Die Devaneys - fünf Brüder finden sich und die große Liebe - Sherryl Woods - E-Book

Die Devaneys - fünf Brüder finden sich und die große Liebe E-Book

SHERRYL WOODS

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Beschreibung

Fünf Brüder, die in der Kindheit auseinandergerissen wurden, finden wieder wieder zusammen als sie ihre Liebe entdecken...

GLAUB WIEDER AN DIE LIEBE

Diesem Mann muss geholfen werden, findet Temperamentsbündel Maggie. Dass Ryan Devaney sie kühl abblitzen lässt, entmutigt sie nicht. Es wäre ja gelacht, wenn sie ihm nicht beweisen kann, wie wunderschön das Leben, wie großartig die Liebe sein kann! Und wenn Maggie sich etwas in den Kopf setzt, dann erreicht sie es auch. Zumindest bis jetzt …

WUNDER GESCHEHEN

Erst hat er Deanna aus den Flammen gerettet, dann hat er ihr finanziell geholfen. Und als Feuerwehrmann Sean Devaney die alleinerziehende Mutter in dem Restaurant besucht, in dem sie jobbt, küsst er sie auch noch heiß! Plötzlich ist Sean mehr als Deannas Held: Er ist der Mann, in den sie sich verliebt hat - und der doch angeblich nicht an die Liebe glaubt …

MICHAELS RÜCKKEHR

Arbeit und Privatleben trennt die hübsche Physiotherapeutin Kelly Andrews grundsätzlich - bis sie sich bereit erklärt, Exoffizier Michael Devaney zu behandeln. Denn wenn sie sein verletztes Bein berührt, scheint die Welt den Atem anzuhalten. Als warte sie nur darauf, dass Michael und sie sich endlich zu ihren zärtlichen Gefühlen bekennen …

DAS GEHEIMNIS DER DEVANEYS

Alice weiß, das gibt es nur einmal auf der Welt! Einen Mann sehen und die Magie des Augenblicks spüren: Patrick Devaney, groß, breitschultrig und mit einer faszinierend-düsteren Ausstrahlung. Sie will ihn! Bei einem Treffen auf seinem Hausboot geht Alice aufs Ganze - allerdings ohne Erfolg! Patrick küsst sie zärtlich, streichelt sie sanft, aber vor dem letzten Schritt scheut er zurück. Niedergeschlagen zweifelt Alice schon an ihrer Anziehungskraft. Sie ist fest entschlossen, Patrick zu vergessen. Erst als sie von einer Freundin erfährt, dass Patrick sie liebt, aber glaubt, sich niemals binden zu können, keimt Hoffnung in Alice auf. Das dunkle Geheimnis der Devaneys wird ihr Glück nicht zerstören!

VIER JAHRE VOLLER SEHNSUCHT

Er war ihre große Liebe: Daniel Devaney! Doch in den schmerzlichsten Stunden ihres Lebens ließ er sie im Stich. Für Molly gab es nur eine Lösung: Trennung! Vier Jahre sind seitdem vergangen. Konnte die Zeit alle Wunden heilen? Als Danie in Mollys Restaurant als Anwalt Recherchen anstellen muss, sehen sie sich das erste Mal wieder. Wie damals überwältigt sie die Leidenschaft - nach wie vor sehnt sich Molly nur nach diesem attraktiven Mann. Daniel scheint es umgekehrt nicht anders zu gehen - seine stürmischen Küssen sprechen Bände. Obwohl Mollys Herz lichterloh brennt, zögert sie, dem Glück mit Daniel eine zweite Chance zu geben ...

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Seitenzahl: 987

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Sherryl Woods

Die Devaneys - fünf Brüder finden sich und die große Liebe

IMPRESSUM

Glaub wieder an die Liebe erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© by Sherryl Woods Originaltitel: „Ryan’s Place“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCABand 1398 - 2004 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Jutta Nickel

Umschlagsmotive: CoffeeAndMilk /iStock

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733776824

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Ryan Devaney hasste Feiertage. Nicht nur, dass sie ihm einen schlechten Umsatz bescherten. Die wenigen Gäste, die an Feiertagen den Weg in seinen Pub in Boston fanden, waren für gewöhnlich genauso deprimiert wie er. An diesen Tagen plärrte die Jukebox nur die schwermütigsten Lieder, was ihn sicher zu Tränen gerührt hätte, wenn er sich die Heulerei nicht schon vor langer Zeit ein für alle Mal abgewöhnt hätte. Thanksgiving war bei Weitem der schlimmste von allen Feiertagen. All die bittersüßen Erinnerungen … Und es sah nicht danach aus, als ob sich das ausgerechnet in diesem Jahr ändern sollte.

Die klare Winterluft roch nach Schnee. In der Küche des Pubs stand der Koch und buk ein paar Dutzend Kürbiskuchen, von denen Ryan einen Teil in die Obdachlosenunterkunft bringen würde. Der andere Teil sollte den Gästen serviert werden, die am nächsten Tag in seinem Pub eine einsame Mahlzeit zu sich nehmen wollten. Ryan konnte sich dunkel daran erinnern, dass ihm der Duft aus der Küche früher einmal glückliche Augenblicke beschert hatte, aber das gehörte längst zur Vergangenheit. Seit mehr als zwanzig Jahren gab es in seinem Leben nichts mehr, wofür er dankbar zu sein hätte.

Kaum schoss ihm dieser Gedanke durch den Kopf, als er auch schon innehielt. Pater Francis – der Pfarrer, der es offenbar als seine persönliche Mission betrachtete, Ryans Seele zu retten – würde ihm gehörig die Leviten lesen, sollten solche Seufzer jemals an sein Ohr dringen. Die Kirche des Pfarrers lag nur ein paar Häuserblocks von dem Pub entfernt, und seine Gemeinde profitierte beträchtlich von Ryans Großzügigkeit. Pater Francis hielt wenig von Ryans Neigung, an Feiertagen regelmäßig in Selbstmitleid zu versinken.

„Du hast ein Dach über dem Kopf. Du hast Geld in der Tasche und eine warme Mahlzeit im Bauch“, hatte Pater Francis ihn schon mehr als einmal gerügt. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Dein Geschäft blüht und gedeiht. Und du hast Kunden, die sich auf dich verlassen. Es hängt von dir ab, ob unzählige andere Menschen ein Dach über dem Kopf haben und etwas zu essen bekommen oder nicht. Und sie wissen es noch nicht mal. Wie kannst du da behaupten, dein Leben wäre trostlos? Ich schäme mich für dich, Ryan Devaney. Ich schäme mich zutiefst.“

Es war fast so, als hätte Ryans Grübelei den Pfarrer herbeibeschworen, denn plötzlich rutschte Pater Francis auf einen leeren Hocker an der vollen Bar. Wie gewöhnlich musterte er Ryan aufmerksam. „Wieder mal völlig in Gedanken versunken, was?“

Der missbilligende Unterton ließ Ryan innerlich zusammenzucken. Trotzdem freute er sich, dass er in der Stimme des weißhaarigen Mannes immer noch einen leisen Akzent hören konnte, der die irische Herkunft des Geistlichen verriet. „Was für ein kalter, frostiger Winterabend“, meinte Ryan irritiert. „Was kann ich für dich tun?“

„Eine Tasse Irish Coffee wäre schön, wenn’s nicht zu viele Umstände macht. Der Wind peitscht ziemlich scharf um die Ecken, und meine müden, alten Knochen vertragen das nicht mehr so gut wie früher.“

„Für dich ist mir keine Mühe zu viel“, gab Ryan ehrlich zurück. So sehr er sich auch manchmal über den Pater ärgerte, er verdankte ihm sein Leben. Pater Francis hatte ihn aus tiefer Verzweiflung gerissen und ihm so manchen Ärger vom Hals gehalten. Er hatte ihm den Weg geebnet, der ihn schließlich hierher geführt hatte. In sein eigenes Geschäft anstatt in die Gefängniszelle. „Warum sitzt du nicht gemütlich vor dem Kaminfeuer?“

„Ich war unterwegs zum Obdachlosenheim. Heute Abend ist eine neue Familie eingetroffen. Kannst du dir etwas Schlimmeres vorstellen, als ausgerechnet am Abend vor Thanksgiving zum ersten Mal in eine Obdachlosenunterkunft eingeliefert zu werden? Jede Familie brät einen Truthahn, backt Kürbiskuchen und dankt für die Gaben, die der Herr im Himmel ihnen zuteilwerden ließ.“

Ryan warf ihm einen scharfen Blick zu. Es lag genau siebzehn Jahre zurück, dass Pater Francis ihn am Abend vor Thanksgiving nach St. Mary’s geholt hatte. Hungrig, verängstigt und mutterseelenallein. Damals war er fünfzehn Jahre alt gewesen und hatte einen unbändigen Hass auf die ganze Welt. Um ein Haar hätte man ihn wegen eines Raubüberfalls auf einen kleinen Supermarkt festgenommen, aber Pater Francis war es gelungen, die Polizisten auf dem Revier sowie den tobenden Ladenbesitzer gnädig zu stimmen.

„Nein. Ich kann mir nichts Traurigeres vorstellen“, bestätigte er kurz angebunden. „Niemand weiß das besser als du. Was willst du von mir?“

Der Pfarrer lächelte verschmitzt und zwinkerte ihm zu. „Nichts Besonderes. Sprichst du morgen mit ihnen? Deine Geschichte ermutigt eine Menge Leute in der Nachbarschaft. Wenn ihnen zu Ohren kommt, was du unter schwierigsten Umständen auf die Beine gestellt hast, werden sie wieder Hoffnung schöpfen.“

„Wahrscheinlich erwartest du, dass ich wenigstens einem von ihnen Arbeit geben kann“, fügte Ryan resigniert hinzu.

„Einem … oder beiden. Soweit ich gehört habe, ist die Mutter eine ausgezeichnete Köchin. Hast du mir nicht erzählt, dass ihr in der Küche knapp besetzt seid?“, fragte Pater Francis unschuldig. Hastig fuhr er fort, bevor Ryan ihm ins Wort fallen konnte. „Und da jetzt die Feiertage und die Ferien vor der Tür stehen, wirst du alle Hände voll zu tun haben mit den Leuten, die nach dem Einkaufen bei dir einkehren, um sich ein bisschen aufzuwärmen. Ein paar Firmen hier in der Gegend würden ihre Weihnachtsfeier bestimmt gern in deinem Pub abhalten, stimmt’s? Vielleicht könntest du einen zusätzlichen Kellner ganz gut gebrauchen, wenigstens über Weihnachten und Silvester.“

„Kein Problem, einen Kellner extra einzustellen. Und die Frau, kann sie Corned Beef zubereiten? Kohlsuppe? Irish Stew? Kann sie Brot backen?“, fragte Ryan.

Der Pfarrer fühlte sich sichtlich unwohl. „Wär’s nicht langsam mal Zeit für ein bisschen Abwechslung?“ Er zog die hellgrün eingeschweißte Speisekarte vom Tresen und tippte mit dem Zeigefinger auf die Vorspeisen. Es waren immer noch dieselben wie damals am St. Patrick’s Day vor neun Jahren. Sogar die Tagesgerichte hatten sich nicht verändert. „Reichlich langweilig, findest du nicht?“

„Wir sind hier in einem irischen Pub“, erinnerte Ryan ihn trocken. „Und meine Gäste möchten sich gern darauf verlassen, dass sie Fish and Chips am Freitag und Irish Stew am Samstag bekommen.“

„Wer weiß, vielleicht haben es die Leute auch satt, dass du ihnen immer das Gleiche auftischst. Versuch’s doch mal mit ein paar feurigen Gewürzen. Das bringt Abwechslung in deine langweilige Speisekarte.“

Feurige Gewürze? Entsetzt musterte Ryan die Gesichtszüge des Pfarrers. „Also, was genau kann diese Frau kochen?“

„Ihre Enchiladas sollen sensationell sein“, meinte Francis begeistert.

Ryan runzelte die Stirn. „Halt. Was genau soll das heißen? Du verlangst, dass ich jemanden einstelle, der in einem irischen Pub mexikanische Gerichte kocht?“

Unwillkürlich schauderte er, als er sich vorstellte, wie sein irischer Koch die Neuigkeit wohl aufnehmen würde. Rory O’Malley würde einen Monat lang lautstark mit Töpfen und Pfannen hantieren, wenn er nicht sogar auf der Stelle kündigte. Rory mit seinem breiten irischen Akzent und seinem dicken Wanst, den er seiner Schwäche für Bier zu verdanken hatte. Ganz gewiss hatte er ein weiches Herz, aber wenn er richtig in Fahrt war, dann wütete er schlimmer als ein temperamentvoller französischer Küchenchef. Trotzdem verlief die Arbeit in der Küche reibungslos, seit Rory dort das Kommando übernommen hatte. Und deshalb hielt Ryan sich am liebsten außerhalb der Reichweite seines Küchenchefs auf und vermied alles, was ihn hätte beleidigen können.

Pater Francis gab sich aufgeregt. „Dein Restaurant wird in aller Munde sein, Ryan“, versprach er. „Als bestes Beispiel für das friedliche Zusammenleben verschiedener Völker und Kulturen.“

„Spar dir deine salbungsvollen Worte“, murmelte Ryan in sich hinein. „Schick sie übermorgen zu mir. Hoffentlich lässt sie sich schnell einarbeiten. Und in meinem Pub werden keine Tacos serviert, Ende der Diskussion. Spricht sie wenigstens Englisch?“

„Ganz ordentlich“, meinte Pater Francis mit undurchdringlicher Miene.

Ryan stöhnte verzweifelt auf. „Eigentlich sollte ich es dir überlassen, Rory die Sache beizubringen“, murmelte er.

„Rory ist ein feiner Kerl. Ein irischer Landsmann. Außerdem ist er selbst erst vor Kurzem eingewandert“, erklärte Pater Francis zuversichtlich. „Ich bin sicher, dass er einverstanden sein wird. Und er wird es zu schätzen wissen, dass man seine Küche in der Presse loben wird.“

„Aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass er die Neuigkeit nicht ganz so positiv aufnimmt, wie du es vorhersagst, dann wünsche ich dir, dass du dich in der Küche schnell zurechtfindest, Pater. Es hängt immer noch eine Schürze am Haken, auf die dein Name gestickt ist.“

„Dann lass uns beten, dass es gar nicht erst so weit kommt“, entgegnete Pater Francis und runzelte besorgt die Stirn. „Wenn ich Mrs Malloy im Pfarrhaus und Rory nicht hätte, dann müsste ich glatt vor Hunger sterben“, bemerkte er mit einem Seufzer.

Sein Blick fiel auf den Eingang des Pubs. Plötzlich hellte sich seine Miene auf. „Schau doch mal, mein Junge, wer da hereingeschneit kommt. Wenn das kein heilsamer Anblick für meine trüben Augen ist. Siehst du, deine gute Tat wird umgehend belohnt!“

Ryan drehte sich ebenfalls zur Tür. Es stimmte, der Anblick, der sich ihm bot, war wirklich bezaubernd. Eine Frau, die so wunderschön war wie sie, konnte jeden Mann im Bruchteil einer Sekunde aus seiner schlechten Laune reißen. Mit großen Augen versuchte sie, im Halbdunkel des Pubs etwas zu erkennen. Die blasse, zarte Haut war durch den scharfen Wind gerötet, und das dichte kastanienbraune Haar fiel ihr nachlässig über die Schultern. Ihre schlanken Beine steckten in Jeans und hohen Lederstiefeln, bestens geeignet, die wildesten erotischen Fantasien in einem Mann zu entfachen. Lustvoll stöhnte Ryan auf.

„Junge, wo bleiben deine Manieren?“, schimpfte Pater Francis. „Sie ist ein zahlender Gast und offensichtlich zum ersten Mal in deinem Pub. Geh hin, und begrüße sie.“

Warum nur muss der alte Kerl sich immer in alles einmischen? dachte Ryan, warf dem Pater einen säuerlichen Blick zu und durchquerte den überfüllten Pub. „Kann ich Ihnen helfen, Miss?“

„Das wage ich zu bezweifeln“, entgegnete sie grimmig. „Ich bezweifle sogar, dass die Heiligen Drei Könige persönlich mir helfen könnten.“

„Wie wär’s, wenn Sie es einen Barkeeper und einen alten Priester mal versuchen lassen?“, meinte Ryan lachend. „Würde das reichen? Oder sind Sie hier mit jemandem verabredet? Mit den meisten Stammgästen bin ich persönlich bekannt.“

„Nein, ich bin nicht verabredet. Aber wenn Sie mich jemandem vorstellen würden, der einen Autoreifen reparieren kann?“, bat sie verzweifelt. „Im Umkreis von zehn Meilen habe ich jede Werkstatt angerufen. Keine Einzige bietet einen Vor-Ort-Pannenservice an. Und alle erzählen mir wichtigtuerisch, dass morgen Thanksgiving ist. Als ob ich das nicht selbst wüsste. Mein Auto ist vollgeladen mit Lebensmitteln, und ich habe absolut keine Lust, sie verderben zu lassen, nur weil ich hier in einem Nest gelandet bin. Natürlich wird alles zu Eisblöcken gefroren sein, wenn ich nach Hause komme, aber …“

Geflissentlich unterdrückte Ryan ein Lachen. „Haben Sie keinen Ersatzreifen?“

Wenn Blicke töten könnten, hätte Ryan auf der Stelle tot umfallen müssen. „Natürlich habe ich einen Ersatzreifen. Können Sie sich nicht vorstellen, dass ich ihn längst ausprobiert habe? Ich bin doch nicht komplett bescheuert.“

„Was ist denn dann das Problem?“

„Er hat auch einen Platten. Was zum Teufel ist das blöde Ding wert, wenn es ausgerechnet dann einen Platten hat, wenn man es am dringendsten braucht?“

Ryan verzichtete darauf, sie daran zu erinnern, dass man den Ersatzreifen von Zeit zu Zeit überprüfen sollte. Der kluge Tipp kam ganz offensichtlich zu spät, und sie schien nicht in der Stimmung, sich überflüssige Ratschläge anzuhören.

„Wie wär’s damit?“, begann Ryan. „Sie setzen sich erst mal zu Pater Francis. Ich gebe Ihnen was zu trinken, damit Sie sich ein bisschen aufwärmen können. Und dann besprechen wir, wie wir Ihr Problem am besten lösen können.“

„Ich will meine Zeit nicht damit verschwenden, hier tatenlos herumzuhocken.“ Entschuldigend schaute sie Pater Francis an. „Es tut mir leid, Pater, aber ich sollte schon seit Stunden zu Hause bei meinen Eltern sein. Wahrscheinlich werden sie langsam wahnsinnig vor Sorge.“

„Haben Sie …“

„Natürlich habe ich angerufen“, unterbrach sie den Pfarrer. „Meine Eltern wissen Bescheid, aber Sie kennen sie nicht. Beide werden verrückt sein vor Sorge, bis ich persönlich zur Tür hereinspaziere. Sie sorgen sich immer, ganz egal, ob es eine große Sache ist oder eine kleine. Insgeheim glauben sie wahrscheinlich, dass sie mit der Geburtsurkunde ihrer Kinder das Recht erworben haben, sich lebenslang Sorgen um sie zu machen.“

Mit wahnsinnigen Eltern hatte Ryan genug Erfahrung. Seine eigenen hatten sich nicht einen Pfifferling um ihn und seine Brüder gekümmert. Als er neun Jahre alt gewesen war, hatten sie die drei ältesten Brüder der staatlichen Fürsorge überlassen und waren mit den zweijährigen Zwillingen verschwunden. Wenn es überhaupt eine Erklärung dafür gab, warum sie ihre Söhne so kaltherzig behandelt hatten, hatten sie es dennoch nicht für nötig gehalten, sie Ryan und seinen Brüdern mitzuteilen.

Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie es gewesen war, als er den damals siebenjährigen Sean zum letzten Mal gesehen hatte. Sean hatte sich beinahe die Augen aus dem Kopf geweint, als er von einer Sozialarbeiterin weggeführt wurde. Michael war zwei Jahre jünger und schien tapferer zu sein … aber vielleicht hatte er mit seinen fünf Jahren ganz einfach nicht begriffen, was ihnen gerade angetan wurde. Niemals hatten die Brüder einander oder ihre Eltern wieder gesehen.

„Du schließt den Pub ungefähr in einer Stunde, nicht wahr, Ryan?“, fragte Pater Francis und riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Seine Augen glitzerten. „Vielleicht kannst du die junge Lady nach Hause bringen.“

„Wirklich? Könnten Sie das? Ich weiß, es ist aufdringlich, und bestimmt haben Sie Ihre eigenen Pläne für Thanksgiving, aber ich bin echt am Rande der Verzweiflung.“

„Warum nehmen Sie nicht ein Taxi? Ich rufe gerne eines für Sie, und dann sind Sie in kürzester Zeit zu Hause.“

„Schon versucht“, hielt sie dagegen. „Aber es ist ein weiter Weg, und die meisten Fahrer sind wegen des Feiertags bei ihren Familien. Es sind nicht viele Leute unterwegs. Beide Taxiunternehmen, die ich angerufen habe, konnten nichts für mich tun.“

„Aber Sie kennen mich doch überhaupt nicht“, wandte Ryan ein. „Sie wissen doch bestimmt, dass Sie sich niemals zu einem Fremden ins Auto setzen dürfen?“

Pater Francis lachte auf. „Auf das Wort eines Priesters wird sie sich wohl verlassen können. Und ich bescheinige dir, dass du kein Wässerchen trüben kannst. Du bist der perfekte Gentleman. Übrigens, Ryan Devaney, das hier ist …“ Erwartungsvoll schaute er die junge Frau an.

„Maggie O’Brien“, stellte sie sich vor.

Ein strahlendes Lächeln machte sich auf dem Gesicht des Priesters breit. „Irischer Stammbaum, nicht wahr? Ryan, du kannst nicht ernsthaft mit dem Gedanken spielen, eine Irin im Stich zu lassen.“

Bestimmt hat sie dort noch weniger Zeit verbracht als ich, dachte er. Es war eine echte Kunst, einen irischen Pub erfolgreich zu führen, und er hatte sich eine Weile auf der smaragdgrünen Insel aufgehalten, um genau das zu lernen. Aber Maggies Tonfall klang ganz danach, als sei sie in Boston aufgewachsen.

„Wir sollten uns an den Gedanken gewöhnen, dass Miss O’Brien und ich amerikanische Landsleute sind“, bemerkte er trocken.

„Aber es fließt Blut irischer Vorfahren in deinen Adern“, beharrte der Priester. „Und ein wahrhafter Ire vergisst niemals seine Wurzeln.“

„Wie dem auch sei“, erwiderte Ryan resigniert, weil ihm längst klar war, dass er sich zum zweiten Mal an diesem Abend in das Unausweichliche fügen musste. „Miss O’Brien, ich würde mich freuen, Sie nach Hause fahren zu dürfen, wenn Sie warten können, bis ich den Pub in einer Stunde schließe. Inzwischen gebe ich Ihnen gern den Schlüssel zu meinem Wagen. Sie können Ihre Lebensmittel aus Ihrem Wagen in meinen laden.“ Er warf dem Priester einen eindringlichen Blick zu. „Pater Francis freut sich, wenn er Ihnen helfen kann, nicht wahr, Pater?“

„Es ist mir ein Vergnügen“, bestätigte Pater Francis und sprang so eilfertig auf die Füße wie seit zehn Jahren nicht mehr.

„Miss O’Brien“, rief Ryan den beiden nach, während sie zum Ausgang eilten, „was auch immer Sie tun, hören Sie einfach nicht auf das, was er Ihnen von mir erzählt!“

„Ich preise dich nur in den höchsten Tönen“, gab Pater Francis entrüstet zurück. „Wenn ich meinen Lobgesang beendet habe, wird sie denken, dass du vom Vater im Himmel persönlich gesandt worden bist.“

„Genau das habe ich befürchtet“, gab Ryan zurück. Irgendwie beschlich ihn das ungute Gefühl, dass diese Maggie O’Brien von Minute zu Minute mehr zu der Auffassung kam, tatsächlich einem Heiligen begegnet zu sein.

„Ich bin nicht sicher, dass Mr Devaney glücklich ist, mich nach Hause zu fahren“, sagte Maggie zu Pater Francis, während sie die Lebensmittel von ihrem Wagen in Ryan Devaneys Fahrzeug umluden. Sie überlegte kurz, ob sie die Sachen im Kofferraum lassen sollte, aber es begann gerade zu schneien. Dicke, nasse Flocken rieselten herab, und wenn die Wettervorhersage recht behielt, würden die Straßen in kürzester Zeit unbefahrbar sein. Niemand konnte sagen, wie lange es dauern würde, bis sie ihren Wagen wieder erreichen würde.

„Kümmern Sie sich nicht um seine Worte“, meinte der Priester. „Ryan ist ein herzensguter Kerl, aber sein Leben verläuft immer im gleichen Trott. Außerdem arbeitet er zu viel und zu schwer. Ein unverhoffter Ausflug mit einer hübschen jungen Frau ist genau das Richtige für ihn.“

Was für eine interessante Neuigkeit, dachte Maggie und kam zu dem Schluss, dass der Priester sich möglicherweise als Heiratsvermittler versuchte. Aber warum? Insgeheim wunderte sie sich natürlich, dass ein Mann wie Ryan Devaney jemanden brauchte, der Kontakte zu Frauen für ihn herstellte. Mit seinen leuchtend blauen Augen, seinem dichten schwarzen Haar und dem Grübchen auf dem Kinn sah er wie ein irischer Schurke aus, dazu geboren, Frauen zu verführen. Maggie war nicht verborgen geblieben, dass im Pub mehr als eine Frau enttäuscht das Gesicht verzogen hatte, als er seine Aufmerksamkeit ausgerechnet ihr zugewandt hatte.

„Gibt es Ryans Pub schon lange?“, fragte sie Pater Francis.

„Am St. Patrick’s Day werden es genau neun Jahre“, erklärte er ihr.

Maggie war überrascht. Durch das abgewetzte Holz, die glänzenden Messingeinfassungen und die alten Reklameschilder für irischen Whiskey und irisches Bier sah der Pub aus, als würde er schon seit mehreren Generationen bewirtschaftet.

Der Pfarrer grinste sie an. „Aha. Ich sehe, Sie sind überrascht. Das würde Ryan gefallen. Er ist sechs Monate lang auf Schatzsuche in Irland gewesen, um dem Pub einen antiken Hauch zu verleihen. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, macht er keine halben Sachen.“ Aus den Augenwinkeln schaute er sie an. „Meiner Meinung nach gilt das auch dann, wenn er ein Auge auf eine Frau geworfen hat.“

Maggie hatte kaum mehr als eine Viertelstunde mit Ryan Devaney verbracht, trotzdem konnte sie nicht verhehlen, dass sie neugierig geworden war. „War er noch nie verheiratet?“

„Nein. Was für eine schlimme Geschichte“, sagte der Pater. „Er behauptet, dass er nicht an die Liebe glaubt.“

Seine Stimme klang so übertrieben traurig, dass Maggie fast lachen musste. „Wie kommt denn das?“, fragte sie stattdessen. „Hat er so schlechte Erfahrungen gemacht?“

„Ja, aber nicht, wie Sie denken. Es liegt an seinen Eltern. Sie sind abgehauen und haben ihn im Stich gelassen, als er noch ein hilfloser kleiner Junge war.“

„Wie schrecklich!“ Augenblicklich empfand Maggie tiefes Mitleid, und sie vermutete, dass der gerissene alte Mann es genau darauf angelegt hatte. „Hat er sie denn niemals wieder gesehen?“

„Niemals. Er hat ein paar schlimme Jahre hinter sich. Doch wenn man davon absieht, ist ein prächtiger Kerl aus ihm geworden. Sie werden keinen besseren, zuverlässigeren Freund finden als Ryan Devaney.“

„Wie lange kennen Sie ihn schon?“

„Seit siebzehn Jahren.“

Eindringlich musterte Maggie sein Gesicht. „Irgendwie wittere ich hier eine interessante Geschichte.“

„Richtig. Aber ich denke, Ryan sollte sie Ihnen lieber selbst erzählen.“ Er fing ihren Blick auf. „Würden Sie einen Rat von einem Fremden abweisen?“

„Von Ihnen, Pater? Niemals.“

„Irgendwie ähnelt Ryan einem guten Wein. Man darf ihn nicht hinunterstürzen, wenn man ihn genießen will.“

Maggie lachte. „Pater, Ihr Rat kommt ein bisschen zu früh. Ich habe den Mann doch gerade erst kennengelernt. Er bringt mich nach Hause – aber nur, weil Sie ihn dazu gezwungen haben, wenn ich das hinzufügen darf. Ich glaube nicht, dass wir mehr daraus machen sollten“, erwiderte sie und folgte Pater Francis zurück in die Bar.

Ryan hatte alle Hände voll damit zu tun, die letzte Bestellung zu servieren, aber trotzdem standen plötzlich zwei Irish Coffee vor ihnen, ohne dass sie ein Wort hatten sagen müssen. Dankbar wärmte Maggie ihre eiskalten Finger an der heißen Tasse.

Schweigend saß Pater Francis neben ihr und nippte an seinem Kaffee. Anfangs war Maggie nicht in der Lage gewesen, sein Alter zu schätzen. Aber jetzt war seine Mimik weniger lebhaft, und die tiefen Falten in seinem Gesicht traten wesentlich deutlicher hervor. Vermutlich ist er weit über siebzig, dachte sie. Zu dieser späten Stunde jedenfalls waren die Spuren seines langen Lebens nicht zu übersehen.

Offensichtlich war es Ryan nicht entgangen, wie erschöpft der Priester aussah. Er legte die Schürze ab, murmelte der Kellnerin neben ihm etwas zu und händigte ihr ein Schlüsselbund aus.

„Wir können jetzt gehen“, sagte er und trat hinter der Bar hervor. „Maureen wird abschließen. Pater, ich fahre Sie auch schnell nach Hause. Es ist viel zu kalt, um zu Fuß zu gehen. Ganz besonders um diese Uhrzeit.“

„Unsinn“, protestierte der Geistliche. „Es sind ja nur ein paar Häuserblocks. Seit wann schaffe ich das nicht mehr? Hast du schon ein einziges Mal gehört, dass ich mich beklage? Ein kleiner Fußmarsch hält mich schließlich fit.“

„Und davon haben Sie tagsüber wahrhaftig genug, wenn der Wind nicht so scharf weht. Abgesehen davon liegt das Pfarrhaus an unserem Weg“, konterte Ryan, obwohl er keine Ahnung hatte, in welche Richtung er fahren musste, um Maggie nach Hause zu bringen.

Sie unterstützte Ryan sofort. „Pater, bitte. Ich täte nichts lieber, als einen Blick in Ihre Kirche zu werfen. Vielleicht komme ich dieser Tage mal zu einem Gottesdienst.“

Prompt erhellte sich der Gesichtsausdruck des Pfarrers. „Ein ausgezeichneter Gedanke. St. Mary’s ist eine wundervolle Gemeinde. Sie sind jederzeit willkommen.“

Ryan warf ihr einen dankbaren Blick zu und machte sich dann auf den Weg nach draußen. In der letzten halben Stunde war der Wind noch eisiger geworden. Maggie zitterte vor Kälte, obwohl sie einen warmen Mantel und einen dicken Schal trug.

„Gleich wird Ihnen warm werden“, versprach Ryan und schenkte ihr einen wärmenden Blick. „Wenn die Heizung erst in Gang kommt, bringt sie jeden Eisberg zum Schmelzen.“

„Ich weiß es wirklich zu schätzen, was Sie für mich tun“, wiederholte sie. „Ich weiß, dass ich mich Ihnen aufdränge.“

„Ryan freut sich, Ihnen helfen zu dürfen“, beharrte Pater Francis vom Rücksitz, als sie vor einem roten Sandsteinhaus anhielten, das direkt neben der Kirche stand. „Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht. Es war sehr nett, Sie kennenzulernen, Maggie O’Brien. St. Mary’s ist genau nebenan, wie Sie sehen können. Scheuen Sie sich nicht, die Kirche zu besichtigen.“

„Vielen Dank für Ihre Hilfe, Pater.“

„Was habe ich denn schon getan? Nichts, was nicht jeder andere Ire auch tun würde, wenn eine Lady in Schwierigkeiten gerät. Ein fröhliches Thanksgiving, Maggie.“

„Gute Nacht, Pater“, erwiderte Ryan mit fester Stimme. Er wartete, bis der Pfarrer langsam die Stufen der Treppe hinaufgestiegen und in seinem Haus verschwunden war. Dann wandte er sich an Maggie. „Es tut mir sehr leid“, sagte er. „In letzter Zeit beschäftigt Pater Francis sich vorzugsweise mit meinem Liebesleben. Er ist wild entschlossen, mich unter die Haube zu bringen und einen Haufen Babys zu meinen Füßen spielen zu sehen. Ich bitte um Entschuldigung, sollte er Sie in Verlegenheit gebracht haben.“

„Es ist doch wundervoll, dass er sich so rührend um Sie kümmert“, meinte Maggie ehrlich. „Offensichtlich bedeuten Sie ihm sehr viel.“

„Und umgekehrt“, gestand Ryan.

„Er hat mir erzählt, dass sie sich schon lange kennen“, fuhr sie fort und hoffte, dass sie ihn mit ihrer Bemerkung dazu brachte, die Geschichte zu erzählen, die der Pater nicht hatte preisgeben wollen.

„Schon sehr lange“, bestätigte Ryan und konzentrierte seinen Blick auf die Straße. Es war glatt geworden, und es schneite ununterbrochen.

Oder versuchte er nur, seine schmerzhafte Vergangenheit vor ihr zu verbergen? Maggie vermutete, dass sie damit ins Schwarze traf, aber sie erinnerte sich rechtzeitig an den Rat des Pfarrers, Ryan nicht zu drängen. Sie war von Natur aus ungeduldig und neugierig, und es fiel ihr schwer, sich zu beherrschen.

Sie schaute aus dem Fenster, als der Wagen plötzlich langsamer wurde und schließlich anhielt.

„Maggie?“

Sie drehte sich zu ihm hin und begegnete seinem Blick. „Ja?“, fragte sie ein wenig zu eifrig. Hatte er sich etwa doch entschlossen, ihr seine Geschichte zu erzählen?

„Eine lange Nacht liegt vor uns, wenn Sie mir nicht verraten wollen, in welche Richtung ich fahren soll“, bemerkte er lachend.

„Du liebe Güte, was bin ich blöd.“ Eilig erklärte sie ihm den Weg zum Haus ihrer Eltern. Ganz in der Nähe lag das Massachusetts Institute of Technology, wo ihre Mutter Professorin war.

Ryan nickte. „Ich kenne die Gegend. Wir sind gleich da. Und wenn Sie wollen, kann ich es arrangieren, dass Ihr Wagen am Freitag abgeschleppt wird.“

Unwillkürlich schreckte Maggie zurück, als sie sein großzügiges Angebot hörte. „Das kommt überhaupt nicht infrage! Ich werde mich selbst darum kümmern.“

Aber noch während sie protestierte, wurde ihr klar, dass ihr liegen gebliebener Wagen die einzige Garantie dafür war, Ryan Devaney wieder zu sehen. Verstohlen warf sie ihm einen Blick zu und spürte, wie ihr Herz einen kleinen Hüpfer machte. Das durfte sie keinesfalls ignorieren. Nicht, dass sie an die Macht des Schicksals glaubte. Jedenfalls nicht so wie Pater Francis. Aber für den Fall, dass es doch so etwas wie Schicksal gab, tat sie sicher gut daran, wenn sie es sich nicht auf Anhieb mit ihm verscherzte.

2. KAPITEL

Ryan mochte Frauen, die wussten, wann sie den Mund zu halten hatten. Und er konnte sich wirklich etwas Besseres vorstellen als Frauen, die dauernd in Angelegenheiten herumschnüffelten, die sie überhaupt nichts angingen. Maggie O’Brien schien ihn wortlos zu verstehen. Sein Respekt wuchs mit jedem Kilometer, und sie hatte ihn sich wirklich verdient, denn sie schien das Schweigen genauso zu genießen wie er.

Aber manchmal tut man zu viel des Guten, überlegte er nach einer Weile. Er war kurz davor, die Stille mit einem Bombardement von Fragen zu durchbrechen. Fragen, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen wollten, seit sie den Pub betreten hatte.

Er hatte Maggie O’Brien noch nie vorher in seinem Pub, dem Ryan’s Place, gesehen. Es waren also die üblichen Fragen, die ihm auf der Zunge lagen, aber dieses Mal wollte er zu seiner eigenen Überraschung noch hundert andere Dinge wissen. Persönliche Dinge. Wenn du damit anfängst, sie auszuhorchen, ermunterst du sie womöglich, den Spieß umzudrehen, überlegte er insgeheim. Besser, du behältst deine Neugier unter Kontrolle.

„Haben Sie etwas dagegen, dass ich das Radio einschalte?“, fragte er und griff schon nach dem Knopf.

Sie schien verwundert, dass er überhaupt fragte. „Natürlich nicht. Wie Sie möchten.“

„Was würden Sie gern hören?“

„Jazz“, schlug sie zögernd vor. „Ist nicht jedermanns Geschmack, ich weiß. Aber bei mir zu Hause kann ich keinen Jazzsender empfangen, und das fehlt mir wirklich.“

Ryan war überrascht, dass sie gern Jazz hörte. „Also, ich hätte Sie glatt als Oldie-Fan abgestempelt.“

„Stimmt, aber der wehmütige Klang eines Saxofons rührt mich jedes Mal irgendwie zu Tränen. Es klingt unglaublich melancholisch.“ Besorgt schaute sie ihn an. „Schon okay, wenn Sie es nicht mögen. Oldies sind genauso gut.“

Er musste gar nicht lange nach dem Sender suchen. Kurz darauf erfüllten sanfte Jazzklänge das Auto. „Der Jazzsender ist gespeichert“, erklärte er grinsend. „Mir scheint, wir haben etwas gemeinsam, Maggie O’Brien. Pater Francis wäre außer sich vor Begeisterung, glauben Sie nicht auch?“

„Irgendwie glaube ich, dass wir ihn nicht noch mehr ermutigen sollten“, erwiderte sie trocken. „Immerhin hält der Mann Trauungen ab. Er bringt es fertig und lässt uns vor den Altar treten, noch bevor wir uns richtig kennengelernt haben.“

„Dummes Zeug“, murmelte Ryan und zuckte innerlich zusammen, als ihm plötzlich klar wurde, wie hart er ihre spöttische Bemerkung abgetan hatte. „Entschuldigen Sie. Es ist nicht persönlich gemeint.“

„Ich bin nicht gekränkt“, gab Maggie unbefangen zurück.

Aber aus den Augenwinkeln stellte Ryan fest, dass das Lächeln auf ihren Lippen verschwunden war. Sie starrte wieder aus dem Fenster und tat fasziniert vom Schnee, der inzwischen in dichten Flocken vom Himmel fiel.

Obwohl die sanften Jazzklänge sie ablenkten, wunderte Maggie sich über den Mann neben sich. Er war in ein grimmiges Schweigen verfallen, und offensichtlich fand er, dass das plärrende Radio die Stille erträglicher machte.

Als sie es nicht länger aushielt, riskierte sie einen kurzen Blick zu ihm hin. Seit sie den Ryan’s Place betreten und in die Augen seines Besitzers geschaut hatte, bemerkte sie eine beunruhigende Aufregung in ihrem Innern. Das Gefühl übertraf bei Weitem die Dankbarkeit, die sie ihm schuldete, weil er ihr – wenn auch widerwillig – aus der Klemme half.

Er sah fantastisch aus. Ein schwarzhaariger, irischer Traummann. Das Haar war ein kleines bisschen zu lang, und es ließ ihn irgendwie verrucht wirken. Seine tiefblauen Augen funkelten vergnügt. Wenigstens schien er nicht wütend, dass Pater Francis ihn überrumpelt hatte. Ein gerissener alter Mann, dachte sie. An Ryans Mundwinkel entdeckte sie eine dünne Narbe. Für jemanden, der nicht genau hinschaute, war sie kaum sichtbar. Aber sie hatte ganz genau hingesehen. Ryans Mund war so sinnlich, dass jede Frau, die einigermaßen bei Verstand war, sich blendend vorstellen konnte, wie er seine Lippen auf ihren Mund presste.

Sie kannte den Mann noch keine zwei Stunden, und schon hatte er sie so sehr beeindruckt, dass ihr Herz vor Aufregung schneller schlug und ihre Gedanken wild durcheinanderwirbelten. Ganz sicher ist meine angeborene Neugier daran schuld, redete sie sich ein.

Ihr Vater war Journalist. Er steckte seine Nase dauernd in Angelegenheiten, von denen er annahm, dass sie die Öffentlichkeit interessieren würden, lange bevor die Öffentlichkeit selbst davon erfuhr. Ihre Mutter war Professorin am weltweit renommierten MIT, dem Massachusetts Institute of Technology. Wenn man bei solchen Eltern aufwuchs, war es unvermeidlich, dass man einen unstillbaren Hunger danach verspürte herauszufinden, warum Menschen sich so verhielten, wie sie sich verhielten. Der Sarkasmus ihres Vaters hatte ein wenig auf sie abgefärbt, von ihrer Mutter hatte sie eine gute Portion gesunden Menschenverstand geerbt, zusammen mit der Begabung, hinter die Kulissen der Dinge zu schauen, die sich vor ihrer Nase abspielten.

Ihre Freunde wandten sich an sie, wenn die Partnerschaft in der Krise steckte, wenn der Vorgesetzte Ärger machte oder wenn die Eltern das Unmögliche verlangten. Maggie wusste immer Rat.

Nur mit ihrem eigenen Leben kam sie nicht zurecht. Immer noch war sie dabei, ein Plätzchen für sich zu erobern. Sie hatte Betriebswirtschaft studiert, aber die Widersprüche, die sie an anderen Menschen so sehr schätzte, machten ihr in ihrem eigenen Leben schwer zu schaffen, denn sie suchte nach einem Job, der ihrer kreativen Begabung ebenso entgegenkam wie ihrem Konto.

Ihre letzte Anstellung hatte ihr das nicht bieten können. Das kleine Städtchen an der Küste in Maine hatte ihr ausnehmend gut gefallen, und deswegen hatte sie sich eingeredet, dass sie sich glücklich schätzen sollte, dort die Buchführung für eine kleine Firma zu erledigen. Aber am Ende hatten weder die morgendlichen Strandspaziergänge noch die netten, kleinen Boutiquen oder die freundlichen Nachbarn sie für die tägliche Langeweile bei der Arbeit entschädigen können. Vor zwei Wochen hatte sie die Kündigung eingereicht, und am selben Tag hatte sie sich von einer Beziehung getrennt, die zu nichts führte.

Jetzt war sie auf der Suche nach einer neuen Herausforderung in ihrem Leben. Bis Neujahr wollte sie sich dafür Zeit geben. Ihr Bankkonto war noch einigermaßen gut gefüllt, und sie musste nicht sofort eine neue Stelle suchen. In den kommenden Wochen wollte sie bei ihren Eltern und ihren Geschwistern bleiben und dann entscheiden, ob sie nach Maine zurückkehren wollte. Immerhin war dort in den vergangenen vier Jahren ihr Zuhause gewesen. Vielleicht würde sie sich dort eine interessantere Arbeit suchen und eine Partnerschaft aufbauen, die aufregender war als die letzte Beziehung und die eine gemeinsame Zukunft versprach.

Es war ein verführerischer Gedanke, sich von Ryan Devaney von der Grübelei ablenken zu lassen. Wieder schaute sie ihn an. Immer noch hielt er den Blick starr auf die Straße gerichtet.

„Ich bedaure sehr, dass ich Ihre Pläne so plötzlich über den Haufen geworfen habe“, entschuldigte sie sich.

„Kein Problem“, erwiderte er, ohne sie anzuschauen.

„Die meisten Leute sind an den Feiertagen ja sehr beschäftigt.“

„Schon okay“, gab er zurück und presste seine wundervollen Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.

„Hat der Pub morgen geöffnet?“

„Ein paar Stunden. Manche Gäste wissen nicht, wo sie Thanksgiving verbringen sollen.“

Sie erinnerte sich, dass Pater Francis ihr einen Teil von Ryans Geschichte erzählt hatte. Er war von seinen Eltern im Stich gelassen worden. Offensichtlich empfand er Mitgefühl mit den Gästen, die in der gleichen Lage waren wie er damals. Mutterseelenallein auf der Welt. „Es ist sehr rücksichtsvoll von Ihnen, dass Sie ihnen einen Platz anbieten, an dem sie sich wohlfühlen.“

„Es ist eine rein geschäftliche Entscheidung“, behauptete er und wies den Gedanken weit von sich, dass irgendein Gefühl mit im Spiel sein könnte.

„Und Ihre eigene Familie? Stört es die gar nicht?“, fragte sie mit gespielter Unschuld.

„Nein“, erwiderte er knapp.

„Erzählen Sie mir von ihnen“, bohrte sie weiter.

Plötzlich schaute er sie an. „Da gibt es nichts zu erzählen.“

Seine Stimme klang niedergeschlagen, aber sie bezweifelte, dass ihm das überhaupt auffiel. „Oh“, meinte sie, „jede Familie hat eine Geschichte.“

„Miss O’Brien“, begann er und runzelte die Stirn. „Ich habe Ihnen angeboten, Sie nach Hause zu fahren. Unterhaltung ist nicht inbegriffen. Wenn Sie ein bisschen Krach brauchen, drehen Sie doch einfach das Radio lauter.“

Sein scharfer Tonfall ließ sie zögern. Aber jeder Hobbypsychologe konnte erkennen, dass seine heftige Abwehr ein tief verborgenes Bedürfnis nach Gesprächen überdecken sollte. Und Maggie fragte sich, ob Ryan Devaney jemals mit einem Menschen über das geredet hatte, was er krampfhaft vor ihr verbergen wollte.

„Manchmal ist es leichter, mit einem Fremden als mit einem Freund zu reden“, wandte sie vorsichtig ein.

„Und manchmal gibt es gar nichts zu erzählen“, konterte er.

Obwohl sie einen Teil seiner Geschichte schon kannte, versuchte sie, das Geheimnis aus seinem Mund zu erfahren. „Sind Sie verheiratet?“

„Nein.“

„Waren Sie es jemals?“

„Nein.“

„Was ist mit dem Rest Ihrer Familie?“

Abrupt trat er in die Bremsen und schaute sie an. Seine Augen funkelten vor Wut. „Ich habe keine Familie“, erklärte er gepresst. „Überhaupt keine. Sind Sie jetzt zufrieden, Miss O’Brien?“

Zufrieden? Weit davon entfernt, dachte sie, als sie seinen wütenden Blick sah. Sie war jetzt neugieriger als zuvor. Aber dies war ganz sicher nicht der richtige Moment, Ryan das wissen zu lassen. Vielleicht morgen, nachdem sie ihn überredet hatte, Thanksgiving bei ihrer Familie zu verbringen. Vielleicht war er dann weich genug gestimmt, ihr zu erzählen, was ihm vor so vielen Jahren das Herz zerrissen hatte. Warum behauptete er, dass er keine Familie hatte, obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprechen konnte? Vielleicht gehörte sie jetzt nicht mehr zu seinem Leben, aber ganz bestimmt gab es sie – irgendwo.

Maggie wusste zwar keine Antwort, aber trotzdem verspürte sie tiefes Mitleid. Sie hatte beide Eltern, drei Schwestern und zwei Brüder, Dutzende von Tanten, Onkeln und Cousins. Sie alle waren übermütig, unmöglich, kompliziert und unbestreitbar wundervoll – nein, sie konnte sich nicht vorstellen, dass es jemanden gab, der gar keine Familie hatte.

Ryan hatte einen Ausdruck leichter Bestürzung in Maggies Augen entdeckt, als er ihr gesagt hatte, dass er keine Familie besaß. Und er war sich fast sicher, dass er noch etwas anderes entdeckt hatte. Entschlossenheit.

Vielleicht war er deswegen kein bisschen überrascht, als sie ihn zum Bleiben einlud, nachdem sie das große Haus der Familie am Kendall Square erreicht hatten.

„Es ist fast zwei Uhr in der Nacht“, erklärte sie ihm. „Sie müssen völlig erschöpft sein. Bitte bleiben Sie. Ich bin sicher, dass das Haus heute Abend total überfüllt sein wird, aber irgendwo wird sich schon noch eine freie Couch finden. Wenn es ganz schlimm kommt, dann gibt es immer noch die Schlafsäcke auf dem Dachboden. Ich kann Ihnen gern einen geben.“

„Keine Sorge. Ich bin es gewohnt, spät zu Bett zu gehen. Ist schon in Ordnung“, beharrte er, während er ihr Gepäck aus dem Kofferraum auslud. Pater Francis und Maggie hatten den Wagen beladen, und deshalb sah er jetzt erst, dass sie vermutlich gut und gern die Hälfte ihres gesamten Besitzes mit sich herumschleppte. „Haben Sie einen längeren Besuch eingeplant?“, bemerkte er spöttisch.

„Bis Neujahr“, erwiderte sie.

„Und Ihr Job? Sie haben doch einen, nehme ich an?“

„Ich habe gerade gekündigt“, erzählte sie freimütig. „Und bin jetzt wieder auf der Suche. Es war eine ziemlich gut dotierte Stelle als Betriebswirtin in einer kleinen Firma, aber trotzdem langweilig. Und ich hoffe, dass ich irgendwas finde, wo ich kreativ arbeiten kann.“

„Zum Beispiel?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Wenn ich das nur wüsste“, meinte sie unschlüssig. Aber dann klang sie wieder optimistisch. „Ich werde es schon herausbekommen.“

„Vielleicht Psychologie?“, meinte Ryan. „Sie haben es ganz gut drauf, lästige Fragen zu stellen.“

„So besonders gut kann ich nicht gewesen sein“, entgegnete sie. „Schließlich haben Sie nur die wenigsten beantwortet.“

„Was wäre denn eine kreative Arbeit?“, fuhr er fort. „Haben Sie Karrierepläne?“

Sie grinste. „Wollen Sie den Spieß umdrehen, Mr Devaney?“

„Jeder Barkeeper ist ein kleiner Psychologe“, meinte er lachend. „Mit dem Unterschied, dass wir nur Fragen stellen und zuhören. Wir geben niemals einen Rat. Aber lassen Sie uns den Kram hier reinschaffen, bevor wir beide erfrieren.“

„Wir sollten hintenherum reingehen“, sagte Maggie und wies ihm den Weg. „Viele Sachen müssen sowieso in der Küche verstaut werden.“

Er bemerkte, dass Licht aus den vorderen Fenstern schien. Das galt auch für die Küche. Es sah so aus, als wollte man die zu spät kommende Tochter willkommen heißen. Fast war er ein bisschen neidisch, als eine große Frau die Küchentür aufriss und die Arme ausbreitete.

„Da bist du ja endlich“, rief sie und umarmte Maggie heftig. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht.“

„Mom, vor einer Dreiviertelstunde habe ich dich angerufen und dir gesagt, dass ich unterwegs bin“, erinnerte Maggie ihre Mutter amüsiert. „Ich bin sogar zehn Minuten früher da als angekündigt.“

„Das heißt, dass Sie gerast sein müssen, junger Mann“, schalt die Frau und wandte sich augenzwinkernd an Ryan. Ihre Augen leuchteten genauso hellgrün wie die ihrer Tochter. „Ich bin Nell O’Brien. Und Sie müssen Mr Devaney sein. Es war sehr freundlich von Ihnen, Maggie nach Hause zu fahren, selbst wenn Sie das Tempolimit überschritten haben.“

Ryan begegnete ihrem Blick. „Sie sind doch nicht von der Polizei, oder?“, spottete er.

„Nein, aber ich habe eine Menge Erfahrung damit, junge Männer einzuschüchtern“, erwiderte Mrs O’Brien belustigt. „Schließlich habe ich vier Töchter und zwei Söhne. Sie alle brauchen eine feste Hand.“

Vergeblich versuchte er, sein Grinsen zu unterdrücken. „Wenn Maggie hier ein Beweis dafür ist, dann glaube ich Ihnen aufs Wort.“

„Hey“, protestierte Maggie, „ich war die brave älteste Tochter.“

„Wenn es dir gerade in den Kram gepasst hat“, hielt ihre Mutter dagegen. „Aber jetzt kommt erst mal beide rein. Ich habe Kaffee gekocht, wenn Sie jedoch lieber etwas anderes möchten, kann ich das schnell herrichten.“

„Für mich bitte nichts“, lehnte Ryan höflich ab und zog sich bereits von der Tür zurück. Die Wärme der großen, einladenden Küche, das sanfte Gespött zwischen Mutter und Tochter – das waren genau die Situationen, die er zu meiden versuchte. „Ich muss wieder nach Hause fahren.“

„Kommt nicht infrage“, sagte Mrs O’Brien. „Es ist viel zu spät, um sich noch auf die Straße zu wagen, Mr Devaney. Sie müssen vollkommen erschöpft sein. Ich werde die Couch im Gästezimmer herrichten. Bevor Sie anfangen, mit mir zu diskutieren, denken Sie dran, dass ich älter und klüger bin. Und ich mag es nicht, wenn man mir widerspricht.“

„Wenn Sie nicht Polizist sind, dann müssen Sie General sein“, vermutete Ryan.

„Nein, nur eine Frau, die weiß, was das Beste für Sie ist“, konterte Nell mit einem heiteren Lächeln. „Ihr beide kommt jetzt in die Küche, esst eine Kleinigkeit und trinkt etwas. Ich werde zu Bett gehen, nachdem ich das Gästezimmer hergerichtet habe. Dein Vater wird wissen wollen, dass du sicher zu Hause angekommen bist, Maggie. Außerdem muss ich morgen früh aufstehen und den Vogel in den Ofen schieben.“ Sie zwinkerte Maggie zu. „Dein Vater hat einen riesigen Truthahn gekauft. Ich muss das Tier chirurgisch zerlegen und ihn wieder zusammenmontieren, wenn er gebraten ist. Garrett darf es aber auf keinen Fall merken.“

Ryan witterte seine Chance zur Flucht, nachdem Mrs O’Brien verschwunden war, aber Maggies Blick ließ ihn zögern.

„Sie sollten es noch nicht mal in Erwägung ziehen“, meinte sie und fixierte ihn mit einem strengen Blick.

„Woran?“

„Sich in aller Heimlichkeit davonzustehlen.“

„Maggie, ich habe Ihnen einen kleinen Gefallen getan“, erklärte er. „Sie schulden mir gar nichts. Abgesehen davon, ich habe morgen etwas vor. Der Tag fängt früh an. Ich muss wirklich nach Hause.“

Ihre Augen glitzerten vor Überraschung. „Sie haben Pläne?“

Es beleidigte ihn fast, dass sie sichtlich schockiert war. „Ich bin doch nicht allein auf der Welt.“

Sie trat einen Schritt zurück. „Ja, natürlich nicht. Daran hätte ich denken sollen“, entschuldigte sie sich peinlich berührt.

Ryan hätte sie in dem Glauben lassen sollen, dass eine andere Frau im Spiel war, denn zu diesem Schluss war sie ganz offensichtlich gekommen. Stattdessen begann er, sich zu erklären.

„Ich bringe Essen in das Obdachlosenheim von St. Mary’s“, erzählte er. „Mittags muss alles fertig sein, und das heißt, dass wir rechtzeitig anfangen müssen. Um vier Uhr öffnet der Pub für die Stammgäste, die nicht wissen, wo sie den Tag verbringen sollen. Ganz davon zu schweigen, dass der Papierkram heute Abend liegen geblieben ist. Die Kasse ist auch noch nicht abgerechnet.“

Sie nickte. Eine Spur von Erleichterung huschte über ihr Gesicht. „Was für eine wundervolle Idee.“ Der Gedanke an die Mahlzeit für die Obdachlosen gefiel ihr offensichtlich sehr. „Können Sie im Heim noch Hilfe gebrauchen?“

Hilfe konnten sie immer gebrauchen. Trotzdem zögerte Ryan. Es war besser, die Sache zu beenden. Hier und jetzt. Offensichtlich besaß die Frau eine unerschütterliche Entschlossenheit, und sie war zweifellos in der Lage, seinen mühsam errichteten Schutzwall niederzureißen.

„Natürlich können Sie Hilfe gebrauchen“, meinte sie, ohne seine Antwort abzuwarten. „Um zehn warten wir im Obdachlosenheim.“

„Wer, wir?“

„Meine Familie. Außer meiner Mutter natürlich. Sie muss sich hier zu Hause mit dem irrsinnigen Vogel abplagen, aber alle anderen werden mit anpacken. Und ich werde einen meiner Brüder bitten, einen Ersatzreifen für meinen Wagen mitzubringen. Perfekt!“

„Sollte Ihre Familie nicht lieber hier zu Hause mit anpacken?“

„Mom weigert sich sowieso, irgendjemanden in die Küche zu lassen. Wir würden nur im Weg rumstehen“, behauptete Maggie. „Außerdem habe ich eine Menge Sachen mitgebracht, die wir nur in den Herd schieben müssen. Und meine Geschwister bringen auch alle etwas mit. Meine Mutter muss sich wirklich nur um den Truthahn kümmern.“ Eindringlich musterte sie ihn. „Sie sollten noch nicht mal daran denken, mich zu enttäuschen. Ich bin Ihnen einen Gefallen schuldig.“

„Nein, das sind Sie nicht“, wiederholte er, obwohl er wusste, dass seine Worte völlig überflüssig waren.

Aber abgesehen davon, verspürte er plötzlich eine unbändige Freude auf Thanksgiving. Er freute sich so sehr, wie er sich seit seinem achten Lebensjahr nicht mehr gefreut hatte. Das war das letzte Mal gewesen, dass er den Feiertag zusammen mit seiner Familie verbracht hatte. Ein Jahr später am Tag vor Thanksgiving hatten seine Eltern ihn im Stich gelassen. Und Weihnachten hatte er schon bei einer Pflegefamilie gelebt. Er hatte nicht die geringste Ahnung gehabt, wo seine Eltern und seine Brüder abgeblieben waren.

Und nichts in seinem Leben war jemals wieder so gewesen wie früher.

„Spät geworden letzte Nacht?“, erkundigte sich Rory, als er und Ryan das Essen in den Lieferwagen einluden, um es zum Obdachlosenheim zu bringen. „Du siehst ziemlich erledigt aus.“

Ryan ärgerte sich darüber, dass sein Koch sich ganz offensichtlich prächtig amüsierte. „Ich habe Pater Francis einen Gefallen getan. War bis morgens um drei unterwegs.“

„Und hat dieser Gefallen zufällig etwas mit einer hübschen rothaarigen Lady zu tun?“

Ryan warf ihm einen säuerlichen Blick zu.

„Hab ich mir schon gedacht. Warum denkt Pater Francis niemals an mich, wenn eine hübsche Frau seinen Weg kreuzt?“, klagte Rory.

„Wahrscheinlich hält er dich für einen notorischen Herzensbrecher“, unterstellte Ryan. „Du genießt einen schlimmen Ruf, mein Lieber.“

„Vollkommen unverdient“, beharrte Rory und warf Ryan einen nachdenklichen Blick zu. „Sag mal, hast du auf diesen rothaarigen Engel, den Pater Francis angeschleppt hat, wirklich ein Auge geworfen? Oder darf ich mich an sie ranmachen, wenn sie uns das nächste Mal besucht?“

„Finger weg von Maggie“, warnte Ryan gereizt.

Rory grinste. „Aha. So sieht’s also aus. Pater Francis wird begeistert sein, dass seine Machenschaften endlich Früchte tragen. Kann es sein, dass unser Ryan eine Frau gefunden hat, die ihn länger interessiert als nur für eine Nacht?“

„Mach dich nicht lächerlich“, entgegnete Ryan ärgerlich. Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. „Und weißt du was? Wenn du deine Zunge nicht besser im Zaum hältst, könnte ich auf die Idee kommen, dich rauszuschmeißen.“

„Das würdest du nicht wagen“, meinte Rory zuversichtlich. „Wer soll dir denn dann das original irische Essen kochen?“

„Vielleicht ändere ich die Speisekarte“, antwortete Ryan gelassen und dachte an die neuen Mitarbeiter, die er eingestellt hatte.

„Höchst unwahrscheinlich“, vermutete Rory.

„Wieso bist du dir da so sicher? Morgen fängt jemand neu bei uns an. Pater Francis behauptet, dass die Frau ihre Sache ganz gut machen wird.“

Rory runzelte die Stirn. „Eine Köchin? Zufällig diese himmlische Maggie?“, bohrte er hoffnungsvoll nach.

„Nein.“

„Ist sie wenigstens aus Irland?“

„Nein.“

„Da hast du’s. Wie kann sie dann gut sein?“

„Bislang habe ich nur Gerüchte gehört“, gestand Ryan. „Man sagt, dass sie ganz ausgezeichnet würzt. Also habe ich sie eingestellt, ohne sie mir vorher anzuschauen.“

„Du verzichtest sogar auf das Vorstellungsgespräch? Du stellst eine Frau für meine Küche ein, die du noch nie in deinem Leben gesehen hast?“, platzte Rory entsetzt heraus. „Ich kann es nicht ertragen, dass eine vollkommen fremde Person den ganzen Tag um mich herumschleicht. Noch dazu eine Frau.“

„Warum nicht? Betrachte es doch einfach als willkommene Abwechslung. Besonders, weil sie verheiratet ist. Und falls du in Versuchung gerätst, denk rechtzeitig daran, dass ihr Ehemann vorn im Pub arbeitet.“ Mit festem Blick schaute er Rory an. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du damit ein Problem hast, oder? Es gibt Grenzen, die noch nicht mal du überschreiten würdest.“

Rory stöhnte auf. „Wieder mal Schützlinge von Pater Francis, stimmt’s? Wir treffen sie heute im Heim, richtig?“

Ryan sah keinen Sinn darin, Rorys Vermutung vom Tisch zu wischen. Er nickte und zog in Erwägung, Rory bei dieser Gelegenheit auch gleich den Rest zu erzählen. Die neuen Aushilfen sprachen kaum Englisch und konnten nur mexikanisch kochen, aber dann entschied er, dass sein Freund für den Moment genügend schockiert war. Stattdessen erinnerte er ihn nochmals daran, dass er jederzeit ersetzt werden konnte. „Lass dir das eine Warnung sein, deine Zunge in Zukunft besser im Zaum zu halten. Und wenn du ihr nachher im Heim über den Weg läufst, sei nett zu ihr.“

„Okay, okay. Ich werde nett sein.“ Neugierig schaute er Ryan an. „Wirst du Maggie wiedersehen?“

„Sie hat versprochen, dass sie mit ihrer ganzen Familie vorbeikommt, um heute im Heim auszuhelfen“, gestand er kleinmütig ein.

„Ist das nicht wundervoll? Pater Francis wird sich für eine himmlische Gabe mehr bedanken, und das heute – an Thanksgiving!“

„Zum Teufel mit dir, Rory!“

Am meisten ärgerte Ryan sich darüber, dass der rundliche Koch unverhohlen lachte. Denn nach seiner Einschätzung der Lage gab es absolut nichts zu lachen. Offensichtlich war er von Heiratsvermittlern eingekreist, die einen Heidenspaß daran hatten, ihn Höllenqualen leiden zu lassen. Und beide hatten sie Maggie dazu auserkoren, die Sache in die Hand zu nehmen. Ganz bestimmt deshalb, weil sie längst bemerkt hatten, was er sich selbst nicht eingestehen wollte – dass er sich zu ihr hingezogen fühlte.

Der Geräuschpegel im Esszimmer der O’Briens stieg ins Unerträgliche. Die kreischenden Kleinkinder rissen sich um Maggies Aufmerksamkeit, und ihre Brüder stritten sich um das größte Stück des Pfannkuchens, den ihre Mutter serviert hatte. All das war wie Musik in ihren Ohren, selbst wenn sie sich mit ihrer Stimme nicht durchsetzen konnte.

Als ihr dritter Versuch, das Geschrei endlich auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, auf taube Ohren stieß, schickte sie einen Hilfe suchenden Blick an ihre Mutter.

„Schluss jetzt!“ Nell O’Brien musste kaum ihre Stimme anheben. Es lag an ihrem ruhigen, unnachgiebigen Tonfall, dass sogar ihre jüngsten Enkelkinder plötzlich verstummten. Offensichtlich war sie zufrieden mit dem Ergebnis. „Ich glaube, Maggie möchte euch etwas sagen“, meinte sie sanft.

„Seit wann hat Maggie deine Unterstützung nötig?“, fragte Matthew. „Sprich lauter, Schwesterherz. Du bist doch auch nicht schüchtern, wenn es darum geht, uns zum Schweigen zu bringen.“

„Ihr habt aber noch nie solchen Krach gemacht, und ich bin vollkommen aus der Übung“, entgegnete sie. „Okay. Ich habe mehr oder weniger versprochen, dass wir heute Vormittag in einem Obdachlosenheim in der Stadt aushelfen.“

„Versprochen? Wem?“ Matthew klang eher neugierig als ärgerlich.

„Es kann sich nur um den attraktiven Mann handeln, der sie gestern Nacht nach Hause gebracht hat“, vermutete ihre Schwester Colleen spöttisch. „Mom hat gesagt, dass ihr Herz heute früh immer noch flatterte, nachdem sie ihn gestern Abend gesehen hatte. Schade, dass ich ihn verpasst habe. Zähl auf mich, Maggie, ich möchte den Kerl gern kennenlernen, bei dem Mom ins Schwärmen gerät.“

„Für dich mag das vielleicht ein Grund sein“, gab John, der ältere Bruder, zu. „Ich habe andere. Wir können es nicht zulassen, dass irgendein fremder Mann unserer Maggie das Herz bricht.“

„Was soll das heißen, ein attraktiver Mann?“ Katie, die jüngste der Schwestern, kam mit einem Glas Orangensaft aus der Küche. „Wo ist er? Darf ich ihn treffen?“

„Er ist entschieden zu alt für dich“, erwiderte Maggie.

„Stimmt genau“, mischte sich ihr Vater ein. „Unsere Katie darf noch nicht mal an einen Mann denken, bevor sie nicht mindestens fünfundzwanzig ist. Also hat sie noch ein ganzes Jahr vor sich, bevor sie sich auch nur im Entferntesten mit dem Gedanken tragen sollte, sich ernsthaft auf jemanden einzulassen. Aber davon ganz abgesehen“, deutete er grinsend auf Maggie, „dieser Ryan gehört ihr.“

„Wohl kaum“, protestierte sie heftig. „Wir kennen uns doch gar nicht.“

„Aber der Kerl scheint dich immerhin so sehr zu interessieren, dass du uns an Thanksgiving alle nach Boston schleppen willst“, erwiderte ihr Vater.

„Dann seid ihr also einverstanden? Ihr kommt alle mit?“, fragte Maggie.

„Natürlich“, bestätigte ihr Vater. „Du wusstest doch, dass wir mitkommen würden.“ Er wandte sich an seine Frau. „Ist es in Ordnung, wenn wir dich für ein paar Stunden ohne Hilfe lassen?“

„Ich werde erleichtert sein, euch alle aus dem Weg zu haben“, erwiderte sie.

„Was ist mit den Kindern? Du kannst doch nicht gleichzeitig auch noch auf die Kleinen aufpassen“, wandte Maggies Vater ein und ließ seinen Blick über den Tisch schweifen. „Wer von euch bleibt hier und hilft aus?“

„Garrett O’Brien, an dem Tag, an dem ich nicht mehr auf drei kleine Kinder aufpassen kann, wird man mich ins Grab legen“, entgegnete Mrs O’Brien. „Unsere fünf kleinen Teufel habe ich doch auch fast ohne Hilfe großgezogen, nicht wahr?“

„Abgemacht“, verkündete Garrett O’Brien. „In einer Stunde fahren wir los. Wir werden zehn Personen sein. Das hast du doch versprochen, Maggie, nicht wahr?“

„Ja, Dad. Danke.“ Eindringlich musterte sie ihre Brüder. „Und wenn ihr Ryan Devaney begegnet, erwarte ich erstklassiges Benehmen von euch. Haben wir uns verstanden?“ Dann warf sie Katie einen warnenden Blick zu. „Und du denkst an das, was Dad zu dir gesagt hat.“

„Jetzt reicht’s, ihr Mädchen“, griff ihr Vater ein und stiftete wieder mal Frieden zwischen den beiden. „Thanksgiving soll ein glücklicher Tag für die Familie sein.“

„Und ich bin glücklich“, erklärte Maggie. „Über meine ganze Familie. Meine freche kleine Schwester natürlich nicht mitgezählt.“

Jetzt musste sie sich nicht nur Sorgen darüber machen, wie Ryan wohl reagierte, wenn sie im Obdachlosenheim auftauchte, sondern auch noch darüber, wer aus ihrer Familie sie wohl zuerst in Verlegenheit stürzte.

3. KAPITEL

Das Obdachlosenheim St. Mary’s lag nur ein paar Straßen von der Kirche entfernt. Als Maggie und ihre Familie dort ankamen, herrschte bereits ein geschäftiges Treiben. Pater Francis entdeckte sie sofort und begrüßte sie mit einem herzlichen Lächeln.

„Ryan erzählte schon, dass Sie heute Morgen vorbeischauen wollten. Vielen Dank, dass Sie einen Teil Ihres Feiertags für uns opfern. Das ist sehr großzügig von Ihnen.“ Er ließ seinen Blick über die Gruppe schweifen, die mit ihr hereingekommen war, und strahlte über das ganze Gesicht. „Das muss Ihre Familie sein.“

Maggie stellte den Pfarrer ihrer Familie vor. Gleichzeitig schaute sie sich verstohlen um, ob sie Ryan irgendwo entdecken konnte.

„Ryan und Rory sind in der Küche“, erklärte der Pfarrer mit einem Grinsen. „Aber an Ihrer Stelle würde ich mich im Moment von dort fernhalten. Unser Rory ist ein kleiner Tyrann, und sein Zeitplan ist ziemlich knapp. Er duldet keine Störungen. Wahrscheinlich freuen sich die Frauen, wenn Sie beim Tischdecken helfen.“

Dann wandte er sich an Maggies Vater und an die Brüder. „Es wäre schön, wenn Sie dabei helfen könnten, die restlichen Tische und Stühle aufzustellen. Heute werden viele Leute zu uns kommen, also sollten wir uns beeilen. Die ersten Gäste werden schon mittags eintreffen, aber die letzten werden nicht vor drei Uhr wieder gehen.“

Maggie, Colleen und Katie machten sich mit den anderen Frauen an die Arbeit, obwohl Maggie unablässig nach Ryan Ausschau hielt.

„Wo steckt er denn?“, fragte Katie, als sie ihn nach über einer Stunde immer noch nicht zu Gesicht bekommen hatte.

„Du hast gehört, was der Pater gesagt hat“, gab Maggie zurück. „Er hilft in der Küche. Übrigens, wo ist Colleen?“

„Ich hab sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen“, sagte Katie. „Sie ist bestimmt in die Küche gegangen. Obwohl du eigentlich dort sein solltest. Fällt dir nicht irgendeine Entschuldigung ein, mit der du dich dort blicken lassen könntest? Wenn du es nicht machst, dann tue ich es.“

„Katie O’Brien, gar nichts wirst du tun“, protestierte Maggie. „Wir sind hergekommen, weil wir helfen wollen und nicht, um Ryan Devaney nachzustellen. Irgendwann wird er die Küche schon verlassen. Bis dahin kümmere ich mich gar nicht um ihn.“

„Mit Geduld wirst du dir keine Lorbeeren verdienen“, tadelte Katie. „Und ich glaube nicht, dass man jemals zu viel tun kann, wenn man sich einen Mann angeln will.“

„Ich will mir Ryan nicht angeln“, verteidigte Maggie sich. „Ich bin nur ein wenig neugierig auf ihn.“

Colleen kam gerade rechtzeitig, um ihre letzte Bemerkung aufzuschnappen. „Wir verbringen unseren Feiertag in einem Obdachlosenheim, um deine Neugier zu befriedigen?“, fragte sie zweifelnd. „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Wir sind hier, weil du auf den Kerl scharf bist. Und weil ich gerade von der Küche komme und ihn dort gründlich unter die Lupe genommen habe, kann ich nur sagen – da wartet viel Arbeit auf dich, Maggie!“

„Du warst in der Küche?“, fragte Katie entsetzt. „Dann will ich ihn auch sehen.“

Maggie warf beiden Schwestern einen wütenden Blick zu. „Langsam bereue ich, dass ich euch mitgenommen habe.“

Just in diesem Augenblick schwang die Küchentür auf, und Ryan trat heraus. Er balancierte eine große Platte mit zerlegtem Truthahn. Ihm folgte ein mächtiger Mann, der ein Tablett mit Kartoffeln, verschiedenen Gemüsesorten und Soßen trug.

Ryans Haar war völlig verwuschelt. Sein blaues Hemd passte perfekt zu seinen blauen Augen, und die engen Jeans betonten seine schmalen Hüften. Maggies Mund wurde trocken, und sie konnte nicht länger behaupten, dass sie nur im St. Mary’s war, um ihre Neugierde zu befriedigen.

Langsam machte sich ein Lächeln auf seinem Gesicht breit, als er Maggie entdeckte. Aber dann richtete sich seine Aufmerksamkeit auf den Eingang des Heims. Die Leute warteten ungeduldig auf Einlass. Plötzlich wirkte er besorgt, und er sagte ein paar Worte zu dem Mann, der neben ihm stand und die lange Schlange ebenfalls beobachtete. Der Mann nickte und eilte zurück in die Küche.

Ryan ging in Maggies Richtung. Eilig riss sie sich von ihren Schwestern los und kam ihm entgegen. Womöglich hätten ihre Schwestern angefangen, ihm peinliche Fragen zu stellen.

„Sie wollen tatsächlich eine gute Tat vollbringen“, stellte er fest und fing ihren Blick auf. „Nicht jeder hält, was er verspricht.“

„Ich schon“, betonte sie. Sie hielt seinem Blick stand und wich nicht aus. „Eben haben Sie besorgt auf die Massen geschaut, die draußen warten. Gibt’s ein Problem?“

„Die Schlange ist länger, als ich angenommen hatte. Ich habe Rory gefragt, ob er meint, dass wir genug zu essen haben. Er vermutet zwar, dass es reicht, aber trotzdem geht er schnell zum Pub und holt noch einen Truthahn. Nur für alle Fälle.“ Ryan schaute sich um. „Was ist mit Ihrer Familie, Maggie? Haben Sie sie überredet, heute mitzukommen?“

„Meine Schwestern sind da drüben“, erklärte sie und bemerkte, dass Colleen und Katie sie unverwandt anstarrten. „Tut mir leid, dass wir so intensiv beobachtet werden. Übertriebene Neugier ist unsere Familienkrankheit.“

„Und Ihre Brüder? Sind die in der Nähe?“

„Unterwegs mit meinem Vater“, erwiderte sie. „Sie legen hier und dort Hand mit an. Pater Francis achtet schon darauf, dass sie nicht faul herumstehen.“

Ryan strahlte über das ganze Gesicht. „Passen Sie gut auf, dass Sie Pater Francis nicht in die Finger geraten“, warnte er. „Wenn Sie nicht vorsichtig sind, wird er dafür sorgen, dass Sie ihm einen Vollzeitvertrag unterschreiben, bevor der Tag vorbei ist. Wenn es um seine Schützlinge geht, ist er einfach hemmungslos.“

„Ich kann mir Schlimmeres vorstellen, als hier zu helfen“, meinte Maggie.

Ihre Antwort schien ihm irgendwie zu missfallen. Hastig murmelte er eine Entschuldigung und eilte zurück in die Küche. Verwundert starrte sie ihm nach.

Den Rest des Nachmittags bekam sie ihn nur noch gelegentlich zu Gesicht. Die meisten Gäste schien er gut zu kennen. Er scherzte mit den Männern, flirtete mit den Frauen und alberte mit den Kindern herum, aber trotzdem wirkte er irgendwie merkwürdig reserviert. Wann immer er Maggies Blick auffing, schaute er schnell zur Seite, als ob er fürchtete, dass sie seinen oberflächlichen Charme durchschauen könnte.

Sie beobachtete, wie Ryan einer schwangeren Frau und ihren zwei dunkelhaarigen Kindern ein Stück Kürbiskuchen servierte. Angestrengt bemühte sie sich, seinen undurchdringlichen Gesichtsausdruck zu deuten. Bestürzung und Mitleid mischten sich mit Sorge und Freundlichkeit. Er sprach zwar angeregt mit dieser Frau, aber Maggie hatte trotzdem das Gefühl, dass sein Blick sich innerlich auf etwas ganz anderes richtete.

Die Szene berührte sie so sehr, dass sie unter einem Vorwand in die Küche ging und nach mehreren Stücken Kürbiskuchen griff. Als sie wieder zurück war, hörte sie, wie Ryan der Frau ermutigende Worte zusprach. Es schien, als hätte er ihr einen Job versprochen, der ihr und ihrer Familie wieder auf die Beine helfen sollte. Ein paar Minuten später steckte er dem Ehemann ein bisschen Geld zu und wies ihn an, dafür zu sorgen, dass seine Frau einen Arzt aufsuchte.

„Kommen Sie morgen in den Pub“, sagte er zu dem Mann. „Dann werden wir Ihre Arbeitszeiten absprechen.“

Der Mann strahlte ihn an. „Gracias, Señor. Danke. Rosita und ich werden pünktlich sein. Wir können sehr hart arbeiten. Sie werden sehen. Sie werden es nie bereuen, uns diese Chance gegeben zu haben.“

Ryan seufzte auf, als der Mann wieder zu seiner Frau ging. Maggie trat hinter ihn.

„Das war sehr nett, was Sie da eben gemacht haben“, bemerkte sie anerkennend.

Erschrocken wirbelte er herum. Beinahe hätte er das Tablett fallen lassen, das er in den Händen hielt. „Woher kommen Sie denn so plötzlich?“

„Ich bin schon seit Stunden hier.“