Wallis Simpson - Michaela Lindinger - E-Book

Wallis Simpson E-Book

Michaela Lindinger

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Beschreibung

Fast 85 Jahre vor Harry und Meghan sorgte schon ein anderes Paar für einen Skandal bei den Windsors und für weltweite Schlagzeilen: König Edward VIII. löste 1936 mit seinem Wunsch, die zweifach geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson zu heiraten, eine Verfassungskrise im Königreich aus. Das royale Paar musste England verlassen – schuld ist: Wallis Simpson. Spionage, Spielsucht, Dreiecksbeziehungen, Drogen, Abtreibungen, Nähe zu faschistischen Systemen, Nymphomanie ... Es gab nur wenige Schmähungen, die die Stilikone in ihrem fast 90-jährigen Leben nicht zu hören bekam. Lesen Sie die Geschichte dieser schillernden, charismatischen und komplexen Frau und ihrer Liebe mit dem englischen König, die schon zu Ende war, bevor sie richtig begonnen hatte.

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Seitenzahl: 315

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der 1. Medizinischen Abteilung der Klinik Ottakring

„Walking down the street Mrs. Simpson, ain’t she sweet? She’s been married twice before – Now she’s knocking on Edward’s door.“

Satirisches Lied, England 1936

Bessiewallis Warfield (1896–ca. 1910)

Wallis Warfield (ca. 1910–1916)

Wallis Spencer (1916–1928)

Wallis Simpson (1928–1937)

Wallis, Herzogin von Windsor (1937–1986)

I Urlaub bei Freunden

Das berühmteste Paar der Welt in Österreich

II Bessie aus Baltimore

Wie man wird, was man ist

III Die Simpsons und die Windsors

Szenen zweier Ehen

IV Das lange Sterben der Herzogin

„Gone with the Windsors“

Personenverzeichnis

Verwendete Literatur

Bildnachweis

Dank

Die Autorin

Impressum

I Urlaub bei Freunden

Das berühmteste Paar der Welt in Österreich

Vorsatzblatt: Wallis mit ihrem Hund Slipper aka Mr. Loo, ein Geschenk Edwards an sie zu Weihnachten 1934.S. 9: Das Ehepaar Windsor auf Hochzeitsreise im Park des Kärntner Schlosses Wasserleonburg. Wallis trägt ein von österreichischer Trachtenmode inspiriertes Kostüm.

Der Ex-König strickte. Er saß am vorweihnachtlich vor sich hin knisternden Kaminfeuer in einem großen Bibliotheksraum, den ihm seine Gastgeberin Kitty Rothschild zur Verfügung gestellt hatte. Da er nie ein Buch las, war die Bibliothek vergebliche Liebesmüh, und auch sonst war der extrem nervöse Edward schwer zu beruhigen. Von Kindheit an hatte er Schwierigkeiten gehabt, sich zu konzentrieren. Einfache Handarbeiten, die ihm von seiner Großmutter Königin Alexandra und seiner Mutter Königin Mary beigebracht worden waren, lenkten ihn noch am ehesten von seiner inneren Unrast und seinen Befürchtungen ab. Anfangs hatte der überanstrengte und ausgelaugte Edward der Baronin Rothschild leidgetan. Sie scheute weder Kosten noch Mühen, um ihm das Leben im österreichischen „Exil“ so bequem und gemütlich wie möglich zu machen. Eine ganze Suite von Räumen hatte er zu seiner persönlichen Verwendung erhalten, ein Schlafzimmer, ein Gesellschaftszimmer, die Bibliothek mit einem angrenzenden Rauchsalon, selbstverständlich gab es ein Bad für den früheren Monarchen, der mit Vorliebe zweimal am Tag duschte. Bedienstete hörten ihn manchmal in der Badewanne singen. Kitty heuerte zusätzlich zum vorhandenen Personal, das nagelneue Livreen tragen musste, Reinigungskräfte aus der Umgebung an und einen Koch aus Paris – für einen Mann, der seit seiner Teenagerzeit an einer Art Anorexia Nervosa litt. Edward war auf Dauerdiät, mächtig stolz auf seine dünnen Beine und nahm außer Earl-Grey-Tee, rohem Obst sowie kostspieligen Spirituosen kaum etwas zu sich.

Die Belagerung von Enzesfeld

Es war Dezember, das Thermometer zeigte um die null Grad und ein nicht allzu kalter Winter kündigte sich an. Schnee fiel noch nicht in der Nähe von Wien. Am Morgen, wenn Edward vorsichtig aus dem geschlossenen Schlafzimmerfenster blickte, sah er unten vor dem Schloss Enzesfeld, das seit 1880 im Besitz der Familie Rothschild war, die Journalistenmassen, die sich vor dem schmiedeeisernen Tor drängten. Bildreporter kletterten auf Bäume, um einen Schnappschuss des Ex-Königs zu ergattern. Seit inoffiziell durchgesickert war, dass Edward nach seiner Abdankung am 10. Dezember 1936 nicht in die Schweiz, wie er es ursprünglich geplant hatte, sondern nach Enzesfeld bei Bad Vöslau kommen wollte, kannte die Presse kein Halten mehr. Allgemein hieß es, der englische König, Kaiser von Indien und Herr über das größte Empire der Welt habe sein Amt niedergelegt, weil ihm seine Regierung nicht erlauben wollte, die geschiedene und zum zweiten Mal verheiratete Amerikanerin Wallis Simpson zu heiraten. Es war die Story für die Zeitungen im kleinen Österreich. Ausgerechnet hierher hatte sich Edward zurückgezogen!

Das winterliche Schloss Enzesfeld nahe Bad Vöslau. Dank der Kontakte seiner Braut fand Ex-König Edward hier Zuflucht nach seiner Abdankung im Dezember 1936.

Doch auch Reporter aus England, selbstverständlich die Kollegen aus Amerika, leicht erkennbar an ihrem allerneuesten technischen Equipment, und aus den Dominions, also aus den britischen Hoheitsgebieten wie Kanada, Australien, Neuseeland und Irland, belagerten die nicht allzu große Burg in Niederösterreich, die sich zum Mittelpunkt des Medieninteresses entwickelt hatte. Polizisten „begleiteten“ die Journalisten und versuchten, sie vom Eingang des Schlosses fernzuhalten. Presseleute hielten sich in den Büschen rund um das feudale Anwesen versteckt. Dabei war die Situation hier auf jeden Fall leichter zu managen, als wenn Edward sein Vorhaben, sich in Zürich im Dolder Grand Hotel zu „verstecken“, weiterverfolgt hätte. Dieses bis heute existierende Fünfsternehotel liegt auf einem Hügel oberhalb der Stadt und war damals nur per Bahn zu erreichen. Einer seiner Berater hatte begeistert von diesem Ort gesprochen, ein Hotel in den Alpen und in einer deutschsprachigen Region. Edward war sofort Feuer und Flamme gewesen. Weitere Erkundigungen hatte er nicht einholen lassen. Dass er dort keineswegs der einzige Gast gewesen wäre, war ihm nicht in den Sinn gekommen. Auch brachte er eine Entourage mit, für die niemand vorgesorgt hatte. Er wäre dort Freiwild für die angereisten Pressevertreter gewesen, hätte keinerlei Privatsphäre gehabt. Diese Art des für Edward typischen unüberlegten „Handelns“ wird Wallis, Herzogin von Windsor, viel später so beschreiben: „Ich habe einen Klingelknopfdrücker geheiratet. Meine Aufgabe ist es nun, dafür zu sorgen, dass jemand auf sein Klingeln antwortet.“

Kitty Baronin Rothschild, Eigentümerin des Schlosses Enzesfeld. Die weithin bekannte Schönheit tat alles, um ihrem schwierigen Gast aus England den Aufenthalt in Österreich so friktionsfrei wie möglich zu gestalten.

Gedenktafel für die wohltätige „Pretty Kitty“ an der katholischen Kirche in Enzesfeld.

Es war Edwards Glück, dass Wallis, die bei amerikanischen Freunden in Südfrankreich im wahrsten Sinn des Wortes „untergekrochen“ war, Kitty Rothschild kannte. Beide Frauen waren Amerikanerinnen, beide geschieden, beide schätzten die Gesellschaft (männlicher) europäischer Adeliger. Andererseits war auch Edwards Großvater Edward VII. mit Albert Salomon Rothschild, dem ehemaligen Besitzer von Gut und Schloss Enzesfeld, bekannt gewesen. Der derzeitige Eigentümer war Albert Salomons Sohn Eugen, der Katharine Wolff geheiratet hatte. Die schillernde „Pretty Kitty“ Rothschild, die Bayern schon als Kind verlassen hatte und mit ihren Eltern nach Amerika ausgewandert war, ehelichte als 20-Jährige einen Zahnarzt aus Philadelphia, von dem sie sich rasch scheiden ließ. Sie konvertierte zum katholischen Glauben und heiratete den reichen Diplomaten Erwin Schönborn-Buchheim, den sie zugunsten einer dritten Heirat mit Eugen Rothschild ebenso verließ. Ob sie für diese Ehe den jüdischen Glauben angenommen hat, ist nicht gesichert. Sie dürfte eher katholisch geblieben sein, denn an der Kirche in Enzesfeld erinnert eine Gedenktafel an ihre zahlreichen wohltätigen Unternehmungen für den Ort und seine Umgebung. Jedenfalls wurde sie am 28. April 1925 Baronin Rothschild. Wallis hatte Kitty in den USA bei diversen Society-Veranstaltungen getroffen und ließ sie über Edwards Freund Perry Brownlow in Enzesfeld kontaktieren: Ob es möglich wäre, „Brownlows Bruder“ (= Edward, das Telefon wurde von der Polizei abgehört) über den Winter zu beherbergen? Edwards Muttersprache war Deutsch und er schätzte Österreich mit seinen alpinen Landschaften sehr, das wusste Wallis schon lange. Schließlich hatte sie bereits mit ihm einen wenig erbaulichen Skiurlaub in Kitzbühel verbringen müssen.

Soko Kitz

Dieser Urlaub fand zwei Jahre zuvor im Februar 1935 statt, dauerte einen Monat und trug einiges dazu bei, dass die Freundschaft zwischen der bürgerlichen Amerikanerin und dem damals noch als Thronerbe und Prinz von Wales amtierenden Edward einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Pressefotos zeigten Wallis im eleganten schwarzen Winter-Look, hinter ihr Edward in Skipullover und Anorak mit seinen Skiern auf der Schulter. Die royale Gesellschaft stieg im Grand Hotel ab, was Wallis gut passte. Sie verbrachte die Nachmittage bei heißem Kakao und besuchte Volksmusikabende, um Tiroler Gstanzln, gespielt auf Zither und Ziehharmonika, zu lauschen. Als Südstaatlerin hatte Wallis vom Skifahren nicht die geringste Ahnung und auch keine Lust, es zu lernen. Schon gar nicht von Edward, der sich zwar für ein Naturtalent hielt, aber kaum einen Stemmbogen fahren konnte. Dafür brüllte er von der Mitte des Hanges zur ängstlich und frierend auf dem „Gipfel“ des Hügels ausharrenden, gelangweilten Wallis: „Sieh dir das an, Wallis! Bin ich nicht toll?!“ Kaum jemand konnte sich dieser Meinung guten Gewissens anschließen. Der 23-jährige Dudley Forwood, Juniorattaché an der britischen Botschaft in Wien, ausgestattet mit perfekten Manieren sowie ausgezeichneten Deutschkenntnissen, war dazu abgestellt worden, den Prinzen von Wales nach Kitzbühel zu begleiten und ihm das Leben in Österreich zu erleichtern. Er erinnerte sich später an seine Erlebnisse bei dieser speziellen Soko Kitz:

Wallis im modischen schwarzen Skianzug in Kitzbühel, dahinter Skifahranfänger Edward, Februar 1935.

„Der Prinz beherrschte keinen Sport gut. Er liebte Golf, war aber kein großartiger Golfspieler. Er liebte es, Hindernisrennen zu reiten, doch er war kein guter Reiter. Da er auch kein guter Skifahrer war, blieb er auf dem ‚Idiotenbühel‘, und dort befanden sich auch zwei sehr typische französische Damen, die, kaum dass sie ihn erblickt hatten, laut ausriefen: ‚Oh, da ist der Prinz von Wales, wie elegant und charmant er doch ist! Oh, mon dieu!‘“

Edward fand die Kommentare lästig und irritierend, verlor die Kontrolle über seine Skier, raste ungebremst den Hügel hinunter und krachte kopfüber in eine Schneewechte. Nur mehr die Skispitzen ragten heraus. Die Französinnen machten sich voller Vorfreude auf den Weg in Richtung Wechte. Sie hatten jedoch nicht mit dem Aufpasser Forwood gerechnet, der Edward rasch aus seiner misslichen Lage befreite und ihm die Skier abschnallte. Edward war unzufrieden mit sich selbst – wollte er doch vor Wallis eine gute Figur machen – und wütend auf die mondänen Touristinnen. Forwood getraute sich zu fragen: „Sir, ist das das erste Mal, dass England von Frankreich überfallen wird?“ Wallis hörte alles mit, begriff im Gegensatz zu Edward die an sich impertinente, spitze Bemerkung des undiplomatischen Jungdiplomaten und war froh, dass sich Edward zu einer Weiterreise nach Wien entschloss: „Ich möchte Walzer tanzen gehen“, verkündete er.

Gar nicht glücklich über die Spontanpläne der Royal Highness waren die offiziellen Stellen in Wien, die innerhalb weniger Stunden einen Privatbesuch des zukünftigen Königs von England arrangieren mussten, der seine anderweitig verheiratete Freundin im Schlepptau hatte, von der man in der britischen Heimat auf keinen Fall erfahren durfte. Den Reisenden wurde ein Nachtzug nach Wien zur Verfügung gestellt und eine ganze Etage im Hotel Bristol. Wallis ging in der Innenstadt shoppen. Edward saß in den Kaffeehäusern und las Zeitung, besichtigte aber auch Unterkünfte für Arbeiter und unterhielt sich, selbstverständlich auf Deutsch, mit den Bewohnern. Das Interesse für die Lebens- und Arbeitsbedingungen der werktätigen Bevölkerung gehörte zu seinen liebsten Steckenpferden, was ihm zwei Jahre später enorm viel Ungemach einbringen wird. Des Nachts konnte man den wie einen Schuljungen bis über beide Ohren verknallten englischen Prinzen mit seiner Angebeteten in den Nachtlokalen des ersten Bezirks flirten und tanzen sehen – buchstäblich bis zum Umfallen. Beide waren leidenschaftliche Nachtschwärmer und frönten in den 1930er-Jahren dem hedonistischen Tanz auf dem Vulkan. Mit Vorliebe besuchte das Paar den Rascal-Club, in dem Travestie-Shows geboten wurden: Frauen traten als Männer auf und umgekehrt.

Nach ein paar Tagen in Wien kam Edward kurzfristig die Idee, er wolle die Musik ungarischer Roma-Kapellen hören, und so fuhr man weiter nach Budapest. Dort machten sich Wallis und Edward, immer begleitet von Offiziellen und Geheimpolizei, auf die Suche nach den authentischsten Plätzen. Die politische Lage, etwa im romantisch verschneiten Österreich, schien dem Paar auf seiner Ferienfahrt keine Sorgen zu bereiten: Es gab hier eine zwar verbotene, aber im Untergrund immer stärker werdende NSDAP. Der Bundeskanzler des faschistischen „Ständestaates“, Engelbert Dollfuß, war erst im Jahr davor von österreichischen Nationalsozialisten ermordet worden. Anhänger linker Parteien befanden sich im Gefängnis, im Exil oder waren tot. Österreich galt als instabiles, politisch unsicheres Land. Edwards Vater, der englische König George V., hatte bereits Krankheiten hinter sich, war kein gesunder Mann mehr. Es wäre Edward gut angestanden, an seine womöglich sehr bald auf ihn zukommenden Pflichten als Herrscher zu denken und dementsprechend aufzutreten. Aber George V. hatte ohnehin prophezeit: „Wenn der Junge auf den Thron kommt, wird er sich in zwölf Monaten ruinieren.“ Oder: „Mein Sohn wird nie herrschen. Er wird abdanken.“ Seine Präferenzen für die Zukunft hatte er klar artikuliert: „Nichts soll zwischen Bertie (später George VI.) und Lilibet (später Elizabeth II.) und den Thron kommen!“

Und so war es geschehen.

Wie Edward nach Enzesfeld kam

Edward reiste nach seiner Abdankung sogleich nach Österreich. In seiner Heimat könne er nicht bleiben, erklärte Wallis ihrer Freundin Kitty Rothschild am Telefon, da die neue Königin Elizabeth, heute bekannt als die 2002 im 102. Lebensjahr verstorbene „Queen Mum“, erklärt habe: „Es kann nicht zwei Könige in England geben.“ Auf die Frage, wann Edward nach London zurückkehren könne, antwortete die 36-jährige Ehefrau von George VI.: „Zu meinem Begräbnis kann er gerne kommen.“ Und da die altkeltische Sitte, wonach unfähige oder sonstwie missliebige Herrscher einfach umgebracht und im Moor versenkt wurden, auch nicht mehr en vogue war, musste ein Aufenthaltsort für Edward gefunden werden. Ein Großteil seiner Berater hatte sich aus dem Staub gemacht, sobald die Abdankungsurkunde am 11. Dezember 1936 vom Parlament ratifiziert worden war. Wer konnte, dockte beim neuen König George VI. an, den man in der Familie „Bertie“ nannte. Edward stand fast ganz allein da. Seine Freundin Wallis, für die es ein gewaltiger Schock war, ab sofort einen Hof mit unzähligen Dienern und Polit-Experten in ihrer Person vereinigen zu müssen, war weit weg in Cannes und wartete dort auf ihre Scheidungspapiere.

Sich scheiden zu lassen, war im damaligen England nicht nur kompliziert, teuer und juristisch unlogisch (wenn zum Beispiel beide Eheleute eine außereheliche Beziehung führten, war eine Scheidung nicht möglich; nur einer „durfte“ fremdgehen und somit „schuldig“ sein), sondern auch langwierig. Man benötigte zwei Urteile, ein vorläufiges und ein endgültiges, dazwischen vergingen etwa sechs Monate. Auch durfte die Scheidung nicht zwischen den Ehepartnern „abgesprochen“ sein. Einvernehmliche Scheidungen waren illegal – bei Wallis jedoch traf dies zu. Ihr Mann wusste seit Langem von der Scheidungsabsicht seiner Frau und hatte versprochen, keinen Einspruch einzulegen. Dank Edwards hoher Stellung war bisher nichts davon offiziell durchgedrungen. Im Oktober 1936 erhielt Wallis das vorläufige Scheidungsdekret. Sie musste nun auf das zweite warten. Solange dieses nicht ausgestellt war, dufte das Paar nicht im selben Land leben.

Bei Nacht und Nebel verließ der Ex-König am 12. Dezember 1936 um zwei Uhr früh auf dem Kriegsschiff „Fury“ bei schlechtem Wetter sein Land. Ursprünglich hatte man ihm für die Reise das Schiff „Enchantress“ (= die Zauberin) vorgeschlagen, doch in Hinblick auf den Grund der Abdankung wurde davon wieder Abstand genommen. Am 14. Dezember erreichte Edward per Bahn Wien, wo er vom britischen Botschafter in Empfang genommen wurde und auch den jungen Botschaftsangehörigen Dudley Forwood wiedertraf, der in Kitzbühel für sein Wohl gesorgt hatte. Der Kurzzeit-König trug einen schwarzen Wintermantel mit Persianerkragen, einen roten Wollschal und auf dem Kopf eine Melone. Unter dem Arm hatte er den geliebten Cairn Terrier Slipper, den Wallis „Mr. Loo“ nannte, weil es ihr nicht gelingen wollte, ihn zur Stubenreinheit zu erziehen. Seinem Ruf war Mr. Loo gerecht geworden, kaum dass er mit seinem Herrchen die „Fury“ betreten hatte. Er verunzierte die Kapitänskajüte mit einem ordentlichen Häufchen.

Der Wiener Bahnsteig war voller Presseleute, an denen sich der erschöpfte Herzog von Windsor zuerst mit Forwoods Unterstützung vorbeikämpfen wollte, doch dann drehte er sich um und meinte großzügig: „Lassen Sie die Journalisten mitkommen. Sie warten schon lange und verdienen ein paar Fotos.“ Er stellte nochmals klar, dass er sich vollkommen inkognito in Österreich aufhalte. Edward ersuchte Forwood, gänzlich in seine Dienste zu treten, solange er in Österreich Station machen werde. Er wurde von Forwood mit dem Auto nach Enzesfeld gebracht und der junge Mann fand bald heraus, dass der Ex-König keinen persönlichen Diener mitgebracht hatte, ohne Personal jedoch hoffnungslos überfordert war. Edward fühlte sich zutiefst gekränkt, denn niemand aus seiner engsten persönlichen Dienerschaft war ihm ins Exil gefolgt. Eugen Rothschild, der so rasch wie möglich nach Paris abzureisen gedachte, beobachtete noch, wie das internationale Modevorbild Edward Windsor in Enzesfeld zwischen seinen Tonnen von Anzügen, Hemden und Schuhen in allen knalligen Farben des Regenbogens stand, unfähig, die Sachen zu sortieren, aufzuhängen oder zu verstauen. Mit seinem berühmten schiefen Grinsen meinte der Herzog zum Baron: „Ich fürchte, ich kann das nicht. Wissen Sie, ich habe so etwas noch nie alleine gemacht.“ Zumindest schaffte er es, 16 Fotos von Wallis im Schlafzimmer zu gruppieren. „Wie in einer Krypta“ sei es gewesen, sagte Perry Brownlow, Edwards treuer Freund, der Wallis Anfang Dezember 1936 nach Südfrankreich eskortiert hatte. Ihre überstürzte Flucht war sich gerade noch ausgegangen, denn am nächsten Tag beendete die britische Presse ihr selbst auferlegtes Schweigen zur Beziehung des Königs mit der Amerikanerin. Brownlow kam Edward in Enzesfeld besuchen und sah, wie der Ex-König auf einem Kissen schlief, das Wallis benutzt hatte und das mit ihren Initialen bestickt war.

Zukunftssorgen

Der Pulli in ihrer Lieblingsfarbe Blau, den Edward für Wallis am Kaminfeuer in der Enzesfelder Bibliothek strickte und den er ihr zum Wiedersehen überreichen wollte, wuchs eher langsam. Die Probleme des Herzogs jedoch türmten sich mit einer täglich unüberwindbarer scheinenden Wucht vor ihm auf. Seine Gedanken kreisten ständig um seine ferne Freundin. Würde er sie überhaupt heiraten können? Niemand konnte im Dezember 1936 sagen, ob Wallis’ endgültige Scheidung von ihrem zweiten Mann Ernest Simpson, dem Schiffsmakler in finanziellen Nöten, durchgehen würde. Und wenn ja: Wovon sollte er mit Wallis leben, nach der Heirat? Würde ihm sein Bruder, der König, eine Aufgabe zuteilen, die seinen Diensten und Erfahrungen auf der ganzen Welt als Prinz von Wales adäquat war? Wo sollten Wallis und er als Ehepaar wohnen, wenn es weiterhin in England keinen Platz für sie gab? Welchen Titel würde Wallis tragen, nun, da sie hoffentlich bald Mitglied der „Firma“, also der Royal Family, sein würde? Und wie würde er ihr helfen können, das alles zu erreichen?

Langsam dämmerte es ihm nämlich, dass er keinerlei Einfluss mehr hatte, dass es niemanden kümmerte, was er dachte, sagte und wünschte. Dass es nie um ihn, Edward, den man in der Familie mit dem letzten seiner sieben Vornamen David – nach dem walisischen Schutzpatron – rief, gegangen war. Sondern nur um seine Stellung als Prinz von Wales und dann als König und Kaiser. Doch das war er jetzt alles nicht mehr. Nun war er nur noch ein kleiner, kaum 165 Zentimeter großer, mit 42 Jahren etwas „überstandiger“ Junggeselle und Herzog von Windsor, der schlechter behandelt wurde als seine jüngeren Brüder. Wallis hatte es ihm deutlich vor Augen geführt: „You can’t abdicate and eat it.“ (Du kannst nicht abdanken und den Kuchen trotzdem essen.)

Edward wog zeitlebens weniger als 60 Kilogramm und passte somit gut zu seiner zukünftigen Frau, die ebenfalls einem möglichst geringen Körpergewicht allergrößte Bedeutung beimaß. Eines ihrer zahlreichen Sofakissen war mit dem Satz „You can never be too rich or too thin“ bestickt. Wallis war 162 Zentimeter groß und wog um die 45 Kilo.

Im Verborgenen

Ebenso voller Angst und Sorgen hatte sie sich in der Villa „Lou Viei“ oberhalb von Cannes verbarrikadiert, die einem Ehepaar gehörte, das Wallis Mitte der 1920er-Jahre in China kennengelernt hatte: Herman und Katherine Rogers. Die Rogers waren immer für sie da gewesen, wenn Wallis wieder einmal in ein Lebensdrama geschlittert war, doch ein so enormes wie die sogenannte Verfassungskrise und die Abdankung des Königs – das hatte niemand vorhersehen können. Wallis’ Alltag gestaltete sich als der einer Gefangenen. Aufgrund des enormen Presseinteresses konnte sie das Haus nicht verlassen, nicht einmal ein Fenster öffnen. Die Fotografen saßen in den höchsten Baumkronen und hätten sofort abgedrückt. Gerade ihre amerikanischen Landsleute verfolgten sie ohne Unterlass und sie wird einmal sagen, dass sie der US-Presse die vulgären Berichte und gestohlenen Fotos nie verzeihen würde. „Die Publicity hat mich praktisch umgebracht“, schrieb sie in ihrer Autobiografie, eine beängstigende Analogie zu Lady Di, die 1997 in Paris, verfolgt von Journalisten und Fotografen, einem Autounfall zum Opfer fiel. Abends wurde es besonders schlimm, denn täglich um 19 Uhr rief der Ex-König aus Enzesfeld in Cannes an. Beim Haus „Lou Viei“ (= Das Alte) handelte es sich um ein umgebautes Kloster aus dem 12. Jahrhundert mit dicken Steinmauern, für den Winter ungeeignet, zugig und kalt. Die Telefonleitungen waren miserabel, Wallis musste zigmal wiederholen, was sie zu sagen hatte, und laut schreien, um sich verständlich zu machen.

Edward am österreichischen Ende wurde durch diese technischen Unzulänglichkeiten immer enervierter, obwohl er sich den ganzen Tag auf nichts anderes freute als auf die Telefonate mit seiner Freundin, die er schmerzlich vermisste. Doch wenn die Gespräche vorbei waren, musste er sich hinlegen, so erschöpft fühlte er sich. Es ging immer um die gleichen Themen: Geld und Status. Stundenlang. Jeden Tag. Wallis war nie zufrieden mit Edwards Bemühungen, immer meinte sie, er hätte dies oder jenes sagen, dies oder jenes tun sollen. Natürlich hatte er nichts davon getan. Er war der Prinz von Wales gewesen; hatte ein Vollkasko-Leben geführt; sich nie um etwas kümmern müssen, nie für sich selbst sorgen, nie den nächsten Tag planen müssen. Edward hatte keine Vorstellung von Geld und Geldeswert, hatte niemals etwas selbst einkaufen müssen. Zukunftsangst, Schwierigkeiten, die grundlegenden Lebenshaltungskosten bestreiten zu können – solche Dinge hatte das Dasein der 40-jährigen Wallis jahrzehntelang bestimmt. Edward konnte sich Derartiges nicht einmal in der Fantasie ausmalen.

Sein langjähriger Freund Edward Dudley Metcalfe, genannt „Fruity“, ein irischer Kavallerieoffizier, stattete ihm in Enzesfeld einen Besuch ab und bekam die telefonischen Auseinandersetzungen live mit. Er schrieb an seine Frau Alexandra, genannt „Baba“, die einmal die Geliebte des britischen Faschistenführers Oswald Mosley gewesen war: „Er muss sich bei ihr dauernd für etwas entschuldigen, das er ihrer Meinung nach wieder verbockt hat. Langsam tut er mir wirklich leid. Er schafft es einfach nicht, die Dinge so zu erledigen, wie sie es für richtig hält. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der so verrückt verliebt ist.“

Es war allerdings genau das, was Edward in Wahrheit so sehr an Wallis schätzte und was ihm seine vielen Affären und auch die längeren Freundschaften mit Frauen, bevor er Wallis traf, nicht geben konnten. Erstmals hatte er das Gefühl, eine Frau hört ihm zu, berät ihn, macht ihm Vorschläge, weiß, wo’s langgeht. Sie versorgte ihn mit Kraft und Bestätigung, mit emotionaler Unterstützung und Zuneigung – auch wenn andere das kaum so interpretieren würden.

Winter in Enzesfeld

Kitty Rothschild ging der vor lauter Nervosität aufbrausende Edward, der kein König mehr war, aber wie ein Kaiser und König behandelt werden wollte, inklusive Verbeugungen und Knicksen, gehörig auf die Nerven. Sie war ja keine Untertanin der britischen Krone, musste sich weder ehrfürchtig verhalten noch ihrem Gast ein Heer an unsichtbaren und geräuschlosen Domestiken anbieten, wie er es von den Wohnsitzen der Windsors gewohnt war. Die Baronin, die ihr Schloss Enzesfeld sehr liebte, war selbstbewusst und sprach auch Dinge an, die in England nie ein Thema gewesen wären. Es gab sicher angenehmere Gesellschaft als einen Ex-König auf der Suche nach sich selbst sowie nach einem Platz in einem neuen, völlig ungewohnten Leben. Anspannung und Stress machten Edward regelrecht krank: Die erzwungene Trennung von Wallis nach der Abdankung; das Unbehagen, trotz aller Fürsorge nur geduldeter Gast im Schloss zu sein; die horriblen, händisch zu verbindenden Ferngespräche nach Frankreich; besonders die ungewisse Zukunft für ihn und Wallis. Weihnachten stand vor der Tür und der hochadelige Hausgast wirkte immer mürrischer, gelangweilter, deprimierter. Es gab außerordentliche Bemühungen vonseiten der Gastgeberin, sie lud ein Pariser Orchester ein, das für Edward am Heiligen Abend spielen sollte, doch er hielt es nicht einmal für notwendig, seine Zimmerflucht zu verlassen. Kitty wusste es wohl nicht, aber Edward verstand nichts von klassischer Musik.

Besonders deutlich war dies im Sommer 1936 gewesen, bei einem repräsentativen Dinner der englischen Innendekorateurin Sibyl Colefax, gut bekannt mit Wallis. Das Ehepaar Churchill war auch zugegen, sogar der polnische Starpianist Artur Rubinstein. Nach dem Essen gelang es Colefax, Rubinstein zu überreden, für die Gesellschaft zu spielen, was er selten tat. Er trug drei Chopin-Stücke vor, bei denen Edward sich bereits als störanfällig erwiesen hatte. Er war neben dem Klavier platziert worden und tratschte dennoch ununterbrochen. Rubinstein ließ sich nicht beirren und wollte gerade ein viertes Stück beginnen, da sprang der König auf und legte Rubinstein die Hand auf die Schulter: „Wir haben das sehr genossen, vielen Dank, Mr. Rubinstein.“ Dieses Signal, die Darbietung zu beenden, verstanden alle Gäste, sie zeigten sich mehr als peinlich berührt. Artur Rubinstein verließ zusammen mit dem Leiter der Londoner National Gallery beleidigt das Haus von Sibyl Colefax, nicht ohne in Richtung Edward leise zu murmeln: „Ich fürchte, Sie mögen mein Klavierspiel nicht, Eure Majestät.“

Die Nähmaschinen-Erbin und Musikmäzenin Winnaretta Singer, verheiratete Prinzessin de Polignac, war auch dabei und ebenso geschockt über das unmögliche Benehmen des Königs von England. Sie meinte, in Paris, wo sie selbst Musiksalons veranstaltete, wäre so etwas unvorstellbar. Die Anwesenheit Edwards trug immer wieder zu ähnlichen Fauxpas bei. Bei einer Soiree der damals berühmten Gesellschaftshostess „Emerald“ Cunard – wie Wallis Amerikanerin und sehr bemüht, ihre Landsfrau in die Londoner Society einzuführen – gab ein gut gelaunter Edward folgende Wortspende zum Besten, nachdem eine Komposition von Wolfgang Amadeus Mozart zur Aufführung gelangt war: „Did that Mozart-Chap write anything else?“

In Enzesfeld sah er sich gerne Mickey-Mouse-Filme an, die Kitty in großen Rollen bestellen musste. Ansonsten liebte er seichte Komödien, Musicals und Wiener Lieder. Ernsthafte Unterhaltung langweilte ihn rasch. Trotzdem legte ihm Kitty Rothschild am 25. Dezember 1936 ein wertvolles Geschenk neben seinen Frühstücksteller, ein Paar mit Saphiren – passend zu seinen berühmten, wehmütig blauen Augen – besetzte Manschettenknöpfe von Cartier. Wie üblich hatte Edward außer an Wallis und sich selbst keine Gedanken an andere verschwendet und stand nun ohne Präsent für seine Gastgeberin da. Es war ihm zwar nicht recht, doch er nuschelte nur abwesend, er werde sich um eine Gabe kümmern. Die Schlossherrin erhielt schließlich das Standardgeschenk fürs Dienstpersonal, eine gerahmte Fotografie von ihm als König Edward VIII. samt Autogramm. Das war bereits ein Affront, doch als der Herzog, der in diesen Wochen an Schlaflosigkeit litt, auch noch begann, mitten in der Nacht Ziehharmonika und Dudelsack zu spielen, war’s das für Kitty. Sie hatte zusätzlich von jenem unerhörten Gerücht erfahren, das Wallis von Cannes aus in die Welt setzte: Sie, Wallis, habe vernommen, ihr Freund habe sich in seiner Depression von Kitty „trösten“ lassen und eine Liaison mit ihr begonnen – ganz im Gegensatz zu Wallis galt Kitty als eine der attraktivsten Frauen Europas. Dabei hatte Wallis Kitty noch beschworen, sie solle „nett zum Herzog“ sein …

Edward mit dem weltberühmten Wiener Ohrenarzt Dr. Heinrich Neumann, der ihn in Österreich behandelte. Neumann wurde 1938 von den Nationalsozialisten inhaftiert und floh 1939 in die USA, wo er noch im selben Jahr starb.

Wallis’ Erfahrungen mit Männern reichten in ihre frühen Teenager-Jahre zurück. Sie setzte einen ihrer uralten, vielfach erprobten Tricks ein: Erniedrigung einer viel hübscheren „Rivalin“ mit gleichzeitiger Verunsicherung der „Beute“, in diesem Fall Edward. Die unrichtigen Vorwürfe mussten erst einmal verdaut werden. Fruity Metcalfe erlebte seinen alten Freund in einem „schrecklichen Zustand“ und berichtete seiner Frau, er werde es „hier nicht mehr lange aushalten“. Zuerst aber brach Kitty Rothschild ihre Zelte in Enzesfeld ab und reiste wie ihr Mann nach Paris. Edward hatte weder ein Dankeschön für sie übrig, noch verabschiedete er sich von ihr. Fruity überredete Edward schließlich, ihr wenigstens einen Dankesbrief zu schreiben, mit dem er der Baronin zum Bahnhof nacheilte. Auch verteilte der Herzog an die Angestellten in Enzesfeld nie Trinkgelder und dankte ihnen nicht für ihre Dienste. 800 Pfund hatte der Ex-König vertelefoniert (heute etwa zu multiplizieren mit 50) und da er sich einbildete, er werde bald ein armer Mann sein und seine Ehefrau kaum erhalten können, ging er davon aus, dass die sprichwörtlich vermögenden Rothschilds seine Rechnungen stillschweigend übernehmen würden – was sie auch taten. Die stundenlangen, nicht enden wollenden Telefonate trieben Kitty die Schweißperlen auf die Stirn. Denn der Ex-König führte auch zahllose Ferngespräche mit seinem Bruder, von dem er glaubte, ihn beraten zu müssen. Telefonate auf die Britischen Inseln waren noch teurer als solche in Kontinentaleuropa. Bis heute existiert der vielleicht bewegendste Brief der Abdankungskrise, eine Bitte der neuen Königin Elizabeth an Edward, ihren für den Monarchenjob nicht ausgebildeten Mann doch zu unterstützen:

„Bertie findet es schrecklich schwierig zu sagen, was er wirklich denkt, Du weißt, wie scheu er ist – also bitte hilf ihm. Ich würde mir wünschen, Du könntest verstehen, wie hart es für ihn in den letzten Tagen war. Ich weiß, dass er Dich mehr schätzt als jeder andere und als seine Frau muss ich Dir schreiben, um es Dir zu sagen. Ich bin in Panik wegen ihm – also bitte HILF ihm, und sage ihm um Himmels willen nicht, dass ich geschrieben habe.“

Die von Bertie unverlangten Ratschläge aus Enzesfeld wurden oft zu ihm durchgestellt, wenn er dafür gar keine Zeit hatte oder wenn er mit ganz anderen Dingen beschäftigt war. Schließlich amtierte er als König von England, hatte von acht Uhr früh bis spät in die Nacht einen voll durchorganisierten Terminkalender. Der Feriengast in Österreich ließ, wenn er seinen Bruder im Buckingham Palace nicht gleich erreichte, ausrichten, dieser solle ihn um eine bestimmte Zeit zurückrufen, und zwar nur dann, sonst stehe er nicht zur Verfügung. Edward benahm sich, als sei er weiterhin König und Bertie bestenfalls Regent an seiner statt. So konnte es nicht weitergehen und schließlich verbat sich George VI. jegliche Beratungsanrufe vonseiten seines Vorgängers. Kitty wird wegen des Bruderzwists im Hause Windsor womöglich erleichtert aufgeseufzt haben. Wenigstens die Telefonrechnungen wurden dadurch überschaubarer …

Beim Kartenspiel in Enzesfeld soll Edward hohe Summen gewonnen und diese eingesteckt haben. Verlor er jedoch, weigerte er sich zu zahlen. Metcalfe beschwerte sich, dass sein royaler Freund nie anbot, die Rechnungen zu übernehmen, wenn man in Wien ausging oder zum Skifahren auf den Semmering fuhr.

Weihnachten 1936

Von alldem hörten Edwards ehemalige Untertanen in England nichts. Was vor allem die hohen Vertreter der anglikanischen Kirche stutzig machte, war das sonderbare Benehmen Edwards in Bezug auf die Weihnachtsgottesdienste 1936. Der Ex-König, von dem man wusste, dass er nicht an Gott glaubte und in seiner Zeit als Prinz von Wales kaum jemals an religiösen Zeremonien teilgenommen hatte, ging in Wien mit Freuden zur Christmette in den Stephansdom und wurde auch in der kleinen katholischen Kirche in Enzesfeld gesichtet. Er sang lautstark „Stille Nacht, heilige Nacht“ auf Deutsch mit, was den machtbewussten Selbstdarsteller Cosmo Gordon Lang, den Erzbischof von Canterbury, überraschte, aber auch beruhigte. Was immer dieser frühere König, den er für geisteskrank hielt, tat – er war weit weg. Nur darauf kam es an. Mit dem neuen König George VI. war Lang ausgesprochen zufrieden. Er stotterte zwar zum Gotterbarmen, verlas aber wie sein Vater brav und ohne Widerrede die Ansprachen, die der oberste Fürst der anglikanischen Staatskirche für den Monarchen verfasst hatte. Der Film „The King’s Speech“ aus dem Jahr 2010 befasste sich detailreich mit Berties Artikulationsschwierigkeiten. Helena Bonham Carter ist dort als formidable Königin Elizabeth zu sehen, die alles tut, um ihrem gehemmten Mann über diese Unzulänglichkeit hinwegzuhelfen. Die britische Schauspielerin Eve Best hat als Wallis Simpson einen kurzen Filmauftritt.

Edward und Wallis während ihres fatalen Besuchs im „Dritten Reich“, eskortiert vom Leiter der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) Robert Ley, Herbst 1937.

Im Gegensatz zum Heiligen Abend kamen Edward die niederösterreichischen Neujahrsbräuche nicht so gut zupass. In der Silvesternacht 1936/37 trieben einige rußverschmierte Rauchfangkehrer eine Horde Schweine in den Park von Schloss Enzesfeld und wollten dem Gast viel Glück für die Zukunft und das neue Jahr wünschen. Edward kam auf den Schlossbalkon heraus und winkte freundlich, doch mit den Schweinen wollte er nichts zu schaffen haben. Ein Rauchfangkehrer erklärte ihm, er müsse die Schnauze eines Schweins berühren, sonst werde ihm das neue Jahr nicht hold sein. Doch Edward verweigerte standhaft. Schließlich übernahm Kitty Rothschild für ihren Gast den Silvesterspaß. Wer weiß, vielleicht hat Edward nach den desaströsen Berichten über seine Tour mit Wallis durch das „Dritte Reich“ und das gemeinsame Treffen mit Adolf Hitler am Obersalzberg 1937 an die Rauchfangkehrer mit ihren Tieren zurückgedacht … Glück hat dem Ehepaar Windsor das Jahr 1937 sicher nicht gebracht.

Wallis nahm über die Weihnachtstage eine Einladung des englischen Schriftstellers W. Somerset Maugham an, dessen Werke sie einst in einem Kaff in Virginia gelesen hatte, als sie auf ihre erste Scheidung wartete. Maughams geschiedene Frau Syrie war eine erfolgreiche Innenarchitektin, die Wallis Anfang der 1930er-Jahre mit der Einrichtung ihrer Londoner Wohnung beauftragt hatte. Syrie Maugham schätzte die Farbe Weiß, große Spiegel und noch größere, intensiv rote Blumenarrangements. Nach der Scheidung von Syrie 1928 bewohnte der Autor auf der Halbinsel Cap Ferrat an der Côte d’Azur die riesige Villa Mauresque, die einst dem belgischen König und Kongo-Schlächter Leopold II. gehört hatte. Dessen Tochter Stephanie war 1881 die Ehefrau des Kronprinzen Rudolf geworden.

Die Villa Mauresque – heute ein Luxushotel – wurde auch wegen ihrer opulenten Ausstattung mit Maughams Kunstsammlung international bekannt. Dass Wallis Weihnachten bei Maugham verbrachte, entlastete das Ehepaar Rogers ein wenig. Die amerikanische Freundin hatte bereits mehrere silberne Löffel mit Korallengriffen und andere kunsthandwerkliche Gegenstände aus dem Besitz der Rogers ruiniert, wenn sie den Telefonhörer mit Vehemenz auf die Gabel geknallt hatte, entweder weil Edward in Enzesfeld sich so beratungsresistent zeigte oder die Telefonleitung so miserabel war oder beides. Auch fanden die aufwühlenden Telefonate im Esszimmer statt und meist eben um 19 Uhr, wenn das Personal der Rogers das Abendessen servieren wollte. Wallis und Edward waren bestimmt ähnlich mühsame Hausgäste. Ihrem Frust machte Wallis beim Kartenspielen in der Villa Mauresque Luft. Als sie ihre Könige nicht ausspielen wollte, begründete sie dies mit der Aussage: „Wozu? Die sind für nichts nütze. Sie danken nur ab.“ Somerset Maugham fand den Witz geschmacklos. Er war aber typisch für Wallis’ ständige Witzeleien und süffisanten Bemerkungen, die Edward unwiderstehlich fand und von denen er nicht genug bekommen konnte.

Kurz nach dem Jahreswechsel schrieb sie Edward, nachdem er wieder einmal eine ihrer Forderungen nicht hatte durchsetzen können, nämlich die Verlautbarung ihrer Hochzeit im britischen „Court Circular“, also in den Hofnachrichten: „Das ist alles sehr schade, denn ich hasse es, würdelos behandelt zu werden und dass ich offenbar nur einen Titel bekomme wie zahllose andere Titel, die es in Europa gibt und die keinerlei Bedeutung haben. Wenn wir unsere gemeinsame Reise mit einem angemessenen Hintergrund beginnen könnten, so würde mir das viel bedeuten. Aber was immer auch passiert, wir werden etwas aus unseren Leben machen.“ Zu diesem Zeitpunkt wusste sie aber ohnehin noch nicht, ob und wann sie die Frau des Herzogs von Windsor werden könnte. Dieser plante schon die Flitterwochen. Von Österreich schien er trotz der Widrigkeiten in Enzesfeld noch lange nicht genug zu haben.

Ein Schloss beim Pressegger See

Edwards Bekannter William, dritter Earl of Dudley, der mit Edwards Jugendliebe Rosemary Leveson-Gower bis zu deren Unfalltod 1930 verheiratet war, hatte ihm vom Schloss Wasserleonburg in Kärnten erzählt. Dieses wiederum gehörte einem Familienangehörigen des Earl, dem Grafen Paul William Alexander Münster, Freiherr von Grothaus. Er war der Nachkomme eines Spitzendiplomaten am britischen Hof und durch seine Mutter mit dem englischen Hochadel verwandt. Münster investierte gerade eine Menge Geld in die einstmals mittelalterliche Burg in der Nähe von Nötsch im Gailtal. Das Schloss liegt im Wald und ist von der Straße aus bis heute nicht einsehbar – der ideale Ort für die gestressten „Jung“verheirateten, die beide nur eines wollten: Ruhe vor der Presse und der Weltöffentlichkeit.

Im Februar 1937 verabredete Edward ein Treffen mit dem Grafen Münster in Kärnten und ließ sich das Schloss zeigen. Die moderne Einrichtung überzeugte den Herzog. Es gab alles, was er benötigte: Zimmer für das Personal in einem Wirtschaftstrakt, ausgezeichnete Sportanlagen, einen neuen Swimmingpool, Tennisplätze. In der nicht weit entfernten Ortschaft Dellach war ein Golfplatz für die vielen englischen Touristen, die in den 1930er-Jahren gerne nach Kärnten kamen, eröffnet worden. Man konnte direkt vom Schloss auf den Villacher Hausberg Dobratsch wandern, was Edward bald in Angriff zu nehmen gedachte. Dass er eine Frau heiraten wollte, die mit dem Landleben nichts anfangen konnte, die für und von Gesellschaften lebte und die Tratsch und Klatsch aus der weiten Welt mit ihren Freundinnen und Freunden diskutieren wollte, schien Edward ausgeblendet zu haben. Wasserleonburg hatte außer der guten Luft und der zweifelsfrei abgelegenen Lage nichts zu bieten, was Wallis länger als ein bis zwei Tage in Atem halten konnte. Fast unnötig zu erwähnen, dass die Besichtigung von Schloss Wasserleonburg durch den Ex-König von England nicht unbemerkt vonstattengegangen war. Am nächsten Tag spekulierten mehrere regionale Tageszeitungen, ob der Herzog von Windsor in Zukunft vielleicht in Kärnten leben wolle? Möglicherweise plane er, Wasserleonburg zu kaufen …

Doch das war noch Zukunftsmusik. Im Jänner 1937 hielt der Winter Einzug in den Wiener Alpen, die Tage wurden etwas länger und Edward fuhr nun häufig mit seinem privaten amerikanischen Buick zum Skifahren nach Spital am Semmering. Er hatte den damals sehr bekannten Walter Delle Karth als Skilehrer engagiert, der die vornehme Gästeschar des Südbahnhotels am Semmering in seiner Skischule unterwies. Der nordische Kombinierer konnte Edward vor allzu folgenschweren Stürzen bewahren. Auf der Rückreise nach Enzesfeld deponierte der Herzog seine Skiausrüstung im Skistall des Hotels „Erzherzog Johann“ direkt in Semmering. Lag nicht genug Schnee, spazierte Edward stundenlang am Kleinen Jauerling in der Wachau oder er besuchte auf den Spuren von Kronprinz Rudolf näher gelegene Ziele wie Alland und Mayerling. Einmal in der Woche fuhr er mit dem Buick nach Wien und ging ins Dianabad im zweiten Bezirk, wo er ein Dampfbad genoss. In seinem früheren Wohnschloss Fort Belvedere nahe Windsor Castle hatte er sich eine eigene Dampfkabine installieren lassen, da damals diese Art des Badens für die Erhaltung einer schlanken Figur von Ärzten empfohlen wurde. Als ihn einmal Zahnweh plagte, wurde extra der englische Dentist Henry Moore eingeflogen, der Edward im Hotel Bristol in Wien behandelte. Viel Zeit verbrachte Edward in der englischen Botschaft, wo er Eingaben machte, die sich mit der Finanzierung seiner Zukunft und der offiziellen Anrede seiner zukünftigen Frau befassten. Gelegentlich dinierte er mit englischen Diplomaten oder ließ sich im elitären Jockey Club sehen, der ausschließlich Männer und Juden nur ungern aufnahm. Baron Nathaniel Rothschild, zeitlebens unverheiratet und kinderlos, hatte Enzesfeld einst erworben und war im 19. Jahrhundert der erste Jude gewesen, der Zugang zum Jockey Club erlangt hatte. Er hatte dafür viel Zeit, Energie und Geld aufwenden müssen.