Süße Magnolien - Ein Wunder geschieht - Sherryl Woods - E-Book

Süße Magnolien - Ein Wunder geschieht E-Book

SHERRYL WOODS

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Beschreibung

Jeder Tag ist die Chance auf ein neues Glück … Band drei der Süßen Magnolien.

Als eine der angesehensten Scheidungsanwältinnen in South Carolina arbeitet Helen unermüdlich und hat dabei unzählige Ehen zerbrechen sehen – den Glauben an die große Liebe hat sie deshalb schon lange verloren. Doch als ihr Leben eine schlagartige Wendung nimmt und sie plötzlich ein Kind erwartet, muss sie ihr Glück selbst in die Hand nehmen. In all dem Trubel spürt Helen, dass in ihr der Wunsch nach Geborgenheit und Familie wächst. Dabei funkt es ausgerechnet mit einem Mann, der behauptet, keine Familie zu wollen …

Die beliebte Reihe mit der ganz besonderen Südstaaten-Wohlfühl-Atmosphäre von New-York-Times-Nr.-1-Bestsellerautorin Sherryl Woods geht weiter.

Lesen Sie auch die anderen Bände:
1. Ein Traum wird wahr
2. Ein neuer Tag beginnt
3. Ein Wunder geschieht
4. Momente des Glücks

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Buch

Jeder Tag ist die Chance auf ein neues Glück … Band drei der Süßen Magnolien.

Als eine der angesehensten Scheidungsanwältinnen in South Carolina arbeitet Helen unermüdlich und hat dabei unzählige Ehen zerbrechen sehen – den Glauben an die große Liebe hat sie deshalb schon lange verloren. Doch als ihr Leben eine schlagartige Wendung nimmt und sie plötzlich ein Kind erwartet, muss sie ihr Glück selbst in die Hand nehmen. In all dem Trubel spürt Helen, dass in ihr der Wunsch nach Geborgenheit und Familie wächst. Dabei funkt es ausgerechnet mit einem Mann, der behauptet, keine Familie zu wollen …

Die beliebte Reihe mit der ganz besonderen Südstaaten-Wohlfühl-Atmosphäre von New-York-Times-Nr.-1-Bestsellerautorin Sherryl Woods geht weiter.

Lesen Sie auch die anderen Bände:

1. Ein Traum wird wahr

2. Ein neuer Tag beginnt

3. Ein Wunder geschieht

4. Momente des Glücks

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Sherryl Woods

Süße Magnolien

Ein Wunder geschieht

ROMAN

Ins Deutsche übertragen von Michael Krug

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Feels Like Family« bei Mira Books, Toronto 2007.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2007 by Sherryl Woods.

Translation copyright © 2023 by Blanvalet Verlag,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München.

All rights reserved including the right of reproduction in whole or

in part in any form. This edition is published by arrangement with

Harlequin Books S. A.

This is a work of fiction. Names, characters, places and incidents are either

the product of the author’s imagination or are used fictitiously, and any

resemblance to actual persons, living or dead, business establishments,

events or locales is entirely coincidental.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2023 by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Daniela Bühl

Umschlaggestaltung: © bürosüd, München

Umschlagillustration: www.buerosued.de

LO Herstellung: sam

Gesamtherstellung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN: 978-3-641-30047-0V001

www.blanvalet.de

Liebe Freunde,

Liebe Freunde,

ich freue mich sehr, dass der dritte Roman der Reihe Süße Magnolien wieder erhältlich ist, rechtzeitig zur neuen Netflix-Serie Süße Magnolien mit JoAnna Garcia Swisher, Brooke Elliott und Heather Headley in den Hauptrollen. Als ich ursprünglich auf die Idee für eine Reihe über drei lebenslange Freundinnen kam, die zusammen durch dick und dünn gegangen sind, hatte ich noch keine Ahnung, wie viele Frauen im Verlauf der Jahre hinzukommen würden. Ebenso wenig hätte ich gedacht, dass die Leserinnen und Leser so begeistert von diesem Zusammenhalt und der gesamten Gemeinde von Serenity in South Carolina sein würden. Ich hoffe, die Netflix-Zuschauer werden ähnlich empfinden.

Ich denke, als Frauen ist uns allen bewusst, dass Freundinnen neben der Familie die wichtigsten Menschen in unserem Leben sind. Und die besten Freundschaften sind über Jahre bewährte Bande mit Frauen, die unsere Geschichte, unsere Fehler, unsere schmutzigen kleinen Geheimnisse kennen und uns trotzdem lieben. Freundinnen sind da, um uns aufzumuntern, ob wir einfach einen schlechten Tag hatten oder eine gewaltige Lebenskrise zu meistern haben. Sie bringen uns zum Lachen, feiern mit uns, weinen mit uns und erinnern uns daran, dass selbst der schlimmste Tag noch lebenswert ist.

Wenn Sie Maddie, Dana Sue und Helen gleich zum ersten Mal begegnen, hoffe ich, es bereitet Ihnen Freude, sie kennenzulernen. Wenn Sie Ihre Freundschaft mit ihnen erneuern, hoffe ich, es zaubert das ein oder andere Lächeln in Ihr Gesicht. Vor allem aber hoffe ich, dass Sie herzliche, wunderbare Freundinnen in Ihrem Leben haben und jede Minute mit ihnen schätzen.

Alles Gute

Sherryl

KAPITEL 1

Eigentlich hielt sich Helen Decatur für eine sachliche, kompetente Frau, die auf ihren Verstand setzte, um Fälle zu gewinnen. Dennoch verließ sie das Gerichtsgebäude in Serenity mit dem starken Drang, einigen der klüngelnden Persönlichkeiten von South Carolina mit ein paar kräftigen Hieben sowohl Vernunft als auch Anstand einbläuen zu wollen.

Beweisen konnte sie – abgesehen von wöchentlichen Golfpartien – nichts. Dennoch war sie überzeugt davon, dass der Richter, der gegnerische Anwalt und der baldige Exmann ihrer Mandantin unter einer Decke steckten, um der Frau vorzuenthalten, was ihr nach fast dreißig Jahren zustand, die sie ganz ihrem Mann, seiner Karriere und ihren Kindern gewidmet hatte. Es ließ sich nicht übersehen, dass die ständigen Verzögerungen und Aufschübe Caroline Holliday zermürben sollten, bis sie sich mit einem Bruchteil dessen zufriedengeben würde, was ihr Ehemann ihr schuldete.

Und früher oder später würde Caroline einknicken. Helen hatte die Niedergeschlagenheit in ihren Augen gesehen, als der Richter heute Brad Hollidays Anwalt einen weiteren Aufschub gewährt hatte. Jimmy Bob West behauptete, sie hätten einige Dokumente noch nicht gesehen, die Helen bereits vor Wochen bei Gericht eingereicht hatte. Auch Helens Vorlage einer unterzeichneten Kurierquittung für die Zustellung der Unterlagen hatte Richter Lester Rockingham nicht davon abgehalten, dem Antrag ihres Gegners stattzugeben.

»Helen, es besteht kein Grund zur Eile«, hatte der Richter in herablassendem Ton gemeint. »Wir verfolgen hier alle dasselbe Ziel.«

»Nicht ganz«, hatte Helen leise gebrummelt, hatte jedoch keine andere Wahl gehabt, als sich mit der Entscheidung abzufinden. Vielleicht könnte sie die zusätzliche Zeit nutzen, um Brads Finanzen noch genauer unter die Lupe zu nehmen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass ihm dadurch das selbstgefällige Lächeln vergehen würde. Wer so schnell so umfangreiche Unterlagen zur Verfügung stellte wie Brad, verbarg unter der Papierlawine oft Vermögenswerte und hoffte, sie würden begraben bleiben.

Brads selbstgefälliger Gesichtsausdruck ärgerte sie maßlos, doch sie fand ein wenig Befriedigung darin, dass Jimmy Bob darauf achtete, tunlichst ihren Blick zu meiden. Er kannte sie schon lange und wusste, dass man es besser nicht darauf anlegte, ihr Temperament mit ihr durchgehen zu lassen. Wenn es nach ihm ging, hütete er sich davor, sie zu weit zu treiben. Wenn ihn ein Mandant anstachelte, ließ er sich gelegentlich dazu verleiten, Risiken einzugehen – so wie diesmal.

Jimmy Bob hatte zurückgegeltes Haar, einen rötlichen Teint und einen derben Humor. Er hatte schon so oft die Klinge mit Helen gekreuzt, dass sie recht genau wusste, was sie von ihm zu erwarten hatte. Der Mann war in South Carolina geboren und aufgewachsen und hatte schon an der Highschool die Gabe besessen, sich aus jeder Bredouille zu reden. Soweit Helen wusste, hatte er zwar noch nie eine ethische Grenze überschritten, aber so regelmäßig, wie er sich auf Gratwanderungen einließ, kam es einem Wunder gleich, dass er noch nie das Gleichgewicht verloren hatte und in einem rechtlichen Sumpf gelandet war.

»Tut mir so leid«, wandte sich Helen an Caroline, während sie ihre Unterlagen einsammelte. »Aber damit können sie nicht ewig weitermachen.«

»Natürlich können sie«, entgegnete ihre Mandantin müde. »Brad hat es nicht eilig. Er ist zu beschäftigt damit, Viagra einzuwerfen und mit jeder Frau ins Bett zu steigen, die ihm über den Weg läuft, um sich darum zu scheren, wann die Scheidung endlich durchgeht. Tatsächlich hat er bei seinen Affären damit die perfekte Ausrede, warum er keine Verpflichtungen eingehen kann. Er ist gerade im siebten Himmel, kann ohne Konsequenzen tun und lassen, was er will. In seinen Augen lässt sich jede Frau wissentlich auf eigene Gefahr mit ihm ein.«

»Was haben Sie nur je in einem solchen Kerl gesehen?«, erwiderte Helen.

Ihr fiel auf, dass sie in letzter Zeit vielen ihrer Mandantinnen diese Frage stellte. Wie landeten intelligente, attraktive Frauen bei Männern, die derart unter ihrer Würde waren? Ihrer Ansicht nach ließ man von der Ehe am besten die Finger. Ihre Freundinnen meinten, sie wäre bloß abgestumpft, weil sie für ihre Mandantinnen schon zu viele hässliche Rosenkriege ausgefochten hatte. Das konnte sie zwar nicht leugnen, aber die glücklichen Ehen, die sie kannte, ließen sich an einer Hand abzählen. Eine führte ihre Freundin und Geschäftspartnerin Maddie Maddox – allerdings auch erst, nachdem sie sich von einer miesen ersten Ehe erholt hatte. Ihre andere Freundin und Geschäftspartnerin, Dana Sue Sullivan, war seit Kurzem wieder mit ihrem Exmann Ronnie zusammen, und sogar für Helens zynische Augen sah es so aus, als würde es diesmal von Dauer sein.

»Brad war nicht immer so«, sagte Caroline. Ein nostalgischer Ausdruck trat dabei in ihre Züge. »Als wir uns kennengelernt haben, war er aufmerksam und rücksichtsvoll. Er war ein großartiger Vater und Versorger. Und bis vor wenigen Monaten hätte ich gesagt, wir haben eine solide Ehe geführt.«

Den Rest hatte Helen schon in der einen oder anderen Version gehört. Brad war an Prostatakrebs erkrankt, der seine Potenz bedroht hatte. Danach hatte er den Bezug zur Realität verloren. Er wurde geradezu besessen davon zu beweisen, dass er immer noch ein Mann war, indem er mit einer Reihe jüngerer Frauen schlief. Dabei übersah er völlig, dass ein richtiger Mann bei der Familie geblieben wäre, die ihm während seiner Behandlung und Genesung zur Seite gestanden hatte.

Als Helen das Gerichtsgebäude verließ, fühlte sie sich noch zynischer als sonst. Nur zu gern wäre sie ins Corner Spa gegangen, das sie zusammen mit Maddie und Dana Sue gegründet hatte, um dort eine Stunde zu trainieren. Doch sie wusste, dass in ihrer Kanzlei ein randvoller Terminkalender wartete. Normalerweise hätte sie das als erfüllend empfunden, doch in letzter Zeit fragte sie sich immer öfter, wofür sie eigentlich so hart arbeitete.

Sie war beruflich erfolgreich, hatte ein hübsches Sümmchen auf dem Bankkonto und ein wunderschönes Haus in Serenity, das sie zu selten genießen konnte. Außerdem hatte sie gute Freundinnen. Nur zu der Familie, die sie sich früher für sich vorgestellt hatte, war es nie gekommen. Stattdessen begnügte sie sich mit der Rolle der hingebungsvollen Ersatztante für Maddies Kinder – Tyler, Kyle, Katie und Jessica Lynn – und für Dana Sues Tochter Annie.

Die Schuld lag bei ihr selbst, das wusste Helen. Sie war immer zu getrieben gewesen, hatte sich zu sehr für ihre Mandantinnen aufgeopfert, die sich auf sie verließen. Deshalb hatte sie nie die Zeit gefunden, sich einen Mann zu suchen, der sich für eine ernsthafte Beziehung und vielleicht eine spätere Ehe eignete. Und je höher der Anteil von Scheidungen bei ihren Fällen wurde, desto weniger hielt sie davon, das eigene Herz für etwas aufs Spiel zu setzen, bei dem es keine Garantien gab.

Als sie ihre Kanzlei in einem kleinen Haus in einer Seitenstraße nahe dem Zentrum von Serenity erreichte, übergab ihre Sekretärin ihr einen dicken Stapel Nachrichtenzettel und deutete mit dem Kopf in Richtung ihres Büros.

Barb Dixon ging auf die sechzig zu, trug das Haar ungeniert grau und arbeitete bereits seit dem Tag der Eröffnung der Kanzlei für Helen. Die Witwe hatte drei Söhne allein großgezogen und alle durchs College gebracht. Barb besaß einen unerschöpflichen Vorrat an Geduld und Mitgefühl für Mandantinnen und unerschütterliche Loyalität gegenüber Helen. Außerdem hielt sie es zugleich für ihr Recht und ihre Pflicht, sich Helen von Zeit zu Zeit zur Brust zu nehmen – was sich nicht viele Menschen trauten.

»Dein Zweiuhrtermin wartet seit einer Stunde in deinem Büro«, sagte sie tadelnd. »Und dein Dreiuhrtermin wird jeden Moment hier sein.«

Helen warf über Barbs Schulter einen Blick auf den Kalender, den die Frau gewissenhaft führte. Sie wusste instinktiv, wann sie etwas mehr Zeit für jemanden einräumen musste und wann sie einen Termin besser auf fünfzehn Minuten beschränkte, um Helens Geduld nicht zu strapazieren.

»Karen Ames?«, fragte Helen. »Sie arbeitet im Sullivan’s für Dana Sue. Was macht sie hier?«

»Hat sie mir nicht gesagt. Sie hat nur gemeint, sie müsste dringend mit dir reden. Heute Nachmittag hat jemand abgesagt, deshalb habe ich sie gestern angerufen und ihr den Termin gegeben. Wenn du ihn kurz hältst, kannst du ein bisschen aufholen.«

»Na schön, dann lege ich mal los. Entschuldige dich für mich bei Mrs Hendricks, wenn sie kommt. Bring ihr eine Tasse Tee und ein paar der Kekse aus dem Sullivan’s. Sie wird zwar sagen, sie wäre auf Diät, aber das kaufe ich ihr nicht ab. Erst neulich hat sie sich bei Wharton’s über einen Erdbeereisbecher hergemacht.«

Barb nickte. »Geht klar.«

Helen betrat ihr Büro mit den antiken Möbeln und den pfirsichfarbenen Wänden. Karen saß angespannt auf einem Stuhl für Gäste und kaute nervös an den Fingernägeln. Das blonde Haar trug sie zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, der ihre zierlichen Wangenknochen und großen blauen Augen betonte. Sie wirkte kaum älter als ein Teenager, obwohl sie auf die dreißig zuging und zu Hause zwei noch sehr kleine Kinder hatte.

»Tut mir so leid, dass Sie warten mussten, Karen«, entschuldigte sich Helen. »Bei Gericht ist es nicht pünktlich losgegangen, dann hat es auch noch länger als erwartet gedauert, einen neuen Verhandlungstermin zu vereinbaren.«

»Schon gut«, erwiderte Karen. »Ich bin ja froh, dass Sie mich überhaupt empfangen.«

»Was kann ich für Sie tun?«

»Ich glaube, Dana Sue will mich feuern«, platzte Karen mit weinerlicher Stimme heraus. »Ich weiß nicht, was ich tun soll, Ms Decatur. Ich hab zwei kleine Kinder. Mein Exmann zahlt seit einem Jahr keinen Unterhalt mehr. Wenn ich den Job verliere, könnten wir auf der Straße landen. Der Vermieter droht uns schon mit der Zwangsräumung.«

Helen fühlte mit der blassen, offensichtlich überlasteten jungen Frau, die vor ihr saß. Es ließ sich nicht übersehen, dass Karen mit ihren Kräften am Ende war.

»Sie wissen, dass Dana Sue und ich nicht nur befreundet, sondern auch Geschäftspartnerinnen beim Corner Spa sind«, sagte Helen. »Warum kommen Sie zu mir? Ich kann Sie nicht vertreten. Aber ich empfehle Ihnen gern jemanden, der es kann.«

»Nein, bitte«, protestierte Karen. »Ich habe ja eher gehofft, Sie könnten mir irgendeinen Rat geben, eben weil Sie beide befreundet sind. Mir ist klar, dass ich sie in letzter Zeit viel zu oft im Stich gelassen habe, aber das war nur wegen der Kinder. Da ist eins zum anderen gekommen – erst die Masern, dann hat die Babysitterin gekündigt. In erster Linie bin ich Mutter. Das muss ich sein. Sie haben ja sonst niemanden.«

»Natürlich haben sie höchste Priorität«, sagte Helen, obwohl sie selbst zu ihrem wachsenden Bedauern nie erlebt hatte, was es bedeutete, Kinder und Beruf unter einen Hut bringen zu müssen.

»Die Vorstellung, mit zwei Kindern obdachlos zu werden, jagt mir eine Heidenangst ein.«

»Dazu lassen wir es nicht kommen«, erwiderte Helen entschlossen. »Haben Sie sich schon mit Dana Sue zusammengesetzt und ihr von Ihrem Exmann und der drohenden Zwangsräumung erzählt?«

Karen schüttelte den Kopf. »Das ist mir zu peinlich. Ich finde es unprofessionell, meine finanziellen Probleme bei der Arbeit anzusprechen. Deshalb hab ich weder mit ihr noch mit Erik je darüber geredet. Wenn ich anrufe und Bescheid gebe, dass ich nicht kommen kann, sage ich immer die Wahrheit. Trotzdem müssen sie es inzwischen leid sein, von einem Problem nach dem anderen mit den Kindern zu hören. Ich hab mich mit dem Job zur Anwesenheit im Lokal verpflichtet. Dana Sue hat jedes Recht, das auch von mir zu erwarten.«

»Also verstehen Sie ihre Lage«, sagte Helen.

»Natürlich«, erwiderte Karen sofort. »Und sie hat ja nicht viel Personal, das einen Ausfall auffangen kann. Tatsächlich kommen wir manchmal kaum mit der Arbeit zurecht, wenn wir alle da sind. Ich versuche ja, eine andere Babysitterin für die Kinder aufzutreiben. Aber haben Sie eine Ahnung, wie schwer es ist, jemanden zu finden, der bereit ist, zu den Zeiten, wenn ich arbeiten muss, auf zwei kranke kleine Kinder aufzupassen? Es ist fast unmöglich. Kindertagesstätten haben nicht so lange offen. Und krank hätte ich sie ohnehin nicht hinbringen können.«

Niedergeschlagen ließ sie die Schultern hängen. »Bis das alles passiert ist, war ich eine gute Mitarbeiterin. Sie können Dana Sue oder Erik ruhig fragen, wie hart ich gearbeitet habe. Es gefällt mir im Sullivan’s so unheimlich gut. Dana Sue hat mir eine fabelhafte Chance geboten, indem sie mich von dem Diner weggeholt hat, in dem ich vorher war. Es macht mich so fertig, dass ich sie vermassle.«

»Noch haben Sie gar nichts vermasselt«, tröstete Helen sie. »Ich weiß, dass Dana Sue große Stücke auf Sie hält. Aber Sie haben schon recht. Sie braucht Personal, auf das sie sich verlassen kann.«

»Das weiß ich«, beteuerte Karen elend. »Und das verdient sie auch. Ich fühle mich im Moment einfach hoffnungslos mit allem überfordert. Können Sie mir irgendwie helfen? Wie soll ich damit umgehen?«

Helen ließ sich die Situation durch den Kopf gehen. Obwohl Arbeitsrecht nicht zu ihren Fachgebieten zählte, war sie ziemlich sicher, dass Dana Sue eine Mitarbeiterin, bei der Abwesenheit überhandnahm, völlig legal entlassen konnte, vor allem, wenn sie wiederholt verwarnt worden war. Gleichzeitig wusste sie, dass ihre Freundin nie jemanden treten würde, der auf dem Boden lag. Das Sullivan’s war unter anderem deshalb so erfolgreich, weil Dana Sue die relativ kleine Belegschaft immer als Familie betrachtet hatte. Das gehörte mit zu den Gründen, warum sie zögerte, sich zu vergrößern.

»Was halten Sie davon, wenn wir uns mit Dana Sue zusammensetzen und gemeinsam versuchen, eine Lösung zu finden?«, schlug Helen vor. »Dana Sue ist ein einfühlsamer Mensch. Bestimmt nagt die Vorstellung, Sie entlassen zu müssen, an ihr genauso sehr wie an Ihnen. Außerdem weiß ich, dass sie viel Zeit in Ihre Ausbildung zur Souschefin investiert hat. Im Gegensatz zu Ihrem Vorgänger, den sie bei der Eröffnung hatte, passen Sie perfekt ins Team. Ich hab auch gehört, dass Sie mit viel Eigeninitiative neue Rezepte für das Sullivan’s entwickeln. Und als Dana Sue eine eigene Familienkrise hatte, da waren Sie zur Stelle. Vielleicht kann ich irgendeinen Kompromiss vermitteln, um Ihnen Zeit zu verschaffen, Ihr Leben wieder zu ordnen.«

»Das wäre unglaublich«, sagte Karen.

»Leider wäre damit nur ein Teil des Problems gelöst. Eine zuverlässige Babysitterin müsste trotzdem noch gefunden werden«, erinnerte Helen sie. »Aber zusammen kennen Dana Sue und ich eine Menge Leute. Bestimmt gibt es irgendjemanden, der Zeit hat und sich darüber freuen würde, gebraucht zu werden.«

Kurz flammte Hoffnung in Karens Augen auf, verblasste jedoch schnell wieder. Die Frau schien sich damit abgefunden zu haben, Niederlagen als Norm zu akzeptieren.

»Tut mir sehr leid, wenn ich Sie in eine unangenehme Lage bringe«, entschuldigte sie sich.

»Unsinn«, entgegnete Helen. »Wenn Sie das Sullivan’s wegen ungerechtfertigter Entlassung verklagen wollten, könnte ich Ihnen aufgrund meiner engen Beziehung zu Dana Sue nicht helfen. Aber wir sprechen ja lediglich davon, dass sich drei vernünftige Frauen zusammensetzen und offen miteinander reden. Meiner Ansicht nach ist Offenheit gegenüber Dana Sue hier die einzige Möglichkeit.«

Karen bedachte Helen mit einem besorgten Blick. »Ich hab keine Ahnung, wie hoch Ihr Honorar ist, aber ich verspreche Ihnen, ich bezahle Sie so bald wie möglich. Sie können sich gern über meine Kreditwürdigkeit erkundigen. So schwierig es auch ist, seit mein Mann uns verlassen hat, ich habe mich immer bemüht, meine Rechnungen pünktlich zu bezahlen. Einmal war ich mit der Miete im Rückstand. Der Vermieter ist durch die Decke gegangen, obwohl er das Geld eine Woche nach Fälligkeit bekommen hat. Er lauert nur auf ein weiteres Versäumnis, damit er uns rausschmeißen und vom nächsten Mieter mehr verlangen kann.«

»Vergessen wir vorerst mal das Honorar«, sagte Helen. »Wie gesagt betrachten wir es ja lediglich als zwangloses Gespräch unter Freundinnen, okay?«

Tränen traten Karen in die Augen und ergossen sich über ihre Wangen. Sie wischte sie ungeduldig weg. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Ms Decatur. Echt nicht.«

»Zunächst mal, indem du mich Helen nennst und wir uns duzen, in Ordnung?«, sagte sie. Karen schaute überrascht drein, nickte aber bereitwillig. Helen fuhr fort. »Und bevor du mir dankst, warten wir ab, ob wir auch eine für alle Beteiligten vorteilhafte Lösung finden, ja?«

Helen glaubte nicht, dass es ein Problem damit geben würde, sobald Dana Sue die Hintergründe kannte. Das Sullivan’s lief gut genug, dass sie es sich leisten konnte, bei Bedarf eine zusätzliche Teilzeitkraft einzustellen, die einspringen konnte, wenn Karen eine weitere unabwendbare Krise mit ihren Kindern zu meistern hatte. Schlimmstenfalls könnte sogar Helen selbst einspringen und aushelfen. Das hatte sie schon gemacht, als Dana Sue wegen eines Notfalls nicht im Restaurant sein konnte.

Dabei hatte Helen festgestellt, dass ihr die Arbeit mit Erik tatsächlich Vergnügen bereitete. Er war der wahrscheinlich einzige Mann auf dem Planeten, der sich von ihr nicht im Geringsten einschüchtern ließ. Was sie zugleich erfrischend und frustrierend fand.

Außerdem fühlte es sich seltsam beruhigend an, in der Küche so zu hacken und zu würfeln, dass es seine hohen Ansprüche erfüllte. Nach einem harten Tag bei Gericht hatte es ihr beim Stressabbau geholfen, sich einen besonders widerspenstigen Zeugen oder mürrischen Richter auf dem Hackklotz vorzustellen, während sie arbeitete. Und heute hätte sie es als besonders befriedigend empfunden, Richter Rockingham, Jimmy Bob oder Brad Holliday imaginär mit dem Messer zu bearbeiten.

»Arbeitest du morgen?«, wollte Helen von Karen wissen.

»Sofern meine Babysitterin aufkreuzt, bin ich ab zehn zur Vorbereitung fürs Mittagessen im Lokal und bleibe bis sieben, helfe noch beim Anfang vom Abendansturm mit.«

Helen nickte. »Ich erkundige mich bei Dana Sue nach ihrem Terminplan, danach melde ich mich bei dir, okay? Wir kriegen das schon hin, Karen. Versprochen.«

Sie wollte aufrichtig tun, was sie konnte, um Karens Job zu retten, selbst wenn sie eine Zeit lang regelmäßig beim Sullivan’s in der Küche aushelfen müsste. Vielleicht könnte sie sogar etwas wegen des zahlungsunwilligen Ehemanns unternehmen, obwohl Karen in der Hinsicht gar nicht um Hilfe gebeten hatte. Das würde sie mit Freude unentgeltlich für die Frau übernehmen.

Als Karen die Kanzlei verließ, war ihr wesentlich leichter ums Herz als bei ihrem verzweifelten Anruf mit der Bitte um einen Termin. Sie hatte genug über die Anwältin gehört, um zu wissen, dass sie hart für ihre Mandanten arbeitete – wie bei allem, was die Frau in Angriff nahm. Wenn Karen je eine Alphapersönlichkeit kennengelernt hatte, dann Helen. Dana Sues Perfektionismus in der Küche des Sullivan’s wirkte im Vergleich dazu wie ein niedlicher kleiner Spleen.

Als Karen zu ihrer Zweizimmerwohnung in einem reizlosen Klotz von einem Gebäude zurückkehrte, klopfte sie an die Tür ihrer Nachbarin. Frances Wingate, die über achtzig sein musste, es aber nicht zugeben wollte, hatte eingewilligt, die Kinder für ein, zwei Stunden zu sich zu nehmen. Mehr verkraftete sie nicht mit der ungestümen fünfjährigen Daisy und dem lebhaften dreijährigen Mack. Länger als zwei Stunden ließ sich Daisy nicht mit ihren Buntstiften oder ihren Büchern beschäftigen. Und Macks Nickerchen dauerte in der Regel sogar nur halb so lang. Während Karen darauf wartete, dass Frances an die Tür kam, hörte sie Mack bereits weinen.

»Du Riesenbaby, jetzt schau nur, was du mit meinem Bild gemacht hast!«, schimpfte Daisy, als Frances die Tür öffnete.

Karen schenkte ihr einen entschuldigenden Blick. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.«

Frances wirkte nicht annähernd so erledigt, wie Karen erwartet hatte. »Ach, ist schon gut. Das Theater hat gerade erst angefangen. Mack ist vor einer Minute aufgewacht und direkt zum Tisch gerannt, wo Daisy gemalt hat. Er hat ihr Lieblingsbild zerrissen, das sie für dich gemacht hatte. Ich wollte den beiden gerade Kekse und Milch bringen – das sollte sie beruhigen. Komm doch rein und gönn dir auch was davon. Sind Kekse mit Schokosplittern. Ich habe sie heute Morgen gebacken.«

»Sind Sie sicher, dass Sie den Krawall noch länger ertragen?«, fragte Karen besorgt. »Bestimmt sehnen Sie sich schon nach Ruhe und Frieden.«

Frances bedachte sie mit einem schiefen Blick. »In meinem Alter sind Ruhe und Frieden nicht mehr so ein Segen, wie man meinen möchte. Ich hab gern Kinder um mich herum. Sie erinnern mich an meine eigenen, obwohl ich ungern sagen möchte, wie lang es her ist, dass sie so jung waren wie Daisy und Mack. Ich habe Urenkel, die älter sind als die beiden.« Sie zog Karen in die Wohnung. »Jetzt setz dich hin und leg die Füße hoch. Ich versorge die Kinder, dann können wir zwei ein bisschen plaudern.«

Als Karen vorhin bei Frances nachgefragt hatte, ob sie auf die Kinder aufpassen könnte, hatte sie als Grund nur gemeint, sie müsste mit jemandem über Probleme bei der Arbeit sprechen. Die alte Dame hatte keine Sekunde gezögert. »Natürlich«, hatte sie gesagt. »Geh du nur und erledige, was du zu erledigen hast.«

Während Frances nun in die kleine Küche eilte, betrat Karen das Esszimmer, wo die Kinder immer noch ihren lautstarken Streit über das zerstörte Bild austrugen. Kaum hatte Daisy sie bemerkt, rannte sie zu ihr und streckte die Arme hoch, weil sie hochgehoben werden wollte.

»Mami, Mack hat mein Geschenk für dich zerrissen«, klagte Daisy empört, und in ihren großen blauen Augen schimmerten Tränen.

Obwohl Daisy allmählich zu schwer für Karen wurde, um sie lange zu tragen, wiegte sie ihr geliebtes kleines Mädchen in den Armen. »Schätzchen, er ist erst drei. Bestimmt wollte er das Bild nicht kaputt machen.«

»Aber es ist ruiniert«, jammerte Daisy.

»Ich wette, du kannst mir ein anderes malen, das sogar noch schöner ist«, schlug Karen vor. »Du malst so tolle Bilder.«

Noch während sie sprach, klammerte sich Mack an ihr Bein. Seine Schultern zuckten, während er untröstlich schluchzte. »Mami!«, heulte er. »Hoch!«

Karen spürte, dass sich pochende Kopfschmerzen anbahnten. Hin- und hergerissen zwischen ihren beiden aufgebrachten Kindern, gelang es ihr, sich mit Daisy nach wie vor in den Armen, an den Tisch zu setzen. Sie verlagerte ihre Tochter auf ein Knie und zog Mack auf ihren Schoß. Sofort wollte Daisy runter, fühlte sich offenbar verraten, weil sich die Aufmerksamkeit auf ihren kleinen Bruder verlagerte.

»Noch nicht«, sagte Karen streng zu ihr. »Reden wir erst darüber.«

»Er ist ein Baby«, sagte Daisy mürrisch. »Er hört nie auf mich.«

»Und geht es nicht genau darum?«, fragte Karen. »Wenn er noch zu klein ist, um zu verstehen, dass dir etwas wichtig ist, musst du die große Schwester sein und wichtige Sachen so aufbewahren, dass er sie nicht erreicht. Kannst du das versuchen?«

»Denke schon.« Daisy klang resigniert.

»Danke«, sagte Karen mit ernster Miene zu ihr.

»Na, wer will Milch und Kekse?«, fragte Frances vergnügt.

Blitzartig lösten sich die Kleinen von Karen, kletterten runter, liefen zur Küche los und hatten die Meinungsverschiedenheit bereits vergessen. Frances’ Kekse erfreuten sich bei den Kindern immer großer Beliebtheit. Sie mochten sie lieber als die ausgefalleneren Desserts, die Karen manchmal aus dem Sullivan’s mitbrachte.

»Was haltet ihr davon, wenn wir daraus ein Picknick machen?«, schlug Frances vor. »Ich lege ein großes Tischtuch auf den Boden vor dem Fernseher, dann könnt ihr die Milch und die Kekse dort naschen.«

»Ich liebe Picknick!«, rief Daisy begeistert.

»Ich auch«, vertraute Frances ihr an. »Und weißt du, was das Beste daran ist, wenn man im Haus picknickt?«

»Was?«, fragte Daisy.

»Keine Ameisen.«

Daisy kicherte.

Karen half Frances, eine rot karierte Tischdecke aus Kunststoff auszubreiten, auf der sie einen Teller mit Keksen abstellte. »Zwei für jeden von euch«, betonte Frances. »Mack, hier eine Schnabeltasse mit Milch für dich, Daisy, hier ein Glas für dich.«

Sie schaltete den Fernseher ein und reichte Daisy die Fernbedienung. »Such den Zeichentrickkanal, den ihr beide so mögt, ja?«

Auch das liebten ihre Kinder an Besuchen bei Frances. Sie hatte Kabelfernsehen mit etlichen Sendern, die sich Karen nicht leisten konnte. Zu Hause hatten sie nur die drei großen Sender und einen Lokalsender, der uralte Wiederholungen ausstrahlte.

»Damit sollten sie ein Weilchen beschäftigt sein«, meinte Frances. »Ich habe uns Tee zu den Keksen gemacht. Setz dich an den Esstisch, und ich bringe alles.«

»Bitte lassen Sie mich helfen«, sagte Karen.

»Wenn ich mal nicht mehr in der Lage bin, einen Teller mit Keksen und zwei Tassen Tee zum Tisch zu tragen, melde ich mich selbst in dem Pflegeheim an, das sie vor ein paar Jahren in der Nähe gebaut haben«, entgegnete Frances.

Karen wusste, dass es keinen Sinn hätte, mit der Frau zu diskutieren. Sie hatte noch kaum jemand so Willensstarken und Unabhängigen wie Frances kennengelernt. Wahrscheinlich kam sie deshalb nach wie vor so gut allein zurecht. Hin und wieder schaute eines ihrer Kinder vorbei und klopfte dann immer bei Karen, um sich zu erkundigen, ob Frances ihrer Meinung nach allmählich zu greis wurde, um allein zu leben.

Karen hatte es nie als notwendig empfunden, die Wahrheit auch nur im Geringsten zu beschönigen. Ihre Nachbarin besaß nach wie vor einen scharfen Verstand und für eine Frau ihres Alters reichlich Energie. Sie engagierte sich in der Kirche und ging mindestens einmal die Woche in die Bibliothek, um sich etwas zum Lesen zu holen. Bis vor wenigen Monaten hatte sie sogar ehrenamtlich im Regionalkrankenhaus mitgeholfen, doch die lange Fahrt war ihr letztlich zu viel geworden. Mittlerweile opferte sie täglich die eine oder andere Stunde dafür, im Ort nach Bettlägerigen zu sehen. Sie rief sie an oder stattete ihnen Besuche ab, um mit ihnen zu plaudern und sich zu erkundigen, ob sie mehr als ein paar Minuten Gesellschaft brauchten.

Obwohl Frances’ Wohnung genauso groß wie die von Karen war, wirkte sie gemütlich und einladend, was Karen von ihrer nicht behaupten konnte. Vielleicht lag es an den Erinnerungen eines Lebens, die sich in Form von Bildern und verschiedenen Sammlerstücken manifestierten. Hinter jedem Nippes überall im Wohnzimmer steckte eine faszinierende Geschichte. Überraschenderweise hatten die Kinder – sogar Mack – schnell gelernt, sie anzuschauen, aber nicht anzufassen. Als ein einziges Mal zu Karens Verdruss doch etwas zu Bruch gegangen war, hatte Frances den Unfall unbekümmert abgetan.

»Ein Teil weniger zum Abstauben«, hatte sie nur gemeint und dabei aufrichtig geklungen.

Während sie Tee in nicht zusammenpassende Ziertassen einschenkte, musterte sie Karen aufmerksam. »Du hast immer noch diesen besorgten Ausdruck in den Augen. Ist das Treffen nicht gut verlaufen?«

»Eigentlich sogar besser als erwartet«, erwiderte Karen. »Aber wirklich weisen wird es sich erst morgen. Die Anwältin, bei der ich war, hat vorgeschlagen, sich mit meiner Chefin zusammenzusetzen. Sie will gemeinsam eine Lösung für das Problem erarbeiten, dass ich in letzter Zeit so oft zu spät oder gar nicht bei der Arbeit erschienen bin. Und sie ist zuversichtlich, dass es klappen wird. Ich bin mir da nicht so sicher.«

»Du kannst doch nicht glauben, dass Dana Sue dich feuern würde«, entfuhr es Frances, sichtlich verblüfft. »Geht es darum?«

Karen nickte. »Und ich würde ihr keinen Vorwurf daraus machen.«

»Liebes, Dana Sue ist eine der nettesten jungen Frauen, die ich kenne. Es steckt nicht in ihr, jemanden zu entlassen, der gerade eine schwere Zeit durchmacht. Hast du gewusst, dass ich sie in der zweiten Klasse unterrichtet habe?« Kopfschüttelnd verzog sie die runzligen Züge zu einem Lächeln. »Meine Güte, war sie damals temperamentvoll. Dagegen kommt einem deine Daisy wie ein kleiner Engel vor.«

Karen grinste. »Kann ich mir nicht vorstellen.«

»Deshalb habe ich ihre Eltern gut gekannt«, fügte Frances hinzu. »Und Dana Sue erst recht, weil sie in den Pausen oft drinnen bleiben musste. Daran erinnert sie mich jedes Mal, wenn ich mit meiner Gruppe aus der Kirche zum Mittagessen ins Sullivan’s gehe. Sie meint, ich wäre die Letzte gewesen, der es je gelungen ist, sie im Zaum zu halten. Wenn du meinst, es könnte helfen, rede ich gern mit ihr.«

»Wirklich helfen würde mir nur, jemanden zu finden, der auf die Kinder aufpasst, damit ich dann zur Arbeit kann, wenn ich zum Dienst eingeteilt bin«, erwiderte Karen.

Frances bedachte sie mit einem bedauernden Blick. »Ich würde dir zu gern helfen, wenn ich könnte. Mit Daisy würde ich vielleicht ein paar Stunden zurechtkommen, aber ich bin zu alt, um Mack hinterherzujagen.«

»Glauben Sie mir, an manchen Tagen fühle ich mich zu alt, um mit Mack mitzuhalten«, erwiderte Karen und meinte es ernst. »Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie die beiden gelegentlich für ein, zwei Stunden übernehmen. Länger würde ich Ihnen das auf keinen Fall zumuten.«

Frances bedachte sie mit einem mitfühlenden Blick. »Hast du in letzter Zeit mal etwas von ihrem Vater gehört? Zahlt er Unterhalt für sie?«

Karen schüttelte den Kopf. Allein beim Gedanken daran, wie Ray die Kinder und sie sich selbst überlassen und sich einfach aus dem Staub gemacht hatte, kündigten sich wieder pochende Kopfschmerzen an. »Damit kann ich mich im Moment nicht mal auseinandersetzen«, sagte sie und gab sich keine Mühe, ihre Verbitterung zu verbergen. »Vorerst muss ich mich ganz darauf konzentrieren, meinen Job zu behalten, damit ich das Dach über dem Kopf nicht verliere.«

»Falls es dazu kommt, ziehst du einfach hier bei mir ein, bis sich alles wieder einrenkt«, bot Frances sofort an. »Ich lasse doch nicht zu, dass die Kleinen und du auf der Straße landen, und damit basta. Also mach dir deswegen mal keine Sorgen.«

»Das geht doch nicht«, protestierte Karen.

»Natürlich geht das. Freunde helfen sich gegenseitig. Ich kann vielleicht nicht den ganzen Tag auf die Kinder aufpassen, aber ich kann sehr wohl dafür sorgen, dass ihr ein Dach über dem Kopf habt.«

Fassungslos schweigend, saß Karen da. Sie betete zwar darum, nie darauf zurückkommen zu müssen, doch allein das Angebot war das Wundervollste und Großzügigste, was jemals jemand für sie getan hatte. Und da zudem Helen bereit war, ihr beim Kampf um ihren Arbeitsplatz zu helfen, verwandelte sich ein Tag, der mit einem Haufen Sorgen begonnen hatte, zunehmend in einen voller Segen.

KAPITEL 2

Es war fast sieben Uhr, als Helen mit der letzten Mandantin fertig wurde. Da Barb bereits vor einer Stunde gegangen war, schaltete sie die Lichter aus und schloss die Kanzlei ab, erleichtert darüber, den Arbeitstag hinter sich zu haben.

Draußen wog sie ab, ob sie in ihr leeres Haus oder zu Sullivan’s gehen sollte, um sich eine feine Mahlzeit zu gönnen und Dana Sue ein paar Minuten ihrer Zeit zu stehlen. Wann immer sie eine Gelegenheit sah, eine der süßen Magnolien zu sehen, wie sie sich früher genannt hatten, packte Helen sie beim Schopf. Vielleicht könnte sie sogar ein wenig vorfühlen, bevor Karen und sie sich morgen offiziell mit ihr im Restaurant treffen würden. Barb hatte den Termin für zwei Uhr vereinbart. Um die Zeit würde der Mittagsansturm bereits ausklingen.

Das Restaurant hatte sich auf neue Südstaatenküche spezialisiert, wie Dana Sue die kulinarische Ausrichtung nannte. Wie an den meisten Abenden erwies es sich als berstend voll. Obwohl in Serenity selbst nur etwa 3 500 Seelen lebten, hatte sich der Ruf des Sullivan’s dank hervorragender Kritiken in den Zeitungen von Charleston und Columbia in der gesamten Region verbreitet.

Helen wurde an der Tür von Brenda begrüßt. Die Kellnerin wirkte gehetzt. »In ein paar Minuten sollte ein Tisch frei werden«, sagte sie zu Helen. »Macht’s dir was aus zu warten?«

»Überhaupt nicht. Meinst du, ich riskiere Kopf und Kragen, wenn ich kurz in die Küche schaue, um Dana Sue hallo zu sagen?«

Brenda grinste. »Ich würde sagen, das hängt davon ab, wie bereit du bist, mit anzupacken. Sie und Erik haben heute Abend alle Hände voll zu tun. Seit dem Bericht über uns in der Zeitung von Columbia können wir uns vor Gästen kaum retten. Wenn’s so bleibt, wird sie wohl zusätzliches Vorbereitungspersonal für die Küche und mehr Leute im Service einstellen müssen. Paul und ich schuften uns heute Abend krumm und bucklig, obwohl wir Hilfskräfte dahaben. Und nur, damit du’s weißt, die Abendspezialitäten sind uns vor einer Stunde alle ausgegangen.«

»Werd’s mir merken«, erwiderte Helen und trat den Weg zur Küche an.

Als sie die Tür aufschob und eintrat, erblickte sie Dana Sue am großen Gasherd. Mit von der Hitze gerötetem Gesicht jonglierte Dana Sue ein halbes Dutzend verschiedener Pfannen, übertrug den Inhalt schwungvoll auf bereitstehende Teller, fügte Saucen und würzige Salsas als Dekor hinzu und schob sie zum Abholbereich für das Servicepersonal.

Erleichterung trat in ihre Züge, als sie Helen bemerkte. »Schnapp dir eine Schürze«, befahl sie. »Wir brauchen dich. Hier geht’s zu wie in einem Irrenhaus.«

»Sieht mir eher so aus, als bräuchtest du mehr geschulte Leute. Wo ist Erik?«, fragte Helen. Zackig streifte sie ihr Jackett ab, hängte es an einen Haken in der Speisekammer, suchte sich eine Schürze und legte sie über ihre zweihundert Dollar teure Designerseidenbluse an.

»Direkt hinter dir«, grollte eine tiefe Stimme. »Achtung. Bin schwer beladen.«

Sie drehte sich um und erblickte ihn mit einem Tablett voller Kuchen, frisch aus dem Ofen. Die berauschenden Aromen von Pfirsichen, Zimt und Vanille stiegen ihr in die Nase.

»Wenn du mir ein Stück davon gibst, bin ich für den restlichen Abend deine Sklavin«, bot sie an.

Erik grinste. »Ich heb dir einen ganzen Kuchen auf, aber jetzt ist keine Zeit, ihn zu essen. Du musst eine Ladung Mango-Papaya-Chutney für den Fisch anrühren.« Sein Blick wanderte flüchtig über ihr Outfit, und er schüttelte den Kopf. »Dir ist schon klar, dass die Bluse danach fällig für die Reinigung ist, oder?«

Helen zuckte mit den Schultern. Sie hatte noch ein Dutzend im Schrank. Das konnte sie verkraften. »Kein Problem.«

Herzlichkeit trat in seine dunklen Augen. »Das gefällt mir so an dir. So unkompliziert. Unter der eiskalten Fassade, die du im Gerichtssaal zur Schau stellst, wie ich höre, steckt die Seele einer Frau voller Leidenschaft für gutes Essen. Und einer Frau, die jederzeit bereit ist, Freunden in Not zu helfen, koste es, was es wolle.«

Das Kompliment überrumpelte sie. Wenn der sonst so einsilbige Erik mit etwas Unerwartetem oder Tiefgründigem herausplatzte, was er gelegentlich tat, fragte sie sich immer, wie seine Geschichte lautete. Sie zwinkerte ihm zu. »Das nehme ich nur deshalb so locker, weil sich Dana Sue bei dem Andrang heute Abend bestimmt spielend die Kosten für eine neue Bluse leisten kann.«

»Nicht«, protestierte er. »Raub mir nicht meine Illusionen. Weißt du noch, wie man das Chutney macht?«

Helen schüttelte den Kopf. »Aber keine Sorge. Ich weiß, wo die Rezepte sind. Dort suche ich mir das richtige heraus und hole dann die Zutaten aus dem Lager. Der Nachschub wird im Handumdrehen fertig sein. Du musst mich nicht beaufsichtigen.«

»Kannst du knicken«, warf Dana Sue von ihrem Platz am Herd ein. »Erik freut sich immer so, wenn er mal jemanden beaufsichtigen kann, dass er sich die Chance mit Sicherheit nicht entgehen lässt.«

Im Nu fügte sich Helen in den hektischen Rhythmus der Küche. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit spähte sie zu Erik und bewunderte die Effizienz seiner Handgriffe beinah so sehr, wie sie sich nach den Desserts sehnte, die er unübertroffen zubereitete. Ursprünglich war er als Patissier eingestellt worden, unmittelbar nach seinem Abschluss am Atlanta Culinary Institute – das er offenbar erst nach einer anderen, von ihm nie genannten Laufbahn besucht hatte. Im Verlauf der Zeit jedoch hatte sich seine Rolle in der Küche des Sullivan’s ausgeweitet. Dana Sue verließ sich auf seine Unterstützung und hatte ihn erst vor wenigen Wochen zu ihrem offiziellen Stellvertreter ernannt.

Er war Ende dreißig oder Anfang vierzig, besaß einen scharfen Verstand, ein sanftmütiges Auftreten und uneingeschränkte Loyalität gegenüber Dana Sue. Das gefiel Helen an ihm fast genauso sehr, wie sie seine Kreationen mochte und sich gelegentlich lustvoll nach seinem Sixpack und seinen kompetenten Händen sehnte. Dass ihr bei ihm überhaupt solche Gedanken kamen, empfand sie als überraschend, weil sie eigentlich immer geschniegelte Manager gegenüber den starken, stillen, sportlichen Typen vorgezogen hatte.

Die nächsten zwei Stunden lang wurde Helen mit den niedrigsten Arbeiten bedacht, trotzdem gefiel es ihr, am geschäftigen Treiben in der Küche mitzuwirken. Die Aromen waren köstlich, die Hektik und der Stress geradezu greifbar. Wenn das Kochen zu Hause nur halb so aufregend wäre, würde sie es vielleicht öfter tun. Stattdessen beschränkten sich ihre kulinarischen Unterfangen auf Rührei, wenn sie daran dachte, Eier zu kaufen, und gelegentlich auf eine Ofenkartoffel. Aber sie konnte ohne Eigenlob behaupten, eine verdammt gute Margarita zu mixen. Das hatte sie in mehreren Sommern in Hilton Head gelernt, wo sie während des Jurastudiums als Barkeeperin gearbeitet hatte. Dabei hatte sie stattliche Trinkgelder abgestaubt, hervorragende Kontakte geknüpft und viel über die menschliche Natur erfahren.

Als das letzte Gericht serviert war und nur noch wenige Gäste bei Kaffee und Nachtisch saßen, fühlte sie sich erschöpft vom langen Stehen, ganz zu schweigen davon, dass sie mittlerweile halb verhungert war.

»Okay, ihr zwei, das war’s«, sagte Erik und scheuchte sie zur Tür zum Gastraum. »Rein da jetzt und setzt euch. Ich bringe euch in ein paar Minuten das Abendessen.«

Dana Sue schüttelte den Kopf. »Nur, wenn du dich zu uns setzt«, sagte sie zu ihm. »Du hattest auch den ganzen Abend keine Pause.«

»Gern«, erwiderte Erik. »Aber du musst sofort was essen, und Helen muss raus aus diesen lächerlichen Stöckelschuhen, die sie aus irgendeinem Grund ständig trägt.«

Leicht verschnupft über die Bemerkung, streckte Helen den Fuß vor, der in einer eleganten hochhackigen Sandale steckte, dem extravagantesten Luxus, den sie sich gönnte. »Was hast du gegen meine Schuhe?«

Eriks Blick verweilte erst auf ihrem Fuß mit den perfekt manikürten rosa Zehennägeln, dann wanderte er langsam ihr Bein hinauf zum hochgerutschten Saum ihres Rocks, der ein paar Zentimeter des Oberschenkels preisgab. »Als Mann hab ich daran nichts auszusetzen«, erwiderte er und sah sie belustigt an. »Aber da mir nicht entgangen ist, wie du dich in den letzten Stunden damit gequält hast, würde ich sagen, sie sind völlig ungeeignet dafür, länger auf den Beinen zu sein.«

Beschwichtigt grinste sie. »Da hast du vielleicht nicht unrecht. Wenn’s zur Gewohnheit wird, dass ich hier einspringe, sollte ich wohl besser ein paar Turnschuhe in Dana Sues Büro lassen.«

Dana Sue bedachte sie mit einem verdutzten Blick. »Du hast Turnschuhe?«

»Tu nicht so überrascht. Was hast du denn gedacht, was ich anhabe, wenn ich trainiere?«

»Ach ja, stimmt, diese personalisierten Dinger, die du dir online in den Farben deiner Trainingskluft bestellt hast«, sagte Dana Sue.

Erik sah Helen schmunzelnd an. »Was stimmt denn nicht mit Turnschuhen, die man im Einkaufszentrum kriegt?«

Helen warf ihm einen abschätzigen Blick zu. »Die hat doch jeder«, antwortete sie. »Komm, Dana Sue. Ich kann mich nicht länger mit einem Kerl in verwaschenen Jeans und T-Shirt mit Fettspritzern abgeben, der keinen Tau von Mode hat, und wenn er sich für noch so sexy hält.«

Erik lachte leise, während Dana Sue meinte: »Im Moment interessiert mich nur, dass er was von Essen versteht.« Sie zwinkerte Erik zu, bevor sie mit Helen den Gastraum betrat und sich für einen Eckplatz abseits der wenigen verbliebenen Gäste entschied.

Kaum hatten sie sich hingesetzt, streifte Helen, stöhnend unter dem Tisch, die Schuhe ab. »Bitte sag’s nicht Erik, ja? Die Dinger sind wirklich eine Qual, wenn ich zu lange auf den Beinen bin. Meine Tanzschuhe werden sie mit Sicherheit nie.«

»Ist ein kleiner Preis dafür, sexy auszusehen.« Dana Sue grinste. »Ich hab solche Schuhe seit Jahren nicht getragen. Wahrscheinlich würde ich mir den Hals damit brechen.«

»Wenn du Ronnie das nächstes Mal vom Hocker reißen willst, dann leihe ich dir ein Paar von meinen«, bot Helen an.

Dana Sue wackelte mit den Augenbrauen. »Ich reiße ihn immer vom Hocker, egal was ich trage.«

»Also sind die Flitterwochen noch nicht vorbei?«

»Weißt du, die Frage kannst du dir sparen«, erwiderte Dana Sue selbstzufrieden. »Ronnie und ich rechnen damit, uns noch monatelang wie in den Flitterwochen zu fühlen. Vielleicht auch jahrelang. Und diesmal werd ich tun, was ich kann, damit diese Ehe niemals endet, auch wenn irgendwann der Glanz nachlässt.«

Helen musterte sie wehmütig. »Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal über deine Wiedervereinigung mit Ronnie sagen würde, aber ich beneide euch.«

Dana Sue musterte sie einen Moment lang mitfühlend, dann jedoch schlug ihre Miene in einen ungeduldigen Ausdruck um. »Und was unternimmst du dagegen? Wann hattest du zuletzt ein Date? Und damit meine ich nicht, dass du dich mit einem Anwaltskollegen zusammengesetzt und beim Kaffee über Paragrafen, Delikte oder dergleichen geredet hast.«

»Wer hat dafür schon Zeit?«, gab Helen defensiv zurück. »Durch die Arbeit, Kleinigkeiten im Corner Spa und den Versuch, regelmäßig Sport zu treiben, bleiben mir keine fünf Minuten die Woche.«

»Wirklich?«, fragte Dana Sue skeptisch. »Du hast gerade zwei Stunden in meiner Küche verbracht. Das wäre genug für ein anständiges Date.«

Helen zuckte mit den Schultern. »Das hat Spaß gemacht. Da drin herrscht kein Druck.«

Dana Sue zog eine Augenbraue hoch. »Echt jetzt? Kein Druck? Obwohl dir Erik eine anspruchsvolle Anweisung nach der anderen um die Ohren gehauen hat? Die letzten beiden, die zum Probearbeiten hier waren, hat er damit vergrault.«

»Er ist bloß Perfektionist, mehr nicht. Gott weiß, das verstehe und respektiere ich. Für dich und für ihn steht ja auch viel auf dem Spiel. Ich packe nur gelegentlich freiwillig mit an. Was wollt ihr schon groß tun, wenn ich dabei was vermassle?«

»Ich würde dich wahrscheinlich für immer aus der Küche verbannen, kann aber natürlich nicht für Erik sprechen«, erwiderte Dana Sue. »Übrigens, bist du heute Abend aus einem bestimmten Grund hergekommen, oder wolltest du bloß zur Arbeit vergattert werden?«

»Um ehrlich zu sein, hab ich auf ein paar Minuten deiner Zeit gehofft, um mit dir zu reden«, gab Helen zu.

»Worüber?«

»Karen.«

Dana Sues Augen wurden groß. »Du willst mit mir über Karen Ames reden? Warum? Hat Barb deshalb angerufen und einen Termin für morgen Nachmittag vereinbart? Ich dachte, es hätte was mit dem Corner Spa zu tun.« Sie hob die Hand. »Warte. Da kommt Erik mit unserem Essen. Wenn’s um Karen geht, sollte er es vielleicht auch hören. Er sollte bei jeder Besprechung dabei sein.«

Erik stellte drei Teller mit Zackenbarsch auf den Tisch, garniert mit Mango-Papaya-Chutney, Wildreis und Babykarotten mit brauner Zuckerglasur. Alles genauso kunstvoll angerichtet, als wäre es für zahlende Gäste.

»Wo ist mein Kuchen?«, fragte Helen sofort.

»Den gibt’s erst, wenn dein Teller leer ist«, erwiderte er und ließ sich neben ihr am Tisch nieder. »Der Kuchen ist die Belohnung, nicht der Hauptgang.«

Helen sah ihn stirnrunzelnd an. »Sagt wer?«

»Der Koch«, gab er zurück. »Also. Haut rein.«

Alle drei griffen sich ihre Gabel und begannen zu essen. Nach einer Minute fragte Erik: »Worüber habt ihr gesprochen, als ich rausgekommen bin? Für zwei Frauen, die sich eigentlich entspannen sollten, habt ihr mir verdammt ernst ausgesehen.«

»Karen«, antwortete Dana Sue mit düsterer Miene. Sie nahm einen weiteren Bissen von ihrem Essen. »Helen hat damit angefangen.«

Als Erik den Blick auf Helen richtete, wirkte er schlagartig argwöhnisch. »Was hast du mit Karen zu tun?«

»Sie ist heute zu mir gekommen. Weil sie glaubt, dass sie demnächst gefeuert wird.«

Dana Sue wechselte mit Erik einen zerknirschten Blick, der Bände sprach.

Helen seufzte. »Wie ich sehe, liegt sie damit wohl richtig. Es geht um ihre vielen Fehlzeiten, oder?«

Dana Sue nickte. »Ich bin darüber todunglücklich, aber ich hab keine andere Wahl, Helen. Der gesamte Küchenbetrieb leidet, wenn eine meiner wichtigsten Mitarbeiterinnen die halbe Zeit abwesend ist. Selbst wenn ich eine brauchbare Aushilfe finde, so viel, wie wir derzeit zu tun haben, brauche ich eine Assistentin, auf die ich mich verlassen kann.«

»Wisst ihr zwei auch, warum sie so oft fehlt?«

»Jedes Mal, wenn sie anruft, geht’s um die Kinder«, meldete sich Erik zu Wort.

»Und dafür hab ich aufrichtig Verständnis«, fügte Dana Sue hinzu. »Aber es läuft trotzdem darauf hinaus, dass ich in der Lage sein muss, den Laden hier am Laufen zu halten. Es ist nicht fair, dass Erik und ich uns ständig zerreißen müssen, um für sie einzuspringen. Ich brauche jemanden, der zuverlässig ist.« Besorgt musterte sie Helen. »Will sie rechtlich dagegen vorgehen? Ist sie deshalb zu dir gekommen?«

»Nein.« Helen legte die Gabel hin. »Ich glaub nicht, dass es so weit kommen muss. Und selbst wenn, würde ich sie nicht vertreten. Ich will nur, dass du dich morgen mit Karen und mir hinsetzt, um zu sehen, ob es nicht irgendeine andere Lösung gibt. Eine, mit der du deine Küche vernünftig führen kannst und sie trotzdem nicht ihren Job verliert.«

»Du drängst Dana Sue gerade in eine unmögliche Lage«, regte sich Eriks Beschützerinstinkt. »Ehrlich, Helen, sie ist hier nicht die Böse.«

»Das weiß ich«, gab Helen zurück. »Aber Karen ist nicht bloß ein verantwortungsloser Teenager. Ihr habt eine Menge Zeit investiert, um sie einzuschulen. Hört euch einfach ihre Erklärung an, und wir schauen, ob wir nicht irgendeine Lösung finden.«

Erik wirkte zwar alles andere als begeistert von dem Vorschlag, dennoch nickte Dana Sue. »Das kann ich tun.«

»Danke«, sagte Helen, bevor sie sich an Erik wandte und in strengem Ton hinzufügte: »Und du hältst dich dabei zurück, okay?«

»Werd mich bemühen, weil’s die Verfechterin der Außenseiter so will. Aber glücklich bin ich nicht darüber. Ich habe vor, bei der Besprechung dabei zu sein. Und nur, damit du’s weißt, mich überrascht ein wenig, dass du dich auf Karens Seite statt auf die deiner besten Freundin stellst.«

Helen wurde zunehmend irritierter. »Eigentlich versuche ich, mich auf keine Seite zu stellen«, gab sie zurück. »Bei einer erfolgreichen Verhandlung gewinnen alle Beteiligten.«

»Dann erklär mir doch, was genau Dana Sue davon hat«, verlangte er.

»Sie behält eine hervorragende, gut ausgebildete Mitarbeiterin«, argumentierte Helen, die sich bemühte, einen neutralen Ton beizubehalten, obwohl seine Einstellung sie allmählich auf die Palme brachte. Nicht nur er wollte Dana Sue beschützen. Sie deckte ihrer Freundin schon wesentlich länger den Rücken als er. Ihr verging langsam der Appetit. »Du weißt, dass Karen gut ist. Das hab ich dich schon oft sagen gehört.«

»Nur bringt das nichts, wenn sie nie hier ist«, sagte Erik.

Seine sture Weigerung, Karen eine Chance einzuräumen, verärgerte sie zunehmend. »Das ist jetzt übertrieben«, konterte sie barsch, als ihr der Geduldsfaden riss.

»Oha«, ging Dana Sue dazwischen. »Es ist nur eine Besprechung, Erik. So viel sind wir Karen schuldig. Helen hat recht. Wenn Karen da ist, leistet sie Spitzenarbeit.«

»Ich will nur, dass du dich von deiner Freundin hier nicht dazu manipulieren lässt, was zu tun, das nicht im besten Interesse des Restaurants ist«, sagte er.

»Ich hab in meinem ganzen Leben noch nie jemanden manipuliert«, rechtfertigte sich Helen gereizt. Ihr Appetit war vollends verschwunden.

»Ach ja?« Erik schnaubte spöttisch. »Wessen Idee war es denn, Ronnie Sullivan aus der Stadt zu verbannen, als Dana Sue und er sich getrennt haben? Hat ja echt toll für ihre Tochter funktioniert, nicht wahr?«

Dana Sue sah ihn bestürzt an. »Das ist Schnee von gestern, Erik. Annie geht’s wieder gut, und bei Ronnie und mir läuft es auch bestens.«

»Aber nicht dank Helens Einmischung«, konterte er.

Helen funkelte ihn an. Seine Anschuldigung kränkte sie. Als Dana Sue etwas auf seine Bemerkung erwidern wollte, bremste Helen sie mit einem Blick. »Ich kann für mich selbst eintreten«, sagte sie mit fester Stimme. Sie drehte sich Erik zu. »Damals warst du noch nicht hier. Du hast keine Ahnung, was zu dem Zeitpunkt das Beste war.«

»Stimmt«, räumte er ein und beugte sich mit eindringlichem Blick vor. »Ich bin gerade rechtzeitig gekommen, um mitzuerleben, wie die Hölle losgebrochen ist, weil Annie ins Krankenhaus musste.«

»Das war nicht meine Schuld«, gab Helen hitzig zurück.

»Echt nicht? Ihre Essstörung ist zum Teil davon ausgelöst worden, dass ihr Vater sie verlassen hat. Oder hab ich das falsch verstanden?« Er wartete keine Antwort ab, bevor er weiterpflügte: »Und dafür hast du gesorgt.«

»Das ist ein bisschen zu vereinfacht dargestellt«, warf Dana Sue ein, obwohl ihr beide keine Beachtung schenkten.

Helen befand sich praktisch Nase an Nase mit Erik. »Was fällt dir ein, so eine Anschuldigung vorzubringen?«

»Ich sag’s nur so, wie ich es sehe, Süße.«

»Du kannst mich mal.« Helen stupste Dana Sue, damit sie aus dem Weg ging und sich Helen von der gekrümmt um den Tisch verlaufenden Bank erheben konnte. Sie warf ihrer Freundin einen Blick zu, als sie ihre Schuhe unter dem Tisch hervorholte. »Wir sehen uns morgen«, sagte sie, bevor sie sich mit finsterer Miene Erik zuwandte. »Dir schlage ich vor, die Besprechung auszulassen.«

»Kannst du vergessen«, entgegnete er. »Irgendjemand muss nämlich dafür sorgen, dass die Vernunft nicht auf der Strecke bleibt.«

»Und das musst du sein?«, fragte Helen. »Wie denkst du darüber, Dana Sue?«

»Ich bin noch ziemlich baff darüber, wie dieses Gespräch gerade aus dem Ruder gelaufen ist«, antwortete sie. »Was ist los mit euch beiden? Ich hab noch nie erlebt, dass ihr euch so aufführt.«

»Anscheinend holen besserwisserische Anwältinnen das Schlimmste aus mir hervor«, sagte Erik verkniffen.

»Und voreingenommene Männer, die sich vernünftige Argumente nicht mal anhören wollen, aus mir«, kam von Helen.

Erik musterte sie mit einem Ausdruck, bei dem ihr Hitze durchs Blut raste. »Dann willst du den Kuchen wohl auch nicht, den hab nämlich ich gebacken.«

Die Erinnerung an den Pfirsichkuchen, der während der Arbeit in der Küche ihre Gedanken beherrscht hatte, stürzte sie in ein schweres Dilemma. Ihr lief immer noch das Wasser im Mund zusammen, als sie ihn vor ihrem geistigen Auge sah. Allerdings gebot ihr Stolz, es ihn nicht merken zu lassen.

»Das hab ich nie gesagt.« Mit einem Schnauben stapfte sie in die Küche und griff sich den gesamten Kuchen von der Arbeitsfläche.

Nur einen Bissen, dachte sie, während sie tief einatmete und das Aroma genoss. Was konnte es schon schaden? Sie stellte den Kuchen ab, nahm sich eine Gabel und stach durch die krosse Kruste in die duftende Pfirsichfüllung. Helen seufzte, als sich ihr Temperament eine Spur beruhigte. Vielleicht zwei Bissen, entschied sie. Erik würde es nie erfahren. Sie genoss den zweiten Bissen, bevor sie den Kuchen wieder aufhob. Helen marschierte damit zurück in den Gastraum, und bevor sie es sich ausreden konnte, schleuderte sie Erik den Rest mitten ins verdatterte Gesicht.

Neben ihm sog Dana Sue erschrocken die Luft ein, bevor sie damit zu kämpfen hatte, ein Lachen zu unterdrücken. Helen beobachtete, wie der Kuchen über Eriks Gesicht und auf sein T-Shirt lief. Sie konzentrierte sich zu sehr darauf, wie sich der Glibber auf seiner beeindruckenden Brust verteilte, dass ihr das verruchte Funkeln in seinen Augen entging, bis es zu spät war.

Bevor sie die Flucht ergreifen konnte, hatte er sich den Großteil des Kuchens aus dem Gesicht gewischt und war aufgesprungen. Blitzschnell schlang er die Arme um sie und senkte die heißen, fordernden Lippen auf ihren Mund, während die Reste dieses göttlichen Pfirsichkuchens unwiderruflich in ihre Seidenbluse gerieben wurden.

Eine neue Bluse könnte Helen jederzeit kaufen. Aber es würde wohl ewig dauern, die Erinnerung an Eriks atemberaubenden Kuss aus dem Gedächtnis zu löschen, vor allem mit Dana Sue als gebannt zusehender Augenzeugin. Das würde Dana Sue sie ihr Lebtag nicht vergessen lassen. Und da sich noch ein paar Gäste im Restaurant aufhielten und sie sich in Serenity befanden, würde es sich bis zum nächsten Morgen in der gesamten Stadt herumgesprochen haben. Helen Decatur, die vernünftigste der süßen Magnolien, die sonst immer anderen aus Schwierigkeiten half, war gerade selbst in einem Haufen davon gelandet.

Als Erik sie schließlich aus dem unüberlegten Kuss entließ, warf er Dana Sue einen entschuldigenden Blick zu und verabschiedete sich in die Küche. Er musste überlegen, welcher Teufel ihn geritten hatte, eine Frau wie Helen Decatur erst zu reizen und dann zu küssen.

Sie war wirklich eine herrische, arrogante, besserwisserische Anwältin, zugleich jedoch die beste Freundin seiner Chefin und Stammgast im Sullivan’s. Außerdem hatte sie schon öfter wie an diesem Abend bereitwillig mit angepackt, um ihnen in der Küche aus der Patsche zu helfen.

Vielleicht bestand darin das Problem, folgerte er. Einerseits widerstrebten ihm ihre schicken Klamotten und ihr anmaßendes Auftreten, andererseits erlebte er in der Küche des Sullivan’s regelmäßig eine völlig andere Seite von ihr. Dort bekam er eine Frau zu sehen, der mehr an ihrer Freundin und deren Bedürfnissen lag als an oberflächlichem Krempel wie Designerkleidung. Außerdem ließ sie ihr Ego an der Tür zurück und erledigte klaglos, was immer von ihr verlangt wurde. Noch dazu verdammt gut, wenn er ehrlich sein wollte. Tatsächlich mochte er sie. Meistens jedenfalls. An diesem Abend war sie ihm aus irgendeinem Grund unter die Haut gegangen. Ungeachtet seiner Worte, wusste er sehr wohl, dass sie sich nie gegen Dana Sue auf die Seite von jemand anderem stellen würde.

Dass er sie geködert hatte, konnte er noch verstehen. Aber jener Kuss war eine andere Geschichte, die kein gutes Ende nehmen konnte. Damit hatte er eine Grenze überschritten, und früher oder später würde er sich dafür entschuldigen müssen.

Natürlich konnte er nicht verdrängen, dass sie bereitwillig mitgemacht hatte. Tatsächlich hatte sie im Verlauf des Kusses eine so unerwartete Leidenschaft entwickelt, dass sie ihn damit praktisch in die Flucht geschlagen hatte. Er war nicht mehr vor einem weiblichen Wesen weggerannt, seit Susie Mackinaw ihm in der dritten Klasse unter dem Gejohle seiner Freunde einen ungewollten Kuss auf den Mund gedrückt hatte.

Nein, das stimmte nicht, korrigierte er sich, als er sich eine Tasse Kaffee einschenkte und trank, bevor er methodisch begann, die Küche zu putzen. In Wirklichkeit rannte er vor Frauen weg, seit seine Gattin bei der Geburt ihres Kindes gestorben war. Damals war er Rettungssanitäter in Atlanta gewesen. Er hatte Samantha im Krankenwagen begleitet, nachdem bei ihr vorzeitige Wehen und Blutungen eingesetzt hatten. Die Fahrt zum Krankenhaus hatte eine Ewigkeit gedauert. Noch bevor sie in der Notaufnahme angekommen waren, hatte er gewusst, dass es zu spät sein würde. Sam hatte zu viel Blut verloren. Ihre Vitalfunktionen versagten nach und nach, und für das Baby war es zu früh, um es zu retten.

An dem Tag war ihm das Herz aus der Brust gerissen worden, und er konnte seinen Job nicht länger ausüben. Wenn er als Sanitäter nicht mal seine eigene Frau retten konnte, wie sollte er dann je wieder darauf vertrauen, dass er anderen helfen könnte?

Nachdem er sich einen Monat Urlaub genommen und sich jeden einzelnen Tag davon in die Besinnungslosigkeit betrunken hatte, war er ins Büro seines Chefs gegangen und hatte gekündigt. Gabe Sanchez diskutierte damals mit ihm, flehte ihn förmlich an, sich einer Therapie zu unterziehen und anschließend zurückzukommen. Aber Erik wusste, dass seine Tage im Gesundheitswesen endgültig vorbei waren.

Vermutlich wäre er danach ziellos durchs Leben gedriftet, hätte ihm nicht eine Freundin seiner Frau das Atlanta Culinary Institute empfohlen. Zuerst lachte Erik nur darüber, doch Bree ließ damit nicht locker. Auch ihr Mann sprach sich dafür aus.

»Von allen, die wir kennen, bist du mit Abstand der beste Koch«, argumentierte Bree. »Und wichtiger noch, du hast Freude daran. Zumindest würde dich die Ausbildung aus deinem Tief holen. Und wer weiß schon, was nach dem Abschluss wird? Vielleicht eröffnest du ein eigenes Restaurant, wirst Caterer oder kommst auch nur einmal im Monat zu uns, um für Ben, mich und die Kinder zu kochen. Spielt keine Rolle. Am wichtigsten ist die Ablenkung. Sam würde es das Herz brechen, was du dir gerade antust. Sie würde nicht wollen, dass du ewig trauerst.«

Erik hätte die Idee vielleicht trotzdem verworfen, aber wenige Tage später stand Bree mit Bewerbungsformularen bei ihm auf der Matte. Sie saß neben ihm, während er sie ausfüllte, bevor sie einen Scheck ausstellte, alles in einen Umschlag steckte und ihn persönlich zur Post brachte. Offensichtlich wollte sie nichts dem Zufall überlassen.

»Betrachte es als Geschenk für deine Zukunft von Ben und mir«, sagte sie. »Wenn du mal dein eigenes Restaurant hast, kannst du dich ja mit kostenlosen Mahlzeiten zu unseren Jahrestagen revanchieren.«

Wenige Wochen später wurde er angenommen, kurz danach besuchte er seine ersten Kurse. Schon gegen Ende des ersten Monats wusste er, dass es, abgesehen von seiner Ehe mit Samantha, die beste Entscheidung war, die er je getroffen hatte. Und als er seinen Abschluss in der Tasche hatte, fragte er sich, wie er je auf einem anderen Gebiet hatte arbeiten können.

Dann wandte sich Dana Sue an die Schule, weil sie einen Patissier suchte, worauf sich Erik spezialisiert hatte. Anfangs war er alles andere als überzeugt vom Umzug in eine Kleinstadt in South Carolina, doch kaum hatte er Serenity besucht und das Sullivan’s gesehen, war er begeistert. Tatsächlich bot ihm beides genau die Veränderung, die er brauchte, um Atlanta und all die Erinnerungen dort hinter sich zu lassen. Abgesehen davon hatte Dana Sue etwas Besonderes in einer Gemeinde geschaffen, die nach wirtschaftlich schweren Zeiten wieder auf die Beine zu kommen versuchte. Sämtliche Kritiken lobten das Sullivan’s begeistert als seltenes kulinarisches Juwel, und es erfüllte Erik mit Freude, daran mitzuwirken.

Auch Dana Sue selbst war etwas Besonderes. Eine Zeit lang hatte er sogar unterschwellig gedacht, aus ihrer beruflichen Beziehung könnte sich eines Tages mehr entwickeln. Allerdings war schnell klar geworden, dass die kurvige Schönheit immer noch ihren Exmann liebte.

Trotzdem waren Dana Sue, ihre Tochter Annie und sogar die irritierend unzuverlässige Karen zu einer Ersatzfamilie für ihn geworden. Und so hartherzig er sich für Helen offensichtlich angehört hatte, an Karen störte ihn in Wahrheit nur, dass ihre Probleme auf Dana Sue übergriffen, die den zusätzlichen Stress schlichtweg nicht gebrauchen konnte.

Im Gegensatz zu Dana Sue brauchte Helen niemanden, der auf sie aufpasste. Auch ein Grund, warum sich Erik beim besten Willen nicht erklären konnte, warum er sie vor wenigen Minuten so innig geküsst hatte. Erik fühlte sich von Natur aus als Ernährer und Beschützer, sozusagen ein selbsternannter Ritter in glänzender Rüstung. Die Vorstellung, die knallharte Helen könnte einen Ernährer und Beschützer brauchen, war geradezu lächerlich.