Der Traumweber (Der Spieler Buch 6): LitRPG-Serie - Roman Prokofiev - E-Book

Der Traumweber (Der Spieler Buch 6): LitRPG-Serie E-Book

Roman Prokofiev

0,0
7,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wie es heißt, kennt die SPHERE OF WORLD keine Grenzen, und seine Spieler betreten ein neues Universum voller Mysterien. Jetzt bereitet dieses Universum sich darauf vor, sich selbst zu verteidigen. Wer auch immer dieses Spiel einmal begonnen hat – aufhören kann er damit jetzt nicht mehr. Auf der Suche nach den Schlüsseln brechen Cat und Weldy zum Abgrund auf. Dort hat Cat es mit dem Stärksten aller Orakel zu tun, mit dem legendären Dämonenkönig. Sein Einsatz in diesem Spiel ist auf entsetzliche Weise simple. Es ist sein eigenes Leben.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Zwischenspiel: Oleg

Kapitel 2

Zwischenspiel: Yamato

Kapitel 3

Kapitel 4

Zwischenspiel: Adam

Kapitel 5

Kapitel 6

Zwischenspiel: Tormis

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Zwischenspiel: Das Haus der Dunkelheit

Kapitel 12

Zwischenspiel: Die Gießerei

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Zwischenspiel: Adam

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Zwischenspiel: Santa

Kapitel 23

Zwischenspiel: Die Admins

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Zwischenspiel: Agasyan

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

Über den Autor

Der Traumweber

von Roman Prokofiev

Der Spieler

Buch 6

Magic Dome Books

Der Traumweber

Der Spieler Buch 6

Buch 6 Originaltitel: The Dreamweaver (Rogue Merchant Book #6)

Copyright ©R. Prokofiev, 2021

Covergestaltung © Vladimir Manyukhin 2021

Deutsche Übersetzung © Irena Böttcher, 2023

Erschienen 2023 bei Magic Dome Books

Anschrift: Podkovářská 933/3, Vysočany, 190 00

Praha 9 Czech Republic IC: 28203127

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Buch ist nur für deine persönliche Unterhaltung lizensiert. Das Buch sollte nicht weiterverkauft oder an Dritte verschenkt werden. Wenn du dieses Buch mit anderen Personen teilen möchtest, erwirb bitte für jede Person ein zusätzliches Exemplar. Wenn du dieses Buch liest, ohne es gekauft zu haben, besuche bitte deinen shop und kaufe dir dein eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass du die harte Arbeit des Autors respektierst.

Die Personen und Handlung dieses Buches sind frei erfunden. Jede Übereinstimmung mit realen Personen oder Vorkommnissen wäre zufällig.

Laden Sie unseren KOSTENLOSEN Verlagskatalog herunter:

Geschichten voller Wunder und Abenteuer: Das Beste aus LitRPG, Fantasy und Science-Fiction (Verlagskatalog)

Neue Bestellungen!

Aufgetaut (Unfrozen) LitRPG-Serie

von Anton Tekshin

Die triumphale Elektrizität Steampunk Roman

von Pavel Kornev

Phantom-Server LitRPG-Serie

von Andrei Livadny

Der Neuro LitRPG-Serie

von Andrei Livadny

Einzelgänger LitRPG-Serie

von Alex Kosh

Deutsche LitRPG Books News auf FB liken: facebook.com/groups/DeutscheLitRPG

Prolog

EIN SCHARFES, KALTES Gefühl brachte mich wieder zu sich. Ich blinzelte, versuchte, etwas zu erkennen durch die Wasserschicht, die meine Augen bedeckte und sich in eisigen Rinnsalen unter meine Kleidung stahl. Flüssigkeit füllte meinen Mund. Angeekelt spuckte ich aus. Dann packte mich auf einmal die Panik. Ich kam mir vor, als wäre ich unter Wasser, gefesselt an Händen und Füßen, und am Ertrinken.

„Das reicht. Ich glaube, er ist aufgewacht!“

Nicht wirklich... Aber wenigstens konnte ich jetzt vor mir dunkle Silhouetten sehen. Eine davon stellte einen leeren Eimer auf dem Zementboden ab. Damit hatte er mich gerade mit kaltem Wasser übergossen.

„Oh, Hallöchen, Cat!“

Es war die Stimme von Herrn Leo. Ich saß in einem schlecht erleuchteten Raum auf einem Stuhl. Das einzige Licht strömte durch kleine Gitterroste unterhalb der Decke. Meine Arme waren hinter der Stuhllehne gefesselt. Mein Körper schmerzte und mein Magen verkrampfte sich in schrecklicher Qual. Statt etwas zu erwidern, krümmte ich mich und versuchte zu kotzen.

„Stellt ihm einen Eimer hin! Ihr habt ihm hoffentlich keine Überdosis verpasst?“

„Gegen einen Besuch im Badezimmer hätte ich ebenfalls nichts einzuwenden“, erklärte ich ausdruckslos, nachdem die Krämpfe nachgelassen hatten. Wie viel Zeit war seit meiner Entführung vergangen? Wohin hatte man mich gebracht?

Eines stand fest — ich hatte verloren. Isaos Plan war schiefgegangen, und Balabanovs Leute hatten mich gefangen genommen. Ich war ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Es war das Schlimmste, das hatte passieren können — und genau das war geschehen. Obwohl... Nein, das stimmte nicht. Ich hoffte inständig, dass der Sicherheitsdienst der SPHERE wenigstens Alena hatte schützen können... und mein ungeborenes Kind.

„Du wirst es überleben. Zuerst werden wir uns unterhalten.“

„Worüber?“

„Über deine Zukunft. Hast du uns etwas zu sagen?“

Ich sammelte meine Gedanken. Was hatten sie denn genaugenommen gegen mich in der Hand? Meinen Fluchtversuch mit der Hilfe einer Reinigungsfirma und eines Taxifahrers? Wussten sie von Isao und seinen Leuten, von meiner Absprache mit ihm? Ihr einziger Beweis war, dass ich die neuronale Schnittstelle meiner Kapsel auseinandergenommen und Tickets nach Neu-Tokio gekauft hatte...

„Was sollte ich Ihnen zu sagen haben?“ Ich stieß die Luft aus. Meine Stimme war noch immer ausdruckslos. „Sie haben mich angegriffen, mich entführt und mich irgendwohin gebracht. Was zum Teufel soll das?“

„Ach, nun komm schon! Du hast lediglich einen Spaziergang gemacht? Zum Flughafen? Mit deiner neuronalen Schnittstelle in der Tasche? Du hast versucht, dich abzusetzen, und davor hatten wir dich gewarnt. Wir wissen sogar bereits, wer dir geholfen hat.“

„Ich habe Ihr Spiel satt!“, rief ich. „Ja, ich wollte abhauen. Na und? Ich bin schließlich nicht Ihr Eigentum!“

„Hör auf, eine Show abzuziehen. Du weißt sehr gut, was auf dem Spiel steht. Niemand wird dich ungestraft gehen lassen. Außer vielleicht zu dem Ort, von dem es keine Rückkehr gibt. Kapiert?“

„Bitte kommen Sie zur Sache, Herr Leo. Wenn Sie mich ins Jenseits hätten befördern wollen, würden wir uns jetzt nicht unterhalten. Also — was wollen Sie von mir?“

„Hey, du bist ein wirklich guter Schauspieler“, sagte er plötzlich und starrte mich an. „Du versuchst, so zu tun, als hättest du keine Angst, und wirst sogar noch frech. Du wärst eine Bereicherung für jedes Theater. Das wäre eine echte Karriere gewesen, statt dieser Online-Rollenspiele.“

„Machen Sie mir etwa den Hof? Danke, aber ich bin schon verheiratet.“

„Nein, ich denke lediglich laut. Hör auf mit der Clownerei. Du solltest wenigstens an deine Frau denken. Aber gut — spuckst du endlich alles aus, oder muss ich dich dazu zwingen?“

„Sie haben doch gesagt, Sie wissen bereits alles. Was soll ich Ihnen also noch erzählen?“

„Ich will deine Ehrlichkeit testen. Dein Schicksal hängt davon ab.“

„Oh Gott!“ Ich seufzte. „Meinetwegen... Ich hatte beschlossen, nach Neu-Tokio umzuziehen. Mir war es hier zu langweilig, kapiert? In der Hauptstadt gibt es weit mehr Möglichkeiten. Und ja, ich will es nicht verschweigen — ich hatte die Nase reichlich voll von ihrer konstanten Aufmerksamkeit.“

„Gehen wir alles der Reihe nach durch. Wem hast du von uns und von den Anrufen des Magisters erzählt?“

„Bisher noch niemandem. Aber alle Informationen über Ihre Machenschaften sind online. Sollte mir oder meiner Familie etwas zustoßen, gehen sie an die Öffentlichkeit. Ihnen steht ein großer Skandal bevor, Herr Leo. Das sollte Ihnen zu denken geben.“

„Oleg, Oleg...“ Traurig schüttelte er den Kopf. „Du hast es noch immer nicht verstanden. Tja, dann...“

Er stand auf und kramte in einem kleinen Kästchen, das einer der Männer ihm sofort anbot. Dann trat er an mich heran. Ich rutschte auf dem Stuhl hin und her. In seiner Hand schimmerte matt die metallische Nadel einer automatischen Spritze.

„Was pumpen Sie denn jetzt schon wieder in mich hinein.“ Scharf stieß ich den Atem aus, zischend vor Schmerz. „Was ist das für ein Mist?“

„Ein Serum, das dir die Zunge lösen wird. Es ist ziemlich giftig, aber du lässt mir ja keine andere Wahl. Schließlich will ich dir nicht alle Fingernägel einzeln ausreißen...

Kapitel 1

„SPIELER HABEN HIER keinen Zutritt!“

Zwei schwer bewaffnete Wappengenossen kreuzten vor Lou ihre Hellebarden. Langsam zog sie einen Talisman aus der Tasche und hielt ihn einem der gelangweilt wirkenden NPCs unter die Nase. Die goldene Lilie mit drei Blättern, die an der Kette schwang, war das gleiche Symbol, das auch die roten Waffenröcke der Wachen zierte.

Die beiden traten beiseite, dann erstarrten sie erneut zu Statuen, rechts und links vom Eingang.

„Folgt mir“, befahl Lou ihren Jungs. Ungehindert traten die Schurken ein.

Der große unterirdische Saal der Festung wurde als Turnierplatz verwendet. Es gab mehrere Übungsbereiche. Für gewöhnliche Spieler war der Zutritt verboten, aber die Schurken hatten sich in der Zitadelle des Ordens der Lilie bestimmte Privilegien gesichert.

Der Magister war in die Verbesserung seiner Fechtkunst vertieft. Er stand im Sand der Arena, umgeben von fünf NPC-Kriegern mit entblößtem Oberkörper. Sie griffen ihn an, und er verteidigte sich, blockierte und parierte ihre Hiebe. Neben dem ununterbrochenen Klirren von Metall war lediglich das heisere Ächzen der Kämpfer zu hören.

Die Schurken blieben stehen und beobachteten die Trainingssession.

Es war ein Anblick, der sich lohnte. Der Magister, grauhaarig und athletisch, wehrte perfekt alle Attacken ab und ließ niemanden an sich herankommen. Es schien ihn nicht einmal Anstrengung zu kosten, und die Grazie seiner wohlberechneten Bewegungen verriet einen wahren Meister. Das Oberhaupt des Ordens kämpfte mit einer Labrys, einer kurzen Doppelaxt, die für das Fechten denkbar ungeeignet war, doch das schien ihn nicht zu behindern. Die Waffen seiner Gegner trafen jedes Mal auf eine undurchdringliche Barriere.

„Aber das sind doch Granden“, bemerkte Odris leise. „Sie haben Rang 3! Ihre Reaktionsgeschwindigkeit sollte beeindruckend sein. Wie kann er bloß...“

„Er ist ein Fraktions-Anführer.“ Lou zuckte mit den Schultern. „Er hat Rang 5 oder höher. Was ist also an seiner Fechtkunst so überraschend?“

„Alles“, erwiderte Odris knapp.

Als er die Schurken bemerkte, beendete der Magister den Kampf. Die Granden traten zurück und senkten die Waffen. Auch nur ein solcher Ritter war für jeden Spieler ein starker Gegner. Diese Kerle waren Elite-NPC-Kämpfer, deren Geschwindigkeit, Stärke und Reaktionsgeschwindigkeit die normaler Menschen weit überstiegen. Natürlich konnten geübte Fechter auch mit Granden fertig werden — aber nicht mit fünf davon auf einmal.

Der Magister wischte sich die Brust mit seinem roten Umhang und nickte den fünf Spielern zu.

„Ich sehe, ihr seid überrascht.“ Er lachte. „Ja, ich muss in Form bleiben. Wie wäre es mit einem kleinen Aufwärmen?“

Odris warf Lou einen Blick zu. Dann nickte er und übergab Umhang und Brustplatte seinen Clan-Kameraden. Bis zur Taille nackt, betrat er die Arena. Die Regeln eines Duells verboten den Einsatz aller Angriffs- und Ausrüstungs-Buffs. Hier war lediglich die persönliche Fertigkeit gefragt.

So groß wie ein Bär und bedeckt mit schwarzen Haaren, wirbelte Odris seine Lieblingswaffe, ein Paar Streitäxte. Mit ihnen konnte der Haupt-Tank der Schurken wahre Wunder vollführen. Ein solches Wunder zeigte er nun — er ließ die Klingen so elegant tanzen, es schien, als bewegten sie sich aus eigenem Antrieb.

Doch den Magister konnte er mit solchen Tricks nicht beeindrucken. Er senkte seine Labrys und beobachte den Gegner ruhig und entspannt.

Wie ein Hurrikan schoss Odris auf ihn zu. Seine Äxte verwandelten sich dabei in zischende Propellerblätter. Seine Geschwindigkeit, Größe und physische Stärke erlaubten es ihm normalerweise, den Feind innerhalb weniger Sekunden zu betäuben, zu lähmen und in die Ecke zu treiben.

Der Magister straffte sich, nun angespannt wie eine Sprungfeder. Kling! Odris‘ Angriff wurde mit zwei gutgezielten, blitzschnellen Bewegungen pariert, deren Wucht ihn zurückwarf und beinahe das Gleichgewicht verlieren ließ. Der Magister hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt.

Ungläubig schüttelte Lou den Kopf. In ihrem Team war Odris sowohl ein Tank als auch ein Angreifer, der Schaden zufügte. Niemand bezweifelte seine überlegenen Kampfkünste. Ein langjähriges Mitglied der Schurken und einer der Gründer des Clans, war er ein herausragender Duellant. Es verblüffte sie, mit welcher Leichtigkeit der Magister seinen Angriff gestoppt hatte.

Geduckt umkreiste Odris seinen Gegner. Seine grimmige Entschlossenheit bewies, dass er verärgert war und sich rächen wollte.

Ein Duell zwischen zwei Meistern war normalerweise kein Schauspiel, das sich lohnte. Vor allem nicht, wenn beide mit Äxten kämpften. Oft reichte schon ein einziger Treffer, um die Sache zu entscheiden. Lou bemerkte nicht, wie das Oberhaupt des Ordens nach einer Reihe von Finten und scharfen Hieben in die Offensive ging. Plötzlich sprang er vor und entwaffnete Odris durch eine dynamische Drehung, die seine beiden Äxte durch die Luft fliegen ließ. Der Angriff war so heftig, dass eine davon in einem Hagel aus Funken gegen die Decke krachte. Die andere sauste über die Köpfe der entgeisterten Schurken hinweg. Das war eine völlig neue Entwaffnungstechnik! Anschließend schwang der Magister herum und schlug Odris das stumpfe Ende seiner Axt gegen den Solarplexus. Der Schurke faltete sich zusammen wie ein Klappmesser und flog in die Umgrenzung der Arena, mehrere Schichten von Sandsäcken, die sein schwerer Körper auseinanderriss. Seine Trefferpunkte schwebten im roten Bereich. Es war klar, wer der Sieger des Duells war.

Hinter Lous Rücken pfiff Morgan leise durch die Zähne.

„Boss, brauchst du uns wirklich?“, fragte Dante und betrachtete Lou argwöhnisch. Er hatte das Funkeln ihrer Augen richtig gedeutet und wollte nicht, dass die Schurken einer nach dem anderen in der Arena vom Magister getestet wurden.

„Vielleicht könnten wir... draußen trainieren?“, schlug der Zauberer vor. „Dieser Ort ist so unfreundlich. Währenddessen kannst du dich mit unserem Freund unterhalten.“

„Wie du willst.“ Lou nickte. „Nehmt Odris mit.“

Ja, Dante hatte richtig geraten. Lou betrachtete Odris‘ Niederlage als Herausforderung und wollte sich selbst in einem Kampf gegen einen solchen Gegner beweisen. Nur selten hatten Spieler die Gelegenheit zu einem Duell mit einem NPC von Rang 5. Die Anführer der Fraktionen hielten sich gewöhnlich aus Auseinandersetzungen heraus. Sie sah die Chance einer unbezahlbaren Erfahrung, die ihr für ihre zukünftige Kampftaktik neue Tricks und Manöver beibringen konnte. Allerdings war das Risiko hoch, dass sie wie Odris eine schändliche Niederlage erlitt, und sie wollte nicht, dass ihre Begleiter ihr Versagen miterlebten. Ihre Autorität als Anführerin hatte durch die fruchtlose Expedition zum Großen Arsenal bereits eine Schlappe erlitten, während der das PROJEKT HÖLLE sie alle besiegt hatte.

Zusammen mit Odris, der humpelte, verließen die Schurken den Saal. Lou verstand, warum sie sich hier nicht wohlfühlten. Die Luft war schwer und schien gefüllt mit zu vielen Augen, die sie beobachteten. Das lag natürlich vor allem an der Anwesenheit des Magisters. Selbst sein Schweigen sprach Bände, und eine dunkle Aura wirbelte um ihn herum.

„Komm schon, Lou — lass uns ein wenig üben.“ Mit einer Geste lud der Fraktionsanführer sie in die Arena ein.

Es war kein Vorschlag — es war ein Befehl. Lass sehen, wie gut du bist — und ob du dich der Belohnung als würdig erweisen kannst, die ich dir versprochen habe.

Lou nahm ihren Umhang und ihr Schuppen-Panzerhemd ab. Jetzt trug sie nur noch ein Hemd und einen kurzen Rock aus Lederstreifen. Die Kämpfe in der Arena wurden normalerweise ohne jegliche Ausrüstung geführt, um die wahren Fertigkeiten der Kämpfer zu testen, statt der nur geborgten. Lou sprang über die Abgrenzung und hob das Schwert über ihren Kopf, die Klinge parallel zum Boden. Der Magister lächelte und wiederholte die internationale Geste der Herausforderung.

Die Anführerin der Schurken verließ sich auf ihre bevorzugten Waffen, ein Kurzschwert mit einem breiten Griff, das wie ein längliches, schmales Blatt geformt war, und einen runden Schild, verziert mit sich ringelnden Schlangen und einem spitzen Schildbuckel. Sie nutzte es als Deckung und durchquerte leise, Schritt für Schritt, die Arena. Dabei beobachtete sie konstant ihren Gegner, der sich nicht rührte.

Ein Sprint nach vorn, ein Überschlag, ein schneller Hieb unter dem Schild hervor — ein gewitzter Angriff, für den Gegner so gut wie unsichtbar... Doch entspannt reagierte der Magister sofort und parierte ihn mit der breiten blauen Klinge seiner Labrys, in der silbrig das Sternenmetall schimmerte.

Er war wie ein Fels, fest und unbeweglich, wie Lou erkennen musste, nachdem sie ihn aus verschiedenen Richtungen heraus attackiert hatte. Der Magister reagierte mindestens ebenso schnell, wie ihre feingeschliffenen Reflexe es ihr erlaubten. Es war unmöglich, seine Verteidigung zu durchdringen.

„Was hältst du von Cat?“, fragte der Magister plötzlich, während er weiter ihre Hiebe abwehrte. Derzeit versuchte er nicht, sie anzugreifen, sondern überließ Lou die Initiative.

„Er ist... nicht zu bändigen!“ Zornig stieß Lou die Luft aus. Die Klingen stießen aufeinander. Das Parieren des Magisters hätte sie beinahe ihres Schwertes beraubt. „Er ist ein Lügner und Betrüger! Er hat ausschließlich seine eigenen Interessen im Sinn!“

„Wahrscheinlich spielt er längst für unser gegnerisches Team“, bemerkte der Magister mit einem Grinsen.

„Könnten Sie ihn überzeugen, zu unserer Seite zurückzukehren?“

„Das bezweifle ich. Sie haben ihm alles Mögliche eingeredet. Natürlich könnte ich versuchen, ihn zu zwingen...“

Endlich ging er zum Angriff über. Schon der erste Hieb seiner Labrys, den sie mit ihrem Schild parierte, hätte Lou beinahe umgeworfen. Eine solche Attacke konnte den Getroffenen bis zu seiner Taille im Sand der Arena versenken.

„Die Peitsche einzusetzen statt des Zuckerbrots ist in unserem Fall... nicht ratsam“, erklärte sie und näherte sich erneut ihrem Gegner. Was, wenn sie versuchte... Wie zufällig, berührte Lous kleiner Finger den Edelstein der Mythischen Macht im Griff ihres Kurzschwerts. Es war nicht fair, aber wenn sich ihre Stärke und Beweglichkeit eine Minute lang verdoppelten, hatte sie wenigstens eine Chance!

„Du hast recht — es wird Zeit, Cat auf die Reservebank zu schicken“, stimmte der Magister zu.

Lou legte einen Salto hin und drehte sich in Pirouetten, Ihr Rock flog in die Höhe und enthüllte weit mehr als sonst üblich. Die Anführerin der Schurken wusste sehr wohl, wie leicht sich manche Gegner durch den Anblick weiblicher Reize ablenken ließen, und nutzte das schamlos zu ihrem eigenen Vorteil aus. Eine Lawine aus schnellen Angriffen regnete auf den Magister hinab, jeder einzelne mächtig genug, ihn umzuwerfen, doch dieser Kontrahent ließ sich durch lange Beine und einen strammen Hintern nicht beeindrucken. Geschickt parierte das Oberhaupt des Ordens alle Hiebe, doch selbst ihn überraschte der plötzliche Überfall. Er wurde zu einem aktiven Manöver gezwungen und musste ausweichen.

Ohne Unterlass prallte Stahl gegen Stahl. In einer rasenden Reihe von Attacken versuchte Lou, mehr und mehr vorzudringen. Sie hatte bemerkt, dass ihre Angriffe endlich eine echte Gefahr für ihn bedeuteten. Kein Wunder — 150 Punkte Stärke reichten aus, mit einem Hieb ein Pferd auseinanderzureißen!

Endlich hatte sie es geschafft! Knurrend drängte der Magister sie mit einem zornigen Hieb zurück. Die Wucht des Aufpralls ließ sie über den Sand rutschen. Lou rappelte sich auf und nahm sofort wieder ihre Kampfhaltung ein. Auf der scharfen Klinge ihres Kurzschwerts schimmerte es scharlachrot.

„Sind deine Treffer nicht zu mächtig für eine Frau?“, bemerkte der Magister lachend und tastete seine Wunde ab. Leider war sie unbedeutend — das Schwert der Schurkin hatte lediglich seine Schulter gestreift. Dennoch färbte seine linke Hand sich schnell rot. Freude stieg in Lou auf — sie hatte Odris gerächt. Der Magister war nicht so unverwundbar, wie es geschienen hatte.

„Sollen wir weiterkämpfen?“, fragte sie.

Der Magister nickte. Inzwischen lächelte er nicht mehr, und sein rotes Blut tropfte weiter auf den Boden der Arena.

Die Minute war abgelaufen. Leider hatte er ihr keine weitere Chance gegeben. Nun griff er an. Die Klingen seiner Doppelaxt zischten durch die Luft. Lou duckte sich, wich aus und schlug Purzelbäume. Dennoch konnte sie seinen Hieben nur mühsam entkommen. Als sie eine Gelegenheit sah, ging sie zum Gegenangriff über, legte einen Doppelsprung in die Luft hin und zielte dabei direkt auf den Magister. Mit dieser Technik wurden nur wenige fertig, sie war zu schnell und zu unvorhersehbar. Nicht einmal Tao in seiner Teufelsform war das gelungen.

Bumm! Die Wucht seiner Abwehr warf Lou zurück, und der schreckliche Hieb des Magisters, den sie mit ihrem Schild abgewehrt hatte, schleuderte sie in den Sand der Arena. Ihr Arm schmerzte, und auf dem Abbild ihres Charakters erschien das Symbol einer Verwundung. Ihr Schild, entzweigebrochen in rauchende Bruchstücke, färbte sich rot. Blaues Feuer blies Lou mit einer unerträglichen Hitze ins Gesicht. Wenige Zentimeter vor ihrer Kehle stoppte die flammende Spitze einer der Axtklingen.

„Wie du siehst, Lou, bist du nicht die Einzige, die betrügen kann“, erklärte der Magister ruhig. Das Licht des Wahren Feuers erlosch auf der Klinge seiner Axt, und schon war sein Schlüssel wieder nur eine gewöhnliche Nahkampfwaffe.

Der Anführer des Ordens half ihr auf und übergab ihr die Überreste ihres zerstörten Schildes. Natürlich konnte es repariert werden, aber die Arbeit mit einem epischen Gegenstand verlangte nach einem Meister und kostete eine Stange Geld. Doch darüber machte Lou sich keine Sorgen. Finanziell war sie hervorragend ausgestattet.

„So, so — ein Edelstein der Mythischen Macht?“ Spielerisch drohte der Magister ihr mit dem Finger. „So eine Schande!“

„Ja, Wie haben Sie das erraten?“

„Du arbeitest für mich — ich weiß alles über dich. Übrigens, ist deinen Eltern geholfen worden? Ist alles in Ordnung?“

„Ja. Danke... Ich hätte nicht gedacht, dass...“

„Scheue dich nicht zu fragen, wenn du sonst noch etwas brauchst“, erklärte das Oberhaupt des Ordens. „Ich bin immer bereit zu helfen.“

„Okay — aber wir haben über Cat gesprochen“, erinnerte ihn Lou in dem Versuch, das ihr unangenehme Thema zu wechseln.

„Ja, wir müssen einen Handlungsplan besprechen. Wie ich schon sagte — Cat hat sich als ausgesprochen unzuverlässiger Partner erwiesen. Momentan wurde er außer Gefecht gesetzt.“

„Und wie?“

„Das geht dich nichts an. Die Sache ist die — ich habe beschlossen, die Verbindung seines Schlüssels zu lösen und ihn dir zu übergeben.“

„Die Verbindung lösen? Ist das denn überhaupt möglich? Es ist doch ein persönlicher Gegenstand, und das bedeutet, dass...“

„Ja, es gibt dafür zwei Methoden. Die erste besteht darin, ihn für die Dauer von 31 Tagen aus der SPHERE fernzuhalten. Das trennt die Verbindung zu seinem Konto, und der Schlüssel kehrt an seinen ursprünglichen Ort zurück, das Versteck von Cey-Rus.“

„Und warum haben Sie das nicht schon längst in die Wege geleitet?“, verlangte Lou zu wissen. „Wir halten Ausschau nach neuen Schlüsseln, und dabei hätten wir uns bereits die ganze Zeit sein Schwert greifen können?“

„So einfach liegt die Sache nicht. Zuerst war es unklar, wo Cats Loyalitäten liegen. Und außerdem ist der Standort der Gruft von Cey-Rus zu vielen bekannt. Sobald der Schlüssel dort auftaucht, werden diverse Parteien versuchen, ihn sich unter den Nagel zu reißen. Es wird zu einem Abschlachten führen, und ich bin mir keineswegs sicher, dass wir dabei als Sieger hervorgehen.“

„Ist die zweite Methode besser?“, erkundigte sich Lou.

„Die zweite Methode... Sag mal, kennst du dich in den Unterwelten aus?“

„Die Unterwelten bestehen aus verschiedenen Schichten. Ich habe sechs Monate dort verbracht“, antwortete die Schurkin. „Ich habe Dämonen gejagt, und sie haben mich gejagt. Ich habe Archeron, Limbo und Niflheim eingehend erkundet und Styx und Infernis besucht...“

„Und was ist mit der untersten Schicht, Gehenna?“

„Das Reich von Baal? So tief bin ich niemals hinabgestiegen. Was hat Gehenna denn mit den Schlüsseln zu tun?“

„Alles“, antwortete der Magister, seine Stimme nachdenklich. „Früher einmal hat die SPHERE viele merkwürdige Objekte hervorgebracht. Die meisten von ihnen wurden beschlagnahmt und im Gefängnis versteckt, um eine Störung des Gleichgewichts zu verhindern, aber einige konnten nicht konfisziert werden. Darunter war auch das Zepter von Baal.“

„Baal, der Gebieter der Unterwelten?“

„Ja, eben jener. Er ist ein Wesen von Rang 8, der König der Dämonen. Sein Zepter verfügt über eine seltsame Eigenschaft. Sie nennt sich Hinrichtung.“

„Das klingt bedrohlich.“

„In der Praxis ist es noch schlimmer, als es klingt. Diese Eigenschaft kann jeden NPC jeden Ranges töten, und zwar dauerhaft. Es ist noch weit schlimmer als ein Seelenverschlinger. Bei Spielern löscht es deren Konten, entfernt alle Achievements und Verbindungen und hinterlässt lediglich einen leeren Avatar mit null Fertigkeitspunkten und Eigenschaften.“

„Ach, nun kommen Sie schon — das kann nicht sein!“ Lou schürzte die Lippen. „Wie soll denn das möglich sein?“

„In der SPHERE ist alles möglich. Der Verfahrensgenerator hat etliche legendäre Gegenstände mit solchen Eigenschaften erschaffen. Das Zepter wurde nach einem bestimmten Vorfall entdeckt... Baal hatte einen Spieler ‚hingerichtet‘. Die Sache wurde unter den Teppich gekehrt, aber nur mühsam.“

„Ich glaube, ich habe verstanden“, erklärte die Anführerin der Schurken. „Sie wollen also...“

„Genau. Hinrichtung wird auch den Wahren Besitz zurücksetzen. Dadurch wird Cat seiner Verbindung zum Schlüssel beraubt. Es ist eine gute Methode.“

„Wir müssen also dafür sorgen, dass Cat durch das Zepter getötet wird?“

„Oder uns das Zepter beschaffen und es gegen Cat einsetzen.“

„Uns das Zepter beschaffen? Wenn dies ebenfalls ein persönlicher Gegenstand mit Wahrem Besitz ist, gibt es dafür nur einen Weg — wir müssten Baal töten!“, stieß Lou hervor.

„Das stimmt.“

„Wir müssen also ‚nur‘ ein Wesen von göttlichem Level besiegen, eine der stärksten Kreaturen in der SPHERE? Das ist eine verdammt harte Aufgabe!“

„Es ist zu schaffen, Lou. Schließlich ist es Tao auch gelungen, Ananizarte umzubringen. Und für uns wird die Sache weit einfacher. Wir haben Cat, seinen Schlüssel und das Wahre Feuer. Soll er doch den Gebieter der Unterwelten töten — oder seinem Zepter zum Opfer fallen, wodurch er sein Schwert verliert. Wir gewinnen in jedem Fall. Dein Job besteht darin, dich in seiner Nähe zu halten, und entweder das Zepter oder seinen Schlüssel an dich zu nehmen. Verstanden?“

Schweigend schüttelte Lou den Kopf. Ihr gefiel diese Mission nicht. Es gab zu viele unbekannte Variablen, und schon der Weg nach Gehenna, der Residenz von Baal, war alles andere als einfach.

„Und was ist mit dem Gleichgewicht?“, fragte sie endlich. „Baals Tod könnte unvorhersehbare Folgen haben.“

„Man muss immer etwas opfern, um zu gewinnen“, erwiderte der Magister. „Etwas — oder jemanden.“

Zwischenspiel: Oleg

ALS ICH ZUM ZWEITEN MAL aufwachte, steckte ich an einem völlig anderen Ort.

Ich lag zusammengerollt auf dem Fußboden, die Knie gegen die Brust gepresst und die Arme darum geschlungen. Mein Körper schmerzte, als hätte ich einen ganzen Tag lang körperlich hart arbeiten müssen.

Ich stand auf und untersuchte meine neue Umgebung, noch immer ein wenig benommen von den Nachwirkungen der Droge. Mein Schädel brummte, als hätte ich einen Kater. Schlimmer war allerdings die Erinnerung an die schimmernde Nadel und die Worte des grauhaarigen Handlangers des Magisters. Wahrscheinlich hatten sie mir etwas Ähnliches wie ein Wahrheitsserum verpasst, falls es das tatsächlich gab. Aber warum konnte ich mich an nichts erinnern? War auch das auf diese Substanz zurückzuführen, oder war ich einfach ohnmächtig geworden?

Verdammt! Ich hätte zu gern gewusst, ob ich alles ausgeplaudert hatte, was Isao betraf, den Sicherheitsdienst der SPHERE und meine Unterhaltung mit dem falschen Agasyan.

Ich stand in einem quadratischen Raum, dessen Wände hellgrau gestrichen waren. Er erinnerte an ein Zimmer in einem Krankenhaus, das zu einer Gefängniszelle umfunktioniert worden war: eine enge, an der Wand befestigte Pritsche, ein Metalltisch und ein Metallstuhl, beide ebenfalls fest verankert. Eine trübe Glühbirne an der Decke schenkte Licht. Fenster gab es keine.

Mein Handgelenks-Kommunikator war verschwunden, ebenso wie ein Teil meiner Kleidung. Ich trug lediglich ein T-Shirt und eine Jeans ohne Gürtel. Alles war trocken, woraus ich schließen konnte, dass ich mindestens ein paar Stunden lang bewusstlos gewesen war.

Auf einmal musste ich dringend aufs Klo. Ich entdeckte das stille Örtchen sofort — es war untergebracht in einer beengten Nische, zusammen mit einem Waschbecken. Alles war uralt und wurde durch Berührungen gesteuert. So etwas wurde schon seit mindestens zehn Jahren nicht mehr hergestellt.

Immerhin, ich war versorgt. Aber wo hatten die mich bloß untergebracht?

Anschließend untersuchte ich den gesamten Raum gründlich, und fand: Eine aufgerollte, durchgelegene Matratze, einen rostigen Eimer, einen Stapel alter Zeitschriften und einen Aluminiumbecher, der einmal als Aschenbecher benutzt worden war. Alles war staubig und muffig. Vor mir war schon lange niemand mehr hier gewesen.

Auf mein lautes Klopfen an der Metalltür erfolgte keine Reaktion. Es herrschte Totenstille. Entweder war der Raum perfekt schallgedämpft, oder das gesamte Gebäude, in dem ich steckte, war leer. Mit Ausnahme vielleicht von jemandem, der die Aufnahmen der versteckten Kamera in der Zelle betrachtete.

Ja, ich war aufgeschmissen. Statt in einem Hotel in Neu-Tokio saß ich auf einem behelfsmäßigen Bett im Keller eines Hauses von einem der Gangster, deren Balabanov sich bediente, und meine Zukunft war alles andere als rosig. Falls man von meiner Unterhaltung mit Isao erfahren hatte, war ich definitiv zum Untergang verurteilt.

Mir blieb nur eines — das Warten. Zäh dehnten sich die Stunden. Ohne Kommunikator oder eine andere Möglichkeit, online zu gehen, wusste ich nicht einmal, ob es Tag oder Nacht und wie viel Zeit seit meinem Aufwachen aus der Bewusstlosigkeit vergangen war. Mein Magen meldete sich zu Wort. Ich hatte Hunger, aber niemand brachte mir etwas zu essen. Um mich abzulenken, lief ich zuerst im Raum herum, dann absolvierte ich ein paar sportliche Übungen, und am Ende befasste ich mich sogar mit den staubigen Zeitschriften. Wer wohl diesen Mist hierhergebracht hatte? Das Hauptthema war die Panik nach den Beben. Damals hatten erneut schreckliche Reihen von Erdbeben und Vulkanausbrüchen gezeigt, wie zerbrechlich unsere Zivilisation war. Die Welt stand am Rand des Zusammenbruchs. Dutzende von Städten waren zerstört, Hunderttausende von Menschen tot, und Millionen obdachlos. Der Festlandsockel von Eurasien war damals die einzige Zone, in der seismisch Ruhe herrschte. Hier war die Infrastruktur lediglich geringfügig beschädigt.

Alle lebten in Erwartung der nächsten großen Auseinandersetzung. China wurde von einer großen Hungersnot überwältigt, und ein Tsunami zerstörte seine Küste. Im russischen Fernen Osten tauchten Flüchtlinge aus Korea und Japan auf, und viele Politiker debattierten darüber, ob man den nun heimatlosen Immigranten ihre eigenen autonomen Zonen zuweisen sollte. Die globale Gemeinschaft war hysterisch, ein militärisches Ultimatum nach dem anderen wurde gestellt. Ich wusste bereits, dass dies am Ende zur Gründung des Staatenbundes führen würde, was damals jedoch keineswegs offensichtlich war. Die Weltmächte standen stattdessen vor einem weiteren großen Krieg. In gewisser Weise war es lustig, die Diskussionen und Überlegungen von damals zu lesen...

Ich war so vertieft, dass ich nicht einmal bemerkte, wie ich einnickte. Ich erwachte vom Klang von Schritten und dem Geräusch eines Schlüssels, der sich im Schloss drehte.

Einer nach dem anderen betraten drei muskulöse Männer mit Gesichtsmasken den Raum. Die Aussichten standen nicht gut. Offensichtlich wollte man mich unter Druck setzen, so wie es zu erwarten gewesen war.

Unterbewusst hatte ich mit so etwas gerechnet, aber es war eine Sache, darüber nachzudenken — und eine ganz andere, es zu erleben. Abgesehen von ein paar Raufereien hatte ich in meinem gesamten Leben niemals kämpfen müssen. Ich war kein Feigling, aber ich hatte keine Ahnung, wie es sich anfühlte, verprügelt zu werden.

Jetzt lernte ich es. Die drei sprachen nicht und stellten keine Fragen. Sie schlugen mich schlichtweg zu Brei, ruhig und gnadenlos. Ich versuchte, mich zu wehren, aber was hatte ich schon für eine Chance gegen drei Haudegen? So hilflos hatte ich mich noch nie gefühlt. Als die Tür hinter ihnen wieder zuschlug, lag ich auf dem Boden, der glitschig vor Blut war.

Erst eine Weile später fand ich die Kraft, mich mithilfe der Pritsche zu erheben und ins „Badezimmer“ zu wanken. Ich betrachtete mich im kleinen, halb blinden Spiegel. Sie hatten gründliche Arbeit geleistet! Eines meiner Augen war zugeschwollen und meine eine Gesichtshälfte hatte sich in einen einzigen blauen Fleck verwandelt. Diese Hurensöhne! Auch mit meinen Rippen stimmte etwas nicht — jeder Atemzug löste einen scharfen Schmerz auf der rechten Seite aus. Die Hilfe eines Arztes war nicht mehr als ein ferner Traum. Blinder Hass auf den Magister und seine Kumpane kochte in mir. Wartet nur, ihr Abschaum — wenn ich das überlebe, werde ich es euch heimzahlen!

Etwas später brachte man mir etwas zu essen, ein Plastikglas mit einer unappetitlichen, synthetischen Suppe aus einer automatischen Küche. Trotz meines niedergeschlagenen Zustands betrachtete ich das als gutes Zeichen. Es bedeutete, dass man mich noch brauchte.

Anschließend stand mir erneut Warten bevor. Man ließ mich sehr lange allein, wohl, um mir eine Lektion zu erteilen. Als Kind der digitalen Generation spürte ich den Entzug jeglicher Kommunikation besonders intensiv. Ich hatte keinen Zugang zum Internet, keine Möglichkeit, etwas über Datum und Zeit herauszufinden... Außerdem konnte ich mich auch nicht in der SPHERE anmelden. Es war ein abrupter Entzug meiner Droge, von der ich längst abhängig geworden war. Im schwachen Licht der Glühbirne warf ich mich unruhig auf der Pritsche hin und her, und dabei gingen mir Tausende von Gedanken durch den Kopf.

Mein Vater pflegte zu sagen, dass man sich an alles gewöhnen konnte. Endlich verstand ich, wie recht er damit gehabt hatte. Wenn man keine andere Wahl hatte, fand man sich mit dem ab, was man hatte.

Nach einer Zeit, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, gab man mir eine weitere Mahlzeit, dann noch eine. Frühstück? Mittagessen? Abendessen? Ich hatte keine Ahnung. Lediglich diese Besuche gaben mir gewisse Anhaltspunkte, wie viel Zeit vergangen war. Meine Prellungen waren nun gelb, nicht mehr tief violett, und mein blaues Auge hatte zu heilen begonnen. Die Leute, die mir das Essen brachten, reagierten auf keine Fragen und keine Bitten.

Ich las die Zeitschriften erneut, untersuchte ein weiteres Mal gründlich die Zelle, bollerte gegen die Tür, sang laut, um die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, doch vergebens.

Natürlich dachte ich auch viel nach. Ich kalkulierte meine Möglichkeiten, versuchte, eventuelle Ergebnisse abzuschätzen, analysierte meine Handlungen und Entscheidungen und die potenziellen Reaktionen meiner Gegner. Manchmal befasste ich mich auch nur mit all den Dingen, die ich angesichts der allumfassenden ständigen Alltagssorgen bisher keine Zeit gehabt hatte zu erwägen.

Der Logik zufolge hatte der Magister zwei Optionen. Er konnte mich einmal einen Monat lang von der SPHERE abschneiden. Wie er mir erklärt hatte, löste sich nach dieser Frist die persönliche Bindung des Schlüssels an den Charakter, und das Schwerte kehrte in sein ursprüngliches Versteck zurück. In diesem Szenario bestand für mich keinerlei Hoffnung. Aber warum versorgte man mich hier? Warum hatte man mich verprügelt? Es hätte auch andere und weit einfachere Möglichkeiten gegeben, mich vom Anmelden im Spiel abzuhalten. Wollte man sich womöglich alle Wege offenhalten? Oder hatte der Magister vielleicht gelogen, und mein Fernbleiben löste die Verbindung zum Schwert nicht?

Die zweite Möglichkeit war, dass man versuchte, meinen Willen zu brechen. Ich hatte einmal einen Artikel über die Methoden gelesen, die Geheimdienste einsetzten. Physische Hilflosigkeit war danach ein notweniger Bestandteil jeder psychologischen Zerrüttung. Dem folgten Erpressungen, Drohungen, Druck auf die Schwachstellen des Opfers und am Ende die letzte Runde, in der man praktisch „umgedreht“ wurde. Das erklärte indirekt die massive Abreibung, die man mir verpasst hatte. Allerdings war es ebenso gut möglich, dass der Magister die Wahrheit erfahren oder erraten hatte und mich lediglich bestrafen wollte.

Während unserer letzten Unterhaltung hatte Isao mir versichert, dass der Sicherheitsdienst alles unter Kontrolle hatte. Ich hatte den Funken einer Hoffnung, dass dies keine Lüge gewesen war. Aber wenn nicht — wo waren diese Leute dann? Wo war die Polizei? Warum ließ mich niemand frei? Hatte man meine Spur verloren? Spielte Isao sein eigenes Spiel? Ich hatte keine Ahnung.

Und keine andere Wahl, als abzuwarten. Wenn ich einmal davon ausging, dass man mir zweimal am Tag etwas zu essen brachte, vergingen mindestens drei oder vier Tage, bevor ich endlich ein vertrautes Gesicht sah.

„Du siehst nicht allzu gut aus, Oleg“, murmelte Herr Leo, als er sich setzte und ein kleines Kästchen auf den Tisch stellte.

„Damit haben Sie natürlich nichts zu tun...“ Ich lachte und riss mich zusammen. Nachdem er seine Schläger draußen gelassen hatte, wollte er mit mir reden. Und diese Unterhaltung würde wahrscheinlich über mein Schicksal entscheiden.

„Das ist alles deine eigene Schuld! Und ganz ehrlich — du bist noch billig davongekommen!“, entgegnete er barsch, wob seine Finger ineinander und betrachtete mich durch seinen Kneifer.

„Ein geringer Trost.“

„Hast du etwa geglaubt, die holen dich hier heraus? Das kannst du vergessen. Wir haben für alle Fälle vorgesorgt. Ich hatte dich gewarnt, Oleg. Du hättest besser auf mich gehört.“

„Hören wir auf mit dem Austausch von Liebenswürdigkeiten, Herr Leo“, sagte ich. „Ich habe es kapiert. Was wollen Sie von mir?“

„Zuerst einmal werde ich dir etwas zeigen. Meine Jungs — das war erst der Anfang. Hier, sieh mal!“

Er öffnete das Kästchen und drehte es in meine Richtung. Kalt blitzte Metall. Ich sah Skalpelle, gekrümmte Zangen und jede Menge anderer komplizierter Geräte, die mich an die Instrumente von Folterern erinnerten. War das etwa der Werkzeugkasten eines Inquisitors?

Herr Leo nahm seine geliebte automatische Spritze heraus, und einen kleinen Beutel mit einem weißen Pulver.

„Natürlich könnten wir diverse Teile deines Körpers abtrennen, um dich gehorsamer zu stimmen“, bemerkte er kalt. „Aber Gewalt, Blut, Schreie... Das mag ich nicht. Wir sind doch zivilisierte Menschen, oder etwa nicht? Sieh mal, dieses Zeug nennt sich Engelsstaub. Es ist PCP. Hast du davon gehört? Wir spritzen es dir ein, und nach ein oder zwei Dosen bist du bereits davon abhängig. Du wirst alles tun, was wir wollen, nur damit wir dir mehr davon geben. Möchtest du es ausprobieren?“

Ja, in Fernsehen und in Filmen hatte ich von diesem „Angel Dust“ gehört. Es war eine starke, synthetische Droge, die Tausende von Leben zerstört hatte und deshalb in der gesamten Welt verboten war. Sie machte im Handumdrehen süchtig, und diejenigen, die diesen Engelsstaub regelmäßig nahmen, waren bald dem Tode nahe.

Ich seufzte.

„Natürlich nicht. Vielleicht können Sie mir einfach erklären, weshalb Sie hier sind?“

„Außerdem könnten wir auch Alena davon abhängig machen“, fuhr Herr Leo erbarmungslos fort. „Momentan geht es ihr gut, aber du kannst dir sicher vorstellen, was in einem solchen Fall mit dem ungeborenen Kind geschieht...“

Rasend vor Zorn ballte ich die Hände zur Faust, öffnete sie jedoch sofort wieder und versuchte, mich zu beruhigen. Ich spürte den enormen Drang, ihn zu packen und ihm die Spritze in seinen Kehlkopf zu stoßen, aber ich wusste, dass mich das nicht weiterbringen würde. Ich hatte nur eine Möglichkeit — ich musste so tun, als wäre ich ein Opfer, dessen Wille gebrochen worden war, und dabei insgeheim nach einem Ausweg suchen. Man brauchte mich offensichtlich, sonst würde diese Unterhaltung nicht stattfinden.

„Können wir das vielleicht vermeiden?“

Es überraschte mich selbst, wie bemitleidenswert ich klang. Am wichtigsten war, es nicht zu übertreiben. Eine Täuschung würde Herr Leo sofort bemerken. Nun komm schon, Cat — streng dich an! Dein Leben hängt davon ab...

„Vielleicht können wir das, ja.“ Herr Leo nickte. „Es kommt allein darauf an, wie du dich entscheidest.“

Er stellte mir verdammt harte Bedingungen. Allerdings hatte ich so etwas erwartet. Ich musste in die SPHERE zurückkehren und die Anweisungen des Magisters bis aufs Kleinste befolgen. Jegliche eigenständige Handlung und jegliches Doppelspiel waren mir verboten. Und ich durfte auf keinerlei Vertraulichkeit hoffen — mein gesamter Spielablauf sollte live gestreamt werden. Außerdem war ich verpflichtet, Balabanov regelmäßig mein Profil und meine Protokolle zu schicken. Im Grunde wollte man das Spiel durch die Augen meines Charakters verfolgen und all meine Bewegungen vollständig kontrollieren. Jeder Versuch, den Sicherheitsdienst der SPHERE oder meine Freunde zu kontaktieren, würde dazu führen, dass Herr Leo seine Drohungen wahrmachte.

„Ich stimme zu“, erklärte ich, ohne nachzudenken. „Ich bin schließlich kein verdammter Held. Werden Sie mich zurück nach Hause bringen? Ich bin sicher, man vermisst mich bereits.“

„Nach Hause? Hast du den Verstand verloren?“, schnaubte Herr Leo. „Oh nein, Kumpel! Du wirst dir schon selbst etwas ausdenken müssen. Sag einfach allen, du bist nach Neu-Tokio umgezogen. Melde dich bei deiner Familie und beruhige sie. Kapiert?“

„Ich verstehe. Und was soll ich in der SPHERE tun?“

„Der Magister wird dir seine Befehle übermitteln. Morgen Mittag wird er sich mit dir unterhalten. Am Morgen werden meine Männer dich zur Kapsel bringen. Während du dich im Spiel aufhältst, musst du dich völlig normal benehmen und dein normales Leben führen. Versuche, nicht aufzufallen. Und Gnade dir Gott, wenn du etwas Dummes anstellst. Eine zweite Chance wird man dir nicht geben.“

All das verriet mir, dass man mich noch immer brauchte. Alles andere war nur Makulatur.

Warum und wie sehr man mich brauchte, würde ich beim Treffen mit dem Magister in der SPHERE erfahren. Dann konnte ich endlich Schlussfolgerungen ziehen.

Am nächsten Morgen bekam ich etwas zu essen, dann führte man mich einen langen Korridor entlang zu einem Raum, in dem eine Kapsel stand. So wie es aussah, hatte man meine neuronale Schnittstelle bereits eingebaut, und das Ding wartete nur auf mich.

Es war eine komische Kapsel, ein Modell, das ich nicht kannte — ein großer Zylinder aus Chrom, derzeit geöffnet wie eine Muschel. Im Inneren sah ich eine pinkfarbene, gel-ähnliche Substanz, in der Sensoren mit Saugnäpfen schwammen. Die Maschine sah ebenso ungewöhnlich wie furchterregend aus.

„Das ist eine Kapsel für ein tiefes Eintauchen“, murmelte ich verwirrt. Solche Immersions-Geräte hatte ich bisher nur im Internet gesehen. Sie kosteten eine Menge Geld und waren bestimmt für totkranke oder behinderte Menschen. Sie ermöglichten umfassende Diagnosen und stellten die intravenöse Zuführung aller Nährstoffe ebenso sicher wie die Entsorgung der Fäkalien. In einem solchen Ding konnte man Monate und sogar Jahre verbringen. Was hatten die bloß vor? Wollten die mich etwa auf Dauer darin einsperren?

Ersichtlich verärgert sah Herr Leo mich an.

„Was hast du denn gedacht? Dass wir dich jedes Mal aus- und wieder einsteigen lassen? Oh nein, mein Freund. Erst das Geschäft, dann das Vergnügen. Zieh dich aus und steig ein.“

Es war zu spät für eine Umkehr. Das nachgiebige Gel nahm mich auf wie ein warmes Bad. Auf einmal fühlte sich alles ungeheuer bequem an, trotz der ungewöhnlichen Umstände und des enormen Drucks, unter dem ich stand. Der Deckel klappte zu und es klickte. Die Okulare der neuronalen Schnittstelle senkten sich über meine Augen. Sofort wurde alles schwarz, als ob jemand das Licht ausgeschaltet hätte.

Die Verbindung wird hergestellt...

Kapitel 2

Sturgia, Zwischenstation Errogan (Hird)

ES HATTE FUNKTIONIERT. Endlich war ich wieder in der SPHERE OF WORLDS!

Es fühlte sich merkwürdig an, nach Hause zu kommen.

Ich steckte im Hotelzimmer in der Zwischenstation von Hird. Zuerst warf ich einen Blick auf die Zeit. Meine von mir festgelegten Einstellungen waren durch den Wechsel der Kapsel natürlich zurückgesetzt worden. Die spielinterne Zeit in der SPHERE gab mir Libryn 20 zurück. Es war die erste Stunde der morgendlichen Schicht. Das bedeutete, dass nahezu fünf Tage vergangen waren. Ich hatte kalkuliert, dass es lediglich vier Tage waren. Also hatte ich fast einen ganzen Tag bewusstlos verbracht. Die Anzeige für das Ausruhen war vollständig gefüllt, was die gewonnenen Erfahrungs- und Fertigkeitspunkte verdoppelte. Mein Charakter war bereit, aktiv zu werden.

Erneut sah ich mich einer Flut ungelesener Nachrichten gegenüber. Ich warf einen kurzen Blick darauf, konfigurierte jedoch zuerst den Video-Stream, so wie Herr Leo es befohlen hatte. Ausnahmsweise einmal musste ich ein guter Junge sein. In einem neu erstellten Courier-Kanal warteten bereits diverse anonyme Betrachter auf mich, die sich sofort auf meine Sendung stürzten. Sie konnten alles durch meine Augen sehen, einschließlich der Benutzeroberfläche und der Symbole der augmentierten Realität, auf die ich klickte. Ich hatte keinerlei Privatsphäre und stand unter vollständiger Beobachtung.

Aus den Tiefen meiner Seele stieg eine Welle erstickenden Zorns auf. Diese Mistkerle!

Hey, immer langsam, Cat — die Kapsel liest bestimmt auch deinen Gemütszustand aus! Ich versprach mir selbst, einen Weg zu finden, diese Überwachung zu umgehen.

Bis zum Treffen um zwölf Uhr hatte ich noch fünf Stunden. Ich hatte also genug Zeit. Oder vielmehr, nachdem ich meine Kapsel nun nicht mehr verlassen würde, hatte ich sogar konstant mehr als genug davon. Verdammt, ich könnte alles Mögliche tun...

Beruhige dich, Cat. Verhalte dich ganz natürlich. Und mach dich an die Arbeit. Was hat sich in den fünf Tagen in der SPHERE getan?

Ich verbrachte mehrere Minuten mit meinem Posteingang. Wie üblich, war er randvoll gefüllt mit allen möglichen Dingen: E-Mails von meinem Clan und der Allianz, Kreditangebote vom Goldenen Hamster, Handelsberichte der Auktionatoren im Basar, Bitten um den Abschluss neuer Verträge von den chinesischen Händlern, Bestellungen von den Anführern der Wächter, und Clan-Kameraden wollten einen Gefallen... Eine Nachricht stach hervor. Sie war versehen mit dem Logo der Admins der SPHERE. Akiru Sokolovskaya wunderte sich, wo ich abgeblieben war, und bat mich, sie sofort zu kontaktieren, wenn ich mich wieder angemeldet hatte. Was wollte sie bloß von mir? Wenn es etwas mit Agasyan zu tun hatte, war das ein gefährliches Thema für mich.

In einer langen, humorvollen E-Mail schlugen meine Freunde AlexOrder, Walküre und Flamme vor, den erfolgreichen Abschluss des Errogan-Dungeons zu feiern. Sie wollten unbedingt meinen neuen Bauern kennenlernen. Hauptmann Panter hatte sich an mein Versprechen einer ausgiebigen Unterhaltung erinnert und fragte, wann ich Zeit dafür hatte. Ich war mir sicher, dass er gemeinsam mit den anderen etwas geplant hatte. Offensichtlich stand mir eine Party bevor, mit Weldy und mir als Ehrengästen.

Nicht zuletzt waren da auch etliche Nachrichten von den Pionieren. Fayana hatte mich regelrecht mit bösen E-Mails bombardiert. Kein Wunder — ich hatte nicht zu Ende bringen können, was ich ihr versprochen hatte, sondern war einfach für die Dauer von fünf Tagen spurlos verschwunden.

Während meines Missgeschicks im realen Leben hatten die Pioniere Sturgia längst auf ihrem neu erworbenen Schiff verlassen. Sie hatten sich dagegen entschieden, auf mich zu warten. Das war die richtige Entscheidung — schließlich konnte das Arsenal jederzeit zurückgesetzt werden. Sie hatten zwei weitere Spieler mit dem Altehrwürdigen Gen aufgespürt und es geschafft, Za-Ahr in Gang zu setzen. Bestimmt war es eine echte Herausforderung gewesen. Als ich Fay kontaktierte, erfuhr ich, dass sie nun in der Silberfestung weilte. Bei diesem Gespräch musste ich etliche wenig angenehme Bemerkungen über mich ergehen lassen. Schließlich hatte ich ihr fest zugesagrt, ihr mit ihrer Reputation bei den Jungfrauen zu helfen. Angesichts der neuesten Entwicklung konnte sich das allerdings als problematisch erweisen.

Anscheinend stand nun fest, was mein erstes Ziel sein würde. Es war recht einfach, in die Silberfestung zu gelangen. Dafür musste man lediglich in der Astralebene sterben, und schon erwachte man an dem einzigen Respawn-Ort in der gesamten Ebene. Einstmals das Eigentum von Pandorum, gehörte er nun den Jungfrauen, was den meisten Spielern einen Seufzer der Erleichterung entlockte. Endlich konnten sie diese Dimension in relativer Sicherheit erkunden.

Ich allerdings war auf diese Option nicht angewiesen. Auf Romanovas Empfehlung hin hatte ich schon längst im Shop der Jungfrauen einen seltenen Ring erworben, der die Eigenschaft „Rückkehr zur Festung“ besaß. Kurz darauf stand ich bereits in der Silberfestung und hatte das Hotelzimmer hinter mir gelassen.

Im Heim der Jungfrauen herrschte überraschend emsige Geschäftigkeit. In der Respawn-Halle liefen viele Spieler herum. Im Kampfprotokoll wurden ungewöhnliche Auren-Effekte beschrieben — während meiner Abwesenheit war es Romanova gelungen, eine geeignete Scherbe Land zu fínden, um die fliegende Zitadelle unterzubringen. Um den silbernen Turm der Festung herum war eine Siedlung entstanden, in der es vor Spielern und NPCs nur so wimmelte. An den neu erbauten Schiffsanlegestellen ragten Masten in die Höhe. Fliegende Walküren patrouillierten den Himmel zwischen Luftschiffen und Flugvögeln. Der Umfang der Aktivitäten der Ersten Jungfrau beeindruckte mich massiv. Vor meinen Augen verwandelte die Zitadelle sich in die inoffizielle Hauptstadt der Astralebene.

„Was ist mit deinem Courier los, Cat?“, griff Fayana mich sofort an, als wir uns trafen. „Du bist seit Tagen nicht zu erreichen!“

„Meine alte Nummer funktioniert nicht mehr. Ich gebe dir meine neue“, erwiderte ich. „Und jetzt berichte, wie es dir ergangen ist.“

„Ist mit dir alles in Ordnung? Du wirkst so komisch.“ Fayana kniff die Augen zusammen. „Stimmt etwas nicht?“

Manche Frauen waren wie Thermometer und registrierten die kleinste Veränderung. Ich ließ sie abblitzen.

„Ach, nur ein bisschen Ärger im realen Leben. Weitgehend ist alles okay. Also, wo ist der Za-Ahr? Zeig mir das Schiff!“

Anscheinend waren die Pioniere mit dem Pfähler auf ein kleines Problem gestoßen. Bei ihrer Ankunft in der Festung hatten die Jungfrauen das Schiff beschlagnahmt und an einem isolierten Dock untergebracht. Sie verboten allen Spielern das Betreten und verlangten, den wahren Eigentümer zu sprechen. Formell war Za-Ahr in meinem Namen eingetragen. Wie Fay berichtete, die durch diesen Skandal nahezu ihre gesamte Reputation bei den Jungfrauen verloren hatte, untersuchten merkwürdige Besucher das Schiff eingehend, und sie alle trugen Kleidung in Dunkelblau und Silber.

Ich hob die Augenbrauen. Diese Farben symbolisierten den höchsten Rang in der Hierarchie der Festung. Hatte Romanova etwa Gefallen an meinem Schiff gefunden?

Die Erste Jungfrau empfing mich sofort. Sie schien sogar auf meinen Besuch gewartet zu haben. Auch der Grabhüter war anwesend, aber Cey-Rus fehlte.

„Wir hatten dich erwartet, HotCat. Wie geht es dir?“, fragte die Anführerin der Fraktion.

„Danke. Ganz ehrlich — es könnte besser sein“, antwortete ich und zuckte mit den Schultern.

„In der Welt Getriebe haben deine Söldner Dmitry nicht geholfen“, stellte sie fest und nickte Svechkin zu, der mit undurchdringlichem Gesicht am Tisch saß. „Gehe ich recht in der Annahme, dass sie die Leute des Magisters sind? Und wie...“

Wie konnte ich sie bloß wissen lassen, dass ich nicht so frei sprechen konnte, wie ich das bisher getan hatte? Die durchgehende Aufzeichnung band mir die Hände. Allerdings zeigte sie lediglich die Dinge in meinem Blickfeld...

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und zwinkerte Romanova zu. Anscheinend funktionierte es. Sie unterbrach sich mitten im Satz. Ihre silberne Maske und die Verbände des Grabhüters verhinderten allerdings, dass ich den Gesichtsausdruck der beiden sehen konnte.

„Das sind sie gewissermaßen. Gewünscht habe ich mir das nicht, aber so liegen die Dinge nun einmal. Davon abgesehen sind die Schurken allerdings nach unserem letzten Abenteuer mächtig eingeschnappt. Ich glaube, die bin ich einstweilen gut los.“

„Aha“, bemerkte Romanova. „Also — was willst du?“

„Mein Schiff. Za-Ahr, den Pfähler der Altehrwürdigen. Du hast es beschlagnahmt.“

„Ach, deshalb bist du gekommen!“ Die Erste Jungfrau grinste. „Zuerst einmal muss ich dich fragen — du willst dieses Schiff nicht zufälligerweise verkaufen?“

Ich dachte kurz nach. Derzeit hatte ich noch keinen Grund, den Pfähler loszuschlagen. Finanziell steckte ich nicht in Schwierigkeiten. In meiner Situation halfen mir auch viele Millionen Gold nicht weiter. Das Schiff der Altehrwürdigen, wahrscheinlich das einzige in der gesamten SPHERE, würde höchstens im Preis steigen. Außerdem, vielleicht benutzte ich es am Ende selbst.

„Nun, es ist schließlich nicht so, als könntest du mir zig Millionen Terro, eine neue Trommel, eine rote Krawatte und einen jungen Stier dafür geben... Deshalb — nein, ich werde es nicht verkaufen.“

„Ja, damit hatte ich gerechnet. Aber wir sind sehr interessiert an diesem Spielzeug aus einem Großen Arsenal. Dieser Altehrwürdige Mechanismus kann heute nicht mehr hergestellt werden... Ich möchte dir ein Geschäft vorschlagen, Cat.“

„Ein Geschäft? Lass hören!“, forderte ich sie auf, ein wenig misstrauisch.

„Du gestattest meinen Experten, den Pfähler eingehend zu studieren. Es besteht eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass sie durch eine Analyse des Designs die Entwürfe nachvollziehen können. Das erfordert allerdings eine teilweise Demontage. Aber mach dir keine Sorgen — wir werden alles wieder zusammensetzen. Der Vorgang wird etwa eine Woche dauern.“

„Ihr wollt die Entwürfe durch Reverse Engineering zurückentwickeln? Ist das überhaupt möglich?“, fragte ich.

„Das ist es — sofern wir bestimmte Archetypen mit hohem Rang dafür einsetzen“, erwiderte Romanova, ein wenig beleidigt. „Tut mir leid, aber die Einzelheiten gehen dich nichts an. Was ist jetzt mit meinem Angebot?“

„Neben allem anderen willst du dir also auch noch Altehrwürdige Entwürfe unter den Nagel reißen?“

„Cat, du bist weit neugieriger, als es gut für dich ist. Ja, genau das. Vielleicht können wir sie verwenden, um etwas Ähnliches wie dein Schiff zu bauen. Wenn wir die einzigartige Technologie der Altehrwürdigen mit unseren Fähigkeiten verbinden, könnten wir...“

Abrupt hielt sie inne, nachdem sie meine panischen Handbewegungen bemerkt hatte. War ihr endlich klargeworden, was hier los war? Hoffentlich hatten die Leute des Magisters, die dem Stream folgten, nichts von meinen Versuchen bemerkt, sie zu warnen. Ich sah zumindest keine Kommentare im Streaming-Kanal.

„Und was bekomme ich dafür?“

„Momentan ist dein Schiff nichts anderes als ein Rumpf mit einer veralteten und ineffektiven Takelage. Lediglich die Maschinen und der magische Reaktor übertreffen die heutigen technischen Standards. Den Rest kann man praktisch vergessen. Aber wir würden dein Schiff vollständig mit modernster Takelage ausstatten, dir die beste Ausrüstung verschaffen, die unsere Fraktion zu bieten hat, und die Einschränkung für die Mannschaft entfernen. Wenn ich das richtig verstanden habe, braucht man Leute mit dem Altehrwürdigen Gen, um das Schiff betreiben zu können.“

„Und das ist alles?“ Enttäuscht breitete ich die Hände aus.

„Reicht dir das etwa nicht? Allein die Takelage und die Innenausstattung sind ein Vermögen wert.“

„Nein, das reicht mir nicht. Die einzigartige Gelegenheit, sich Altehrwürdige Entwürfe zu verschaffen, ist weit mehr wert. Zuerst einmal möchte ich eine gute Fraktionsreputation für die Pioniere. Das ist der Clan, mit dem zusammen ich das Große Arsenal abgeschlossen habe. Es muss mindestens Respekt sein, wenn nicht sogar höher.“

„Die Pioniere? Meinetwegen.“ Romanova nickte. „Was sonst noch?“

„Zum zweiten verlange ich das exklusive Recht, die Festung mit Schiffen zu versorgen.“

„Das verstehe ich nicht. Was meinst du damit?“

„Ganz einfach — ich werde der einzige Händler sein, der euch Schiffsrümpfe für die Fraktionsmodule verkauft. Du bist doch dabei, eine Flotte aufzubauen, richtig? Wahrscheinlich willst du dir Schiffe vom Basar oder aus den Schmiedewelten besorgen. Ich erspare dir den gesamten Aufwand dafür — gegen eine kleine Gebühr, versteht sich.“

Diesmal war die Pause länger, die Romanova einlegte. Ich wusste, dass sie innerlich Berechnungen anstellte, die Liste der mysteriösen Gegenstände durchging, die der Betrieb der Silberfestung verlangte, und die Preise am Basar analysierte, um zu entscheiden, ob sie mir diese Aufgabe anvertrauen konnte. Die ersten beiden Lieferungen meiner Schiffe mit voller Takelage hatten sich verkauft wie warme Semmeln, dank Borland, der sie zur Astralebene transportiert hatte. Das brachte mir 17 der 30 Millionen wieder ein, die ich investiert hatte, nach Abzug aller Ausgaben. Natürlich hatte ich das Geld sofort wieder für neue Rümpfe ausgegeben, die die chinesische Allianz in den Schmiedewelten gebaut hatte. Aber alles war gut — das Geschäft lief hervorragend. Jetzt musste ich nur noch eine Massenproduktion in die Wege leiten und Käufer finden, die mir große Mengen auf einmal abnahmen, statt durch Einzelverkäufe ein Taschengeld zu verdienen.

„Insgesamt ist deine Offerte angemessen“, bemerkte Romanova endlich. „Ich bin mir jedoch nicht sicher, dass du unsere Nachfrage decken kannst. Und uns den richtigen Preis einräumst. Ach ja, und vergiss jegliche Vorschusszahlungen — die Silberfestung bezahlt ausschließlich bei Lieferung.“

Ich hatte eine recht gute Vorstellung davon, wie viele Schiffe die Jungfrauen kauften. Schließlich hatte ich den Markt eingehend studiert, die Plugins für den Handel entsprechend konfiguriert und die Auktion analysiert. Sogar die Börseninformationen hatte ich mir zu Gemüte gezogen, und alles, während ich meinen morgendlichen Kaffee trank. Ich konnte mehr als die doppelte Anzahl an Schiffen liefern, die man in der Festung brauchte. Allerdings konnten nicht einmal die Jungfrauen die Werften der Schmiedewelten voll auslasten. Meiner Schätzung zufolge brauchte ich etwa 200 Millionen Gold, damit ich die Werften vollständig an mich binden konnte. Momentan konnte ich davon nur träumen.

„Über die Preise oder die Menge der Lieferungen musst du dir keine Gedanken machen. Das ist alles bestens.“ Ich grinste. „Selbst jetzt läuft bereits die Mehrheit der Schiffe, die hier andocken, über mich. Du musst mir nur die Verträge mit der gewünschten Anzahl von Schiffsrümpfen schicken.“

„Ich werde sie vorbereiten.“ Romanova nickte. „Sprechen wir jetzt über die Schlüssel. Gibt es Neuigkeiten?“

„Ich wollte dich zu dem Golem befragen, der in der Astralebene verschwunden ist. Hast du ihn inzwischen gefunden?“

„Adam. Sein Name ist Adam“, meldete sich plötzlich der Grabhüter zu Wort. „Er ist mein Freund, und nein, wir haben ihn nicht gefunden. Er ist spurlos verschwunden, und das ist höchst merkwürdig.“

„Cey-Rus ist in der Mission unterwegs, die Schlüssel in der Astralebene zu finden“, erklärte die Erste Jungfrau. „Sein Transportmittel ist die Flüchtig, unser bester Klipper, besetzt mit einer hervorragenden Mannschaft. Ich hatte gehofft, du könntest mit dem Pfähler zu ihm stoßen, nachdem wir unsere Unterredung beendet haben.“

„Hat Cey-Rus den Kompass mitgenommen?“, erkundigte mich, was mir bestätigt wurde. Aha — es bestand also eine Chance, dass er die Schlüssel fand. Vielleicht war es das, was der Magister hatte erfahren wollen.

„Wenn ich das richtig verstanden habe, brauchst du Zeit, um Za-Ahr zu untersuchen. Ich werde mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern, unsere gemeinsamen Freunde besuchen, und dann werde ich versuchen zurückzukehren.“

Hatten meine Handbewegungen und mein Gesichtsausdruck Romanova und Svechkin ausgereicht, um zu erkennen, dass der Magister unsere Unterhaltung mitanhörte? Ich konnte es nur hoffen. Wie sonst hätte ich ihnen klarmachen sollen, dass alles in meiner Sichtweite, einschließlich der Benutzeroberfläche und der Chats, sorgfältig aufgezeichnet und überwacht wurde?

„In Ordnung.“ Erneut tauschte Romanova einen seltsamen Blick mit dem Grabhüter. Wir sehen uns, Cat. Grüße unseren gemeinsamen Freund von uns.“

Ich lächelte und nickte, dann verließ ich die Astralebene und kehrte mithilfe des Clan-Teleporters nach Dorsa zurück. Was hatte der Handlanger des Magisters mir doch gleich eingeschärft? Ich sollte mich ganz natürlich verhalten? Okay!

Kondor, die Festung der Wächter, war praktisch leer, so wie immer früh am Morgen. Die meisten Spieler schliefen nach einer durchwachten Nacht. Von den etwa 500 aktiven Konten waren lediglich ein paar Dutzend online. Ich hatte noch Zeit, deshalb marschierte ich rasch durch die Burg, erneuerte die Verträge des Clans und der Allianz und überprüfte das Lager auf Verbrauchsgüter und Ausrüstungs-Sets hin. Das hatte ich üblicherweise zwei- oder dreimal pro Woche getan. Schließlich war ich noch immer der Clan-Händler. In der letzten Zeit war ich jedoch durch andere Dinge abgelenkt worden. Das rief natürlich diverse Probleme hervor. Selbst ein optimal eingestellter Prozess brauchte nun einmal eine konstante Kontrolle.

Dabei wurde mir klar, dass ich nicht mehr darauf angewiesen war, der Händler des Clans zu sein. Ich war aus dieser Aufgabe längst herausgewachsen und hatte eine neue Ebene betreten. Das mithilfe der Wächter verdiente Anfangskapital hatte dabei allerdings eine große Rolle gespielt. Außerdem musste ich erst einmal einen Nachfolger finden. Inzwischen brauchte ich jedoch das Abzeichen des Clans lediglich noch, um Zugang zu den Geheimnissen, Ressourcen und Verbindungen der Koalition aus den Nordleuten, Hird und der MARINE zu gewinnen. Und ich war derzeit noch auf die Reputation als jemand angewiesen, hinter dem die Leute standen, die Pandorum besiegt hatten.

Angesichts meiner aktuellen Situation und der Notwendigkeit zu überleben mussten jedoch all diese Pläne zurücktreten. Nicht einmal Millionen Gold in Spielwährung konnten mir das Leben retten... Oder vielleicht doch? Ich brauchte einen echten Plan. Mein Hauptproblem bestand darin, Isao zu kontaktieren, ohne die Aufmerksamkeit des Magisters zu wecken, und das war eine echte Herausforderung.

Was hatte die Burg eines Clans sonst noch zu bieten, außer einem Ort, an den man seinen Seelenstein binden konnte, einem Teleporter, einem Warenlager und verschiedenen Labors und Werkstätten? Wozu wurde sie für viele Spieler zu einem echten Heim? Natürlich durch den direkten Zugang zum Portal-Netzwerk des Kontinents! Ein Klick, und ich war in der Stadt Eyre. Nein, noch war es zu früh, den Clan zu verlassen. Außerdem würden die Wächter es schwer haben ohne mich.

Ich kehrte nach Dan-na-Eyre zurück. Seine moosbedeckten Wände ertranken im Morgennebel. An den spitzen Türmen flatterten die zweischwänzigen Banner. Die Hauptstadt der Nation Eyre, der Fraktion, in der ich mein Spiel begonnen hatte, wachte gerade erst auf. Die Wachen gähnten, stützten sich auf ihre dreieckigen Schilde, und die Händler breiteten ihre Waren auf den Marktständen aus. Einer der Gründe, warum die Welt von Dorsa zur Heimat so vieler russischer Clans wurde, war die Tatsache, dass seine Zeitzone der unseres Längengrades perfekt entsprach.

Schneeflocke, mein Pferd, begrüßte mich mit einem lauten Wiehern. Die makellos weiße Stute warf mir beleidigte Blicke zu. Sie hatte es offensichtlich satt, so viel Zeit in meinem Inventar zu verbringen. Ihr Meister war meistens entweder zu Fuß unterwegs oder bestieg die Flugtiere seiner Freunde. Betont langsam, wie um mir etwas deutlich zu machen, trug sie mich durch die leeren Straßen der Stadt. Ihre Hufe klapperten auf dem Kopfsteinpflaster.

Wohin ich unterwegs war? Nun, ich musste das Versprechen einhalten, das ich einer gewissen jungen Frau gegeben hatte...

Das Chaos, das die Pandas in Weldys Laden und Wohnung angerichtet hatten, war längst beseitigt. Diener vom Palast des Errs hatten alles wieder in Ordnung gebracht, nachdem sie vorübergehend dorthin umgezogen war. Es war alles sauber und ordentlich, wie in den guten, alten Zeiten. Der Globus von Dorsa, das ausgestopfte Einhorn, die Regale mit Elixieren und Tränken — alles war an seinem richtigen Platz. Ich besaß den Schlüssel zum verschlossenen Laden nicht. Deshalb musste ich meine Schattenfähigkeiten einsetzen, um ins Innere zu gelangen.

Ich stieg die alte, knarrende Treppe hoch, betrat Weldys kleines Schlafzimmer und holte die Jadefigur der jungen Frau aus meinem Inventar. Vorsichtig legte ich sie auf das Bett mit den weichen Kissen. Kurz darauf erschien Weldy. Sie schlief. Sie hatte geschlafen, als ich sie komprimiert hatte, und war zwischendurch nicht aufgewacht, denn in diesem Zustand stand für NPCs die Zeit still. Frederic hingegen war hellwach. Lautlos sprang der schwarze Kater vom Bett, rieb sich kurz an mir, schlüpfte zwischen meinen Beinen hindurch und verschwand nach unten. Kurz darauf hörte ich sein Miauen und das Geräusch seiner Krallen, die er wie üblich am Fell des Einhorns schärfte.

Weldy zuckte zusammen und öffnete die Augen. Sie sah mich an, ließ den Blick im Zimmer umherwandern, dann lächelte sie unsicher.

„HotCat... Sind wir zu Hause?“

„Ja, Weldy — du bist zurück.“

„Ich kann es nicht glauben! Ich habe so lange auf diesen Augenblick gewartet...“

Sie sprang vom Bett auf und umarmte mich impulsiv. Ihre kindliche Spontaneität und Aufrichtigkeit bewegten etwas tief in meinem Herzen. Die NPCs der SPHEWRE waren ebenso lebendig wie reale Menschen...

Und wir Spieler benutzten sie für unsere eigenen Zwecke, hielten sie hin, missbrauchten sie, und töteten sie, ohne eine Spur von Mitgefühl. Als Kind hatten meine Eltern mir oft eine seltsame Geschichte vorgelesen. Sie handelte von einem Jungen, der sich um eine Rose kümmerte, die auf einem Asteroiden wuchs. Ich hatte vergessen, was sonst noch alles passierte, aber ein Satz war mir im Gedächtnis geblieben: Du bist verantwortlich für das, was du gezähmt hast. Leider konnte die Mehrheit der Leute, die in der SPHERE spielten, mit diesem Konzept nicht das Geringste anfangen.