Der Spion und der Verräter - Ben Macintyre - E-Book

Der Spion und der Verräter E-Book

Ben Macintyre

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Beschreibung

Oleg Gordijewskis Weg in den sowjetischen Geheimdienst war ihm als Sohn zweier KGB-Agenten in die Wiege gelegt. Da er Deutsch konnte, brachte ihn eine seiner ersten Anstellungen nach Berlin, wo er den Bau der Mauer hautnah mitbekam – es sollte sich als eines von vielen Ereignissen erweisen, die seinen Glauben an den Kommunismus zerrütteten. Ganz brach er mit ihm aber erst 1968, als sowjetische Truppen in Prag einmarschierten, und bot sich dem britischen MI6 als Doppelagent an. Schnell wurde er zur wichtigsten Informationsquelle für den Geheimdienst ihrer Majestät. Seine Identität wurde nicht nur vor den Sowjets geheim gehalten, auch die engsten Verbündeten tappten im Dunkeln. Etwas, was die CIA nicht auf sich sitzen lassen konnte: Sie beauftragte einen ihrer Offiziere mit der Identifizierung des Mannes. Der Offizier hieß Aldrich Ames und sollte noch zu zweifelhaftem Ruhm als sowjetischer Spion gelangen …

Ben Macintyres Buch entfaltet ein Dreiecksspiel zwischen den Geheimdiensten der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion und gipfelt in Oleg Gordijewskis fesselnder und filmreifer Flucht aus Moskau 1985. Wie ein Roman von John le Carré entführt es den Leser in eine Welt des Verrats und der Täuschung.

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Seitenzahl: 642

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Cover

Titel

Ben Macintyre

Der Spion und der Verräter

Die spektakulärste Geheimdienstgeschichte des Kalten Krieges

Aus dem Englischen von Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger

Insel Verlag

Impressum

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Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel The Spy and the Traitor bei Viking, part of the Penguin Random House group.Zur Erinnerung an Joanna Macintyre (1934-2015)

eBook Insel Verlag Berlin 2023

Der vorliegende Text folgt der deutschen Erstausgabe, 2023.

Deutsche Erstausgabe© der deutschsprachigen Ausgabe Insel Verlag Anton Kippenberg GmbH & Co. KG, Berlin, 2023 © der Originalausgabe © Ben Macintyre, 2019

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung von Rothfos & Gabler, Hamburg, unter Verwendung des Originalumschlags von Penguin Books Ltd., Fotos: Getty Images, München

eISBN 978-3-458-77827-1

www.suhrkamp.de

Widmung

Er hatte zwei Leben: das eine, offenbar allen, die es interessierte, sichtbar und bekannt … und das andere, das seinen Verlauf im Verborgenen nahm.

Anton P. Tschechow, Die Dame mit dem Hündchen

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Einführung 18. Mai 1985

TEIL EINS

1 Der

KGB

2 Onkel Gormsson

3

SUNBEAM

4 Grüne Tinte und Mikrofilm

5 Ein Plastikbeutel und ein Mars-Riegel

6 Agent

BOOT

Bildteil 1

TEIL ZWEI

7 Das Safe House

8 Operation

RJ

aN

9 Koba

10 Mr. Collins und Mrs. Thatcher

11 Russisches Roulette

Bildteil 2

TEIL DREI

12 Katz und Maus

13 Der Reiniger

14 Freitag, 19. Juli

15 Finlandia

EPILOG

16 Reisepass für

PIMLICO

Nachwort

Decknamen und Aliasse

Zitatnachweis

1. The

KGB

2. Onkel Gormsson

3.

SUNBEAM

4. Grüne Tinte und Mikrofilm

5. Ein Plastikbeutel und ein Mars-Riegel

6. Agent

BOOT

7. Das Safe House

8. Operation

RJ

aN

9. Koba

10. Mr. Collins und Mrs. Thatcher

11. Russisches Roulette

12. Katz und Maus

13. Der Reiniger

14. Freitag, 19. Juli

15. Finlandia

16. Reisepass für

PIMLICO

Ausgewählte Bibliografie

Abbildungsnachweis

Danksagungen

Informationen zum Buch

Einführung 18. Mai 1985

Für die Spionageabwehr des KGB, die Direktion K, war es reine Routine: das Anbringen von Abhörgeräten.

Es dauerte keine Minute, um die Schlösser der Wohnungstür im achten Stock des Lenin-Prospekt 103 zu knacken, einem Moskauer Hochhaus, in dem KGB-Offiziere und ihre Familien lebten. Während zwei Männer in Overalls und mit Handschuhen sich daranmachten, die Wohnung methodisch zu durchsuchen, kümmerten sich zwei Techniker darum, die Räume schnell und unsichtbar zu verwanzen. Sie platzierten Abhörgeräte hinter Tapeten und Bodenleisten, montierten ein Mikrofon in die Sprechmuschel des Telefons und Videokameras in die Lampen von Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche. Als sie etwa eine Stunde später fertig waren, gab es kaum noch einen Winkel der Wohnung, in dem der KGB keine Augen und Ohren hatte. Schließlich streiften sie Mundschutze über und besprühten Kleidungsstücke und Schuhe im Schrank mit radioaktivem Staub, dessen Strahlung gering genug war, um nicht tödlich zu sein, aber dennoch den Geigerzählern des KGB ermöglichte, die Wege des Trägers zu verfolgen. Als sie gingen, schlossen sie sorgfältig hinter sich ab.

Einige Stunden später landete ein russischer Geheimdienstoffizier an Bord einer aus London kommenden Aeroflot-Maschine auf dem Moskauer Flughafen.

KGB-Oberst Oleg Antonowitsch Gordijewski befand sich auf dem Gipfel seiner beruflichen Laufbahn. Als Ausnahmetalent des sowjetischen Geheimdienstes hatte er sich fleißig hochgearbeitet und in Skandinavien, Moskau und Großbritannien gedient, ohne dass seine Akte den geringsten Makel aufwies. Jetzt, im Alter von sechsundvierzig Jahren, war er zum Leiter der KGB-Station in London befördert worden, einer begehrten Position, und wurde eingeladen, nach Moskau zurückzukehren, um vom Chef des KGB feierlich in sein Amt eingeführt zu werden. Als Berufsspion war Gordijewski auserkoren, bis in die obersten Ränge dieses riesigen und skrupellosen Sicherheits- und Geheimdienstnetzwerks aufzusteigen, das die Sowjetunion kontrollierte.

Gordijewski, eine stämmige, durchtrainierte Gestalt, schritt selbstbewusst durch die Menschenmenge am Flughafen. Aber in seinem Inneren brodelte ein diffuses Grauen. Denn der KGB-Veteran Oleg Gordijewski, treuer Geheimdienstler der Sowjetunion, war ein britischer Spion.

Der elf Jahre zuvor vom britischen Auslandsgeheimdienst MI6 rekrutierte Agent mit dem Codenamen NOCTON hatte sich als einer der wertvollsten Spione der Geschichte erwiesen. Die enorme Menge an Informationen, die er an seine britischen Agentenführer weitergab, hatte den Verlauf des Kalten Krieges verändert, sowjetische Spionagenetzwerke geknackt, dazu beigetragen, einen Atomkrieg abzuwenden, und dem Westen in einer äußerst gefährlichen Phase der Weltpolitik einen einzigartigen Einblick in die Denkweise des Kremls verschafft. Sowohl Ronald Reagan als auch Margaret Thatcher waren auf Grundlage dieses außergewöhnlichen Schatzes an Geheimnissen auf dem Laufenden gehalten worden, den der russische Spion lieferte, obwohl weder der amerikanische Präsident noch die britische Premierministerin seine wahre Identität kannten. Selbst Gordijewskis junge Frau hatte nicht die geringste Ahnung von seinem Doppelleben.

Gordijewskis Ernennung zum KGB-Residenten (die russische Bezeichnung für einen KGB-Stationschef) hatte in dem kleinen Kreis der MI6-Offiziere, die in den Fall eingeweiht waren, Jubel ausgelöst. Als ranghöchster sowjetischer Geheimdienstmitarbeiter in Großbritannien würde Gordijewski fortan Zugang zu den innersten Geheimnissen der russischen Spionage haben: Er würde den Westen über alles informieren können, was der KGB plante; der sowjetische Geheimdienst in Großbritannien würde neutralisiert werden. Und doch hatte die abrupte Rückberufung nach Moskau das NOCTON-Team verunsichert. Manche witterten eine Falle. Bei einem eilig einberufenen Treffen mit seinen MI6-Agentenführern in einem Londoner Safe House wurde Gordijewski die Möglichkeit angeboten, überzulaufen und mit seiner Familie in Großbritannien zu bleiben. Jeder Teilnehmer des Treffens wusste, was auf dem Spiel stand: Wenn er als offizieller KGB-Resident zurückkehrte, würden MI6, CIA und ihre westlichen Verbündeten den Geheimdienst-Jackpot knacken, doch wenn Gordijewski in eine Falle tappte, würde er alles verlieren, einschließlich seines Lebens. Er hatte lange und gründlich nachgedacht, bevor er entschied: »Ich werde zurückgehen.«

Die MI6-Offiziere gingen noch einmal Gordijewskis Fluchtplan für den Notfall durch, der den Codenamen PIMLICO trug und sieben Jahre zuvor in der Hoffnung erstellt worden war, dass er niemals aktiviert werden müsste. Der MI6 hatte noch nie jemanden aus der UdSSR exfiltriert, geschweige denn einen KGB-Offizier. Dieser aufwendige und gefährliche Fluchtplan konnte nur als allerletztes Mittel in Gang gesetzt werden.

Gordijewski war ausgebildet worden, Gefahren sofort zu erkennen. Als er nun durch den Moskauer Flughafen ging, sein Nervenkostüm vor innerem Stress zum Zerreißen gespannt, sah er überall Hinweise auf Gefahr. Der Passbeamte schien seine Papiere ungewöhnlich lange zu studieren, bevor er ihn durchwinkte. Wo war der Mitarbeiter, der ihn abholen sollte, das Mindestmaß an Respekt und Höflichkeit für einen KGB-Oberst, der aus dem Ausland zurückkehrte? Der Flughafen wurde immer streng überwacht, aber heute schienen die unauffälligen Männer und Frauen, die scheinbar untätig herumstanden, noch zahlreicher als sonst. Gordijewski stieg in ein Taxi und sagte sich, wenn der KGB die Wahrheit wüsste, wäre er bereits in dem Moment verhaftet worden, als er russischen Boden betrat, und befände sich längst auf dem Weg in die KGB-Zellen, um zuerst verhört und gefoltert und anschließend hingerichtet zu werden.

Soweit er es beurteilen konnte, folgte ihm niemand, als er das vertraute Mietshaus am Lenin-Prospekt betrat und mit dem Aufzug in den achten Stock fuhr. Seit Januar war er nicht mehr in der Familienwohnung gewesen.

Das erste Schloss der Eingangstür ließ sich mühelos öffnen, dann das zweite. Aber die Tür rührte sich nicht. Das dritte Schloss an der Tür, ein altmodisches Riegelschloss aus der Bauzeit des Hauses, war verriegelt worden.

Allerdings hatte Gordijewski das dritte Schloss nie benutzt. Tatsächlich hatte er den Schlüssel dafür nie besessen. Was bedeutete, dass jemand sich mit einem Dietrich Zutritt verschafft und beim Verlassen der Wohnung die Tür versehentlich dreifach abgesperrt hatte. Dieser Jemand konnte nur vom KGB gewesen sein.

Die Ängste der letzten Woche kristallisierten sich in der erschreckenden, lähmenden Erkenntnis, dass seine Wohnung betreten, durchsucht und wahrscheinlich verwanzt worden war. Er stand unter Verdacht. Jemand hatte ihn verraten. Der KGB beobachtete ihn. Der Spion wurde von seinen Kollegen ausspioniert.

TEIL EINS

2 Onkel Gormsson

Oleg und Jelena Gordijewski landeten an einem glitzernd frostigen Tag im Januar 1966 in Kopenhagen und tauchten ein in ein Märchen.

Wie ein MI6-Offizier später bemerkte: »Wenn man eine Stadt auswählen müsste, um die Vorzüge der westlichen Demokratie gegenüber dem russischen Kommunismus zu demonstrieren, könnte man kaum eine bessere als Kopenhagen finden.«

Die Hauptstadt Dänemarks war wunderschön, sauber, modern, reich und in den Augen eines Paares, das gerade erst der tristen Unterdrückung des sowjetischen Alltags entflohen war, unsagbar verführerisch. Hier gab es schnittige Autos, glänzende Bürogebäude, schicke Designermöbel und lächelnde Menschen mit hervorragenden Zähnen. Es gab belebte Cafés, helle Restaurants, die exotische Speisen servierten, und Geschäfte, die eine verwirrende Vielfalt an Waren anboten. In Gordijewskis hungrigen Augen wirkten die Dänen nicht nur fröhlicher und lebendiger, sondern auch kulturell reicher. In der ersten Bibliothek, die er betrat, war er erstaunt über das Angebot an Büchern, aber noch überraschter war er, dass er sich so viele Bücher ausleihen durfte, wie er wollte, und die Plastiktüte, in der er sie mitnahm, behalten durfte. Es schien nur sehr wenige Polizisten zu geben.

Die sowjetische Botschaft bestand aus drei stuckverzierten Villen an der Kristianiagade im nördlichen Teil der Stadt, die eher einer noblen Hotelanlage als einer sowjetischen Enklave glichen, mit tadellosen, weitläufigen Gärten, einem Sportzentrum und einem Geselligkeitsclub. Die Gordijewskis zogen in eine Neubauwohnung mit hohen Decken, Holzböden und Einbauküche. Er bekam einen Volkswagen Käfer und einen monatlichen Barvorschuss von umgerechnet 250 Pfund für die Bewirtung von Kontakten. Kopenhagen schien voller Musik zu sein: Bach, Händel, Haydn, Telemann – Komponisten, die er in Sowjetrussland nie hatte hören dürfen. Er sinnierte darüber, dass es einen sehr guten Grund gab, warum es normalen Sowjetbürgern nicht erlaubt war, ins Ausland zu reisen: Wer, außer einem völlig indoktrinierten KGB-Offizier, konnte solche Freiheiten genießen und gleichzeitig dem Bedürfnis widerstehen, dort zu bleiben?

Von den zwanzig Beamten in der sowjetischen Botschaft waren nur sechs echte Diplomaten, während der Rest für den KGB oder den GRU, den sowjetischen Militärnachrichtendienst, arbeitete. Der Resident, Leonid Saitsew, ein charmanter und gewissenhafter Offizier, schien nicht zu bemerken, dass die meisten seiner Untergebenen inkompetent, faul oder korrupt waren, meistens sogar alles zusammen. Sie verwendeten weit mehr Energie darauf, ihre Ausgaben zu frisieren, als tatsächlich zu spionieren. Die Hauptaufgabe des KGB bestand darin, dänische Kontakte zu pflegen, Informanten zu rekrutieren und potenzielle Agenten ins Visier zu nehmen. Gordijewski erkannte schnell, dass dies »eine Einladung zur Korruption« war, da die meisten Offiziere ihre Kontakte zu Dänen einfach erfanden, Rechnungen fälschten, Berichte zusammenlogen und Zulagen in die eigene Tasche steckten. Die Zentrale schien nicht bemerkt zu haben, dass nur wenige ihrer Mitarbeiter in Kopenhagen gut Dänisch sprachen, einige sogar kein einziges Wort.

Gordijewski war entschlossen zu zeigen, dass er nicht wie die anderen war. Da er bereits Schwedisch beherrschte, machte er sich daran, Dänisch zu lernen. Seine Vormittage verbrachte er mit der Bearbeitung von Visumsanträgen, wie es seine Aufgabe im Konsulat vorsah; die Spionage begann in der Mittagspause.

Das illegale Netzwerk des KGB in Skandinavien war ein Flickenteppich. Ein Großteil von Gordijewskis Arbeit war administrativer Natur: Er hinterließ Geld oder Nachrichten in toten Briefkästen, überwachte Signalstellen und unterhielt geheime Kontakte zu den verdeckten Spionen, von denen er die meisten nie persönlich traf oder mit Namen kannte. Wenn ein Illegaler eine Orangenschale unter einer bestimmten Parkbank hinterließ, bedeutete dies »Ich bin in Gefahr«, während ein Apfelkerngehäuse signalisierte »Ich verlasse morgen das Land«. Diese komplexen Regelungen entwickelten sich gelegentlich zur Farce. An einer Signalstelle ließ Oleg einen verbogenen Nagel auf der Fensterbank einer öffentlichen Toilette liegen, um einem Illegalen zu signalisieren, dass er aus einem vorher festgelegten toten Briefkasten Bargeld abholen solle. Um den Empfang der Nachricht zu bestätigen, sollte der Undercoveragent an der gleichen Stelle den Kronkorken einer Bierflasche zurücklassen. Als Oleg zu der Stelle zurückkehrte, fand er den Verschluss einer Flasche Ingwerbier. War Ingwerbier in der Spionage dasselbe wie normales Bier? Oder hatte dies eine andere Bedeutung? Nach einer intensiven nächtlichen Diskussion mit seinen Kollegen in der Residentur gelangte er zu dem Schluss, dass der Spion wohl keinen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen Flaschendeckel erkennen konnte.

In Dänemark wurden Geburten und Sterbefälle von der protestantischen Dänischen Volkskirche registriert und von Hand in großen Hauptbüchern festgehalten. Mit Hilfe eines geschickten Fälschers aus Moskau konnten beliebig viele neue Identitäten erschaffen werden, indem die Kirchenregister manipuliert wurden. Gordijewski begann, Umgang mit Geistlichen zu pflegen, um Zugang zu den Registern zu erhalten, und organisierte Einbrüche in verschiedene Kirchen. »Ich betrat Neuland«, sagte er später. Die Kirchenregister Dänemarks enthalten eine ganze Reihe von Einwohnern, die von Oleg Gordijewski erfunden wurden.

In der Zwischenzeit machte er sich daran, Informanten, Agenten und geheime Kuriere zu rekrutieren. »Das ist der Hauptzweck unseres Lebens hier«, sagte Saizew ihm. Nach monatelanger Arbeit unter dem Decknamen »Gornow« (dem Mädchennamen seiner Mutter) überredete er einen Lehrer und dessen Frau, als »lebender Briefkasten« zu fungieren und Nachrichten von und zu Illegalen zu übermitteln. Er freundete sich mit einem dänischen Polizisten an, fragte sich aber nach einigen Treffen, ob er den Mann rekrutierte oder umgekehrt.

Weniger als ein Jahr nach seiner Ankunft in Kopenhagen gesellte sich ein KGB-Offizier zu Gordijewski, der ganz anders war als die anderen. Michail Petrowitsch Ljubimow war ein aufstrebender, fröhlicher, hochintelligenter Ukrainer, dessen Vater bei der Tscheka, der bolschewistischen Geheimpolizei, gedient hatte. Ljubimow hatte sein Studium am Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen vier Jahre vor Gordijewski abgeschlossen und dann für den KGB eine Dissertation mit dem Titel Der englische Nationalcharakter und seine Verwendung in der operativen Arbeit geschrieben. Im Jahr 1957 verführte er auf Anweisung des KGB ein amerikanisches Mädchen bei den Weltjugendfestspielen in Moskau. Vier Jahre später wurde er als sowjetischer Presseattaché nach Großbritannien entsandt, wo er Informanten in Gewerkschaften, Studierendengruppen und im britischen Establishment rekrutierte. Er sprach Englisch mit dem sonoren Akzent der Oberschicht, gespickt mit altmodischen britischen Ausdrücken (What ho! Pip pip!), die ihn wie einen russischen Bertie Wooster klingen ließen. Ljubimow war von allem Englischen fasziniert, genauer gesagt von den Aspekten der englischen Kultur, die ihm gefielen: Whisky, Zigarren, Kricket, Gentlemen's Clubs, maßgeschneiderter Tweed, Billard und Klatsch. Der britische Geheimdienst gab ihm den Spitznamen »Smiley Mike«. Die Briten waren der Feind, und er bewunderte sie. 1965 hatte er erfolglos versucht, einen britischen Chiffrierbeamten anzuwerben, woraufhin der Geheimdienst prompt versuchte, ihn anzuwerben. Als er das Angebot, für Großbritannien zu spionieren, ablehnte, wurde er zur Persona non grata erklärt und nach Moskau zurückgeschickt – eine Erfahrung, die seiner überbordenden Anglophilie in keiner Weise Abbruch tat.

Ende 1966 wurde Ljubimow als Leiter des politischen Nachrichtendienstes (in der KGB-Nomenklatur die »PR-Linie«) nach Kopenhagen versetzt.

Gordijewski war sofort von Ljubimow angetan. »Nicht das Gewinnen zählt, sondern das Spielen«, dröhnte Ljubimow, während er dem jüngeren Mann von seinem Leben in Großbritannien erzählte, wo er Spione rekrutiert und in getäfelten Clubräumen Glenlivet geschlürft hatte. Ljubimow nahm Gordijewski als seinen Protegé an und sagte über den Jüngeren: »Er beeindruckte mich mit seinen ausgezeichneten Geschichtskenntnissen. Er liebte Bach und Haydn, was ihm Respekt einbrachte, vor allem im Vergleich zum Rest der sowjetischen Kolonie in Dänemark, die ihre ganze Zeit mit Angeln, Einkaufen und dem Anhäufen von möglichst viel materiellem Besitz verbrachten.«

So wie Ljubimow sich in Großbritannien verliebt hatte, war Gordijewski von Dänemark, seinen Bewohnern, seinen Parks und seiner Musik sowie von der Freiheit, einschließlich der sexuellen Freiheit, begeistert, die für die Dänen selbstverständlich war. Sie hatten eine offene Einstellung zum Sex, die selbst für europäische Verhältnisse fortschrittlich war. Eines Tages besuchte Oleg das Rotlichtviertel der Stadt und betrat aus einer Laune heraus einen Laden, der Pornohefte, Sexspielzeug und andere Erotikartikel verkaufte. Dort kaufte er drei Pornohefte für Homosexuelle, die er mit nach Hause nahm, um sie Jelena zu zeigen. »Ich war einfach fasziniert. Ich hatte keine Ahnung, was Homosexuelle tun.« Er legte die Zeitschriften auf seinen Kaminsims, eine offene Zurschaustellung einer Freiheit, die es in Sowjetrussland nicht gab.

»Ich blühte als Mensch auf«, schrieb er. »Es gab so viel Schönes, eine solche lebendige Musik, so hervorragende Schulen, so viel Offenheit und Fröhlichkeit unter den einfachen Menschen, dass ich das riesige, sterile Konzentrationslager der Sowjetunion nur als eine Art Hölle betrachten konnte.« Er begann mit Badminton und stellte fest, dass er das Spiel liebte, vor allem das Element der Täuschung. »Der Federball, der in den letzten Sekunden seines Fluges langsamer wird, gibt dem Spieler die Möglichkeit, seinen Verstand einzusetzen und seinen Schlag im letzten Moment zu ändern.« Die Änderung des Schlags in letzter Minute war eine Fähigkeit, die er perfektionieren sollte. Er besuchte Konzerte mit klassischer Musik, verschlang Bücher aus der Bibliothek und bereiste jeden Winkel Dänemarks, manchmal aus beruflichen Gründen, meistens aber aus reinem Vergnügen an der Möglichkeit, es tun zu können.

Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Gordijewski das Gefühl, dass er nicht beobachtet wurde. Nur, dass er beobachtet wurde.

Der dänische Inlandsnachrichten- und Sicherheitsdienst, der Politiets Efterretningstjeneste (PET), war vergleichsweise winzig, aber äußerst effektiv. Seine erklärte Aufgabe war es, »Operationen und Aktivitäten, die eine Bedrohung für die Erhaltung Dänemarks als freies, demokratisches und sicheres Land darstellen, zu verhindern, zu untersuchen und zu bekämpfen«. Der PET hatte den dringenden Verdacht, dass Oleg Gordijewski eine solche Bedrohung darstellte, und von dem Augenblick an, als der junge russische Diplomat mit einer Vorliebe für klassische Musik in Kopenhagen eintraf, hatte man ein Auge auf ihm.

Die Dänen überwachten routinemäßig das sowjetische Botschaftspersonal, verfügten aber nicht über die Mittel für eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung. Einige Telefone innerhalb der Botschaft waren verwanzt. KGB-Techniker wiederum waren erfolgreich in die PET-Funknetze eingedrungen, und ein Abhörposten in der Botschaft fing routinemäßig Nachrichten ab, die zwischen den dänischen Überwachungsteams ausgetauscht wurden. Jelena Gordijewski arbeitete inzwischen mit ihrem Mann für den KGB, hörte diese Nachrichten ab und übersetzte sie ins Russische. Infolgedessen konnte der KGB häufig die Position der PET-Überwachungswagen herausfinden und feststellen, wann die eigenen Beamten nicht überwacht wurden. Jeder verdächtige KGB-Offizier hatte einen Codenamen: Gordijewski wurde in den PET-Funknachrichten als »Onkel Gormsson« bezeichnet, eine Anspielung auf einen dänischen König aus dem zehnten Jahrhundert, Harald »Blauzahn« Gormsson.

Der dänische Sicherheitsdienst hatte wenig Zweifel, dass Gordijewski (alias Gornow alias Guardijezew alias Onkel Gormsson) ein KGB-Spion war, der unter diplomatischer Tarnung arbeitete.

Eines Abends waren Oleg und Jelena zu ihrem Freund, dem Polizisten, und dessen Frau zum Abendessen eingeladen. Während sie fort waren, drang der PET in die Wohnung ein und versteckte dort Abhörgeräte. Gordijewski war die Einladung des dänischen Ehepaars etwas suspekt vorgekommen, und so hatte er gemäß seiner Ausbildung vorsichtshalber einen Klecks Klebstoff zwischen die Eingangstür und den Rahmen platziert. Als sie vom Essen zurückkamen, war das unsichtbare Klebesiegel gebrochen. Von da an war Gordijewski vorsichtig mit dem, was er zu Hause sagte.

Die gegenseitige Bespitzelung verlief sporadisch und unsystematisch. KGB-Offiziere, die in der Kunst der Trockenreinigung geschult waren, gelang es häufig, vom dänischen Radar zu verschwinden. Aber genauso oft glaubten Gordijewski und seine Kollegen, dass sie erfolgreich vom Radar verschwunden waren, obwohl dies nicht der Fall war.

Entweder überwachte der PET das Kopenhagener Rotlichtviertel oder die Dänen beschatteten Gordijewski und bekamen mit, als er den Sexshop betrat und die Pornohefte kaufte. Ein verheirateter russischer Geheimdienstoffizier mit einer Vorliebe für Schwulenpornos ist angreifbar, ein Mann mit Geheimnissen, der erpresst werden konnte. Der dänische Sicherheitsdienst machte sich eine sorgfältige Notiz und gab diese interessante Information an ausgewählte Verbündete weiter. Zum ersten Mal tauchte in den Akten der westlichen Geheimdienste ein Fragezeichen neben Gordijewskis Namen auf.

Oleg Gordijewski entwickelte sich zu einem äußerst effektiven KGB-Offizier. Ljubimow schrieb: »Er setzte sich von seinen Kollegen unbestreitbar durch seine hervorragende Ausbildung, seinen Wissensdurst, seine Liebe zum Lesen und, wie Lenin, durch Besuche in öffentlichen Bibliotheken ab.«

Die einzige Wolke am privaten Himmel war seine Ehe, die so schnell zu welken schien, wie sein kulturelles Innenleben aufblühte. Eine Beziehung, die mit wenig Wärme begonnen hatte, wurde zusehends kühler. Gordijewski wünschte sich Kinder, Jelena wollte sie auf keinen Fall. Ein Jahr nach der Entsendung offenbarte seine Frau, dass sie vor ihrer Abreise aus Moskau eine Schwangerschaft abgebrochen hatte, ohne sich vorher mit ihm zu besprechen. Er fühlte sich hintergangen und war wütend. Er fand seine junge Frau, eigentlich ein wildes Energiebündel, seltsam passiv und unempfänglich für die neuen Eindrücke um sie herum. Er wurde zunehmend gewahr, dass seine Ehe »mehr auf Übereinkunft denn auf Liebe« basierte, und das »Gefühl der Leere« wurde bei ihm immer intensiver. Gordijewski beschrieb seine Haltung gegenüber Frauen als »respektvoll«. In Wirklichkeit hatte er, wie viele sowjetische Männer, altmodische Vorstellungen von der Ehe und erwartete von seiner Frau, dass sie klaglos kochte und putzte. Jelena, eine erfahrene KGB