Die Geschichte von Tiffany - Shawn Ayahuasca Vega - E-Book

Die Geschichte von Tiffany E-Book

Shawn Ayahuasca Vega

4,8

Beschreibung

Ein Zweibeiner verliebt sich in das stille Hundekind vom Brüsseler Tiermarkt und so zieht es in die Fremde und in ein neues Zuhause, umtost vom bunten Alltag eines Zirkus. Er nennt die Kleine "Tiffany" und beide werden unzertrennlich. Zaghaft erwacht in der Zwergin die Terriernatur, hartnäckig geschickt stellt sie sich den Widrigkeiten der plötzlich so großen Welt und die leuchtenden Augen zeugen von Freude und unendlichen Hunger auf das Hiersein. Tiffany wird Abenteuerin und lernt Hundgangs, Vierbeinerfreunde, Märchenwälder, Meeresstrände und Palmen während ihrer Drift durch Europa kennen. Es sind wahre Geschichten vom Reisen und Entdecken, vom Aufwachsen und Altwerden mit Krokodilen und Riesenschlangen, von aufregenden, hautnahen, oft skurrilen Begegnungen mit Elefanten, Flusspferden, Land- und Seelöwen, ausgebüxten Bären, durchgeknallten Affen und ihrem Top-Ärgernis Tiger. Als Winzling tappst Tiffany neugierig allein ins Rampenlicht des Great Belgium Circus, mustert von der Mitte und beim Pistenlauf die Besucher und erobert alle Herzen. Sie tritt nie in einer Show auf, weiß aber als intelligente Terrierin aus emsig erlernten Kunststücken clever Kapital zu schlagen und ist bald ausgebuffte Privatartistin. Die Magie des Zirkus zieht Tiffany in Bann, nie vergisst sie diesen Zauber der Jugendjahre. Fast zwanzig Jahre reiste die Titelheldin durch ihr außergewöhnliches Leben und der Autor entführt den Leser in jene Zeit mit Tagen voller Wunder, erzählt Lustiges und Bewegendes, auch vom schweren Abschied und seinem Erstaunen, dass seine Weggefährtin in Spanien in der Erinnerung lebt. Episoden streifen die Veränderungen in der rollenden Welt, berichten vom Verglühen des Staatszirkus der DDR und vom Kämpfen, Verlieren, Wiederaufstehen und den Sorgen danach. Mit Farbfoto-Galerie.

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Für Tiffany

geboren am 20. März 1991

gegangen am 25. Dezember 2010

Abenteuerin – Weltenbummlerin – Copilotin – einzigartige Weggefährtin

Wer nie einen Hund gehabt hat, weiß nicht

was Lieben und Geliebtwerden bedeutet.

Arthur Schopenhauer

Inhalt

Sonnenuntergang

Hundekind

Die Weite der Welt

Reptilien, Flusspferde und andere Tiere

Weggefährten

Zirkus, Zirkus

Zirkus Aeros

Palmen unter blauem Himmel

Die Ranch im Busch

Reise, Reise

Wo das Land das Meer berührt

Labyrinthe

Am Ende einer langen Reise

Die Brücke zum Regenbogen

Epilog

Nachwort

Foto-Galerie

Danke

Anmerkung

Was ist das Leben?

Es leuchtet auf wie ein Glühwürmchen in der Nacht.

Es vergeht wie der Hauch des Büffels im Winter.

Es ist wie der kurze Schatten, der über das Gras huscht

und sich im Sonnenuntergang verliert.

Crowfoot, Blackfoot

Sonnenuntergang

Erwachen & Leere

Zeit? Zeit ist nur eine Illusion.

Sie sind schnell verflogen, so eilig verweht, die zwanzig Jahre.

Damals, am Anfang, war alles anders und ich jung und mein Kopf voller Träume, Wünsche, Hoffnungen. Der größte Teil des Lebens lag vor mir. Älterwerden? Keinen Gedanken daran verschwenden. Wo liegt der Sinn, das eigene Dasein in Etappen einzuteilen und vermeintlich kontrolliert ablaufen zu lassen? In Routine und Ödnis? Täglich unter versuchter Manipulation durch Politik und gelenkter Medien, die erklären wie und womit das Leben erst lebenswert wird, eingefangen mit dem Netz Konsumrausch und ruhig gestellt durch allgegenwärtige Regeln, selbst nichts je hinterfragt und so unbemerkt oder, schlimmer, freiwillig in die Falle getappt und in die graue Masse der Lemminge gepresst, ist der Mensch zu einer Zahlenkombination mutiert. Sie hat ein krankes Hirn, jene riesige Kontrollmaschine und duldet ungerne, wenn jemand nicht nach ihrem Willen funktioniert. Uniformität deshalb ringsherum und vom selbst gewählten Wechsel werden Aussteiger aus dem System wie Aliens betrachtet. Freiheit und Individualität? Es ist nur eine Welt aus Trug und Schein.

Bisher gelang es mir schlecht zu funktionieren, ich wollte leben und es war ein lohnenswertes Schwimmen gegen den Strom. Gescheitert hingegen bin ich an dem wichtigsten Lehrsatz Gautamas: Loslassenkönnen.

Nun blicke ich also zurück auf die letzten Dekaden und kann nicht glauben, dass so viel Leben verronnen ist. Nie habe ich die Jahre gezählt und selten nach Gestern und Morgen gefragt. Alles ist endlich, nichts bleibt wie es einmal war, und die Sichtweise auf Gewesenes abhängig von der emotionalen Situation in dem Moment der Erinnerung. Manche Erlebnisse scheinen unendlich weit in der Vergangenheit und das Gelebte ist bewusst. Anderes ist frisch, wie eben geschehen und tatsächlich trennen Ewigkeiten das Heute vom Damals. Die Steigerung dazu ist die stete Herausforderung für Gedanken und Gemüt, das jene unterschiedliche Empfindungen nicht in gut und schlecht unterteilen. Welche Wohltat für die Seele, würde nur Positives bewahrt und Negatives vergessen.

Irgendwann drohen viele Erinnerungen zu verblassen. Wie auf einem langsam vergilbenden Foto erscheinen nur noch wesentliche Konturen deutlicher, Details verwischen immer mehr. Ich versuche gegen die übermächtige Auflösung zu kämpfen, widersetze mich dem Verlust des Gewesenen, des so Geliebten, obgleich ich weiß, dass ich nur verlieren kann.

Mit dem Fortgang einer kleinen, aber großen Seele änderte sich mein Leben grundlegend. Traurigkeit hat Besitz von meinen Gefühlen ergriffen. Der Tag macht das Leben grell und rau und ich laufe der Nacht hinterher. Sie bringt etwas innere Ruhe. Das Dunkel täuscht mit Geborgenheit, die Gedanken kreisen langsamer. Aber entweder gähnt vor dem Bett ein schwarzer Schlund und ein Schaf nach dem anderen stolpert hinein oder ich träume schwer. So vergeht Tag und Dasein.

Hin und wieder frage ich mich, ob es dieses in meinen Erinnerungen lebende vierbeinige Wesen wirklich gab. Existierte es gar nur in meiner Phantasie und in schönsten Träumen? Ist die Matrix völlig undenkbar? Denn, niemand fragt mehr nach der weißen Hündin, niemand spricht mehr von ihr. Sie ist vergessen. Verloren in der Vergangenheit. Verweht. So, als wäre sie nie an meiner Seite gewesen. So, als hätte sie nie mit mir gelebt. Und dabei kannten uns alle ausschließlich im Doppelpack… Aber fast jeder hat sich eingemauert im Egoismus. Ist schwer, ihn zu besiegen und dafür setzt es zudem Willen voraus. Mir macht es den Verlust nicht leichter, es verletzt zusätzlich. Manche mögen denken, es war nur ein Hund. Austauschbar wie alles heute. Wie Klamotten, Gegenstände, Smartphones, Menschen, Gewissen. Gezüchtete Wegwerfgesellschaft. In ihrer Gier verliert sie das Entscheidende aus Augen und Kopf: es war eine empfindende Seele und eine Gefährtin durch Tiefen und Höhen für eine lange, eine sehr lange Lebensstrecke. Und dann holen mich ihre Besitztümer, ihre Schätze, welche nun meine sind, zurück in das Jetzt. Natürlich war sie hier und nicht erst Bilder und Urne müssen mir Gelebtes erklären. Aber warum kann ich mich an wichtige Dinge nicht erinnern? Ich bemühe mich immer und immer neu, über Filme von schönen Zeiten in meinen Gedanken, das wieder zu entdecken, was mir verloren ging. Es gelingt nicht und ich hadere mit mir, dem Jetzt, frage nach einem Sinn. Was ist wirklich wichtig?

Alles ist noch von ihrer Gegenwart erfüllt. Die im letzten Lebensjahr notwendig gewordene Leine mit Halsband liegt griffbereit. Auch die Spielsachen. Und die nicht angebrochene Tüte der so sehr geliebten Nascherei Funtastix. Das Wintermäntelchen hängt an der Stelle, wo ich es nach dem letzten Tragen zum Wärmen aufbewahrte. Nicht wissend, aber ahnend, dass ich es der Kleinen niemals wieder würde anziehen dürfen. Das Fach für Futter und Leckereien, ganz unten im Schrank, damit eine aufgeregte Hundenase es kontrollieren konnte, es ist leer und wird es bleiben. Die Schüssel für das Futter steht wie früher im Geschirrfach und die fürs Wasser dort, wo eben ihr Platz ist. Mit frischem Wasser - und ab und zu trinkt vierbeiniger Besuch daraus. Aber der mir einst vertraute angenehme Geruch, das Gefühl beim Streicheln des rauen Fellchens und die weiche kleine Zunge auf meiner Haut - dies ist in mir gelöscht. Dicht aneinander gekuschelt schliefen wir oft, ich die Nase in das Fell gedrückt. Und jetzt weiß ich nicht einmal mehr, wie du gerochen hast. Schleichend ist der ultimative Beweis deiner einstigen Anwesenheit gegangen, irgendwann war er einfach nicht mehr da.

Die entstandene große Leere lässt sich kurzzeitig überdecken, nicht füllen. Ich will sie nicht füllen. Seit dem Abschied von meiner vierbeinigen Lebensgefährtin ist mir deutlich bewusst, dass sich ein Kapitel unwiderruflich geschlossen hat. In jener Nacht ging ein großer Teil von mir und das es so sein würde, war mir lange vorher klar. Was Schmerzlicheres könnte mir widerfahren? Was oder wer sollte mir jetzt noch Furcht bereiten, außer meine eigenen Gedanken? Alles währt nur einen Moment, man ist da, lebt in dem Augenblick und schon ist es Geschichte. Wie Staub verfliegt jede Spur.

Die letzten gemeinsamen Tage pressten tiefe Narben, denn sie waren schwer beladen mit Seelenleid für uns beide. Immer wieder flackerte zaghaft das Flämmchen Hoffnung in mir auf. Bis ich an jenem Dezembertag erschrocken die trüben, leeren Augen sah und sofort wusste, nun ist es soweit, sie wird mich verlassen müssen, meine Wegbegleiterin. Diese Tage bestimmen bis heute unfair mein Denken, dabei hatte ich doch das außergewöhnliche Glück mit der Kleinen so viele Jahre mit so viel Freude verbringen zu dürfen… Ich bin mir sicher, sie ist geblieben so lange sie nur konnte, um mich nicht allein zu lassen. Sie war mein Licht, das wusste sie genau.

Es ist nicht wahr, das mit der Zeit alles leichter wird und der Schmerz vergeht.

Der Sommer ist da, der erste allein. Ich muss nicht die Augen schließen, um auf der Wiese vor dem Caravan ein weißes Fellchen herum stolpern zu sehen. Sie hatte es nicht mehr leicht, halbblind und unsicher auf den kurzen Beinchen. Aber sie ertrug es still und tapfer, im Gegensatz zu mir. Und das Futter schmeckte ihr gar bis zum vorletzten Tag ihres Lebens.

Vor jetzt zwanzig Jahren, im Juli 1991, traf sich mein Lebensweg mit dem des wundervollsten Wesens, welches mir je begegnete.

Dies ist die Geschichte eines kleinen Hundemädchens auf einer abenteuerlichen Reise durch ihr Leben.

Dies ist die wahre Geschichte von Tiffany.

Nach der Zeit der Tränen und tiefen Trauer

bleibt die Zeit der Erinnerungen.

Die Erinnerungen sind unsterblich

und geben uns Trost und Kraft.

Ich will nicht nur trauern,

dass ich dich verloren habe,

sondern mich dankbar daran erinnern,

was ich durch dich gehabt habe.

Im Rosengarten, Badbergen

Hundekind

Wendungen - Zwei ist eine zu wenig - Für & Wider - Vorfreuden & Geduldsspiele - Tiermarkt Brüssel - Die Zwergin aus Flandern - Great Belgium Circus

Der Saisonstart in Lüttich lag erst einige Wochen zurück.

Wir hatten ein Tournee-Engagement im Great Belgium Circus, dem damals größten Reiseunternehmen der Beneluxstaaten. Ein wirkliches Glück für uns in jenen Tagen und nur durch gute Kontakte möglich geworden. In den Wirren der Wendejahre, in welchen die Menschen der untergegangenen DDR erst einmal mit sich selbst klar kommen mussten, gab es kaum noch Auftrittsmöglichkeiten. Die harte D-Mark hatte die Alu-Chips abgelöst und ungeahnte Möglichkeiten des Konsums eröffnet. Es dauerte eine Weile, bis der gelernte DDR-Bürger verstand, dass nicht alles gut ist, was da unvorhergesehen und geradezu urplötzlich über ihn aus dem Westen hereinbrach. Zuerst einmal waren die Erwartungen jedoch riesig, das vorher begeistert Auf- und Angenommene Schnee von gestern und man ignorierte es hochnäsig mit spontan gewachsenem Überselbstvertrauen. Mit den neuen wunderbaren Seifen konnte nicht nur so mancher Bürger Pilatus seine Hände reinwaschen, auch fast allen anderen gelang es damit die gelebte Vergangenheit abzuspülen und alles neu zu sehen. Im Schein all der Herrlichkeiten wurde Kultur neu bemessen und Bananen, Kluburlaub, Pornos und Monstertrucks bedeuteten Glückseligkeit. Von den in den Osten einflutenden Zirkusunternehmen erwarteten die sich nun frei Glaubenden endlich wirkliche Kunst, Dressur und Artistik von Weltniveau, strömten in Scharen in deren Zelte und mieden gleichzeitig das Altbekannte, für das vorher oft schwer Karten zu bekommen waren, als vermeintlich überholt und erstarrt wie die Welt, welcher es entsprang. Jene Jahre sorgten für das langsame Sterben des Staatszirkus der DDR. Als die Neu-Bundesbürger endlich erkannten das die Zirkusse, bis an einer Hand abzählbarer Ausnahmen, mit all den schön klingenden Phantasienamen, farbenfrohen Chapiteaus, wild zusammen gewürfelten Wagenparks, dürftigen und bedürftigen Tierbeständen und nie gekannten Geschäftspraktiken, wenn überhaupt, dann mittelmäßigen Kinderzirkus mit ihren Großfamilien bieten, jedoch den sauberen Unternehmen Aeros, Busch und Berolina mit deren starken, weltweit beachteten Programmen nicht einmal das Wasser reichen konnten, da war es zu spät. Inzwischen zerschlug die Maschinerie der Treuhandanstalt diese drei Großen in immer kleinere Fragmente, verhökerte Tiere und Material zu Spottpreisen und gerne weniger, nur eben nicht an interessierte ehemalige Staatszirkusleute, und zerbröselte auch penibel die Splitter mit der Walze der bürokratischen Macht, bis nichts mehr blieb, außer den legendären Namen im versiegenden Gedächtnis.

Im "volkseigenen Betrieb" Staatszirkus besaßen fast alle Mitarbeiter einen Reisepass und konnten, bei entsprechenden Angeboten, im "westlichen" Ausland frei und ohne irgendwelche Überwachung durch die Staatssicherheitsbehörden reisen. Artisten und Dressuren kreuzten durch Europa, Südamerika, Japan, teils jahrelang durch die USA. Auch ich hatte die Möglichkeit, regelmäßig durch Jahres-Tourneen mit der großen Elefantengruppe des Zirkus Aeros jenseits des Eisernen Vorhanges unterwegs zu sein und kannte die Zustände in westlichen Zirkussen nur zu gut. Es erwarteten uns immer große Worte, aber ebenso dimensionierte Luftblasen. Dazu ein ständiger Kampf um, vertraglich festgelegt, Tierfutter und Gagen. Deshalb freute ich mich über die Anfrage des belgischen Unternehmens, kannten doch Staatszirkusleute die Direktion sehr gut und machten mir Mut für pünktliche Zahlungen und korrekten Umgang. Damit war es entschieden: meine Frau und ich reisten mit unseren Tieren aus.

Ich ahnte nicht, welch wunderbare Begegnung das Land für mich bereithielt!

Ein buntes Völkchen von Artisten, Dresseuren, Musikern und Arbeitern aus halb Europa traf im Great Belgium Circus zusammen. Unsere Krokodil- und Riesenschlangen-Show wurde als ungewöhnliche Darbietung fast zu Ende der Vorstellung eingesetzt, ein begehrter Auftrittszeitpunkt, weil als Platz für Zugnummern geltend. In Belgien besuchten die Menschen damals gerne einen Zirkus und das Publikum nahm das international besetzte Programm sehr gut an.

Nach den üblichen Anfangsschwierigkeiten liefen die Veranstaltungen nun reibungslos. Der Premierenstadt Lüttich folgten viele kleinere Orte, zwei pro Woche. Viel Arbeit. Jetzt standen die bunten Zelte und Wagen für ein längeres Gastspiel in Namur. Das brachte, trotz der zwei Shows täglich, etwas Ruhephase und Alltag. Eben war die Abendveranstaltung zu Ende, im Chapiteau das Licht bis auf die Notleuchten gelöscht, nur die farbigen Lichterketten zu den Masten und die blinkende Fassade tauchten den Zirkusplatz in ein diffuses Halbdunkel. Ruhe kehrte in die Wagenstadt ein, ab und zu unterbrochen vom Schnauben eines Pferdes und den beruhigenden Worten der Nachtwache im Stallzelt. Ich hatte genügend Wasser in die Krokodil-Poole geflutet, schaltete das Licht im Tierwagen aus und kontrollierte zuletzt die Heizungsanlage. Damit war auch unsere Arbeit beendet und Zeit zum Abendessen im Wohnwagen. Der Fernseher lief, doch keiner sah wirklich hin, beide gingen wir unseren Gedanken nach.

Plötzlich sagte meine Frau, und sie musste es bereits eine Weile mit sich herumgetragen und geplant haben: Weißt du, es muss sehr schön sein, einen Hund zu besitzen. Den man umsorgen kann, der sich auf uns freut nach der Arbeit. Mit dem wir Spaziergänge unternehmen und spielen können. So ein kleiner Kobold, der würde viel Freude und Abwechslung in den Wohnwagen und unser Leben bringen. Jeder hier im Zirkus hat einen Hund, ich beneide sie. Ich hatte noch nie einen und wünsche es mir sehr! Lass` uns doch ein Hündchen kaufen.

Sie überraschte mich nicht wenig mit diesem Wunsch. Ich war sofort begeistert, machte aber auf cool. Ich hatte das Glück mit Hunden aufgewachsen zu sein und habe sie sehr gerne. Sie sind gut für die Seele. Und es stimmte, wir zählten zu den absoluten Ausnahmen, welche ihr Räderheim mit keinem bellenden Gesellen teilten. Hier lebten viele Hunde aller Rassen und Kunterbunt-Mischlinge und darunter einige fürchterliche Kläffer und auch Typen, um welche man besser einen würdevollen Bogen zog. Aber einen Hund zu halten bedeutet mehr, als eben mal Trockenfutter in den Napf zu schütten. Es ist Verantwortung für, hoffentlich, viele Jahre. Es erfordert freiwillige Einschränkungen, viel Zeit für Beschäftigung und nicht wenig Kosten für Futter, Zubehör, Tierarzt. Es stand außer Frage - das würden wir mit viel Freude aus tiefsten Herzen tun. Aber, wandte ich ein, unser Wohnwagen ist nicht allzu geräumig und ein junges Hündchen braucht Platz zum Spielen, Freiraum für sich. Viel Zeit müssen wir für ihn aufbringen. Nicht einfach, bei der Arbeit mit den Reptilien.

Wenn wir nur wollen, finden wir Zeit. Wir müssen eben die Aufgaben richtig verteilen. Und Platz? Wo zwei leben, ist auch Raum für einen kleinen Hund. Außerdem brauchen wir nur die Tür zu öffnen und der Zirkusplatz liegt vor uns., erhielt ich als Antwort und musste meiner Frau Recht geben.

Ich machte weiter auf gelassen, war jedoch ganz aufgeregt bei den Gedanken an einen Vierbeiner. Doch muss so eine Anschaffung wirklich wohl überlegt sein, es geht um ein Lebewesen. Der finanzielle Aspekt ist wichtig und wird zu gerne übersehen. Der Kaufpreis und die Grundausstattung, wie ein Körbchen, als ganz persönliches Refugium, Schüsseln, Leine, Halsband, Handtücher, Shampoo, Bürsten und Decken, sind der kleinste Posten. Teurer wird es beim Futter, wenn man seinem Tier wirklich Gutes will und nicht minderwertigstes Futter zu Discounterpreisen in den Supermärkten holt - das hat was mit Gesundheit zu tun. Noch heftiger sieht es beim Tierarzt aus. Jährliche Grundimmunisierung und Gesundheitscheck sollten primitivste Selbstverständlichkeiten sein. Vorausgesetzt, man meint es ehrlich mit der laut artikulierten Liebe zum Tier. Wenn dann der Hund erkrankt, regelmäßige Behandlung benötigt, oder im Alter, wie wir Menschen, viele, oft sehr teure Medikamente einnehmen muss, dann ist Wer soll das bezahlen können! eine beliebte, verlogene Entschuldigung für Nichtbehandeln oder "Einschläfern". Flink wird Belastendes entsorgt und die Lücke mit neuer, jüngerer Bequemlichkeit aufgefüllt. Der Unverstand des Homo arrogantia macht auch nicht vor Leben halt.

Ich begann früh für meine Kleine Geld anzusparen - für eventuell erforderliche Operationen und Medizin. Das sollte sich als klug erweisen, denn später, viel später, im hohen Hundealter, war von Letzterem viel Teures notwendig und ich beobachtete sorgenvoll, wie sich die nicht geringe Summe beim Tierarzt und in der Apotheke auflöste. Nie könnte ich mir verzeihen, wenn ich nicht das Allerbeste versucht hätte!

Also, all diese Überlegungen teilte ich meiner Frau mit. Aber sie unterbrach irgendwann meine Bedenklichkeitsliste: Und, und, und! Du hast ja Recht, viel Geld kommt da in einem Hundeleben zusammen. Doch müssen ausgerechnet wir das diskutieren? Ich bin gerne bereit es auszugeben und trete selbst lieber kürzer. Außerdem soll es ja auch vorrangig mein Hündchen sein!

Mir ging es auch ganz sicher nicht um das Geld. Der Unterhalt für die Reptilien war hoch, nie machte ich dort Einschränkungen. Ich sah es nicht als Verzicht, mich für die Tiere einzuschränken und sagte: Ich wollte es nur erwähnt haben. Und zur Versöhnung: An welche Rasse hast du denn gedacht? Ich ahnte nämlich nichts Gutes bei den Gedanken daran, wie sie sich für eine Nachbarshündin begeisterte. Diese trug eine Ganzkörperbehaarung in Weiß, in stets strahlendem Schneeweiß. Wie die Tennissocken und T-Shirts ihrer Zweibeiner. Und das hieß schon etwas, das zeugte tatsächlich von Regsamkeit, bei den wechselnden Bodenverhältnissen gepaart mit Wetterunbilden in einem Zirkus! Chico, die immer Weiße mit der roten Schleife, welche das Kopfhaar bezwang und Chico den Blick auf Gegenwart und Umwelt ermöglichte. Naja, ein kleinwenig war das Band wohl auch modisches Styling. Wobei dies geradezu harmlos daherkam: damals waren in Belgien Basecaps, gar mit Sonnenbrille über dem Schirm, absoluter Modetrend und nicht wenige Hunde durften dieses Outfit tragen müssen! Also, Chico mit Schleife, sie wurde bei Regen zum "Geschäft-erledigen" ins Vorzelt des Chapiteaus getragen, damit kein Schmutz die weißen Pfötchen beleidigte oder sich gar in den cleanen Wohnwagen mogelte. Erstaunlich, wie sehr sich Wesen, auch Hunde, mit vorgelebter Einstellung zu arrangieren vermögen. Chico benahm sich ganz wie eine Diva, thronte auf ihrem Luxus-Liegestuhl mit der dicken, farblich auf ihr Fellchen abgestimmten Flauschauflage unter dem Vorzelt ihres Wohnwagens und legte null Wert auf Kontakt mit Hunden und Nebenmenschen oder auf einen selbstständigen Ausflug über ihren Kunstrasen hinaus. Bitte nicht so ein Schoßhündchen…

Ich denke an keine bestimmte Rasse. Es soll ein kleiner Hund sein. Mit viel wuscheligem Fell. Weißem Fell.

Da, es durchzuckte mich! Meine Befürchtungen hatten ins Schwarze getroffen, schwärzer ging nicht. Die Vernetzungen in meinem Hauptspeicher glühten auf vom Grübeln, um einen Ausweg aus dem Schlamassel zu finden. Da musste doch was zu machen sein!

Ja, und ich möchte unbedingt ein Mädchen haben, wurde meine Schockstarre unterbrochen. Sie sind standorttreuer und anhänglicher.

Hier stimmte ich zu. Eine Hündin zieht ihre Kreise nicht so weit wie ein Rüde. Sie bleibt eher im Wohnwagenbereich und das ist viel sicherer. Auf dem Zirkusgelände lauern viele Gefahren, ganz zu schweigen von dem oft starken Verkehr ringsherum in einer großen Stadt. Auch der ständige Ortswechsel stellt eine Herausforderung dar. Mit der "Anhänglichkeit" verhält es sich hingegen ähnlich, wie mit der Zeit. Sie ist relativ und neigt gerne zum gegenpoligen Geschlecht des Zweibeiners und in absolutem Egoismus zu demjenigen, welcher bei Spiel und Abenteuer mehr Freiheiten erlaubt. Ich dürfte damit nicht die schlechteste Position beziehen...

Ein Hundemädchen also. Das ist schön. Hast du auch bereits einen Namen?

Nein, ich hoffte dir würde da etwas Besonderes einfallen. Du hast auch allen Reptilien tolle Namen gegeben.

Mein Beitrag des Planes. Eine schöne Aufgabe. Wirklich, es freute mich. Ich wollte gründlich überlegen. Bei den Reptilien war das einfach. Unsere Show präsentierten wir im Stil der Inka, da boten sich indianische Namen an. Exotisch genug, hier in Europa. Bei einem Hund fiel mir das schwerer. All diese einfallslosen und üblichen Namen, solche, bei deren Rufen gleich einige Vierbeiner herbeilaufen, obgleich man nur seinen eigenen Hund gemeint hat, solche schloss ich völlig aus. Ich machte es mir nicht leicht, bei allen möglichen Gelegenheiten schwirrten mir ganze Namens-Ranglisten im Kopf herum. Vorhandene wurden gelöscht, neue zugefügt. Dann endlich hatte ich ihn! Eines Tages zählte ich meiner Frau stolz einige Namen auf und fügte wohlbetont meinen absoluten Favoriten ein: Tiffany.

Tiffany? Tiffany. Ja, der klingt wirklich schön! Unser Hundemädchen wird Tiffany heißen! antwortete sie begeistert, ohne viel zu überlegen.

Damit gab es einen Namen und wir kauften für die unbekannte Tiffany Spielsachen, Schüsseln und Futter. Körbchen, Halsband und Leine wollten wir zusammen mit dem Welpen holen. Damit war alles bereit für diejenige, um welche sich die ganze Aufregung drehte. Bereit für den Einzug eines neuen Familienmitgliedes! Die Vorbereitungen und Einkäufe bereiteten uns viel Freude und wir waren ganz kribbelig auf einen kleinen Hund.

Viele Kurzstädte ließen uns aber keine Zeit und verzögerten den Hundekauf. Dann, endlich, an einem Tag im Mai war es soweit! Wir fuhren über einhundert Kilometer in eine größere Stadt. Damals fanden in Belgien jeden Sonntag Tiermärkte statt. Alle möglichen Tiere gab es dort, selbst Reptilien, Zierfische, Papageien, Kleinaffen und andere Exoten. Die Verführungen zu einem unüberlegten Kauf waren riesig und über das Schicksal so mancher gehandelten Seele mag ich nicht tiefgründig nachdenken. Ich hoffe vom Herzen, es möge diese Märkte nicht mehr geben. Was nicht bedeutet, das ein vereinsmäßig organisierter Züchter unbedingt besser sein mag, da klingelt unter der Tarnkappe "Freude an den Tieren" gern die Kasse arg zu laut. Aber unsere damalige Entscheidung, auf einem dieser undurchsichtigen Tiermärkte zu kaufen, ist sicherlich in Frage zu stellen. Wir dachten nicht nach und wir hätten auch nie vermutet, was im Hintergrund Tieren alles angetan wird, um Geld zu machen. Wir waren naiv, weil: jeder kaufte dort, also war es „normal“. Trotz der Bitternis über die Umstände des Handels mit Tieren muss ich eingestehen, das auch in mir ein Egoist wohnt: Nur so traf ich Tiffany!

Als wir über den Markt schlenderten, trug ich bei all den angebotenen Tieren viele schmerzende Gedanken mit. Ich konnte mich nicht an den Tierkindern erfreuen. Wünschte nur, wir würden bald wieder abfahren, um dies hier nicht mehr zu sehen. Meine Frau empfand ähnlich und wir durcheilten die unendlichen Reihen mit Hundewelpen auf der Suche nach einem weißen Fell, versteckt in der Masse. Erfolglos. Es gab solche Mengen an Rassehunden und Mischlingen, doch einen kleinen Hund mit wuscheligem, weißem Fell, den fanden wir nicht.

Pass auf schlug ich vor wir setzen uns ins Auto und fahren schnell in eine andere Stadt. Bis zur Veranstaltung bleibt uns noch etwas Zeit.

Also fanden wir uns bald in einem weiteren Ort wieder, dank der Größe Belgiens und dem erstaunlichen Eifer seiner Einwohner ihr Land gründlich mit Straßen zuzubetonieren keine übermäßige Herausforderung. Wir durchstreiften erneut das gleiche Elend eines Tiermarktes und hielten nach dem weißen Wunschkind Ausschau. Auch hier gab es in Körben, Kisten, Käfigen und Kartons fast alles was bellen konnte. Angesicht des Angebotes fragte ich mich, woher nur diese vielen kleinen Wesen kommen und wer sie alle kaufen soll. Und was wird mit denen, welche keine Familie finden und zu groß, zu unattraktiv für den Verkauf werden, weil nicht mehr niedlicher Welpe irgendwann...? Wir blieben wieder erfolglos, weiße Hundekinder entdeckten wir nur andeutungsweise als Huskys. Damit endete der geplante Kauftag und hinterließ bei mir bis heute fest eingebrannte traurige Bilder. Wir schwiegen bei der Rückfahrt und waren enttäuscht, ohne Welpen nachhause zu fahren.

Es sollte so sein! Das Schicksal hielt Besonderes bereit. Zufall? Nein. Nein, ganz sicher nicht.

Die an folgenden Sonntagen vom Zirkus gegebenen zusätzlichen Matineen verhinderten Fahrten zu Märkten. Ich erinnere mich, wie meine Frau einmal weinend vor den ausgebreiteten Spielsachen, Futter und Naschereien hockte. Sie hatte sich sehr auf ein Hundekind gefreut. Doch vorerst hieß es sich in Geduld zu üben bis die, von allen Zirkusleuten ungeliebten, Vormittags-Vorstellungen ausliefen.

Anfang Juli war es soweit! Wir stiegen ins Auto und fuhren nach Brüssel-Anderlecht. Unterwegs erklärte mir meine Frau, sie hat sich für einen Hund entschieden. So wie der bei den Nachbarn soll er sein. Wie Chico mit Schleife. Na, da haben wir`s doch! Ich ahnte es ja längst und fand diesen Vierbeiner auch drollig, aber ein wenig mehr "richtiger" Hund wäre mir deutlich lieber. Dafür wollte ich auch nun, sozusagen in letzter Minute, mein Möglichstes tun. Gleich, ob Hündchen meiner Frau...

Befürchtet hatte ich es, aber der Markt in Brüssel übertraf meine schlimmsten Erwartungen. Ein riesiges Gelände auf einem ehemaligen Schlachthof! Und wenn man bei dem Elend etwas positiv sehen wollte, dann, das sich hier die überdachten Areale nach Tierarten unterteilten. Ganz Belgien schien an jenem Morgen zur Besichtigung auf diesen Markt zu strömen. Es herrschte ein unglaubliches Gedrängel, wir mussten kämpfen, um uns in den Menschenmassen nicht aus den Augen zu verlieren. Eine weitere Herausforderung war, überhaupt in Kisten und sonstigen Behältnisse blicken zu können. Im Eiltempo ging gar nichts. Überall wurden Hundebabys auf Armen gehalten, weitergereicht, zurückgegeben. Gestreichelt, begrabscht, befummelt. Händler versuchten, Kindern und Frauen Welpen in die Arme zu legen und dadurch Geschäft zu machen. Erst mal so ein kleines Wesen auf dem Arm, da ist es schwer mit der Vernunft. Über der Szene lag, verstärkt durch die verrosteten Wellblechdächer der Stände, eine unfassbare Lärmkulisse aus Händlergeschrei, Kindergeplärre und Gebelle. Ein Wirklichkeit gewordener Alptraum, der Vorhof zur Hölle! Wenn für Menschen beklemmend, wie mussten erst die Tierkinder, plötzlich ohne Mama, empfinden? Eigentlich wollte ich am liebsten nur wieder fort, doch ich schob mich tapfer mühevoll hinter meiner Frau von Reihe zu Reihe weiter, ständig entgegen gehaltene Hundekinder abweisend. Bloß dabei den Welpen nicht in die erwartungsvollen großen Augen sehen, nur das nicht! Mehrfach blieb meine Frau bei Mischlingswelpen stehen, sie schien bereit zu Kompromissen bezüglich der Grundfarbe, aber den Beteuerungen der Händler, die Elterntiere seien auch "ganz klein" wollte selbst sie nicht trauen. Schließlich standen wir am Ausgang und auch sie wollte nun entnervt und enttäuscht: Endlich nachhause fahren. An einer Kiste war meine Frau mehrfach vorüber gegangen, obwohl da drei kleine Hunde mit weißem Fell herumwuselten. Auf meine Frage, warum sie denn diese Winzlinge nicht in Erwägung ziehe, antwortete sie, die Kleinen mit dem kräftigen Körperbau für eine große Rasse gehalten zu haben. Nein, das waren sie nicht! Ich ging mit ihr zu einem Zubehörstand und zeigte einen Aufkleber mit einem erwachsenen Hund dieser Rasse. Doch, der gefiel ihr, zögerlich, weil Die werden wirklich nicht größer? Sie misstraute mir, hatte mich wegen des von ihr favorisierten Chico-Doubles längst durchschaut. Ich entdeckte ein Poster am Nebenstand. Davor standen wir nun. Ja, dieser Hund gefiel ihr, auch ohne dem gewünschten Wuschelfell. Dafür aber mit keck nach oben stehenden Pinsel und spitzen Ohren. Westhighland White Terrier. Und wir hatten den Segen diese Rasse für uns zu entdecken, bevor sie der Werbung und dem Unverstand der Menschen sei Dank, zum überzüchteten Modehund wurde, mit allen damit verbundenen Krankheiten und Leiden für Körper und Seele.

Wir schoben uns zurück und rangierten zielsicher durch Menschenschlangen dicht heran an die Holzkiste mit den hohen Wänden. Zwei der kleinen Gesellen hüpften wie Gummibälle daran empor, den vielen hereingehaltenen Händen entgegen, um Liebkosungen zu erheischen. Ein dritter Zwerg kauerte in eine hintere Ecke gezwängt und beobachtete das wilde Treiben vor sich nur müde, mit ängstlich gesenktem Köpfchen, das Näschen auf den Boden gepresst, völlig unbeeindruckt von der überquellenden Lebensfreude der Geschwister. Nun, dieser Welpe war das einzige Mädchen. Kaum Interesse bekundet, griff der Händler das kleine Ding, drehte es wie ein Stoffwesen, zeigte das pralle Bäuchlein, die klaren Augen, die Zähnchen und die Haut unter dem Fellchen. Mich schaudert noch heute bei der Erinnerung daran, wie ich versuchte meiner Frau den Kauf auszureden, weil sich die Kleine im krassen Gegensatz zu ihren Brüdern so ruhig verhielt. Womöglich sei sie krank. Doch, meine Frau hatte sie bereits in den Arm gelegt bekommen, strahlte vor Glück, knuddelte sie und war für nichts in der Welt bereit sie wieder herzugeben. Sie verschloss sich gegen meine Einwände und verbarg das Hundekind unter der extra angezogenen Strickjacke, so dass nur eben das Köpfchen hervorragte. Welch unbeschreibliches Glück! Schicksale entscheiden sich in Sekunden. Was wäre mir in diesem Leben entgangen! Also, entschieden: die oder keine! Die weiße Zwergin aus Flandern war kräftig und wir hofften, ihre Zurückhaltung, auch auf dem Arm, würde nur von dem tosenden Lärm und der beängstigen Unruhe ringsherum kommen. Da lagen wir richtig. Erst im hohen Alter erkrankte dieses kleine Wesen zum ersten Mal und wurde immerhin neunzehn Jahre und neun Monate alt.

So, der ersehnte Augenblick. Wir erhielten eine kleine Terrierin mit Impfpass, kauften hektisch an einem Zubehörstand das passende Körbchen nebst Leine und Halsband und hasteten zum Auto. Das Hündchen ließ alles mit sich geschehen, hielt einfach nur still und schützend halb unter die Jacke gesteckt, trug meine Frau es glücklich und sichtlich stolz hinfort, weg von diesem schrecklichen Ort.

Unterwegs, im Gehen, wir konnten ja nicht stehen bleiben, mussten eilen, um all das gerade Erlebte weiter und weiter hinter uns zu lassen, und womöglich wollte uns jemand dieses, unser, Hündchen streitig machen, also, so in der Hast musste ich die Kleine unbedingt zärtlich streicheln. Bis heute erinnere ich mich ganz klar und deutlich, wie sie mich mit ihren großen braunen Augen lange tief und fragend ansah. Deutlich war in ihnen zu lesen: wer seid ihr, wohin werde ich gebracht und was geschieht mit mir? Ich vergesse diese Minuten niemals, niemals diesen ersten Kontakt. Zutiefst rührte mich ihr Blick, während ich das raue kurze Terrier-Fellchen kraulte. Ich sagte damals: Hey, Kleines. Du bist jetzt unser Hundchen und du wirst es immer so gut wie nur möglich bei uns haben. Viele, viele Abenteuer wirst du erleben. Wir geben dich nicht mehr her. Und wir werden dich sehr, sehr lieb haben! Willkommen zuhause, Welpe Tiffany.

Ja, für mich war es die sagenhafte Liebe auf dem ersten Blick. Ich spürte: Tiffany ist etwas ganz besonderes, eine außergewöhnliche Seele lebt in dieser kleinen, wunderschönen Hündin. Ich irrte mich nicht, an jenem Sonntagvormittag in Brüssel.

Während der einstündigen Rückfahrt hütete meine Frau den erworbenen Schatz weiterhin unter der Jacke. Tiffany bewegte sich überhaupt nicht. Vielleicht ängstigte sie sich, vielleicht fühlte sie sich nach dem furchtbaren Stress auf dem Hundemarkt aber auch, so angekuschelt, geborgen. Da saß sie und blickte regelmäßig wechselnd meiner Frau und mir lange in die Augen. Was mochte in ihrem Köpfchen vorgegangen sein?

Endlich im Zirkus, legte ihr meine Frau das Halsband um und setzte sie ins Körbchen. Ein wenig verloren wirkte sie da und ich machte das erste Foto von ihr allein. Wir hockten uns auf den Rasen und freuten uns über das neue Familienmitglied. Wenig später hielt meine Frau dem Hundekind die gefüllte Futterschüssel unters schwarze Näschen. Tiffany schnupperte zaghaft, hatte sogleich Appetit und stolperte aus dem Körbchen der angebotenen Mahlzeit hinterher. Sie leerte die Schüssel ohne aufzusehen, langsam und gründlich. Danach kletterte sie von allein zurück ins neue Lager. Von dort betrachtete sie sitzend die vor ihr liegende fremde Welt und uns Gaffer. Und dann musste sie, fast wie auf dem Markt, sich erneut begutachten lassen. Nur viel entspannter, in Ruhe. Es sprach sich schnell herum, dass wir endlich ein Hündchen mitgebracht hatten und nun wollte es fast der ganze Zirkus sehen und begrüßen. Der Great Belgium Circus war, wie der Name erahnen lässt, ein großer Zirkus... Wir saßen unter dem Vordach des Caravans, es war schönstes Sommerwetter und für Tiffany gab es so viel zu sehen. Irgendwann blinzelte sie müde, biss ein wenig auf ihrer Quietschmaus herum, zaghaft, selbstvergessen und still. Während wir sie beobachteten, mit hochschlagenden Herzen, schlief sie ein, über all der Fülle von Erlebnissen und Aufregungen der vergangenen Stunden. Das gefüllte Bäuchlein mag auch seinen Teil beigetragen haben. Vorsichtig stellten wir Körbchen mitsamt dem hiervon unbeeindruckten Inhalt in den Wohnwagen.

Viel zusätzliche Aufregung und Verantwortung zog mit der kleinen Weggefährtin ein, welche genau wie wir, Freude und Leid empfand und einfach nur Liebe und Geborgenheit im Leben suchte.

Sie war angekommen in meinem Leben. Im Frühsommer 1991.

Hundemädchen Tiffany.

Wenn die bunten Wagen in die Stadt rollen,

wenn das riesige Chapiteau aufgezogen wird,

wenn die farbigen Leuchtbuchstaben

aufflammend seinen Namen verkünden,

hat sie uns wieder,

die unvergleichliche Atmosphäre des Zirkus.

Schmetternde Musik, tänzelnde Pferde,

kühne Akrobaten, ulkige Clowns,

fauchende und brüllende Raubkatzen,

die grauen Kolosse der Elefanten,

aufwirbelndes Sägemehl und jener Geruch,

der nirgendwo sonst die Nasenflügel beben macht.

Faszination Manege!

Günther & Winkler, Zirkusgeschichte

Die Weite dieser Welt

Fremde - Welpen-Tage - Entdeckungen & Erkenntnisse - Wirbelwind Cassy - Hundegang - Rampensau - Great Belgium Circus

Nach der Spätvorstellung, am Abend des ersten Tages unserer neuen Zeitrechnung, staunten wir Zweibeiner nicht wenig über die Selbstverständlichkeit, mit welcher Tiffany, als es ihr nicht mehr gelang die Müdigkeit zu verdrängen und das Köpfchen immer wieder ab nickte, in das Körbchen kraxelte und sich zusammenrollte als wäre es nie anders gewesen. Es war ihre erste Nacht bei uns, in der Noch-Fremde und wir rechneten damit, dass sie die Geborgenheit ihrer Geschwister und Mama vermissen würde. Doch die vielen, vielen Geschehnisse, welche über sie hereingebrochen waren, so erbarmungslos, an jenem entscheidenden Tag in ihrem jungen Leben, sie ließen Tiffany die Nacht fest durchschlafen. Wir hingegen blieben lange im Bett wach, tuschelten begeistert nur über die Kleine und beobachteten das schlafende Hundebaby, wie es tief in das Kissen eingekuschelt ruhig atmete. Wir konnten kaum realisieren, dass dieses wunderschöne Wesen nun zu uns gehörte und wir waren sehr glücklich.

Heute, viele Endlichkeiten später, erinnere ich mich genau an das wohlige Gefühl dieser Nacht mit dem weiß befellten Fremdling, spüre ich meine Erregung, wie in Kinderzeiten vor der weihnachtlichen Bescherung in freudiger Erwartung auf das Kommende.

Wir erwachten von einem fremden Geräusch im Wohnwagen. Vorsichtig blickten wir auf. Dort unten tapste ein kleiner Welpe herum und hielt prüfend überall sein schwarzes Näschen ran. Wir verhielten uns so ruhig als möglich, um lächelnd und aufgeregt zu beobachten, wie Tiffany vorsichtig das Unbekannte erkundete. Aber ein leises Rascheln der Bettdecke reichte dann aus, um ihre Entdeckungstour prompt abzubrechen. Sie stutzte, forschte nach dem Ursprung der Bewegungen, trippelte herbei und blickte zu uns empor. Meine Frau sprach sie an, der Kobold jedoch zeigte keinerlei Reaktionen. Kein Wackeln mit dem steil stehenden Pinselchen, kein Laut, nur interessiertes Beobachten mit braunen Knopfaugen. Schließlich kam sie näher und meine Frau hob sie zu uns hoch. Wir streichelten die Kleine und redeten freundlich auf sie ein. Tiffany sah uns dabei wieder mit tiefen Blicken in die Augen und ließ die Streicheleinheiten still und geduldig über sich ergehen. So begann der erste gemeinsame Morgen.

Tage kommen und gehen schnell auf einer Zirkus-Tournee. Es gibt reichlich Arbeit während des Reisens von Stadt zu Stadt, mit den üblichen zwei Gastspielorten in der Woche. Es ist ein ständiges Ein- und Ausräumen. Dazu die täglichen Shows und die Betreuung der Tiere, da bleibt nicht viel Freizeit. Für uns war die kleine Terrierin Tiffany zum Mittelpunkt des Lebens geworden. Deshalb mussten unsere "alten" Pfleglinge und Showpartner nicht zurückstehen, auch sie forderten ihre Zeit, aber zugegeben, ich beeilte mich schon mit den Reinigungsarbeiten, um schneller wieder bei Tiffany zu sein. Zusätzlichen Stress verursachte unsere Tierschau im Reptilienwagen. Wir mussten bereit sein, wenn interessierte Besucher am Caravan klopften. Oft war das ein Kommen und Gehen und man kam nicht zur Ruhe. Es brachte jedoch zusätzliche Einnahmen, auf welche wir nicht verzichten wollten und konnten.

Tiffany ahnte nichts von den Krokodilen und Riesenschlangen im Spezialhänger in ihrer unmittelbaren Wohnnähe. Woher auch? Wie sollte ein Hundekind, welches so frisch wie sie auf der Welt war, ahnen was alles an merkwürdigen anderen Lebewesen existiert! Erstmal gab`s ja hinreichend Neues allein im Sichtbereich. Bei einer unheimlichen Situation zog sie sich flink ins Körbchen zurück. Auch, wenn ob der Fülle von Ereignissen die Müdigkeit Tiffany besiegte, kletterte sie in ihr Nestchen, um zu schlafen und Kraft zu tanken für noch mehr einstürmendes Neues. Der Korb mit dem Kuschelkissen bildete einen Fixpunkt in dem plötzlich riesigen Dasein. Das war ihr kleines, sicheres Reich. Auch wenn sie ja nun alleine in diesem Nestchen lag, ohne Wärme und Nähe von Geschwistern und Mama, es erinnerte an jene beruhigende Geborgenheit und sie übertrug dieses Gefühl in das neue Leben und war überzeugt, das ihr hier niemand etwas würde antun dürfen. Später entdeckte sie, wie hervorragend er sich zum Bunkern von Schätzen, wie Spielzeug, Naschereien oder Knochen, eignet. Dieses Körbchen aus Welpentagen blieb viele Jahre ihr Besitz. Zugegeben, es war dann ein wenig gekennzeichnet von versunkenen Zeiten, weil hier und dort angeknabbert, aber für ein Nickerchen zwischendurch war das ziemlich bedeutungslos. Dann zog Tiffany die gemütliche Sitzecke an meiner Seite vor und das Körbchen nutzte sie ausschließlich zum Einlagern wertvollen Eigentumes. Irgendwann war es auch dafür nicht mehr gut genug, denn die Hundeschätze ließen sich weit sicherer hinter Kissen und Polster der Sitzecke oder im großen gemeinsamen Bett horten. Da waren die Versteckmöglichkeiten unendlich vielfältiger und ich hatte öfter unerwartete Begegnungen beim zu Bett gehen. Weil es seine einstige Bedeutung als Mittelpunkt der Terrier-Welt vollständig verlor, trennten wir uns schließlich davon und ein Hündchen von Bekannten wurde darin groß.

Vorerst war daran natürlich nicht zu denken!

Von morgens bis abends saß Tiffany unter dem Vordach oder, weit lieber, im Eingang des Wohnwagens. Dort saß sie höher und somit war die Übersicht entschieden besser. Sie spielte ruhig und schüchtern mit uns und dem Ball oder der Quietschmaus, aber sie wusste sich auch ganz allein mit dem Spielzeug zu beschäftigen oder hingebungsvoll mit simplen, wippenden Grashalmen. Höhepunkte stellten unangefochten die Mahlzeiten dar, drei am Tag in den Welpen-Monaten. Die Kleine fiel über den Futternapf her, als wäre sie in ihrer Geschwistergemeinschaft stets zu kurz gekommen - wogegen allerdings ihr Babyspeck sprach.

Kaum das Tiffany sich an den Anblick der Wiese unmittelbar vor ihrem Körbchen gewöhnt hatte, folgte eine neue, wichtige Lektion. Am Abbautag veränderte sich die Kulisse vorm Caravan dramatisch. Wagen verschwanden, das Chapiteau schrumpfte, war schließlich einfach abgetaucht, und der Horizont weiter. Wir räumten unsere Wagen ein und spät abends setzten wir in die nächste Stadt um. Nichts mit Schlafen… Tiffany reiste bei meiner Frau im Kleinbus auf dem Beifahrersitz in ihrem Körbchen mit. Welche Aufregung! Zirkus ist ganz schön stressig für ein junges Hundekind. Schließlich war man nicht einmal vier Monate alt und was sich in den vergangenen Tagen bei uns zugetragen hatte, das gab es in der ganzen Zeit davor nicht. So schlief Tiffany erneut tief und fest und später, am Ziel angekommen, mit Körbchen im Wohnwagen. Die Umsetzungen in neue Städte lernte sie zu lieben, ebenso ihre Autos. Neue Plätze bedeuteten dann stets Abenteuer und viel Arbeit für eine Hundenase!

Von Tag zu Tag dehnte die Zwergin die Erkundungen ihrer Welt aus. Dabei kreiste sie vorerst unmittelbar im Wohnbereich und schob nur ab und an den Kopf unter dem Vorzelt hindurch. Wegen der Neugier. Und des Rundumblickes. Aber, nur den Kopf! Der größere Rest verblieb in bekannter Geborgenheit. Auf Sicherheit war sie von ganz alleine bedacht! Das blieb ihr Leben lang unverändert und machte den Umgang mit ihr so einfach. Auch wanderte Tiffany jetzt gerne unter dem Caravan entlang, um derart getarnt und gesichert mal einen Blick von die vierte Seite der Umgebung zu erheischen. Wir behielten sie dabei im Auge, oft genug auf dem Bauch liegend, denn wir wussten ja nicht, wie sie auf dies oder jenes reagieren würde. Gefahren lauerten für einen unerfahrenen Welpen überall.

Schon nach wenigen Tagen verstand die Kleine, mit Hilfe von Leckerbissen, dass mit Tiffany eben sie gemeint ist. Und das man etwas will von ihr, wenn man den Namen rief. Es war dann gut zu kommen, weil irgendein Ereignis anstand, wie Spielen, Bürsten, oder gar Naschen. Sie lernte auch allein im Wohnwagen zu sein, wenn wir an die Vorbereitungen oder in die Show mussten. Das war immer nur kurz und damit Kleinigkeit für Tiffany, aber eine Regelmäßigkeit im Tagesablauf. Bald freute sie sich ausgelassen, wenn wir wieder da waren und sie mit Naschen belohnten, lobten und knuddelten. Ganz wild entwickelte sich jedoch die morgendliche Begrüßung nach dem Aufwachen, da hatten wir uns doch solange nicht gesehen! Dazu durfte sie aufs Bett, wurde geliebkost und es folgte ein ausgelassenes Toben in Decken und Kissen. Ich stieg schnell zu Tiffanys Favoriten auf - bei mir durfte sie gröber sein, sich auch mal vergessen, in Polster, Bettzeug und mich beißen. Ihre spitzen Welpenzähnchen waren schmerzhaft. Ich trug an Händen und Armen Kratzer. Mehrfach „verzierte“ sie gar meine Nase und die Kollegen dachten, warum auch immer, ich wäre von einer unserer Schlangen gebissen worden. Ging es mit der weißen Zwergin richtig durch, ermahnte ich sie und so lernte sie wieder und ihre Grenzen kennen. Die hatte auch das Spielen, denn als wir es einmal zu lange ausdehnten, das wilde Gerangel im Bett, da konnte die kleine Blase dem Druck nicht wiederstehen und wir das Hundekind nicht schnell genug auf den Fußboden setzen. Damit lernten auch wir: nicht zu lange ausreizen, das bringt Ärger und Arbeit. Tiffany bemerkte wohl, dass da was nicht ganz richtig war und verhielt sich ruhig abwartend. Wir selbstverständlich trugen dafür die Verantwortung. Und wir streichelten sie um zu zeigen: alles in Ordnung, kleiner Hund, alles ist in Ordnung.

An einem Vormittag entdeckte Tiffany, bei einer heimlichen Beobachtungsaktion unterm Caravan hervor, da, gleich nebenan, etwas Wunderbares: ein anderes Hundekind! Welche Freude! Die Yorkshire-Hündin war bereits einige Wochen vorher, auch von einem Tiermarkt, in den Zirkus gekommen. Cassy war geradezu winzig, unglaublich quirlig, doch selbstsicher und sie kannte schon Alles und Jeden im nahen Umfeld. Cassy zeigte Neuankömmling Tiffany jetzt die ihr bekannte Welt. Die beiden balgten und spielten Greifen mit einer Hingabe, das wir und Zuschauer uns fragten, woher diese kleinen Hunde so viel Power nehmen. Cassy besaß knapp die Hälfte von Tiffanys Statur und unterlag damit stets beim Ringkampf. Dafür aber raste sie voller Lebensfreude mit fliegenden Haaren wie ein Staubwedel in Kreisen über die Wiese, unter Wagen hindurch und um Tiffany herum, das diese immer Anschluss und Überblick verlor. So sehr sie auch ihre Beinchen bemühte, dazu mit ausgestrecktem Hals, angeklappten Ohren - wegen der Windschnittigkeit - und mit abgebogenen Schwänzchen vor Anstrengung, Sprinterin Cassy war nicht einzuholen. Mit Glück und Zufall trafen sie an Schnittpunkten ihrer Kreise aufeinander und nun wurde erneut gebalgt, da bekam unsere Kleine ihr Erfolgserlebnis. Selbst beim wildesten Toben stoppte Tiffany öfter, zögerte, sah sich um, kontrollierte wo sie sich befand und suchte mit Blicken wenigstens einen von uns und hielt Sichtkontakt. Das war typisch Tiffany und so blieb es in ihrem ganzen Leben. Ich denke, es waren sehr glückliche Zeiten für Tiffany und Cassy. Wilde Spielkameraden für eine Saison, bis sich danach die Wege auf Grund unterschiedlicher Engagements trennten. Das Yorkshire-Mädchen wurde nicht alt. Sie verunfallte schon wenige Jahre darauf. Angeleint auf der Veranda ihres Wohnwagens, hatte sich die Leine eingedreht und verhakt und als Cassy beim selbstvergessenen Spielen hinunterfiel, war die Leine nicht lang genug um mit den Beinchen den Boden zu erreichen. Es lief eine Zirkusveranstaltung und niemand bemerkte das schreckliche Unglück rechtzeitig. Ich habe dich nie vergessen, Cassy.

Mit der Horizonterweiterung dank Wirbelwind Cassy verließ Tiffany jetzt auch allein die Sicherheitszone ihres Wohnwagens und sie kannte sich schnell perfekt aus in dem Zirkusbereich zwischen unseren Wagen und denen der, auf jedem Platz gleichen, Nachbarn. Damit entdeckte sie auch die auf ihrem Liegestuhl unter dem Baldachin thronende Diva Chico. Diese war weit älter, pingelig gegenüber unnötigen Pfotenwegen und da sie zudem häufig getragen wurde, hatte Tiffany sie vorher nicht wahrgenommen. Jetzt freute sich die kleine Forscherin ausgelassen zu der Feststellung, dass eine weitere Artgenossin in der Nähe wohnt. Tiffany flitzte um den Liegestuhl, sprang mit den Vorderbeinchen hoch und tanzte auf den Hinterbeinen, um auf sich aufmerksam zu machen und um mehr erkennen zu können von der liegenden Dame. Aber Chico legte keinen Wert auf Kontakt zu dem jungen Hüpfer und zeigte es durch missmutiges Knurren und Aufbellen. Tiffany und Cassy konnten sich in ihren Versuchen um Sympathie noch so abrackern, Chico blieb hart. Niemals biss sie nach den Zweien, doch für wildes Geflitze und Gerangel war sie zu alt. Sie wies die Unbändigen manchmal lautstark deutlich in die Schranken, und ein junges Hündchen muss lernen wo diese sind, aber zumeist erduldete sie die freundlichen Kontaktversuche durch Nichtbeachtung. Tiffany mochte Chico trotzdem offensichtlich sehr, besuchte sie immer wieder, auch einfach zum Hallo-Sagen. Ihre Zuneigung fand keine Erwiderung, der Altersunterschied stellte eine Barrikade. Ob Tiffany Erinnerungen an Chico in sich trug, als sie dann, im gleichen Alter wie Chico, ebenfalls mürrisch junge Artgenossen abwies?

Tiffany lebte jetzt einige Wochen mit uns und jagte jeden Morgen im Bett herum. Sprachen wir sie an, hüpfte sie an uns mit wild wackelndem Schwänzchen und leuchtenden Augen empor. Sie sauste und balgte sich mit Cassy, aber: sie gab nicht einen Laut von sich. Kein Bellen, kein Knurren oder Winseln, nichts. Sonst hatte sie sich gut entwickelt, war gewachsen, kräftig und ausdauernd. Und obgleich ihres zurückhaltenden Wesens, trug sie einen unbändigen Entdeckerdrang in sich. Kollegen wunderten sich bereits länger über Tiffanys Schweigsamkeit und schürten damit unsere Sorgen. Immer wieder forderte ich sie heraus beim Spiel in der Hoffnung auf, bitte, einen Laut. Ohne Erfolg. Tiffany blieb stumm und wir fanden uns, bedauernd, irgendwie damit ab. Aber dann! Etwa fünf Wochen nach ihrer Ankunft in unserem Leben, da brachten wir ihr wie immer aus der Tierabteilung des Supermarktes eine Überraschung mit. Diesmal ein weiteres Spielzeug: eine halbaufgerichtete rote Raupe, mit angebissenem Blatt in den Händen und genüsslichem Grinsen auf den dicken Backen. Tiffany durfte die Einkaufstaschen gleich im Auto nach Mitbringsel durchsuchen und das tat sie rabiat gründlich! Gefährdete Dinge galt es vorher auszusortieren, sollten sie nicht vom Terrier geplündert oder verschlungen werden. Das schnell gefundene, niedliche Spielzeug entzückte die kleine Tiffany dermaßen, dass sie vor Begeisterung aufbellte. Einmal, ganz kurz. Wir glaubten unseren Ohren nicht zu trauen, so überraschend kam es. Wir sahen uns fragend an und lachten! Sie hat gebellt, ja das war sie, wirklich! Dann schwenkten, wedelten und quälten wir die Raupe, bis selbst dem geduldigen Gummiwesen die Puste ausging und das Quieken heiser wurde. Tiffany war hingerissen und vollführte einen nicht enden wollenden Freudentanz auf vier und zwei Beinen. Aber ihr ein weiteres Bellen, wenigstens einen kurzen, gern auch leisen Laut, zu entlocken gelang nicht. Ja, dann erhielt sie ihre Raupe eben so. Sie wetzte mit der Neuerwerbung unter den Caravan und ließ dort, stellvertretend für sich, das wundervolle Spielzeug ertönen. In uns keimte aber die Hoffnung, das Tiffany doch einmal richtig bellt. Tat sie dann auch bald und manchmal gar zu viel des Guten und dann mussten wir ermahnen die vorwitzige, freche Schnauze zu halten. So ist das eben.

Die Raupe blieb Tiffanys wertvollstes Spielzeug bis zu ihrem Fortgang. Dann ging es in meinen Besitz über und ist mir ebenso wertvoll, wie der Kleinen früher. Gebrauchsspuren erinnern mich, das da oft Zähnchen eines geliebten Wesens tätig waren.

Die Selbstsicherheit der jungen Hündin wuchs. Die Welpentage nach ihrer Geburt, geborgen mit den Geschwistern bei der Mama, waren in ihrer Erinnerung geblieben, doch die unbändige Lust aufs Leben und die täglich so vielen Abenteuer verdrängten diese Zeit in ein hinteres Kästchen, verschlossen im Gedächtnis. Die Last der schlimmen Erlebnisse der Hundemarkttage und sicher auch der unerwarteten, einschneidenden Veränderung in ihrem Leben, urplötzlich ganz allein in der Fremde zu sein, diese Last schien sie abgeworfen zu haben. Wir bemühten uns sehr um sie, versuchten Tiffany das Neue leichter zu machen und boten die Geborgenheit und Liebe einer Familie. Anders sicher, als jene des verlorengegangenen Nestes, aber nicht minder intensiv.

Vielleicht dachte sie in ruhigen Momenten zurück, vielleicht wurde die frühe Welpenzeit in ihren Träumen lebendig, wenn sie mit den Beinchen trappelte, den Ohren und dem Schwänzchen wackelte und dabei fiepte. Wer weiß, wo sie dann war? Es ist typisch menschlich überheblich, dies grundsätzlich bei Mitgeschöpfen zu verleugnen. Der Zweibeiner spekuliert mal gerade erst ziemlich wirr über die Psyche seiner Art, wie kann er sich da anmaßen über andere Wesen zu urteilen?

Tiffany wusste inzwischen was genau zu ihrem Zuhause gehörte, welche Bereiche und Fahrzeuge. Nun strolchte sie gerne in diesem erweiterten Bereich herum, um bei einer für sie nicht abschätzbaren und somit unheimlichen Begegnung, mit flinken Füßchen, hängendem Pinsel und anliegenden Ohren sofort wieder in der Sicherheit des Caravan-Vorzeltes oder unserer Nähe einzutauchen. Stubenrein, oder treffender, wohnwagenrein wurde sie blitzschnell von ganz allein. Sicher wurde das erleichtert durch die vielen Aufenthalte im Freien. Das fand sie toll, hier war so viel los! Der Zirkus baute auf und ab, Leute liefen hin und her, Autos rangierten. Direkt vor uns, gleich dort wo Cassy wohnte, lebten vier Braunbären. Gab das ein Getöse im Käfigwagen, wenn die sich balgten oder ihr Futter erhielten! Daneben trabten Pferde zur Probe ins Chapiteau. Und erst die vielen anderen Zirkushunde, alle viel größer als sie oder gar Hänfling Cassy, die vorbeizogen und sie meist freundlich begrüßten! Sensationell, wenn ein paar von denen sich wieder mal prügelten, um einen aus einem Großkatzenwagen gefallenen Knochen oder irgendeine Lappalie, und daraufhin selbst Prügel bezogen von der Direktorin, zu welcher sie gehörten, mit viel Geschrei von beiden Parteien, bis sich der Tumult auflöste. Man, welch Spektakel! Welche Aufregung! Und Tiffany reckte oft den Hals um ja kein Ereignis zu verpassen! Gierig sog sie jedes kleinste Detail auf, so lernt man fürs Leben. Kurz und gut: draußen war es viel besser als im Wohnwagen zu sitzen. Allein schaffte sie es vorerst nicht auf die Sitzecke zu springen, um aus den Fenstern blicken zu können. Musste also betteln, um hochgehoben zu werden. Diese Abhängigkeit war ihr nichts. Mühevoll trainierte die kleine Hündin über den Tritt in den Caravan zu kraxeln. Zuerst richtige Anstrengung, bei den Mini-Körpermaßen gepaart mit Welpen-Tapsigkeit! Doch es lohnte! Der Überblick von dort war viel weiter und bei einer für Tiffany nicht erklärlichen Situation bot das Zuhause hinter ihr hinreichend Beruhigung. Hinaus ging`s einfacher, zwei kurze Hopser, oft, zu Anfang, mit abschließendem Sturz auf die schwarze Nase. Egal! Bald hatte sie diese Probleme überwunden und vergessen. Selbstständigkeit war Tiffany schon in den Kindertagen wertvoll. Auch das änderte sich niemals.

In jenen ersten Wochen stellte Tiffanys Größe für meine Frau und mich eine Hilfe dar: wenn wir einmal kurz nicht nach ihr sehen konnten, wurde sie in den Wohnwagen gehoben und der Tritt entfernt oder wir setzten sie in den Liegestuhl. Entkommen unmöglich. Sie musste weder angebunden noch eingesperrt werden und konnte weiterhin die Welt oder uns uneingeschränkt beobachten. Wir waren stolz auf unsere raffinierte Art der Problemlösung! Ewig würde das nicht funktionieren, das war uns klar. Ein junges, gesundes Hündchen, dazu verfressener Terrier, wächst zügig. Und wenn es dazu lernbegierig, pfiffig und bereit zu Abenteuern ist... An einem hektischen Aufbautag spielte Tiffany mit der Raupe im Vorzelt. Meine Frau arbeitete im Tierwagen, ich musste jetzt die Show-Requisiten reinigen und griff auf den Liegestuhltrick zurück. Nahm Wassereimer und Putztücher und eilte zum Requisitenzelt. Unterwegs drehte ich mich noch einmal um. Tiffany saß artig auf dem Stuhl und blickte mir hinterher: ein weißes Fellchen mit drei schwarzen Punkten, für Augen und Nase, einem links spitzen und einem rechts geknickten Ohr. Jenes wollte sich lange nicht aufstellen, erst nach einem Jahr stand es ebenso vorwitzig wie das baugleiche Gegenexemplar. Im hohen Alter knickte es dann wieder ein und erinnerte an die Welpenzeit. Ich verschwand im großen Vorzelt, vollgestapelt mit Requisiten der verschiedensten Darbietungen des Programmes. Ganz hinten, nahe der Schleuse zur Manege, standen unsere Krokodilkästen aus Plexiglas und die Nachbildung der Riesenmuschel für die Schlangen und meine Frau zum Auftakt unserer Show. Ich wusch den Schmutz des letzten Platzes ab, bezog die Polster in den Krokodilkästen frisch und streifte Golddecken und Schutzhüllen über. Automatisierte Abläufe. Bis mich plötzlich etwas von hinten ansprang! Nun habe ich im Zirkus schon wahrhaft Seltsamstes erlebt und ich fiel vor Schreck fast in den Eimer. Blitzschnell drehte ich mich um - und traute meinen Augen kaum! Die kleine Tiffany hüpfte auf den Hinterbeinen und ihre Äugelein blitzten und strahlten: Gefunden! Ich habe dich gefunden!!! Und sie tollte aufgedreht zwischen den Requisiten herum: Los, spielen!!! Da war die Kleine vom Liegestuhl gesprungen, gewiss mit harter Landung, und über den halben Zirkusplatz hierher gelaufen! Sie konnte vorrangig nur meiner Spur gefolgt sein, denn hier war sie nie zuvor gewesen.