Der weiße Reiter - Bernard Cornwell - E-Book + Hörbuch

Der weiße Reiter Hörbuch

Bernard Cornwell

4,8

Beschreibung

«Und ich sah ein weißes Pferd, und des Reiters Name hieß Tod.» «Sie waren wie ein dunkler Fleck in der Landschaft. Sie zogen durch grüne Felder, Reihe um Reihe von Reitern, und es schien, als entstiegen sie dem Schattenreich, wie sie langsam ins Licht der Sonne vorrückten. Speerspitzen, Helme und Rüstungen glitzerten, unzählige Male brachen sich die Sonnenstrahlen und schossen Lichtblitze, denn immer mehr Männer tauchten aus der wolkenverhangenen Zone auf.» Ende des 9. Jahrhunderts haben die dänischen Eroberer alle fünf englischen Königreiche unterjocht. Das gesamte Land der Angelsachsen ist in der Gewalt der Invasoren – mit Ausnahme eines kleinen Sumpfgebietes. Hier hält sich König Alfred von Wessex mit wenigen Getreuen versteckt. Uhtred, Krieger in Alfreds Diensten, kennt die Übermacht des dänischen Heeres genau. Dennoch will Alfred eine letzte, entscheidende Schlacht führen. Der fromme König setzt dabei auf Gottes Hilfe, Uhtred hingegen vertraut lieber seinem kampferprobten Schwert. Über eines aber sind sich die beiden ungleichen Verbündeten vollkommen einig: Eine Niederlage wäre der Untergang Englands. Die Fortsetzung des Weltbestsellers «Das letzte Königreich»: «Wieder eine absolute Spitzenleistung vom Meister des Fachs.» (Booklist) «Unterhaltung auf höchstem Niveau, packend und informativ zugleich.» (Washington Post)

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:15 Std. 1 min

Veröffentlichungsjahr: 2009

Sprecher:Reinhard Kuhnert

Bewertungen
4,8 (72 Bewertungen)
60
12
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bernard Cornwell

Der weiße Reiter

Historischer Roman

Deutsch von Michael Windgassen

Informationen zum Buch

«Und ich sah ein weißes Pferd, und des Reiters Name hieß Tod.»

«Sie waren wie ein dunkler Fleck in der Landschaft. Sie zogen durch grüne Felder, Reihe um Reihe von Reitern, und es schien, als entstiegen sie dem Schattenreich, wie sie langsam ins Licht der Sonne vorrückten. Speerspitzen, Helme und Rüstungen glitzerten, unzählige Male brachen sich die Sonnenstrahlen und schossen Lichtblitze, denn immer mehr Männer tauchten aus der wolkenverhangenen Zone auf.»

Ende des 9.Jahrhunderts haben die dänischen Eroberer alle fünf englischen Königreiche unterjocht. Das gesamte Land der Angelsachsen ist in der Gewalt der Invasoren – mit Ausnahme eines kleinen Sumpfgebietes. Hier hält sich König Alfred von Wessex mit wenigen Getreuen versteckt. Uhtred, Krieger in Alfreds Diensten, kennt die Übermacht des dänischen Heeres genau. Dennoch will Alfred eine letzte, entscheidende Schlacht führen. Der fromme König setzt dabei auf Gottes Hilfe, Uhtred hingegen vertraut lieber seinem kampferprobten Schwert. Über eines aber sind sich die beiden ungleichen Verbündeten vollkommen einig: Eine Niederlage wäre der Untergang Englands.

Die Fortsetzung des Weltbestsellers «Das letzte Königreich»: «Wieder eine absolute Spitzenleistung vom Meister des Fachs.». (Booklist)

«Unterhaltung auf höchstem Niveau, packend und informativ zugleich.». (Washington Post)

Informationen zum Autor

Bernard Cornwell, geboren 1944, machte nach dem Studium Karriere bei der BBC, doch nach Übersiedlung in die USA – seine Frau ist Amerikanerin – war ihm die Arbeit im Journalismus mangels Green Card verwehrt. Und so entschloss er sich, einem langgehegten Wunsch nachzugehen, dem Schreiben. Im englischen Sprachraum gilt er seit langem als unangefochtener König des historischen Romans. Seine Werke wurden in über 20Sprachen übersetzt – Gesamtauflage: mehr als 20Millionen. Auch sein neuer Zyklus historischer Romane aus der Zeit Alfreds des Großen eroberte in Großbritannien und den USA die Bestsellerlisten im Sturm.

Weitere Veröffentlichungen:

Die Uhtred-Saga:

1.Das letzte Königreich

2.Der weiße Reiter

3.Die Herren des Nordens

4.Schwertgesang

Weitere Bände werden folgen.

Die Artus-Chroniken:

1.Der Winterkönig

2.Der Schattenfürst

3.Arthurs letzter Schwur

Weitere:

Das Zeichen des Sieges

Für George MacDonald Fraser,

in Bewunderung

Ac her forþ berað; fugelas singað, gylleð grœghama.

Denn hier beginnt Krieg, Aasvögel singen und graue Wölfe heulen.

Aus: The Fight at Finnsburgh

ORTSNAMEN

Die Schreibweise der Ortsnamen im angelsächsischen England war eine unsichere und regellose Angelegenheit, in der nicht einmal über die Namen selbst Übereinstimmung herrschte. London etwa wurde abwechselnd als Lundonia, Lundenberg, Lundenne, Lundene, Lundenwic, Lundenceaster und Lunden bezeichnet. Zweifellos hätten manche Leser andere Varianten der Namen, die unten aufgelistet sind, vorgezogen, doch ich habe mich in den meisten Fällen nach der Schreibung gerichtet, die im Oxford Dictionary of English Place Names für die Jahre um die Herrschaft Alfreds von 871 bis 899 zu finden ist. Aber selbst diese Lösung ist nicht narrensicher. So wird die Insel Hayling dort für das Jahr 956 sowohl Heilincigae als auch Hæglingaiggæ geschrieben. Auch bin ich selbst nicht immer konsequent geblieben; ich habe die modernere Bezeichnung England dem älteren Englaland vorgezogen und statt Norðhymbraland Northumbrien geschrieben; dennoch sind die Grenzen des alten Königreiches nicht mit denjenigen des modernen Staates identisch. Aus all diesen Gründen folgt die untenstehende Liste ebenso unberechenbaren Regeln wie die Schreibung der Ortsnamen selbst.

Æsc’s Hügel: Ashdown, Berkshire

Æthelinggæ: Athelney, Somerset

Afen: Fluss Avon, Wiltshire

Andefera: Andover, Wiltshire

Baðum (Bathum ausgesprochen): Bath, Avon

Bebbanburg: Bamburgh Castle, Northumberland

Brant: Brent Knoll, Somerset

Bru: Fluss Brue, Somerset

Cippanhamm: Chippenham, Wiltshire

Contwaraburg: Canterbury, Kent

Cornwalum: Cornwall

Cracgelad: Cricklade, Wiltshire

Cridianton: Crediton, Devon

Cynuit: Cynuit Hillfort, nahe Cannington, Somerset

Dærentmora: Dartmoor, Devon

Defereal: Kingston Deverill, Wiltshire

Defnascir: Devonshire

Dornwaraceaster: Dorchester, Dorset

Dreyndynas: ‹Dornenburg›, fiktionaler Ort in Cornwall

Dunholm: Durham, Grafschaft Durham

Dyfed: Südwestwales, größtenteils in den heutigen Grenzen der Grafschaft Pembrokeshire

Dyflin: Dublin, Irland

Eoferwic: York (dänisch: Jorvic, Yorvik ausgesprochen)

Ethandun: Edington, Wiltshire

Exanceaster: Exeter, Devon

Exanmynster: Exminster, Devon

Gewæsc: The Wash

Gifle: Yeovil, Somerset

Gleawecestre: Gloucester, Gloucestershire

Glwysing: Walisisches Königreich, in etwa auf dem Gebiet von Glamorgan und Gwent

Hamptonscir: Hampshire

Hamtun: Southampton, Hampshire

Lindisfarena: Lindisfarne (Heilige Insel), Northumberland

Lundene: London

Lundi: Lundy Island, Devon

Mærlebeorg: Marlborough, Wiltshire

Ocmundtun: Okehampton, Devon

Palfleot: Pawlett, Somerset

Pedredan: Fluss Parrett

Penwith: Land’s End, Cornwall

Readingum: Reading, Berkshire

Sæfern: Fluss Severn

Sceapig: Isle of Sheppey, Kent

Scireburnan: Sherborne, Dorset

Sillans: The Scilly Isles

Soppan Byrg: Chipping Sodbury, Gloucestershire

Sumorsæte: Somerset

Suth Seaxa: Sussex (Südsachsen)

Tamur: Fluss Tamar

Temes: Fluss Thames

Thon: Fluss Tone, Somerset

Thornsæta: Dorset

Uisc: Fluss Exe

Werham: Wareham, Dorset

Wilig: Fluss Wylye

Wiltunscir: Wiltshire

Winburnan: Wimborne Minster, Dorset

Wintanceaster: Winchester, Hampshire

ERSTER TEIL

Wikinger

EINS

Wenn ich heute Zwanzigjährige sehe, scheinen sie mir schrecklich jung und kaum der Mutterbrust entwöhnt. Doch als ich selbst in diesem Alter war, hielt ich mich für einen erwachsenen Mann. Ich hatte ein Kind gezeugt, im Schildwall gekämpft und ließ mir von niemandem Ratschläge geben. Kurz, ich war überheblich, dumm und eigensinnig. Und deshalb traf ich auch nach unserem Sieg bei Cynuit die falsche Entscheidung.

Wir hatten die Dänen in der weiten Sumpflandschaft am Rande der Sæfern-See zum Kampf gestellt, und wir hatten sie geschlagen. Es war eine große Schlacht geworden, und ich, Uhtred von Bebbanburg, hatte einen großen Anteil an unserem Sieg. Denn als sich der große Ubba Lothbrokson, der von allen gefürchtete dänische Anführer, gegen Ende der Schlacht mit seiner mächtigen Streitaxt gegen unseren Schildwall warf, bot ich ihm die Stirn, rang ihn nieder, und ich schickte ihn in die Reihen der Einherjar, jener gefallenen Krieger, die in Odins Leichenhalle feiern und schmausen.

Nach diesem Sieg hätte ich Leofrics Rat befolgen und unverzüglich nach Exanceaster reiten sollen, wo Alfred, der König der Westsachsen, Guthrum belagerte. Ich hätte, tief in der Nacht dort angekommen, den König aus dem Schlaf wecken und ihm Ubbas Rabenbanner und seine Streitaxt, an der noch Blut klebte, vor die Füße legen sollen. Ich hätte dem König die gute Nachricht bringen sollen, dass die Dänen vernichtend geschlagen und die wenigen, die überlebt hatten, auf ihren Drachenschiffen geflohen waren, dass Wessex gerettet und dass ich es war, Uhtred von Bebbanburg, der diesen großen Sieg errungen hatte.

Stattdessen aber machte ich mich auf den Weg zu Frau und Kind.

Jung wie ich war, wollte ich lieber Mildrith pflügen als den Lohn für meine Taten einfordern. Das war ein Fehler, doch wenn ich zurückschaue, bedauere ich es eigentlich nicht. Das Schicksal ist unerbittlich, und Mildrith zu pflügen, die ich nicht hatte heiraten wollen und die ich eines Tages hassen sollte, war mir damals eine allzu große Verlockung.

Es war ein Samstag in jenem späten Frühjahr 877, an dem ich, statt Alfred aufzusuchen, nach Cridianton ritt. Ich nahm zwanzig Männer mit und versprach Leofric, gegen Sonntagmittag in Exanceaster einzutreffen, um Alfred wissen zu lassen, dass wir die Schlacht gewonnen und sein Königreich gerettet hatten.

«Der junge Odda wird schon dort sein», warnte mich Leofric. Leofric war doppelt so alt wie ich, ein in zahllosen Kämpfen gegen die Dänen gestählter Krieger. «Hast du mich verstanden?», fragte er, weil ich nichts sagte. «Der junge Odda wird schon dort sein», wiederholte er. «Er ist ein Stück Gänseschiss und wird dem König weismachen, dass ihm der Sieg zu verdanken sei.»

«Die Wahrheit kommt immer an den Tag», entgegnete ich hochmütig.

Leofric lachte bloß darüber. Er war ein bärtiges, gedrungenes Raubein, dem eigentlich der Oberbefehl über Alfreds Flotte zustand. Doch weil er von niederer Geburt war, hatte Alfred wider Willen beschieden, dass ich seine zwölf Schiffe kommandieren sollte, denn ich war ein Aldermann, ein Adelsspross, und es gehörte sich so, dass ein Hochwohlgeborener die westsächsische Flotte anführte, auch wenn sie viel zu kümmerlich war, um der Übermacht der dänischen Schiffe, die vor Wessex’ Südküste aufgekreuzt waren, Widerstand zu leisten. «Du bist und bleibst ein Earsling», grummelte Leofric. Ein Earsling war ein dampfender Haufen, den ein Tier gemacht hatte, und Leofric hatte für diese Beleidigung eine besondere Vorliebe. Wir waren Freunde.

«Wir werden morgen bei Alfred vorsprechen», sagte ich.

«Und Odda geht schon heute zu ihm», erwiderte Leofric geduldig.

Odda der Jüngere war der Sohn Oddas des Älteren, der meiner Frau Obdach geboten hatte. Der Jüngere mochte mich nicht, hatte er doch selbst darauf gehofft, Mildrith zu pflügen. Außerdem war er, genau wie Leofric sagte, ein Stück Gänseschiss, schmierig und glitschig, weshalb die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte.

«Wir werden morgen bei Alfred vorsprechen», wiederholte ich. Und so ritten wir am nächsten Morgen nach Exanceaster, zusammen mit Mildrith, unserem Sohn und seiner Amme. Wir fanden Alfred im Norden der Stadt, wo sein grün-weißes Banner über den Zelten wehte, inmitten von anderen Fahnen, einer bunten Vielzahl von Insignien mit Tieren, Kreuzen, Heiligen und Waffen, die davon kündeten, dass sich die großen Männer von Wessex um ihren König geschart hatten. Auf einem dieser Banner prangte ein schwarzer Hirsch, was Leofrics Voraussage bestätigte: Odda der Jüngere war schon in Defnascir zugegen. Zwischen dem Südrand des Lagers und den Stadtmauern befand sich ein großer Pavillon aus Segeltuch, das über Stangen gespannt war. Ich ahnte, dass Alfred, statt gegen Guthrum zu kämpfen, mit ihm Gespräche eingeleitet hatte. Und tatsächlich liefen Verhandlungen über die Bedingungen einer Waffenruhe – jedoch nicht an diesem Tag, denn es war ein Sonntag, und wenn es sich vermeiden ließ, arbeitete Alfred sonntags nie. Ich fand ihn, auf den Knien liegend, in einer provisorischen, aus Zeltplanen errichteten Kapelle, umgeben von seinen Edelmännern und Thegn, von denen einige die Köpfe drehten, als sie die stampfenden Hufe unserer Pferde hörten. Zu ihnen zählte auch Odda der Jüngere, und ich sah, dass ihm bei meinem Anblick angst und bange wurde.

Der Bischof, der den Gottesdienst abhielt, machte eine Pause, um auf eine Antwort seiner Gemeinde zu warten. Odda nahm die Gelegenheit wahr und blickte wieder nach vorn. Er kniete unmittelbar neben Alfred, was darauf hindeutete, dass er sich der besonderen Gunst des Königs erfreute. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass er ihm das Rabenbanner und Ubbas Streitaxt überbracht und den Sieg über die Dänen für sich beansprucht hatte. «Eines Tages», flüsterte ich Leofric zu, «schlitze ich den Bastard von oben bis unten auf und tanze auf seinen Gedärmen.»

«Das hättest du schon gestern tun sollen.»

Einer der vielen Priester aus Alfreds Gefolge zog sich, als er mich sah, auf den Knien rutschend möglichst unauffällig aus der ersten Reihe vor dem Altar zurück, stand auf und eilte auf mich zu. Er hatte rotes Haar und eine verkrüppelte linke Hand, er schielte, und auf seinem hässlichen Gesicht zeigte sich freudige Überraschung. «Uhtred!», rief er, während er auf unsere Pferde zulief. «Uhtred! Wir dachten, du seist tot!»

«Ich?», sagte ich grinsend zu dem Priester. «Tot?»

«Man hat dich doch zur Geisel genommen!»

Richtig. Ich war eine der zwölf englischen Geiseln in Werham, aber als einziger von Guthrums Männern verschont worden, weil ich in dem dänischen Heerführer Graf Ragnar, der mir so nah wie ein Bruder stand, einen mächtigen Fürsprecher hatte. «Ich habe überlebt, Pater», klärte ich den Priester auf, der Beocca hieß, «und es wundert mich, dass Euch das nicht zu Ohren gekommen ist.»

«Wie sollte das möglich gewesen sein?»

«Ich habe vor Cynuit gekämpft, Vater. Davon hätte Euch Odda der Jüngere berichten können und auch davon, dass ich überlebt habe.»

Beocca hörte meiner Stimme wohl an, wie zornig ich war, und sah, dass ich Odda, während wir miteinander sprachen, nicht aus den Augen ließ. «Du warst vor Cynuit?», fragte er nervös.

«Hat Euch das der junge Odda nicht gesagt?»

«Nein, mit keinem Wort.»

«Mit keinem Wort!» Ich trieb mein Pferd voran, geradewegs auf Odda und die knienden Männer zu. Beocca wollte nach meinem Zügel greifen, um mich aufzuhalten, doch ich wich ihm aus. Leofric, besonnener als ich, hielt sich zurück, während ich nach vorn drängte, bis ein Weiterkommen in der Menge nicht mehr möglich war. Den Blick unverwandt auf Odda geheftet, fragte ich Beocca: «Hat er Euch nicht beschrieben, wie Ubba starb?»

«Er sagte, Ubba sei im Schildwall gefallen», antwortete Beocca leise zischend, um die Liturgiefeier nicht zu stören, «und dass zu seinem Tod viele Männer beigetragen hätten.»

«Ist das alles?»

«Er sagte noch, dass er Ubba von Mann zu Mann entgegengetreten sei.»

«Und wer, glaubt man, hat Ubba Lothbrokson getötet?», fragte ich.

Beocca witterte Ärger und versuchte, mich zu beruhigen. «Lass uns später darüber reden», sagte er, «doch jetzt, Uhtred, solltest du mit uns beten.» Er nannte mich bei meinem Namen und verzichtete auf die förmliche Anrede, weil er mich von Kindesbeinen an kannte. Wie ich selbst war Beocca ein Northumbrier. Er hatte im Haus meines Vaters als Priester gedient, war aber, als die Dänen unser Land nahmen, nach Wessex gezogen, um sich den dort ansässigen Sachsen anzuschließen, die den Eindringlingen noch Widerstand leisteten. «Wir sollten jetzt, anstatt zu streiten, unserem Herrgott danken», erklärte er.

Mir aber stand der Sinn nach Streit, und so fragte ich ein zweites Mal: «Wer, glaubt man, hat Ubba Lothbrokson getötet?»

Beocca wich meiner Frage aus. «Wir danken Gott, dass dieser Heide tot ist», sagte er und gestikulierte mit der verkrüppelten Hand, um mich zum Schweigen zu bringen.

«Wen haltet Ihr denn für den Bezwinger Ubbas?», fragte ich und setzte, weil er mir eine Antwort schuldig blieb, nach: «Glaubt Ihr etwa, Odda habe ihn getötet?» Beoccas Miene verriet, dass er tatsächlich dieser Meinung war. Wütend und so laut, dass es jeder hören konnte, sagte ich: «Ich bin es, der Ubba gestellt hat. Wir kämpften Mann gegen Mann, nur er und ich. Mein Schwert gegen seine Axt. Und er war unverwundet, als der Kampf begann, und am Ende war er tot, Pater. Ich habe ihn zu seinen Brüdern in die Halle der Toten geschickt.» Ich war inzwischen außer mir vor Wut und brüllte laut; aufgeschreckt starrten mich alle an. Der Bischof, in dem ich den obersten Hirten von Exanceaster erkannte, derselbe Mann, der mich und Mildrith getraut hatte, runzelte nervös die Stirn. Nur Alfred schien ungerührt. Dann aber erhob er sich zögernd und sah mich an, während ihm seine Frau Ælswith mit dem verkniffenen Gesicht, das man von ihr kannte, irgendetwas ins Ohr flüsterte.

«Will hier irgendjemand bestreiten, dass ich, Uhtred von Bebbanburg, Ubba Lothbrokson im Zweikampf getötet habe?», brüllte ich durch die Zeltkapelle.

Alles schwieg. Es war nicht meine Absicht gewesen, den Gottesdienst zu stören, aber nun hatte unbändiger Stolz und rasende Wut Besitz von mir ergriffen. Die Fahnen schlugen im böigen Wind, Regenwasser tropfte von den Rändern der Zeltplanen, und aller Augen waren auf mich gerichtet. Niemand antwortete, doch alle sahen, dass ich Odda fixierte, dem es offenbar die Sprache verschlagen hatte. «Wer hat Ubba getötet?», brüllte ich ihn an.

«Dein Verhalten ist ungebührlich», herrschte mich Alfred an.

«Das hier hat Ubba zu Fall gebracht», entgegnete ich und zückte Schlangenhauch, mein Schwert.

Und das war mein nächster Fehler.

Während ich im Winter als eine der an Guthrum ausgelieferten Geiseln in Werham festgesessen hatte, war in Wessex ein neues Gesetz beschlossen worden, das mit Ausnahme der königlichen Leibwache jedermann streng untersagte, in Anwesenheit des Königs eine Waffe zu ziehen. Mit diesem Verbot sollte nicht nur Alfred geschützt, sondern auch verhindert werden, dass Streitereien unter seinen Gefolgsleuten womöglich tödlich endeten. Ich hatte also, indem ich Schlangenhauch zog, unwissentlich gegen dieses Gesetz verstoßen, worauf ich mich plötzlich von Alfreds Wachen umzingelt sah, die mit Speeren und blanken Klingen näher rückten, bis Alfred, in rotem Umhang und barhäuptig, mit lautem Ruf verlangte, dass sich niemand mehr vom Fleck bewegen solle.

Dann kam er auf mich zu, und ich sah, wie zornig er war. Er hatte ein schmales Gesicht mit langer Nase und spitzem Kinn, eine hohe Stirn und schmale Lippen. Sonst immer glatt rasiert, hatte er sich einen kurzen Bart wachsen lassen, der ihn älter machte. Er war noch keine dreißig Jahre, sah aber aus wie vierzig. Außerdem war er überaus schlank, und man sah ihm die Schwächung durch seine häufigen Krankheiten an. Wie der König der Westsachsen wirkte er nicht; bleich wie er war, hätte man ihn eher für einen Priester halten können, der allzu lange in einer dunklen Klause über seinen Büchern gebrütet hatte. Doch seine Augen, die wie hellgraues Metall schimmerten, zeugten unverkennbar von Autorität. «Du hast meine Andacht gestört», sagte er, «und den Frieden Gottes beleidigt.»

Ich steckte Schlangenhauch in die Scheide zurück, nicht zuletzt, weil mich Beocca flüsternd dazu aufgefordert hatte, mich nicht wie ein Narr aufzuführen und das Schwert zu senken. Jetzt zerrte er an meinem rechten Bein, damit ich aus dem Sattel stieg und vor Alfred, den er verehrte, niederkniete. Ælswith, Alfreds Gemahlin, starrte mich voller Abscheu an. «Er muss bestraft werden», rief sie.

Der König deutete auf eines seiner Zelte und sagte: «Erwarte dort mein Urteil.»

Mir blieb keine Wahl, ich musste gehorchen, denn seine vollgerüsteten Gardetruppen drängten auf mich ein. Und so wurde ich zu dem Zelt geführt, wo ich vom Pferd abstieg und durch die Luke ins Innere schlüpfte. Es roch nach welkem, zertretenem Gras. Der Regen prasselte auf die Zeltplane aus Leinen und tropfte durch ein Leck auf einen Altar, auf dem ein Kruzifix und zwei leere Kerzenständer standen. Anscheinend war das Zelt die Privatkapelle des Königs. Alfred ließ mich lange warten. Die Versammlung der Betenden zerstreute sich, der Regen hörte auf, und durch die Wolken drang wässriges Sonnenlicht. Irgendwo spielte jemand Harfe, vielleicht zur Unterhaltung des Königspaares, während es zu Tisch saß. Ein Hund kam ins Zelt, blickte zu mir auf, pinkelte an den Altar und trollte sich wieder. Die Sonne verschwand, und es fing erneut zu regnen an. Dann flog plötzlich die Plane vor dem Einstieg zurück; zwei Männer traten ein. Der eine war Æthelwold, Alfreds Neffe, dem Wessex’ Thron als rechtmäßiger Erbe zugestanden hätte, doch weil er für zu jung erachtet worden war, hatte man seinem Onkel die Krone zuerkannt. Æthelwold grinste mir verlegen zu und verwies auf seine Begleitung, einen kräftigen, rund zehn Jahre älteren Mann mit Vollbart. Der schnäuzte sich zur Begrüßung in die Hand, und wischte sie daraufhin an seinem Lederrock ab. «So was nennt man Frühling», knurrte er und bedachte mich mit finsterem Blick. «Dieser verfluchte Regen hört einfach nicht auf. Weißt du, wer ich bin?»

«Wulfhere», antwortete ich. «Aldermann von Wiltunscir.» Er war ein Vetter des Königs und eine führende Macht in Wessex.

Er nickte. «Und weißt du auch, wer dieser verdammte Esel ist?», fragte er mit Blick auf Æthelwold, der ein Bündel aus weißem Tuch in der Hand hielt.

«Wir kennen uns», sagte ich. Æthelwold war nur etwa einen Monat jünger als ich und konnte, wie mir schien, von Glück reden, dass sein Onkel Alfred ein so guter Christ war, denn sonst wäre ihm schon längst die Kehle durchgeschnitten worden. Er sah sehr viel besser aus als Alfred, war aber töricht, gedankenlos und meist betrunken. An diesem Sonntagmorgen aber schien er halbwegs nüchtern zu sein.

«Ich bin dazu bestimmt worden, mich um Æthelwold zu kümmern», sagte Wulfhere. «Und um dich. Auf Befehl des Königs werde ich dich bestrafen.» Er brütete einen Moment vor sich hin und fuhr dann fort: «Wenn es nach der Königin ginge, müsste ich dir jetzt die Därme aus deinem stinkenden Arsch ziehen und an die Schweine verfüttern.» Er starrte mich an. «Weißt du, welche Strafe den erwartet, der im Beisein des Königs sein Schwert zieht?»

«Eine Geldbuße?», fragte ich.

«Darauf steht der Tod, du Narr, der Tod. Das Gesetz wurde letzten Winter erlassen.»

«Davon wusste ich doch nichts.»

Wulfhere ignorierte meinen Einwurf und sagte: «Aber Alfred lässt Gnade vor Recht ergehen. Du wirst also nicht am Galgen baumeln. Jedenfalls nicht heute. Allerdings verlangt er deine Zusicherungen, den Frieden zu wahren.»

«Welchen Frieden?»

«Seinen verdammten Frieden, du Dummkopf. Er will, dass wir gegen die Dänen kämpfen, nicht dass wir uns gegenseitig aufschlitzen. Fürs Erste also musst du geloben, Frieden zu wahren.»

«Fürs Erste?»

«Fürs Erste», wiederholte er ausdruckslos. Ich zuckte mit den Achseln, was er als Einverständnis deutete. «Du hast Ubba getötet?», fragte er.

«Ja.»

«So hört man.» Er nieste. «Kennst du Edor?»

«Ich kenne ihn», antwortete ich. Edor war einer von Aldermann Oddas Gefolgsleuten, der die Männer von Defnascir angeführt und bei Cynuit an unserer Seite gekämpft hatte.

«Edor hat mir berichtet, was geschehen ist», sagte Wulfhere, «aber nur weil er mir vertraut. Zum Teufel, halt deine Finger bei dir!» Die letzten Worte waren an Æthelwold gerichtet, der unter dem Altartuch herumfummelte, anscheinend auf der Suche nach irgendetwas Wertvollem. Statt seinen Neffen ermorden zu lassen, hatte Alfred allem Anschein nach vor, ihn zu Tode zu langweilen. Nie war es Æthelwold erlaubt worden, in den Kampf zu ziehen, damit er sich kein Ansehen als Krieger erwerben konnte. Stattdessen musste er schreiben und lesen lernen, doch das war ihm verhasst, und darum vertändelte er seine Zeit mit Jagdausflügen, Trinkgelagen und Hurerei, immerzu beleidigt darüber, dass ihm die Krone vorenthalten blieb. «Kindskopf, du!», knurrte Wulfhere.

«Edor hat es Euch gesagt?» Ich schaffte es kaum, meine Wut zu beherrschen. «Aber nur, weil er Euch vertraut? Ist das, was vor Cynuit geschehen ist, etwa ein Geheimnis? Tausend Männer haben mich Ubba töten sehen!»

«Aber dessen rühmt sich nun der junge Odda», entgegnete Wulfhere. «Sein Vater ist schwer verwundet; wenn er stirbt, wird Odda der Jüngere einer der reichsten Männer von Wessex sein. Ihm unterstehen dann mehr Soldaten und Priester, als du es dir je erträumen könntest. Und deshalb wird ihn gewiss niemand herausfordern, verstehst du? Alle werden so tun, als glaubten sie ihm, damit er sich ihnen gegenüber großzügig verhält. Der König glaubt ihm bereits, und warum auch nicht? Odda hat ihm Ubba Lothbroksons Banner und seine Streitaxt zu Füßen gelegt, ist vor ihm auf die Knie gesunken, hat Gott gepriesen und gelobt, bei Cynuit eine Kirche und ein Kloster zu bauen. Und was hast du getan? Bist auf deinem verdammten Ross in einen Gottesdienst galoppiert und hast dein Schwert gezogen. Das war nicht gerade besonders klug.»

Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, denn Wulfhere hatte recht. Alfred war überaus fromm, und wer es in Wessex zu etwas bringen wollte, musste ihm schmeicheln, ebenso fromm tun und sein glückliches Geschick dem Herrgott zuschreiben.

«Odda ist ein Tölpel», fügte Wulfhere zu meiner Überraschung hinzu, «aber er ist jetzt Alfreds Tölpel, und daran wirst du nichts ändern.»

«Aber ich habe Ubba…»

«Ich weiß, was du getan hast», fiel mir Wulfhere ins Wort. «Wahrscheinlich ahnt auch Alfred, dass du die Wahrheit sagst, aber er zieht es vor zu glauben, dass Odda den Sieg erst möglich gemacht und Ubba gemeinsam mit dir bezwungen hat. Im Grunde kann es ihm ja auch egal sein, wer ihm den Todesstoß versetzte. Hauptsache, Ubba ist tot. Und diese gute Nachricht hat nun einmal Odda übermittelt, und deshalb kann er seinen Wanst jetzt in Alfreds Gunst sonnen. Aber falls du unbedingt von den königlichen Truppen aufgeknüpft werden möchtest, musst du dich nur mit Odda anlegen. Hast du mich verstanden?»

«Ja.»

Wulfhere seufzte. «Dann scheint also zu stimmen, was Leofric gesagt hat, nämlich dass du am Ende schon noch Verstand annehmen würdest, wenn ich ihn dir nur lange genug in deinen verdammten Dickschädel einprügele.»

«Ich möchte mit Leofric sprechen», sagte ich.

«Das geht nicht», entgegnete Wulfhere scharf. «Er wurde nach Hamtun zurückgeschickt, wohin er schließlich auch gehört. Aber du bleibst hier. Die Flotte wird unter ein anderes Oberkommando gestellt. Du musst büßen.»

Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben. «Was muss ich?», fragte ich.

«Kriechen», antwortete Æthelwold; es war sein erstes Wort überhaupt. Er grinste mich an. Wir waren zwar nicht das, was man Freunde nennen könnte, hatten aber schon häufig miteinander gezecht, und anscheinend mochte er mich. «Du wirst dich wie ein Mädchen anziehen», fuhr er fort, «auf die Knie gehen und gedemütigt werden.»

«Und zwar jetzt gleich», ergänzte Wulfhere.

«Ich will verflucht sein, wenn ich…»

«Verflucht bist du so oder so», blaffte Wulfhere, riss Æthelwold das weiße Bündel aus der Hand und warf es mir vor die Füße. Es war ein Büßerhemd, und ich ließ es auf dem Boden liegen. «Um Himmels willen», sagte Wulfhere. «Nimm Vernunft an. Du hast ein Weib und Ländereien, oder? Was passiert wohl, wenn du dich dem König widersetzt? Willst du geächtet werden? Willst du, dass deine Frau in ein Kloster gesteckt wird? Willst du, dass sich die Kirche dein Land unter den Nagel reißt?»

Ich starrte ihn an. «Alles was ich getan habe, war, Ubba zu töten und die Wahrheit zu sagen.»

Wulfhere seufzte. «Du bist Northumbrier», sagte er. «Ich weiß nicht, wie es bei euch da oben zugeht, aber hier bist du in Alfreds Wessex. Und in Wessex ist alles erlaubt, nur eins nicht: Alfreds Kirche zu verunglimpfen. Aber genau das hast du getan, und dafür lässt er dich jetzt büßen.» Er verzog das Gesicht, weil der Regen nun noch heftiger auf das Zeltdach prasselte. Dann betrachtete er mit gerunzelter Stirn die Pfütze, die sich vor dem Eingang gebildet hatte. Nach längerem Schweigen sah er mir mit seltsamer Miene in die Augen. «Glaubst du, von alldem wäre irgendetwas von Bedeutung?»

Das glaubte ich allerdings, aber seine Frage und die leise Bitterkeit in seiner Stimme erstaunten mich so sehr, dass mir keine Antwort einfiel.

«Glaubst du, durch Ubbas Tod verändert sich etwas?», fragte er, und wieder war mir, als hätte ich mich verhört. «Und glaubst du wirklich, wir wären die Sieger, falls sich Guthrum darauf einlässt, mit uns Frieden zu schließen?» Sein massiges Gesicht war plötzlich voller Grimm. «Wie lange wird Alfred noch König sein? Wie lange dauert es noch, bis die Dänen hier die Herrschaft übernehmen?»

Ich wusste auch darauf nichts zu sagen. Æthelwold hörte, wie mir auffiel, sehr aufmerksam zu. Er sehnte sich auf den Thron, hatte aber keine Gefolgschaft. Wulfhere war verantwortlich dafür, dass Æthelwold keinen Ärger machte, deutete jedoch mit seinen Worten an, dass es so oder so Ärger geben werde. «Tu einfach, was Alfred von dir will», riet er mir. «Und anschließend versuche, am Leben zu bleiben. Das ist alles, was uns übrigbleibt, falls Wessex fallen sollte. Und jetzt zieh das verdammte Kleid an und bring’s hinter dich!»

«Wir sind zu zweit», sagte Æthelwold. Er rollte das Bündel auseinander, und ich sah, dass ein zweites Gewand darin eingewickelt war.

«Was soll das?», blaffte ihn Wulfhere an. «Bist du betrunken?»

«Ich bin ein reuiger Trunkenbold. Das heißt, ich war betrunken und tue jetzt Buße dafür.» Grinsend zog er das Gewand über den Kopf. «Ich werde mit Uhtred vor den Altar treten», fügte er hinzu, die Stimme durch das Leinzeug gedämpft.

Wulfhere wusste so gut wie ich, dass Æthelwold mit dem Bußritual nur seinen Spott trieb, ließ ihn aber gewähren. Außerdem wollte mir Æthelwold einen Gefallen tun, obwohl er mir, soweit ich wusste, keinen Gefallen schuldete. Ich war ihm trotzdem dankbar, zog das verfluchte Büßerhemd an und ging, von Alfreds Neffen begleitet, meiner Demütigung entgegen.

Ich bedeutete dem König wenig. Ihm dienten in Wessex Dutzende hoher Herren, und jenseits der Grenze, in Mercien, das von den Dänen beherrscht wurde, hielten sich viele andere Herren und Thegn für ihn bereit. All diese großen Männer konnten ihm Soldaten stellen, sie mit Schwertern und Speeren zum Kampf unter dem Drachenbanner von Wessex aufrüsten. Ich dagegen hatte ihm nichts weiter als mein eigenes Schwert zu bieten. Zwar war auch ich ein Edelmann, aber allzu weit von Northumbrien, meinem angestammten Land, entfernt. Ich hatte keine eigenen Krieger, und so konnte ich ihm allenfalls in Zukunft nützlich sein. Doch das durchschaute ich damals noch nicht. Mein Wert stieg, als Wessex seinen Einfluss nach Norden hin ausweitete, doch damals, im Jahre 877, war ich bloß ein zorniger junger Mann, der nur seine eigenen Ziele im Sinn hatte.

Man lehrte mich Demut. Noch heute, ein Lebensalter später, erinnere ich mich genau daran, wie bitter mir diese kriecherische Bußübung aufstieß. Warum zwang mich Alfred dazu? Ich hatte einen großen Sieg für ihn errungen, doch er bestand darauf, mich zu beschämen. Und wofür? Weil ich eine Messe gestört hatte? Daran lag es zum Teil, aber eben nur zum Teil. Er liebte seinen Gott und die Kirche und war leidenschaftlich überzeugt davon, dass Wessex’ Heil im Gehorsam gegenüber der Kirche lag. Darum schützte er die Kirche mit derselben Entschlossenheit, mit der er auch um sein Land kämpfte. Außerdem war er ein ordnungsliebender Mensch. Für ihn hatte alles am rechten Platz zu sein, und ich passte nirgends hinein, und er glaubte, dass ich erst dann meinen Platz in dieser hochheiligen Ordnung finden würde, wenn ich mich zu seinem Gott bekannt hatte. Vorläufig betrachtete er mich als einen widerspenstigen jungen Hund, der geprügelt werden musste, bis er sich endlich der gefügigen Meute anpasste.

Darum ließ er mich zu Kreuze kriechen.

Und Æthelwold machte sich selbst zum Narren.

Aber das passierte erst später. Zuerst ging alles sehr feierlich zu. Alfreds Leibgarde war vollzählig angetreten, um zuzuschauen. Sie bildete zwei lange Reihen vor dem mit einem Segeltuch überdachten Altar, hinter dem Alfred und seine Gemahlin, der Bischof und etliche Priester Aufstellung genommen hatten. «Auf die Knie!», verlangte Wulfhere von mir. «Du musst auf die Knie, und dann rutschst du bis zum Altar, küsst die Altardecke und legst dich flach auf den Boden.»

«Und was dann?»

«Dann werden dir Gott und der König vergeben», antwortete er und wartete. «Mach’s einfach», zischte er schließlich.

Also tat ich es. Ich ging auf die Knie und rutschte unter den Augen der stummen Zuschauer durch den Matsch. Dann fing Æthelwold dicht neben mir laut heulend an, sich der Sünde zu bezichtigen. Händeringend warf er sich immer wieder der Länge nach auf den Boden und schluchzte, dass er bereue, und kreischte, dass er ein Sünder sei. Zuerst reagierte die Menge peinlich berührt, dann war verhaltenes Kichern zu hören. «Ich habe Frauen beigewohnt», brüllte Æthelwold in den strömenden Regen hinein, «und es waren schlechte Frauen! Vergebung!»

Alfred war sichtlich erzürnt, doch er konnte niemanden daran hindern, sich vor Gott lächerlich zu machen. Oder glaubte er, dass Æthelwolds Reue aufrichtig war? «Es waren so viele Frauen, dass ich mit dem Zählen nicht mehr nachgekommen bin», jammerte Æthelwold und schlug seine Faust in den Schlamm. «O Gott, ich bin verrückt nach dicken Brüsten. Ich sehne mich nach nackten Frauen, o Gott, vergib mir!» Das Gelächter griff um sich, und alle Anwesenden mussten sich daran erinnern, dass auch Alfred, bevor ihn die Frömmigkeit ergriffen hatte, ein berüchtigter Schürzenjäger gewesen war. «Hilf mir, Gott!», flehte Æthelwold, während wir unseren Bußweg weiter entlangrutschten. «Schick mir einen Engel!»

«Damit Ihr ihn bumsen könnt?», tönte eine Stimme aus der Menge, und alles brüllte vor Lachen.

Ælswith eilte davon, um nicht noch mehr Unschickliches hören zu müssen. Die Priester tuschelten miteinander, doch Æthelwolds Buße, so ungewöhnlich sie auch sein mochte, schien echt. Er weinte. Mir war klar, dass er insgeheim feixte, aber er heulte, als erlitte er schreckliche Seelenqualen. «Keine Brüste mehr, Gott», rief er, «keine Brüste!» Er machte wahrhaft einen Narren aus sich, doch weil man ihn ohnehin für einen Narren hielt, störte ihn das nicht. «Bewahre mich vor diesen Brüsten, Herr!» Jetzt ging auch Alfred. Was er sich als weihevolle Feier vorgestellt hatte, war zu einem grotesken Schauspiel ausgeartet. Ihm folgten die meisten Priester, und so rutschten Æthelwold und ich schließlich auf einen verwaisten Altar zu, wo sich Æthelwold in seinem lehmverschmierten Büßerhemd umwandte und murmelte: «Ich hasse ihn.» Ich wusste, dass er seinen Onkel meinte, und dann wiederholte er: «Ich hasse ihn, und du, Uhtred, bist mir jetzt einen Gefallen schuldig.»

«Das stimmt», erwiderte ich.

«Ich überlege mir was», sagte er.

Odda der Jüngere war nicht mit Alfred gegangen. Er wirkte verwirrt. Meine Demütigung, an der er sich hatte ergötzen wollen, war in allgemeines Gelächter umgeschlagen. Er wusste, dass ihn die Männer beobachteten, seine Aufrichtigkeit bezweifelten, und er rückte näher an einen baumstarken Kerl heran, der offensichtlich zu seiner Leibwache gehörte. Dieser Mann war über einen Kopf größer als er und hatte eine sehr breite Brust, aber noch mehr als seine Statur fiel sein Gesicht auf, denn die Haut war so straff um den Schädel gespannt, dass er zu keinem anderen Mienenspiel mehr fähig schien als zu schierem Hass und wölfischer Gier. Wie dem nassen Fell eines Hundes entströmte ihm der Gestank roher Gewalt, und als er die Augen auf mich richtete, sah ich mich im seelenlosen Blick eines Tieres. Ich zweifelte keinen Moment daran, dass mich dieser Mann töten würde, wenn Odda irgendwann die Gelegenheit zum Mord witterte. Odda war ein Nichts, der verwöhnte Spross eines reichen Mannes, doch sein Geld erlaubte es ihm, Mördern Befehle zu erteilen. Dann zupfte Odda am Ärmel des Hünen; die beiden wandten sich ab und gingen.

Pater Beocca stand noch in der Nähe des Altars. «Küss das Tuch», befahl er mir, «und dann leg dich flach auf den Boden.»

Doch ich stand einfach auf. «Ihr könnt mich mal sonst wohin küssen, Pater», entgegnete ich. Meine Wut ließ Beocca zurückweichen.

Doch ich hatte getan, was der König verlangt hatte. Ich hatte bereut.

Der Hüne an Oddas Seite hieß Steapa. Man nannte ihn Steapa Snotor oder Steapa den Schlauen. «Das ist ein Witz», sagte Wulfhere, als ich mir das Büßerkleid vom Leib riss und mein Kettenhemd überstreifte.

«Ein Witz?»

«Tatsächlich ist er dumm wie ein Ochse», erklärte Wulfhere. «Statt eines Gehirns hat er Froschlaich im Schädel. Er ist beschränkt, trotzdem aber ein gerissener Kämpfer. Das hat er auch vor Cynuit bewiesen. Hast du ihn dort nicht gesehen?»

«Nein», antwortete ich, kurz angebunden.

«Und, was denkst du über ihn?», fragte Wulfhere.

«Nichts.» Ich hatte den Aldermann nach diesem Leibwächter des jungen Odda gefragt, um den Namen des Mannes zu erfahren, der vielleicht versuchen würde, mich umzubringen. Das aber brauchte Wulfhere nicht zu wissen.

Wulfhere zögerte. Ihm schien noch eine Frage auf der Zunge zu liegen, doch er verzichtete darauf und sagte stattdessen: «Wenn die Dänen kommen, bist du in den Reihen meiner Männer willkommen.»

Æthelwold, Alfreds Neffe, hatte Schlangenhauch aus der Scheide gezogen und musterte die verschlungenen Muster auf der Klinge. «Wenn die Dänen kommen», sagte er zu Wulfhere, «müsst Ihr mich kämpfen lassen.»

«Davon verstehst du nichts.»

«Dann müsst Ihr’s mir beibringen.» Er steckte das Schwert in die Scheide zurück. «Wessex braucht einen König, der kämpfen kann», sagte er, «und keinen, der immerzu nur betet.»

«Du solltest deine Zunge hüten, junger Mann», erwiderte Wulfhere. «Es sei denn, du willst, dass man sie dir herausschneidet.» Er riss Æthelwold das Schwert aus der Hand und reichte es mir. «Die Dänen werden kommen», sagte er. «Also schließ dich mir an, wenn es so weit ist.»

Ich nickte, sagte aber nichts. Wenn die Dänen kommen, dachte ich, werde ich mich lieber ihnen anschließen. Ich war im Alter von zehn Jahren von Dänen gefangen genommen worden. Sie hätten mich töten können, doch stattdessen hatten sie mich gut behandelt. Ich hatte ihre Sprache gelernt und ihre Götter verehrt, bis ich selbst nicht mehr wusste, ob ich Däne oder Engländer war. Wäre Graf Ragnar der Ältere am Leben geblieben, hätte ich sie nie verlassen, doch er starb. Er fiel einem hinterhältigen Brandanschlag zum Opfer, und so floh ich Richtung Süden nach Wessex. Jetzt aber wollte ich wieder zu ihnen zurückkehren. Ich würde mich, sobald die Dänen Exanceaster verließen, Ragnars Sohn anschließen, Ragnar dem Jüngeren, falls er denn noch lebte. Sein Schiff hatte zu der großen Flotte gezählt, die vor der Küste von Defnascir einem wütenden Sturm zum Opfer gefallen war. Dutzende von Schiffen waren gesunken, und nur einige wenige hatten sich flussaufwärts nach Exanceaster retten können, wo sie jedoch samt und sonders niedergebrannt worden waren. Ich wusste nicht, ob Ragnar noch lebte, hoffte aber inständig, dass er aus Exanceaster würde entkommen können, und dann würde ich zu ihm gehen, ihm mein Schwert anbieten und gegen Alfred von Wessex zu Felde ziehen, um ihn eines Tages zu zwingen, das Büßerhemd überzustreifen und auf den Knien an Thors Altar zu rutschen. Danach würde ich ihn töten.

Dies waren meine Gedanken, als wir nach Oxton ritten, auf den Grundbesitz, den Mildrith mit in die Ehe gebracht hatte. Es war ein schöner Ort, aber mit so großen Schulden belastet, dass er mehr Sorgen als Vergnügen bereitete. Die Hügel, auf denen das Vieh weidete, erhoben sich im Westen der tief ins Land eingeschnittenen Mündung der Uisc. Das Gehöft war von dichten Eichen- und Eschenwäldern umgeben, in denen klare Bäche entsprangen, die die Felder bewässerten, auf denen Roggen, Weizen und Gerste gedieh. Das meist verräucherte Wohnhaus war aus Eichenholz, Lehm und Stroh gebaut und so lang gestreckt, dass es von weitem wie ein grüner, bemooster Schanzwall aussah, aus dessen Mitte Rauch aufstieg. Der Dunghaufen im Hof, wo Schweine und Hühner im Dreck wühlten, war so hoch wie das Haus. Mildriths Vater hatte das Gut bewirtschaftet, unterstützt von einem Verwalter namens Oswald, der mir an diesem regnerischen Sonntag, als wir dort ankamen, noch einige Scherereien bereiten sollte.

Ich war wütend, verbittert und rachsüchtig wegen Alfreds Demütigung, und es war Pech für Oswald, dass er sich diesen Sonntag herausgesucht hatte, um einen Eichenstamm aus dem Wald zu holen. Ich brütete süße Rachepläne aus und ließ mein Pferd dem Pfad durch den Wald folgen, als ich ein achtköpfiges Ochsengespann sah, das, von drei Männern gelenkt, einen großen Eichenstamm in Richtung Fluss schleppte. Oswald hockte rittlings auf dem Stamm und schwang seine Peitsche. Als er mich sah, sprang er auf die Füße und schien Reißaus nehmen zu wollen, besann sich aber und wartete ab.

«Herr», grüßte er, sichtlich überrascht, mich zu sehen. Wahrscheinlich hatte auch er gedacht, ich sei umgebracht worden wie die anderen Geiseln, und vermutlich war er darüber erleichtert gewesen.

Der Blutgestank, den die aufgescheuerten Flanken der Ochsen ausdünsteten, machte mein Pferd nervös. Es tänzelte vor und zurück, bis ich es beruhigen konnte, indem ich seinen Hals tätschelte. Ich begutachtete den Stamm, der an die vierzig Fuß lang sein mochte und so dick wie der Rumpf eines ausgewachsenen Mannes war. «Ein schöner Baum», sagte ich zu Oswald.

Er warf einen Blick zu Mildrith, die zwanzig Schritt entfernt war. «Guten Tag, Herrin», sagte er und klaubte die Wollmütze von seinem krausen roten Schopf.

«Ein leider verregneter Tag, Oswald», erwiderte sie. Mildrith vertraute dem Verwalter blind, zumal er schon ihrem Vater gedient hatte.

«Ich sagte, ein schöner Baum», wiederholte ich mit lauterer Stimme. «Wo wurde er gefällt?»

Oswald stopfte seine Mütze hinter den Gürtel. «Auf der Hügelkuppe, Herr», antwortete er vage.

«Die zu meinem Land gehört?»

Er zögerte, offenbar versucht zu behaupten, der Baum habe auf dem Land eines Nachbarn gestanden, doch diese Lüge hätte sich allzu leicht entlarven lassen. Also schwieg er.

«Von meinem Land?», hakte ich nach.

«Ja, Herr», gab er zu.

«Und wo bringt ihr das Holz hin?»

Er zögerte erneut, kam aber an einer Antwort nicht vorbei. «Wir bringen es in Wigulfs Sägewerk.»

«Kauft er es?»

«Er zersägt es zu Bohlen, Herr.»

«Ich habe nicht gefragt, was er damit vorhat», entgegnete ich, «sondern ob er es kauft.»

Vom scharfen Klang meiner Stimme beunruhigt, warf Mildrith ein, dass auch ihr Vater manchmal Holz zu Wigulf habe schicken lassen, doch ich hob die Hand und hieß sie schweigen. «Wird er es kaufen?», fragte ich Oswald.

«Wir brauchen die Bohlen für Reparaturen», antwortete der Verwalter. «Wigulf behält einen Teil davon als Lohn ein.»

«Und du schleppst den Baum an einem Sonntag aus dem Wald?» Er wusste darauf nichts zu sagen. «Wenn wir Bohlen brauchen», fuhr ich fort, «warum spalten wir nicht selbst den Stamm? Fehlen uns Männer? Keile? Spalthammer?»

«Wir haben sie immer von Wigulf sägen lassen», antwortete Oswald mürrisch.

«Immer?», wiederholte ich. «Wigulf lebt doch in Exanmynster, nicht wahr?» Der Ort lag gut eine Meile nördlich von Oxton und war die nächste Siedlung.

«Ja, Herr.»

«Und wenn ich jetzt nach Exanmynster reite und Wigulf frage, wie viele solcher Stämme du ihm im vergangenen Jahr geliefert hast – was wird er mir wohl darauf antworten?»

Bis auf vereinzelte Vogelrufe und das Tropfen von Regenwasser war alles still. Ich lenkte mein Pferd ein paar Schritte näher an Oswald heran, der nun den Schaft seiner Peitsche umklammerte, als wolle er mir damit drohen. «Wie viele?», verlangte ich zu wissen.

Oswald schwieg.

«Wie viele?», rief ich mit Nachdruck in der Stimme.

«Beruhigt Euch, Herr», flehte Mildrith.

«Schweig!», herrschte ich sie an, und Oswald sah von mir zu ihr und wieder zu mir. «Wie viel zahlt dir Wigulf dafür?», fragte ich. «Was bringt ein solcher Stamm ein? Acht Schillinge? Neun?»

Wie schon im Gottesdienst des Königs übermannte mich auch jetzt unbändige Wut. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass Oswald Holz aus dem Wald stahl und verkaufte. Ich hätte ihn wegen Diebstahls anzeigen und vor Gericht bringen sollen, wo man über seine Schuld oder Unschuld hätte urteilen können, doch für ein solches Verfahren hatte ich jetzt keinen Sinn. Ich zog einfach Schlangenhauch und trieb mein Pferd voran. Mildrith protestierte lautstark, doch ich beachtete sie nicht. Oswald rannte los, und das war sein letzter Fehler, denn ich hatte ihn schnell eingeholt und ihm mit nur einem Streich, der ihm den Schädel spaltete, sodass Gehirn und Blut spritzte, zu Fall gebracht. Er stürzte ins feuchte Laub, und ich riss das Pferd herum und durchbohrte mit der Klingenspitze seinen Hals.

«Das war Mord!», schrie Mildrith.

«Das war Gerechtigkeit», herrschte ich sie an. «Woran es, wie mir scheint, in Wessex mangelt.» Ich spie auf Oswalds Körper, durch den ein letztes Zucken ging. «Der Bastard hat uns bestohlen.»

Mildrith gab ihrem Pferd die Sporen und ritt, von der Amme mit dem Kind gefolgt, eilends bergan. Ich ließ sie gehen. «Schafft den Stamm zum Hof», befahl ich den Knechten, die die Ochsen führten. «Wenn er zu schwer ist, so spaltet ihn an Ort und Stelle und bringt die Bohlen zum Haus.»

Noch am gleichen Abend durchsuchte ich Oswalds Hütte, wo ich im Boden vergraben dreiundfünfzig Schillinge fand. Ich nahm die Silbermünzen an mich, nahm die Kochtöpfe, den Spieß, die Messer, alles Eisenzeug sowie einen Mantel aus Hirschleder und vertrieb seine Frau und die drei Kinder von meinem Grund und Boden. Ich war wieder zu Hause.

ZWEI

Oswalds Bestrafung hatte meine Wut nicht dämpfen können. Der Tod eines unehrenhaften Verwalters war kein Ausgleich für die monströse Ungerechtigkeit, die man mir angetan hatte. Einstweilen war Wessex vor den Dänen sicher, aber nur, weil ich Ubba Lothbrokson getötet hatte, und mein einziger Lohn war eine Demütigung gewesen.

Arme Mildrith. Sie war eine friedliebende Frau, die von allen, die sie kannte, nur gut dachte, und jetzt war sie plötzlich mit einem rachsüchtigen, tobenden Krieger verheiratet. Sie fürchtete sich vor Alfreds Zorn und davor, dass mich die Kirche bestrafen würde, weil ich ihren Frieden gestört hatte. Außerdem war von Oswalds Angehörigen die Forderung eines Wergeldes zu erwarten. Ein Wergeld war der Blutpreis, der jedem, ob Mann, Frau oder Kind, zustand. Wer einen anderen tötete, musste den Hinterbliebenen diesen Preis entrichten, andernfalls starb er selbst. Zweifellos würde sich Oswalds Familie an Odda den Jüngeren wenden, der nun, da sein Vater zu schwer verwundet war, um sein Amt auszuüben, zum Aldermann von Defnascir ernannt worden war. Und Odda würde seinen Landvogt auf mich hetzen, um mich vor Gericht zu bringen. Doch das alles kümmerte mich nicht. Ich jagte Wildschweine und Hirsche, brütete vor mich hin und wartete auf Nachrichten über die Verhandlungen in Exanceaster. Alfreds Pläne waren absehbar; er würde mit den Dänen Frieden schließen wollen und ihnen freies Geleit gewähren. Und wenn es so weit wäre, würde ich mich auf die Suche nach Ragnar machen.

Während ich wartete, fand ich meinen ersten Knappen. Ich begegnete ihm an einem schönen Frühlingstag in Exanmynster, wo freie Knechte ihre Dienste für die bevorstehende Erntezeit feilboten. Wie auf allen solchen Märkten waren auch hier etliche Gaukler, Bänkelsänger, Stelzenläufer, Spielmänner und Akrobaten anzutreffen. Außerdem machte ein großer Mann mit schlohweißem Haar und zerfurchtem, ernstem Gesicht auf sich aufmerksam. Er verkaufte lederne Zauberbeutel, die Eisen in Silber verwandelten. Er zeigte, wie es gemacht wurde, und ich sah mit eigenen Augen, wie er zwei gewöhnliche Nägel in den Beutel steckte, die kurz darauf aus reinem Silber waren. Der Zauber wirke jedoch erst, so erklärte er uns, wenn man ein silbernes Kruzifix in den Beutel stecke, diesen um den Hals hänge und eine Nacht damit schlafe. Ich zahlte ihm drei silberne Schillinge für einen seiner Beutel. Es hat kein einziges Mal funktioniert. Ich suchte Monate nach dem alten Gauner, doch er blieb verschwunden. Wenn ich heute auf Händler stoße, die Beutel oder Schatullen mit angeblichen Zauberkräften anpreisen, vertreibe ich sie mit der Peitsche. Damals aber war ich erst zwanzig Jahre alt und traute noch meinen Augen. Der Alte hatte viele Neugierige angelockt, doch vor der Kirchenpforte drängte sich eine noch größere Menge, die immer wieder wie aus einem Munde aufschrie. Ich ritt dazwischen und erntete finstere Blicke von denen, die wussten, dass ich Oswald getötet hatte, doch niemand wagte es, mich des Mordes zu bezichtigen, denn ich trug meine beiden Waffen: Schlangenhauch und Wespenstachel.

Vor der Kirchenpforte stand ein barfüßiger junger Mann mit bloßem Oberkörper. Er war mit einem Strick, dessen anderes Ende um seinen Hals geknotet war, an den Torpfosten gebunden und hielt einen kurzen, derben Knüppel in der Hand. Er hatte lange blonde Haare, die ihm offen auf die Schultern herabfielen, blaue Augen und ein trotzig verbissenes Gesicht. Brust, Bauch und Arme waren blutverschmiert. Drei Männer bewachten ihn. Auch sie hatten blondes Haar und blaue Augen und sprachen mit einem fremden Akzent. «Kommt und kämpft gegen den Heiden! Lasst ihn bluten! Es kostet euch bloß drei Pennys. Kommt und kämpft!»

«Wer ist das?», fragte ich.

«Ein Däne, Herr, ein heidnischer Däne.» Der Mann nahm, als er mir antwortete, den Hut vom Kopf und wandte sich gleich wieder der Menge zu. «Kommt und kämpft! Nehmt Rache! Lasst den Dänen bluten! Seid gute Christen! Alle Heiden sollen leiden!»

Die drei Männer waren Friesen. Sie gehörten, wie mir schien, zu Alfreds Armee, waren aber nun, da der König mit dem Feind verhandelte, statt zu kämpfen, fahnenflüchtig geworden. Die Friesen stammen von der anderen Seite des Meeres, und nur ein einziger Grund zieht sie hierher: Geld. Irgendwie hatten die drei den jungen Dänen in ihre Gewalt gebracht, und das nutzten sie aus, solange er am Leben blieb. Das mochte noch eine Weile der Fall sein, denn er war gut. Ein kräftiger junger Sachse zahlte seine drei Pennys, bekam ein Schwert in die Hand gedrückt und hieb ungestüm auf den Gefangenen ein. Der aber wehrte jeden Schlag ab, Holz splitterte von seinem Knüppel, und als er die Gelegenheit hatte, traf er seinen Angreifer am Kopf, sodass der Sachse blutend und benommen zurücktaumelte. Der Däne setzte nach, rammte ihm den Knüppel in den Bauch und holte anschließlich zu einem Schlag aus, der den Schädel seines Gegners wie eine Eierschale zerschmettert hätte. Doch da zerrten die Friesen heftig an dem Strick, sodass der Däne rücklings zu Boden ging. «Wer wagt es als Nächster?», rief einer der Friesen, während der junge Sachse, von zwei Männern gestützt, weggeführt wurde. «Nur Mut! Zeigt, was ihr könnt! Schlagt den Dänen, bis er blutet!»

«Ich erledige ihn», sagte ich, stieg vom Pferd, reichte einem Jungen die Zügel und zog mein Schwert. «Drei Pennys?», fragte ich die Friesen.

«Nein, Herr», sagte einer von ihnen.

«Warum nicht?»

«Wir wollen nicht, dass der Däne stirbt», bekam ich zur Antwort.

«Wir wollen’s aber», rief jemand aus der Menge. Die Leute aus dem Uisc-Tal mochten mich nicht, aber Dänen mochten sie noch viel weniger, und die Abschlachtung eines Gefangenen miterleben zu können war eine verlockende Aussicht.

«Ihr dürft ihn nur verwunden, Herr», sagte der Friese. «Und Ihr müsst mit unserem Schwert kämpfen.» Er hielt mir die Waffe hin. Ich warf einen abschätzigen Blick auf die stumpfe, schartige Klinge und spuckte aus.

«Muss ich das?»

Der Friese gab klein bei. «Aber ihr dürft ihn wirklich nur verwunden», sagte er.

Der Däne warf sein Haar zurück und sah mich an. Er hatte den Knüppel gesenkt. Ich sah, dass er nervös war, aber sein Blick verriet keinerlei Angst. Als Gefangener der Friesen hatte er wohl schon Hunderte dieser Kämpfe bestanden, doch seine Gegner waren keine Soldaten. An meinen beiden Schwertern erkannte er, dass ich ein Krieger war. Sein Körper war mit blauen Flecken, Platzwunden und Narben übersät, und er konnte sich ausrechnen, dass ich ihm mit Schlangenhauch weitere Wunden zufügen würde. Trotzdem war er entschlossen, gegen mich anzutreten.

«Wie heißt du?», fragte ich auf Dänisch.

Er blinzelte überrascht.

«Dein Name, Junge.» Ich nannte ihn «Junge», obwohl er nur wenig jünger war als ich.

«Haesten», antwortete er.

«Haesten wie?»

«Haesten Storrison», sagte er und nannte mir damit den Namen seines Vaters.

«Ihr sollt ihn schlagen, nicht mit ihm reden!», brüllte jemand aus der Menge.

Ich drehte mich um und starrte den Rufer an. Er konnte meinem Blick nur einen Wimpernschlag lang standhalten. Dann machte ich blitzschnell auf dem Absatz kehrt und führte einen Schwerthieb gegen Haesten aus, den er ebenso schnell abwehrte, indem er den Knüppel hob. Die Klinge fuhr durch das Holz, als wäre es faul, und Haesten stand mit einem Stumpf in der Hand da, während der andere Teil seiner Waffe, eine Elle Eschenholz, auf dem Boden lag.

«Tötet ihn!», schrie jemand.

«Lasst ihn nur ein bisschen bluten», sagte einer der Friesen. «Bitte, Herr. Für einen Dänen ist er gar kein schlechter Kerl. Lasst ihn nur ein bisschen bluten, und Ihr bekommt Euer Geld zurück.»

Mit einem Fußtritt beförderte ich den Knüppel weiter weg. «Heb ihn auf», sagte ich zu Haesten.

Er beobachtete mich mit flackerndem Blick. Um den Knüppel aufzuheben, musste er die ganze Länge des Seils ausnutzen und sich dann bücken, wobei er mir seinen Rücken ungeschützt ausgesetzt hätte. Seine Augen, halb verdeckt von den verdreckten Strähnen seiner Haare, waren voller Bitterkeit. Er beobachtete mich und kam zu dem Schluss, dass ich ihn nicht angreifen würde, während er sich bückte. Vorsichtig ging er auf den Knüppel zu, den ich, als er sich hinabbeugte, mit dem Fuß noch ein weiteres Stück zur Seite schob. «Heb ihn auf», befahl ich erneut.

Er hatte immer noch den Stumpf in der Hand, als er einen weiteren Schritt vorrückte und sich die Fessel straffte. Plötzlich aber wirbelte er herum und versuchte, mir den Stumpf in den Bauch zu rammen. Er war schnell, doch ich hatte mit dem Angriff gerechnet und fing seinen Arm mit der Linken ab. Ich drückte fest zu, quetschte ihm das Handgelenk. «Heb ihn auf», sagte ich ein drittes Mal.

Er gehorchte, und als er sich nach dem Knüppel bückte, durchschlug ich mit Schlangenhauch das strammgespannte Seil. Haesten stürzte nach vorn und landete auf dem Bauch. Ich stellte meinen linken Fuß auf seinen Rücken und drückte die Klingenspitze auf seine Wirbelsäule. «Alfred», sagte ich zu den Friesen, «verlangt, dass ihm alle dänischen Gefangenen ausgeliefert werden.»

Die drei starrten mich an, sagten aber nichts.

«Warum also habt ihr diesen Mann nicht zum König gebracht?», fragte ich.

«Davon wussten wir nichts, Herr», antwortete einer von ihnen, «niemand hat uns etwas davon gesagt.» Das konnte nicht verwundern, denn Alfred hatte einen solchen Befehl nie ausgegeben.

«Wir werden es sofort nachholen», versprach der zweite.

«Die Mühe nehme ich euch ab», entgegnete ich und nahm meinen Fuß von Haestens Rücken. «Steh auf», sagte ich auf Dänisch, warf dem Jungen, der mein Pferd am Zügel gehalten hatte, eine Münze zu und schwang mich in den Sattel. «Du steigst hinter mir auf», befahl ich und reichte Haesten die Hand.

Die Friesen protestierten und kamen mit gezückten Schwertern auf mich zu. Da zog ich Wespenstachel aus der Scheide und warf ihn Haesten zu, der noch nicht aufgestiegen war. Dann lenkte ich das Pferd auf die Friesen zu und lächelte sie an. «All diese Leute», sagte ich und schwang Schlangenhauch in Richtung der Menge, «halten mich für einen Mörder. Ich bin allerdings auch derjenige, der Ubba Lothbrokson in der Schlacht bei Cynuit gestellt und getötet hat. Das sei euch gesagt, damit ihr euch später damit brüsten könnt, Uhtred von Bebbanburg bezwungen zu haben.»

Ich senkte das Schwert und zielte mit der Spitze auf den mir am nächsten stehenden Mann, der eilends zurückwich. Die anderen, ebenso wenig auf Kampf aus wie er, folgten ihm schnell. Haesten saß hinter mir auf, und ich gab dem Pferd die Sporen. Die Menge machte uns den Weg frei.

Als wir sie hinter uns gelassen hatten, hieß ich Haesten absteigen und ließ mir Wespenstachel zurückgeben. «Wie bist du in Gefangenschaft geraten?», fragte ich ihn.

Ich erfuhr, dass er auf einem von Guthrums Schiffen gedient hatte, als sie vom Sturm überrascht worden waren. Er hatte sich, auf einem Wrackteil treibend, ans Ufer retten können und war dort von den Friesen aufgegriffen worden. «Wir waren zu zweit, Herr», sagte er. «Der andere ist gefallen.»

«Du bist jetzt ein freier Mann.»

«Frei?»

«Du bist mein Mann», sagte ich. «Und wenn du mir Treue schwörst, gebe ich dir ein Schwert.»

«Warum?», wollte er von mir wissen.

«Weil ich selbst einmal von einem Dänen gerettet worden bin», antwortete ich. «Ich mag euch Dänen.»

Außerdem musste ich endlich damit anfangen, mir eine kleine Truppe aufzubauen. Odda dem Jüngeren war nicht zu trauen, und ich fürchtete seinen Krieger Steapa Snotor. Ich brauchte Verstärkung in Oxton. Mildrith würde es allerdings nicht gefallen, einen kampferprobten Dänen im Haus zu haben. Ihr wären zusätzliche Knechte und Mägde lieber gewesen. Für einen Herrn aber gehörte es sich, Gefolgsmänner unter Waffen zu haben, und das sagte ich ihr auch.

Ja, ich bin ein Herr, ein Herr aus Northumbrien. Ich bin Uhtred von Bebbanburg. Meine Vorfahren, die sich in ihrer Ahnenreihe bis auf den Gott Wotan, der von den Dänen Odin genannt wird, zurückverfolgen lassen, waren einst Könige im Norden Englands, und wenn mir mein Onkel damals, als ich erst zehn Jahre alt war, die Bebbanburg nicht geraubt hätte, würde ich dort immer noch als northumbrischer Edelherr leben, geschützt von Felsen und Meer. Die Dänen hatten Northumbrien eingenommen und ihren Vasallen Ricsig, der in Eoferwic residierte, als König eingesetzt. Die Bebbanburg aber war so wehrhaft, dass nicht einmal die Dänen sie hatten einnehmen können. Und so herrschte dort mein Onkel Ælfric, der sich als Aldermann ausgab und von den Dänen in Ruhe gelassen wurde, weil er ihnen keinen Ärger machte. Ich aber träumte oft davon, eines Tages nach Northumbrien zurückzukehren und meinen rechtmäßigen Anspruch auf das Land geltend zu machen. Nur wie? Zur Eroberung der Bebbanburg brauchte ich ein ganzes Heer, doch bis jetzt hatte ich nur den jungen Dänen Haesten an meiner Seite.

Und Ælfric war nicht mein einziger Feind in Northumbrien. Da waren auch noch Graf Kjartan und sein Sohn Sven, der wegen mir ein Auge verloren hatte. Die beiden wären glücklich gewesen, mich töten zu können, und hätten von meinem Onkel noch dazu reichlichen Lohn dafür erhalten. Für mich gab es in Northumbrien keine Zukunft, jedenfalls noch nicht. Dennoch würde ich eines Tages zurückkehren. Das war mein innigster Wunsch. Und ich würde mit Ragnar dem Jüngeren nach Northumbrien gehen, meinem Freund, der, wie ich hoffte, noch lebte, nachdem sein Schiff dem Sturm getrotzt hatte. Ein Priester hatte mir gesagt, er sei sicher, Graf Ragnar bei den Verhandlungen von Exanceaster als Mitglied der dänischen Delegation Guthrums erkannt zu haben. «Er ist groß», hatte der Priester gesagt, «und sehr laut.» Das überzeugte mich davon, dass Ragnar lebte. Ich war sehr glücklich deswegen, denn ich sah meine Zukunft an Ragnars Seite und nicht an der von Alfred. Falls die Verhandlungen zu einem Friedensschluss führten, würden die Dänen aus Exanceaster abziehen, und dann würde ich mich mit Ragnar zusammentun, um gegen Alfred zu kämpfen, der mich ebenso hasste wie ich ihn.

Ich sagte Mildrith, dass wir Defnascir verlassen würden, dass ich mich Ragnar anschließen und unter seinem Banner meine Blutfehde gegen Kjartan und meinen Onkel fortsetzen wollte. Mildriths Antwort waren Tränen und nochmals Tränen.

Ich kann es nicht ertragen, wenn Frauen weinen. Mildrith war gekränkt und verwirrt, und ich war wütend, und wir fauchten uns gegenseitig an wie Wildkatzen. Es regnete Tag um Tag. Ich fühlte mich wie ein Tier im Käfig und wartete voller Ungeduld auf den Abschluss der Verhandlungen, deren Ausgang ohnehin allen klar war: Alfred würde Guthrum ziehen lassen. Sobald die Dänen aus Exanceaster abrückten, würde ich mich auf ihre Seite schlagen, und es war mir gleich, ob Mildrith mitkäme oder nicht, wenn nur mein Sohn, der meinen Namen trug, bei mir bliebe. Ich vertrieb mir die Tage mit der Jagd und die Nächte mit Trinken und Racheplänen. Als ich eines Abends von der Jagd zurückkehrte, fand ich Pater Willibald in unserem Haus vor.

Willibald war ein guter Mann. Er hatte als Geistlicher auf Alfreds Flotte gedient, jenen zwölf Schiffen, die unter meinen Befehl gestanden hatten. Jetzt war er auf dem Rückweg nach Hamtun und hatte mich aufgesucht, um mir von den langwierigen Gesprächen zwischen Alfred und Guthrum zu berichten. «Wir haben endlich Frieden, Herr», sagte er mir. «Gott sei gedankt, wir haben Frieden.»

«Gott sei gedankt», echote Mildrith.

Ich putzte schweigend das Blut von dem Spieß, mit dem ich einen Eber erlegt hatte, und war in Gedanken bei Ragnar, dem ich mich nun, da die Belagerung vorbei war, würde anschließen können.

«Der Vertrag wurde gestern mit feierlichen Schwüren besiegelt», sagte Willibald. «Der Frieden ist unter Dach und Fach.»

«Feierliche Schwüre gab es auch im letzten Jahr», murmelte ich säuerlich. Guthrum hatte damals den in Werham geschlossenen Frieden gebrochen und Geiseln ermorden lassen, die ihm zum Pfand gegeben worden waren. Elf von zwölfen waren niedergemetzelt worden, und ich überlebte nur dank Ragnars Schutz. «Worauf haben sie sich geeinigt?», fragte ich.

«Die Dänen treten sämtliche Pferde ab und ziehen sich nach Mercien zurück», antwortete Willibald.

Gut, dachte ich, weil ich nun wusste, wohin mein Weg führen sollte. Doch das verriet ich Willibald freilich nicht. Stattdessen machte ich mich darüber lustig, dass Alfred seine Feinde ziehen ließ. «Warum kämpft er nicht gegen sie?», fragte ich.

«Weil es zu viele sind. Weil auf beiden Seiten zu viele Männer sterben würden.»

«Er sollte sie allesamt töten.»

«Frieden ist besser als Krieg», sagte Willibald.

«Amen», sagte Mildrith.

Ich hatte damit begonnen, den Jagdspieß mit einem Wetzstein zu schärfen, und dachte nach. Alfreds Großzügigkeit erschien mir dumm. Guthrum war der einzig namhafte Anführer, den die Dänen noch hatten. An Alfreds Stelle hätte ich Guthrum, der in Exanceaster in der Falle saß, keinen Fingerbreit nachgegeben. Ich hätte ihn immer weiter belagert, und am Ende hätte ich damit die dänische Macht in Südengland gebrochen. Stattdessen war Guthrum nun gestattet worden, aus Exanceaster abzuziehen. «Es ist Gottes Wille», sagte Willibald.

Ich sah ihn an. Obwohl ein paar Jahre älter als ich, wirkte er um einiges jünger. Er war ernsthaft, zugleich schwärmerisch und immer freundlich. Auf den Schiffen war er als Geistlicher sehr beliebt gewesen, hatte aber ständig unter Seekrankheit gelitten und den Anblick von Blut nicht ertragen können. «Hat wirklich Gott für diesen Frieden gesorgt?», fragte ich zweiflerisch.

«Wer sonst hat den Sturm geschickt, der Guthrums Schiffe kentern ließ?», entgegnete Willibald heftig. «Wer sonst trieb Ubba in unsere Hände?»

«Das war ich.»

Er überhörte meine Worte. «Unser König ist ein gottesfürchtiger Mann», sagte er. «Gott belohnt diejenigen, die ihm treu dienen. Alfred hat die Dänen bezwungen, und das wissen sie auch! Guthrum hat erkannt, dass Gott auf unserer Seite steht. Er hat bereits damit angefangen, sich nach Christus zu erkundigen.»

Ich sagte nichts.

Der Priester fuhr fort: «Unser König glaubt, dass Guthrum sehr bald die christliche Erleuchtung finden wird.» Er beugte sich vor und legte mir die Hand aufs Knie. «Wir haben gefastet, Herr», sagte er. «Wir haben gebetet, und der König glaubt, dass sich die Dänen zu Christus bekehren lassen, und wenn es dazu kommt, werden wir einen dauerhaften Frieden haben.»

Willibald war offenbar überzeugt von diesem Unsinn, und in Mildriths Ohren klangen seine Worte natürlich honigsüß. Sie war eine fromme Christin und vertraute auf Alfred. Wenn der König glaubte, dass sein Gott den Sieg herbeiführen würde, so glaubte auch sie daran. Ich verkniff mir einen Kommentar und sah der Dienstmagd zu, wie sie uns Gerstenbier, Brot, geräucherte Makrelen und Käse auftischte. «Es wird ein christlicher Frieden herrschen», sagte Willibald, der über dem Brot das Zeichen des Kreuzes schlug, bevor er zu essen anfing, «und er ist mit den Geiseln besiegelt worden.»

«Wir haben Guthrum doch nicht wieder Geiseln überlassen?», fragte ich erstaunt.

«Nein», antwortete Willibald. «Diesmal haben wir Geiseln von ihm bekommen, darunter sechs Grafen.»

Ich hörte auf, die Klinge zu wetzen, und blickte Willibald an. «Sechs Grafen?»