Die größten Kriminalfälle Skandinaviens - Teil 2 - Frank Bøgh - E-Book

Die größten Kriminalfälle Skandinaviens - Teil 2 E-Book

Frank Bøgh

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Beschreibung

Sieben historische True Crime-Kriminalfälle aus Dänemark, die garantiert für Gänsehaut sorgen: Neben der Serienmörderin Dagmar Overby, die vermutlich 16 Kinder auf dem Gewissen hat und der Enthauptung der kleinen Meerjungfrau, des Wahrzeichen Kopenhagens, finden Sie hier auch Kriminalfälle mit deutschem Bezug, wie den Fall der deutschen Brüder Sass, die in der Weimarer Republik große Bekanntheit erlangten und auch in Dänemark ihr Unwesen trieben... -

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Frank Bøgh, Frederik Strand, Niels Ole Frederiksen, Stine Søgaard

Die größten Kriminalfälle Skandinaviens - Teil 2

von ph. d. Frederik Strand, Leiter des Polizeimuseums

Saga

Die größten Kriminalfälle Skandinaviens - Teil 2 ÜbersetztPatrick Zöller Coverbild/Illustration: Wikipedia: https://ru.wikipedia.org/wiki/%D0%A4%D0%B0%D0%B9%D0%BB:%D0%94%D0%B0%D0%B3%D0%BC%D0%B0%D1%80_%D0%9E%D0%B2%D0%B5%D1%80%D0%B1%D0%B0%D0%B9.jpg https://www.rnz.de/panorama/magazin_artikel,-Magazin-Die-Brueder-Sass-Das-Ende-d

Copyright © 2020, 2020 Frank Bøgh, Frederik Strand, Niels Ole Frederiksen, Stine Søgaard und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726548426

 

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

 

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Es war ein eiskalter Tag im März 1921. Hunderte vom Menschen hatten sich vor dem Østre Landgericht versammelt. Sie hofften, einen Blick auf die Frau zu erhaschen, die über Jahre hinweg eine große Anzahl Kinder ermordet hatte – nach ihrer eigenen Aussage wohl bis zu sechzehn. Es war eine der spektakulärsten Verhandlungen seit Jahrzehnten, und auch in der Öffentlichkeit wurde heftig debattiert. Man konnte ganz einfach nicht fassen, dass eine Frau, die nach gesellschaftlicher Auffassung dem Zeitgeist entsprechend im Wesentlichen eine Mutterrolle einnahm, so viele Kinder umbringen konnte. Nicht zuletzt die Presse bezeichnete sie als ein halb tierisches Wesen und erfand für sie den Begriff „Menschentier“. Dann erschien sie, und alle reckten die Hälse, um sie zu sehen. Einige beschimpften sie. Hitzig diskutierten die Leute, sie sähe ja ganz normal aus, es sei nichts Tierisches an ihr, im Gegenteil zeugten ihre jetzt etwas ausgemergelten Züge davon, dass sie mal eine sehr schöne Frau gewesen war. Aber wer war sie eigentlich, dieses Menschentier, und wie konnte sie das tun, was sie getan hatte? Über diese Fragen sprachen die Leute, als sich die Menge allmählich zerstreute, nachdem die Massenmörderin über den Platz vor dem Landgericht zu einer wartenden Droschke geführt und in die Strafanstalt am Christianshavn gebracht worden war. Das Urteil: die Todesstrafe.

Dagmar Overby – aus ärmlichen Verhältnissen

Der richtige Name des Menschentiers war Dagmar Overby. Sie wurde im April 1887 in Assendrup geboren. Die Familie waren sogenannte Kätner, das heißt, sie lebten zur Miete bei einem Hofbesitzer oder Bauern – in diesem Fall bei einem Hofbesitzer in der Nähe von Assdendrup Mark. Die Verhältnisse im Zuhause der Kindheit waren von großer Armut geprägt, und für die Eltern, Søren Julius August und Ane Marie Overby war es oft alles andere als einfach, über die Runden zu kommen. Ab 1890 ging es aber doch ein wenig bergauf, als der Vater Arbeit auf dem Gut Rathlousdals nahe Odder fand und später, im Jahr 1895, bei einer Fabrik in Århus angestellt wurde. Die Familie zog daraufhin in die Stadt und lebte in einer kleinen Wohnung in der Ny Munkegade.

Zu dieser Zeit war Dagmar Overby acht Jahre alt, und es gibt kaum einen Zweifel daran, dass die altersbedingten Probleme mit dem Umzug nach Århus größer wurden, doch infolge sämtlicher Aussagen war Dagmar Overby schon von frühester Kindheit an ein besonders schwieriges Kind. Die Probleme lagen nicht primär innerhalb des schulischen Umfelds, wo Dagmar Overby vielmehr als sehr tüchtig und aufgeweckt galt. Offenbar unterschied sie sich von anderen Kindern durch ein sehr dominantes Auftreten, sie wollte zum Beispiel beim Spielen immer bestimmen. Außerdem konnte es passieren, dass sie grundlos auf andere Kinder losging. Schließlich galt sie als zwanghafte Lügnerin, die wegen völlig unbedeutender Dinge unverständlicherweise log. Meistens betrafen ihre Lügen die ärmlichen Verhältnisse ihrer Familie, die sie besser und vornehmer darzustellen versuchte, als sie war – ein Wesenszug, der Dagmar Overby ihr Leben lang begleitete. Augenscheinlich war die Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen für Dagmar Overby Quelle anhaltender Frustration.

Diebstahl, Lügen und Missbrauch

Wie erwähnt nahmen Dagmar Overbys soziale Probleme nach der Ankunft in Århus zu. Dabei ging es nicht um die Schule, Dagmar Overby kam sowohl an der Paradisgades Kommuneskole als auch an der Nørrebrogades Kommuneskole gut zurecht. Jedoch kam es immer häufiger zu Konflikten mit den Eltern, und der Vater schlug sie wiederholt. Die vielen Prügel waren zu einem gewissen Grad auf kleine Diebstähle zurückzuführen, die eine große Last für die arme Familie bedeuteten, und ihre Ursache sicher nicht zuletzt in Dagmars generell sehr streitbaren Gemüt hatten. Die Diebstähle häuften sich und wurden zu einem stetig wachsenden Problem. Manchmal lief Dagmar von zu Hause weg und streifte lange durch Århus und Umgebung.

Dieses Herumstreunen hatte seine Ursache allerdings nicht nur in Dagmars Lügen und in ihrer Streitsucht, sondern möglicherweise auch in einem Übergriff, dem sie innerhalb der Familie ausgesetzt war, als sie kaum das Teenageralter erreicht hatte. Ihr Großvater kam nach Århus, um sich für längere Zeit bei der Familie aufzuhalten, und teilte aufgrund der räumlichen Enge einen Schlafplatz mit ihr. Allem Anschein nach vergriff er sich schon in der ersten Nacht an ihr, woraufhin er die Familie umgehend verlassen musste und nie wieder zurückkam. Der Übergriff war ein Tabuthema, über das nicht gesprochen wurde, und man kann nur darüber spekulieren, welchen Einfluss der Missbrauch auf Dagmar Overbys emotionale und sexuelle Entwicklung hatte. Im späteren Gerichtsverfahren stellte sich heraus, dass Dagmar große sexuelle und emotionale Probleme Männern gegenüber hatte.

Anfang 1900 hatten Dagmar Overbys Diebstähle an ihrem Arbeitsplatz, einer Molkerei, für die sie als Botin tätig war, ein solches Ausmaß angenommen, dass sie ihre Stellung aufgeben musste. Daraufhin wurde sie nach Absprache zwischen dem Leiter der Polizei Århus und ihrem Vater auf Højgaarden, einem großen Hof auf Fünen, untergebracht. Innerhalb der geordneten Verhältnisse entwickelte sie sich gut, und die wohlhabende Gutsbesitzerfamilie, die Dagmar Overby sehr schätzte, sorgte dafür, dass sie konfirmiert wurde. Nach dieser guten Zeit ging Dagmar auf einen Hof in Tunderup und von dort aus weiter nach Ringe, wo sie als Hausmädchen auf einem weiteren Hof arbeitete. Die Aufenthalte in weniger geordneten Verhältnissen taten ihr jedoch nicht gut, und 1909 wurde sie auf dem Hof bei Ringe erneut des Diebstahls überführt, was zu einer Verurteilung und zu einer zehntägigen Gefängnisstrafe führte.

Geburten und Missbrauch

Nach Verbüßung der Strafe ging Dagmar Overby zurück nach Århus, wo sie eine Anstellung als Küchenmädchen in einem Restaurant fand. Sie ließ sich auf ein Verhältnis mit einem der Kellner ein und wurde schwanger. Der Kindsvater wollte, dass sie abtrieb und gab Dagmar 500 Kronen, um die notwendigen Ausgaben begleichen zu können. Darauf ging sie nicht ein, sondern zog auf einen Hof außerhalb von Århus, wo sie eine Anstellung bekam. Zuvor hatte sie bei ihrer Schwester gewohnt, mit deren Mann sie ihrer eigenen Aussage zufolge eine Affäre hatte. Auf dem Hof kam es zu einer Beziehung zwischen ihr und dem Hofbesitzer, die aber nach einigen Monaten zerbrach, woraufhin sie eine Arbeit bei einem Holzunternehmen nahe Hammel annahm.

Zweifellos war es zur damaligen Zeit sehr schwierig, sich auf einem Hof als Gelegenheitsarbeiterin zu verdingen und ein kleines Kind zu haben. Ganz offensichtlich aber war Dagmar glücklich darüber, ein Kind zu haben, und mehreren Aussagen zufolge äußerte sie wiederholt, dass sie Kinder im Allgemeinen sehr mochte und ihr eigenes im Besonderen. Während einer Zugreise nach Randers erkrankte ihr kleiner Sohn jedoch, was laut Dagmar Overby daran lag, dass das Abteil nicht geheizt wurde. Die Krankheit wurde schlimmer, und in der Nacht des 9. Oktober 1911 verstarb der Junge, nachdem sich sein Zustand schon im Laufe des Abends deutlich verschlechtert hatte. In der Folge wurde der Junge vom örtlichen Arzt untersucht, der aber keinerlei Unregelmäßigkeiten feststellen konnte. Familie und Bekannte standen dem Todesfall allerdings skeptisch gegenüber, insbesondere weil der Junge blauschwarz im Gesicht gewesen war, wie kolportiert wurde, was darauf hindeutete, dass er erstickt worden war. Die Sache wurde aber nicht genauer in Augenschein genommen, Dagmar wurde lediglich von der Polizei vernommen, weil man gerade eine groß angelegte Untersuchung von Todesfällen in dem betreffenden Viertel durchführte. Ganz so nachlässig ging man jedoch nicht mit dem Missbrauch um, den Dagmar Overby später an ihrem dritten Kind beging.

Nach dem plötzlichen Ableben ihres Sohnes ging Dagmar Overby sehr schnell ein neues Verhältnis mit einem weiteren Mann ein, und zwar mit dem Fischhändler Anton Peter Nielsen, den sie im April 1912 heiratete. Auf Anton Peter Nielsens Seite lag dem Hochzeitswunsch wohl Liebe zugrunde, was aber kaum für Dagmar Overby galt. Sogar an ihrem Hochzeitstag bestand sie darauf, dass ihr Mann sie nicht berührte, und ihrer besorgten Mutter gegenüber betonte sie, „man kann sich ja jederzeit scheiden lassen.“ Diese nicht gerade idealen Voraussetzungen für eine glückliche Ehe führten dazu, dass Dagmar ihren Mann nach nur einem Monat des Zusammenlebens verließ und sich bei einem Bauern namens Jens Sørensen einnistete, mit dem sie alsbald ein sexuelles Verhältnis verband. Ihr Mann Anton Peter Nielsen wurde als Vater angegeben, was jedoch sehr zweifelhaft war, weil Dagmar neben ihrer Ehe mehrere Verhältnisse hatte. Das Kind wurde in Århus geboren und erhielt den Namen Erena. Kurz darauf wurde Dagmar Overby erneut schwanger. Jens Sørensen war entschieden dagegen, dass sie das Kind bekam, und so versuchte das Paar sowohl seine Beziehung als auch Dagmars Zustand zu verbergen. Deshalb war Dagmar auch allein, als sie schließlich niederkam, und es war keine Hebamme zugegen. Am Tag darauf beschlossen sie, das Kind loszuwerden, indem sie es durch ein Fenster in eine Scheune auf einem Hof bei Hornslet warfen. Dies führte zu einer umfänglichen Untersuchung, da man sich in der örtlichen Gemeinde fragte, wer ein Kind auf diese Weise behandelte. Man konnte jedoch weder Dagmar Overby noch Jens Sørensen mit dem Verbrechen in Verbindung bringen.

Der beschränkten und ärmlichen Gegebenheiten auf dem Land überdrüssig, zog Dagmar Overby im November 1914 nach Kopenhagen, um dort ihr Glück zu versuchen. Hier bekam sie zunächst eine Stelle als Dienstmädchen und Hausverwalterin außerhalb der Bro-Viertel. Wieder ließ sie sich sehr schnell mit Männern ein. Obwohl sie ihre Aufgaben gewissenhaft erfüllte, kam es aufgrund ihrer Lügen und ihres heftigen Temperaments zu Problemen sowohl am Arbeitsplatz als auch im Hinblick auf die Männer – unter anderem behauptete sie, ein Verhältnis mit einem Grafen in Jütland zu haben und drohte mehrfach, Selbstmord zu begehen.

Die Gegebenheiten in Kopenhagen waren also bei Weitem nicht so vielversprechend, wie sie von der jütischen Provinz betrachtet ausgeschaut hatten, und 1915 kehrte Dagmar mit Erena nach Jütland zurück. Nach einem gescheiterten Versuch, die Beziehung zu Jens Sørensen wiederzubeleben, wandte sie sich doch wieder nach Kopenhagen, wo sie 1915 einen Süßwarenladen in der Holmbladsgade erwarb. Hier lernte sie den Arbeiter Svend Carl Svendsen kennen, mit dem sie kurze Zeit später in der Jægersbrogade zusammenzog. Dagmar Overby und Svendsen blieben ein Paar bis zu ihrer Verhaftung 1920.

Schnell zeigte sich, dass der Betrieb des Ladens in der Holmbladsgade nicht von Erfolg gekrönt war, weshalb sie beschloss, ein Pflegekind aufzunehmen, teils um durch das Pflegegeld ein gesichertes Einkommen zu haben, teils um das Bedürfnis nach einem neuen Kind zu befriedigen. Ein Wunsch, den Svendsen nicht erfüllen wollte, da er meinte, sie könnten sich weitere Kinder nicht leisten. Dieses Pflegekind war der Startschuss ihrer Serienmorde.

Serienmorde

Den vielen Verdächtigungen hinsichtlich Missbrauch und Mord an den eigenen Kindern zum Trotz begann Dagmar Overbys Laufbahn als Serienmörderin so gesehen erst nach 1916. In der späteren Gerichtsverhandlung wurden Beweise für acht Morde erbracht – wenngleich Dagmar Overby vermutlich deutlich mehr begangen und auch gestanden hatte. Die Mordserie kann in zwei Phasen eingeteilt werden: von 1916 bis zum Oktober 1917, als Overby sechs Kinder umbrachte, bevor sie eine Haftstrafe wegen Diebstahls in Jütland verbüßen musste, und von 1919 bis 1920, in der sie zwei Kinder ermordete.

Vom ersten Mord in der Jægersbrogade in Nørrebro bis zur Festnahme Overbys in ihrer Wohnung im Enghavevej in Vesterbro wurden die später getöteten Kinder über Zeitungsannoncen vermittelt. Unverheiratete Frauen inserierten auf der Suche nach Pflegemüttern, die sich um ihre unehelichen Kinder kümmern wollten, oder Pflegemütter taten per Annonce kund, dass sie sich gegen einen bestimmten Betrag unehelicher Kinder annahmen. Dagmar Overby beteiligte sich rege an diesem illegalen Handel mit Kindern – bereits 1888 hatte man ein Gesetz verabschiedet, das eine behördliche Genehmigung und Kontrolle des Pflegeverhältnisses vorsah. Sie inserierte und antwortete auf Annoncen verzweifelter Mütter. Sobald die Kinder bei ihr waren, brachte sie sie um - oft noch am Tag der Übernahme. Die Kinder wurden entweder erstickt oder ertränkt und anschließend im Kachelofen in Overbys Wohnung verbrannt, auf dem Speicher versteckt oder irgendwo in der Stadt regelrecht weggeworfen – unter anderem auf dem Friedhof in Nørrebro.

Auf dem Friedhof beging Dagmar Overby vermutlich auch ihren ersten Mord. Das Opfer war ein kleiner Junge, den sie von einer jungen Frau namens Rasmine Kirstine Jensen übernommen hatte, die geschieden war und Schwierigkeiten hatte, ein hartes Arbeitsleben und ein kleines Kind in Einklang zu bringen. Daher antwortete Rasmine auf eine Anzeige, die Dagmar Overby aufgegeben hatte, und nachdem man sich auf zwölf Kronen pro Monat geeinigt hatte, holte Dagmar Overby das Kind ab. Auf dem Weg nach Hause ging sie über den Friedhof in Nørrebro, und hier ermordete sie das Kind, wahrscheinlich aufgrund einer plötzlichen Eingebung, indem sie es mit einer Nabelbinde erdrosselte. Anschließend warf sie es in eine der öffentlichen Latrinentonnen der Kommune, wo es einige Tage später gefunden wurde. Im Großen und Ganzen beging sie die anderen Morde auf die gleiche Weise, oftmals verlangte Dagmar Overby allerdings eine Einmalzahlung in Höhe mehrerer hundert Kronen, bevor sie die Kinder übernahm.

Bemerkenswert ist, dass Dagmar Overby nicht alle Kinder ermordete, die sie adoptierte – in einigen Fällen behielt sie die ihr Anvertrauten tatsächlich, wie zum Beispiel Angelo, den sie zu sich nahm, nachdem sie im Herbst 1917 in den Enghavevej umgezogen war, und an den sie sich sehr stark klammerte.

Daher hatte sie auch eine Zeit lang große Angst, die Mutter Rosa Hansen könnte den Jungen zurückverlangen, aber während eines Gesprächs zwischen beiden wurde schnell klar, dass die Mutter daran nicht interessiert war, und so behandelte Dagmar Overby ihn wie ihren eigenen Sohn. Allerdings erwies es sich als schwierig, ihn auf ihren Namen taufen zu lassen, und so besorgte sie sich die Papiere eines der Jungen, die sie zuvor ermordet hatte. Frida Speer Hansen glaubte ja, ihr Kind sei noch am Leben, und so übergab sie Dagmar Overby bereitwillig die für eine Taufe notwendigen Papiere. Angelo wurde auf den Namen Angelo Axel Overby Hansen getauft und so auf verschlungenen Wegen offiziell Dagmar Overbys Pflegesohn.

Ganz offensichtlich war Dagmar Overby sehr gut darin, andere Menschen einzuschätzen. Außerdem bediente sie sich komplizierter Manöver, um nicht aufzufliegen, wenn misstrauische Mütter ihre Kinder sehen wollten, nachdem sie diese in Dagmar Overbys Obhut gegeben hatten. In diesem Zusammenhang ging Dagmar manchmal so weit, Totenscheine und Sterbeurkunden zu fälschen, aus denen hervorging, dass die Kinder eines natürlichen Todes gestorben waren. So war es unter anderem auch im Fall des ermordeten Kindes von Ane Christensen. Im Herbst 1917 tauchte deren Schwester in Dagmar Overbys Wohnung auf und verlangte, das Kind zu sehen. Overby hatte es jedoch ermordet, und als die Schwester sich mit der Erklärung, das Kind sei infolge einer Bronchitis verstorben, nicht zufriedengab, war sie gezwungen, einen entsprechenden Totenschein zu beschaffen.

Dazu benutzte sie ihren Arzt, der auf Dagmar Overbys Aufforderung hin den Namen des Kindes in einen Totenschein eintrug, den Dagmar schon früher für ein anderes Kind angegeben hatte. Diesen Totenschein konnte Overby dann der skeptischen Schwester zeigen, wodurch dem Verdacht der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass der Arzt nicht an Overbys Verbrechen beteiligt war, sondern ihr nach eigener Aussage helfen und eine gute Tat vollbringen wollte. Vor Gericht sagte der Arzt später aus, Dagmar Overby sei sehr überzeugend gewesen, habe einen außergewöhnlich guten Eindruck auf ihn gemacht und sei ihm als ein pflichtbewusster Charakter erschienen.

Außerdem verschleierte Dagmar Overby ihre Mordserie, indem sie den Eltern, die ihr Kind zurückhaben wollten, ein sogenanntes Wechselbalg unterschob, also ein anderes Kind, als sie ihr ursprünglich anvertraut hatten. Darüber hinaus vertuschte sie ihre Verbrechen dadurch, dass sie lebende Kinder, die sie in Pflege hatte, als einige der Kinder ausgab, die sie umgebracht hatte. Traf sie auf der Straße Mütter der Kinder, die sie ermordet hatte, gab sie das Kind, mit dem sie gerade zufällig unterwegs war, als das Kind eben dieser Mutter aus. So spielte es sich unter anderem im Fall der schon erwähnten Rasmine ab, deren Kind das erste war, das Dagmar Overby ermordet hatte, auf dem Friedhof in Nørrebro. Bei dieser Gelegenheit war Rasmine begeistert darüber, wie gut Overby sich um ihr Kind gekümmert hatte, nicht wissend, dass ihr Kind in Wirklichkeit in der Latrinentonne der Kommune gelandet war.

Betrachtet man Dagmar Overbys Taten im Zusammenhang, kann man nicht umhin, sich über das Zusammenwirken von Zufälligkeiten zu wundern, die sowohl die einzelnen Morde als auch die anschließende Systematik kennzeichnen, mit der sie versuchte, die Geschehnisse zu verbergen. Hinzu kam ein außerordentlich nachlässiger und natürlich auch sehr respektloser Umgang mit den Leichen, die entweder in öffentliche Latrinentonnen oder Straßengräben geworfen oder in ihrer Wohnung versteckt wurden, unter anderem in dem Korb am Fußende ihres Bettes, auf dem Speicher oder im Küchenschrank, wo die Leichen mumifiziert wurden oder verwesten. Alles in allem zeichnen die Serienmorde das Bild einer psychisch komplexen und ungeheuer skrupellosen Mörderin. So kam es im weiteren Verlauf der Ereignisse zu heftigen Diskussionen über Dagmar Overbys Morde und über ihre Person.

Das Strafverfahren – und die Diskussion über Dagmar Overby

Am Donnerstag, den 2. September 1920, klingelte eine junge Frau an Dagmar Overbys Tür. Sie hatte Overby einige Tage zuvor ihr Kind anvertraut, bereute ihren Entschluss aber jetzt und wollte das Kind zurückhaben. Dagmar Overby öffnete nicht, und so machte die Frau sich auf den Weg zur nächstgelegenen Polizeiwache, die sie jedoch unverrichteter Dinge wieder verlassen musste, da man hier genauere Informationen verlangte. Daraufhin ging die Frau wieder zu Overby, die sie dieses Mal zu Hause antraf. Auf hartnäckige Nachfrage erklärte Overby, sie habe das Kind an eine ihr fremde Frau weitervermittelt. Das ließ die Alarmglocken schrillen, und nun konnte die Polizei überzeugt werden, die Wohnung zu durchsuchen, wobei man unter anderem die Überreste des Kindes der Frau im Kachelofen fand. Damit kam eins der größten und spektakulärsten Strafverfahren im ersten Teil des 20. Jahrhunderts in Gang.

Im Verfahren gegen Dagmar Overby ging es insbesondere um zwei Fragen: Warum hatte sie die vielen Kinder ermordet und wie war es möglich gewesen, dass die Taten bis dahin unentdeckt blieben waren? Diese Fragen waren nicht so einfach zu beantworten. Was die erste Frage betrifft, ist die Vermutung naheliegend, dass sie es aus ökonomischen Gründen tat. Sie erhielt das Geld, hatte aber keine Ausgaben, um die Kinder zu versorgen. Das bestritt Dagmar Overby und behauptete hingegen – was interessant war -, sie habe ab und zu Lust verspürt, einige der Kinder zu töten. Sie unterstrich, sich an die eigentlichen Morde nicht erinnern zu können, da sie unter dem Einfluss verschiedener Substanzen wie Äther und Kokain gestanden habe – was erklärt, warum sie in einigen Fällen geradezu schlampig mit den Leichen umging, indem sie diese auf dem Speicher oder in dem Korb am Fußende ihres Bettes versteckte.

Wie dieses achtlose Verhalten mit Dagmar Overbys sorgfältiger Fälschung von Totenscheinen und dem Austausch von Kindern in Einklang zu bringen ist, stellt noch immer ein Rätsel dar. Heute würde man Dagmar Overby eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit Borderline-Symptomen attestieren. Das heißt, sie litt unter erheblichen emotionalen Schwankungen und ließ sich immer wieder auf kurzfristige und sehr problematische Beziehungen mit Männern ein – mit denen sie nebenbei bemerkt nur sehr selten sexuellen Kontakt hatte, da sie nach eigener Aussage jede Form sexueller Entfaltung verabscheute. Die Männer charakterisierten sie als „sehr streitbar“ und „steif wie ein Brett.“

Dagmar Overby war ganz unbestreitbar eine Person mit besonders schweren Persönlichkeitsstörungen, aber war sie böse und alleinschuldig an den Verbrechen, die sie begangen hatte? Über diese Frage entbrannte natürlich auch schon damals eine öffentliche Debatte, und schon damals gab es keine eindeutige Antwort. Ihr Verteidiger führte aus, nicht Dagmar Overby, sondern die brutale und rücksichtslose Gesellschaft trage Schuld an den Morden. Um diesen Ansatz nachvollziehen zu können, müssen wir uns die Gesellschaft zu Anfang des 19. Jahrhunderts genauer anschauen.

Von 1911 bis 1921 war es in Dänemark zu einer wahren Bevölkerungsexplosion von 2,7 Millionen auf 3,3 Millionen Einwohner gekommen. Die großen Städte waren von Überbevölkerung geprägt, und hinsichtlich der Registrierung der vielen neuen Bewohner konnte man ganz einfach nicht Schritt halten. Damit war die Wahrscheinlichkeit hoch, durch das zu dieser Zeit ohnehin nicht allzu dicht geknüpfte behördliche Sicherheitsnetz schlüpfen zu können. Neben dem enormen Bevölkerungswachstum spielte die historisch bedingte Stigmatisierung unehelicher Kinder eine Rolle. Die protestantisch geprägte Sozialgesetzgebung unterschied in diesem Zusammenhang zwischen würdig und unwürdig Bedürftigen. Frauen, die Kinder außerhalb der Ehe bekamen, galten – infolge eines Gesetzes aus dem Jahr 1803 – als unwürdig Bedürftige und konnten daher keine Sozialleistungen für ihre Kinder beziehen, es sei denn, die Kinder wurden in Pflege gegeben. Das war der Hintergrund für den großen, illegalen 'Kindermarkt', der über Annoncen in den Zeitungen abgewickelt wurde. Mit der Verurteilung Dagmar Overbys wurde diese Gesetzgebung kritisch beleuchtet, und 1923 verabschiedete man ein Gesetz über die Beaufsichtigung von Pflegekindern sowie 1924 ein Gesetz über ein Melde- und Personenstandsregister.

Auf diese Weise wurde Dagmar Overby in vielerlei Hinsicht zum Prügelknaben für soziale Sünden ihrer Epoche, aber machte sie das zu einem willenlosen Werkzeug der gesellschaftlichen Verhältnisse? Keinesfalls! Während der Gerichtsverhandlung zeigte sie starke emotionale Schwankungen und stellte sowohl moralische als auch religiöse Grundwerte in Frage – und gestand weit mehr Morde, als ihr nachgewiesen werden konnten. Sie wurde zum Tod verurteilt, doch später begnadigt und das Urteil in lebenslange Haft unter der Voraussetzung umgewandelt, dass sie nie wieder in Freiheit kommen und keinerlei Privilegien zugesprochen bekommen sollte. Während des Gefängnisaufenthalts entwickelte Dagmar Overby eine schwere Psychose und wurde ins St.-Hans-Krankenhaus gebracht. Sie starb 1929 in der Haftanstalt Vestre Fængsel.

Die Sass-Brüder: Meisterdiebe aus Moabit

von ph. d. Frederik Strand, Leiter des Polizeimuseums

Vor 80 Jahren trieben zwei der raffiniertesten Diebe in der Geschichte Dänemarks hierzulande ihr Unwesen. Jahrzehntelang hatten sie Deutschland unsicher gemacht, aber als die Meisterdiebe ihr Glück in Dänemark versuchten, wurden sie festgenommen und zu hohen Strafen verurteilt. Nachdem sie diese abgesessen hatten, wurden sie zurück nach Nazideutschland gebracht, wo sie der sichere Tod erwartete.

In den Kiesgruben von Sachsenhausen

An einem frühen Morgen im Jahr 1940 wurden die Brüder Franz und Erich Sass aus ihren Arrestzellen geholt, wo sie zwei Tage in Haft verbracht hatten. Kurz zuvor hatte sie ein Gericht in Berlin zu 14 bzw. 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Wachsoldaten, die die Brüder abholten, hatten eine Vollmacht des Reichsführers SS Heinrich Himmler bei sich, um die Gefangenen ins Konzentrationslager Sachsenhausen zu überstellen – und sie dort standrechtlich zu erschießen. Umgehend brachte man sie in die Kiesgrube des Lagers, die als Hinrichtungsplatz genutzt wurde. Dort wurden sie dem späteren berüchtigten Kommandanten des KZ Auschwitz, Rudolf Höß, vorgeführt. Kalt und ruhig verlas Höß bei den Hinrichtungspfählen den Exekutionsbefehl. Die Brüder waren fassungslos und riefen: „Das kann nicht sein, wie könnt ihr so etwas tun? Wir wollen erst einen Priester sehen.“ Höß hatte allerdings nicht vor, ihnen diese Möglichkeit einzuräumen, sondern befahl, mit der Prozedur fortzufahren. Die Brüder waren verzweifelt und weigerten sich, an den Hinrichtungspfählen Aufstellung zu nehmen. Doch auch dieses Problem löste Höß, wie er in seinen Memoiren schrieb: „ (…) ich musste sie fesseln lassen, da sie sich heftig zu Wehr setzten. Ich war fasziniert, als ich den Schießbefehl geben konnte.“ Sie starben, während sie um ihr Leben flehten.

Eine Familie von Verbrechern