Die dunkle Kaiserin - Michaela Lindinger - E-Book

Die dunkle Kaiserin E-Book

Michaela Lindinger

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Beschreibung

Sisi – und kein Ende Dieses Buch beginnt dort, wo die meisten Sisi-Filme enden: Mit vierzig Jahren zog sich Kaiserin Elisabeth völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Sie widmete sich nur noch ihren eigenen Interessen, entwickelte ein Faible für alles Morbide, Geisteskrankheiten und Totenkulte, Mythologie und Nietzsche, war fasziniert von Mystik und Verfall. Ihre melancholische Schwermut und stille Schönheit trugen zur Entstehung des Mythos um ihre Person bei. Der Hype um die geheimnisvolle Kaiserin hält bis heute an. Ihr Leben ist Vorlage für Romane und Netflixserien, zuletzt für den mehrfach ausgezeichneten Film »Corsage« von Marie Kreutzer. Diesen inspirierte Michaela Lindingers etwas andere Biografie der Kaiserin: Mit ihrem Fokus auf die ältere Elisabeth zeichnet die Kulturwissenschafterin das Porträt einer starken Frau, die weit mehr war als die »süße Sisi«. Mit über einhundert Abbildungen

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Seitenzahl: 293

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MICHAELA LINDINGER

DIEDUNKLE KAISERIN

ELISABETHSSPÄTE JAHRE

Mit über 100, großteils bislang unveröffentlichten Abbildungen

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© 2024 by Amalthea Signum Verlag Gmbh, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Ergänzte Neuausgabe von »Mein Herz ist aus Stein. Die dunkle Seite der Kaiserin Elisabeth«

© 2013 by Amalthea Signum Verlag GmbH, Wien

Umschlaggestaltung: Anna Haerdtl und Barbara Reiter, Bureau A/O

Umschlagmotiv: Kaiserin Elisabeth, Druck nach Gemälde von Leopold Horovitz, 1899 © Roger Viollet/picturedesk.com

ISBN 978-3-99050-264-8

eISBN 978-3-903441-26-2

Für Susanne (†)

Inhalt

»Mein Herz ist aus Stein.«Vorwort von Marie Kreutzer

Sisi − und kein EndeVorbemerkung zur Neuausgabe von Michaela Lindinger

Statt eines Vorworts

I Das Tattoo der Feenkönigin

Who’s that girl? · Ein Anker für die Ewigkeit

II »Schutzgott Hermes«

Highway to Hades · Griechin sucht Griechen

III Die Hausherrin der Hermesvilla

Eine Frau um die fünfzig im 19. Jahrhundert · »Frau Ritter Blaubart’s Cabinet« · Die »seltsame Frau«

IV Refugium im Wienerwald — Die Hermesvilla

Im »Thier- und Saugarten« · »Oberons« Schloss · »Und jeder Mai hat uns vereint« · »Gut und bequem« – Wohnen bei Kaisers · Schauplatz Hermesvilla · Ausflugsziel der Wiener

V »Titania und der junge Mond«

Zeichen der Göttinnen · Into the Blue · »Und man hört noch heut den Gesang aus alter Zeit« · Einsamkeit, Macht und Freiheit

VI »Bühne frei!« — Ein Tag im Leben der Kaiserin

Vorbild Sisi? · Stil vs. Mode · Schwarz ist das neue Schwarz · Leichenhallen und »Irrenhäuser« · Gegen Antisemitismus, für Weltoffenheit · In der eisigen »Matratzengruft«

VII Fasten — Kuren — Wandern: Wege zum Selbst

VIII Unter Geistern: In Sisis Schlafzimmer

»Titania« · »Melancolia« · Besuch bei Toten

IX Der Kaiser und Katharina

Elisabeth auf Brautschau · »Freundin der Kaiserin« · »It-Girls« zu Kaisers Zeiten · Schönheitsköniginnen

X »Marmor bin ich«: Trauer, Schwermut und Schönheit

Belle de Noir · Als die Menschen Trauer trugen · »Leichenflieder«

XI Attentäter Ihrer Majestät

Treffpunkt: Genf · Flucht in die Schweiz · Der Erlöser

XII Wunsch-Bild: Unvergängliche Schönheit?

Bilder gegen das Vergessen · »Doriana Gray« · Die Gesichter der Toten

Literatur

Dank

Bildnachweis

Personenregister

»Mein Herz ist aus Stein.«

Vorwort

Die Recherche gehört zu meinen liebsten Aufgaben als Drehbuchautorin und Regisseurin. Nie geht es dabei darum, Wissen anzuhäufen; es geht darum, sich in dem, was es über eine Thematik, einen historischen Hintergrund oder eine Persönlichkeit zu lesen, zu hören und zu sehen gibt, treiben zu lassen wie in einem See aus Inspiration. Und wichtiger als Fakten sind mir dabei die Texturen: also das, was in den Fakten atmosphärisch und emotional etwas in mir zum Klingen bringt – Gegenstände, Räume, Stoffe, Landschaften, Gerüche, sich wiederholende Motive.

Als ich 2018 mit der Recherche zu meinem Kinofilm Corsage über Kaiserin Elisabeth begann, war ich schnell überwältigt von dem scheinbar endlosen Material. Es schien weder möglich noch für mich erstrebenswert, mir ein vollständiges Bild zu machen. Ich wollte die richtige Tür, den richtigen Einstiegspunkt finden, um darüber entscheiden zu können, welche Informationen für mich – für meinen Film – wichtig waren, welche Aspekte, Momente, Details eines Lebens sich zu einer filmischen Geschichte fügen lassen würden, die ich erzählen wollte. Ohne den Anspruch der Vollständigkeit oder Objektivität, aber entlang dessen, was zu wissen oder zu vermuten möglich ist. Denn, so akkurat Geschichtsschreibung auch sein mag – wir waren alle nicht dabei. Wir lesen immer eine Interpretation und eine persönliche Auswahl der Fakten. Jede einzelne von wahrscheinlich sieben Führungen, die ich etwa im Sisi Museum in der Wiener Hofburg erlebt habe, war anders und förderte neue Informationen zutage.

Als ich Michaela Lindingers Buch entdeckte, war ich aufgeregt. Es war das erste Buch, wie ich fand, das sich dezidiert mit Elisabeths späteren Lebensjahren beschäftigte. Das nicht das ewige Bild des blutjungen, in eine Ehe mit dem Kaiser wie versehentlich gestolperten Mädchens aus Bayern heraufbeschwor, sondern das einer sperrigen und komplexen Frau, die die Grenzen ihres goldenen Käfigs auf das Maximum auszudehnen gelernt hat. Das erste Bild interessierte mich als Filmemacherin null, das zweite sehr.

Wenn ich heute in meine ersten Notizen zum Drehbuch blicke, finden sich zahllose Verweise auf Mein Herz ist aus Stein, so der ursprüngliche Titel dieses Buches. Eine Persönlichkeit, die sich für mich zuvor unnahbar und kühl dargestellt hatte, wurde durch die Lektüre dieser Biografie zu einem Menschen. Einer Frau aus Fleisch und Blut – zwar mit einem ganz und gar nicht durchschnittlichen Leben, aber ganz durchschnittlichen menschlichen Emotionen. Auch Elisabeth wollte einfach so geliebt werden, wie sie war; doch jede Liebe und jede Anerkennung, die ihr zuteil wurde, hatte einen Preis.

Die Erwartungen an sie waren, so sehe ich es, hoch und letztlich nicht zu erfüllen. Sie wäre besser eine marmorne Statue gewesen, der man das Lächeln ins für immer junge und schöne Gesicht gemeißelt hätte. Ihr Leben war überaus privilegiert und viele ihrer Sorgen das, was wir heute »First World Problems« nennen, und doch war es tragisch.

Ohne dass ich in Elisabeth eine Feministin sehe, war ihr Handeln oft durchaus feministisch im freilich egozentrischen Sinne: Sie forderte Raum, sie forderte Freiheiten, sie forderte heraus. Sie war unbequem und – vor allem in späteren Jahren – nicht bereit, sich den Vorstellungen anderer zu unterwerfen. Diesen wilden, unzähmbaren Geist zu spüren, hat letztlich für mich den Ausschlag gegeben, tatsächlich einen Film über Elisabeth zu machen.

Immer wieder wurde ich gefragt, welche Literatur ich zum Thema empfehlen kann. Unzählige Male habe ich Mein Herz ist aus Stein zwar empfohlen, musste aber dazusagen: Ist leider vergriffen! Ein einziges Mal habe ich das Buch verborgt. Ich habe es nie wiederbekommen. Es war wohl zu faszinierend.

Marie Kreutzer

Winter 2023

Sisi – und kein Ende

Vorbemerkung zur Neuausgabe

Seit Jahren hält mich die Kaiserin auf Trab. Als Kuratorin des Wien Museums bin ich unter anderem für die Porträtsammlung und für die Hermesvilla zuständig. Anfragen zu Elisabeth finden sich praktisch täglich in meinem Posteingang, buchstäblich aus der ganzen Welt trudeln sie ein. Von Kanada bis Australien war schon alles dabei. Besonders aus den USA kommen auch immer wieder Ersuchen um eine englische Übersetzung dieses Buches, das nun in einer neuen Ausgabe erscheinen kann.

Vor allem ist dies Marie Kreutzer und ihrem aufregenden Film Corsage (2022) zu verdanken, in dem sie die nicht mehr ganz junge Elisabeth in den Mittelpunkt der Erzählung gestellt hat. Die luxemburgische Schauspielerin Vicky Krieps wurde für ihre sensible Verkörperung der Kaiserin unter anderem mit dem Europäischen Filmpreis als beste Darstellerin geehrt.

Durch die vielfach ausgezeichnete Kostümbildnerin Monika Buttinger hatte ich das Glück, von Marie Kreutzers Filmprojekt schon früh zu erfahren, und ich habe mich vom ersten Moment an sehr darauf gefreut. So konnte ich den vielen Menschen, die mich immer wieder gefragt haben, ob es »das Buch über die ältere Sisi« nicht wieder einmal zu kaufen gibt, wenigstens sagen: »Vorläufig nicht, aber bitte gehen Sie ins Kino und schauen Sie sich Corsage an.«

Im Frühjahr 2023 ist die Kaiserin in ihren späten Jahren Thema eines weiteren deutschsprachigen Films gewesen, der die Beziehung der in Griechenland umherreisenden Sisi zu ihrer letzten ungarischen Hofdame Irma Sztáray behandelt. Die beiden komplexen Frauengestalten in ihren modernen, superschicken Marine-Outfits gründen eine Art Kommune, um ihren privaten Interessen in Freiheit und ohne die Zwänge des Hofes nachgehen zu können. Als sich Irma in Elisabeth verliebt, lernt sie rasch, dass die Nähe zur Kaiserin immer einen Preis hat. Im Streifen Sisi & ich liefern sich die grandiosen Schauspielerinnen Susanne Wolff und Sandra Hüller aber auch durchaus humorvolle Wortgefechte.

Viel gesehen – vor allem von einem jüngeren Publikum – werden aufwendig ausgestattete und weltweit ausgestrahlte Programme wie die Netflix-Serie The Empress oder die deutsche Serie Sisi. Weitere Staffeln dieser Serien sollen sich bereits in Vorbereitung befinden. Da sieht man auf den ersten Blick seltsame Szenen, etwa wie die ganz junge Elisabeth eine Sexarbeiterin als ihre Hofdame ausgibt und in die Hofburg einschleust. Sie macht sich auch sehr viele Gedanken darüber, ob und wie sie den Kaiser befriedigen kann.

Ob sich Elisabeth tatsächlich um derart profane Dinge gesorgt hat? Wir wissen es nicht, und auch vieles andere werden wir nie erfahren. Dennoch ist es weiterhin möglich, neue Aktenbestände zu Elisabeths Leben aufzufinden und auszuwerten, wie jüngst erschienene Bücher von Kolleginnen wie Martina Winkelhofer oder Katrin Unterreiner belegen. Auch dauerhafte Ausstellungen zu Kaiserin Elisabeth werden immer wieder adaptiert, um den aktuellsten Stand der biografischen Forschung präsentieren zu können. Interessant war beispielsweise eine Aktion, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wiener Tourismusverbandes zum Frauentag am 8. März 2023 ins Leben gerufen haben. Einen Monat lang wurde das berühmte Porträt von Franz Xaver Winterhalter, das Elisabeth im weißen Ballkleid mit Diamantsternen im Haar zeigt, von einer transparenten Scheibe verdeckt. An allen drei Wiener Standorten, dem Sisi Museum, dem Möbelmuseum Wien (früher Hofmobiliendepot) und dem Hotel Imperial, konnte man vor dem ikonischen Gemälde nun Sätze lesen wie diese:

You want to see Sisi.

For the drama, the obsession, the supposed depression.

But if you only see.

What you want to see.

You’ll fail to see.

That her legacy helps today’s refugees.

That she believed in people’s autonomy.

That she loved to learn.

That her convictions were stern.

You’ll fail to see.

That she suffered like the rest of us.

Like the best of us.

So, whenever you see Sisi’s victory, glory, beauty.

Never again fail to see.

The real Sisi.

Die »wahre Sisi« wird wohl ein Mythos bleiben (müssen). Leerstellen in spannenden Biografien ermöglichen aber auch weiterhin ausreichend Spielräume für immer neue Geschichten, belegbare und fantastische, ernste und solche, für die vielleicht sogar Elisabeth ein mokantes Lächeln übriggehabt hätte.

Unsere Vorstellung von dieser zweifellos besonderen und faszinierenden Frau ist nicht zuletzt eine von persönlichen Gesichtspunkten bestimmte Mischung aus Fakten und Sagen. Und Märchen sind auch für Erwachsene wichtig. Jede und jeder hat somit das Recht, die Titania aus der altösterreichischen »Versuchsstation des Weltuntergangs« (Karl Kraus) als gute oder böse Fee zu interpretieren.

Nach weit über zwanzig Jahren intensiver Beschäftigung mit Kaiserin Elisabeth getraue ich mich zu sagen: In Corsage hätte sie viele Aspekte ihrer Persönlichkeit wiedergefunden.

Michaela Lindinger

Winter 2023

Statt eines Vorworts

»Königin Titania!«

Aber sie bewegte leicht den Kopf und stand da, nicht als wäre sie im Ballsaal unter all den Menschen, sondern stünde einsam auf einem Felsen am Meer, so verloren blickte sie ins Weite. »Nicht Titania, sondern die Möwe, die gefangen ist und im Kastl sitzt!«

Marie Larisch-Wallersee, geb. Mendel (1858–1940), Lieblingsnichte von Kaiserin Elisabeth, »Verfemte nach Mayerling«

Es war, als ob man mit einem Gespenst zusammen fuhr, denn ihr Geist schien in einer anderen Welt zu weilen. Selten sah sie, was um sie herum vorging. Auch bemerkte sie es kaum, wenn sie von denen, die sie erkannten, gegrüßt wurde.

Eugénie de Montijo (1826–1920), Ex-Kaiserin von Frankreich, Witwe Napoleons III.

Romantischen Dichtern vergleichbar bist du, mit allen ihren melancholischen Träumen lauschend dem Sang der Baumeswipfel im Morgenwinde, und den schrillen Schrei des Lebens meidend! (…)

Genügsamkeit, unromantisches Wort dieser Erde! Elisabeth, was konnte dir genügen?! Bergfrieden und die eigene Einsamkeit!

Was viele zarte Edle, in sparsamen Augenblicken nur, zu erträumen, zu erleiden wagen, dazu hattest du die Kraft ein Leben lang!

Peter Altenberg (eig. Richard Engländer, 1859–1919), Schriftsteller, Bewunderer von Kaiserin Elisabeth

Elisabeth

hungerte wie Lady Di,

ritt und focht wie d’Artagnan,

turnte wie Jane Fonda,

wurde ermordet wie J. F. Kennedy,

und sah aus wie Romy Schneider.

Hans Bankl (1940–2004), Prosektor, Buchautor

I Das Tattoo der Feenkönigin

»Das Peristyl ist der stumme Zeuge der einsamen Spaziergänge der Kaiserin. Hier stört sie niemand, hier wagt sich niemand her, ohne gerufen zu sein«, erinnert sich Irma Sztáray, eine der letzten Reisebegleiterinnen, die Elisabeth in ihrem Tross noch duldete.

1 Angelos Gialliná: Das Peristyl im Achilleion, 1893. Aus dem persönlichen Korfu-Album Elisabeths

Die ungarische Hofdame beschreibt das Peristyl im Achilleion, jenem Refugium auf »Scheria« (altgriechisch: Korfu), das den Traum einer melancholischen Monarchin vom antiken Griechenland zum Leben erwecken sollte.

Mehrmals täglich betrachtete die fast immer schwarz Gekleidete dort, in ihrem privaten Olymp der Feen und Nymphen, eine blendend weiße Marmorfigur. Die Darstellung einer jungen Frau mit langen Locken und Schmetterlingsflügeln – wobei der Schmetterling für die Flüchtigkeit des Lebens und die Vergänglichkeit steht. Die Fee hält ein schlafendes Kind im Arm und gleitet auf einem Schwan über die Fluten des Ozeans. Zu diesem Wesen aus der Anderswelt kam Elisabeth jeden Morgen und jeden Abend. Ihr griechischer Vorleser, der kleine, bucklige – und deswegen für die im Alter abergläubische Kaiserin besonders glückverheißende – Philosophiestudent Konstantin Christomanos durfte sie gelegentlich begleiten: »So oft die Kaiserin vorübergeht, bleibt sie minutenlang in Anblick der Statue versunken; ja sie hat bestimmte Stunden, an welchen sie die Lichtfee aufsucht.«

Who’s that girl?

Die »Lichtfee« trägt den Namen Peri, sie hat einen kurzen Auftritt in John Miltons Versepos »Paradise Lost« aus dem Jahr 1668. Als schöner, anmutiger, übermenschlicher Geist wird sie in der persischen Mythologie beschrieben, doch ist sie von übelwollendem Charakter. Peri kann einen Kometen oder eine Sonnenfinsternis bewirken, Regen verhindern, Missernten und Tod bringen. Diese Ambivalenz ist typisch für John Milton, dessen Werk Elisabeth gekannt und offenbar geschätzt hat.

Der Dichter, bereits völlig erblindet, soll die monumentale Geschichte des Sündenfalls seinen drei Töchtern diktiert haben. Obwohl sich bei »Paradise Lost« vordergründig alles um den Tod dreht, steht im Mittelpunkt Miltons Alter Ego, der Teufel. Ein verführerischer, charmanter, gegen Gott aufbegehrender Satan, der sich einen Streiter der Freiheit nennt: »Lieber in der Hölle herrschen als im Himmel dienen.« Erstmals in der Literaturgeschichte wird Satan beschrieben, wie er den Menschen ihre Potenziale bewusst macht, damit sie selbst zu Wissen und Göttlichkeit gelangen können. Milton hat in diesem größten englischen Epos den Teufel rehabilitiert: Der Verlust des Paradieses ist sein Werk und lässt sich selbst von Gott nicht rückgängig machen. Das Gute hat nicht gesiegt und das Böse sich in der Welt festgesetzt. Milton interpretiert den Teufel als intelligenten, egozentrischen Archetypus: Er ist gewissermaßen der erste »Byronic Hero« der Literatur.

Lord Byron, ein britischer Dichter um 1800, spielte in Kaiserin Elisabeths Welt eine wichtige Rolle, war er doch auch griechischer Freiheitskämpfer. Sie bewunderte ihn und die von ihm erschaffenen Protagonisten, allesamt Außenseiter und Rebellen. Sie kämpfen nicht für das »Allgemeinwohl« oder gesellschaftliche Veränderungen, sondern sind auf sich selbst fixierte Einzelgänger. Zynismus und Arroganz beschreiben ihren Charakter. Regeln, Sitten und soziale Reglements werden von ihnen verachtet, dennoch – oder gerade deswegen – gehören solche Antihelden immer einem höheren Stand an, verfügen über entsprechenden Wohlstand und luxuriösen Lebensstil. Byrons Gestalten bevölkern eine Welt der »Schwarzen Romantik«, es umgibt sie oft ein düsteres Geheimnis. Außerdem müssen sie sich mit einem hohen Maß an Frustration auseinandersetzen und zeigen selbstzerstörerische Tendenzen. Die Figuren sind – wie Miltons Satan – abstoßend und faszinierend zugleich.

Über einen ihrer toten Lieblingshelden, Achilleus, sagte die Kaiserin: »Er war stark und trotzig und hat alle Könige und Traditionen verachtet und die Menschenmassen für nichtig gehalten, gut genug, um wie Halme vom Tode abgemäht zu werden. Er hat nur seinen eigenen Willen heilig gehalten und nur seinen Träumen gelebt, und seine Trauer war ihm wertvoller als das ganze Leben.«

Elisabeths erklärter Lieblingsdichter Heinrich Heine widmete dem philhellenischen Lord Byron ein Gedicht:

Eine starke, schwarze BarkeSegelt trauervoll dahin.Die vermummten und verstummtenLeichenhüter sitzen drin.

Toter Dichter, stille liegt er,Mit entblößtem Angesicht;Seine blauen Augen schauenImmer noch zum Himmelslicht.

Aus der Tiefe klingt’s, als riefeEine kranke Nixenbraut,Und die Wellen, sie zerschellenAn dem Kahn, wie Klagelaut.

Die Zeilen beschreiben die Überführung der einbalsamierten Leiche des klumpfüßigen Dichters, der eine Tochter mit seiner Schwester hatte, auf einem Schiff nach England. Byron war 36-jährig in Griechenland gestorben. Allein vom Inhalt her könnte das Gedicht von der Kaiserin selbst stammen.

Als der französische Maler und Grafiker Gustave Doré, bekannt vor allem für seine bizarren Darstellungen von Fabelwesen, Monstern und Skeletten, Miltons »Paradise Lost« im 19. Jahrhundert dem Zeitgeschmack entsprechend romantisch illustrierte, erlebte das Werk eine Renaissance. Vermutlich hat Kaiserin Elisabeth ebenfalls eine Ausgabe besessen und dürfte darin ihre Weltanschauung bestätigt gesehen haben.

Wie populär Miltons Erzählung gewesen ist, zeigt auch ein Gemälde des ungarischen »Malerfürsten« Mihály Munkácsy. Er hatte im Jahr 1878 das Bild »Milton diktiert seinen Töchtern ›Das verlorene Paradies‹« auf der Pariser Weltausstellung präsentiert und damit die Goldmedaille gewonnen. Das Thema machte Munkácsy europaweit berühmt.

2 Die marmorne »Peri« im Entrée der Hermesvilla

Elisabeth hat ihre steinerne »Peri« 1890 auf einer Reise durch Italien angekauft. Hergestellt wurde das Stück aus Sterzinger Marmor vom englischen Bildhauer Charles Francis Fuller, dem das »Verlorene Paradies« wohl auch gut bekannt war. Die Kaiserin war dabei, ihren neuen Wohnsitz auf Korfu auszugestalten; die Möbel und Ziergegenstände kaufte sie in erster Linie in Italien ein. So gelangte auch die »Peri« per Schiff auf die griechische Insel. Einige Jahre später, als Sisis Interesse am Achilleion längst abgekühlt war, wurden zahlreiche Ausstattungsstücke in das vom Kaiser geplante Altersretiro, die Hermesvilla im Lainzer Tiergarten, transferiert. Darunter befand sich auch die »Peri«, welche heute die Besucher im Eingangsbereich der Villa begrüßt. Die Figur ist drehbar: Während der Familiendiners blickte sie einst in den Speisesaal des Kaiserpaars.

»Peri« verfügt noch über weitere verborgene Qualitäten.

Das Jahr 1886 hatte für die mittlerweile fast 50-jährige Hausherrin der Hermesvilla weitreichende Bedeutung. Der von einer Mauer umgebene Bau »im mailich ergrünenden Walde« (Elisabeth) wurde fertiggestellt, ihr einst guter Freund, der bayrische König Ludwig II., starb unter ungeklärten Umständen und die einzige Bezugsperson, an die die alternde Kaiserin sich regelrecht gekettet hatte, begann ihr zu entgleiten: Marie Valerie, jüngste Tochter von Franz Joseph und Elisabeth, hatte ohnehin schon versprechen müssen, nicht vor ihrem 20. Geburtstag zu heiraten – sehr ungewöhnlich für eine Angehörige des Hochadels, die in ganz Europa als höchst begehrenswerte Partie galt. Im Jänner 1886 tanzte sie auf dem »Hofball« und auch auf dem besonders elitären »Ball bei Hof« mehrmals mit Franz Salvator aus der toskanischen Nebenlinie der Habsburger. Elisabeth gab ihren Sanktus, da sie der Lieblingstochter versprochen hatte, sie dürfe heiraten, wen sie wolle, »auch einen Schornsteinfeger«. Ihr Vater und ihr Bruder Rudolf waren – ausnahmsweise – einmal einer Meinung, und zwar dagegen. Der Auserwählte sei vom Stand her der Schwester nicht ebenbürtig. Dennoch, nach dem Weggang Valeries litt die kindisch eifersüchtige Mutter am meisten. Sie fühlte sich vereinsamt, als habe sie nicht eine verheiratete, sondern eine tote Tochter:

Fort zieht es dich aus meiner Näh’

Zu jenem blassen Knaben

Trotzdem ich ehrlich dir gesteh’,

Ich möchte ihn nicht haben.

Du siehst im Geiste um dich her,

Der Kinder zwölf schon wogen,

Zwölf Rotznäschen liebst du dann mehr

Als mich, die dich verzogen.

(…)

Ich aber breite trauernd aus

Die weiten weissen Schwingen,

Und kehr’ ins Feenreich nach Haus –

Nichts soll mich wieder bringen.

An die von ihr ersehnte ideale Mutter-Kind-Beziehung mag Elisabeth möglicherweise beim Erwerb der »Peri« auch gedacht haben. Sie sah sich selbst als junge Frau mit der kleinen Valerie, die sie überängstlich behütet und mit einem Übermaß an Liebe überschüttet hatte. Vermutlich kam es nur für die Mutter überraschend, dass das Mädchen sich innerlich schon früh von ihr entfernte, bieder und fromm wurde, den fantasielosen Vater vergötterte und ihr Lebensziel in Heirat und Mutterschaft suchte. Das langlockige, alterslose, in einen mit Sternen bedeckten Schleier gehüllte und geflügelt auf dem Meer schwerelos dahingleitende Wesen kann als Wunsch- oder Traumbild Elisabeths aufgefasst werden: So wollte sie sich selbst als Frau an der Schwelle zum Alter sehen, ein Bild, ebenso weit von der Realität entfernt wie ihre Vorstellungen von der idealen Zukunft ihrer Tochter.

Ein Anker für die Ewigkeit

»Peri«, also Elisabeth, scheint einem unklaren Ziel entgegenzuschweben. Emile M. Cioran, der bedeutende Philosoph der Melancholie, erklärt dieses Lebensgefühl Elisabeths: Die Lawine von familiären Unglücksfällen in den 1880er-Jahren wurde von der Kaiserin als Bestätigung aufgefasst, dass es kein Vertrauen in die Menschen ihrer Umgebung geben könne. Dass man auf sich selbst gestellt und allein sei. Zuversicht und Hoffnung waren der Kaiserin fremd. Sie hatte ihre eigene, von der Literatur der »dunklen Romantik« stark beeinflusste Art, mit der eigenen Individualität umzugehen.

Der Anker, an den die Fee sich lehnt, ist »Peris« einzige Stütze auf ihrer ungewissen Fahrt über die Meere. Ende der 1880er-Jahre, als Elisabeth wieder viel unterwegs war und sich in Gedanken mit ihrem Exil in Griechenland befasste, kehrte sie von einer Seereise mit einem unerwarteten Souvenir zurück. Im Hinterzimmer einer Hafenkneipe hatte sie sich einen Anker auf die Schulter tätowieren lassen. In diesen Jahren waren Tattoos nicht mehr nur bei Matrosen beliebt, sondern hatten den Aufstieg in Adelskreise bereits hinter sich.

3 Peri mit ihrem Anker

Über ein Jahrtausend war es her, dass tätowierte Frauen und Männer aus Europa verschwunden waren. Im 8. Jahrhundert wuchs der Einfluss des Christentums. Leute mit Hautzeichen wurden zu »Heiden« erklärt und verfolgt. Nun, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als man bereits von einer regelrechten Tätowierungswut sprach, ging es vor allem um modernitätskritische Referenzen in Anlehnung an imaginierte exotisch-archaische Sehnsüchte nach einer einfacheren, freieren Welt. Diesem Trend folgten etwa der deutsche Kaiser Wilhelm II., Sisis Sohn Rudolf oder der »schöne Erzherzog« Otto, Bruder des heute aufgrund der Ereignisse in Sarajevo 1914 wesentlich bekannteren Franz Ferdinand. Aber auch weibliche Angehörige europäischer Fürstenhäuser ließen sich tätowieren, nicht allerdings im selben Ausmaß wie Männer. Die bürgerliche Mittelschicht verschmähte den Körperschmuck (noch), zahlte jedoch viel Geld, um in Vergnügungsetablissements wie beispielsweise dem Wiener Prater ganzkörpertätowierte Schaustellerinnen zu begaffen. Auch in den Bordellen musste man, vergleichbar mit der obligaten Schwarzen oder »Orientalin«, für das Vergnügen mit einer tätowierten Frau tiefer in die Tasche greifen.

Adolf Loos, wie immer »anti-ornamental« unterwegs, hielt nichts von der neumodischen Zeiterscheinung:

es gibt gefängnisse, in denen achtzig prozent der häftlinge tätowierungen aufweisen. die tätowierten, die nicht in haft sind, sind latente verbrecher oder degenerierte aristokraten. wenn ein tätowierter in freiheit stirbt, so ist er eben einige jahre, bevor er einen mord verübt hat, gestorben.

Als Elisabeth den Anker ihrem Ehemann vorführte, dürfte dieser recht sprachlos gewesen sein. Er fragte Valerie, ob sie auch schon über die »furchtbare Überraschung, dass sich nämlich Mama einen Anker auf der Schulter einbrennen liess«, geweint habe. Sisi selbst brachte das neue Tattoo mit der bevorstehenden Verlobung und Hochzeit der Tochter in Zusammenhang. Ein Zeichen dafür, dass es nun endgültig nichts mehr gab, was sie an den Hof zurückbringen könnte. Ein Symbol für die letzte Reise, den Tod.

Der Anker ist auf vielen Friedhöfen in Mitteleuropa als Grabgestaltung präsent. Vor allem Gräber aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und den Jahren um 1900 zeigen den Anker in verschiedensten Ausführungen. Beim Trauerschmuck der viktorianischen Epoche ist das nautische Emblem ebenfalls häufig anzutreffen.

Ein Anker-Tattoo kann auch heute nicht schaden. Hundert Jahre nach der großen Tattoo-Welle im 19. Jahrhundert setzte in den 1980er-Jahren eine Renaissance des Tätowierens ein. Angehörige der gesellschaftlichen Mittelschicht tragen bisweilen Tattoos unter Anzug oder Kostüm. Weithin sichtbare Tätowierungen sind meistens jenen vorbehalten, die sich, in welcher Form auch immer, gegen den Mainstream abgrenzen wollen. Moderne Grenzgänger unterschiedlichster Metiers warten mit einem Anker auf, zum Beispiel das englische Topmodel Kate Moss, der Sänger der finnischen Black-Metal-Band Horna, Shatraug, oder die amerikanische Musikerin und Stil-Ikone Beth Ditto.

Und der heutige Hochadel? Verhält sich tattootechnisch äußerst zurückhaltend. Adolf Loos wäre zufrieden.

4 Trauertaschentuch mit Trauerkette, um 1890/1900. Der Anhänger zeigt zwei Todessymbole: Kreuz und Anker.

II »Schutzgott Hermes«

Bald aber naht ein Bote,

Hermes nennen sie ihn,

Mit seinem Stab regiert er die Seelen:

Wie leichte Vögel,

wie welke Blätter treibt er sie hin.

Du schöner, stiller Gott!

Hugo von Hofmannsthal/Richard Strauss:

Ariadne auf Naxos, 1912

Highway to Hades

Junge Leute des 21. Jahrhunderts assoziieren »Hermes« in erster Linie mit einem Postdienst, der das Neueste aus dem Internet ins Haus liefert. Im Prinzip ist der Firmenname sinnvoll gewählt, denn Hermes fungierte in der antiken griechischen Mythologie als Bote und (Ver-)Mittler. Der Sohn des Zeus und der Plejade Maia war einer der jüngsten der olympischen Götter. Er galt als schnell, listig und gewandt, ein Patron und Beschützer der Reisenden, Hirten und Diebe, Redner und Dichter, Athleten und Sportler, Erfinder und Kaufleute. Zu seinen Attributen gehörten der geflügelte Helm und ebensolche Sandalen sowie das Kerykeion, der Heroldsstab, abgeleitet vom griechischen Begriff »keryx«, der Herold. Zwei Schlangen winden sich um den obersten Teil des Stabes, sie blicken einander an und stehen für die Verbindung gegensätzlicher Kräfte. Auch die griechische Götterbotin Iris und die römische Göttin des Glücks Felicitas tragen das Kerykeion. Im Altertum war dieses Symbol das Erkennungszeichen der Boten. Es sollte die Immunität dieser Überbringer militärischer Befehle oder geheimer Nachrichten signalisieren und ihre schadlose Rückkehr garantieren. Später wandelte sich das Zeichen in den Merkurstab, ein Symbol des Handels.

Eine besondere, heute weniger bekannte Zuständigkeit des Hermes (römisch: Merkur) war in der Vorstellung der Gläubigen des Altertums jedoch seine wichtigste: Hermes führte den Beinamen »Psychopompos«, der Seelenführer. Auf die Verbindung gegensätzlicher Kräfte wurde bereits hingewiesen: Als göttlicher Grenzüberschreiter geleitet Hermes die Seelen der Verstorbenen an die Gestade der Flüsse Acheron (»der Kummervolle«), Styx (»der Verabscheuungswürdige«) und Lethe (»das Vergessen«) und somit zu Charon, dem Fährmann des Totenreichs. Hermes kontrolliert den »Verkehr« zwischen »Oben« und »Unten« und sorgt dafür, dass die Trennung zwischen den Welten aufrecht und die göttliche Ordnung somit gewahrt bleibt. Abgesehen von den definitiven Beherrschern des Jenseits, Hades und seiner geraubten Gemahlin Persephone, ist Hermes der Einzige, der die Unterwelt problemlos betreten und – nicht ganz unwichtig – wieder verlassen kann.

Die Vorstellung des Totenführers korrespondiert mit den Walküren, die die gefallenen Krieger heim nach Walhalla holen, oder dem Engel Azrael, der von Allah eine Liste mit den todgeweihten Menschen erhält und in den darauffolgenden 40 Tagen diese Aufgabe abarbeitet. Interessant ist auch der Riese Christophorus, der in frühchristlicher Zeit die Toten zur Himmelspforte begleitete und – wie sein altägyptisches Pendant und direkter Vorgänger, der Schakalgott Anubis – hundsköpfig dargestellt wurde.

Allgemein ist der »Seelenführer« eine mögliche Form der Personifikation des Todes. Abgesehen von Gottheiten oder Engeln können auch Geister oder Dämonen diese Aufgabe übernehmen. Neben dem Transport der Seele liegt die Bedeutung des Psychopompos darin, die Sterblichkeit zu akzeptieren. Altgriechische Vasenbilder oder Grabstelen zeigen auffallend oft Frauen, die von Hermes in die Unterwelt begleitet werden – eine Tatsache, die eventuell auch Elisabeths Interesse an dieser griechischen Gottheit gefördert haben mag.

5 Psychopompos Hermes wacht über Elisabeths Alterssitz im Lainzer Tiergarten.

An der Gartenfront der Hermesvilla begrüßte also gewissermaßen der Tod in Gestalt eines jungen Gottes die Hausherrin Elisabeth, ihre Familie und geladene Gäste. Heute betreten die Besucher das Haus durch den ehemaligen Personaleingang und erfahren von dieser besonderen Eigenart der Villa bei Lainz nur noch im Rahmen einer Spezialführung. Wäre es nach dem Kaiser gegangen, sollte die Hermesvilla ja den wenig originellen Namen »Villa Waldruh« tragen.

Überliefert ist, dass die Kaiserin bei der ersten Besichtigung der Innenräume nur den Kopf geschüttelt haben soll. Die Gestaltung entsprach nicht ihrem Geschmack, sondern kann eher als architekturgewordenes Psychogramm des Kaisers aufgefasst werden. Es waren von ihm favorisierte Künstler, die das Erscheinungsbild des Gebäudes bestimmten, das Franz Joseph Elisabeth zuliebe schließlich »Villa Hermes« nannte.

Griechin sucht Griechen

Auch im Achilleion, Elisabeths Privatresidenz auf Korfu, gab es eine »Hermesterrasse«. Ein ruhender Hermes war dort zu sehen, die Kopie einer Bronzestatue aus Herculaneum. Bilder von den Ausgrabungen in den »Städten unter der Asche«, also in Pompeji, Herculaneum und Stabiae, vor allem aber die Neuigkeiten aus »Troja«, das der deutsche Kaufmann Heinrich Schliemann entdeckt haben wollte, beflügelten die Fantasien der Archäologiefans des 19. Jahrhunderts. Die Altertumskunde war dabei, sich als ernst zu nehmende Wissenschaft zu etablieren, um sich von Schatzsuchern, Grabräubern und selbst ernannten »Experten« abzugrenzen. Wer über die notwendigen Mittel und viel Zeit verfügte, schiffte sich nach Smyrna, Neapel oder Alexandria ein und ging den »Sensationen der Vergangenheit« vor Ort auf den Grund.

Elisabeth war als Wittelsbacherin mit engen Beziehungen zu Griechenland aufgewachsen. Immerhin war 1832 der bayrische Prinz Otto, ein Sohn von Ludwig I., als künftiger König nach Griechenland geschickt worden. Die griechischen Nationalfarben Blau und Weiß erinnern noch heute an diese Episode. »Baiern« hieß schon seit 1825 »Bayern« mit einem griechischen Ypsilon. Später wurde Otto aus dem Land vertrieben, von den »schuftigen Griechen«, wie Franz Joseph sie nannte. Die Wittelsbacher verließen Griechenland ernüchtert und verbittert, das philhellenische Abenteuer konnte als gescheitert abgehakt werden.

Als Elisabeth das erste Mal nach Korfu kam, im Jahr 1861, war die Insel englisches Protektorat. Später, als Korfu schon griechisch war, herrschte dort ein weiterer ausländischer Monarch, Georg I., der eigentlich Wilhelm hieß, aus Dänemark kam und 1913 in Thessaloniki ermordet werden sollte. Die kaiserliche Touristin aus Österreich war mehr am ersten Präsidenten Griechenlands interessiert, Ioannis Kapodistrias. Er stammte aus Korfu, war jedoch 1831 ebenfalls ermordet worden, in Nauplia, als er gerade zur Kirche des hl. Spiridon, des Schutzheiligen seiner Heimatinsel, unterwegs war. Elisabeth verehrte den republikanischen Politiker in besonderem Maß, liebte sie ja Griechenland nicht zuletzt als Mutterland der Demokratie.

Auf Korfu suchten die Reisenden die klassischen Gegenden und Szenen und vermeinten in den Korfioten die Ebenbilder des alten Griechentums wiederzufinden. Viele antike Plätze und Ruinenstätten auf dem griechischen Festland waren vor 150 Jahren trostlose Orte, mit Unrat übersät, in den Überresten der Tempel hausten Schafe und Ziegen … Die Mitteleuropäer fühlten sich in ihrem realitätsfernen Bildungstraum gestört und wechselten nach Korfu, das von den Türken nicht erobert worden war und eine venezianische Eleganz ausstrahlte. Elisabeth schrieb an Valerie, dass es »nichts Schöneres auf der Welt« gebe als Korfu, ihr Herz könne sich »gar nicht fassen vor so viel ewiger Herrlichkeit«.

Doch beließ es die österreichische Monarchin nicht beim Schwärmen. Sie las altgriechische Literatur und beschäftigte zu diesem Behufe verschiedene Griechischlehrer, junge »Exoten und Sonderlinge«, die ihr eifersüchtiger Mann durchwegs nicht leiden konnte. Elisabeth verbrachte wesentlich mehr Zeit in der Gesellschaft der jungen Griechen als mit ihrem Kaiser, der die hellenischen Alleinunterhalter mit wechselnden, wenig schmeichelhaften Epitheta wie »der Schreiende« (Nikolaos Thermojannis), »der Bucklige« (Konstantin Christomanos), »der Großhaxerte« (Rhoussos Rhoussopoulos) oder »der Parfümierte« (Alexander Mercáti) bedachte.

Besondere Bedeutung für die Nachwelt sollte der Student Christomanos erlangen, der in seinen »Tagebuchblättern« die Begegnungen mit Elisabeth in der Art eines Chronisten festhielt. Bei seinem Antrittsbesuch bedeutete man ihm, in der Nähe der Hermesvilla zu warten. Er dürfte wohl sehr nervös gewesen sein:

Plötzlich stand sie vor mir – eine schlanke, schwarze Frau. Ihr Kopf hob sich vom Hintergrund eines weißen Schirms ab, durch den Sonnenstrahlen drangen. In der Linken hielt sie einen schwarzen Fächer, leicht an die Wange geneigt. Ihre Augen fixierten mich goldhell.

Drei Stunden spazierten die Kaiserin und ihr zukünftiger griechischer Vorleser durch den frühlingshaften Lainzer Tiergarten: »Dieses Wandern zwischen den hellen Stämmen der Birken und Buchen in die violetten, fast körperlich greifbaren Märchenschatten hinein, unhörbaren Schrittes auf der schwarzen feuchten Erde, über vermoderte Blätter vom vorigen Herbst.«

Abgesehen von der Statue des Hermes kündet in Lainz noch eine weitere Figur von Elisabeths Griechenlandkult. Eine marmorne Aspasia war einst im Freien aufgestellt, heute befindet sie sich aus konservatorischen Gründen im Stiegenhaus der Hermesvilla. Ignaz Weirich hatte die Figur in Rom geschaffen, sie kam erst 1898 in kaiserlichen Besitz. Aspasia wurde von der Hausherrin besonders geschätzt. Geboren im 5. Jahrhundert v. Chr. im kleinasiatischen Milet, wurde sie die zweite Ehefrau des Perikles. Politischer Einfluss war ihr wichtig, sie gab Unterricht in Rhetorik und die Sokratiker berichteten positiv über sie. Wie so viele Frauen, die den Versuch machten, sich über ihren Stand zu erheben, wurde sie als Hetäre und Bordellbesitzerin öffentlich verhöhnt. Nur mit Mühe gelang es Perikles, eine gegen seine Frau eingebrachte Klage wegen »Gottlosigkeit und Kuppelei« abzuwehren. Die geistreiche, gut aussehende und mutige Aspasia, die sich gegen gesellschaftliche Zwänge souverän behauptete, scheint auf Elisabeth großen Eindruck gemacht zu haben.

6 Ein Vorbild für Elisabeth: Aspasia, Ehefrau des Perikles, im Stiegenhaus der Hermesvilla

Einer Zeitgenossin, die viel Zeit in der Hermesvilla verbringen sollte, setzte die Kaiserin auf ihre Art ein Denkmal, als sie im Mai 1887 von einer Reise nach Rumänien in die Villa im Tiergarten zurückkehrte:

Doch ist dies nicht wert des Lärmes;

Glück lebt nur in Phantasien,

Beiden sei darum verziehen;

Denkt da draußen Schutzgott Hermes.

Wem soll man verzeihen? Und was eigentlich?Fortsetzung folgt in Kapitel IX.

III Die Hausherrin der Hermesvilla

Mehr als 30 Jahre war Elisabeth mit dem Kaiser verheiratet, als er die zündende Idee hatte, für sie (und ihn) ein Altersretiro im Lainzer Tiergarten errichten zu lassen. Schon die Silberhochzeit im Jahr 1879 war ein Albtraum gewesen. Laut Nichte Marie Larisch habe Tante Sisi dabei »eine Miene« gemacht »wie eine indische Witwe, die verbrannt werden sollte.« »Es ist schon genug, 25 Jahre verheiratet zu sein«, kommentierte die Kaiserin, »aber deshalb auch noch Feste zu feiern, ist unnötig.« Ein traditionelles Eheleben hatte es in dieser Beziehung kaum gegeben und gab es nun, als das Kaiserpaar in die Jahre kam, schon gar nicht mehr. Die Reitjagden in England und Irland, denen Franz Joseph nicht nur aus Kostengründen ausgesprochen ablehnend gegenübergestanden war, gab Elisabeth aus gesundheitlichen Gründen, vor allem aber wegen der unverzeihlichen Enttäuschung darüber, dass ihr schottischer Reitpilot »Bay« Middleton nach langjähriger Verlobungszeit endlich seine Freundin geheiratet hatte, auf. Sie selbst behauptete in den 1890er-Jahren, sie habe »plötzlich ohne jeden Grund den Mut verloren« und sie, »die noch gestern jeder Gefahr spottete, erblickte heute eine solche in jedem Busche«. Dies sei auch der Grund, warum »ich Valerie niemals erlaubte, ein Pferd zu besteigen; ich wäre nicht fähig gewesen, die ewige Unruhe zu ertragen«.

Der alte Kaiser, der sich seit Jahrzehnten übergangen fühlte, witterte seine vielleicht letzte Chance, Sisi sesshaft zu machen. Er wollte mehr Zeit mit seiner »süßen geliebten Seele« (»Édes, szeretett lelkem«, wie er fast alle Briefe an sie einleitete, auf Ungarisch) verbringen. Die Rolle des demütigen Bittstellers ermüdete ihn sichtlich. In der politisch sensiblen Zeit um 1866 hatte er Elisabeth geschrieben: »Jetzt hätt’ ich halt noch eine Bitt’. Wenn du mich besuchen könntest. Das würde mich unendlich glücklich machen.« Zwei Wochen später die Ernüchterung: »Komme bald wieder … wenn du auch recht bös und sekkant warst, so habe ich dich doch unendlich lieb …«. Die Jahrzehnte vergingen, der Ton blieb derselbe. Franz Joseph (58) an seine Angetraute (51), 1888: »Meine Gedanken sind viel und mit Sehnsucht bei dir. Du denkst wohl seltener an mich …«. Die beiden waren Antipoden, zwei höchst verschiedenartige Persönlichkeiten, die es trefflich verstanden, sich gegenseitig unglücklich zu machen.