Die Entdeckung der Currywurst von Uwe Timm: Reclam Lektüreschlüssel XL - Uwe Timm - E-Book

Die Entdeckung der Currywurst von Uwe Timm: Reclam Lektüreschlüssel XL E-Book

Uwe Timm

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Beschreibung

Reclam Lektüreschlüssel XL – hier findest du alle Informationen, um dich zielsicher und schnell vorzubereiten: auf Klausur, Referat, Abitur oder Matura! Differenziert, umfassend, übersichtlich! - Präzise Inhaltsangaben zum Einstieg in den Text - Klare Analysen von Figuren, Aufbau, Sprache und Stil - Zuverlässige Interpretationen mit prägnanten Textbelegen - Informationen zu Autor:innen und historischem Kontext - Hilfreiche Infografiken, Abbildungen und Tabellen - Aktuelle Literatur- und Medientipps - Prüfungsaufgaben mit Lösungshinweisen - Zentrale Begriffe und Definitionen als Lernglossar

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Seitenzahl: 146

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Uwe Timm

Die Entdeckung der Currywurst

Lektüreschlüssel XL für Schülerinnen und Schüler

Von Eva-Maria Scholz

Reclam

Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:

 

Uwe Timm: Die Entdeckung der Currywurst. Novelle. Vom Autor neu durchges. Ausg. 2000. 20. Aufl. München: Deutscher Taschenbuchverlag, 2015.

 

 

Lektüreschlüssel XL | Nr. 15474

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen

Made in Germany 2017

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961197-6

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015474-8

www.reclam.de

Inhalt

1. Schnelleinstieg2. InhaltsangabeKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 73. Figuren3.1 Hauptfiguren3.2 Nebenfiguren4. Form und literarische Technik4.1 Gattung4.2 Aufbau und Erzähltechnik4.3 Sprache und Stil5. Quellen und Kontexte5.1 Autobiographischer Kontext5.2 Die Entdeckung der Currywurst im Werkkontext Uwe Timms5.3 Zeitgeschichtlicher Kontext6. Interpretationsansätze6.1 Motivik und Symbolik6.2 Lügen und Erzählen7. Autor und Zeit8. Rezeption9. Wort- und Sacherläuterungen10. Prüfungsaufgaben mit Lösungshinweisen10.1 Innerer Monolog Bremers10.2 Literarische Charakteristik Lena Brücker10.3 Analyse einer Textstelle und eigene Stellungnahme11. Literaturhinweise / MedienempfehlungenBücher von Uwe TimmBiographieSekundärliteratur zu Uwe TimmWeiterführende QuellenMedienempfehlungen12. Zentrale Begriffe und Definitionen

1. Schnelleinstieg

 

»Wer seine eigene Geschichte betrachtet, findet sie, sieht er genau hin, in viele Geschichten aufgesplittert.«1 Dieser Satz Uwe Timms gilt gerade auch für die Novelle Die Entdeckung der Currywurst: Eigentlich steht eine ganz andere Geschichte im Fokus.

Der Ich-Erzähler spürt in Hamburg eine alte Frau im Altersheim auf, weil er einer Erinnerung aus seiner Kindheit nachgehen möchte. Er hält die mittlerweile erblindete über achtzigjährige Frau Brücker für die Erfinderin der Currywurst und möchte von ihr die Geschichte hören, die sich um diese Legende rankt. »Is ne lange Geschichte, sagte sie. Mußte schon n bißchen Zeit haben. […] Vielleicht, sagte sie, kannste nächstes Mal n Stück Torte mitbringen. Ich mach uns n Kaffee« (15).

An den sieben Nachmittagen, die der Geschichte in der GeschichteErzähler bei Frau Brücker im Altersheim verbringt, erfährt er zunächst eine ganz andere Geschichte. Es ist die Erinnerung einer alten Frau an eine bewegte Episode ihres Lebens. Eine Episode, die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges beginnt und zur Geschichte einer ungewöhnlichen Liebe wird. Frau Brücker erzählt dem stellenweise ungeduldigen Zuhörer, der ja mit einer ganz anderen Intention zu ihr gekommen war, von ihrer Beziehung zu dem jungen Bootsmann Hermann Bremer, der fahnenflüchtig wird und sich bei ihr versteckt. Eine Beziehung, die nur vor der Kulisse des Ausnahmezustands Krieg überhaupt möglich wird und am Ende von einer Lüge zerstört wird, durch welche sie aber wiederum erst verwirklicht wurde.

Auch wenn zwischen der eigentlich als Vorgeschichte angekündigten Beziehung zu Bremer und der Erfindung der Currywurst eine Verbindung besteht, ist es doch erstere Geschichte, die den Kern der Handlung bildet. Frau Brücker will sich die langen Nachmittage im Altersheim verkürzen, »[m]an wartet ja auf nix« (15), die schönste Zeit ihres Lebens (vgl. 128) erzählend nochmals durchleben und verrät zum Schluss doch noch das Geheimnis der ersten Currywurst. Die vielen Geschichten verbinden sich für den Zuhörer, der zugleich selbst Erzähler ist, zu einem Gesamtbild – der Geschichte einer Erinnerungen einer starken Fraustarken und selbständigen Frau in schwierigen Zeiten.

Die Entdeckung der Currywurst aus dem Jahr 1993 gehört zu den erfolgreichsten Werken Uwe Timms. Ebenso wie der Erzähler im Altersheim stellt der Leser der Novelle schnell fest, dass es nicht um die schnörkellose Beantwortung einer trivialen Frage geht, sondern um eine komplexe Geschichte, die weit zurückreicht. Der Zugang zu dieser Geschichte fällt aufgrund der gut verständlichen Sprache zunächst nicht schwer, will man aber tiefer eintauchen in dieses Geflecht aus Erinnerungen, Zeitsprüngen, Erzählabsichten, Anspielungen und Motiven, ist eine intensive Beschäftigung mit dem Text und auch das Verständnis einiger historischer Hintergründe unerlässlich.

2. Inhaltsangabe

Kapitel 1

Das erste Kapitel (7–39) dient nicht nur der Vorstellung von Figuren sowie Ort und Zeit der Handlung, es begründet vor allem die Begründung der ErzählabsichtErzählabsicht: Hier informiert der Ich-Erzähler darüber, wie es ihm in den Sinn gekommen ist, Nachforschungen über die Entdeckung der Currywurst anzustellen.

Der Ort der Ort der HandlungHandlung ist Hamburg. Hier ist der Ich-Erzähler aufgewachsen, und hier steht auch über Jahrzehnte der Imbissstand von Lena Brücker, die im selben Haus wie seine Tante wohnte und am Küchentisch die abenteuerlichsten Geschichten zum Besten gab – faszinierende Geschichten über die schillernde Kundschaft aus »Schwarzmarkthändlern, Schauerleuten, Seeleuten, […] kleinen und großen Ganoven, […] Nutten und Zuhältern« (10). Auch noch als Erwachsener – er lebt seit langer Zeit in München – isst der Erzähler bei jedem seiner Besuche in Hamburg eine Currywurst bei Frau Brücker. Der Erzähler gesteht, dass er nur wegen Frau Brückers Currywurst noch in sein altes Viertel käme (vgl. 7). Als Frau Brückers Bude eines Tages vom Großneumarkt verschwunden ist, endet diese Tradition. Streit »unter Kennern« (9) über den Entstehungsort und die Entstehungszeit der ersten Currywurst bringt den Erzähler schließlich dazu, seinen Kindheitserinnerungen an Frau Brücker und ihre Currywurst nachzuspüren. Er befragt Bekannte und Verwandte, ehemalige Nachbarn von Frau Brücker, doch keiner weiß etwas Näheres. Der Erzähler findet sie schließlich in einem Altersheim in Harburg, wo sie, mittlerweile erblindet, zunächst leugnet, die Erfinderin der Currywurst zu sein. Der Erzähler ist enttäuscht und wünscht sich, gar nicht erst mit den Nachforschungen begonnen zu haben. »Ich hätte dann weiter eine Geschichte im Kopf gehabt, die eben das verband, einen Geschmack und meine Kindheit« (14). Frau Brücker lenkt dann aber ein und erklärt, doch die Currywurst erfunden zu haben, es würde ihr nur niemand glauben und es sei Eine »lange Geschichte«eine »lange Geschichte« (15).

Siebenmal besucht der Erzähler Frau Brücker daraufhin im Altersheim. Strickend erzählt sie »stückchenweise, das Ende hinausschiebend, in kühnen Vor- und Rückgriffen« (16) ihre Geschichte. Der Erzähler kündigt an, dass er das Erzählte kürzen, zusammenfassen und »begradigen« (ebd.) müsse. Er lässt die Geschichte am 29. April 1945 beginnen – unmittelbar vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Engländer stehen kurz vor Hamburg, aber trotz der aussichtslosen Lage lautet der Befehl, die Stadt »bis zum letzten Mann« (16) zu verteidigen. Dieser Befehl führt auch den 24-jährigen Hermann Bremer, eigentlich Bootsmann und stationiert in Oslo, nach Hamburg. Nach dem Heimaturlaub in Braunschweig bei seiner Frau und seinem einjährigen Sohn, den er dort zum ersten Mal gesehen hat, wird er auf der Rückreise zu einer Panzerjagd-Einheit abkommandiert, um im Endkampf vor Hamburg eingesetzt zu werden (vgl. 17). An seinem letzten Die erste Begegnung mit BremerAbend vor Dienstantritt bei der neuen Einheit kommt er in der Kinoschlange mit der wesentlich älteren Lena Brücker ins Gespräch. Sie setzen sich nebeneinander in den Kinosaal, bereits nach kurzer Zeit ertönen aber die Luftschutzsirenen. Bremer folgt Lena Brücker in den Luftschutzraum, wo sie ihre Unterhaltung fortsetzen. Nach der Entwarnung gehen sie gemeinsam in die Brüderstraße in Lena Brückers Wohnung.

Hier unterbricht Frau Brücker ihre Erzählung und das Stricken an einem Pullover und zeigt dem Erzähler ein Fotoalbum. Er blättert durch die Seiten und sieht Fotos von Frau Brücker, ihren Kindern und ihrem Ehemann; ein Bild von Bremer gibt es nicht.

Dann kehrt die Erzählung zurück in das Jahr 1945. Frau Brücker schildert, wie Bremer und sie es sich in ihrer Küche gemütlich gemacht haben (vgl. 26). Als Bremer seinen Mantel ablegt, fällt Lena Brücker das ReiterabzeichenReiterabzeichen an seiner Uniform auf, dessen Geschichte sie im Gegensatz zu seinen Kriegserlebnissen gerne hören möchte (vgl. 30 f.). Als sie auf ihre Familienverhältnisse zu sprechen kommen, verneint Bremer, eine Frau zu haben, und Lena Brücker erzählt ihm zwar von ihrem sechzehnjährigen Sohn, das Alter ihrer Tochter (zwanzig) verschweigt sie aber, da sie fürchtet, er könne sie für alt halten (vgl. 32). Bremer erfährt außerdem, dass ihr Ehemann seit sechs Jahren fort ist.

Die alte Frau Brücker berichtet nun davon, wie sie ihren Mann kennengelernt, Kinder bekommen hat und im Krieg in die Kantine der Lebensmittelbehörde dienstverpflichtet wurde (vgl. S. 33 f.).

Wieder zurück bei Bremer, berichtet sie, wie die beiden den nächsten Fliegeralarm ignorieren, mit Wein und Schnaps in der Wohnung bleiben und schließlich gemeinsam zu Bett gehen. Sie macht ihm das Angebot, über diese eine Nacht hinaus »ganz« (36) bei ihr zu bleiben. Bremer schläft ein, ohne sich dazu zu äußern. Als am nächsten Morgen der Wecker klingelt, steht er zunächst auf, während des Anziehens zieht die reelle Gefahr, der er sich an der Panzerfaust aussetzen wird, vor seinem inneren Auge vorbei. Lena Brücker streckt die Hand nach ihm aus, und er legt sich zurück ins FahnenfluchtBett. »So wurde er, Hermann Bremer, ein Bootsmann, fahnenflüchtig« (39).

Kapitel 2

Die dreißig Seiten des zweiten Kapitels (40–70) erzählen von Bremers erstem Tag als Deserteur, versteckt in Lena Brückers Wohnung. Es ist der 30. April 1945. Bremers Tag wird von der alten Frau Brücker immer wieder unterbrochen, um die Erzählung in verschiedene Richtungen auszuweiten und weitere Hintergründe zu beleuchten.

Das zweite Kapitel schließt nahtlos an das erste an: Bremer steigt zurück zu Lena Brücker ins Bett, seine verzweifelte Gefühlslage wird aufgezeigt. »Bremer hatte Angst; er hatte Angst bei Lena Brücker zu bleiben, und er hatte Angst, an die Front zu gehen« (41). Er wälzt die Frage, ob er wirklich liegen bleiben oder doch noch versuchen solle, seine Einheit zu erreichen, hin und her. Er versucht abzuwägen, welche der beiden Optionen ihm bessere Überlebenschancen bietet (vgl. 43). Schließlich schläft er wieder ein und wacht erst zur Bremer ist hin- und hergerissenMittagszeit auf. Lena Brücker ist längst bei der Arbeit, also betrachtet Bremer – ergeben in die Situation – am Fenster stehend die unten liegende Straße. In den beobachteten Szenen entdeckt er zahlreiche Indizien dafür, dass der Krieg verloren ist, beispielsweise einen Hauptmann, der ein Einkaufsnetz mit Kartoffeln trägt (vgl. 44). Schließlich findet er alte Zeitschriften und beginnt, in der Wohnung festsitzend zur Untätigkeit verdammt, ein Kreuzworträtsel zu lösen. Er kann sich nie lang vom Anblick der Straße abwenden und entdeckt so auch die heranfahrenden SS-Soldaten, die sich mit einer Frau unterhalten, die dann in seine Richtung deutet. Bremer überfällt eine namenlose Panik, er erwägt zu fliehen, sich zu verstecken, einen Hinterausgang zu suchen. Er befürchtet kurz, dass Lena Brücker ihn verraten habe, schließlich kennen sie sich kaum, und auf das Verstecken von Fahnenflüchtigen steht die Todesstrafe. Doch es bleibt still im Treppenhaus, und so beruhigt er sich wieder.

Bevor erzählt wird, wie Lena Brückers Tag währenddessen verläuft, macht die alte Frau Brücker einen Ausflug in das Jahr 1943, in dem sie während einer Silvesterfeier die ihren Angaben zufolge einzige sexuelle Begegnung mit einem anderen Mann erlebt hat (vgl. 48). Es ist allerdings eine vorwiegend negativ konnotierte Unangenehme ErinnerungErinnerung, die einem Vergleich mit Bremer nicht standhält: »Mit Bremer wars anders, ganz anders« (50). Der Zivildienstleistende Hugo unterbricht diesen Exkurs mit der fälligen Medikamenteneinnahme, und der Erzähler nutzt die Pause, um Frau Brücker wieder auf sein eigentliches Anliegen zurückzubringen: »Hatten Sie den Curry in der Kantine?« (51). Doch Frau Brücker ist noch lange nicht bei der Currywurst angekommen und kehrt unbeirrt zu ihrem Arbeitstag in der Kantine zurück.

Der Koch Holzinger setzt Lena Brücker davon in Kenntnis, dass der Sabotage am HerdGauredner zu Besuch komme, um »eine Durchhalterede abzulassen« (52). Holzinger möchte den Arbeitern einer Batteriefabrik eine weitere Rede ersparen und präpariert das Mittagessen entsprechend. Der Leser erfährt, dass das nicht Holzingers erste Sabotageaktion ist (vgl. 52 f.).

Zu Hause erwartet Bremer Lena Brücker. Er ist gewaschen und frisch rasiert, hat sich trotz »Hausarrest« adrett gekleidet. Lena Brücker stellt einen angenehmen Kontrast zu ihrem Ehemann Gary fest, der sich immer nur zurechtmachte, wenn er ausging. Sie und Bremer schlafen miteinander. Anschließend setzt Lena Brücker Kartoffeln auf und erzählt Bremer währenddessen von ihrem Onkel, der die Herkunft einer Kartoffel schmecken konnte. Auf Bremers Ungläubigkeit reagiert sie mit einer auf die Zukunft bezogenen Bemerkung (»warte ab, bis er [der Onkel] wieder da ist [von der Front, nach Kriegsende]«; 59), die beide Unbedachte Bemerkungstutzen lässt: »Es war ihr nur so rausgerutscht, das warte ab, verriet ihm aber, daß sie in die Zukunft dachte, das heißt, wahrscheinlich auch plante« (ebd.). Frau Brücker versichert dem Erzähler, dass sie selbst darüber erstaunt gewesen sei. Sie hätte gar nicht – zumindest nicht bewusst – an eine gemeinsame Zukunft gedacht, merkte aber nun selbst, dass sie insgeheim hoffte, er würde bleiben (vgl. 60).

Als es Unerwünschter Besuchplötzlich unerwartet klingelt, versteckt Bremer sich in einer Kammer, und Lena Brücker lässt in aller Eile Bremers Sachen verschwinden. Blockwart Lammers verlangt lautstark Einlass und inspiziert die Wohnung unter dem Vorwand, die Verdunkelung überprüfen zu müssen. Er fragt sie, ob ihr Sohn da sei, da er Stimmen gehört habe, zudem hätten sich Bewohner des Hauses über nächtliche Geräusche beschwert. Lena Brücker komplimentiert ihn schließlich in aller Deutlichkeit zur Tür hinaus. Sie befreit den verängstigten Bremer aus der Kammer, der Schrecken ist beiden anzumerken. Die alte Frau Brücker erinnert sich, dass sie vor Sorge nichts essen konnte. Die Gefahr war nicht vorbei, schließlich hatte Lammers einen Schlüssel und konnte jederzeit die Wohnung betreten. Sie erzählt die Geschichte des Blockwarts Lammers, der aufgrund seines Glaubens an Seelenwanderung und Wiedergeburt früher von niemandem ernst genommen, sondern nur belächelt wurde. Als sich jedoch ein Nachbar umbringt, nachdem er wegen regimefeindlicher Äußerungen verhaftet worden war, verdächtigen alle Lammers des Denunziantentums. Er wird nicht mehr belächelt, sondern gehasst, eine Rolle, die er schließlich annimmt. Er verschafft sich als Blockwart Respekt in der Nachbarschaft, indem er die Menschen mit Fragen und Unterstellungen bedrängt und bespitzelt. Das Kapitel endet mit der Absprache zusätzlicher Vorsichtsmaßnahmen.

Kapitel 3

Das dritte Kapitel (71–85) umfasst Bremers zweiten Tag in der Wohnung von Lena Brücker, spielt also am 1. Mai 1945. Der Tagesablauf wiederholt sich: Lena Brücker ist bei der Arbeit in der Kantine, Bremer beschäftigungslos zu Hause in ihrer Wohnung. Wieder blickt er aus dem Fenster, wieder versucht er sich an einem Kreuzworträtsel. Mittags, als für wenige Stunden der Strom angeschaltet wird, versucht er vergeblich, Lena Brückers Radio zu reparieren. Er möchte wissen, wo sich die alliierten Truppen befinden. Auf der Suche nach einer Ersatzröhre Privatsphäre?durchstöbert er Lena Brückers Wohnung, die Suche verselbständigt sich zunehmend. Er findet Spuren ihres Lebens in Form von Fotos und Briefen, die er ungeniert anschaut und liest. So erfährt der Leser, dass es in Lena Brückers Leben doch noch einen weiteren Mann gegeben haben muss: Klaus Meyer, einen Vertreter für Knöpfe (vgl. 75 f.). Im Schlafzimmer findet Bremer die edlen Anzüge von Lena Brückers Ehemann und probiert sie an, begeistert von der Qualität des Stoffes. Während er sich selbst im Spiegel betrachtet, Lammers kehrt zurückklopft es leise an der Tür. Bremer schließt sich samt seinen herumliegenden Uniformteilen sofort in der Kammer ein, kurz darauf tritt Lammers herein. Bremer hört, wie Lammers die Wohnung durchstreift, er rüttelt sogar an der abgeschlossenen Kammertür. Bremer weiß nicht, dass Lena Brücker vor Lammers letztem Besuch sein Rasierzeug aus dem Bad hat verschwinden lassen, und ist sich nun sicher aufzufliegen. Da er das Rasierzeug nach Lammers Abgang nicht finden kann, geht er davon aus, dass dieser es mitgenommen hat und schon bald mit einer Wehrmachtsstreife aufkreuzen wird (vgl. 78).

Als Lena Brücker nach Feierabend nach Hause kommt, wird sie im Treppenhaus von der Nachbarin Frau Eckleben abgefangen. Diese konfrontiert Lena Brücker damit, dass sie in ihrer Wohnung Schritte gehört habe. Lena Brücker schafft es, die neugierige Nachbarin mit einer halbseidenen Ausrede abzuwimmeln, und erschrickt zunächst, als sie ihre Wohnung betritt: Sie steht vermeintlich ihrem Mann gegenüber. Als sie Bremer im Anzug ihres Ehemannes erkennt, beruhigt sie ihn wegen des Rasierzeugs. Statt Kartoffeln gibt es Reis zum Abendessen, und Bremer fragt sie, ob sie auch Curry habe. Bei der Erwähnung des Gewürzes Bremer erwähnt Curry – Ungeduld des Erzählershakt der Erzähler sofort nach und wähnt sich seinem Ziel näher. Aber die alte Frau Brücker winkt ab, der Erzähler muss sich weiterhin gedulden. Stattdessen berichtet sie, wie Bremer damals überhaupt auf das exotische Gewürz gekommen sei. Mit 18 Jahren, kurz vor dem Krieg, hat er als Maschinenassistent auf einem Dampfer eine Reise nach Indien unternommen. Dort isst er zum ersten Mal ein Fleischgericht mit Curry, was ihn nicht nur wie durch ein Wunder von seinem Hitzeausschlag heilt, sondern für ihn auch ein einzigartiges Geschmackserlebnis darstellt und ihn sein Heimweh vergessen lässt. »Hühnerfleisch mit Curry, das schmeckte […] wie ein Garten. Geschmack aus ner andern Welt. Der Wind; die Schlange, die beißt; der Vogel, der fliegt; die Nacht, Liebe. Is wie im Traum« (82). Aber natürlich hat Lena Brücker zu Kriegszeiten keinen Curry im Haus, und so gibt es den Reis pur.

Als Bremer sich zum Rauchen einer Zigarre (Gary hatte nicht nur ein Faible für teure Kleidung, sondern auch für erlesene Zigarren) auf die Toilette zurückzieht, entdeckt Lena Brücker zufällig ein aus seiner Brieftasche gerutschtes Foto. Es zeigt Bremer mit einer hübschen jungen Das Familienfoto – Bremers LügeFrau und einem kleinen Kind, aufgenommen am 10. April 1945. Sie weiß jetzt, dass er sie angelogen hat (vgl. 84