mit Blei gefüllt.«
Elias schnaubte amüsiert. »Tja, willkommen in der Notaufnahme.« Er hob die Hand, als wollte er ihr auf die Schulter klopfen, schien es sich in der letzten Sekunde aber anders zu überlegen und vergrub die Hand stattdessen in seiner Kitteltasche.
Manchmal kam es Johanna so vor, als ob er bewusst Berührungen zwischen ihnen vermied, um ihr nicht zu nahe zu treten. Dabei hätte sie nichts dagegen gehabt. Vor allem jetzt verspürte sie den Drang, sich gegen seine Brust zu lehnen und die Augen zu schließen. Sie war so müde, dass sie auch im Stehen schlafen würde. Aber die Vorstellung, dass sie jemand von den Kollegen sehen könnte, wie sie in Elias' Armen lag, ließ sie standhaft bleiben. Als Medizinstudentin im praktischen Jahr sollte sie sich professionell verhalten und sich nicht wie ein verliebter Teenager aufführen.
»Wie wäre es, wenn du dich mal kurz hinsetzt und ich dir einen starken Kaffee bringe?«
Johanna seufzte und fuhr sich durch die kinnlangen blonden Haare.
»Du kannst Gedanken lesen, weißt du das?«
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, hörte sie auch schon die Sirenen eines Rettungswagens. Kurz darauf flackerte das Blaulicht durch die Fenster in den Flur der Notaufnahme.
Entmutigt ließ Johanna die Schultern sinken.
»Das wird wohl nichts mit der Pause.«
Gemeinsam mit Elias eilte sie in den Eingangsbereich. Von draußen hörte sie, wie die Türen des Rettungswagens geöffnet und zugeschlagen wurden, gefolgt vom Rattern des Transportbettes.
Zwei Sanitäter rollten den Patienten herein. Einer von ihnen war Jens Jankovsky, der mit seinen fast zwei Metern Körpergröße die meisten Menschen überragte.
»Was haben wir?« Elias war vor ihr bei dem Patienten.
»Männlich, neunundzwanzig, plötzlicher Schwächeanfall, war eventuell bewusstlos, können wir aber nicht mit Sicherheit sagen«, antwortete Jens.
»Ich war nicht ohnmächtig.« Der Patient öffnete träge die Augen. »Und keine Panik wegen des Schwächeanfalls. Das kommt bei mir häufiger vor.«
Johanna bemühte sich, ein Grinsen zu unterdrücken, aber ihr Mundwinkel zuckte trotzdem.
»Blutdruck neunzig zu sechzig«, fuhr Jens ungerührt fort, »Puls bei hundertzehn, leicht tachykard.« Das bedeutete, dass der Patient einerseits einen niedrigen Blutdruck hatte, sein Puls aber gleichzeitig etwas zu hoch war und sein Herz dementsprechend zu schnell schlug.
Anzeichen für Kreislaufprobleme oder ein Herzproblem, dachte Johanna. Sie musterte den Patienten genauer, während Elias den Notarztbericht überflog. Der Mann war blass, und seine Mütze über den braunen Locken war verrutscht, aber ansonsten machte er einen sportlichen Eindruck auf sie, was so gar nicht zu ihrer ersten Diagnose passte.
Der Patient fing ihren Blick auf. »Hi.« Ein Grinsen zog sich über sein Gesicht, sodass sich Grübchen an seinen Mundwinkeln bildeten. »Ich bin Mika Jaspers.« Er streckte ihr die Hand hin.
Johanna nahm sie, obwohl sie im ersten Moment nicht sicher war, ob sie das als Ärztin überhaupt durfte oder dabei gegen eine Hygieneregel verstieß. »Johanna Sommer.« Um nicht völlig nutzlos herumzustehen, prüfte sie seinen Puls.
»Also sind Sie meine Ärztin, Frau Dr. Sommer?« Er grinste sie immer noch an, was Johanna irritierte. Für gewöhnlich standen die Patienten der Notaufnahme unter Schock, weinten oder verzerrten die Gesichter vor Schmerz.
»Einfach nur Johanna Sommer. Ich bin noch nicht ganz Doktor.« Sie bemerkte, wie sie mit den Füßen auf und ab wippte. »Meine Freunde nennen mich aber Jo.«
In seinen Augen blitzte etwas auf. »Freut mich, Jo, noch nicht ganz Frau Doktor.«
Aus irgendeinem Grund schoss ihr die Hitze in die Wangen. Sie überspielte ihre Verlegenheit, indem sie sich auf den mobilen Monitor mit Mikas Vitalwerten konzentrierte. Sein Puls war zu hoch, aber er schien kein Fieber oder sonst eine Entzündung zu haben.
Am Rande bemerkte sie, wie Elias skeptisch zwischen ihr und dem Patienten hin und her sah. Er reichte ihr stumm den Notarztbericht.
»Fühlen Sie sich unruhig?«, fragte Elias den Patienten betont kühl. »Haben Sie Schmerzen?«
Mika schüttelte den Kopf. »Weder noch. Ich fühle mich nur etwas erschöpft, aber das ist für meine Verhältnisse ganz normal.« Er deutete mit dem Kinn auf den Bericht in Johannas Händen. »Steht vermutlich alles in dem Bericht. Ich lebe ein medizinisches Roulette.«
Johanna sah auf das Papier. Arrhythmogene Kardiomyopathie. Ihr stockte der Atem. Darunter verstand man eine erbliche Herzerkrankung, die plötzliche Rhythmusstörungen hervorrief. Das Herz schlug dann im falschen Takt und konnte ins Stolpern geraten. Im schlimmsten Fall führte das innerhalb weniger Sekunden zum Herzstillstand. Jeder Tag könnte sein letzter sein. Die Erkenntnis ballte sich in ihrem Bauch zu einem festen Klumpen zusammen.
»Kein Grund zur Beunruhigung.« Mika machte eine abwertende Handbewegung. Anscheinend hatte er Johannas Gedanken an ihrem Gesicht abgelesen. »Ich kenne die Diagnose seit meiner Jugend und komme gut damit klar. Ich muss nur beim Sport aufpassen, dass ich mich nicht überanstrenge, aber mit der Zeit bekommt man ein Gefühl dafür, wie viel man sich zumuten kann.« Er zwinkerte Johanna aufmunternd zu, als wäre sie es, die mit einer schweren Krankheit leben musste, und nicht er.
»Und Sie waren bestimmt nicht bewusstlos?« Damit lenkte Elias die Patientenaufnahme wieder in professionelle Bahnen.
Erneut wurden Johannas Wangen heiß. Sie hatte vielleicht noch keinen Doktortitel, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie sich benehmen konnte wie bei einer Semesterfeier, wo sie neue Leute kennenlernte. Immerhin war sie hier, um etwas zu lernen, und nicht, um mit Patienten zu flirten.
»Wenn ich bewusstlos war, kann ich mich nicht daran erinnern«, antwortete Mika auf Elias Frage.
Ihr Kollege seufzte. »Gut, dann checken wir Sie mal durch ... Johanna, nimmst du bitte die Patientendaten auf?«
»Klar.« Damit eilte sie zum Aufnahmeschalter, an dem Pflegerin Angelika Kessler Dienst hatte. Von ihr holte sie sich ein Tablet, über das sie sich in die digitale Patientendatenbank der Klinik einloggen konnte. Später konnten alle Geräte, die mit dem Klinik-Netzwerk verbunden waren, auf die Daten zugreifen. Das war um einiges schneller und einfacher, als Papierakten von einer Abteilung in die nächste zu schleppen.
Elias war inzwischen mit den Sanitätern vorausgegangen, um Mika in einen der Behandlungsräume zu bringen. Johanna musste einige Schritte laufen, um wieder zu ihnen aufzuschließen.
***
Jedes Mal, wenn Elias sah, wie sich die Blicke der beiden kreuzten, versetzte es ihm einen Stich in der Brust. Aber er musste seine Gefühle außer Acht lassen. Immerhin galt es, einen Patienten zu versorgen, auch wenn ihm dieser nicht besonders sympathisch war.
Er setzte sich an den Computer, um direkt die Behandlung zu dokumentieren, während Johanna den Patienten ans EKG anschloss. Es widerstrebte ihm zwar, dass sie dafür Mikas nackte Brust berühren musste, aber sie sollte schließlich im praktischen Jahr auch etwas lernen. Und das gelang am besten, wenn sie die Aufgaben selbst durchführte und nicht bloß zusah.
»Zugang rechts, Kontrolle der Blutgase, kleines und großes Labor«, wies er Johanna an.
»Mit der zwanziger Venenverweilkanüle?« Sie strich sich die blonden Haare hinter das Ohr, eigentlich eine unscheinbare Geste, die ihm aber trotzdem immer wieder Herzklopfen verursachte.
Er nickte. Die Kanüle war mit knapp einem Millimeter Durchmesser nicht zu dick, aber man konnte damit trotzdem ausreichend Infusionen verabreichen oder – wie in Mikas Fall – Blut für das Labor abnehmen.