Die Elefanten von Thula Thula - Francoise Malby-Anthony - E-Book

Die Elefanten von Thula Thula E-Book

Francoise Malby-Anthony

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Beschreibung

Nach dem Tod ihres Mannes, des »Elefantenflüsterers« Lawrence Anthony, leitet Françoise das Wildreservat Thula Thula in Südafrika weiter. Ihr Alltag mit den Tieren ist geprägt von Glück und Leid, Freude und Schmerz, Leben und Tod. Besonders die Elefanten geben ihr Kraft für das Leben im afrikanischen Busch, in dem jeder Tag neue Abenteuer bringt. Eines Tages überwindet die Elefantenleitkuh Frankie überraschend den Zaun von Françoises Garten - ein Moment, der die besondere Verbindung zwischen Françoise und Frankie noch intensiviert und für die Tierschützerin auch die Frage aufwirft: Wo ist mein Platz im Leben? Als die Pandemie und schließlich eine Kohlemine die Existenz des Reservats bedrohen, weiß Françoise, dass sie für ihre Elefanten und Thula Thula kämpfen wird. Eine mitreißende Story über eine starke Frau und ihren leidenschaftlichen Einsatz für ihre Tiere – mit wunderschönen Farbfotos, die das Leben in Thula Thula näherbringen.

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Françoise Malby-Anthony

Die Elefanten von Thula Thula

Françoise Malby-Anthony

Die Elefanten von Thula Thula

Mein aufregendes Leben mit Frankie und ihrer Elefantenherde im südafrikanischen Naturreservat

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2023

© 2023 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89, 80799 München

Tel.: 089 651285-0, Fax: 089 652096

Die englische Originalausgabe erschien 2022 bei Macmillan, an Imprint of Pan Macmillan, unter dem Titel The Elefants of Thula Thula. © 2022 by Françoise Malby-Anthony. All rights reserved.

Wichtige Hinweise

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Gerrit ten Bloemendal

Redaktion: Petra Holzmann

Umschlaggestaltung: Sonja Vallant

Umschlagabbildung: Kim Mcleod

Satz: Helmut Schaffer, Hofheim a. Ts.

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7474-0479-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-867-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-868-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Für alle Tierfreunde überall auf der Welt, die dieselbe Leidenschaft und Vision für den Schutz der Wildtiere mit mir teilen, und für das großartige Thula-Thula-Team, das mir bei meinen wilden Abenteuern in Afrika immer zur Seite steht.

Inhalt

1 Ein Elefant in meinem Garten

2 Wie das Land war, bevor wir hier lebten

3 Die riskante Rettung eines Nashorns

4 Unser zwei Tonnen schwerer Problem-jugendlicher

5 Das heikle Problem mit Thabos Horn

6 Eine Freundin für Thabo

7 Retten, aufpäppeln und auswildern

8 Die Lebensrettung kleinerer Tiere

9 Weihnachtsglocken und feine Düfte

10 Familienzuwachs

11 Corona erreicht Thula Thula

12 Ein Plan muss her

13 Die Hunde, die mein Leben beherrschen

14 Thabo versus Baggerlader

15 Wir sind alle aufeinander angewiesen

16 Verzweifelte Zeiten, verzweifelte Maßnahmen

17 Die Liebenswürdigkeit von Fremden (und Freunden)

18 Was uns gehört, ist … Bergbauland?

19 Große Pläne für große Katzen

20 Die cleveren Tatortreiniger

21 Stimmt etwas nicht mit unserer Matriarchin?

22 Ein Weihnachtsbesuch mit einer Botschaft

23 Orangen für die Königin

24 Savannah

25 Das Leben nach Frankie

26 Probleme mit Genehmigungen

27 Größer, besser, heller

28 Notizen über ein Land in Flammen

29 Der große Geist von Ubuntu

30 Das stille Aussterben

31 Menschen versus Tiere

32 Im Busch wird es niemals langweilig

33 Weshalb (oder wie) überquerten die Elefanten die Straße?

34 Alarmstufe Schwarz

35 Ein verrückter Traum geht in Erfüllung

36 Höhen und Tiefen

37 Thabo und Ntombi werden untersucht

38 Rambo trifft Thabo

39 Das gelobte Land

40 Liebe und Verbindung

Danksagungen

Bildnachweise

1 Ein Elefant in meinem Garten

Frankie stand direkt vor meinem Gartentor. Was machte sie denn da?

Ich behielt sie im Auge – das muss man bei Frankie, denn sie ist etwas unberechenbar. Man weiß nie genau, was unsere streitlustige Leitkuh vorhat. Groß und stolz bewegte sie sich ein paar Schritte auf unser Haus zu. Fast wirkte es so, als wollte sie in unseren Garten hereinspazieren, dachte ich. Der Gedanke ließ mich schaudern. Zum Glück war das unmöglich. Denn am Boden unter dem Tor sorgten fünf Stromdrähte und 8000 Volt dafür, dass die Tiere draußen blieben. Frankie konnte diese Barriere niemals überwinden.

Ich kam ein paar Schritte näher, um Frankie besser beobachten zu können. Ich traute meinen Augen nicht! Frankie befand sich tatsächlich in meinem Garten! Irgendwie hatte sie die Stromdrähte überwunden – vielleicht war kein Strom drauf – und bewegte sich schnurstracks auf mein Haus zu. Mit großer Selbstsicherheit betrat sie das verbotene Terrain.

Mein erster panischer Gedanke in diesem Moment war: Wo sind die Hunde? Ich blickte hektisch nach links und nach rechts. Eine Begegnung zwischen sieben bellenden Hunden und einem mächtigen Elefanten würde ganz sicher in einer Katastrophe enden.

Ich war aufgelöst und rief mit gedämpfter, zitternder Stimme: »Tina … Lucy, Miley, hier!« Manchmal hören diese kleinen Biester richtig schlecht, aber diesmal spürten sie die Dringlichkeit in meiner Stimme und folgten mir schnell und ruhig ins Haus. Sie rannten hinein, ich schloss die Tür und lehnte mich dagegen, während ich vor Angst zitterte und spürte, wie das Adrenalin durch meinen Körper schoss.

»Kommt her, meine Lieben, shhh …«, sagte ich, als ich sie um mich herum versammelte und streichelte, damit sie ruhig blieben. Mein kleiner Gypsy hatte sich zu mir gekuschelt und schlotterte. Sogar die frechen Kläffer Alex und Shani, beide französische Pudel, benahmen sich vorbildlich – die meisten Hunde haben einen ziemlichen Respekt vor Elefanten.

Frankie konnte Hunde nicht leiden. Oder besser gesagt, sie hasste sie. Gin kann von Glück reden, dass er noch am Leben ist, nachdem er vor ein paar Jahren auf Frankie losgegangen war und sie im Gegenzug auf ihn. Gin rannte dann so schnell, dass seine Pfoten den Boden nicht mehr zu berühren schienen.

Wir beobachteten Frankie durch die Glasscheiben in der windigen Holztür.

Ich glaubte nicht, was ich sah! Es war im Juli 2018 und in all den Jahren davor hatte Frankie nicht einmal meinen Garten betreten. Aber genau das tat sie jetzt, selbstsicher und in aller Seelenruhe. Sie war keineswegs aggressiv oder angespannt. Eher als würde sie einen kleinen Rundgang um ihr eigenes Zuhause machen.

Sie näherte sich uns langsam, Schritt für Schritt, bis sie von meiner Tür nur fünf, sechs Meter entfernt war. Frankie hätte die Tür leicht mit einer leichten Bewegung ihres Rüssels eindrücken können, wenn sie gewollt hätte.

Frankie und mich verbindet seit Langem eine besondere, aber etwas komplizierte Beziehung. Kurz nachdem Frankie vor etwa zwanzig Jahren zusammen mit ihrer damaligen Herde bei uns in Thula Thula eingetroffen war, hat sie mich und meinen Mann Lawrence fast umgebracht, als wir ihr mit unserem lauten Quad einen Schrecken eingejagt hatten. Nie werde ich das Bild vergessen, wie sie mit angelegten Ohren und Feuer in den Augen auf uns zugeschossen kam und ihr lautes Trompeten die Luft durchschnitt. Damals dachte ich, dass das mein letzter Tag wäre.

Wir haben überlebt und können die Geschichte immer wieder erzählen. Lawrence hat die Elefantin nach mir benannt, da sie, wie er sagte, das gleiche streitlustige französische Temperament besitze wie ich. Allerdings war Frankie am Anfang mehr als nur streitlustig. Mit ihrer leichten Reizbarkeit und ihrem unberechenbaren Naturell machte sie uns alle etwas nervös, vor allem, wenn wir Gäste hatten, die an unseren Game Drives teilnahmen. Mit zunehmendem Alter wurde sie zwar ruhiger und vertrauensvoller, aber man musste trotzdem noch vor ihr auf der Hut sein. Uns verband eine gesunde gegenseitige Hochachtung.

Und da standen wir jetzt, die beiden Frankies – lediglich durch ein paar Meter Rasen und ein bisschen Holz und Glas voneinander getrennt.

Die Elefantendame sah uns an und wirkte so, als würde sie zögern. Für einen kurzen beängstigenden Moment war ich mir sicher, dass sie hereinkommen würde. Dann aber wandte sie sich ab und spazierte in Richtung Pool.

Hinter ihr hatte sich die ganze Herde, 28 Elefanten stark, am Zaun versammelt – von Mandla, unserem größten Bullen, bis zum kleinen Themba, der hinter seiner Mutter Nandi hertrottete. Die Elefanten schienen mindestens genauso verblüfft wie ich, als sie sahen, wie ihre Leitkuh auf einem Gelände herumspazierte, von dem alle wussten: Zutritt verboten. Nana, unsere sanfte und ehrwürdige alte Dame und Frankies Vorgängerin als Leitkuh der Herde, muss geschockt gewesen sein ob so viel pöbelhaftem Verhalten.

Als Anführerin der Herde hat die Leitkuh Führungsqualitäten und korrektes Auftreten zu zeigen. Frankies Aufgabe war es, den anderen Elefanten ein Beispiel zu sein und alle, die aus der Reihe tanzen, wieder zur Räson zu bringen. Aber jetzt war sie es, die die Regeln ungeniert missachtete.

Nach dem Motto »was meine Mama kann, kann ich auch«, beschloss ihr Sohn Brendan, es seiner Mutter nachzumachen, und näherte sich langsam dem Tor. Würde ich bald zwei Elefanten in meinem Garten haben? Oder womöglich die ganze Herde?

Als Brendan auf die Stromdrähte stapfte, hörten wir das typische elektrische Knistern, sofort gefolgt von einem wilden Trompetenschrei. Die Drähte funktionierten, so viel war sicher. Brendan hatte einen heftigen Stromschlag abbekommen und trat den Rückzug an.

Gemütlich und neugierig setzte Frankie ihren Rundgang fort und spazierte beinahe eine Stunde lang herum. Dabei sah sie sich auch die Weideflächen bis hinunter zum Staudamm an, hielt inne, um die herrlichen rosa Blüten des Kapokbaums zu bewundern und ruhte sich kurz im Schatten einer mächtigen Maulbeerfeige aus. Sie hob ihren Rüssel hoch, um etwas von der leichten Brise aufzunehmen, die an heißen Tagen ein wenig Abkühlung verspricht. Sie wirkte so, als betrachtete sie alles mit dem prüfenden Blick eines Käufers: »Hmm, ein schönes Haus, das könnte mir gefallen.«

Ich fragte mich inzwischen, ob sie sich tatsächlich hier »niederließ« und ich für immer mit einem Elefanten im Garten in meinem Haus festsitzen würde, als Frankie sich wieder zum Tor begab.

Alle Augen waren auf sie gerichtet.

Die Hunde und ich beobachteten sie durch die Tür, die Elefanten von hinter dem Zaun. Was würde sie als Nächstes tun? Frankie machte sich langsam, aber überlegt auf den Weg zum Tor. Es war ein Wunder, dass sie beim Betreten des Gartens keinen Stromschlag abbekommen hatte, aber ob ihr das beim Verlassen erneut gelingen würde, war die Frage. Meine Befürchtung war, dass sie einen Schlag abbekommen und fuchsteufelswild vor meiner Haustür stehen würde.

Sie hob einen ihrer vier mächtigen Füße an und stellte ihn genau zwischen die Drähte. Spätestens jetzt wirkten die anderen Elefanten sehr beunruhigt, scharrten mit ihren Füßen und blickten sorgenvoll drein. Einige trompeteten ihre Sorgen lautstark in den Himmel. Andere deuteten mit ihren Rüsseln auf den Boden, als würden sie sagen: »Sei vorsichtig … da ist ein Draht … und Vorsicht, da ist noch einer … Pass auf, wo du hintrittst, Frankie.«

Frankie aber blieb ganz ruhig, hob den nächsten Fuß an, und wieder einen und stellte jeden vorsichtig auf den Boden ab, sodass sie eine Berührung der Drähte mit einer akrobatischen Eleganz vermied, die man einem vier Tonnen schweren Elefanten niemals zutrauen würde.

Als sie auch den letzten Draht gemeistert hatte, feierten die anderen Elefanten ihre Rückkehr mit in die Höhe gestreckten Rüsseln als Zeichen der Siegesfreude. Ein Grollen ging durch die Herde und einer trompetete kurz und laut. Man muss Elefanten nicht verstehen, um zu ahnen, dass sie sagten: »Du hast es geschafft, Frankie! Du bist zurück! Bravo!«

Frankie aber drehte ihren großen Kopf zu mir, die ich hinter der Tür kauerte und meine Hunde beruhigte. Ihre Augen trafen meine, und sie schwenkte ihren Kopf, als wollte sie sagen: »Wer ist nun die Matriarchin, Madam? Ich weiß, dass du denkst, du bist es, aber wer ist in Wirklichkeit der Boss?«

Am Abend des nächsten Tages war ich mit den Hunden alleine zu Hause. Sie wirkten etwas unruhig und fläzten nicht wie sonst üblich entspannt irgendwo auf dem Sofa. Wenn man im Urwald lebt und sich die eigenen Hunde etwas komisch verhalten, ist man gut beraten, der Ursache sofort auf den Grund zu gehen, da dann nämlich meistens irgendetwas nicht stimmt. Oft ist es nur ein Affe in den Bäumen, aber manchmal ist es auch weniger harmlos, wie etwa eine Schlange draußen vor der Tür. Ich hob den kleinen Gypsy von meinem Schoß und ging zum Fenster, um nachzusehen.

Es war dunkel, ich hatte meine Brille nicht auf der Nase und ich konnte nichts Außergewöhnliches erkennen. Unter dem Sternenhimmel sah ich nur den großen dunklen Umriss des afrikanischen Flammenbaums, der mir im Frühling mit seinen grandiosen roten Blüten immer so viel Freude bereitet. Und einen großen dunklen Umriss.

Es war eine sehr stille Nacht, absolut windstill, aber komischerweise bewegten sich die Äste des Baums so, als wäre es windig. Ich hatte eine leise Befürchtung, wie ein Déjà-vu: Bei dem großen dunklen Umriss handelte es sich ganz und gar nicht um einen Baum, sondern um einen Elefanten!

Sofort schickte ich eine Nachricht in die WhatsApp-Gruppe der Ranger und der wichtigsten Mitarbeiter: Mist! Frankie ist wieder in meinem Garten!

Auch diesmal war sie sehr nah. Nur wenige Meter von der Tür entfernt, unmittelbar vor den beiden Stufen, die mein Haus von der Rasenfläche trennten.

Ich schrieb eine weitere Nachricht: Können Elefanten Treppen steigen?

Ranger Promise antwortete mit einer ganzen Reihe von Emojis mit weit geöffneten Augen.

Nicht wirklich hilfreich! Fakt war, dass niemand Rat wusste. Anders als eine Antilope, ein Pavian oder irgendein anderes Tier, das ab und an in meinen Privatbereich eindringt und zusammen mit meinen Hunden Chaos anrichtet, verscheucht man einen vier Tonnen schweren Elefanten nicht einfach mal so aus dem Garten.

Abgesehen von der Grenzverletzung, von der Frankie genau wusste, dass sie verboten war, war ihr Verhalten sehr ungewöhnlich. Eine Matriarchin sollte die Herde nachts niemals allein lassen. Und da Frankie allein war, fragte ich mich, wo die anderen Elefanten waren? Vielleicht waren sie in der Nähe, aber ich konnte sie in der Dunkelheit weder hören noch sehen.

Frankie verweilte die ganze Nacht in meinem Garten. Ganz offensichtlich gefiel ihr mein Haus – ich hoffte nur, dass sie nicht vorhatte, einzutreten.

»Du hast über 4000 Hektar zum Herumwandern, Frankie«, murmelte ich. »Wieso willst du ausgerechnet in meinem kleinen Garten sein?«

Sie trieb sich herum, verschlang meine neu gepflanzten einheimischen Barberton-Gerberas und genoss die Nachtluft. Sie war eine ganze Weile still, und ich dachte, sie würde vielleicht ein kurzes Nickerchen im Stehen machen, wie es Elefanten gern tun. Als die Dämmerung anbrach, verließ sie den Garten wieder, wie sie gekommen war: völlig geräuschlos und behutsam über die Stromleitungen schreitend, ging sie den Weg hinunter zu ihrer Familie.

Ein paar Tage später, als ich zur Veröffentlichung meines ersten Buches im Vereinigten Königreich weilte, besuchte Frankie meinen kleinen Garten erneut. Die Mitarbeiter des Reservats gerieten in Panik, und Lynda, die Leiterin der Verwaltung und Buchhaltung, rief Andrew, einen der Ranger, zu Hilfe. Was genau sie von ihm erwartete, wusste ich nicht. Jedenfalls beschloss Andrew, das Gespräch mit Frankie zu suchen. Während der Rest des Personals von meinem Haus aus zusah, sprach er leise und versuchte, sie zum Gehen zu überreden. »Na los, Frankie, Zeit nach Hause zu gehen. Komm schon …«

Die Herde stand am Tor und beobachtete die Szenerie mit großem Interesse. Frankies Partner Gobisa, ihre Söhne Mabula, Ilanga und Brendan sowie ihre Tochter Marula waren insbesondere von dem Anblick fasziniert, wie sich ihre Mutter erneut Zutritt zum Garten verschaffte.

Andrew hat eine besondere Beziehung zu allen Elefanten. Irgendwie scheinen seine ruhigen Worte zu ihnen durchzudringen. Aber Frankie war an diesem Tag schlecht gelaunt und wollte nichts von seinen ruhigen Worten und vernünftigen Vorschlägen wissen. Mit flatternden Ohren stürmte sie auf ihn zu. Er rannte die drei Stufen zu meiner Veranda hinauf und schaffte es gerade noch rechtzeitig in mein Haus.

Danach beschlossen sie, Frankie bei ihrem Rundgang durch meinen kleinen Garten in Ruhe zu lassen, und schließlich verließ sie ihn so, wie sie ihn betreten hatte.

Wie immer, wenn mir die Herde Rätsel aufgab oder es ein Problem mit ihr gab, wendete ich mich an die Ranger und an Christiaan, unseren Naturschutzmanager. Nur für Frankies seltsames Verhalten hatte keiner eine Erklärung. Normalerweise kommen Elefanten nicht so nahe an Orte heran, an denen sich Menschen, Hunde und Autos aufhalten, es sei denn, sie sind auf der Durchreise.

»Diese Besuche werden langsam zu einem Problem«, sagte ich zu Vusi, unserem Betriebsleiter, der für schwierige Dinge wie Zäune und Wasserversorgung zuständig war – und jetzt auch noch für einen einbrechenden Elefanten. »Wir können nicht zulassen, dass Frankie im Garten herumstreunt, wann immer ihr danach ist!«

»Es ist gefährlich«, stimmte er mir zu. »Auch für uns Mitarbeiter. Und für die Gäste ebenso.«

Mein Haus ist ein Teil des Komplexes, das wir »Haupthaus« nennen. Der Empfang und das Verwaltungsbüro befinden sich im ursprünglichen farm house mit seiner schönen alten Fassade in kapholländischem Stil. Drumherum gibt es eine Reihe von Häuschen und Nebengebäuden, darunter mein Haus und mein Büro sowie Unterkünfte für einige der Büroangestellten. Wenn Frankie in meinen Garten kommen konnte, könnte sie auch ihnen einen Besuch abstatten.

»Vielleicht ist sie groß genug, um einfach über einige der Drähte hinwegzusteigen. Ich werde den Sicherheitsdienst beauftragen, einen weiteren Draht auf den Boden zu legen«, sagte Vusi. »Das wird sie abschrecken.«

»Danke, Vusi. Es wird schön sein, nachts einzuschlafen, ohne mich fragen zu müssen, ob ein Elefant in meinem Garten ist.«

Vusi ließ den zusätzlichen Draht anbringen, aber Frankie kam einfach wieder.

Eines Morgens, nicht lange nach Frankies nächtlichem Besuch, hörte ich einen Tumult vor dem Büro. Portia, die Marketingassistentin, fuchtelte ausdrucksstark mit den Armen und erzählte den Büroangestellten irgendeine lange Geschichte.

Sie winkte mich herbei und sagte: »Françoise, Sie werden nicht glauben, was gerade passiert ist!«

»Dann erzähl!«, antwortete ich. Portia neigt von Natur aus zu dramatischen Erzählungen, also erwartete ich eine von einer Schlange im Schrank oder einem Frosch in ihrem Schuh. An solchen Vorkommnissen herrscht im Busch kein Mangel.

Sie fuhr mit vor Schreck geweiteten Augen fort. »Wie jeden Morgen ging ich im Badeanzug zum Pool, um ein paar Bahnen zu schwimmen, als ich mitten auf dem Rasen plötzlich etwas im Augenwinkel sah, einen großen grauen Felsen. Irgendwie war mir nicht mehr bewusst, dass dort auf dem Rasen überhaupt kein großer Stein liegt, und so ging ich weiter zum Pool. Dann hörte ich Andrews Stimme, in aufgeregtem Flüsterton: ›Portia, Portia, geh zurück … Frankie ist im Garten!‹ Ich sah nach hinten und erkannte, dass der große graue Felsen Frankies Hintern war!«

Das ganze Büro brach in Gelächter aus.

»Das ist nicht lustig. Sie war direkt neben mir! Ich drehte mich um, rannte um mein Leben und klopfte an Swazis Tür.«

Swazi, der Reservataufseher, setzte die Erzählung fort.

»In ein Handtuch gehüllt und mit vor Angst geweiteten Augen stand Portia vor meiner Tür und sagte: ›Swazi, Swazi, lass mich rein! Frankie ist im Garten!‹ Sie betrat mein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich rannte zur anderen Seite, öffnete die Fensterläden und sah Frankie, unmittelbar vor uns. Dieser riesige Elefant, unmittelbar vor dem Fenster. Portia und ich zitterten vor Angst!«

Die Büromitarbeiter lachten, schrien und schauderten.

Die Büromitarbeiter sprechen heute immer noch von dem Ereignis, als Portia auf dem Weg zum Pool beinahe mit Frankies Hintern zusammengestoßen wäre. Es ist witzig, dass Portia diese Begegnung, immer wenn wir über Frankie reden, als etwas Kostbares empfindet: »Frankie war so schön und nah. Es war eine unvergessliche Erfahrung, die ich nie vergessen werde.«

Warum Frankie meinen Garten heimgesucht hat, ist mir bis zum heutigen Tag ein großes Rätsel geblieben. Den wahren Grund dafür können wir uns nur aus menschlicher Perspektive vorstellen. Wollte sie vielleicht die Küche besuchen, in der Baby Tom vor vielen Jahren gerettet worden war? Oder gab es etwas anderes, was sie uns mitteilen wollte?

Das waren alles Fragen, die wir nicht beantworten konnten.

2 Wie das Land war, bevor wir hier lebten

Bevor Afrika in einzelne Länder, Provinzen, Ortschaften und Farmen aufgeteilt wurde, bevor Eisenbahnen, Schnellstraßen, Zäune und Grenzposten entstanden, bevor Einkaufszentren und Bürotürme und Vororte gebaut wurden, bewegten sich die Elefanten frei über den ganzen Kontinent. Bei ihrer Suche nach Nahrung oder Wasser, oder um Gefahren zu entkommen oder einen wirtlicheren Lebensraum zu entdecken, legen Elefanten als wandernde Art schnell mal 100 Kilometer zurück. Einige der Straßen und Eisenbahnen, die in kolonialer Zeit erbaut wurden, wie jene, die das Drakensberge-Gebirge durchquert, entstanden genau auf solchen Elefantenrouten.

Die Elefanten in unserer Provinz KwaZulu-Natal sind bis nach Mosambik gewandert. Die Freiheit ermöglichte sehr großen Herden, sich in neuen Gebieten anzusiedeln. Heute ist die Bewegungsfreiheit der Elefanten auf kleine, inselähnliche Wildreservate beschränkt, da der Mensch ihren Lebensraum zerstört hat oder in ihn vorgedrungen ist.

Je mehr Menschen dort leben und je mehr Land wir für uns beanspruchen, umso zahlreicher werden die Konflikte mit den Elefanten. Unsere Herde kam aus dem Grund zu uns, weil sie aus dem Wildreservat, in dem sie lebte, ausgebrochen war, um sich auf den benachbarten Feldern über die Ernte der Bauern herzumachen.

Solche oder ähnliche Situationen sehen wir auch anderswo auf der Welt. In Indien wird der Lebensraum der Elefanten ebenfalls immer kleiner, dort werden sie inzwischen sogar vertrieben oder von Bauern und Dorfbewohnern getötet.

Dabei scheinen wir zu vergessen, dass diese fantastischen Tiere hier schon lange vor uns lebten.

Es ist kein Geheimnis, dass Elefanten sehr groß sind und sehr viel fressen: Bis zu 200 Kilogramm Nahrung braucht ein ausgewachsener Elefant – pro Tag. Das sind viele Bäume und Sträucher, und schon deshalb brauchen sie einen großen Lebensraum. Beschränkt sich dieser aber auf ein kleines Gebiet, zerstören sie ihn womöglich selbst.

Nachdem Lawrence und ich Windy Ridge erworben hatten, besaßen wir 1500 Hektar Land. Da sich 400 Hektar jenseits einer öffentlichen Straße befanden, schied dieses Land, auf dem die örtliche Bevölkerung ihr Vieh grasen ließ, als Teil des umzäunten Bereichs aus, den wir als Wildreservat vorgesehen hatten. So blieb uns nur eine Fläche von etwa 1000 Hektar als kleines Schutzgebiet, dem wir den Namen »Thula Thula« gaben. Das Wort thula bedeutet auf Zulu »Ruhe« und wird oft mit gesenkter Stimme ausgesprochen. Mütter flüstern »thula, thula«, um ein Kind in den Schlaf zu wiegen. Genau das wollten wir den Tieren und Menschen in dem Land, in dem Elefanten seit Jahrhunderten gejagt wurden, bieten: Frieden und Ruhe.

Im August 1999 trafen die ersten sieben Elefanten ein. Man erzählte uns, es wären »Problemelefanten«, die erlegt worden wären, wenn wir sie nicht aufgenommen hätten. Lawrence wusste, dass wir mehr Land benötigen würden, wenn wir unsere Herde entweder durch Aufzucht oder durch Aufnahme geretteter Elefanten vergrößern wollten. Dies war nicht nur aus praktischen und rationalen Gründen geboten, sondern auch aus rechtlicher Sicht. Denn Bestimmungen des Umweltministeriums schreiben eine bestimmte Fläche pro Elefant vor.

Lawrence war jemand mit einer großartigen Vision und großen Plänen. Er träumte davon, ein riesiges Schutzgebiet in Zululand zu schaffen, das sich bis in den hohen Norden der Provinz erstrecken und nicht nur unser Land, sondern auch andere kleine Farmen und Gemeindeflächen umfassen würde.

»Stell es dir mal vor, Frankie«, sagte er zu mir, während sein Gesicht vor Begeisterung strahlte und er mit seinen Händen unseren Besitz und das Land dahinter bis zum Horizont beschrieb. »Das ganze herrliche Buschland, die Tiere. Ein großes, sicheres, gut organisiertes Wildreservat, bis rauf nach uMfolozi.«

Das war eine großartige Idee, aber zu dem Zeitpunkt fehlte uns einfach das Geld dazu. Wir standen erst am Anfang. Keiner kannte uns. Wie sollten wir da Spenden für den Landankauf sammeln? Aber Lawrence war fest entschlossen. Stunden und Tage verbrachte er damit, Menschen für seine Vision zu gewinnen. Es gab endlose anstrengende Treffen mit Verantwortlichen der Gemeinde, aber seinem Engagement für seinen Traum und für das Wohl der Tiere tat das keinen Abbruch.

Und so konnte er doch einige Erfolge verbuchen. 2008, mehr als zehn Jahre nach dem Erwerb von Thula Thula, wuchs unser Land um weitere 1000 Hektar. Land, das der Nationalparkverwaltung gehörte, aber der Gemeinde zur Nutzung zur Verfügung gestellt worden war. In diesem Areal, Fundimvelo genannt, gab es kein Wasser, sodass es für die Viehzucht nicht geeignet war. Die wenigen Wildtiere, die sich dort aufhielten, kämpften ums Überleben, und oft überwanden sie den Zaun, in der Hoffnung, in Thula Thula Wasser und besseres Grasland zu finden.

Lawrence wandte sich an die Amakhosi, die lokalen Stammesführer. Auch wenn sie eher als symbolische Aushängeschilder dienen und meistens nur wenig politische Macht besitzen, spielen sie dennoch als Unterhändler, Berater und Streitschlichter eine bedeutende Rolle im Leben der Landbevölkerung. Unser Verhältnis zu den Amakhosi ist äußerst wichtig für uns, und im Laufe der Jahre sind großes Vertrauen und gegenseitiger Respekt entstanden.

Lawrence’ Vorschlag sah ein gemeinsames Schutzprojekt auf Fundimvelo vor. Wir würden es als Teil von Thula Thula betreiben und seine Infrastruktur entwickeln. Die Amakhosi zögerten keinen Augenblick. Wir rissen den Zaun zwischen den beiden Arealen ab, sodass unsere wunderschöne Elefantenfamilie mehr Platz zum Herumstreifen hatte, während die Tiere auf Fundimvelo Zugang zu unserem Wasser und Grasland erhielten.

Lawrence, Vusi und das Team bauten einen großen Damm auf dem ehemaligen Gemeindeland. Das aufgestaute Wasser wurde zu einem beliebten Ort für unsere Elefanten und natürlich für unsere Flusspferdfamilie. Nach dem Tod von Lawrence im Jahr 2012 nannten wir den Damm in Gedenken an ihn »Mkhulu-Damm«. Mkhulu ist das Zulu-Wort für »Großvater«, wie unsere Mitarbeiter Lawrence liebevoll nannten. Seine Asche wurde an diesem wunderschönen, friedlichen Ort verstreut.

Kurz vor seinem Tod hatte Lawrence mit den Amakhosi über ein weiteres Stück Land an der Grenze zu Fundimvelo verhandelt, das sich perfekt für die Erweiterung von Thula Thula eignete. Dann musste ich die schwierigen Verhandlungen übernehmen, bei denen ich mich nicht nur mit den Bräuchen und Landrechten der Zulu, sondern auch mit staatlichen Regularien und Fragen des Naturschutzes auseinandersetzen musste – und das alles auf Englisch und Zulu. Ein enormer Lernprozess für eine französischsprachige Frau, die einfach nur ihren kleinen Flecken Erde zu einem Wildreservat machen wollte. Sieben Jahre später, im Jahr 2019, waren die Verhandlungen immer noch nicht abgeschlossen, aber ich blieb fest entschlossen, Lawrence’ Traum zu verwirklichen.

Oft besuchte ich den Mkhulu-Damm am Abend, wenn sich der Himmel rosa und golden färbte und die Flusspferde grunzten und schnaubten und Ringe und Wellen im Wasser bei untergehender Sonne bildeten, die sich darin spiegelte. Es war kaum zu glauben, dass dieser Stausee, der von Vögeln, Insekten und Tieren besucht wurde, während der schrecklichen Dürre, die 2013 begann und drei lange Jahre andauerte, zu einer steinharten, rissigen Schlammwüste ausgetrocknet war. Ihrem enormen Überlebenstrieb folgend verließen unsere Nilpferde Romeo und Julia und das Krokodil Gucci damals unseren Stausee, um ihr Glück auf der anderen Seite des Reservats zu suchen, wo ein anderer kleiner Stausee noch ein wenig Wasser hatte.

Wie immer setzte irgendwann doch der Regen ein und der Stausee füllte sich wieder. Und so kehrte Normalität ein und auch unsere Flusspferde, Krokodile und andere Wildtiere kehrten zurück. Das Wildreservat füllte sich erneut mit Leben, wirkte reich, die Pflanzen gediehen und den Tieren ging es gut. Wieder bewunderte ich die Widerstandskraft der Natur, die uns Menschen ein Beispiel sein sollte: Irgendwann kommt der Regen, so viel ist sicher, man muss nur lange genug durchhalten.

Der Mkhulu-Stausee ist ein beliebter Halt bei unseren Beobachtungsfahrten, den game drives. Die Gäste nehmen an zwei Fahrten pro Tag teil, eine am frühen Morgen und eine am späten Nachmittag. In Begleitung unserer Ranger verfolgen und beobachten sie die Tiere im Buschland – vor allem natürlich die Elefanten – und teilen faszinierende Erlebnisse und spannende Geschichten miteinander. Bei ihrem Abschied sagen die Gäste immer, dass sie so viel gelernt hätten.

Diese Fahrten sind der Höhepunkt eines Aufenthalts im Busch. Das Gefühl von Freiheit und die Aufregung, wenn man in einem offenen Fahrzeug losfährt und nie genau weiß, was der Tag bringen wird, sind einfach großartig. Keine Fahrt ist wie die andere. Aber immer passiert etwas Aufregendes, Amüsantes oder Überraschendes, etwas, das Herz und Seele berührt und in eine wunderbare Erinnerung oder ein tolles Foto mündet.

Jede Fahrt endet mit einem Picknick-Stopp irgendwo im Busch – die Morgenfahrt verspricht heißen Kaffee, die Abendfahrt Cocktails. Der Mkhulu-Stausee bietet sich dafür geradezu an, vor allem, wenn die Elefanten gekommen sind, um zu trinken oder Abkühlung zu suchen. Die Beobachtung der Elefanten ist dann ideal, wenn die Tiere sich nicht durch die Anwesenheit von Menschen gestört fühlen. »Ich möchte sie so sehen, wie sie sind, und beobachten, was immer sie tun, wenn ich nicht da wäre«, sagte Ranger Victor. »Das ist die Erfahrung, die ich mir auch für unsere Gäste wünsche, das Gefühl, einfach im Hier und Jetzt an diesem wunderschönen Ort mit den Elefanten zusammen zu sein.«

Ab und an schließe ich mich den Rangern an und beobachte am Ende einer arbeitsreichen Woche den Sonnenuntergang über dem Busch. Ein Tag ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Es kam mir vor, als wüssten die Elefanten, dass es Freitagnachmittag wäre, Zeit, sich zurückzulehnen, zu entspannen und mit Freunden abzuhängen. Die ganze Familie war zu ihrem geliebten Mkhulu-Stausee gebummelt, genauso wie wir Menschen – nun ja, wir spazierten nicht, sondern waren hingefahren und hatten am Stausee geparkt.

Es war ein grandioser Abend mit weichem Licht. Die Flusspferde beobachteten uns vom Wasser aus, nur ihre Augen, Ohren und Nasenlöcher waren zu sehen. Mit einem Gackern bedeutete eine Frankoline-Mutter ihren Küken, dass sie ihr ins hohe Gras folgen sollten. Ein Graufischer schwebte über dem See, verharrte plötzlich im Rüttelflug, tauchte ins Wasser und kam mit einem winzigen, zappelnden Buntbarsch wieder hervor.

Die Elefanten zeigten sich von ihrer charmantesten und fotogensten Seite. Marula spazierte am Wasser entlang, während die gut gelaunten Jungtiere herumplanschten und mit ihren Füßen auf den Schlamm stampften.

Unser weiblicher Gast, der die Beobachtungsfahrt genoss, hatte die weite Reise aus Amerika auf sich genommen, um sich einen lang gehegten Traum zu erfüllen: Thula Thula zu sehen und die Elefanten zu treffen, in die sie sich aus der Ferne verliebt hatte. Als passionierte Amateurfotografin konnte sie einfach nicht aufhören, Fotos zu schießen – ihre Finger müssen vom Drücken des Auslösers wund gewesen sein. Sie waren aber wirklich sehr schön.

Wie stolze Eltern betrachteten wir unsere glückliche Herde und unterhielten uns über sie. Die Ranger von Thula Thula kennen jeden einzelnen Elefanten, seinen Namen und seine Geschichte, wissen, wer seine Eltern sind und wer seine Geschwister. Außerdem kennen sie den Charakter der einzelnen Elefanten und ihre Stimmungen, sie wissen, wann sie entspannt sind, wann sie etwas Freiraum brauchen, ob sie verspielt oder einfach nur neugierig sind.

»Sind die Kleinen nicht gewachsen?«, sagte ich zu Khaya, unserem jüngsten Ranger.»Ich kann nicht glauben, wie groß Tom geworden ist.«

»Sie würde nicht mehr in Ihre Küche passen, Madame«, sagte er. »Nicht einmal mehr durch die Tür!«

Tom hatte sich als Neugeborenes von ihrer Herde entfernt und war unter dem Elektrozaun hindurch zu meinem Haus spaziert – und wurde so zum Star meines ersten Buches Ein Elefant in meiner Küche. Heute, sieben Jahre später, ist sie eine wunderschöne, temperamentvolle junge Dame, die gerne mit den Ohren schlägt und grimmig dreinschaut, um einen zu erschrecken. Außerdem liebt sie den Klang ihrer eigenen Stimme – sie hat einen unverwechselbaren Trompetenton –, sie ist ein ziemlich lauter kleiner Elefant geworden.

»Und wie findest du meinen Jungen, ist er nicht hübsch?«, fragte Vusi, während er stolz auf seinen eigenen Namensvetter, den kleinen Vusi, zeigte, der nur ein Jahr älter ist als Tom.

»Aber natürlich«, sagte ich nachsichtig. »Dein Vusi ist ein sehr schöner kleiner Elefant.«

»Vielleicht kommt er nach der anderen Seite der Familie«, sagte Khaya scherzhaft. Die Ranger lieben sich wie Brüder, necken sich aber auch gerne gegenseitig.

»Die Narbe in seinem Gesicht von der Schlinge sieht man nur noch, wenn man genau hinschaut. Sie ist gut verheilt«, sagte Vusi, während er den Elefanten mit dem Fernglas beobachtete.

Im Alter von nur einer Woche war der kleine Elefant in die Schlinge eines Wilderers geraten. Sie hatte sich um sein Maul gewickelt, was ihn am Säugen hinderte. Zum Glück entdeckte seine Mutter Marula unseren Ranger Vusi, der gerade seine obligatorische Tour durch das Wildreservat drehte, und schob den kleinen Elefanten sanft zu ihm. Vusi – der Mensch, nicht der Elefant – erkannte das Problem sofort und rief unseren Tierarzt an, dem es gelang, den Elefanten von der Schlinge zu befreien.

Vusi hat Glück gehabt. Er wäre verhungert, wenn wir ihm nicht geholfen hätten.

»Hallo, Bafana«, sagte Khaya und zeigte auf seinen Lieblingselefanten. »Sieh ihn dir an, was für ein Prachtkerl er ist! Und da ist Kink. Er steht wie immer am Rand der Herde, ein schüchterner Bursche.«

Kink – Nandis Jüngster und Nanas Enkel – ist leicht zu erkennen, weil er einen markanten Knick in seinem Schwanz hat. Als wir ihn zum ersten Mal sahen, stellten wir schnell fest, dass auch andere in Nanas Familie einen solchen leichten Knick im Schwanz haben. Offenbar handelt es sich um eine genetische Eigenschaft, die sie neben ihrem ruhigen Wesen und ihren guten Manieren geerbt haben.

Während Nanas Familienmitglieder im Allgemeinen höflich und gut erzogen sind, sind Frankies Nachkommen eher schelmisch. Die Kleinen können regelrechte Rabauken sein, bis die Älteren sie in die Schranken weisen. Frankies Angehörige haben auch die schönen langen, geraden Stoßzähne der Matriarchin.

Für Elefanten sind ihre Stoßzähne sehr nützliche Werkzeuge, sie können zum Graben nach Wasser, zum Anheben von Baumstämmen und zum Entrinden von Bäumen verwendet werden. Außerdem sind sie im Kampf recht praktisch und schützen den Rüssel und das Gesicht vor Verletzungen. So wie wir Menschen Rechts- oder Linkshänder sind, haben Elefanten einen rechten und linken Stoßzahn. Sie bevorzugen eine Seite mehr als die andere, der Stoßzahn auf der bevorzugten Seite ist normalerweise durch den Gebrauch abgenutzter.

Jedoch entwickeln nicht alle Elefanten Stoßzähne – und das Fehlen von Stoßzähnen ist ein erheblicher Nachteil, insbesondere für die Bullen im Kampf. Deswegen leben männliche Tiere ohne Stoßzähne weniger lang und vermehren sich weniger erfolgreich – ihr Gen für Stoßzahnlosigkeit wird so auf natürliche Weise herausselektiert. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Stoßzähne jedoch für die Elefanten infolge einer schrecklichen Veränderung zu einer Bürde entwickelt. Denn Wilderer bevorzugen Elefanten mit größeren Stoßzähnen, weil sie dann mehr wertvolles Elfenbein verkaufen können. Infolgedessen verschwanden die Gene der großen, zuchtfähigen Männchen mit großen Stoßzähnen nach und nach aus dem Genpool.

Während des 15-jährigen Bürgerkriegs in Mosambik schlachteten Soldaten und Kämpfer auf beiden Seiten Elefanten ab, um Elfenbein zur Finanzierung ihrer Kriegshandlungen oder um Fleisch zu gewinnen. Dabei wurden schätzungsweise 90 Prozent der Elefanten in der Region, die heute den Gorongosa-Nationalpark bildet, getötet. Viele der Elefanten, die überlebten, haben keine Stoßzähne und haben auch nie welche entwickelt. Der Grund: In jener Zeit und an jenem Ort war es für die Elefanten von Vorteil, keine Stoßzähne zu haben. Denn so blieben sie am Leben und konnten sich fortpflanzen. So hatte die Wilderei in einem relativ kurzen Zeitraum, evolutionär gesehen, eine erhebliche Auswirkung auf den Genpool der Elefanten.

»Wie heißt denn das große Tier mit nur einem Stoßzahn?«, fragte die Fotografin, ohne den Blick vom Sucher zu nehmen.

»Gobisa. Er ist der älteste Bulle«, sagte Andrew. »Gobisa war ein Elefant, der einst in Gefangenschaft lebte und als Reittier für Safaris benutzt wurde. Wenn man ihn heute so sieht, würde man das nicht glauben. Er wurde erfolgreich ausgewildert und kam hierher, um den jungen Bullen in Thula zu zeigen, wie sie sich verhalten sollen. Ohne ein starkes männliches Vorbild können diese jungen Kerle ziemlich lästig werden.«

»Erinnert ihr euch, wie aufgebracht Mabula war, als er Gobisa zum ersten Mal begegnete?«, fragte Victor mit einem Lachen. »Er wollte wissen, wer dieser große neue Bulle in Thula Thula war.«

»Er war nicht angetan«, stimmte ich zu.

Victor erinnerte sich weiter: »Aber Gobisa dachte: ›Okay, wir können es auf die einfache oder auf die harte Tour machen.‹ Was glaubst du, wofür er sich entschieden hat?«

»Sag schon! Wofür hat sich Mabula entschieden?«, fragte sie, senkte die Kamera und beugte sich vor, um das Ergebnis zu hören.

»Für die harte Tour«, sagte Victor und brach sofort in Gelächter aus.

»Es war ein Rumpeln und Poltern im Dschungel«, sagte ich, und erinnerte mich, wie die beiden großen Tiere aufeinander losgingen und wie der Klang ihrer Trompeten die Luft zerteilte. »Die Erde bebte!«

»Und, wie ging es aus?«

»Gobisa legte seinen riesigen Rüssel auf Mabula und drückte ihn ganz zu Boden«, sagte Victor und demonstrierte den Vorgang mit seinem Arm als Rüssel. »Wisst ihr, dass Gobisa in der Zulu-Sprache ›sich beugen‹ bedeutet? Und genau das hat er getan. Er beugte Mabula durch seinen Willen nach unten. Gobisa war der Boss. Und damit endete die Sache. Zunächst.«

»Gab es denn ein nächstes Mal?«, fragte sie erwartungsvoll.

»Ja.« Andrew erzählte weiter. »Ein paar Monate später kam Mabula in die Musth. Das ist die Zeit, in der der Testosteronspiegel in einem Bullen stark ansteigt, was ihn sehr aggressiv machen kann. Da beschloss Mabula, dass es Zeit war, sich zu revanchieren. Diesmal gewann er. Damit war Gobisas Zeit als Leitbulle der Thula Thula-Herde vorbei.«

»Wow, das ist ja wie in einer Seifenoper.«

»Genau das ist es!«, erwiderte ich. »Die Höhen und Tiefen, die Beziehungen und Romanzen. Gefahr, Intrigen, Herzschmerz und Happy Ends … Mit unseren Elefanten wird es niemals langweilig.«

Als die Sonne unterging und der Abendstern am dunkler werdenden Himmel auftauchte, beobachtete ich unsere glückliche Herde und spürte die gleiche Freude wie sie. Ich verspürte einen tiefen Frieden in dem Wissen, dass sie dort sind, wo sie hingehören, und ein glückliches Leben führen. Die Elefanten geben mir Hoffnung und spenden mir Trost, sie spornen mich an, ein besserer Mensch zu sein und mich noch mehr anzustrengen, und sie erinnern mich an all das Gute in der Welt. Die Elefanten enttäuschen mich nie. Es ist ein außerordentliches Privileg und eine große Freude, inmitten dieser majestätischen Geschöpfe zu sein, während sie in aller Ruhe ihrem Tag nachgehen. Ich kann einfach nie genug davon bekommen.

Ich wusste, dass ich dafür kämpfen würde, dass sie dieses Leben leben können, egal, was die Zukunft bringt.

Wenn ich an meine erste Begegnung mit Wildtieren vor dreiunddreißig Jahren zurückdenke, als ich nach Südafrika zog, geniere ich mich heute fast. Ich war ein Stadtkind, das noch nie ein wildes Tier gesehen hatte, das nicht in einem Zoo hinter Gittern lebte. Ich hatte sogar große Angst vor Hunden, in Paris machte ich auf der Straße immer einen großen Bogen um die kleinen Köter. Meine Freunde von damals können es kaum fassen, wenn sie mich heute sehen, umgeben von all meinen großen und kleinen Hunden. Der erste Hund, den Lawrence und ich adoptierten – Max, ein Staffordshire-Bullterrier-Rüde – hat mich von meiner Angst befreit. Und seitdem liebe ich Hunde.

Zu jener Zeit wusste ich überhaupt nichts über Tiere, aber als meine Freundin Anne aus Frankreich uns mit ihrem achtjährigen Sohn Benjamin besuchte, der ein großer Tierliebhaber war und sich an den verspielten Meerkatzen im Garten unseres Hauses erfreute, nahm ich sie mit zu einem Wildreservat.

»Lass uns Bananen holen«, sagte der Junge. »Dann können wir die Affen füttern.«

Ich dachte: »Klar, warum nicht?«

Mit einer Menge Bananen im Kofferraum fuhren wir zum Wildreservat. Ich warf einen flüchtigen Blick auf das ausgedruckte Haftungsausschlussformular und die Verhaltensregeln dort – seitenlange klein gedruckte Informationen, alles auf Englisch – und warf sie in den Kofferraum. Anschließend fuhren wir durch das Wildreservat und erlebten einen schönen Tag. Benjamin hielt Ausschau nach Meerkatzen und Pavianen, die wir füttern konnten. Als wir ein paar Nashörner entdeckten, hielten wir an, um Fotos zu machen. Sie sahen sehr friedlich aus. Eigentlich wie Kühe, nur größer und grauer, und in Afrika.

»Komm, steig aus!«, sagte ich zu Anne. »Dann mache ich ein schönes Foto von euch beiden, mit den Nashörnern im Hintergrund.«

Sie und ihr Sohn stiegen aus, posierten fröhlich im Gras vor ein paar tonnenschweren Nashörnern, die hinter ihnen grasten, während ich ein paar Fotos machte.

Ein Auto hielt an, aus dem sich ein wütend dreinblickender Mann herauslehnte und uns aufforderte, sofort wieder ins Auto zu steigen.

Wie unhöflich! Wer glaubte er denn zu sein, dass er uns sagen konnte, was wir zu tun hatten? Als wir ihm sagten, er solle sich gefälligst um seine eigenen Angelegenheiten kümmern, fuhr er wütend davon. Im Nachhinein wurde mir klar, dass es sich wahrscheinlich um einen Touristenführer gehandelt hatte, der uns vor einem Wildtierangriff und dem sicheren Tod hatte bewahren wollen.

Als meine Fotos eine oder zwei Wochen später entwickelt waren, zeigte ich sie voller Stolz Lawrence. Als er das Foto sah, auf dem die beiden vor den Nashörnern in die Kamera lächelten, wurde er erst blass und dann rot!

»Was hast du dir dabei gedacht, sie aus dem Auto aussteigen zu lassen?«, fragte er. »Das sind gefährliche Wildtiere. Die hätten euch leicht töten können.«

Die Bananen habe ich nicht erwähnt.

Jetzt, nach 22 Jahren im Busch, denke ich mit Entsetzen daran zurück. Es war reines Glück, dass wir drei unwissenden Ausländer – zwei Blondinen und ein kleiner Junge – weder Elefanten noch Löwen begegnet sind. Die hätten uns umbringen können, und dann hätten die Tiere zweifellos den Preis für unsere Dummheit bezahlt. Ich glaube, heutzutage wissen die Menschen besser über Wildtiere Bescheid, aber ich halte immer noch nicht viel von Selbstfahrer-Safaris in den großen Reservaten.

Das Erlebnis im Busch wäre viel sicherer und besser gewesen, wenn uns ein Führer gefahren und herumgeführt hätte, so wie es in Thula Thula üblich ist. Unsere Ranger halten vor jeder Beobachtungsfahrt eine kleine Ansprache, in der sie daran erinnern, dass es sich bei den Tieren um Wildtiere handelt, und erklären, was zu erwarten ist und wie man sich verhält, wenn man Großwild begegnet: keine plötzlichen Gesten, keine lauten Geräusche und keine Streichelversuche, wenn sie nahe kommen. Während der Fahrt geben die Ranger ihr umfangreiches Wissen über den Busch und die Tiere weiter, was sie zu einem faszinierenden und lehrreichen Erlebnis macht.

Die Begegnung mit unserer Elefantenfamilie in freier Wildbahn kann eine sehr emotionale Erfahrung sein. Als ich eines Abends in der Elephant Safari Lodge vorbeischaute, sah ich eine Frau, die allein auf einem Sofa saß. Sie winkte mich zu sich und stellte sich als Linda vor.

»Ich würde Ihnen gerne von einer außergewöhnlichen Sache erzählen, die mir heute Nachmittag während der Beobachtungsfahrt passiert ist und die mein Leben verändert hat«, sagte sie. Ich konnte sehen, dass sie sehr aufgewühlt war, ihre Hände zitterten ein wenig, als sie ihr Glas Wasser an die Lippen brachte.

»Bitte erzählen Sie«, sagte ich und setzte mich ihr gegenüber. Ich liebe es, wenn unsere Gäste von ihren Geschichten über ihre Begegnungen in unserem Wildreservat berichten.

»Ich habe mein ganzes Leben lang Angst vor Elefanten gehabt«, sagte sie. »Ich hatte ein paar unheimliche Erlebnisse, Scheinangriffe. Fast hätte ich die Einladung, nach Thula Thula zu kommen, ausgeschlagen, aber da es der sechzigste Geburtstag meiner Cousine war, beschloss ich, doch zu kommen. Aber ich hatte Angst. Mir war klar, dass es Wildbeobachtungsfahrten geben würde und Elefanten …« Sie schauderte ein wenig.

Ich konnte ihre Reaktion verstehen. So sehr ich die Elefanten auch verehre, seit jenem Tag, an dem Frankie mich und Lawrence fast getötet hätte, bin ich immer etwas nervös, wenn wir der Herde während einer Wildbeobachtungsfahrt sehr nahe kommen. Diese traumatische Erfahrung hängt mir immer noch nach.

»Wir fuhren heute Nachmittag mit dem Ranger Muzi los. Er sagte mir, ich solle mich ganz vorne neben ihn setzen, und er versprach mir, dass ich mir keine Sorgen machen müsse, dass alles gut gehen würde.«

»Muzi kennt die Elefanten, und er kennt die Menschen«, sagte ich lächelnd. »Sie waren in guten Händen.«

»Ich saß also vorne und zitterte immer noch vor Angst. Wir waren noch nicht weit gefahren, als er die Herde auf der Straße vor uns entdeckte und auf sie zufuhr. Er hielt den Wagen an. Mein Herz pochte, aber Muzi sagte: ›Entspannen Sie sich einfach. Schauen Sie, wie friedlich sie sind.‹ Es stimmt, sie knabberten an den nahe gelegenen Büschen und wirkten tatsächlich sehr entspannt. Im Seitenspiegel sah ich, wie einer von ihnen, ein riesiger – ich meine superriesig, der größte Elefant von allen – auf uns zukam. Er ging an uns vorbei und blieb plötzlich neben mir stehen. Ich hätte weinen können. Muzi sagte leise zu mir: ›Es ist alles in Ordnung‹, und zu dem Elefanten: ›Hallo, Gobisa, wie geht es dir?‹ Er war so nah, dass ich die Borsten, die Falten und die Staubflecken sehen konnte. Und dann – oh, meine Güte! – streckte er seinen Rüssel nach mir aus und berührte meinen Arm. Ich dachte, ich bekomme einen Herzinfarkt! Aber es war wie ein sanfter Kuss, so weich wie eine Feder. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut …«

Ihre Augen hatten sich geweitet und waren voller Tränen. Ich sah, dass sie eine sehr starke emotionale Erfahrung durchlebte.

Sie lächelte. »Plötzlich hatte ich keine Angst mehr. Ich war erfüllt von Frieden und einer Art von … Heilung. Ich sah ihm in die Augen, und es war, als ob wir uns wiedererkannten. Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich glaube, dass er meine Angst gespürt hat, etwas, das mich jahrelang geplagt hat, und dass er zu mir kam, um mir zu helfen, sie zu überwinden, um mir zu zeigen, wie Elefanten sein können. Meine Angst – sie ist weg.« Als sie ihre Geschichte beendet hatte, errötete sie leicht und sagte: »Sie werden denken, dass ich verrückt bin …«

Es war tatsächlich eine bemerkenswerte Geschichte. Die Elefanten in Thula Thula vertrauen uns Menschen, kommen gerne, um zu sehen, wer an der abendlichen Beobachtungsfahrt teilnimmt und was wir vorhaben. Deshalb kommen sie nahe an die Fahrzeuge heran, aber es war ungewöhnlich, dass einer von ihnen den direkten Kontakt suchte und jemanden so berührte.

Aber verrückt? Keineswegs.

Nachdem ich zwei Jahrzehnte mit und unter Elefanten gelebt habe, weiß ich aus eigener Erfahrung, dass sie sehr intelligente und sehr emotionale Geschöpfe mit einer unglaublichen Intuition sind. Es ist durchaus möglich, dass Gobisa – der große Bulle, der Mabula mit seinem gewaltigen Rüssel zu Boden gedrückt hatte – erkannte, dass diese Frau verzweifelt war, und denselben riesigen Rüssel benutzte, um sie zärtlich zu »küssen« und somit ihr Leid zu lindern.

Elefanten sind bemerkenswert, und auch auf die Gefahr hin, wie eine typische vernarrte Mutter zu klingen, muss ich sagen, dass die Elefantenherde von Thula Thula wirklich einzigartig ist. Viele unserer südafrikanischen Gäste sind Buschliebhaber, die schon in Wildreservaten im ganzen Land waren, und sie alle sagen, dass sie noch nie so außergewöhnliche Begegnungen mit Elefanten hatten wie bei uns. Unsere Elefanten strahlen Zufriedenheit und Vertrauen aus, und das zeigen sie, wenn sie unseren Gästen begegnen. Sie üben eine magische Anziehungskraft auf Menschen aus, und ich habe viele Geschichten – wie die von Linda – gehört, die von kraftvollen Interaktionen zwischen Menschen und Elefanten erzählen.

David Sheldrick, der Gründer des größten kenianischen Nationalparks Tsavo, der Elefanten über viele Jahre hinweg beobachtet und studiert hat, hat einmal gesagt: »Will man das Verhalten der Elefanten interpretieren, muss man es einfach aus menschlicher Sicht analysieren; auf diese Weise kommt man der Wahrheit in der Regel sehr nahe – etwas, das die Wissenschaftler erst noch lernen müssen.«

In ihrem Buch Eine afrikanische Liebesgeschichte: Mein Leben unter Elefanten beschreibt David Sheldricks Frau Daphne ihre Erkenntnis, dass Elefanten in der Tat so sind wie wir Menschen, und in vielerlei Hinsicht sogar noch besser. Sie bezeichnete sie als die emotionalsten Landsäugetiere, und es stimmt, dass sie viele unserer Gefühle teilen. Es ist fast so, als ob diese gemeinsame Gefühlspalette uns, Mensch und Tier, auf geheimnisvolle Weise miteinander verbindet. Es ist, als würden wir eine tiefe Verbindung zwischen unseren Arten erkennen.

Elefanten scheinen tatsächlich empathisch zu sein. Sie erkennen den Schmerz und die Not von Artgenossen und reagieren darauf. Sie versuchen auch zu helfen. Wer sich die YouTube-Kanäle über Wildtiere ansieht – wie ich, obwohl ich im Busch lebe! –, hat vielleicht schon mal gesehen, wie Elefanten einem Kalb helfen, das in einen Fluss gestürzt ist oder von einem Raubtier angegriffen wurde. Sie helfen selbst dann, wenn das Kalb nicht mit ihnen verwandt ist.

Genau wie junge Menschen rangeln junge Elefanten gerne miteinander und tragen spielerisch Kämpfe aus, um ihre Stärke zu testen und ihre Identität zu entwickeln. Wenn diese Kämpfe zu aggressiv werden, unterbinden die erwachsenen Elefanten sie, indem sie die Jungtiere oft voneinander wegstoßen. Sie zwingen sie sogar zu einer »Auszeit«, genau wie menschliche Eltern es tun.

Marula, die strenge Mutterfigur, ist oft die Erste, die die übereifrigen Kämpfer voneinander trennt. Menschliche Mütter würden ihre Körpersprache und ihre Botschaft erkennen: »So, ihr beiden, das reicht jetzt. Jetzt schaltet mal einen Gang zurück, bevor sich noch jemand verletzt! Du, lass deinen Bruder in Ruhe und komm her.«

Interessanterweise haben Wissenschaftler beobachtet, dass die erwachsenen Elefanten nicht nur auf Signale reagieren, die auf Not oder Schmerz hinweisen, wie einen bestimmten Schrei oder ein Geräusch. Sie greifen bereits ein, bevor die Kleinen Verletzungen davontragen oder wütend werden. Sie wissen von dem Gemütszustand eines Kalbes und wollen einer möglichen Notlage zuvorkommen. Elefanten denken über die Gefühle der anderen nach.

Die Elefantenherden leben in einem Matriarchat. In einem Matriarchat haben die Mütter das Sagen – und sie scheuen sich nicht, ihre Macht zu nutzen. In den letzten Monaten hatte Mandla, unser größter Bulle, Gefallen an der kleinen Andile gefunden. Mit gerade einmal zehn Jahren war sie zwar zu jung für ihn, aber sie schien sich von seiner Aufmerksamkeit geschmeichelt zu fühlen. Die beiden schienen Spaß daran zu haben, miteinander zu »flirten« – sie gingen nebeneinander her und berührten sich gegenseitig mit ihrem Rüssel.

Irgendwann ging Mandla einen Schritt weiter und versuchte, sich mit der jugendlichen Andile zu paaren. Etwas, das Andile überhaupt nicht im Sinn hatte! Sie versuchte, sich zu entfernen, aber Mandla wurde aufdringlicher. Und da schritten seine Mutter Nana und seine Tanten ein. Mit Nandi und ET an ihrer Seite marschierte Nana direkt auf Mandla zu und drängte ihn von Andile weg, während die anderen Weibchen sich um Andile scharten, um sie zu beschützen.

Trotz seiner Größe hat Mandla eine sanftmütige Elefanten-Seele – so sanft wie seine Mutter. Er gehorchte Nana und wanderte zurück zu den anderen Jungbullen, denen er, so stellte ich es mir vor, sofort die Geschichte von der Zurückweisung vom Objekt seiner Begierde erzählte.