Deutschlandlauf 1998 - 1225 Kilometer in 17 Tagen - Ingo Schulze - E-Book

Deutschlandlauf 1998 - 1225 Kilometer in 17 Tagen E-Book

Ingo Schulze

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Beschreibung

Mit dem „DL98“ fand der erste Deutschlandlauf unter echten Wettkampfbedingungen statt. Ingo Schulze führte danach weitere Deutschlandläufe und andere Mehrtages-Laufveranstaltungen durch. Dieses Buch kann Motivation und Nachschlagewerk für künftige Veranstalter und Ultraläufer sein. Es ist viel Training, Planung und Selbstdisziplin vonnöten, um sich für einen Mehrtageslauf dieser Größenordnung zu entscheiden. Der Autor zieht immer wieder Vergleiche von 1998 zur Gegenwart und zu anderen Laufabenteuern.

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Ingo Schulze

Geboren 1948

Deutschlandlauf 1998

1225 Kilometer in 17 Tagen

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2023

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Copyright (2023) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Der Deutschlandlauf 1998, kurz: „DL98“, wurde über einen Zeitraum von 21 Monaten vorbereitet.

Es ist gut vorstellbar, dass dieses Buch ein Leitfaden für zukünftige Veranstalter und Teilnehmer sein kann.

Für Veranstalter:

• Was kann alles auf mich zukommen?

• Kann ich jeden Bewerber zulassen?

• Kann der Lauf finanziert werden?

• Was biete ich den Teilnehmern?

• Worauf sollte ich unbedingt achten?

• Brauche ich Genehmigungen?

• Wie bereitet ich das Unternehmen vor?

• Wie wichtig ist eine Checkliste?

• Berechnung der Strecke und Etappen

• Wie komme ich zur Betreuermannschaft?

Für Teilnehmer:

• Wie gestalte ich in Zukunft mein Training?

• Muss ich meine Ernährung umstellen?

• Bin ich für einen solchen Lauf geeignet?

• Welche weiteren Vorbereitungen muss ich treffen?

• Weiß ich, was auf mich zukommt?

• Was ist, wenn ich aussteige?

• Reicht mein Urlaub?

• Wie stelle ich die Ausrüstung zusammen?

• Kann ich den Lauf finanzieren?

• Stehen die Familie und der Arbeitgeber dahinter?

Viele Überlegungen für Veranstalter und Teilnehmer!

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Etwas über meine eigene „Laufkarriere“

Einträge ins „Guinness-Buch der Rekorde“

Planung und Vorbereitung

Die „Verkehrsrechtliche Anordnung“

Zusammenfassende Informationen

Was gab es in absehbarer Zeit noch zu tun?

Teilnehmer und Betreuer stellen sich vor

Vorbereitung und empfohlene Ausrüstung

Kurzinformation weiterer Deutschlandläufe

Eintreffen der Mannschaft am Kap Arkona auf Rügen

1. Etappe: Kap Arkona nach Stralsund – 68,0 km

2. Etappe: Stralsund nach Stavenhagen – 86,0 km/154,0 km

3. Etappe: Stavenhagen nach Pritzwalk – 94,2 km/284,2 km

4. Etappe: Pritzwalk nach Tangermünde – 77,7 km/325,9 km

5. Etappe: Tangermünde nach Schönebeck – 82,9 km/408,8 km

6. Etappe: Schönebeck nach Eisleben – 60,0 km/468,8 km

7. Etappe: Eisleben nach Sömmerda – 72,0 km/540,8 km

8. Etappe: Sömmerda nach Ilmenau – 76,0 km/616,8 km

9. Etappe: Ilmenau nach Trappstadt – 62,0 km/678,8 km

10. Etappe: Trappstadt nach Prosselsheim – 94,7 km/773,5 km

11. Etappe: Prosselsheim nach Assamstadt – 85,2 km/858,7 km

12. Etappe: Assamstadt nach Untereisesheim – 64,2 km/922,9 km

13. Etappe: Untereisesheim nach Renningen – 72,0 km/994,9 km

14. Etappe: Renningen nach Horb a. N. – 56,3 km/1051,2 km

15. Etappe: Horb a. N. nach St. Georgen – 57,4 km/1108,6 km

16. Etappe: St. Georgen nach Feldberg – 55,0 km/1163,6 km

17. Etappe: Feldberg nach Lörrach – 62,0 km/1225,6 km

Der Tag des Abschieds und der Siegerehrung

Ergebnisse des DL98

Das war der DL98

Wie gesund ist der Ausdauersport?

Weitere Fragen

Pressearbeit

Presseecho

Sprüche rund ums Laufen

Schlusswort

Noch etwas Persönliches und Bilanzen

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit habe ich durchgängig die männliche Anrede verwendet, die selbstverständlich die weibliche mit einschließt.

Das vorliegende Buch wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr.

Vorwort

von Dr. med. Christoph Wenzel

Arzt für Arbeitsmedizin, Sportmedizin, Öffentliches Gesundheitswesen, Verkehrsmedizin. Sportmedizinische Veröffentlichungen (zu Laufen und Gesundheit sowie zur Trainingsgestaltung)

„Ich bin in 14 ½ Tagen 1.100 km durch Deutschland gelaufen und sollte vor Freude tanzen, bin aber nur müde und kann mich gar nicht richtig freuen. Was ist los mit mir?“

1993 bekam ich als Arzt und Ultra-/Marathonläufer diese Frage von Ingo Schulze. Er war sehr interessiert, warum der Körper nach einem solchen Mehrtages-Ultralauf zunächst mit einer Erschöpfungsdepression reagiert. Seitdem haben wir immer wieder Kontakt zu interessanten Fragen der Sportmedizin im Ultramarathonlauf.

Der erfahrene Ultraläufer Ingo organisierte 1998 seinen ersten Deutschlandlauf. Er war mit monatelanger Vorbereitung aktiv, um eine gut markierte Strecke, Verpflegung und Unterkünfte für die Aktiven bereitzustellen.

Lauftouren von drei Tagen zu organisieren, bringt schon Arbeit mit sich. Wie viel mehr Zeit hat Ingo bei seinen Deutschlandläufen und Trans-Europaläufen investiert?!

Der Organisator von „Ingo-Tours“ wusste ziemlich genau aus eigener Erfahrung, wie sich die Aktiven nach vielen ultralangen Etappen fühlen. Als medizinischer Berater im Hintergrund gab es für mich einige spannende Fragen.

Mit Begeisterung habe ich die tollen Berichte über die Multiday-Läufe auf Ingos Homepage gelesen. Eine perfekte Öffentlichkeitsarbeit! Diese Berichte habe ich später in Bücher gefasst, die auf der Homepage des „100 Marathon Club Deutschland“ frei verfügbar sind.

Ingo hat als Pionier des Multiday-Ultramarathons einen einmaligen Organisations-Standard erarbeitet, der läufergerecht funktional und liebevoll gemacht ist.

Ingo wurde für diesen Einsatz 2009 mit der Ehrenmitgliedschaft in der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung (DUV) gewürdigt.

Einleitung

Von 1998 bis 2018 wurden von mir 18 Mehrtagesläufe veranstaltet. Diese bewegten sich zwischen 6 und 64 Tagen. Hinzu kamen etwa 40 Volks- und Stadtläufe. Als ich mich entschloss, den ersten Deutschlandlauf ins Leben zu rufen, war mir kurz darauf mulmig zumute und immer wieder traten Zweifel an der Durchführung auf. Es sollte andererseits so etwas wie mein Lebenswerk werden. Es war der „DL981“. Immer wieder waren Gedanken im Spiel, die mir Mut machten, diesen Lauf ins Leben zu rufen. Irgendwann musste aber eine Entscheidung gefällt werden.

Ein Laufkollege wollte den Lauf gemeinsam mit mir auf die Beine stellen. Leider kam eine echte Partnerschaft nie zustande, denn der vermeintliche Partner meldete sich schließlich als Teilnehmer. Nun war ich mutterseelenallein und stand vor einem Berg Arbeit, von dem ich zunächst meinte, ihn nicht allein bewältigen zu können. Zu dieser Zeit gab es nur wenig Lektüre über Läufe dieser Art und es musste bei Adam und Eva angefangen werden. Ich hatte auch schon Ausgaben getätigt und einige Läufer hatten bereits ihr Interesse bekundet. Es gab kein Zurück mehr.

Was etwas weiterhalf, war das 318-seitige Buch von Prof. Dr. med. Klaus Jung. Unter wissenschaftlichen Aspekten hatte er den Deutschlandlauf 1987 organisiert. Aus seinem Werk konnte ich einiges für meine Vorbereitungen verwerten. Am interessantesten waren aber die vielen Adressen seiner Teilnehmer – die Möglichkeiten, an Läuferdaten heranzukommen, waren zu dieser Zeit schwierig. Nach und nach schrieb ich die meisten von ihnen an, um sie für den DL98 zu gewinnen.

Im Vorfeld des DL98 galt es, Schwierigkeiten und Probleme zu bewältigen, und vieles war aufgrund fehlender Technik komplizierter als gedacht. Nun befand ich mich mittendrin in diesem Strudel. Wir schreiben inzwischen das Jahr 2023 und auch die heutigen Veranstalter haben es nicht leicht. Es sind aber andere Probleme als die, mit denen ich mich 1998 herumschlug. Seit Februar 2020 beschäftigt uns Corona und seit März 2022 der Krieg in der Ukraine. Die Anmeldungen, die sich der Veranstalter erhofft, kommen nur zögerlich. Auf der anderen Seite können es die Laufenthusiasten kaum erwarten, dass sie endlich wieder ihre Leistungen beim Wettkampf unter Beweis stellen dürfen.

Weit über 40.000 Läufer nahmen 2022 am Berlin-Marathon teil. Die Fußballstadien sind inzwischen wieder bis auf die letzten Plätze besetzt und Rockfestivals und ähnliche Veranstaltungen sind besucht wie selten zuvor. Flüge sind ausgebucht und in Restaurants muss man zeitig reservieren, während in medizinischen Einrichtungen weiterhin Mundschutz getragen werden muss. Gerade der Ukrainekrieg hat bei alldem die Lebenshaltungskosten hochschnellen lassen, sodass ein Veranstalter vorausschauend kalkulieren muss, getreu dem Motto: „In dieser Zeit und in der Zukunft wird nichts billiger.“ Insgesamt blickte man 2022 wieder etwas optimistischer in die Zukunft. Nach nahezu drei Jahren verliert Corona allmählich seine Schrecken und das normale Leben kehrt wieder ein.

Meine Kalkulation war 1998 völlig daneben, denn 850 DM Startgeld waren einfach zu wenig. Auf Sponsorengelder konnte ich damals kaum hoffen – heute verhält es sich ähnlich. Wenn es gut läuft, gibt es ein paar Luftballons, Kugelschreiber oder Ähnliches für die Läufer. Spendiert eine Brauerei einige Kisten Getränke, dann kann der Veranstalter schon sehr zufrieden sein.

An den Start gingen schließlich 22 Teilnehmer, was ein Budget von 18.700 DM ausmachte. Das war für mich als Neuling im Veranstaltergeschäft zunächst viel Geld und die Freude war groß über so eine gewaltige Summe, die auch meinem Girokonto gutgetan hätte. Später konnte ich feststellen, dass mir ein tiefblaues Auge erspart geblieben war. Oftmals musste geknausert werden und für die Veranstaltung war es ein Segen, dass einige Rathäuser an den Etappenzielen die Hallengebühr übernahmen. Sogar die Kosten für das Abendessen wurden zwei Mal erlassen.

Trotz aller Probleme, egal ob 1998 oder bei später durchgeführten Läufen, darf man als Veranstalter nicht klagen, denn niemand zwingt ihn dazu, sich solchen Aufgaben zu stellen. Aber die Teilnehmer sollten froh sein, dass es noch einige Idealisten gibt, die vieles auf sich nehmen und es sogar gern tun. Es sollte auch anerkannt werden, dass ein Veranstalter in jeder Beziehung ein großes Risiko eingeht, schließlich ist er für seine Läufer und die Betreuer verantwortlich.

Bei einem Mehrtageslauf sollte der Veranstalter unbedingt abwägen, ob er wirklich jeden gemeldeten Teilnehmer auf die Strecke schickt. Kennt er den ein oder anderen näher und weiß von negativen Verhaltensweisen oder einem möglicherweise kritischen Gesundheitszustand, so kann es problematisch sein, wenn während des Laufs die Situation X eintritt. In dem Fall muss sich der Veranstalter vielen kritischen Fragen stellen!

Nach 21 Jahren bin ich im Jahr 2018 als Veranstalter ausgestiegen. 18 Mehrtagesläufe habe ich erfolgreich beendet. Trotz mancher Hürden und Schwierigkeiten juckt es mir aber immer noch in den Fingern, ein weiteres Event auf die Beine zu stellen. Doch irgendwann muss Schluss sein und ich freue mich, dass es Nachfolger meines Schaffens gibt. Ihnen kann ich nur alles Gute wünschen.

Es wäre vom Veranstalter in die falsche Richtung gedacht, wenn er meint, dass sich ihm die Teilnehmer vor lauter Dankbarkeit vor die Füße werfen. Natürlich sind sie dankbar und sie zeigen es gelegentlich auf die eine oder andere Art. Trotz aller Dankbarkeit kommt es jedoch vor, dass Teilnehmer während des Rennens auch mal toben. Hier ist nicht nur vom Veranstalter Einfühlungsvermögen gefragt, auch die Betreuer sollten sich angesprochen fühlen. Es stellt sich doch die Frage: Warum rastet jemand aus, der gestern noch so umgänglich war? Vor Gefühlsausbrüchen und Stimmungsschwankungen sind aber auch Betreuer und der Veranstalter nicht gefeit. Wir sind schließlich alle nur Menschen! Nein, niemand ist schuld, wenn ein Teilnehmer neben der Spur ist. Er hat sich verlaufen, eine Blase macht ihm zu schaffen, es regnet, er wurde von einem Autofahrer angepöbelt, ein Mitläufer will ihm zum hundertsten Male die gleiche Geschichte erzählen. Die Liste ließe sich bis ins Unendliche fortführen. Irgendwann geht einem der Hut hoch.

1 „DL98“ steht für „Deutschlandlauf 1998“.

Etwas über meine eigene „Laufkarriere“

1973 trat ich meinen Dienst bei der Bundeswehr an. Ganze zwölf Jahre habe ich gedient, und hier begann meine „Karriere“ als Langstreckenläufer. Während der Grundausbildung stand ein 5000-Meter-Lauf auf dem Dienstplan. Mir war mulmig zumute, denn so eine lange Distanz war ich bis zu dem Zeitpunkt noch nie gelaufen. Es hieß also, auf der Laufbahn des Sportplatzes das 400-Meter-Oval zwölfeinhalb Mal zu durchlaufen, um auf die unvorstellbare Strecke von 5000 Metern zu kommen. Meine Überraschung und die Freude waren groß, als ich die Strecke in weniger als 23 Minuten schaffte. Mit dieser Zeit war ich einer der Besten meiner Gruppe. Den Rückweg vom Sportplatz zur Unterkunft legte ich stolz, gleichzeitig aber auch mit wackeligen Beinen zurück. Dort angekommen, brauchte ich eine kleine Pause, anschließend war Stubendurchgang. Das Wochenende stand bevor und ich wollte es mir nicht mit einem Dienst als GvD2 verderben. Bis dahin mussten mein Bettenbau und der Spind wieder picobello zum Appell bereit sein.

Als bis dahin absoluter Sportmuffel begann ich bereits wenige Tage später mit vollem Elan mit dem Lauftraining und steigerte mich fortan. Im Mai 1978 fand dann mein erster 10-Kilometer-Lauf in Hamburg statt. Dieser war der Beginn einer langjährigen Karriere als Ultramarathonläufer. Im Zieleinlauf sollte schon beinahe ein Sauerstoffzelt für mich zur Verfügung gestanden haben. Aber ich war glücklich und stolz, diese Distanz ohne Pause durchgestanden zu haben. Noch im selben Monat nahm ich einen 20-Kilometer-Lauf in Horneburg bei Hamburg in Angriff. Meine Vorgesetzten, die Familie und einige Nachbarn staunten nicht schlecht und fragten mich, woher ich diese Energie nehme.

Aufgrund der vielen anerkennenden Worte fühlte ich mich angefeuert, einen Marathonlauf in Angriff zu nehmen. Das Wort „Marathon“ hatte ich bis dahin nicht aussprechen mögen. Es hatte etwas Mythisches. Meine Familie zeigte sich skeptisch, denn bei meinen bisherigen wenigen Läufen war ich jedes Mal kurz vor dem Letzten, dem „Laternenträger“, gewesen. Dieser bildet das Schlusslicht eines Laufes. Kurz dahinter hatte uns das Fahrzeug mit dem „Lumpensammler“ angetrieben. War die Sollzeit überschritten, hieß es Einsteigen und das Rennen war vorzeitig beendet.

Im Oktober lief ich meinen ersten Marathon in Hamburg-Neugraben in einer Zeit von 3:47: 01 Stunden. Nach diesen 42,195 Kilometern war ich so fertig, dass ich nur mit äußerster Mühe als Beifahrer in den VW-Käfer meines Nachbarn steigen konnte. Die vier Kilometer nach Hause waren die Hölle und ich wusste nicht, wie ich in diesem engen Auto sitzen sollte. Die nächsten zwei Tage lief ich die Treppe rückwärts hinauf. Wenn mir etwas herunterfiel, so gelang es mir nur mit sehr viel Mühe, und lediglich ein „eiserner Wille“ half mir, mich zu bücken. Mich wieder aufzurichten, war ebenso mühsam. Ich nannte mich selbst später auch den

„Ultraschlappschrittläufer mit der Beweglichkeit einer Eisenbahnschwelle“

Nun war ich voller Stolz Marathonläufer. Mehr ging erst einmal nicht. Viele weitere Marathonläufe sollten folgen. Zu dieser Zeit ahnte ich noch nicht, wie meine Zukunft als Läufer aussehen würde.

Bereits kurze Zeit später packte mich der Ehrgeiz, noch längere Strecken zu laufen. Es folgten 100-Kilometer-Läufe, 12- und 24-Stunden-Läufe und schließlich auch Mehrtagesläufe.

Mit Recht, so denke ich, war ich später ein ziemlich guter und ausdauernder Langstreckenläufer, wenn ich auch nie zur Spitze gehörte. Daher nahm ich beim Start meinen Platz stets in der zweiten Reihe ein. So stand ich niemandem im Weg und fand nach dem Startschuss schnell die geeignete Position. Für mich und für andere war es immer ein wenig ärgerlich, wenn sich langsame Läufer beim Start vorn einreihten, um dann nach wenigen Kilometern den nachfolgenden Läufern vor den Füßen herumzutanzen. Der Grund war sicherlich, dass sie mit auf das Startbild wollten, das dann möglicherweise in der Zeitung veröffentlicht wurde, oder man wollte der Familie imponieren. Bleiben wir bei meiner Bescheidenheit. In meinen 36 Jahren als aktiver Wettkämpfer brachte ich es auf 42 Marathons und 87 Ultraläufe. Mit 129 anerkannten Läufen bin ich in der Statistik des Hamburger „100 Marathon Club Deutschland e.V.“3 gerade mal im letzten Drittel zu finden. Ich war aber auch nie ein „Marathonsammler“. „Sammler“ waren zum Teil schon beinahe süchtig, ihre Statistik zu pflegen. Einige Läufer absolvierten zwei Marathons an einem Wochenende, den sogenannten „Doppeldecker“. Andere hatten das Ziel, über 100 Marathons in einem Jahr zu laufen. Ich habe alle meine Trainings- und Wettkampfkilometer festgehalten und komme mit Stand 2014 auf 156.000 Kilometer. Auch meine Gesamtanzahl an Wettkämpfen fällt eher bescheiden aus. Es sind nur 386 Wettkämpfe aller Art, Volksläufe eingeschlossen.

In der Statistik über meine 129 Läufe sind meine beiden Deutschlandläufe, die ich 1983 und 1993 in jeweils 17 Tagen im Alleingang lief, nicht eingeschlossen. Hinzu kommen meine Partnerschaftsläufe, die ich von meinem neuen Heimatort Horb am Neckar, in dem ich seit 1985 wohne, aus startete. 1995 lief ich nach Salins-les-Bains/F über 353 Kilometer in 58:55 Stunden. 1996 nach Haslemere/GB über 856 Kilometer in 7 Tagen und 4 ½ Stunden. Es folgten weitere Läufe im Alleingang. Diese konnten nicht anerkannt werden, zumal es keine Wettkämpfe waren. Für einen Wettkampf müssen mindestens drei Läufer am Start sein. Meine außerordentlichen Läufe waren auch nicht als Wettkämpfe gedacht. Es waren lediglich Freundschaftsläufe zu den Horber Partnerstädten. Ich war also einsam und ohne Rivalen unterwegs und konnte mir mein tägliches Laufpensum selbst einteilen.

Es ist nicht so, dass ich zu faul war, an möglichst vielen Wettkämpfen teilzunehmen, oder es mir nicht leisten konnte. Nach einem erfolgreichen Lauf, egal über welche Distanz, waren für mich Ruhe und Regeneration angesagt. Mein Ziel war es stets, persönliche Bestzeiten zu laufen. Jeder Lauf wurde von mir später analysiert, denn es galt herauszufinden, warum es gut gelaufen war oder warum nicht. Wahrscheinlich spielt auch der Biorhythmus eine Rolle. Es ist ein Kampf gegen die innere Uhr. Geht jemand missmutig und mit verborgenem Kummer an den Start, so wird sich das mit ziemlicher Sicherheit negativ auswirken, denn sein Kopf ist nicht frei. Es kommen daher mehrere Faktoren zusammen und der Hobbyläufer ist hier schnell überfordert. Anders ist es beim Profi, der einen eigenen Trainer hat, der sich wiederum mit der Ernährung seines Schützlings und dessen Trainingsplänen auseinandersetzt.

Einige Male nahm ich Anlauf, nach einem vorgefertigten Trainingsplan zu laufen, der von irgendwelchen Spezialisten entworfen wurde. Die wenigsten berufstätigen Läufer können das aber durchhalten, und schon nach wenigen Tagen oder gar Wochen legen sie den Plan beiseite und laufen nach ihrem Gefühl oder nach Lust und Laune. Immer wieder gern nutze ich für sie den Ausdruck „Genussläufer“. Ehrgeiz hin oder her, auch der Spaßfaktor ist mit einzuschließen. Den hat man allerdings nicht, wenn man sich einem ständigen Zwang unterwirft.

Mit dieser Zwanglosigkeit habe ich es all die Jahre gehalten. Wenn die Lust zum Trainieren fehlte, dann wurde das Training eben verschoben. Andererseits ging es mir täglich darum: Wann trainiere ich heute? Bereits morgens beim Aufstehen beschäftigte mich diese Frage. Meine Arbeit im Sicherheitswesen im Drei-Schicht-Betrieb machte es mir unmöglich, nach einem ausgefeilten Trainingsplan zu laufen. Ich arbeitete drei Tage Frühschicht, drei Tage Spätschicht und drei Tage in der Nachtschicht. Dann folgten zweieinhalb freie Tage. Wies mein Konto noch eine Freischicht auf, waren es sogar dreieinhalb Tage, die mir zur Verfügung standen. So gesehen konnte ich zu jeder Tages- und Nachtzeit laufen. Meine Frau wurde gelegentlich von Nachbarn gefragt: „Arbeitet Ihr Mann nicht?“ Klar, man sah mich schließlich zu jeder Tageszeit auf der Piste.

2 Gefreiter vom Dienst. Macht zusammen Dienst mit dem UvD, Unteroffizier vom Dienst

3 Der 100MC hat seinen Sitz in Hamburg. Als aktives Mitglied gilt, wer mindestens 100 Ultra-/Marathonläufe erfolgreich absolviert hat.

Einträge ins „Guinness-Buch der Rekorde“

Im Alleingang durch Deutschland zu laufen, wurde mit zwei Einträgen ins „Guinness-Buch der Rekorde“ belohnt.

• Leistung von 1983: 14 Tage und 4 ½ Stunden; Eintrag 1985

• Leistung von 1993: 14 Tage und 7 ½ Stunden; Eintrag 1996

Diese Zeiten wurden inzwischen längst platt gemacht. Auch hier, so denke ich, wurde Pionierarbeit bei Mehrtagesläufen geleistet.

Bei einem 12-Stunden-Staffellauf im Jahr 1981 wurde mir vor dem Start die Frage gestellt: „Wo sind denn deine Staffelmitglieder?“ Meine Antwort lautete: „Die Staffel bin ich!“ Zunächst galt ich wohl als Spinner, doch diese Einschätzung widerlegte ich innerhalb der darauffolgenden 12 Stunden.

Die Einträge ins Guinness-Buch der Rekorde:

• Ausgabe 1985 auf der Seite 331 unter „Volkssport“ und auf der Seite 251 unter „Höchstleistungen und Spaßrekorde“

• Ausgabe 1996 auf der Seite 267 unter „Topleistungen, Spaßrekorde“

Die Bezeichnung „Spaßrekorde“ will mir auch heute noch nicht so richtig schmecken. Es ist keine Überheblichkeit, aber meine Leistungen und die einiger anderer Athleten mit ähnlichen Erfolgen waren Höchstleistungen und wir sollten nicht als Gaukler hingestellt werden. Eine Spaßleistung, so meine ich, ist es, wenn jemand mit Dauerduschen oder Kirschkernweitspucken ins Guinness-Buch kommen will, um ein „Rekordler“ zu werden. So manche „Höchstleistung“ empfinde ich als fragwürdig. Am schlimmsten sind meiner Meinung nach die „Leistungen“ im Zusammenhang mit Fressorgien. Aber da gehen die Meinungen wohl auseinander und es fehlt mir an der nötigen Toleranz.

Planung und Vorbereitung

Der Entschluss stand fest: „Ein Lauf durch Deutschland!“

Im Mai 1997 erkundeten meine Frau Inge und ich die von mir geplante Strecke. Navigationsgeräte – kurz: Navis, wie wir sie heute kennen – gab es noch nicht. Dabei handelt es sich um Geräte mit einfacher Handhabung, die ohne aufwendiges Fachwissen bereits nach kurzer Zeit bedient werden können. Navis waren wohl schon seit 1989 für Fahrzeuge auf dem Markt, knapp ein Jahrzehnt später waren sie jedoch für die meisten Autofahrer immer noch Neuland.

Es bereitete uns einige Mühe, nicht nur die geeignete Strecke laut meiner Vorplanung zu finden, sondern auch die Kilometer festzuhalten. Mit heutigen Navigationsprogrammen von Komoot, AllTrails, Google Maps und anderen wäre vieles einfacher gewesen. Immer wieder mussten wir mit dem Auto anhalten und aus den unterschiedlichsten Gründen zurückfahren, um dann wieder nachzurechnen. Die Anschaffung eines Taschenrechners hatte sich gelohnt. Nach gut einer Woche stand die Strecke fest und wir kamen auf 1.225 Kilometer.

Die Strecke unterteilten wir in 17 Etappen, was eine durchschnittliche Tagesleistung von 72 Kilometern ergab. Später frotzelte man immer wieder über „Ingo-Kilometer“. Heute ist eine Uhr mit integriertem GPS-Normalität. Die erste Uhr dieser Art ist seit 1999 auf dem Markt und wurde von der Firma CASIO entwickelt. Bei späteren Veranstaltungen hielt man mir gern die GPS-Uhr unter die Nase, wenn man glaubte, dass zu viele Kilometer gelaufen worden waren. Waren es weniger, hüllte man sich gern in Schweigen.

Immer mehr Veranstalter verzichten inzwischen auf eine Streckenmarkierung und lassen die Läufer nach ihrer GPS-Uhr oder ihrem Smartphone laufen. Haben drei Läufer ein Navi und sie vergleichen die Daten im Ziel, so stellen sie womöglich geringe Differenzen fest. Das hat verschiedene Ursachen und liegt in den seltensten Fällen an der jeweiligen Uhr. Eine Erklärung könnte beispielsweise der Laufstil des Trägers sein. Wechselt er häufig die Straßenseite oder muss er alle paar Kilometer hinter den Büschen verschwinden, dann läuft er tatsächlich eine größere Strecke als seine Konkurrenten.

Für den Veranstalter stellt diese Umstellung, die Strecke nicht mehr markieren zu müssen, eine große Entlastung dar. Aber was macht der Navi-Nutzer, wenn die Technik nicht mitspielt? Der Zielpunkt ist ausgewählt, die Navigation wurde gestartet und das Smartphone befindet sich in der Hosentasche. Nun könnte es losgehen, doch statt der gewohnten Richtungsansage meldet sich das Navi mit den Worten: „GPS verloren“. Was ist schiefgelaufen? Eigentlich sind heutige Geräte sehr gut und sie empfangen auch viele Satelliten. Dennoch ist immer wieder zu hören, das GPS-Signal sei sehr fragil. Gerade in der Stadt könne es zu Störungen kommen. Die Satelliten, die das Smartphone in den engen Straßen erreichen kann, liegen dicht beieinander und hohe Gebäude stören das Signal. Die Folge ist, dass die Karten-App die Signale falsch berechnet. Der Punkt, der den eigenen Standort markiert, springt auf der Karte zwischen den Straßen hin und her.

Normalerweise scannt das Smartphone zur groben Standortbestimmung zuerst die WLAN-Signale in der Umgebung und gleicht diese mit einer Datenbank ab. Das funktioniert auf ein paar Meter genau. Dann greift das Smartphone auf die Satelliten zurück. Mindestens vier davon braucht es, um die Position zu bestimmen. Moderne Smartphones nutzen mindestens neun Satelliten. Deshalb hat man den besten Empfang unter freiem Himmel.

Ein weiteres Problem kennen vor allem Touristen und Menschen, die sich in einer fremden Stadt erst zurechtfinden müssen. Sie steigen aus dem Bus oder der U-Bahn, blicken auf die Karte und wollen wissen, in welche Richtung sie gehen müssen. Nur die Richtungsanzeige auf der Karte stimmt nicht. Erst durch Drehen des Smartphones zeigt der Pfeil wieder in die richtige Richtung. Im Stillstand zeigt das GPS keine Richtung an. Dazu bedarf es mindestens Schrittgeschwindigkeit.

Es wurde Zeit, dass ich meine Checkliste durchging:

Verkehrsrechtl. Anordnung

durchgearbeitet und hoffentlich okay

Urkunden vorbereitet

okay

Pokale

sind angekommen

Startnummern

okay

Alle Etappenziele okay

Einige haben ein Programm geplant.

Abendessen

überall gesichert

Sponsoren

überall berücksichtigt

Gepäckfahrzeug

kann vom Verleiher abgeholt werden

Ärzteliste, Etappenziele

Ärzte- und Krankenhausadressen

Teilnehmer und Betreuer

wurden ein letztes Mal informiert

Equipment überprüft

laut Liste okay

Letzten Einkauf vorbereiten

Frühstück und Streckenverpflegung

Bargeld und EC-Karte

okay

Alle Daten beisammen

Telefonlisten, Adressen etc.

Es folgt das 26-Punkte-Programm für meine Überlegungen im weiten Vorfeld in ungeordneter Reihenfolge. Die Liste muss nicht vollständig sein und könnte verlängert werden. Anfangs ging ich noch von einem Partner aus und habe ihn daher im weiten Vorfeld in meiner Planung zunächst mitberücksichtigt:

01. Gestalten und Pflegen einer Webseite

02. Wie weit wird die Entfernung des Laufes geschätzt? Danach die Tagesetappenlängen festlegen

03. Bei Berechnung des Startgeldes ist zu berücksichtigen, was den Läufern geboten wird. Ein All-inclusive-Paket, also: Frühstück, Streckenverpflegung alle 8 bis 12 Kilometer, Abendessen, Gepäcktransport etc.?

04. Wer leitet das Unternehmen, wenn als Team organisiert wird? Bei demjenigen laufen die Fäden zusammen.

05. Teilnehmerwerbung: Wie viele Läufer sollten zugelassen werden? Dabei sind die Möglichkeit des Gepäcktransportes und der zur Verfügung stehende Platz in den Hallen/Unterkünften sowie die Bewirtung zu berücksichtigen.

06. Pflegen der Datenbanken und sonstigen Übersichten

07. Erstellen einer Satzung und FAQ

08. Anmeldebögen und Fragebögen erstellen

09. „Verkehrsrechtliche Anordnung“ zeitig beantragen

10. Wie wird der Lauf heißen?

11. Ist ein Logo sinnvoll? Legt der Veranstalter Wert darauf?

12. Veranstaltungskonto eröffnen

13. Welches Datum wäre der richtige Zeitpunkt für den Start?

14. Von wo bis wo wird die Strecke verlaufen?

15. Erstellen der Ausschreibung

16. Kostenplan erstellen

17. Sponsorensuche

18. Anschreiben der Etappenziele: Unterkunft, Unterstützung beim Abendessen und ggf. beim Frühstück. Ansonsten müsste das Frühstück von den Betreuern zubereitet werden. Etappenziele sorgen eventuell auch für die Aufmerksamkeit der regionalen Medien und für das Rahmenprogramm.

19. Pressemappen/Informationsschreiben erstellen

20. Versicherungen, Verbindung zum Finanzamt, Rathäusern und zur Straßenverkehrsbehörde

21. Gepäckfahrzeug

22. Ausrüstungsplan erstellen

23. Start- und Zielgerüst und Banner

24. T-Shirts, Pokale, Urkunden und Erinnerungsgaben

25. Wer tätigt den Einkauf für Streckenverpflegung und Frühstück?

26.