Die Feuertaufe - Alexander Kent - E-Book

Die Feuertaufe E-Book

Alexander Kent

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Beschreibung

Oktober 1772 im Hafen von Portsmouth: Gleich mit seinem ersten Kommando, der Brigg Sandpiper, hat Richard Bolitho eine harte Bewährungsprobe zu bestehen, denn die Flotte Seiner Majestät, des englischen Königs, hat Befehl, dem Piratenunwesen vor der Küste Senegals ein Ende zu bereiten. Doch wird Bolitho die Falle, die der Korsar Haddam für das Linienschiff Gorgon aufgebaut hat, sprengen können? 

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Der Autor

Alexander Kent

Die Feuertaufe

Richard Bolitho - Fähnrich zur See

Historischer Kriminalroman

Aus dem Englischen

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Neuausgabe bei RefineryRefinery ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinMai 2018 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2001© der deutschen Übersetzung Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 1977© Bolitho Maritime Productions Ltd., 1975 Titel der englischen Originalausgabe: Petty Officer Richard Bolitho Covergestaltung: © Sabine Wimmer, Berlin

ISBN 978-3-96048-135-5

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

I SM Linienschiff

Gorgon

II Kurs Afrika

III Die

Athen

IV »Klar Schiff zum Gefecht!«

V Wechselndes Kriegsglück

VI Auge in Auge

VII Mr. Starkies Bericht

VIII Über das Riff

IX Ehrlos

X Ein Name, den man sich merkt

Anmerkungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

I SM Linienschiff Gorgon

FürJohn und BettyHamilton

I SM Linienschiff Gorgon

Es war zwar erst um die Mittagszeit, aber die dunklen Wolken jagten so tief über den Hafen von Portsmouth hinweg, daß man hätte meinen können, es sei bereits Abend. Seit Tagen wehte ein heftiger Ostwind, und draußen an der Reede, wo die Schiffe dicht beieinander vor Anker lagen, war das Wasser kabbelig und hatte weiße Schaumkronen; und in dem ungemütlichen Regen glitzerten die schaukelnden Schiffsrümpfe und die massigen Mauern der Hafenbefestigungen wie Metall.

Direkt auf dem Portsmouth Point erhob sich der festgefügte Bau des Blue Post’s Inn, dem weder Regen noch Wind etwas anhaben konnten. Wie alle Kneipen und Gasthäuser in geschäftigen Hafenstädten war er im Lauf der Jahre mehrfach vergrößert und umgebaut worden, aber er sah immer noch wie eine richtige Seemannskneipe aus. Allerdings wurde er mehr als von anderen Seefahrern von den jungen Midshipmen[1] frequentiert, die wie Ebbe und Flut kamen und gingen; daher hatte er seine eigene Atmosphäre. Die Gaststube war niedrig und nicht besonders sauber, aber schon mehr als ein zukünftiger Admiral war durch ihre zerkratzten Türen ein- und ausgegangen.

Es war Mitte Oktober 1772, und Richard Bolitho saß eingeklemmt an einem der Tische im Speiseraum und hörte mit halbem Ohr das Stimmengewirr um ihn herum, das Geklapper der Teller und Gläser, den Regen, der an die kleinen Fenster prasselte. Die Luft war schwer von allerlei Gerüchen – Essen und Bier, Tabak und Teer, und dazu kam jedesmal, wenn sich die Türen öffneten, mit einem Chor von Flüchen und Schimpfworten ein Schwall salziger Luft hinein, der von draußen, wo die Schiffe lagen, herüberwehte.

Richard Bolitho streckte die Beine von sich und seufzte. Nach der langen und knochenbrecherischen Postkutschenfahrt von Falmouth, wo sein Elternhaus stand, und nach einer großen Portion Kaninchenpastete (ein Stammgericht des Blue Post’s Inn für die »jungen Gentlemen«) war ihm schläfrig zumute. Neugierig blickte er sich nach den anderen Midshipmen in seiner unmittelbaren Nähe um. Einige waren wirklich sehr jung, praktisch noch Kinder, höchstens zwölf Jahre alt. Trotz der Reserviertheit, die in Bolithos Charakter lag, mußte er lächeln. Auch er selbst war mit zwölf Jahren als Midshipman auf sein erstes Schiff gekommen. Und wie hatte ihn das Leben bei der Flotte seither verändert! Er konnte sich kaum noch vorstellen, wie er damals gewesen war. Vermutlich nicht viel anders als einer der Knaben dort an den Tischen; und denen würde es genauso ergehen, wie es ihm damals ergangen war: ängstlich würden sie sein, eingeschüchtert von der rauhen, fast feindseligen Atmosphäre an Bord eines Kriegsschiffes, und doch irgendwie entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen; und stets fest davon überzeugt, daß die Existenz eines Midshipman allen anderen an Bord höchst gleichgültig sei.

Vier Jahre war das her. Es war immer noch schwer, damit fertig zu werden. Vier Jahre, in denen er reif geworden war und sich von dem Schiff, das ihn umgab, hatte formen lassen. Zuerst hatte er geglaubt, er würde all das, was da von ihm verlangt und gefordert wurde, niemals lernen. Den ganzen verwirrenden Komplex von Takelung, Wanten und Rahen. Die Meilen von Tauwerk jeder Stärke und Länge, die nötig sind, um ein Schiff in Bewegung zu bringen und es zu beherrschen. Segeldrill hoch oben auf den wie trunken schwankenden Rahen in Regen und Hagel, oder wenn es so heiß war, daß er manchmal fast ohnmächtig geworden und in die Tiefe, auf das Deck unten, hinabgestürzt wäre. Er hatte die ungeschriebenen Gesetze jener Welt zwischen den Decks gelernt, die Hierarchien und Regeln, die das Leben in dem überfüllten, turbulenten Milieu eines Kriegsschiffs überhaupt erst möglich machen. Er hatte nicht nur überlebt, er war sogar besser durchgekommen, als er es für möglich gehalten hatte. Allerdings nicht, ohne daß einige Beulen und Tränen den Weg markierten.

Heute, an diesem trübseligen Oktobertag, war er im Begriff, sich auf seinem zweiten Schiff zum Dienst zu melden. Es war die Gorgon, 74 Geschütze, und sie lag irgendwo im Solent[2] vor Anker.

Er beobachtete mit grimmigem Lächeln, wie ein kleiner Midshipman ein riesiges Stück gekochtes Schweinefleisch hinunterschlang. Das würde dem Kleinen noch leid tun. Bei diesem Wind hatte er bis zu seinem Schiff eine lange und höchst bewegte Bootsfahrt zurückzulegen.

Plötzlich mußte Bolitho an sein Elternhaus in Cornwall denken, an das große Haus aus grauem Stein unterhalb Pendennis Castle, wo er mit seinem Bruder und seinen beiden Schwestern aufgewachsen war. Übrigens lebten die Bolithos schon seit Generationen in diesem Haus. Als er auf Urlaub kam, war es anders gewesen, als er erwartet hatte, anders, als er es sich in Sturm und Hitze erträumt hatte. Erstens waren nur die Mutter und die Schwestern dagewesen, um ihn zu begrüßen. Sein Vater, Kapitän eines der Gorgon ungefähr ähnlichen Schiffes, segelte irgendwo im Indischen Ozean. Hugh, sein Bruder, war Senior Midshipman[3] auf einer Fregatte[4] im Mittelmeer. Nach dem Leben auf dem Linienschiff war Richard das Haus sehr still vorgekommen.

Seine neue Einberufung war ihm an seinem sechzehnten Geburtstag zugestellt worden: Er hatte sich auf dem allerschnellsten Wege nach Spithead zu begeben und sich dort an Bord Seiner Britannischen Majestät Schiff Gorgon, unter Kapitän Beves Conway, zum Dienst zu melden. Das Schiff wurde zur Zeit neu ausgerüstet.

Seine Mutter hatte versucht, ihren Kummer zu verbergen. Seine Schwestern reagierten mit Lachen und Weinen – wie es ihnen gerade in den Sinn kam.

Auf dem Weg zur Haltestelle der Postkutsche hatten ihm die Landarbeiter, an denen er vorbeikam, grüßend zugenickt. Aber zu wundern schienen sie sich nicht. Seit vielen, vielen Jahren ging immer wieder ein Bolitho aus dem Haus und an Bord dieses oder jenes Schiffes. Und mancher war nie zurückgekehrt.

Jetzt fing das alles für Richard Bolitho zum zweiten Mal an. Er hatte sich geschworen, daß er gewisse Fehler nicht mehr machen würde, daß er gewisse Dinge, die er gelernt hatte und die wichtiger waren als alles andere, nie vergessen würde. Ein Midshipman war weder Fisch noch Fleisch. Er stand zwischen den Leutnants und dem eigentlichen Rückgrat der Besatzung, den Deckoffizieren[5]. An einem Ende des Schiffes, unnahbar und fern, gottähnlich, logierte der Kapitän. Mitten im ständigen Strom hin und her eilender Mannschaften lag das enge, vollgestopfte Midshipmen-Logis. Die Mannschaft – Matrosen und Seesoldaten, Freiwillige und Gepreßte – war zwischen die Decks gepfercht und doch zu jeder Zeit durch Rang und Dienstalter voneinander getrennt. Harte Disziplinarstrafen bildeten eher die Regel als die Ausnahme; der Dienst am Schiff bei jedem Wetter war gefährlich und forderte manches Menschenleben – das war selbstverständlich, man sprach nicht darüber.

Wenn die Landratten ein Schiff des Königs sahen, das von der Küste ablegte, alle Rahen frisch getakelt und von Matrosen wimmelnd, wenn sie das Krachen der Salutgeschütze hörten, dazu die lustigen Stimmen der Männer am Ankerspill, die einen alterprobten Shanty sangen, dann hatten sie keine Ahnung von jener anderen Welt tief unten im Schiffsraum. Und das war wahrscheinlich auch ganz gut so.

»Ist der Platz frei?«

Bolitho fuhr aus seinen Gedanken auf und blickte hoch. Ein Midshipman, blond und blauäugig, lächelte ihn an.

»Martyn Dancer«, fuhr der Neuankömmling fort. »Ich gehe an Bord der Gorgon. Der Wirt sagt, Sie sind vom selben Schiff.«

Bolitho stellte sich vor und rutschte auf der Bank ein Stück weiter, um Dancer Platz zu machen.

»Doch nicht Ihr erstes Schiff?«

Dancer lächelte trübe. »Beinahe. Ich war auf dem Flaggschiff, bis es ins Dock mußte. Meine Seedienstzeit beläuft sich auf drei Monate und zwei Tage.« Er bemerkte Bolithos überraschte Miene. »Ich habe spät angefangen. Mein Vater wollte mich nicht zur See gehen lassen.« Er zuckte die Achseln. »Aber schließlich habe ich doch meinen Willen durchgesetzt.«

Der junge Mann gefiel Bolitho. Gewiß, Dancer hatte seine Laufbahn spät begonnen. Er war ungefähr so alt wie Bolitho, und seine ruhige, kultivierte Stimme ließ darauf schließen, daß er aus einer guten Familie kam. Und sicherlich aus der Stadt.

Dancer sagte eben: »Ich habe gehört, daß wir nach Westafrika segeln. Aber …«

Bolitho grinste.

»Das ist nur ein Gerücht unter anderen. Aber es wäre immerhin besser, als bei der Kanalflotte zu sein und ständig im Ärmelkanal hin und her zu rutschen.«

Dancer verzog das Gesicht. »Der Siebenjährige Krieg ist jetzt seit neun Jahren vorbei. Ich hätte doch gedacht, die Franzosen würden uns wieder auf den Leib rücken, und sei es nur, um ihre kanadischen Besitzungen wiederzukriegen.«

Bolitho wandte sich um und sah zwei invalide Matrosen auf den Wirt zugehen. Der beaufsichtigte gerade ein Küchenmädchen, das Suppe in Zinnschüsseln abfüllte.

Kein richtiger Krieg seit neun Jahren, das stimmte schon. Und doch gab es überall auf der Welt genug andere Konflikte, die nie abrissen: Aufstände und Piraterie; Kolonien, die gegen ihre neuen Herren revoltierten – solche Aktionen kosteten ebenso viele Opfer wie jede Seeschlacht.

»Schert euch weg!« sagte der Wirt grob. »Ich will hier keine Bettler.«

Der eine Matrose, dessen rechter Arm dicht unter der Schulter amputiert war, erwiderte ärgerlich: »Ich bin kein lausiger Bettler! Ich war auf der alten Marlborough, 74 Geschütze, Konteradmiral Rodney!«

Tiefe Stille im Eßraum; und Bolitho sah, daß einige der jüngeren Midshipmen die beiden Invaliden mit Furcht und Schrecken anstarrten.

Der zweite Mann rief besorgt: »Laß gut sein, Ted! Dieser Teufel gibt uns doch nichts.«

»Geben Sie ihnen alles, was sie brauchen!« sagte Dancer. Ärgerlich und verwirrt über seine Impulsivität schlug er die Augen nieder. »Ich bezahle.«

Bolitho blickte ihn an. Er war ebenso betroffen. Und ebenso beschämt.

»Gut gesprochen, Martyn«, sagte er und legte ihm freundschaftlich die Hand auf den Arm. »Ich freue mich, daß wir Bordkameraden sind.«

Ein Schatten fiel zwischen sie und die qualmende Lampe. Der Einarmige sah sie lange an, sein Gesicht war düster. »Danke, junge Herren.« Er streckte die Hand aus. »Viel Glück! Sie beide werden bestimmt mal Kapitäne.«

Er trat beiseite, als eine Kellnerin zwei dampfende Schüsseln mit Essen auf einen Nebentisch stellte, und fügte zu Nutz und Frommen aller Anwesenden noch hinzu: »Der eine oder andere sollte sich diesen Tag merken. Eine gute Lehre für euch.«

Der Wirt, ein großer, kräftiger Mann, trat auf die beiden Midshipmen zu. Langsam setzte die allgemeine Unterhaltung wieder ein.

»Jetzt will ich Ihr verdammtes Geld sehen. Und zwar gleich!« Wütend stierte er Dancer an. »Und anschließend …«

»Anschließend«, sagte Bolitho ruhig, »werden Sie uns zwei Brandy bringen, Wirt.« Er beobachtete gelassen, wie in dem Mann die Wut hochstieg, und paßte den richtigen Moment ab, wie beim Abfeuern eines Neunpfünders. »Sie sollten lieber etwas auf Ihr Benehmen achten. Mein Freund hier ist glücklicherweise guter Laune. Aber seinem Vater gehört das meiste Land hier in der Gegend.«

Der Wirt schluckte. »Um Gottes willen, Sir! Ich habe doch nur Spaß gemacht! Ich bringe Ihnen den Brandy sofort. Den besten, den ich habe, und Sie werden hoffentlich nichts dagegen haben, daß er auf meine Kosten geht.« Mit plötzlich besorgtem Gesicht eilte er davon.

Verwirrt sagte Dancer: »Aber mein Vater ist doch Teehändler in der Londoner City! Ich bezweifle, daß er Portsmouth Point je im Leben gesehen hat.« Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich muß meinen Geist ordentlich schärfen, wenn ich mit Ihnen Schritt halten will, Richard!«

Bolitho lächelte bedeutsam. »Nenn mich Dick, wenn du nichts dagegen hast.«

Als sie eben ihren Brandy nippten, wurde die Tür zur Straße weit aufgerissen. Diesmal fiel sie nicht gleich wieder zu. Die Öffnung wurde von einem Leutnant in triefendem Ölzeug ausgefüllt. Sein Dreispitz war von Gischt und Regen völlig durchweicht.

»Alle Midshipmen der Gorgon sofort zum Bootshafen!« brüllte er heiser. »Draußen wartet eine Gang Matrosen, um eure Seekisten an Bord zu bringen.«

Mit wiegenden Schritten ging er zum Kamin und riß dem Wirt einen Becher Brandy aus der Hand. »Draußen bläst es wie verrückt.« Er hielt seine roten Hände über die wärmenden Flammen. »Helf uns Gott!«

Dann fiel ihm plötzlich etwas ein: »Wer ist hier der Dienstälteste?«

Bolitho sah, wie die jungen Leute im Raum ängstliche Blicke wechselten. Die Gemütlichkeit hatte sich in Panik verwandelt.

»Ich glaube, das bin ich, Sir«, sagte er. »Richard Bolitho.«

Der Leutnant musterte ihn mißtrauisch. »Na schön. Führen Sie sie zum Hafen, und melden Sie sich beim Bootsmannsmaat. Ich komme gleich nach.« Er hob die Stimme. »Und wenn ich da bin, ist gefälligst jeder einzelne Muttersohn abfahrbereit, verstanden?«

Der kleinste Midshipman sagte verzweifelt: »Mir wird schlecht, glaube ich.«

Jemand lachte, aber der Leutnant brüllte ihn an: »Ihnen wird schlecht, Sir! Sagen Sie gefälligst >Sir<, wenn Sie einen Offizier anreden, verdammt noch mal!«

Die Frau des Wirts sah zu, wie die Midshipmen Hals über Kopf in den Regen hinausstürzten.

»Sie nehmen sie ja ’n bißchen hart ’ran, Mr. Hope, Sir.«

Der Leutnant grinste. »Das haben wir alle durchmachen müssen, meine Liebe. Der Kapitän ist sowieso schwierig genug, wie die Dinge liegen. Wenn ich mit den neuen Midshipmen zu schlapp bin, dann verpaßt er mir ’ne Breitseite, das kann ich Ihnen garantieren!«

Draußen auf dem nassen Kopfsteinpflaster sah Bolitho zu, wie ein paar Matrosen die schwarzen Kisten auf Karren luden. Kräftig, wettergebräunt – sie sahen wie befahrene Seeleute aus; der Kapitän hatte vermutlich nicht das Risiko eingehen wollen, weniger verläßliche Mannschaften, die vielleicht desertierten, an Land zu schicken.

In ein paar Wochen, ja sogar ein paar Tagen, würde er diese Männer und noch viele andere genauer kennen. Er würde nicht, wie an Bord seines ersten Schiffes, in die alten Fehler verfallen. Inzwischen hatte er gelernt: Vertrauen war etwas, das man sich verdienen mußte, und nicht einfach eine Zugabe zur Uniform, die man trug.

Er nickte einem der älteren Männer zu. »Wir legen gleich ab.«

Der Mann grinste. »Ist wohl nicht Ihr erster Bordgang, Sir?«

Bolitho fiel neben Dancer in Gleichschritt. »Und der letzte auch nicht.«

Unten am Hafen fanden sie den Bootsmannsmaat im Windschutz der Mauer. Vor ihnen rollte der Solent seine endlose Folge kabbeliger Wogenkämme, und die paar Möwen hoben sich von dem bleiernen Himmel ab wie weiße Schaumfetzen.

Der Maat faßte an seinen Hut. »Ich schlage vor, Sie lassen alle Mann gleich an Bord gehen, Sir. Wir haben ’n ziemlichen Ebbstrom, und der Erste will, daß das Boot vor der Hundewache noch einen Törn macht.«

Vertraulich senkte er die Stimme. »Er heißt Mr. Verling, Sir. Lassen Sie sich warnen. Er ist manchmal mit den jungen Herren ’n bißchen scharf. Sollen alles machen, was er macht – so gut sie können.« Er grinste schadenfroh. »Herrgott, sehen Sie diesen Haufen bloß an! Die verspeist er zum Frühstück.«

»Und ich Sie«, herrschte Bolitho ihn an, »wenn Sie nicht sofort mit Ihrem Geschwafel aufhören!«

Der Mann verschwand, und Dancer machte große Augen. »Die Sorte kenn’ ich, Martyn«, sagte Bolitho. »Als nächstes soll ich ihm dann erlauben, daß er rasch mal einen Rum trinken geht.« Er grinste. »Und das würde dem Leutnant hier kaum recht sein, ganz zu schweigen von dem gewaltigen Mr. Verling.«

Da erschien auch schon der Leutnant an der Mauer, mit leicht glasigen Augen. »Marsch, ins Boot! Beeilt euch!«

Leise sagte Dancer: »Mein Vater hatte vielleicht doch recht.«

Bolitho wartete, bis die letzten über die steile Leiter in die stampfende Barkasse geklettert waren.

»Mir tut’s nicht leid, daß ich wieder an Bord komme«, sagte er. Und zu seiner eigenen Überraschung stimmte das sogar.

Die Fahrt vom Bootshafen bis zu dem vor Anker liegenden Zweidecker dauerte fast eine Stunde. Dabei hatten diejenigen Midshipmen, die nicht zu heftig brechen mußten, ausreichend Zeit, sich ihre neue Heimat anzusehen, die beim Näherkommen immer höher und mächtiger hinter den unbarmherzigen Regenschauern aufragte.

Bolitho hatte sich bemüht, etwas über sein neues Bordkommando zu erfahren. Die Vierundsiebziger, wie diese massigen Zweidecker bei den Seeleuten hießen, bildeten den Kern der Flotte. In jeder großen Seeschlacht dominierten sie dort, wo am heftigsten gekämpft wurde. Aber er wußte aus Erfahrung, und hatte es auch von alten Seeleuten gehört, daß diese Schiffe untereinander so verschieden waren wie Salz und Sirup.

Während die Bootsgasten die Barkasse über die kabbelige See pullten, behielt er das Schiff im Auge. Er sah die himmelhohen Masten mit den quer stehenden Rahen, den glänzend schwarzen, braun abgesetzten Rumpf mit der Doppelreihe geschlossener Stückpforten; die rote Nationalflagge am hohen Stern und die kleinere Bugflagge, zwei bunte Farbflecke auf dem grauen Hintergrund von See und Himmel. Die Männer an den Riemen wurden allmählich müde von ihrer schweren Arbeit, immer häufiger mußte der Maat den Takt angeben, um sie im Gleichschlag zu halten, und ständig brüllte und schimpfte der rotgesichtige Leutnant.

Jetzt zogen sie unter dem langen Bugspriet und dem Klüverbaum hindurch, von dem die hellvergoldete Galionsfigur fast bösartig auf die stumm dahockenden Midshipmen herabstarrte. Die Galion der Gorgon war ein großartiges, wenn auch erschreckendes Stück Holzschnitzerei: eine verschlungene Masse von Schlangenleibern, und darunter ein schönes, finsteres Frauenantlitz mit übergroßen Augen; rote Striche in den Lidwinkeln verstärkten noch den drohenden Ausdruck.

Und dann wurden sie alle zusammen, ein keuchender, strampelnder Haufen, ganz unzeremoniell an der Bordwand hochgeschoben und -gehievt, so daß ihnen das breite Achterdeck, auf dem sie schließlich landeten, vergleichsweise wie ein geschützter, ruhevoller Zufluchtsort vorkam.

»Sie sieht ganz ordentlich aus, Martyn«, sagte Bolitho. Geschwind überflogen seine Blicke die sauber ausgerichtete Reihe der Achterdeck-Neunpfünder, deren schwarze Rohre im Regen glitzerten; die Flaggenknöpfe waren frisch gestrichen, jedes Ende Tauwerk sorgfältig aufgeschossen und verstaut.

Oben in den Rahen und an den beiden Decksgängen, welche das Achterdeck mit dem Vorschiff verbanden, arbeiteten Matrosen. Unter den Decksgängen, in gleichmäßigen Abständen, standen die Achtzehnpfünder der Oberdeckbatterie, während auf dem nächstunteren Deck die stärkste Kampfkraft des Schiffes armiert war: die Batterie der mächtigen Zweiunddreißigpfünder. Wenn es nötig war, konnte die Gorgon laut und nachdrücklich mitreden.

»Her zu mir!« brüllte der Leutnant. Die Midshipmen gehorchten eilig. Manche hatten jetzt schon Angst und fühlten sich völlig verloren. Andere paßten auf und bemühten sich, zu erfassen, was von ihnen verlangt wurde.

»Anschließend rücken Sie in Ihre Hauptquartiere.« Der Leutnant mußte sich anstrengen, um das Rauschen des Regens, das ständige Sausen des Windes in der Takelung und den gerefften Segeln zu übertönen. »Vorher will ich Ihnen noch sagen, daß Sie jetzt an Bord eines der besten Schiffe in Seiner Majestät Flotte Dienst tun, ein Schiff mit hohen Anforderungen, das keine Schlappschwänze duldet. An Bord der Gorgon sind insgesamt zwölf Midshipmen, mit Ihnen, heißt das; und falls Muttersöhnchen dabei sind, tun sie gut daran, doppelt hart an sich zu arbeiten, sonst kriegen sie schweren Ärger. Sie werden auf den Geschützdecks und anderswo eingesetzt, bis Sie imstande sind, mit den Leuten zu arbeiten, ohne sich zu blamieren.«

Eben rannten einige Matrosen unter der Aufsicht eines Bootsmannsmaats von recht hartgesottenem Aussehen vorbei, und Bolitho wandte sich nach ihnen um. Frisch vom Land, allem Anschein nach, dachte er. Aus dem Schuldturm, oder dem Gerichtsgefängnis, wo man sie, wenn die Flotte nicht so dringend Männer gebraucht hätte, bis zu ihrer Deportation in die neuen amerikanischen Kolonien hätte schmoren lassen. Der Menschenhunger der Kriegsmarine war unstillbar, und jetzt im Frieden war es sogar noch schwieriger, die Schiffe ausreichend zu bemannen. Was der Leutnant da gesagt hatte, stimmte eigentlich nicht, dachte Bolitho. Nicht nur die Midshipmen waren neu und ungeübt. Ein erheblicher Teil der Mannschaft war kaum besser.

Er kniff die Augen zusammen, in die der Regen sprühte, und hatte genügend Zeit, darüber zu staunen, was für eine Menge Menschen ein solches Schiff verschlingen konnte. Seines Wissens beherbergte die Gorgon eine Besatzung von über sechshundert Mann – Offiziere, Matrosen und Marine-Infanteristen – in ihrem dicken Siebzehnhunderttonnenbauch; und dabei sah man an Deck immer nur etwa dreißig Mann.

»He, Sie!«

Bolitho fuhr herum, als die Stimme des Leutnants in seine Gedanken schnitt.

»Hoffentlich langweile ich Sie nicht!«

»Entschuldigung, Sir!« antwortete Bolitho.

»Ich werde Sie im Auge behalten!«

Der Leutnant nahm Haltung an, denn von der Kampanje her näherte sich ein anderer Offizier. Das mußte, dachte Bolitho, der Erste Leutnant sein. Mr. Verling war groß und mager, und sein Gesicht war so verkniffen, daß er eher einem Richter beim Verkünden des Todesurteils glich als einem Offizier, der neue Offiziere an Bord begrüßen sollte. Seine schnabelartige Hakennase stach unter dem Dreispitz hervor, als spähe sie nach irgendwelchen Vergehen gegen die Bordroutine aus, und seine Blicke verrieten, als sie über die schwankende Reihe der wartenden Midshipmen glitten, weder Wärme noch Mitgefühl für die Neulinge.

Er sagte: »Ich bin der Dienstälteste an Bord.« Sogar sein Ton war scharf und abgehackt, jedes menschliche Gefühl wie weggehobelt. »Solange Sie an Bord sind«, fuhr er fort, »haben Sie Ihre diversen Pflichten jederzeit zu erfüllen. Ihre Ausbildung und die Vorbereitung auf das Leutnantsexamen werden Sie so in Anspruch nehmen, daß beides schließlich völlig im Vordergrund steht und jeder Müßiggang Ihnen egoistisch und sinnlos Vorkommen wird.« Er machte eine Kopfbewegung zu dem anderen Offizier hin. »Mr. Hope ist Fünfter Leutnant und wird sich um Sie kümmern, bis Sie sich in der Wache eingewöhnt haben, der Sie zugeteilt sind. Mr. Turnbull, der Segelmeister[6], erwartet selbstverständlich erstklassige Leistungen in Navigation und allgemeiner Seemannschaft.« Seine bohrenden Augen machten bei dem Kleinsten in der Reihe halt, jenem, dem in der Barkasse so schlecht geworden war und der jetzt aussah, als würde es bei ihm gleich wieder losgehen.

»Und wie heißen Sie?«

»Eden, S-sir.«

»Alter?« Das Wort schnitt wie ein Messer.

»Z-zwölf, Sir.«

»Er stottert ein bißchen«, sagte Hope. In Gegenwart seines Vorgesetzten schien sich seine Schroffheit etwas gemildert zu haben.