Der Schönheitssalon 1 - Nora Elias - E-Book
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Der Schönheitssalon 1 E-Book

Nora Elias

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Beschreibung

Berlin 1925: Helena Rosenberg wächst in einfachen Verhältnissen auf, doch dann erfährt sie, dass sie von ihrem unbekannten Vater als Erbin eingesetzt wurde und überdies eine Halbschwester hat. So verlässt sie die Provinz und geht in die Großstadt. Dort angekommen erwartet sie aber nicht nur die wenig begeisterte Schwester Charlotte, sondern auch eine hochverschuldete Apotheke. Die kreative Helena hat jedoch eine großartige Geschäftsidee: Eigene Kosmetik in der Apotheke herzustellen und zu vertreiben. Gemeinsam erobern Helena und Charlotte nicht nur ihren Platz in der Geschäftswelt, sondern auch die Männer, die sie lieben – und das glamouröse Berlin. Doch ihr Leben ist ein Tanz auf dem Vulkan ...

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Buch

Berlin 1925: Helena Rosenberg wächst in einfachen Verhältnissen auf, doch dann erfährt sie, dass sie von ihrem unbekannten Vater als Erbin eingesetzt wurde und überdies eine Halbschwester hat. So verlässt sie die Provinz und geht in die Großstadt. Dort angekommen erwartet sie aber nicht nur eine wenig begeisterte Schwester, sondern auch eine hochverschuldete Apotheke. Die kreative Helena hat jedoch eine großartige Geschäftsidee: Eigene Kosmetik in der Apotheke herzustellen und zu vertreiben. Gemeinsam erobern Helena und Charlotte nicht nur ihren Platz in der Geschäftswelt, sondern auch die Männer, die sie lieben – und das glamouröse Berlin. Doch ihr Leben ist ein Tanz auf dem Vulkan …

Informationen zu Nora Elias sowie zu weiteren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.

NORA ELIAS

Der Schönheits-salon

Das Erbe der Schwestern

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Originalausgabe Mai 2021

Copyright © 2021 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur München

Umschlagfoto: © Treppe: (c) plainpicture/Frank Herfort; Rahmen: FinePic®, München; Frau: Ildiko Neer/Trevillion Images

Redaktion: Regine Weisbrod

BH · Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-25602-9V001

www.goldmann-verlag.de

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Teil 1

April 1925

Es hatte schon als Kind funktioniert. Ich will! Ich will! Ich will! Dieses Mal hatte ihre Mutter zwar länger widerstanden, hatte es mit Argumenten versucht anstelle eines strikten »Nein!«, was ihre Taktik war, seit Helena Rosenberg dem Kindesalter entwachsen war. Im Ergebnis war es jedoch dasselbe. Helena bekam ihren Willen. Und weil sie auch in diesem Fall ihren Willen bekommen hatte, stand sie nun hier in diesem Bahnhof, in dem alles überdimensioniert war – die Ausmaße, der Lärm, die Masse an Menschen.

Helena umfasste den Griff ihres kleinen Koffers und ging langsam über den Bahnsteig. Der Zug, der sie hergebracht hatte, fuhr mit einem Ruck an. Eisen schob sich kreischend über Eisen, die Luft schmeckte metallen wie Blut auf der Zunge. Schon jetzt summte es in ihren Ohren, waren die Stimmen um sie herum wie ein raunendes Meer, aus dem dann und wann ein Ruf oder ein Lachen aufschwappte.

Da sie keine Ahnung hatte, wo der Ausgang war, folgte sie einfach den Reisenden, die zielsicher auf die Treppe zustrebten. Noch mehr Menschen, noch mehr Größe und Weitläufigkeit. Eine Pfeife tönte in ihrer unmittelbaren Nähe so schrill auf, dass sie zusammenfuhr und in einen älteren Herrn zu ihrer Linken stolperte.

»Na, na, Mädel«, brummte der und eilte weiter.

In der großen Bahnhofshalle blieb Helena stehen und hob den Kopf, um die Kuppel anzusehen, die sich so hoch über ihr wölbte, dass einem allein vom Hinsehen schwindlig werden konnte. Jemand stieß sie an und eilte weiter. Helena hielt ihren Koffer fest umklammert, ihre Geldbörse war dem Rat ihrer Mutter folgend in einer Tasche im Innenfutter ihres Mantels verstaut. Trotzdem tastete sie danach, presste die Hand einen Moment fest dagegen. Wieder rempelte jemand sie an.

»Mädchen, steh da nicht rum und halt Maulaffen feil!«, schimpfte eine Frau.

Helena trat zur Seite und stieß einen Mann an, der einen schweren Koffer schleppte. »Kannste nich uffpasse?«, fuhr er sie an, und sie murmelte hastig eine Entschuldigung.

Kurz darauf schwappte sie mit der Menschenmenge aus dem Bahnhof hinaus, suchte sich einen freien Platz und stellte den Koffer ab. Tief durchatmend sah sie sich um. Wolkenstrahlen tasteten sich behutsam durch verrußt wirkende Wolken, tupften kleine Sprengsel auf den Platz, über die Menschen achtlos hinwegliefen. Sie kramte in ihrer Handtasche, um den Stadtplan hervorzuholen. Den Anhalter Bahnhof, an dem sie ankam, hatte sie markiert und von dort aus den Weg zu ihrem Ziel mit einem Bleistift eingezeichnet. Keine zwei Kilometer, das konnte sie problemlos zu Fuß gehen, so ihr Gedanke, als sie im Zug gesessen und sich sehr gut vorbereitet gewähnt hatte. Jetzt jedoch erschien ihr das, was vor einigen Stunden noch so simpel gewesen war, nahezu unausführbar.

Dies hier war kein überschaubares Konstrukt aus Straßen, es war ein Labyrinth, das sich zwischen viel zu hohen Häusern erstreckte, bevölkert von zu vielen Menschen, zu vielen Automobilen. Bahnen fuhren über Schienen, die ohne jede Ordnung quer über die Straße zu verlaufen schienen. Unmöglich, hier der Karte zu folgen. Helena sah sich noch einmal um, dann nahm sie den Koffer und überquerte den Askanischen Platz, ging auf eine Reihe von Taxis zu. Ein Mann in elegantem Anzug stieg in das erste in der Reihe, und Helena hob das Kinn, bemühte sich, forsch zu wirken, als sei es für sie das Normalste der Welt, weltgewandt in ein Taxi zu steigen. Sie ging auf eines der Taxis zu und öffnete die Tür zum Fond. Der Fahrer, der rauchend an der Tür gelehnt hatte, sah sie verwundert an, während der Mann, dem das nun erste Taxi in der Reihe gehörte, rief: »Bin ick dem Frollein nich jut jenuch?«

Helena bemerkte ihren Fehler, schlug die Tür rasch wieder zu und wandte sich ab.

»Hey, nich so fest zuknallen«, schimpfte der Fahrer. »Dit is keen Traktor.«

»Verzeihung«, antwortete Helena und eilte auf das erste Taxi zu. Der Fahrer verstaute ihren Koffer und ihren Korb im Heck, während Helena einstieg, dann setzte er sich ans Steuer.

»Wo soll’s denn hinjehen?«

Sie nannte ihm die Adresse, die sie sich vor ihrer Abfahrt gründlich eingeprägt hatte. Der Fahrer ließ den Wagen an und fädelte sich in den Verkehr ein. Einmal zuckte Helena zusammen, als ein Auto ihnen den Weg abschnitt, der Taxifahrer abrupt abbremste und dann wieder beschleunigte. Langsam stieß sie den angehaltenen Atem aus und lehnte sich zurück, versuchte, die Fahrt zu genießen. Sie war bisher erst einmal mit einem Auto gefahren, als der Verwalter des Gutes, in dem ihre Mutter arbeitete, sie nach Hause gebracht hatte. Das war überwältigend gewesen, wie der Wagen über die leere Chaussee gebraust war. Hier war der Verkehr träge, aber beeindruckend war es dennoch.

Knappe fünfzehn Minuten später hielt das Taxi vor einem weißen Haus, das früher einmal gewiss etwas hergemacht hatte. Apotheke Rosenberg stand auf einem Schild über der Eingangstür. Helena zückte ihre Geldbörse und bezahlte den fälligen Betrag. Sie hatte keinerlei Vorstellung davon, wie viel eine Taxifahrt kostete, und hoffte, der Fahrer knüpfte ihr nicht zu viel ab. Dann stieg sie aus, und auch der Fahrer verließ den Wagen, um ihren Koffer auszuladen. Danach tippte er sich an die Mütze, setzte sich wieder hinter das Steuer und ließ den Motor an.

Helena sah an der wenig einladenden Fassade hoch, die dringend einen neuen Anstrich benötigt hätte. An einigen Stellen war sogar der Putz abgesprungen. Die Fenster immerhin schienen geputzt zu sein, wenngleich Gardinen einen Blick in das Innere verhinderten. Das Schild an der Tür wies die Apotheke als geöffnet aus, und so nahm Helena ihren Koffer in die Hand, hängte den Korb über den Arm und schob die Tür auf. Ein leises Glöckchen ertönte.

Das Innere war in dunklem Holz eingerichtet. Porzellantiegel standen auf Regalen, Schränke mit Messinggriffen und unzähligen Schubladen bedeckten die rückwärtige Wand. Eine junge Frau trat aus dem durch einen Vorhang abgetrennten hinteren Bereich des Hauses. Ihr Blick zuckte von Helena zu dem Koffer, dann wieder zurück in Helenas Gesicht. »Sie wünschen bitte?«

Helena holte tief Luft, lächelte. »Ich bin Helena Rosenberg. Ich möchte zu Fräulein Charlotte Rosenberg.«

Die Augen der Frau weiteten sich in flüchtiger Überraschung. »Ich bin Charlotte Rosenberg.«

Helena ging auf sie zu, streckte ihr die Hand entgegen. »Wie schön, dass wir uns kennenlernen.«

Charlotte Rosenberg ignorierte die ausgestreckte Hand. »Warum bist du hier? Hier ist nichts zu holen.«

Zögerlich senkte Helena die Hand wieder. »Ich wurde von dem Testamentsverwalter unseres Vaters angeschrieben.«

»Ich weiß nicht, was meinen Vater geritten hat, dieses Testament aufzusetzen, meine Versuche, es anzufechten, sind jedoch leider gescheitert. Wie gesagt, es gibt hier nichts zu holen. Die Apotheke ist unrentabel, und ich komme kaum allein über die Runden. Undenkbar, das auch noch zu teilen. Wenn du also klug bist, gehst du dorthin, woher du gekommen bist.«

Helena wusste nicht so recht, was sie erwartet hatte, so einen Empfang jedoch nicht. »Mir steht die Hälfte von all dem hier zu«, sagte sie und reckte das Kinn vor. Ihr Widerspruchsgeist war geweckt. Bisher hatte ihr nie jemand das verwehrt, was sie wollte.

»Mein Vater hat in all den Jahren kein Wort über euch verloren. Ich wusste zwar, dass es dich gibt, aber mehr nicht. Er kann nicht bei klarem Verstand gewesen sein, als er dich in seinem Testament bedacht hat.«

»Womöglich das schlechte Gewissen?«

Daraufhin lachte Charlotte nur. »Also, was genau willst du hier tun? In der Apotheke stehen und Medikamente verkaufen?«

Darauf konnte Helena keine Antwort geben, denn sie war tatsächlich aufgebrochen, ohne so recht zu wissen, was sie erwartete und was sie mit dem Ererbten zu tun gedachte. In ihrer Phantasie war es so gewesen, dass sie die Hälfte eines Hauses geerbt hatte und aus dem finanziellen Erbe ihr Leben in der Großstadt bestritt.

»Wenn er mit dem Geld so umgegangen ist wie zu meiner Zeit«, hatte ihre Mutter gesagt, »dürfte das ein böses Erwachen geben.«

Darauf hatte Helena nicht hören wollen, und hier war sie nun. »Wo kann ich meinen Koffer hinbringen?«

»Die Straße runter ist ein Hotel.«

»Ist hier das Treppenhaus?« Helena ging auf eine seitliche Tür zu, und Charlotte beeilte sich, sie zu überholen, und versperrte ihr den Weg. »Du kannst hier nicht einfach herumlaufen und Türen öffnen.«

»Warum nicht? Ich bin hier immerhin geboren.« Wenngleich sie an diesen Umstand keine Erinnerung mehr hatte.

»Das ist mir gleich.«

Helena wollte an ihr vorbei zur Tür, aber Charlotte fasste nun sogar ihre Oberarme an, um sie zurückzuhalten.

»Untersteh dich!«, warnte Helena.

Dann jedoch gab sie das unwürdige Gerangel auf und trat einen Schritt zur Seite. Zögernd zog Charlotte die Hände zurück, blieb jedoch vor der Tür stehen.

»Und was nun? Ich werde in kein Hotel gehen, und wenn du willst, dass ich verschwinde, musst du mich hinauszerren, ich denke jedoch nicht, dass du den Menschen dort draußen dieses Schauspiel bieten möchtest. Ich bin nun einmal hier, finde dich damit ab.«

Charlotte schien widersprechen zu wollen, dann jedoch fiel mit einem Mal aller Kampfgeist von ihr ab. Ihre Schultern sackten leicht nach unten, in die Augen trat ein Ausdruck von resigniertem Überdruss.

»Die Treppe hoch und dann im Flur die letzte Tür rechts ist das Gästezimmer, da kannst du schlafen. Vorerst«, sagte Charlotte schließlich. »Im Schrank im Flur findest du Bettwäsche, du kannst dir eines der Plumeaus nehmen.«

»Danke.« Helena nahm ihren Koffer wieder in die Hand, hängte den Korb über den anderen Arm und öffnete die Tür. Im Treppenhaus war es kühl, man merkte, dass der Frühling noch nicht so recht Einzug halten wollte. Sie fand das Zimmer auf Anhieb, ein kleiner, aber nett eingerichteter Raum, vielleicht ein wenig altbacken. Helena stellte ihren Koffer ab und setzte sich auf das Bett. Sie selbst war fassungslos gewesen, von der Existenz einer Schwester zu erfahren, ausgerechnet sie, die immer mit ihrem Schicksal als Einzelkind gehadert hatte. Wie hatte sie ihre Freundinnen beneidet, wenn diese abends im Bett liegend Geheimnisse mit ihren Schwestern austauschten.

Helena hatte vor Aufregung in den Nächten zuvor nicht schlafen können, hatte sich das erste Treffen immer wieder ausgemalt. Nie war es so ausgegangen wie gerade eben. Die Charlotte in ihrer Phantasie hatte nicht gesagt: »Die Straße runter ist ein Hotel.«

Schließlich erhob Helena sich und ging in den Flur, wo ein riesiger Wäscheschrank stand, der wirkte, als stünde er schon seit mindestens hundert Jahren unverrückbar an dieser Stelle. Sie öffnete ihn, entnahm ihm ein Plumeau, ein Kissen und gestärkte Bettwäsche. Als sie zurück ins Zimmer gehen wollte, hörte sie das Klackern von Absätzen auf dem Boden des Treppenhauses. Erst glaubte sie, Charlotte wollte zu ihr nach oben kommen, doch dann wurde die Haustür geöffnet und wieder ins Schloss gezogen.

Sie musste raus, sonst würde sie platzen. Nur fort von diesem Haus, das alles war, das ihr blieb, und das ihr nun diese anmaßende Fremde zur Hälfte wegnehmen wollte. Charlotte ging die Friedrichstraße entlang, rannte beinahe, wollte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und diese Person bringen. Und so schritt sie rasch und wenig damenhaft aus.

All der Ärger nur, weil ihren Vater das schlechte Gewissen gepackt hatte. War er überhaupt noch zurechnungsfähig gewesen, als er die Hälfte von allem dieser Frau übertrug, deren Namen er bis dahin nicht einmal erwähnt hatte? Weil sie ihm so wenig bedeutete. Oder aber, flüsterte eine Stimme in ihr, weil er der Überzeugung war, erbärmlich schlecht an ihr gehandelt zu haben. Energisch schüttelte Charlotte den Kopf und bemerkte, dass einige Passanten sie anstarrten. Rasch eilte sie weiter. Der Teufel sollte diese Frau holen, sie wurde noch närrisch darüber.

Ihre beste Freundin, Paula Richter, arbeitete in der Schneiderei ihrer Eltern in der Neuenburger Straße. Charlotte ging die Friedrichstraße entlang, überquerte den Belle-Alliance-Platz, in dessen Mitte die Friedenssäule aufragte, ging in die Lindenstraße und bog danach in die Neuenburger Straße ein. Sie stieß die Tür zum Nähatelier Richter auf. Im Verkaufsraum stand Paulas Schwester Gesine und befestigte gerade einen Zettel an einem Kleid, das auf einem gefütterten, satinbezogenen Bügel hing. »Paula ist in der Anprobe.« Sie nickte zu einem Samtvorhang hin. »Kannst aber gern warten, wenn du möchtest.«

Charlotte ließ sich auf einem der mit rotem Samt bezogenen Besucherstühle nieder, und kurz darauf drückte ihr Gesine wortlos eine Tasse Kaffee in die Hand. »Du siehst aus, als könntest du ihn brauchen.«

»Danke.« Gesine kochte einen sehr starken Kaffee, und Charlotte spürte schon beim ersten Schluck, wie sich ihre Lebensgeister wieder regten. So leicht würde sie sich nicht unterkriegen lassen. Ihr ganzes Leben schon wohnte sie in diesem Haus, hatte nur deshalb für die Schule gelernt, weil sie Apothekerin werden wollte wie ihr Vater. Hatte gelernt und studiert. Und nun erschien dieses Provinzmädchen und schwätzte etwas von einem Erbe, das sie antreten wolle. Na, der würde sie das Erbe schon noch verleiden.

Der Vorhang wurde beiseitegeschoben, und Paula ließ einer eleganten Dame den Vortritt, die – das Kinn angehoben – an Charlotte vorbeistolzierte, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen.

»Es bleibt dabei, dass ich das Kleid in drei Tagen abholen kann?«

»Natürlich«, versicherte Paula. »Ich nehme nur noch letzte Änderungen vor.«

Die Frau nickte, was sie irgendwie hinbekam, ohne das Kinn dabei auch nur nennenswert zu senken, und verließ die Schneiderei.

»Gesine, mach Mutter bitte eine Notiz und hefte sie an das Kleid.« Jetzt erst wandte sich Paula Charlotte zu. »Das ist ja eine Überraschung. Was machst du denn hier so mitten am Tag?«

»Hast du eine halbe Stunde Zeit für mich?«

Paula sah zu ihrer jüngeren Schwester. »Kannst du hier solange die Stellung halten?« Sie erhielt ein knappes Nicken als Antwort. »Dann komm, ich mache uns noch einen Kaffee.«

»Ich habe gerade frischen gekocht«, rief Gesine ihnen nach, als sie den gemütlichen Raum hinter dem Atelier betraten.

Charlotte ließ sich auf einem der bequemen Sessel nieder, Paula setzte sich ihr gegenüber. »Dann erzähl mal.«

Und das tat Charlotte, während sich Paulas Augen in zunehmendem Erstaunen weiteten, als sie von der Schwester erfuhr. »So ein richtiges Landei«, lästerte sie. »Die Kleidung total altbacken, mit einem Korb in der Hand und das Haar zu einem langen Zopf geflochten.«

»Warum hast du mir nichts davon erzählt?«

»Weil ich gehofft hatte, die bleibt, wo sie ist. Immerhin ist hier nichts zu holen. Und weil es sich dann real angefühlt hätte. Bisher hatte ich die Hoffnung, dass es alles schon nicht so schlimm werden würde. Als könnte ich schlafende Hunde wecken in dem Moment, in dem ich es ausspreche.«

»Die muss ich mir ansehen.«

»Du kannst gerne mitkommen.« Charlotte ließ sich einen weiteren Kaffee einschenken. »Da bin ich mal gespannt, wie dieses Mädchen mit dem süddeutschen Dialekt und der Provinzausstrahlung in der Apotheke Kunden bedient, wenn sie nicht einmal den Unterschied zwischen einer Brandsalbe und einer Schönheitscreme kennt.«

Paula lachte. »Kann auf jeden Fall unterhaltsam werden.«

»Vor allem wird es geschäftsschädigend.«

»Willst du sie wirklich in den Verkauf stellen?«

»Sie wird sich selbst hineinstellen, da sie ja meint, die Hälfte von allem gehöre ihr.«

»Vielleicht ist sie ja gar nicht die Tochter deines Vaters, sondern eine Betrügerin.«

»Na ja, sie sieht ihm schon ähnlich.« Charlotte hatte erst im Nachhinein begriffen, dass genau das sie bei Helenas Eintreten so irritiert hatte. Dieser Moment, in dem die Frau mit dem dunklen Haar und den grauen Augen ihr fremd und vertraut zugleich erschienen war. Die Ähnlichkeit mit ihrem Vater, von dem ihre Mutter immer gesagt hatte, er sehe besser aus, als gut für ihn war. Er hatte es ziemlich wild getrieben. Wer wusste schon, welche weitere Überraschung Charlotte noch ins Haus stand? Vielleicht tauchte demnächst gar ein Bruder auf und erhob gleich Anspruch auf alles. Bei dem Gedanken an ihre Mutter schnürte es Charlotte die Brust ein – das Gefühl schmerzlichen Verlustes war noch so präsent wie am Tag ihres Todes. Vor zwei Jahren war ihre Mutter an Krebs gestorben, hatte Charlotte mit einem Vater zurückgelassen, dem jedes Gefühl für Verantwortung fremd war.

»Kannst du das Testament nicht irgendwie anfechten?«

»Das habe ich doch schon versucht.«

»Vielleicht kann man es so drehen, dass er ihre Mutter verlassen hat, weil sie eine Ehebrecherin war. Das würde die Legitimität deiner vermeintlichen Halbschwester zumindest fragwürdig erscheinen lassen.«

»Leider war es allerdings mein Vater, der die Ehe gebrochen hat. Mit meiner Mutter, wie du jetzt weißt. Außerdem mache ich so etwas nicht. So ein Lügengebäude bricht über kurz oder lang zusammen und begräbt alle unter sich, die daran mitgebaut haben.«

Um Paulas Mund zuckte es spöttisch. »Sehr pathetisch.«

»Ich weiß einfach nicht, was ich jetzt tun soll«, schloss Charlotte. »Also auf legalem Weg.«

»Damit fällt der Auftragsmörder ja schon einmal aus.«

»Mach dich nicht lustig über mich.«

Paula schwenkte ihre Tasse leicht. »Leider fällt mir da auch nichts ein. Du könntest sie wegekeln, aber sonst …« Sie zuckte mit den Schultern. »Wo ist sie jetzt eigentlich?«

»Bei mir zu Hause, wo sonst?«

»Du lässt eine Wildfremde in dein Haus?«

»In unser Haus«, antwortete Charlotte betont sarkastisch. »Was soll sie schon tun? Das Familiensilber rauben, das ihr ohnehin zur Hälfte gehört?«

»Was ist mit deinem Schmuck?«

»Das bisschen, das Papa nicht veräußert hat, ist gut verwahrt, das findet sie nicht.«

»Vielleicht ist es ja gar nicht so schlecht, dass du nicht allein bist.«

»Ach, jetzt auf einmal?«

»Na, überleg doch mal. Die Apotheke ist hoch verschuldet, du bist hoch verschuldet. Ich möchte wetten, die Provinzmaus ahnt nicht, dass sie die Hälfte deiner Schulden schultert, wenn sie das Erbe annimmt. Vor einiger Zeit hast du noch befürchtet, dass dein Vater aus dubiosen Quellen Geld geliehen hat. Das ist dann nicht mehr allein deine Sorge.«

Das stimmte natürlich auch wieder.

»Was bleibt übrig, wenn du alles verkaufst?«

»Vielleicht genug, um mich in irgendein Hinterhofzimmer einzumieten.«

»Im Notfall kannst du immer noch zu uns.«

»Ich kann nicht einmal einen Knopf annähen.«

»Du könntest auch noch einmal über Martins Antrag nachdenken.«

Die Erinnerung an die peinliche Episode im Garten von Paulas Eltern reichte, um Charlotte die Hitze ins Gesicht zu treiben. Sie hatte sich dazu hinreißen lassen, den Bruder ihrer besten Freundin zu küssen, was zunächst gar nicht einmal übel gewesen war. Dann jedoch hatten seine Hände ihren Po durchgeknetet, als wäre dieser ein störrischer Brotteig, während er ihren Körper gleichzeitig kräftig gegen seine Hüfte gedrückt hatte, was ihr Kenntnisse von seiner Anatomie eingebracht hatte, auf die sie gut und gerne hätte verzichten können. Sie schüttelte den Kopf, sowohl um Paulas Einwand zu verneinen, als auch um diese Erinnerung zu vertreiben.

»Mir fällt schon noch etwas ein. Es muss eine Lösung geben.«

Nachdem Helena voll bekleidet auf dem Bett eingeschlafen war, wachte sie hungrig und desorientiert auf. Dabei hatte sie nur einen Moment die Augen schließen wollen. Träge richtete sie sich auf, strich sich einige gelöste Haarsträhnen aus dem Gesicht und stand schließlich auf. Die Uhr sagte ihr, dass sie keine Stunde geschlafen hatte, wenngleich es sich anfühlte, als sei der Tag schon weit fortgeschritten. In der Wohnung herrschte Stille, und als Helena die Treppe hinunterging, stellte sie fest, dass die Verbindungstür zur Apotheke verschlossen war. Charlotte war wohl noch nicht heimgekehrt und hielt sie offenbar für eine verkappte Giftmischerin, denn es gab keinen Grund, die Apotheke zu verschließen, wenn das Treppenhaus ohnehin nur zu dieser einen Wohnung führte.

Helenas Magen forderte mit vernehmlichem Knurren Aufmerksamkeit ein. Zum Frühstücken war sie zu aufgeregt gewesen, und so hatte sich ihr Essen auf eine Stulle beschränkt, die ihre Mutter ihr geradezu hatte aufzwingen müssen als Wegzehrung. Zudem meldete sich ein anderes, noch dringlicheres Bedürfnis. Sie ging zaudernd durch den Flur und fühlte sich wie ein Eindringling, obwohl sie hier zumindest etwas mehr als das erste Jahr ihres Lebens verbracht hatte.

In diesem Haus hatte sie ihre ersten Schritte getan, vielleicht war sie auf tapsigen Beinen diesen Flur entlanggelaufen. Hatte in diesem Wohnzimmer, dessen Tür sie nun aufstieß, auf den Knien ihres Vaters gesessen. War in der Küche, die sie nun betrat, am Tisch mit Brei gefüttert worden. Aber wo um alles in der Welt war das Badezimmer? Helena öffnete zwei Türen, fand aber nur weitere Schlafzimmer vor. Schließlich verließ sie die Wohnung und entdeckte im Hausflur eine Tür, die zu einem recht geräumigen Bad führte, das allerdings nicht nennenswert moderner war als das, das sie sich zu Hause mit ihrer Mutter teilte.

Kurz darauf ging Helena in die Küche zurück und öffnete nach einigem Zögern die schmale Tür, die in eine kühle Vorratskammer führte, fand Brot und nach kurzem Suchen auch eine weiße Keramikdose mit Butter. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen nahm sie auch das Stück Schinken vom Haken. Sie schnitt zwei dicke Scheiben Brot ab, bestrich sie großzügig mit Butter und belegte sie mit hauchdünnem Schinken. Mit dieser Mahlzeit ließ sie sich am Tisch nieder und seufzte voller Wohlbehagen. Leider entfachte es den Hunger eher, als dass es ihn stillte, und so bereitete sich Helena noch einmal zwei Scheiben Brot zu.

Mit dem Teller in der Hand spazierte sie in das angrenzende Wohnzimmer und sah sich um, während sie aß. Der Raum war gemütlich, wenngleich etwas altmodisch eingerichtet und ein gutes Stück größer als ihre gute Stube daheim. Über dem Kamin hingen Fotos, und neugierig trat Helena näher. Ein Kinderbild hing dort, aufgenommen von einem Fotografen, und natürlich war es nicht sie. Ein Hochzeitsbild befand sich ebenfalls dort, und obwohl die Frau darauf sich Mühe gegeben hatte, den Bauch zu kaschieren, konnte einem die kleine Kugel nicht entgehen. Um Helenas Mund zuckte es verächtlich. Interessiert betrachtete sie ihren Vater. Es war das erste Foto, das sie von ihm sah. Ob »Papa« wohl eines ihrer ersten Worte gewesen war? Und hatte er sich darüber gefreut? Helena suchte ihr Gesicht in seinen Zügen, forschte nach der Ähnlichkeit, die sie laut ihrer Mutter mit ihm hatte.

Auf einem weiteren Bild war die gesamte Familie abgebildet, ihr Vater mit seiner zweiten Ehefrau und Charlotte im Alter von vielleicht zehn Jahren, aufgenommen in einem Atelier. Helena hatte sich die Nebenbuhlerin, die Frau, die ihre Mutter vertrieben hatte, immer als kaltherzige Megäre vorgestellt, und es war schwer, diese Vorstellung mit der warmherzig lächelnden Frau auf dem Foto in Einklang zu bringen. Sie hatte helles Haar, vermutlich das gleiche Honigbraun wie bei Charlotte, und die Augen waren gewiss von einem ähnlichen Braun wie die ihrer Tochter. Allerdings ging Charlotte jede Wärme ab, und Helena erinnerte sich mit einigem Unbehagen daran, wie sie sie angestarrt hatte. Aber vielleicht wäre sie selbst auch nicht freundlicher gewesen, hätte auf einmal eine Fremde vor ihr gestanden und ihr erzählt, dass alles, was sie, Helena, ihr Eigen wähnte, zur Hälfte der anderen gehörte.

Die Wohnungstür fiel ins Schloss, und kurz darauf waren Schritte zu hören und Frauenstimmen. Helena hielt immer noch den Teller – mittlerweile war dieser leer – in der Hand, stand vor dem Kaminsims und fühlte sich ertappt. Daran änderte sich auch nichts, als sie sich sagte, sie habe ein Recht, hier zu sein.

Die Schritte näherten sich, waren an der Küche angelangt, hielten inne. Getuschel. Dann eilten die Schritte im Doppelklang zum Wohnzimmer. Charlotte blieb in der offenen Tür stehen, starrte sie aus verengten Augen an, hinter ihr eine fremde Frau mit modisch kurz geschnittenem blondem Haar, die sie neugierig und mit einem Anflug von spöttischer Belustigung musterte.

»Sag mal, hast du keine Erziehung genossen?« Charlotte nickte mit dem Kinn knapp in Richtung Küche. »Bedienst dich einfach so an fremden Vorräten und schnüffelst dann im Privatleben anderer herum?«

»Ich hatte Hunger. Zudem habe ich nicht herumgeschnüffelt.«

»Ach? Und wie nennst du das, was du hier tust? In meinem Wohnzimmer stehen und meine Familienfotos angaffen? Warst du auch schon in allen Schlafzimmern?« Die Unterstellung ärgerte Helena, und ihre Wangen wurden warm, was Charlotte offenbar als Schuldeingeständnis deutete, denn obwohl sie widersprach, machte diese nur einen Zischlaut. »Ich werde wohl demnächst die Türen hier abschließen müssen.«

»Dein Schlafzimmer interessiert mich nicht, und was Küche und Wohnzimmer angeht, so gehört beides zur Hälfte mir.«

Charlotte sah aus, als wollte sie die Wände hochgehen, aber ihre Freundin legte ihr begütigend die Hand auf den Arm. »Sie könnten sich aus Pietätsgründen wenigstens gedulden, bis Charlotte ihre Angelegenheiten hier geordnet hat, ehe Sie sich ans Leichenfleddern machen.«

»Und Sie sind?« Diesen Ausdruck blasierter Überheblichkeit bekam Helena durchaus ebenfalls hin.

»Paula Richter.«

»Meine beste Freundin«, fügte Charlotte hinzu.

Ah, sie hatte Verstärkung mitgebracht. Um Helenas Mund zuckte es, was ihrer Schwester nicht entging, denn diese wandte sich abrupt ab und verließ das Wohnzimmer. Nach einem letzten Blick auf Helena tat ihre Freundin es ihr gleich.

Noch während Helena ihnen nachsah, tat sie einen tiefen, zittrigen Atemzug. Es mochte naiv sein, aber mit so viel Ablehnung hatte sie nicht gerechnet und erst recht nicht mit dieser Herablassung, mit der Charlottes Freundin sie gemustert hatte. Daheim war sie beliebt gewesen, schon in der Schule hatten die Mädchen alle mit ihr befreundet sein wollen. Und auch über einen Mangel an männlicher Aufmerksamkeit hatte sie sich nie beklagen können. So wie hier war sie noch nie in ihrem Leben gemustert worden, und als sie langsam in den Korridor trat, kam sie nicht umhin, einen Blick in den Spiegel zu werfen.

Daheim war ihr das Reisekostüm elegant und modern vorgekommen, aber wenn sie es mit den Kleidern von Charlotte und Paula verglich, wirkte es hausbacken und fast ein wenig altjüngferlich. Natürlich wusste sie, dass heute viele Frauen ihr Haar kurz trugen, aber sich von dieser glänzenden, langen Fülle zu verabschieden hatte sie noch nicht über sich gebracht. Wie sie so dastand, sah sie aus wie eine Gouvernante, die man vom Land holte, um die verzogene Brut reicher Herrschaften zu erziehen. Abrupt wandte sie sich ab und begegnete dem Blick von Paula Richter, die unbemerkt wieder in den Korridor getreten war. Spöttisch verzogen sich deren Mundwinkel.

»Was willst du denn hier?« Charlotte hatte gerade das Schild an der Tür umgedreht, sodass »Geöffnet« nach außen zeigte.

Seit vier Tagen wohnte Helena jetzt in diesem Haus, und es war von Anfang an ein Kampf gewesen. Charlotte verbat sich entschieden, dass sie an die Vorräte ging, und als Helena gefragt hatte, wo das Bargeld verwahrt wurde, war sie ihr fast ins Gesicht gesprungen. Noch hatte Helena eine kleine Reserve, sodass es zumindest dafür reichte, sich selbst zu verköstigen. Aber auf Dauer ging das so natürlich nicht.

»Ich will hier verkaufen«, antwortete Helena.

Charlottes Blick fiel auf den Korb, den sie über dem Arm trug, und ihre Augen verengten sich argwöhnisch. »Was denkst du, was das hier ist?«

Helena ersparte sich eine Antwort darauf. Der Verkaufstresen aus glänzend poliertem Kirschbaumholz war L-förmig angelegt, und hinter der längeren Seite, die sich gegenüber der Tür befand, nahm Charlotte Aufstellung. Helena trat an die kürzere Seite und stellte den Korb auf dem Boden ab.

»Bist du ausgebildete Apothekerin?«

Helena hob die Brauen. »Du willst mir doch nicht erzählen, dass du mit deinen – einundzwanzig? zweiundzwanzig? – Jahren bereits ein fertiges Pharmaziestudium vorweisen kannst.«

»Du wirst es nicht glauben, aber ja, kann ich. Ich habe meine zweijährige Lehre hier abgeschlossen und die Gehilfenprüfung absolviert. Und danach vier Semester Pharmazie studiert. Also komm mir nicht so herablassend.«

Helena zuckte nur mit den Schultern und holte mehrere weiße Porzellantiegel aus dem Korb und platzierte sie auf dem Tresen.

Charlotte starrte sie an. »Was soll das werden? Das ist eine seriöse Apotheke, hier werden keine selbst zusammengepanschten Quacksalberprodukte verkauft.«

»Das sind Schönheitscremes, die meine Mutter hergestellt hat. Daran ist nichts zusammengepanscht.«

»So etwas verkaufen wir hier nicht, pack das sofort wieder weg!«

»Mag sein, dass du so etwas nicht verkaufst, ich hingegen werde das durchaus tun. Selbst die Baronin, für die meine Mutter arbeitet, schwört auf die Produkte.«

»Ach was? Das interessiert mich aber nicht. Räum das weg, oder …« Das leise Bimmeln der Türglocke unterbrach Charlottes Wutausbruch. Eine Kundin betrat den Laden, elegant mit ihrem aufgesteckten silbergrauen Haar, und Charlotte war auf einmal ganz und gar beflissene Höflichkeit. Sie setzte sogar ein Lächeln auf, das ihr anscheinend mühelos gelang, obwohl es hinter der Fassade gewiss immer noch brodelte. Eben gänzlich Geschäftsfrau. Helena hörte nur mit halbem Ohr hin, während Charlotte mit der Dame sprach, und fuhr fort, ihre Waren ordentlich aufzustellen.

Nachdem die Kundin das Gewünschte erhalten hatte, wandte sie sich zu Helena um und musterte sie mit einem Ausdruck milden Erstaunens. »Na, so etwas, meine Liebe«, sagte sie zu Charlotte. »Haben Sie nun doch eine Mitarbeiterin eingestellt?«

Charlottes Lächeln wurde ganz schmal, die Augen verkniffen, und noch ehe sie antworten konnte, sagte Helena: »Ich bin ihre ältere Schwester aus der ersten Ehe unseres Vaters.«

»Ach?« In das Erstaunen der Frau mischte sich ein klein wenig harmlose Sensationslust. »Das ist ja etwas.«

»Möchten Sie vielleicht eine unserer Schönheitscremes nach einem Geheimrezept der Familie ausprobieren?«

Charlotte schnappte lautlos nach Luft. Es sah aus wie ein Fisch auf dem Trockenen, dachte Helena ein wenig boshaft.

Die Frau hingegen lachte. »Wirke ich gar, als hätte ich es nötig?«

Helena gab ihrer Stimme etwas Verschwörerisches. »Ganz und gar nicht, aber wir wollen es ja nicht so weit kommen lassen, nicht wahr?«

Wieder lachte die Frau. »Und das wirkt?«

Helena lächelte sie an, hob das Kinn, präsentierte ihren sahneweißen Teint. »Wie Sie sehen.«

»Sie junger Hüpfer. Na, wenn ich Ihr Aussehen danach bekomme, kaufe ich alles, was Sie dahaben«, antwortete die Frau lachend.

»Mit unserer Crème Vienne tun Sie immerhin schon einen Schritt in die richtige Richtung.«

Charlotte starrte sie an, formte mit den Lippen nur ein Wort. Ernsthaft? Der Einfall war Helena gerade spontan gekommen, und es klang doch gar nicht schlecht. Die Herrin des Gutes, auf dem ihre Mutter arbeitete, stammte gebürtig aus Vienne. Dieser Gedanke wiederum brachte sie auf eine weitere Idee.

»Die Baronin Weimershaus ist eine Stammkundin meiner Mutter«, erklärte Helena, und das war nicht gelogen, denn in der Tat war die Gutsherrin eine begeisterte Abnehmerin der Creme.

»Da kann ich ja kaum widerstehen.« Die Frau zwinkerte Helena zu, und es war nicht zu erkennen, ob sie ihr glaubte oder einfach nur ihren Spaß an der Sache hatte. »Einen Tiegel, bitte.«

Helena setzte den Kaufpreis großzügig an, aber der wurde, ohne mit der Wimper zu zucken, gezahlt, dann verließ die Frau die Apotheke.

»Crème Vienne?« Charlotte sah rasch zur Tür, als wollte sie sich vergewissern, dass dort wirklich niemand stand. »Diesen schwülstig klingenden Mist verkaufst du gewiss nicht in meiner Apotheke.«

»Unsere Apotheke.«

»Es ist mir gleich, wie du es nennst. Wir haben einen guten Ruf, und ich verkaufe hier nichts, das so heißt wie ein billiges Parfüm für Lebedamen.«

»Du bist ja närrisch.« Helena war sehr zufrieden mit sich. Sie hatte ihr erstes Geld in dieser großen Stadt verdient.

»Und wie viel Geld du ihr dafür abgeknöpft hast!«

»Was nichts kostet, ist nichts wert. Wie kann ich sie von einem Produkt überzeugen, von dem ich selbst offenbar nicht ausreichend überzeugt bin, um einen guten Preis dafür zu nehmen.«

»Es mag ja in deinem Teil der Familie normal sein, Wucherpreise zu ergaunern, aber wir hier …«

»Mein Teil der Familie ist nur dort, wo er ist, weil deine Mutter meine verdrängt hat. Darüber hinaus hatten wir keinen Ernährer und mussten uns selbst durchschlagen. Da lernt man, sich nicht unter Wert zu verkaufen.«

»Hat deine Mutter sich prostituiert, oder was?«

Helena gab keine Antwort darauf und ordnete stoisch weiter ihre Waren an. Im Grunde war das Rezept ihrer Creme schnell erklärt. Die Basis war Wollwachs – das ausreichend zur Verfügung stand, denn ein Erwerbszweig des Gutshofes war die Schafzucht – vermischt mit Pflanzenöl für eine bessere Geschmeidigkeit. Für einen ansprechenden Geruch wurde die Creme mit Rosen oder Lavendel parfümiert.

»Meine Mutter prostituiert sich nicht«, sagte sie schließlich. »Aber sie hat immer für reiche Frauen gearbeitet, und ich weiß, dass Frauen für ihre Schönheit nichts kaufen, das billig ist.«

Charlotte hatte offensichtlich keine Lust, sich weiter zu streiten, und zuckte nur mit den Schultern. »Weißt du«, sagte sie schließlich, »es gibt große Kosmetikfirmen. Du erfindest ja nicht gerade das Rad neu. Warum sollen die Leute für diesen zusammengepanschten Kram so viel Geld bezahlen, wenn sie bekannte Marken kaufen können?«

Helena antwortete nicht. Es war ja nicht so, dass sie das selbst nicht wusste, aber irgendwo musste sie anfangen. Schönheit hatte sie immer schon fasziniert, von klein auf. Ihre Mutter siedete selbst Seifen – wenngleich eher aus Gründen der Sparsamkeit denn aus Forscherdrang. Sie hatte sie mit Duftstoffen verfeinert, die sie aus Blüten gewann. Auch die Creme war zunächst nur ein Versuch gewesen, die von der harten Arbeit rissigen Hände zu pflegen. Im Winter hatte sie sie gegen die Kälte aufs Gesicht aufgetragen und bemerkt, wie gut das tat. Und so war nach und nach die Creme in der Form entstanden, in der Helena sie nun anbot. Ihre Mutter hatte gemeint, dass sie auf die Art wenigstens nicht mit leeren Händen dastünde.

Nachdem die erste Euphorie über den Verkaufserfolg abgeflaut war, setzte jedoch Ernüchterung ein, denn die Frau blieb an dem Tag ihre einzige Kundin, und Charlottes triumphierendes, leicht überhebliches Lächeln ging Helena irgendwann so auf die Nerven, dass sie kurz davor war, die Tiegel an die Wand zu pfeffern. Sie beherrschte sich, lächelte, wenn Kunden die Apotheke betraten – insgesamt so wenige, dass man nach Helenas Dafürhalten auch schon mittags hätte schließen können –, und wurde von den meisten nur mit einem flüchtigen Blick bedacht. Eine sehr modern wirkende Frau schenkte ihr gar ein Lächeln, das fast schon mitleidig wirkte.

»So«, sagte Charlotte, als sie die Tür abends abschloss. »Morgen kannst du deinen Krempel dann direkt im Korb behalten, ja?«

»Warum regt dich das eigentlich so auf? Soll sie doch Geld verdienen.« Paula war pragmatisch wie immer.

Direkt nach Ladenschluss hatte Charlotte sich umgekleidet, ihre Freundin abgeholt und sich mit ihr ins Nachtleben gestürzt. Sie brauchte Abwechslung, und vor allem wollte sie ihre Schwester nicht sehen müssen. »Wir waren immer seriös, und jetzt kommt dieses Landei mit diesem zusammengepanschten Zeug daher.«

»Na und? Soll sie doch. Letzten Endes sind Medikamente doch auch nur verschiedene Wirkstoffe, die man zusammenrührt.«

»Was ist denn das für ein absurder Vergleich?«

»Sie tut doch dasselbe, nur eben nicht mit medizinischen Stoffen, sondern mit pflegenden. Ich kann ja verstehen, dass dir die Situation nicht gefällt, aber du solltest lernen, wie eine Geschäftsfrau zu denken, und nicht wie das von Papa enttäuschte Töchterchen.«

Charlotte spürte, wie ihr das Blut heiß in die Wangen stieg. »Ich bin doch wohl zu Recht enttäuscht.«

»Du bist vor allem hoch verschuldet. Mach dir deine Schwester zunutze, und sieh zu, dass du wieder zu Geld kommst.«

Charlotte hätte gerne die Zuversicht ihrer Freundin geteilt, aber das war nicht einfach. Ihr wuchs das alles über den Kopf, sie musste unbedingt etwas Klarheit und Struktur in die ganze Sache bringen. Seit ihr Vater tot war, lebte sie von einem Tag auf den nächsten und schreckte allein bei dem Gedanken zurück, Ordnung in die desaströse Buchhaltung ihres Vaters zu bringen. Wer konnte schon wissen, auf welche Überraschungen sie stieß? Noch mehr Schulden, noch mehr ominöse Schuldner.

Paula lächelte, hob kaum merklich das Glas, als prostete sie jemandem zu. So war sie eigentlich nur, wenn ein vielversprechendes Exemplar männlicher Gattung in der Nähe war, deshalb drehte Charlotte sich um. Hm, nicht schlecht. Und sie waren zu zweit. Das bedeutete, man konnte tanzen, sich einladen lassen, ein klein wenig anklingen lassen, dass man zu mehr bereit war, um dann irgendwann doch mit bedauerndem Lächeln zu verschwinden. Erwartungen nicht erfüllt, meine Herren. Während Paulas Blick einladend war, war Charlottes gelangweilt, und sie wandte sich ab. Es funktionierte – wie immer.

»Guten Abend, die Damen.«

»Warten wir mal ab, ob es ein guter Abend wird«, antwortete Paula.

Charlotte steckte sich eine Zigarettenspitze zwischen die Lippen, drehte sich leicht zu den beiden Männern und wartete. Das Klicken eines Feuerzeugs war zu hören, und Charlotte neigte sich etwas vor, tat einen Zug, bis sich die Spitze der Zigarette glutrot färbte. Langsam atmete sie den Rauch aus, ließ kein Lächeln sehen, neigte nur knapp den Kopf in einer Geste des Dankes, während Paula einladend zu kokettieren begonnen hatte.

»Peter Mohnhaupt«, stellte der Dunkelhaarige sich vor, der Charlotte Feuer gegeben hatte.

»Franz Wilhelmsdorf«, sagte der Zweite, der etwas helleres Haar hatte und nach Charlottes Dafürhalten der besser Aussehende der beiden war. Aber den hatte Paula bereits an der Angel.

Sie stellten sich ihrerseits vor, ließen sich zum Tanzen auffordern und danach zu Getränken einladen. Es war offenbar die richtige Entscheidung gewesen auszugehen. Charlotte spürte, wie die Anspannung und die ständig in ihrem Magen lauernde Wut auf die gesamten Umstände langsam wichen und einer heiteren Ausgelassenheit Platz machten. Mal sehen, wohin der Abend führte. Erfahrungsgemäß würde Paula sich zu ein klein wenig mehr hinreißen lassen als Charlotte, die zwar hin und wieder küsste, kleine Zudringlichkeiten aber stets abwies. Paula war da experimentierfreudiger, doch sie hatte auch eine Familie, in deren Schutz sie lebte. Charlotte lebte allein – na ja, mittlerweile nicht mehr ganz – und hätte schnell den Ruf eines losen Weibsbilds weg, würde sie nicht achtgeben.

Auf der Tanzfläche bogen sich Körper im Takt der Musik, das Halbdunkel ließ die Atmosphäre leicht verrucht wirken, und Paula hatte schon wieder diesen Blick. Charlotte ließ sich eine weitere Zigarette anstecken und tat einen tiefen Zug, stieß den Rauch langsam aus. Während sich der attraktive Franz Wilhelmsdorf zunehmend intensiver um Paulas Aufmerksamkeit bemühte, kam eine Unterhaltung mit Peter Mohnhaupt nur schleppend in Gang. Der Kerl konnte definitiv besser tanzen als reden. Aber Paula wollte küssen, das war unmissverständlich, Charlotte erkannte die Signale. Und da eine nie ohne die andere heimging, musste sie also in den sauren Apfel beißen.

»Kommen Sie«, sagte Charlotte, »tanzen wir.« Sie zog den verdutzten Peter Mohnhaupt einfach mit sich. Eigentlich hatte sie sich mittlerweile müde getanzt, und die Getränke stiegen ihr langsam zu Kopf, aber lieber tanzte sie bis zum Umfallen, als sich noch einen Moment länger sein Geschwätz anzuhören, von dem sie die Hälfte ohnehin nur an sich hatte vorbeirauschen lassen, um dann und wann »hmhm« und »ach ja?« einzustreuen. Das war definitiv ermüdender, als zu tanzen. Außerdem sollte Paula endlich ihre Gelegenheit bekommen, damit sie sich bald auf den Heimweg machen konnten. Die anfängliche gute Stimmung schwand, und Charlotte musste wieder an all den Ärger denken, den sie derzeit hatte.

Und just in diesem Moment entdeckte sie ihn: Dominik Lichtenthal von Lichtenthal-Pharma, jenen Mann, bei dem sie nicht unbeträchtliche Schulden hatte. Bisher war er zurückhaltend, hatte sie mehrmals anschreiben lassen, aber Charlotte hielt ihn hin. Was sollte er denken, wenn sie hier Geld verprasste – dass sie sich alles bezahlen ließ, ging ihn ja nichts an –, während sie Ausstände bei ihm hatte? Sie bezogen die Medikamente mittlerweile vermehrt von einem anderen Anbieter, das hatte Charlotte veranlasst, da er gerade so schön stillhielt und sie nach dem Prinzip handelte, schlafende Hunde lieber nicht zu wecken.

»Was ist los?«, fragte Peter Mohnhaupt.

»Nichts, mir ist nur gerade nicht wohl.« Wie zur Bekräftigung des Gesagten legte sich Charlotte die Hand an den Magen.

»Oh.« Er ging tatsächlich ein wenig auf Abstand. War das zu fassen?

»Ich glaube, ich sollte mich einen Moment ausruhen.« Und dann schnellstmöglich absetzen. Wo war Paula? Jedenfalls nicht mehr auf ihrem Platz. Vermutlich stand sie knutschend in irgendeinem verschwiegenen Winkel. Peter Mohnhaupt rang sichtlich mit sich, ob er ihr den Arm reichen oder einfach das Weite suchen sollte. Was für ein Hanswurst! Wo war Dominik Lichtenthal denn jetzt hin?

»Fräulein Rosenberg? Ist Ihnen unwohl?«

Verdammt noch mal!

»Ganz recht«, antwortete Peter Mohnhaupt und schien geradezu erleichtert, die Bürde weiterreichen zu können. Dominik Lichtenthal lächelte auf jene Art, zu der es ein Peter Mohnhaupt nie bringen würde.

»Darf ich Sie zu Ihrem Platz bringen?«

Was blieb ihr übrig? Sie nahm seinen Arm und schwieg, hielt sich nun demonstrativ die Hand auf den Magen, damit gar nicht erst der Gedanke aufkam, dass dies der passende Moment für ein längeres Gespräch sein könnte. Aber das würde er ohnehin nicht tun, gewiss war er in Begleitung. Schaute die Blondine dort nicht sogar etwas vergrätzt zu ihnen hinüber? Nein, er würde nichts sagen, er würde seine Briefe sprechen lassen. Oder vielmehr sein Finanzverwalter würde.

»Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«, fragte Dominic Lichtenthal liebenswürdig.

»Nein, vielen Dank. Ich bin mit einer Freundin hier, sie wird gewiss gleich kommen.« Reichlich viele Worte für jemanden, der gerade sehr litt. Aber offenbar entging ihm das.

»Dann darf ich Sie guten Gewissens allein lassen?«

»Sie dürfen.«

Er neigte den Kopf, lächelte sein Lächeln und ging in der Tat in Richtung der verärgerten Blondine. Charlotte reckte sich und hielt Ausschau nach Paula, die erst eine gute halbe Stunde später auftauchte, die Wangen gerötet und mit glänzenden Augen. An ihrer Seite ihr hoffnungsvoller Galan.

»Können wir los?«, fragte Charlotte. »Mir ist nicht gut.«

Paula nickte. Das war immer ihr Zeichen zum Aufbruch, damit keine der neuen Bekanntschaften sich irgendwelche Schwachheiten einbildete wie eine gemeinsame Heimfahrt oder einen Abstecher ins Hotel.

»Du siehst wirklich nicht wohl aus. Was ist los?«, fragte sie, als sie auf der Straße standen und in der kühlen nächtlichen Aprilluft fröstelnd auf ein Taxi warteten.

»Dominik Lichtenthal ist mir gerade begegnet.«

Paulas Miene war reines Entzücken. »Er ist hier?«

»Paula!«

»Schon gut. Kannst ihn immer noch nicht bezahlen, ja? Warum nimmst du keinen Kredit auf?«

»Welche Bank gibt mir noch einen Kredit?«

Darauf wusste Paula keine Antwort, und Charlotte hatte auch keine Lust mehr, darüber zu sprechen. Glücklicherweise bog in diesem Moment ein Taxi in die Straße ein.

Mai 1925

Zweimal wäre Helena fast von der Elektrischen überfahren worden, da sie sich darauf konzentriert hatte, in dem kurzen Moment, als zwischen zwei Autos Platz genug war, rasch über die Straße zu laufen. Beim ersten Mal hatte eine Frau sie rechtzeitig beiseitegerissen, ein anderes Mal war sie rasch zurückgesprungen und dabei einem Mann mit dem Absatz auf den Fuß gestiegen.

»Haste keene Oogen im Deez, du blöde Kuh?«

Da Helena sich nützlich machen wollte, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie lebe einfach nur in den Tag hinein, während die jüngere Schwester arbeitete und dafür sorgte, dass die Speisekammer gefüllt war, hatte sie angeboten, Letzteres zu übernehmen. Darauf, dass sie dies vor eine Herausforderung stellen könnte, war sie überhaupt nicht gekommen. Daheim hatten ihr die Wege ins Dorf immer Spaß gemacht, man hatte Leute getroffen, war ins Gespräch gekommen. Hier jedoch war es ein Gedränge und Geschubse, jeder war sich selbst der Nächste, und man zögerte auch nicht, den Ellbogen zu Hilfe zu nehmen, wenn es nicht anders ging, womit Helenas Rippen Erfahrung machen durften, als sie einem Lastenrad im Weg gestanden hatte. Sie hatte so schnell einen mitbekommen, dass ihr keine Zeit blieb zu reagieren. Empört hatte sie sich umgeschaut in der Erwartung, dass jemand etwas sagte, aber entweder hatte es niemand bemerkt oder es interessierte schlicht niemanden.

»Dann schau halt, wo du langläufst«, war Charlottes wenig hilfreicher Kommentar dazu, als Helena schimpfend den Korb mit den Einkäufen auf den Tisch stellte.

»Das habe ich doch getan. Bei uns hat man auf Ortsfremde Rücksicht genommen, aber hier merkt man offenbar nicht einmal, dass jemand unterwegs ist, der sich nicht auskennt.«

»Oh, dass du nicht von hier bist, merkt gewiss jeder, das kann ich dir versichern. Mit dem langen Zopf und dem Korb – da fehlt nur noch das gestrickte Tuch um die Schultern, und du gehst als Bauersfrau aus Masuren durch.« Charlotte erhob sich vom Tisch. »Du entschuldigst, dass ich bereits gegessen habe? Die Mittagspause ist gleich vorbei. Ach ja, und wundere dich nicht, wenn es wirkt, als sei jemand in deinem Zimmer gewesen. Ich brauchte zwei Tiegel von deiner seltsamen Creme und habe sie nicht gleich gefunden.«

»Ach was? Und darf ich fragen, wofür?«

»Frau Riemers war wohl ganz angetan. Sie meinte, schöner werde sie dadurch nicht, aber ihre Haut spanne nicht mehr so schlimm. Mir war es ja fast schon peinlich, diesen unverschämten Preis zu verdoppeln.«

»Und? Hast du?«

»Ging ja wohl nicht anders, wenn wir nicht unseriös wirken wollen. Und wenn sie zufrieden war – was soll’s?« Charlotte zuckte mit den Schultern. »So, ich muss wieder in die Apotheke. Räum hier auf, ja?« Damit verließ sie die Küche.

Helena hob den Topfdeckel und schnupperte. Gemüseeintopf mit dick geschnittener Wurst. Könnte schlimmer sein. Nach dem Essen räumte Helena auf, machte den Abwasch und ging danach in ihr Zimmer, wo sie sich hinsetzte und ihre Cremetiegel vor sich aufstellte. Weiß und schmucklos. Sie stützte das Kinn in die Hände und dachte nach. Klein beigeben kam nicht in Frage, und ganz offensichtlich taugte die Creme etwas. Sie würde ihrer Mutter schreiben und sie bitten, ihr Wollwachs zu schicken. Bei dem Gedanken an ihre Mutter überkam sie sogleich das schlechte Gewissen. Sie hatte ihr bisher nur zweimal geschrieben, obwohl sie schon drei Wochen hier war. Aber es gab schlicht nichts zu erzählen – nichts Erfreuliches zumindest. Und auf gar keinen Fall wollte sie zwischen den Zeilen einräumen: »Du hattest recht, das hier war keine gute Idee.«

Sie stand auf und ging ins Wohnzimmer, wo sie den Sekretär öffnete. Nach einigem Suchen wurde sie fündig und fand feines Büttenpapier. Sie nahm den Füllfederhalter zur Hand und schrieb in ihrer feinen Handschrift Crème Vienne auf das Papier, das sie danach in rechteckige Etiketten schnitt. Jetzt brauchte sie nur noch Kleber, den jedoch fand sie nicht, also würde sie Charlotte danach fragen müssen. Schon bei dem Gedanken daran breitete sich ein Gefühl des Überdrusses aus. Erneut nahm sie einen Bogen Büttenpapier und schrieb darauf:

Crème Vienne

Exklusiv nur hier in der Apotheke Rosenberg

Diese Woche zum Einführungspreis von 1,50 Mark pro Tiegel

Da konnte man nächste Woche den Preis ja noch einmal gut anheben. Helena war zufrieden mit sich und hatte das Gefühl, endlich etwas zu tun. Die Apotheke war mit allem ausgestattet, das sie brauchte, um frische Creme anzurühren, weitaus besser, als ihre kleine Küche es gewesen war. Hier konnte sie in großem Stil Cremes herstellen. Vielleicht hätte Charlotte Einwände, aber das konnte sie getrost ignorieren. Helena suchte nach einem Behältnis für ihre gerade angefertigten Etiketten und kippte kurzerhand die Stifte aus dem Stiftbecher. Sie nahm ihr selbstgeschriebenes Werbeschild und verließ das Wohnzimmer. Im Flur hing neben der Garderobe ein hoher Spiegel, und Helena blieb stehen, um sich darin zu betrachten. Mit dem langen Zopf und dem Korb – da fehlt nur noch das gestrickte Tuch um die Schultern, und du gehst als Bauersfrau aus Masuren durch.

Und wenn sie das Haar aufsteckte? Dann sähe sie vermutlich erst recht aus wie eine Gouvernante aus der Jugendzeit der Baronin. Helena biss sich auf die Lippen. Altbacken und unmodern. So war sie daheim nie wahrgenommen worden, und nun konnte sie nicht umhin, sich so und nicht anders zu fühlen. Sie hatte gehört, wie Paula sie gegenüber Charlotte bezeichnet hatte, als die beiden bei einem Besuch Paulas im Wohnzimmer gesessen hatten. Landei. Helena hob das Kinn, versuchte sich an einem herausfordernden Blick, der ihr für gewöhnlich problemlos gelang. Landei. Bauersfrau.

Abrupt wandte sie sich vom Spiegel ab und ging in ihr Zimmer, legte dort das Schild und den Becher mit den Etiketten ab, ehe sie in die Apotheke hinunterging. Dort beriet Charlotte gerade eine Kundin und dämpfte die Stimme, als Helena den Raum betrat. Immerhin bekam Helena mit, dass es um Verdauungsprobleme ging. Sollte Charlotte sich gerne damit befassen, Helena hatte anderes im Sinn. Sie ging in den hinteren Teil der Apotheke, wo Medikamente hergestellt wurden. Der kleinere Raum dahinter schien das Arbeitszimmer zu sein. Hier herrschte das reine Chaos. War ihr Vater so unordentlich gewesen, oder hatte Charlotte das angerichtet bei dem Versuch, die Unterlagen zu sichten? Helena durchsuchte die Regale und fand schließlich ein Fläschchen mit Kleber. Na bitte. Rasch verließ sie das Arbeitszimmer wieder, vermied es, durch die Apotheke zu gehen, um sich nicht Charlottes Fragen stellen zu müssen, und eilte zurück in ihr Zimmer, wo sie damit begann, die Etiketten auf die Tiegel zu kleben.

Charlotte hatte den ganzen Tag damit gewartet, den Brief zu öffnen. Sie hatte es ja geahnt, die Schonzeit war vorbei. Vielleicht hatte man bisher gedacht, sie sei noch gefangen in der Trauer um den Vater, und wollte sie daher nicht mit Geldforderungen behelligen. Aber nun, da sie ja so offensichtlich bestens aufgelegt tanzen gehen konnte … Jetzt war er da, der Brief, und mit ungutem Gefühl in der Magengegend hatte Charlotte ihn erst einmal unter die Verkaufstheke geschoben. Jetzt, nachdem sie die Apotheke abgeschlossen hatte, holte sie ihn hervor.

Lichtenthal-Pharma stand auf dem Absender in gestochen scharfer Schrift. Tadelnd wirkte diese Schrift. Fordernd. Seufzend riss Charlotte das Kuvert auf und starrte auf die Summe. Sie hatte gewusst, dass es viel war, es aber stets einigermaßen erfolgreich verdrängt. Himmel, ihr schwindelte. Und das war nur eine von vielen Forderungen. Was würde Dominik Lichtenthal tun, wenn sie die Zahlung weiter hinauszögerte? Er drohte zumindest sehr explizit. Dieser Mistkerl. War steinreich und hatte doch gleich nichts Besseres zu tun gewusst, als seinen Finanzverwalter erneut auf sie anzusetzen. Die kleine Rosenberg ist wieder tanzend und kokettierend im Nachtleben unterwegs. Setzen Sie direkt mal die Daumenschrauben an und sparen Sie nicht an Drohungen. Wäre ja gelacht, wenn wir sie nicht dazu bringen könnten, wahlweise hier heulend zu Kreuze zu kriechen oder demnächst das Nachtlager im Bordell aufzuschlagen, wo sie das Einzige verkauft, was ihr noch geblieben ist.

Das konnte es doch jetzt nicht gewesen sein. Es war schwer genug für eine Frau, eine Apotheke zu führen, denn obwohl es viele Pharmazeutinnen gab, waren Frauen fast nur im Angestelltenverhältnis zu finden. Eine Konzession für eine Apotheke erhielten sie allenfalls durch eine Erbschaft. Und jetzt sollte sie alles verlieren? Sollte klein beigeben, nur weil ihr Vater – Gott sei seiner Seele gnädig – nicht mit Geld umgehen konnte? Charlotte wollte gar nicht wissen, wofür er es verprasst hatte. Sie wusste auch, dass Fragen aufgekommen waren, als er betrunken den Wagen vor einen Baum gesetzt und sich dabei das Genick gebrochen hatte. Zum Glück waren keine Unbeteiligten verletzt worden. Viele mutmaßten, dass er sich schlicht und ergreifend geschickt aus der Affäre gezogen hatte, aber das mochte Charlotte nicht glauben, denn dafür hatte er das Leben zu sehr genossen.

Als sie in die Wohnung kam, stand das Abendessen schon auf dem Tisch. Daran konnte man sich glatt gewöhnen. Schade, dass das hier die Person war, die ihr die Hälfte von dem Nichts, das ihr geblieben war, auch noch weggenommen hatte, und keine Haushälterin. Seufzend ließ Charlotte sich am Tisch nieder, griff mit wenig Appetit nach einer Scheibe Brot und bestrich sie mit Butter, während Helena Pfefferminztee auf den Tisch stellte und sich nun ebenfalls setzte, dann aber direkt wieder aufstand.

»Ich muss dir etwas zeigen.«

»Hat das nicht Zeit bis später?« Ein Druck hinter der Stirn kündigte Kopfschmerzen an. Viel lieber als Tee hätte sie jetzt eine Tasse starken Kaffee gehabt, aber sie musste am kommenden Tag früh raus. Andererseits wartete die Buchhaltung, und die wurde nicht weniger, je länger sie sie aufschob.

»Dauert nicht lange.« Helena lief aus der Küche, und Charlotte seufzte erneut. Kurz darauf kam sie zurück und präsentierte ihr die weißen Cremetiegel, auf denen nun Etiketten klebten. Ruckartig richtete Charlotte sich auf. »Hast du dafür etwa das gute Büttenpapier zerschnippelt?«

»Was man teuer verkauft, muss auch teuer aussehen.«

»Bist du toll? Das ist handgeschöpft. Weißt du, wie teuer das war?«

»Ich habe ja nicht alles benutzt.«

Ganz ruhig und tief durchatmen, dachte Charlotte. Sie war gerade so weit, dass sie ihrer Stimme ausreichend traute, um nicht laut zu werden, da präsentierte Helena ihr das Schild.

»Das hängst du nicht in die Scheibe! Erst recht nicht mit diesem Wucher als Einführungspreis!«

»Du musst hier nicht gleich so herumschreien. Ich hänge es in die Scheibe, ob es dir passt oder nicht.«

Charlotte wollte es ihr aus den Händen zerren, es zerreißen, ahnte jedoch, dass dann der nächste Bogen Büttenpapier dran glauben musste. »Verschwinde doch einfach!«, schrie sie. »Es sah hier auch ohne dich schon düster genug aus. Das Letzte, was ich jetzt brauche, ist so ein naives, vertrotteltes Dorfmädchen, das glaubt, in der Stadt mit ihren läppischen Provinzprodukten das große Geld zu machen, während mir das Wasser bis zum Hals steht. War deine Mutter genauso vernagelt? Dann ist es kein Wunder, dass mein Vater es nicht länger mit ihr ausgehalten hat!«

Helena war ganz blass geworden, aber der erwartete Wutausbruch blieb aus. Sie nahm den Korb – diesen grausigen, altbackenen Landmädchenkorb – mit ihren Tiegeln in die Hand und verließ die Küche. Kurz darauf fiel die Zimmertür krachend ins Schloss. Die Wohnungstür wäre Charlotte lieber gewesen, aber sei’s drum. Die Kopfschmerzen wurden schlimmer, und Charlotte stand auf, nahm eine Tablette aus dem Döschen im Medizinschrank, schluckte sie mit einem Glas Wasser und setzte sich wieder an den Tisch, um das Abendessen fortzusetzen.

Während sie die Stulle mit Kompott bestrich, meldete sich sehr unwillkommen das schlechte Gewissen, und Helenas leerer Teller, das unberührte Besteck, die Tasse, in der der Tee erkaltete, verstärkte diesen Stich des Unbehagens. Ach, verdammt noch mal! War ihr denn kein Moment der Ruhe vergönnt? Charlotte knallte das Messer auf den Tisch und erhob sich so ruckartig, dass der Stuhl fast hintenüberkippte. Sie ging zu Helenas Zimmer, klopfte und stieß die Tür auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Helena saß an ihrem kleinen Schreibtisch und schien im Begriff gewesen zu sein, etwas aufzuschreiben. Vermutlich ein Brief, in dem sie sich lang und breit über die böse Halbschwester beklagte.

»Wir haben nicht genug Geld, um etwas umkommen zu lassen, also setz dich hin und iss.« Charlotte gab ihr keine Gelegenheit zu antworten, sondern drehte sich einfach um und ging zurück in die Küche. Und natürlich folgte ihre Schwester ihr nicht, sondern blieb im Zimmer sitzen und bockte. Na, dann eben nicht. Charlotte aß auf, ließ alles auf dem Tisch stehen, da sie annahm, dass der Hunger Helena schon zum Essen treiben würde, und wenn nicht, dann sollte sie zumindest alles aufräumen, wenn Charlotte schon das Geld für sie beide verdiente.

Zehn Minuten später saß sie mit einer Tasse Tee im Arbeitszimmer hinter dem Verkaufsraum und versuchte, sich systematisch durchzuarbeiten. Sie stapelte die Rechnungen und Mahnungen nach Summe und Dringlichkeit. Finanzielle Rücklagen hatte sie nicht, sie lebte von dem, was die Apotheke einbrachte, sodass zum Monatsende nichts übrig blieb, denn in einen laufenden Betrieb musste ständig investiert werden, schließlich gab es Medikamente nicht umsonst. Womit sie wieder bei Lichtenthal-Pharma war. Sie hatte die Produkte mittlerweile aus dem Sortiment genommen, da man sie erst wieder beliefern würde, wenn sie die offenen Rechnungen zahlte.

Irgendwann hörte sie, wie nebenan jemand umherging. Vermutlich Helena, die ihren morgigen Verkaufstag vorbereitete und ihren Krempel schon einmal platzierte. Sollte sie nur, Charlotte war zu müde zum Streiten. Außerdem wollten die Kopfschmerzen nicht nachlassen, und angesichts der Summen, die sie hier gerade zusammenrechnete, überkam sie eine wachsende Verzweiflung, die sich tagsüber gut bannen ließ, in der abendlichen und nächtlichen Einsamkeit aber stets zurückkehrte.

»Heirate«, riet Paula ihr in diesen Momenten. »Oder nimm dir einen Liebhaber, der vertreibt dir die nächtlichen Sorgen schon.«

»Gewiss«, hatte Charlotte beim letzten Mal geantwortet. »Ein dicker Bauch ist genau das, was mir zu meinem Glück noch gefehlt hat.«

»Als Apothekerin fällt dir da gewiss was ein. Zudem muss es ja nicht zum Äußersten kommen.«

Danke, kein Bedarf. Charlotte wollte mit der Arbeit fortfahren, als die Tür geöffnet wurde.

Helena stellte einen Tiegel Creme auf den Schreibtisch. »Hier, Geschenk des Hauses, damit man dir die verbitterte Gewitterhexe nicht vor deiner Zeit ansieht.« Damit drehte sie sich um und war zur Tür hinaus, noch ehe Charlotte eine passende Replik einfiel.

Grundgütiger, war alles, was Helena in diesem Augenblick denken konnte. Grundgütiger! Das war kein Kaufhaus, das war … das war einfach ohne Worte. Anfangs war Helena eingeschüchtert stehen geblieben, hatte das imposante Gebäude von weitem betrachtet, glücklich, es mithilfe des Pharus-Plans unfallfrei bis hierher geschafft zu haben. Dann war sie eingetreten mit all den Menschen, die so selbstverständlich hineingingen, dieses Portal mit gleichgültiger Nonchalance durchschritten, als wäre es ganz normal, in dieses Gebäude zu treten. Kaufhaus Wertheim. Helena war überwältigt gewesen von diesem Gebäude, dessen schiere Ausmaße ihr den Atem nahmen. Kaum war sie drin, konnte sie nicht anders, als stehen zu bleiben, sich umzublicken, atemlos, verzaubert. Grundgütiger! Sie legte den Kopf in den Nacken, sah zur Glaskuppel hinauf, sah die Balustraden, die Treppen, die in elegantem Schwung von einer Etage in die nächste führten.

Wie beiläufig Charlotte ihr an diesem Morgen geantwortet hatte. Nichts hatte sie auf das hier vorbereitet.

»Wo kann man hier ein Kleid kaufen?«, hatte Helena beim Frühstück gefragt.

»KaDeWe in der Tauentzienstraße, Tietz am Alexanderplatz oder Wertheim am Leipziger Platz.«

Helena senkte den Blick, begegnete dem amüsierten Grinsen zweier Angestellter bei den Kurzwaren. Ihr war klar, welches Bild sie abgeben musste. Das naive Mädchen vom Land, das sich zum ersten Mal in die Großstadt verirrte. Wenn man etwas auf gar keinen Fall zeigen durfte, das wusste Helena inzwischen, dann, wie unglaublich beeindruckt man war. Aber konnte man durch diese Pracht gehen und dabei nicht beeindruckt sein? Helena war sich sicher, dass sie auch in zwanzig Jahren noch in ungläubigem Staunen durch dieses Kaufhaus gehen würde. Nicht einmal einen Kaiserpalast aus dem Märchen hatte sie sich so luxuriös vorgestellt. Und sie war mitten darin, konnte hindurchgehen, die Dinge anfassen. Das musste sie ihrer Mutter schreiben.