Der Notarzt Sammelband 1 - Arztroman - Karin Graf - E-Book

Der Notarzt Sammelband 1 - Arztroman E-Book

Karin Graf

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Beschreibung

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Dr. Peter Kersten ist oft Retter in letzte Minute. In der Unfallchirurgie der Sauerbruch-Klinik kämpft er Tag für Tag um das Leben von Unfallopfern. Fesselnde, moderne und packende Schicksale werden geschildert. Doch neben der hochmodernen Medizin kommt auch die Liebe nicht zu kurz.

Schauen Sie Dr. Peter Kersten über die Schulter und erleben Sie drei spannende Geschichten, die zu Herzen gehen.


Dieser Sammelband enthält die Folgen 248 bis 250:

248: Die Zukunft der Sauerbruch-Klinik?

249: Katrins verhängnisvoller Irrtum

250: Anna-Lena allein zu Haus



Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 250 Taschenbuchseiten.

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Seitenzahl: 350

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © shutterstock: wavebreakmedia ISBN 978-3-7325-7059-1

Karin Graf

Der Notarzt Sammelband 1 - Arztroman

Inhalt

Karin GrafDer Notarzt - Folge 248"Oh nein, bitte nicht!", stöhnt Dr. Peter Kersten beim Anblick der Bewerbungsmappen, die ihm Chefarzt Prof. Weidner gerade bringt. Es ist wieder so weit - wie in jedem Jahr werden sieben Medizinstudenten ihr Praktikum in der Sauerbruch-Klinik beginnen. Sieben junge Menschen voller Elan, Optimismus - und leider auch voller Flausen im Kopf. Natürlich versteht der erfahrene Notarzt den einen oder anderen Scherz, war er doch selbst in seiner Ausbildung kein Kind von Traurigkeit. Aber Arroganz hat in der Notaufnahme, wo es um Menschenleben geht, keinen Platz, wie man Serafin Adler, dem Sohn eines berühmten Schönheitschirurgen, schnell klarmacht. Ganz anders arbeiten Julian Brandtner und Lilly Rhomberg, deren Einsatzwille Dr. Kersten begeistert. Als ein schrecklicher Unfall das Team der Sauerbruch-Klinik an seine Grenzen bringt, zeigt sich, aus wem einmal ein guter Mediziner werden wird ...Jetzt lesen
Der Notarzt - Folge 249Als Katrins beste Freundin Miriam unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt, verbringt die junge Pflegerin ihre gesamte Freizeit am Krankenbett ihrer Freundin. Miriams Bruder, der attraktive Assistenzarzt Tim Tanner, kündigt sogar seinen Job an der Städtischen Klinik, um rund um die Uhr bei seiner Schwester sein zu können! Doch alles Bangen und Hoffen ist vergebens, nach wenigen Monaten stirbt Miriam. Gemeinsam beschließen Tim und Katrin, nach Südtirol zu fahren, um dort Miriams Asche zu verstreuen - der letzte Wunsch der Toten. Auf der Fahrt dorthin wird Katrin immer wieder übel, und sie ist überzeugt, von ihrem Exfreund schwanger zu sein. Deutet nicht alles darauf hin? Schließlich landen die beiden in einem verlassenen Bergdorf namens Himmelreich. Ein Unwetter, das die schmale Bergstraße in einen reißenden Bach verwandelt, verhindert ihre Rückreise, und Katrin beginnt, hoch zu fiebern. Die vermeintliche Schwangerschaft stellt sich als Blinddarmentzündung heraus - und es gibt keine Möglichkeit, Hilfe zu rufen! So sieht sich Tim dazu gezwungen, sie mit sehr primitiven Mitteln selbst zu operieren ...Jetzt lesen
Der Notarzt - Folge 250Anna-Lena ist sauer! Ständig behandelt ihre Mutter sie, als sei sie noch ein kleines Mädchen. Dabei wird sie doch bald schon zwölf! Zu gerne würde sie am Wochenende bei ihrer Freundin Cindy übernachten und dort eine Party feiern, aber das würde ihre Mutter Nina nie erlauben. Als Nina an dem Party-Wochenende zu einem Fortbildungsseminar fährt, hat Anna-Lena die rettende Idee: Sie behauptet einfach, sie bleibe bei ihrem Vater und dessen neuer Freundin. Dass die ebenfalls verreist sind, muss ihre Mutter ja nicht wissen ... Kaum ist Nina abgereist, bekommt Anna-Lena einen Anruf von Cindy: Die Party muss leider ausfallen, und bei ihr schlafen kann Anna-Lena auch nicht. Kurz wird der Elfjährigen übel bei dem Gedanken daran, nun das ganze Wochenende allein zu Hause zu verbringen, doch dann beschließt sie, das Beste daraus zu machen. Warum nicht eine eigene Party veranstalten? Kurzentschlossen verschickt sie eine Einladung über Facebook. Doch statt der erwarteten zehn Freunde stehen plötzlich mehrere hundert Fremde vor der Tür ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Die Zukunft der Sauerbruch-Klinik?

Vorschau

Die Zukunft der Sauerbruch-Klinik?

Eine Gruppe Medizinstudenten sorgt für viel Aufregung in der Notaufnahme

Von Karin Graf

„Oh nein, bitte nicht!“, stöhnt Dr. Peter Kersten beim Anblick der Bewerbungsmappen, die ihm Chefarzt Prof. Weidner gerade bringt. Es ist wieder so weit – wie in jedem Jahr werden sieben Medizinstudenten ihr Praktikum in der Sauerbruch-Klinik beginnen. Sieben junge Menschen voller Elan, Optimismus – und leider auch voller Flausen im Kopf.

Natürlich versteht der erfahrene Notarzt den einen oder anderen Scherz, war er doch selbst in seiner Ausbildung kein Kind von Traurigkeit. Aber Arroganz hat in der Notaufnahme, wo es um Menschenleben geht, keinen Platz, wie man Serafin Adler, dem Sohn eines berühmten Schönheitschirurgen, schnell klarmacht. Ganz anders arbeiten Julian Brandtner und Lilly Rhomberg, deren Einsatzwille Dr. Kersten begeistert.

Als ein schrecklicher Unfall das Team der Sauerbruch-Klinik an seine Grenzen bringt, zeigt sich, aus wem einmal ein guter Mediziner werden wird …

„Halt! Hiergeblieben!“ Prof. Lutz Weidner, der medizinische Leiter der Frankfurter Sauerbruch-Klinik, lachte laut auf, als er den Bereitschaftsraum der Notaufnahme betrat und Peter Kersten Anstalten machte, die Flucht zu ergreifen.

Dr. Peter Kersten, der Leiter der Notaufnahme, starrte mit schreckgeweiteten Augen auf den kleinen Stapel dünner blauer Bewerbungsmappen, die sich der Chefarzt unter den Arm geklemmt und deren bloßer Anblick den Fluchtreflex bei ihm ausgelöst hatte.

„Nein! Oh nein! Bitte nicht!“, stöhnte er. „Es kann doch unmöglich schon wieder so weit sein!“

„Doch, doch!“ Der Professor grinste übers ganze Gesicht. „Seien Sie tapfer, Kollege. Es wird ganz bestimmt nicht wehtun, und es sind ja nur vier Wochen. Danach nimmt sie die Innere für vier Wochen, und dann … na ja … mal sehen. Einen muss ich noch irgendwie herumkriegen.“

„Wieso immer ich?“ Peter Kersten schnitt eine Grimasse, ballte seine Hände in den Kitteltaschen zu Fäusten und schob die Unterlippe vor wie ein trotziger kleiner Junge. „Es gibt in dieser Klinik doch nicht nur die Notaufnahme!“, protestierte er, zog seine rechte Hand aus der Kitteltasche und zählte mithilfe seiner Finger auf: „Es gibt die Pädiatrie, die Chirurgie, die Gynäkologie, die Hals-Nasen-Ohren, die Herzstation, die Intensiv, die Orthopädie …“

„Ach, Orthopädie! Hören Sie mir bloß mit der Orthopädie auf!“, unterbrach der Chefarzt Peters Aufzählung und schnaubte empört durch die Nase. „Ihr guter Freund Habermann, der Leiter der Orthopädie, hat mir schlimme Dinge angedroht, sollte sich auch nur einer aus dem Kindergarten, wie er es nannte, in seine Abteilung verirren.“

„Welche Dinge?“

„Ach!“ Prof. Weidner machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sitzstreik, Selbstmord, vier Wochen Krankenstand … ha!“ Er schnalzte verächtlich mit der Zunge. „Er hat sogar behauptet, er würde beim Anblick des ersten blauen Kittels so lange die Luft anhalten, bis alles Blaue aus seiner Abteilung getilgt wäre.“

Der Klinikchef verdrehte die Augen und hob seine buschigen silbergrauen Brauen bis zum Haaransatz hoch.

„Sie wissen ja, wie Orthopäden sind! Die Orthopädie ist mitunter ein recht derbes, beinahe brutales Handwerk, und Habermann hat ein dementsprechend … ähm … rustikales Auftreten.“

„Und wenn ich Ihnen das alles auch androhe?“ Hoffnung glomm in Dr. Kerstens Blick auf.

„Nein, Sie tun das nicht, denn Sie sind ein gewissenhafter, zuverlässiger und sozialer Mensch, der ein Herz für unseren medizinischen Nachwuchs hat.“

„Toll! Und das habe ich jetzt davon!“ Der Notarzt warf einen prüfenden Blick auf die blauen Mappen in Prof. Weidners Hand und seufzte gottergeben. „Wie viele?“

„Nur sieben! Letztes Jahr waren es fast doppelt so viele Praktikanten, und das haben Sie schließlich auch überlebt.“ Lutz Weidner nickte dem Notarzt aufmunternd zu.

„Ja, aber nur ganz knapp“, grummelte Peter Kersten verdrossen. „Ich mag mich gar nicht daran erinnern, was diese Praktikanten hier alles angestellt haben! Unter anderem haben sie Lothar angekleidet, ihn ins Wartezimmer gesetzt und den Patienten, die dann kamen, gesagt, die Wartezeit wäre an diesem Tag etwas länger.“

„Wer ist Lothar?“, erkundigte sich der Professor.

„Unser Skelett! Was meinen Sie, wie die Patienten darauf reagiert haben? Wir hatten alle Hände voll zu tun, um die aufgebrachte Menge wieder zu beruhigen.“

„Oh!“ Prof. Lutz Weidner prustete hinter vorgehaltener Hand. „Es sind halt noch halbe Kinder, Kollege!“ Er legte den Kopf schief, und seine Augen funkelten listig, als er sich erkundigte: „Wo haben Sie denn damals Ihr Pflegepraktikum gemacht?“

„Heidelberg. Uniklinik“, knurrte Peter Kersten unwillig.

„Ah, sehr schön! Ich kenne zufällig Herrn Prof. Sumser, den dortigen Chefarzt, sehr gut. Zu Ihrer Zeit wird er wohl erst Oberarzt gewesen sein. Gesetzt den Fall, ich würde mich bei ihm erkundigen, was Sie damals so alles angestellt haben, was würde ich dann wohl erfahren?“

„Unterstehen Sie sich!“, brauste Peter Kersten auf, warf Lutz Weidner einen vernichtenden Blick zu und riss ihm die Mappen unsanft aus der Hand. „Also, geben Sie schon her!“

„Ja, ja, ja!“ Der Klinikchef grinste süffisant. „Wir waren wohl selbst auch kein Knabe von Traurigkeit, was?“ Er wandte sich zur Tür. „In den Mappen finden Sie die Lebensläufe, ein Foto und jeweils ein persönliches Schreiben von jedem Ihrer lieben Schützlinge. Sie können sich schon mal damit vertraut machen. Viel Spaß!“

„Halt!“, rief Peter Kersten, ehe der Chefarzt um die Ecke verschwinden konnte. „Wann?“

„Morgen pünktlich um acht!“

„Morgen schon? Scheiße!“

„Schön, wie Sie sich freuen, mein lieber Kollege! Da geht einem direkt das Herz auf.“

Laut wiehernd verschwand der Chefarzt im Fahrstuhl, während Peter Kersten, von bösen Vorahnungen geplagt, hinter seinem Schreibtisch in sich zusammensank und mit einem entnervten Schnauben seine Stirn auf die sieben blauen Mappen vor sich krachen ließ.

Jedes Jahr in den großen Ferien überschwemmten die Medizinstudenten der ersten Semester die Kliniken des ganzen Landes. Um sich für die erste ärztliche Prüfung anmelden zu dürfen, mussten sie ein dreimonatiges Pflegepraktikum in einem Krankenhaus vorweisen.

Als Hilfe konnte man sie in diesem Stadium allerdings noch nicht wirklich bezeichnen. Außer einem bisschen theoretischen Wissen hatten sie noch nicht viel zu bieten.

Stattdessen hatten sie allerdings jede Menge Flausen im Kopf, glaubten – wie fast alle jungen Menschen in diesem Alter –, sie wüssten und könnten alles besser, und man musste sie hüten wie einen Sack Flöhe, weil sie jede Menge „unheimlich lustige“ Ideen hatten.

Um gleich zu sehen, wen man hier vor sich hatte, wurden die Praktikanten in leuchtend blaue Kittel gesteckt und deshalb von den Mitarbeitern der Klinik die Blaukittel oder einfach nur die Blauen und manchmal – hinter vorgehaltener Hand – mitunter auch die Schlümpfe genannt.

„Was ist los, Peter? Bist du müde, oder ist dir übel?“ Oberschwester Nora betrat den Bereitschaftsraum und beugte sich besorgt über den Notarzt.

„Was?“ Peter hob seufzend den Kopf. „Nein, mir geht es mehr oder weniger gut. Es ist nur …“

Doch er brauchte es gar nicht auszusprechen, denn als Noras Blick auf die Mappen fiel, wusste sie sofort Bescheid.

„Nein! Die Blaukittel kommen schon wieder? O Gott! Sag mir bitte, dass das nicht wahr ist!“

„Doch! Morgen schon.“

„Herrgott noch mal!“ Nora Lechner fuhr sich mit allen zehn Fingern in das schwarze lange Haar und riss verzweifelt daran. „Schon morgen? Himmel! Okay, nur nicht den Kopf verlieren!“, befahl sie sich selbst und überlegte fieberhaft, was nun alles zu tun sei.

Sie lief zu dem Schlüsselbrett, das neben der Tür angebracht war, nahm einen der Schlüssel herunter und ließ ihn in die Brusttasche von Peters Kittel fallen.

„Den behältst du bitte immer bei dir!“, befahl sie. „Ich werde meinen auch einstecken. Der Medikamentenraum muss ab morgen immer verschlossen sein. Letztes Jahr haben die Schlümpfe sich gegenseitig chloroformiert!“

„Ich erinnere mich!“, stöhnte der Leiter der Notaufnahme. „Vom Lachgas haben sie auch probiert. In den Schockräumen steht jeweils ein Behälter. Die müssen wir wegschließen. Und bring Lothar in Sicherheit!“

„Oh ja!“ Die Oberschwester verdrehte stöhnend die Augen. „Ich sage dann gleich auch unten in der Leichenhalle Bescheid. Dort schleichen sie sich als Erstes hinein, um dann bei Semesterbeginn damit angeben zu können, wie mutig sie doch sind.“

„Stimmt! Ist Schwester Trudi da?“, erkundigte sich Peter.

„Nein, die ist derzeit im anderen Team und macht Nachtdienst. Aber ich rufe sie sofort an und frage, ob sie bereit ist mit … mal sehen …“ Nora dachte kurz nach. „Mit Katrin soll sie tauschen. Du hast recht, Peter, Trudi muss unbedingt her. Die ist die Einzige, die denen Herr wird.“

Dr. Kersten lachte amüsiert auf.

„Wenn uns jemand zuhören würde, der nicht weiß, worum es geht, müsste der annehmen, wir würden uns auf eine Heuschreckenplage vorbereiten.“

Nora zuckte grinsend mit den Schultern.

„Tun wir doch eigentlich auch, oder?“

„Oh ja! Du sagst es!“, seufzte der Notarzt.

***

„Was grinsen Sie denn so, als ob Sie im Lotto gewonnen hätten, Weidner?“

Der Chefarzt wollte gerade die Cafeteria betreten, als die Tür aufschwang und ein dicker gewölbter Bauch, gefolgt von Emil Rohrmoser, dem Verwaltungsdirektor der Sauerbruch-Klinik, zum Vorschein kam.

Unter seinem massigen Doppelkinn klemmte noch die gelbe Papierserviette, die er sich in den Hemdkragen gesteckt hatte und auf der eine einsame Suppennudel ganz langsam abwärts kroch und eine feuchte Schleimspur hinterließ.

In seiner feisten Hand hielt er eine Bockwurst, die er jetzt wie einen geschwollenen Finger auf Lutz Weidners Brust richtete.

„Und? Haben Sie? Wenn ja, wie viel? Und vor allem: Wie viel davon spenden Sie der Sauerbruch-Klinik?“

„Viel besser als ein Lottogewinn!“ Der Professor winkte lachend ab, zerrte die Serviette unter Emils Kinn hervor, knüllte sie zusammen und warf sie in einen Mülleimer, der in der Ecke hinter der Tür stand.

„Es ist mir heute schon gelungen, den Kollegen Weninger zwischen Tür und Angel zu übertölpeln. Vor fünf Minuten habe ich den Kollegen Kersten überrumpelt, und jetzt kaufe ich mir noch Dr. Lohmann.“

Lachend fuhr Lutz Weidner mit der Hand in seine Kitteltasche und zog eine dicke Zigarre daraus hervor, während ihn der Verwaltungsdirektor mit großen Augen erstaunt ansah.

„Da! Eine echte Havanna! Nichts liebt Dr. Lohmann mehr als eine Zigarre nach einem deftigen Mittagessen. Die halte ich ihm unter die Nase und gebe sie ihm aber nur dann, wenn er Ja sagt. Und das wird er! Dann habe ich schon wieder ein Problem vom Hals.“

„Keinen blassen Schimmer, worüber Sie da reden, Weidner!“ Emil Rohrmoser schüttelte den Kopf, und sein Doppelkinn geriet dabei bedrohlich ins Schwanken. Er hob die Wurst hoch. „Wollen Sie mal abbeißen? Die habe ich mir für den Weg zurück ins Büro mitgenommen.“

„Nein danke, Direktor! Und Sie sollten so etwas auch nicht essen! Wissen Sie, wie viel Fett in so einer …“

„Sind Sie ein Beamter der polizeilichen Fett-Fahndung oder was, Weidner?“, fiel der Verwaltungsdirektor dem Chefarzt ins Wort und biss demonstrativ die Hälfte von der Wurst ab, bevor er mit vollem Mund weitersprach. „Heute schaffen Sie es sowieso nicht, mir mit Ihrer feindlichen Einstellung gegen alles, was gut schmeckt, die Laune zu verderben. Heute gab es nämlich Frau Rosis Spezialgulasch zum Mittagessen. Mit Semmelknödeln! Davor hatte ich eine Nudelsuppe. Mit Schnittlauch und zum Nachtisch ein großes gemischtes Eis mit Schlagsahne und Waffeln. Köstlich!“

Emil Rohrmoser deutete mit dem Daumen auf die offene Tür hinter sich. „Am liebsten würde ich gleich nochmal …“ Er biss abermals ein großes Stück von der Wurst ab und nuschelte: „Also? Raus damit! Was ist es denn, was Sie gar so zufrieden macht?“

„Ach, es handelt sich um den alljährlichen Streit zwischen den einzelnen Stationsleitern darüber, wer sich um die Pflegepraktikanten kümmern soll. Jeder will sich davor drück …“

Weiter kam der Chefarzt nicht.

„Die Blaukittel kommen?“ Emil Rohrmosers Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er holte tief Luft, um sich zu empören, dabei inhalierte er ein Stück Bockwurst. Der Verwaltungsdirektor fasste sich röchelnd an die Kehle und versuchte, nach Luft zu schnappen.

„Husten!“, befahl der Chefarzt, stellte sich hinter Emil Rohrmoser und schlug ihm mit der flachen Hand kräftig zwischen die Schulterblätter. Doch noch immer steckte die Bockwurst in der Luftröhre, und der Verwaltungsdirektor drohte in die Knie zu gehen.

„Stehen bleiben!“, befahl Lutz Weidner. Er stellte sich dicht hinter den übergewichtigen Mann und umfasste ihn mit beiden Armen. Dann ballte er seine linke Hand zur Faust und platzierte den angewinkelten Daumen direkt unter Rohrmosers Brustbein. Er umfing die Faust mit der rechten Hand und zog so stark er konnte nach innen und gleichzeitig leicht nach oben.

Emil Rohrmoser klappte in der Mitte zusammen wie ein Taschenmesser. Die gesamte aufgestaute Luft wich aus seinem massigen Leib und mit ihr die Bockwurst. In hohem Bogen flog das halb zerkaute Stück aus Rohrmosers Trachea, klatschte an die gegenüberliegende Wand und rutschte von dort langsam abwärts.

„Na also!“ Lutz Weidner besah sich seinen lädierten Daumen und seufzte erleichtert auf. „Das nennt man das Heimlich-Manöver. Benannt nach Dr. Heimlich, der diesen Griff …“

„Halten Sie mir keinen Vortrag, Weidner!“ Emils Stimme klang krächzend und schwach, als er sein erstes Lebenszeichen von sich gab. „Das war Ihre Schuld! Sie haben mich erschreckt!“

„Das tut mir leid!“

„Eine Entschuldigung kann man nicht essen! Sie schulden mir eine neue Wurst!“

„Wie bitte?“ Der Chefarzt riss ungläubig die Augen auf. „Sie wären eben noch an dieser blöden Wurst erstickt, und jetzt wollen Sie gleich noch eine?“

„Was kann denn die Wurst dafür, dass Sie einen Mordanschlag an mir verüben?“, brauste der Verwaltungsdirektor auf.

„Tz!“ Prof. Weidner schüttelte den Kopf. „Mordanschlag! Was haben Sie gegen ein paar harmlose Studenten?“

„Wissen Sie, wie viele Tausende Euro an Mehrkosten die uns im letzten Jahr verursacht haben, Weidner?“ Emil Rohrmoser packte den Professor am Kragen seines Kittels und zog ihn näher zu sich heran. „Wissen Sie das? Nein? Ich schon! Ich habe darüber Buch geführt! Ich habe eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgestellt. Wollen Sie das Ergebnis wissen?“

„Na? Immer raus damit!“

„Nutzen gleich Null, Kosten horrend!“

„Jetzt hören Sie aber auf!“ Lutz Weidner zerrte seinen Kragen aus Rohrmosers Fäusten. „Die paar Holzspatel, die sie vielleicht zerbrochen haben, und die paar …“

„Und …“ Emil hob seinen Zeigefinger hoch. „Denken Sie nur einmal an das zusätzliche Toilettenpapier, das die verbraucht haben! Glauben Sie vielleicht, das gibt es geschenkt?“

„Du meine Güte, Klopapier!“ Seufzend verdrehte der Chefarzt die Augen.

„Nicht so geringschätzig die Augen verdrehen, Weidner!“, mahnte Direktor Rohrmoser. „Unterschätzen Sie das bloß nicht! Kleinvieh macht auch Mist! Und wer muss das alles bezahlen? Ich!“

„Ja, ja!“ Der Professor winkte genervt ab. „Unsere Klinik hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Nachwuchs zu fördern.“ Nun wurde auch er laut. „Daran ist nicht zu rütteln, Direktor! Das steht sogar in unseren Statuten! Das lasse ich mir nicht nehmen. Niemals! Bei diesen jungen Menschen handelt es sich um die Zukunft der Medizin! Die Zukunft der Sauerbruch-Klinik!“

„Ach so? Na, wenn die neuen Blaukittel nur halb so lustig sind wie die vom letzten Jahr, dann gute Nacht, Sauerbruch-Klinik“, murmelte Emil Rohrmoser verdrossen. „Letztes Jahr hätte mich um ein Haar der Schlag getroffen, als einer von denen im Fahrstuhl einen blutigen Gummifinger aus seiner Kitteltasche gezogen hat und mir weismachen wollte, wir hätten Lepra-Alarm in der Klinik.“

„Kinderkram! Jugendlicher Überschwang!“ Lutz Weidner zuckte die Schultern. „Waren Sie nie jung, Rohrmoser?“

„Nicht, wenn es um Geld ging, Weidner! Mein erstes Spielzeug war ein Sparschwein! Rosinante, so habe ich es getauft. Ich habe es stets mit gebührlichem Respekt behandelt und es fleißig gefüttert.“

„Warum wundert mich das jetzt nicht?“, grummelte der Klinikleiter.

„Na ja …“, lenkte der Verwaltungsdirektor ein. „Und was … wenn wir von jedem Praktikanten einen kleinen Beitrag einfordern würden?“

„Das sollte jetzt hoffentlich ein Witz gewesen sein, ja? Wenn nicht, dann schlagen Sie sich das schleunigst aus dem Kopf!“ Prof. Weidner stieß die Tür zur Cafeteria auf. „Ach, und …“ Er drehte sich noch einmal um. „Gern geschehen übrigens, Herr Direktor Rohrmoser!“

„Was denn jetzt?“

„Dass ich Ihnen das Leben gerettet und mir dabei meinen Daumen verstaucht habe!“

„Ja, ja, macht nichts“ murmelte der Direktor gedankenverloren, packte den Professor am Oberarm und zog ihn ein Stück zurück. „Sie! Weidner! Halten Sie eigentlich wieder so eine Begrüßungsrede im Konferenzraum, wenn die Praktikanten kommen?“

„Natürlich!“

„Gut! Sagen Sie mir Bescheid, wann. Ich will auch dabei sein!“

„Wozu?“, fragte Lutz Weidner misstrauisch.

„Unter anderem, um denen zu sagen, dass sich jeder sein eigenes Toilettenpapier von zu Hause mitbringen soll. Und was ist jetzt mit meiner Wurst?“

„Ach, Sie …“, begann der Professor aufzubrausen. Dann besann er sich jedoch und zeigte grinsend zur Wand. „Da, die ist doch noch tadellos in Ordnung. Nur nichts verschwenden! Guten Appetit!“

Damit verschwand er hastig durch die Tür und schaute sich nach Dr. Herbert Lohman, dem Leiter der Abteilung für Urologie, um.

***

Ähnlich gemischt wie die Gefühle der Belegschaft der Sauerbruch-Klinik waren auch die Gefühle der sieben Medizinstudenten, die mehr oder weniger freiwillig ihre gesamten Ferien opfern und ab morgen täglich in die Klinik pilgern mussten, um dort Fieber zu messen und Bettpfannen auszuleeren.

Serafin Adler, zum Beispiel, war stinksauer. Er war der Sohn von Dr. Emmerich Adler, der in Frankfurt eine Schönheitsklinik der Luxusklasse betrieb und hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass für ihn die gleichen Regeln gelten würden, wie für irgendwelche hergelaufenen Studenten.

Dass Emmerich Adler im ganzen Land und bis weit über die Grenzen hinaus berühmt war, lag definitiv nicht an seinen herausragenden medizinischen Fähigkeiten. Es lag daran, dass kaum eine Woche verstrich, in der er nicht in irgendeiner Talkshow im Fernsehen auftrat. Doch das hinderte ihn nicht daran, sich selbst für einen der wichtigsten Mediziner des Landes zu halten.

Serafin hatte sich vor seinen Kommilitonen bereits damit gebrüstet, dass er die Ferien auf Mallorca genießen und dennoch eine Bestätigung für ein absolviertes Pflegepraktikum erhalten würde. Erst in letzter Sekunde hatte er erfahren, dass ein Praktikum in einer Schönheitsklinik nicht anerkannt wurde.

„Das ist eine Frechheit!“, empörte er sich, als er jetzt seinem Vater in dessen luxuriös ausgestattetem Büro gegenübersaß. „Wie komme ich denn dazu, drei Monate lang unbezahlte Arbeit zu leisten und irgendwelchen ekligen Leuten den Hintern zu putzen?“

„Ja, das ist wirklich übel“, pflichtete ihm sein Vater bei. „Das sind die Schikanen, die irgendwelche frustrierten, talentlosen Beamten sich ausdenken, die selbst nichts im Leben auf die Reihe kriegen.“

Emmerich Adler rümpfte angewidert die Nase. Dann kramte er in der Schublade seines Schreibtischs und zog eine Mappe daraus hervor.

„Sauerbruch-Klinik, sagtest du? In der Notaufnahme soll es losgehen? Mal sehen, was sich da machen lässt …“ Er blätterte, fuhr murmelnd mit dem Finger die Einträge entlang und lachte dann verächtlich auf. „Dr. Peter Kersten! Den kenne ich doch!“

„Ja?“ Serafins Augen leuchteten hoffnungsvoll auf. Er kippte seinen Stuhl nach hinten, hob die Beine hoch und stemmte die Füße gegen den wuchtigen Mahagoni-Schreibtisch seines Vaters. „Was ist denn der für einer, dieser Kersten?“

„Peter Kersten ist ungefähr Mitte vierzig und hat es gerade einmal zum Leiter der Notaufnahme gebracht. In diesem Alter war ich bereits Chef meiner eigenen Klinik. Eine besonders große Leuchte kann er also nicht sein“, erwiderte Emmerich Adler geringschätzig und griff zum Telefonhörer.

„Meinst du, da geht was? Ich habe nämlich echt keinen Bock auf Drecksarbeit. In der Sauerbruch-Klinik wird doch jeder hergelaufene Penner behandelt. Wer weiß, was man sich dort alles holen kann! Läuse, die Krätze oder noch Schlimmeres.“

„Klar geht da was. Immerhin kennt jeder meinen Namen.“ Emmerich Adler nickte seinem Sohn beruhigend zu und wählte die Nummer der Sauerbruch-Klinik.

„Ich werde ihm sagen, wer du bist, und wenn das nicht reicht, dann mache ich halt in Gottes Namen seiner Frau oder Freundin gratis einen neuen Busen. Wenn die so ungefähr in seinem Alter ist, dann wird sie es ohnehin schon bitter nötig haben.“

„Cool!“ Serafin ließ seine Beine polternd zu Boden fallen und machte sich in Gedanken bereits auf die Reise nach Mallorca, wo sein Vater eine traumhaft schöne Finca besaß. „Sag ihm, er soll einfach gleich die Bestätigung herausrücken, und der Fall ist erledigt. Ich hole sie mir morgen ab. Man kann doch nicht von mir verlangen, dass ich …“

„Sch-scht!“ Emmerich legte mahnend einen Finger vor den Mund, als am anderen Ende der Leitung eben abgehoben wurde.

„Hier ist die Adler-Klinik, Dr. Emmerich Adler persönlich“, meldete er sich mit forschem Tonfall. „Ich möchte den Kollegen Kersten sprechen. Es ist wichtig!“

Er hörte eine Weile zu und verdrehte dabei ungeduldig die Augen.

„Wenn er so schwer zu erreichen ist, dann geben Sie mir eben seine Privatnummer, damit ich ihn nach Dienstschluss anrufen kann!“, forderte er nicht besonders höflich.

Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn, als er offensichtlich eine ablehnende Antwort bekam.

„Haben Sie nicht aufgepasst, wer hier spricht, gute Frau? Ich bin Dr. Emmerich Adler von der …“

Die gute Frau schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein, und Emmerich schnaubte wütend durch die Nase.

„Ja, ja, schon gut! Dann bestellen Sie ihm wenigstens, er möge mich umgehend zurückrufen. Aber bitte heute noch, denn es handelt sich um eine äußerst dringliche Angelegenheit!“ Damit knallte er den Hörer auf den Apparat.

„Was ist?“ Serafin hielt gespannt die Luft an.

„Kersten ist gerade im OP und die dumme Gans, mit der ich gesprochen habe, will seine Privatnummer nicht herausrücken. Aber mach dir keine Sorgen, der ruft hundertprozentig zurück.“ Emmerich Adler lachte amüsiert auf. „Wahrscheinlich macht er sich Hoffnungen, dass ich ihm einen Job an meiner Klinik anbiete! Klar, in einer gewöhnlichen Klinik verdient man ja auch einen Scheißdreck.“

„Und?“ Serafin zog fragend die Schultern hoch. „Falls das seine Bedingung ist, nimmst du ihn dann?“

„Warum nicht?“ Dr. Adler grinste. „Ich kann ihn ja vierzehn Tage später wieder entlassen, wenn er nichts taugt. Beschweren kann er sich dann ja nicht gut darüber, denn dieser Deal ist ja illegal. Damit habe ich ihn praktisch in der Hand.“

Er warf einen prüfenden Blick auf seine goldene Rolex und stand auf. Sein Sohn tat es ihm gleich und erhob sich ebenfalls.

„So, jetzt muss ich aber gehen, Junge. Muss in zehn Minuten einem untalentierten Schlagersternchen ein stromlinienförmiges Näschen verpassen und ihr exotische Wangenknochen modellieren. So macht man heutzutage Karriere, wenn man keinen Funken Talent besitzt.“

„Ja, aber …“ Serafin folgte seinem Vater auf den Flur hinaus. „Du sorgst doch dafür, dass alles klappt?“

„Natürlich, mein Junge!“ Emmerich Adler blieb stehen und tätschelte seinem Sohn die Schulter. „Du kannst schon mal nach Hause gehen und für die Reise packen. Verlass dich drauf, die Sache ist so gut wie geritzt!“ Er winkte seinem Sohn nach, der erfreut auf den Fahrstuhl zustrebte. „In vier Wochen komme ich nach, und dann lassen wir es ordentlich krachen, Serafin! Sonne, Sand und heiße Nächte mit ebensolchen Weibern!“

„Und Mama?“

„Ha, ha! Ich schenke ihr zum Hochzeitstag ein Facelifting. Danach wird sie für eine Weile so übel aussehen, dass sie bestimmt nicht mitkommen möchte! Tja, dein Vater ist nicht auf den Kopf gefallen, was, mein Sohn?“

Lachend verschwand der berühmte Schönheitschirurg im Waschraum, um sich für die Operation fertigzumachen.

***

Auch Julian Brandtner packte gerade seine Sachen zusammen. Viel war es nicht, was er in seinen großen Rucksack stopfte. Zwei Jeans zum Wechseln, drei T-Shirts und etwas Unterwäsche.

Das musste für die drei Monate reichen, denn vermutlich würde er sein gesamtes Gepäck täglich in die Klinik mitschleppen müssen, weil er nicht wusste, wo er es tagsüber lassen sollte, und da konnte er ja nicht gut mit dem großen Koffer ankommen.

Die Frage, wo er in diesen drei Monaten die Nächte verbringen sollte, war nämlich leider noch nicht geklärt und es sah im Moment auch nicht so aus, als würde sich so rasch eine Lösung für dieses Problem finden.

Julian studierte in München und hätte dort bestimmt auch einen Praktikumsplatz bekommen. Doch seit er einmal einen Gastvortrag von Professor Lutz Weidner gehört hatte, hatte er sich in den Kopf gesetzt, sein Praktikum an der Sauerbruch-Klinik zu machen, um dort mehr von diesem charismatischen und klugen Mann zu lernen.

Dafür hatte er allerdings seinen Job als Kellner aufgeben müssen, mit dem er sich sein Studium finanzierte. Das bisschen Geld, das er noch hatte, würde nicht einmal für das billigste Hotelzimmer reichen, und er kannte in Frankfurt niemanden, bei dem er für drei Monate hätte unterkommen können.

Sein Vater, der in München drei gut gehende Imbissbuden besaß, hätte ihm ohne Probleme unter die Arme greifen können. Doch das wollte er nicht, denn er hielt von der Schnapsidee seines Sohnes, Arzt werden zu wollen, rein gar nichts.

Anton Brandtner war der Meinung, der Bengel solle lieber lernen, Frikadellen zu braten, Hamburger und Hotdogs herzustellen und Pommes zu frittieren. Das war ein gutes Geschäft. Eines mit Zukunft, denn Hunger hatten die Leute schließlich immer.

Im Gegensatz zu ihm selbst sah der Junge ziemlich gut aus. Er war groß, hatte eine schlanke, sportliche Figur, kurze brünette Haare und immer ein freundliches Lächeln auf den Lippen.

Wenn Julian früher in den Ferien und an den Wochenenden in den Imbissbuden ausgeholfen hatte, dann hatte sich die weibliche Kundschaft schlagartig verzehnfacht. Der Junge war mit seinem Charme, seinem Humor und seiner Höflichkeit Gold wert, und das wollte sich Anton nicht entgehen lassen.

Indem er Julian die finanzielle Unterstützung verweigerte, hoffte er, dieser würde bald klein beigeben, das Handtuch werfen, von seinem hohen Ross herunterkommen und endlich ins Imbiss-Geschäft einsteigen.

Von Ärzten hielt Anton sowieso nichts. Die vergraulten ihm schließlich mit ihrem blöden Gequatsche über gesunde Ernährung, Blutfettwerte, verstopfte Herzkranzgefäße und Cholesterin nur seine besten Kunden.

„Na, damit wirst du aber keine großen Sprünge machen können!“, spottete Anton Brandtner, als er das traurige Häufchen Bargeld sah, das Julian eben aus seiner Brieftasche und der alten Zigarrenkiste, in der er seine eiserne Reserve aufbewahrte, auf den Küchentisch leerte und zu zählen begann.

„Für ein Bahnticket nach Frankfurt reicht es allemal.“ Julian bündelte die wenigen Banknoten und schob sie in seine Brieftasche zurück. Dann begann er, die zahlreichen Münzen übereinanderzustapeln, die er in der Kneipe als Trinkgeld bekommen hatte.

„Und wo willst du schlafen?“, wollte sein Vater wissen. „Das langt ja nicht mal für zehn Minuten in einer billigen Absteige.“

„Notfalls schlafe ich die ersten Nächte in meinem Schlafsack irgendwo in einem Park. Und dann suche ich mir einfach einen Job. Als Kellner findet man immer und überall etwas.“

„Das ist doch verrückt!“, brauste Anton auf. „Wieso tust du dir das an? Arbeite bei mir in der Frittenbude, dann bekommst du einen anständigen Lohn und kannst in deiner Freizeit mit Mädchen ausgehen, Fußball gucken oder dir mit guten Kumpels ein paar Biere hinter die Binde gießen. Was richtige Männer eben so machen!“

„Das kann ich alles später auch noch tun, wenn ich erst einmal Arzt bin.“ Julian lachte. „Gib es auf, du schaffst es nicht, mich davon abzubringen. Die Medizin ist mein Traumberuf. Ich will nichts anderes machen. Und schon gar nicht Würstchen grillen.“

„Das werden wir ja sehen.“ Anton Brandtner war ganz sicher, dass Julian spätestens nach zwei oder drei Wochen reumütig aus Frankfurt zurückkehren würde.

„Den ganzen Tag lang in der Klinik arbeiten und nachts noch kellnern, das hältst du sowieso nicht lange durch.“

„Mal sehen …“ Julian warf die Münzen in die Zigarrenkiste zurück und stopfte diese in seinen Rucksack. „Irgendeine Lösung werde ich schon finden. Wenn man etwas wirklich will, dann findet man immer einen Weg.“

„Aber sicher!“, ätzte Anton. „Du kannst dich ja mit deiner Gitarre an eine Straßenecke stellen, den Leuten was vorsingen und darauf hoffen, dass sie dir ein paar Münzen in den Hut werfen.“

„He!“ Julian sprang auf. „Die Idee ist gar nicht mal so dumm! Daran hätte ich gar nicht gedacht.“ Er lief in sein Zimmer und kam kurz darauf mit seiner Gitarre zurück. „Danke, dass du mich darauf gebracht hast!“

„Das war doch nur ein Scherz! Willst du allen Ernstes auf der Straße betteln?“ Anton schüttelte den Kopf.

Julian warf einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr, stand auf, schlüpfte in seine Turnschuhe, schwang sich den Rucksack über die eine und die Gitarre über die andere Schulter und ging zur Tür.

„Nicht betteln, Musik machen. Bestimmt verdiene ich damit genug, um mir hin und wieder was zu essen kaufen zu können. Vielleicht reicht es sogar für ein billiges Zimmer in einer kleinen Pension.“

„Hör mal, Junge!“ Anton Brandtner folgte seinem Sohn auf den Flur hinaus. „Nimm doch endlich Vernunft an! Studieren ist etwas für arbeitsscheue Weicheier! Für Drückeberger! Memmen! In unserer gesamten Familie hat noch nie einer länger als unbedingt notwendig die Schulbank gedrückt. Das ist doch …“

„Ja, ja, schon gut. Du wirst das sowieso niemals verstehen. Tschüss, ich muss los, sonst verpasse ich meinen Zug“, fiel Julian seinem Vater ins Wort und lief die Treppe nach unten.

Er hatte sich nie besonders gut mit dem Mann, der in regelmäßigen Abständen zu tief ins Glas schaute und dann gerne mal aggressiv und mitunter sogar gewalttätig wurde, verstanden. Er machte ihn auch für den viel zu frühen Herztod seiner Mutter verantwortlich, die neben ihrem Mann ganz bestimmt kein besonders schönes Leben gehabt hatte.

„Wenn du schon so erwachsen bist, dass du glaubst, nicht mehr auf deinen Vater hören zu müssen, dann brauchst du gar nicht erst wiederzukommen!“, rief Anton Brandtner seinem Sohn erbost nach, als dieser unten angekommen war. Er beugte sich weit über das Treppengeländer. „Hast du gehört?“

„Ja, ja, habe ich!“

„Und?“

„Ist okay!“, rief Julian gelassen zurück. Er hatte sowieso längst geplant, die elterliche Wohnung zu verlassen und sich irgendwo ein billiges Zimmer zu mieten.

Als er durch den kleinen Park lief, der dem Wohnhaus, in dem er aufgewachsen war, gegenüberlag, um zur Bushaltestelle zu gelangen, machte er in Gedanken eine kurze Bestandsaufnahme.

Er hatte keine Ahnung, wo er in Frankfurt wohnen sollte. Er wusste nicht, ob er mit seiner Gitarre genügend Geld zusammenbekommen würde, um davon drei Monate leben zu können. Und nun gab es auch kein Zuhause mehr, in das er nach dem Praktikum zurückkehren konnte.

„Okay!“, lachte Julian und schlüpfte am anderen Ende des Parks durch eine Hecke nach draußen. „Ist doch eigentlich gut so! Nur mit leeren Händen ist man dazu in der Lage, etwas Neues aufzusammeln. Mal sehen, was mir die Zukunft so bringt!“

***

Auch Lilly Rhomberg hatte sich dazu entschlossen, ihr Praktikum fernab von ihrer Heimatstadt Hamburg zu absolvieren.

Erstens hatte sie Lust auf einen Ortswechsel, und zweitens konnte sie in Frankfurt im Haus ihrer Tante Almut wohnen, die wie jedes Jahr den Sommer in ihrem Ferienhaus auf Madeira verbrachte.

Sorgen wie jene, die Julian von frühester Kindheit an begleitet hatten, hatte Lilly nie kennengelernt. Die Rhombergs waren eine der reichsten und angesehensten Familien des ganzen Landes und lebten in einem der grünen Vororte von Hamburg in einer palastähnlichen Villa mit fünfzehn Zimmern und Personal.

Heinrich Rhomberg stellte Luxusyachten für die oberen Zehntausend auf der ganzen Welt her.

Wann immer er gefragt wurde, welches das kostbarste und exklusivste Modell sei, das er jemals erzeugt hätte, dann pflegte sich sein Blick immer zu verklären, während er wie aus der Pistole geschossen antwortete: „Lilly, meine wundervolle Tochter. Sie ist das Wertvollste, an dessen Entstehung ich ein bisschen beteiligt sein durfte.“

Lilly Rhomberg hätte also guten Grund dazu gehabt, die Nase hoch zu tragen. Das tat sie aber nicht. Sie war ein so unkompliziertes, natürliches und immer freundliches Mädchen, dass alle sie einfach nur gern haben konnten. Selbst diejenigen, die sie glühend beneideten.

„Nicht doch, einer reicht völlig!“, lachte sie jetzt, als Charlotte Rhomberg, ihre Mutter, mit einem weiteren großen Koffer in Lillys Zimmer trat.

„Aber du bleibst doch drei Monate lang weg, Liebes!“ Charlotte Rhomberg warf einen zweifelnden Blick auf die paar Sachen, die ihre Tochter in einem Koffer verstaut hatte, der aufgeklappt auf einer Truhe in Lillys Ankleidezimmer lag.

„Das sind neunzig Tage, da sind doch zwei Kleider, ein paar T-Shirts und drei Jeans viel zu wenig!“

„Nein, nein, das reicht schon, Mama.“ Lilly faltete eine Strickjacke zusammen, legte sie noch obenauf und klappte den Koffer zu.

„Erstens werde ich in Frankfurt ja doch die meiste Zeit in einem blauen Kittel herumlaufen, und zweitens hat Tante Almut ja bestimmt eine Waschmaschine.“

„Okay, wie du meinst.“ Seufzend stellte Charlotte den leeren Koffer, den sie mitgebracht hatte, in eine Ecke. „Und drittens hast du ja deine Kreditkarte und kannst dir in Frankfurt kaufen, was immer du brauchst.“

„Autsch!“ Eine Strähne von Lillys langen brünetten Locken, die ihr bis zu den Hüften reichten, hatte sich im Koffergriff verfangen und es ziepte, als die junge Frau sich wieder aufrichten wollte.

„Mensch! Hilfst du mir bitte mal, Mama?“ Sie trat vor den Schminkspiegel, nahm ein Haargummi aus einer Kristallschale, die mit Krimskrams gefüllt war, und reichte ihn ihrer Mutter. „Ein Zopf wäre am besten, sonst klemme ich mir die Haare am Ende noch irgendwo im Zug ein und kann nicht rechtzeitig aussteigen.“

„Ach, Schätzchen!“ Charlotte griff zu einer Bürste und fuhr damit sanft durch das lange glänzende Haar. „Wieso lässt du dich nicht von Albert nach Frankfurt fahren? Papa kann auch mal einen Tag ohne Chauffeur auskommen. Oder nimm wenigstens ein Flugzeug, das geht rasch und ist viel bequemer.“

„Ich bin zwanzig, Mama!“ Lilly verdrehte die Augen. „Da legt man noch nicht so viel Wert auf Bequemlichkeit. Da möchte man noch Abenteuer erleben.“

„Du hast ja recht, mein Schatz.“ Charlotte beugte sich über Lillys Schulter und schmiegte ihre Wange an die ihrer Tochter. „Ich muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass du jetzt erwachsen bist, und aufhören, ständig wie eine Glucke hinter dir herzulaufen.“

Sie lachte laut auf und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.

„Es fällt nur so unglaublich schwer!“ Mit geschickten Fingern flocht sie die langen Locken zu einem Zopf. „Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass du … dass …“

Das Lachen verwandelte sich in ein Schluchzen. Lilly stand auf und schlang ihrer Mutter beide Arme um denn Nacken.

„Mach dir doch um mich keine Sorgen, Mama. Ich komme ja in drei Monaten schon wieder. Und ich rufe dich jeden Abend an, damit du weißt, dass ich noch lebe. Okay?“

„Ja, tu das bitte!“, schniefte Charlotte. „Sonst komme ich vor Sorge noch um. Und Papa erst recht. Der Ärmste ist völlig fertig. Was glaubst du, warum er nicht zum Bahnhof mitkommt?“

„Weil er eine wichtige Sitzung hat“, erwiderte Lilly arglos. „Hat er zumindest gesagt.“

„Ha, ha!“ Charlotte Rhomberg lachte und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Hat deinen Vater schon jemals irgendein beruflicher Termin davon abgehalten, bei dir zu sein, wenn du ihn gebraucht hast?“

„Nein, stimmt eigentlich!“ Lilly legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Was ist es dann?“

„Na, was denkst du denn?“ Charlotte strich ihrem Kind liebevoll über die Wange. „Er will nicht am Bahnhof vor allen Leuten heulen. Das ist der Grund für die wichtige Sitzung.“

„Ach Gott! Aber ich war doch schon öfter mal in den Ferien weg und Frankfurt ist doch nicht aus der Welt!“, lachte Lilly, sammelte noch ein paar Sachen von ihrem Schminktisch zusammen und warf sie in ihre Handtasche.

„Ja, das schon“, schniefte ihre Mutter. „Aber diesmal ist es etwas anderes. Du ziehst in die Welt hinaus, um dir ein eigenes Leben aufzubauen. Das ist auch gut so, und wir sind unendlich stolz auf dich. Aber es ist so schwer, ein geliebtes Kind loszulassen. Verstehst du das?“

„Von wegen loslassen!“ Lilly winkte schmunzelnd ab und gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange. „So schnell werdet ihr mich schon nicht los. Falsch! Ihr werdet mich überhaupt niemals los. Ich liebe euch doch über alles, und ich werde immer in eurer Nähe bleiben.“

„Ja, bitte?“ Charlotte Rhomberg drehte sich um, als draußen leise an die Tür geklopft wurde.

„Es wäre jetzt an der Zeit, zum Bahnhof zu fahren, meine Damen.“ Albert, der seit mehr als fünfundzwanzig Jahren mit seiner Frau in einem schmucken Häuschen auf dem Anwesen der Rhombergs lebte, trat mit gesenktem Kopf und auffällig geröteter Nase ein.

„Himmel! Hast du Schnupfen, Albert?“, fragte Lilly besorgt. „Dann bleib lieber zu Hause und leg dich ins Bett. Wir können doch auch mit dem Bus …“

„Bus? Das kommt doch überhaupt nicht infrage!“, fiel der Chauffeur der jungen Frau energisch ins Wort und wich zurück, als Charlotte Rhomberg ihm prüfend eine Hand auf die Stirn legen wollte. „Es ist nichts! Mir geht es gut. Es ist nur … also …“ Er zog die Nase hoch. „Es wird sehr still hier sein, wenn die kleine vorlaute Göre nicht mehr da ist.“

„Herrgott! Jetzt fange ich dann aber auch bald zu heulen an, wenn ihr so tut, als würde ich ans andere Ende der Welt verschwinden“, lachte Lilly. „Ich fahre doch nur nach Frankfurt, Albert! Frankfurt, das ist praktisch gleich um die Ecke, und dort gibt es keine wilden Tiere, die mich fressen könnten und auch sonst nichts Gefährliches! Ich komme also ganz bestimmt wieder!“

„Ach, das ist es ja nicht!“, winkte Albert schniefend ab. „Es ist nur so, dass es mir vorkommt, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich dich huckepack durch den Park getragen habe und dass wir Papierschiffchen auf dem Bach …“ Er brach ab, als ihm die Stimme versagte und drückte sich ein Taschentuch auf die geröteten Augen.

„Aufhören!“, befahl Lilly energisch, als sie sah, dass nun auch ihre Mutter wieder zu schniefen begann. „Ihr könnt mich ja an den Wochenenden besuchen kommen! Es sind doch bloß fünf oder sechs Stunden mit dem Auto.“

„Viereinhalb“, erwiderte Albert wie aus der Pistole geschossen. „Ich habe da schon ein paar Schleichwege und Abkürzungen ausgetüftelt, Frau Rhomberg. Ich schaffe den Weg in viereinhalb Stunden.“

„Sie sind ein Genie, Albert! Also, fahren wir in Gottes Namen!“ Charlotte tätschelte dem Chauffeur die Schulter und bückte sich dann nach Lillys Koffer, den ihr Albert sofort mit sanfter Gewalt entwand.

Unten in der weitläufigen Eingangshalle wartete bereits Henriette, die Köchin, mit einem Lunchpaket, von dem zehn Leute mehr als satt geworden wären, auf Lilly. Auch sie hatte verdächtig rote Augen.

„Dass Sie die Kleine so einfach weglassen, Frau Rhomberg“, schniefte sie vorwurfsvoll und schüttelte den Kopf.

„Sie ist zwanzig, Henriette“, verteidigte sich Charlotte. „Was hätte ich denn machen sollen?“

„Weiß nicht … sie einschließen vielleicht?“ Henriette musste selbst über ihren Vorschlag lachen. Dann hob sie mahnend ihren Zeigefinger hoch. „Dass du mir dort in Frankfurt ja keine Hamburger, Fritten und so ein Teufelszeug isst, Kind!“

Sie wich zurück, als Lilly sie umarmen wollte.

„Mach, dass du fortkommst!“, schluchzte sie, drehte sich um und rannte in die Küche zurück. „Du reißt mir das Herz in Stücke!“

So sehr sie sich auch auf ihre Zeit in Frankfurt freute – als Lilly wenig später im Zug saß, vergoss sie doch auch ein paar Tränen. Anders als Julian, dem es nicht schnell genug gehen konnte, von seinem Vater fortzukommen, verließ sie ein Elternhaus, in dem sie immer nur schöne und glückliche Tage erlebt hatte und in dem sie unendlich geliebt wurde.

***

„Wie ich dich kenne, warst du in diesem Alter auch nicht gerade ein Kind von Traurigkeit.“

Dr. Lea König, die Kinder- und Jugendpsychologin, grinste mitleidlos, als Peter Kersten ihr am Abend nach Dienstschluss sein Elend klagte.

Seit mehr als einem Jahr führte der Notarzt nun schon eine wirklich harmonische Beziehung mit der bildhübschen fünfunddreißigjährigen Psychologin, deren Ehemann – ein berühmter Kinderbuch-Autor – vor drei Jahren an Krebs gestorben war.

Mario König hatte seiner Frau eine riesige alte Villa am Stadtrand von Frankfurt hinterlassen, und obwohl Peter ein geräumiges Dachappartement nur fünf Gehminuten von der Sauerbruch-Klinik entfernt besaß, wohnte er nun doch bei Lea.