Elfenmal: Sammelband der romantisch-fantastischen »Elfenmal«-Reihe - Leni Wambach - E-Book

Elfenmal: Sammelband der romantisch-fantastischen »Elfenmal«-Reihe E-Book

Leni Wambach

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Beschreibung

**Von Schatten geküsst** Wegen der dunklen Male in ihrem Gesicht wird die gezeichnete Elfe Neia in ihrer Heimat Kentan als Ausgestoßene behandelt. Einzig ihre Anstellung als Spionin einer einflussreichen Lady ermöglicht es ihr, ein fast normales Leben zu führen. Als sie beobachtet, wie ein Prinz durch dunkle Magie stirbt, liegt es jedoch an ihr, den Ursprung der Bedrohung ausfindig zu machen. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin und einem jungen Adeligen mit magischen Augen begibt sie sich auf die gefährliche Reise durch ein Land voller Schatten. Allein der sagenumwobene Drachenhof scheint Antworten bereitzuhalten … Ein magisches Land voller Geheimnisse Eine Elfe, in der dunkle Kräfte schlummern. Eine Schmiedin, die niemals den Mut verliert. Ein Adeliger, der noch seinen Platz in der Welt sucht. Gemeinsam reisen sie durch ein Land, das mehr Magie verbirgt, als die Schatten zunächst preisgeben. //Dies ist die Sammelausgabe der romantisch-fantastischen Reihe »Elfenmal«. Alle Romane der packenden Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress:  -- Elfenmal 1: Gezeichnete der Schatten -- Elfenmal 2: Befreite der Dunkelheit -- Elfenmal 3: Erwählte der Finsternis// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2021 Text © Leni Wambach, 2020, 2021 Lektorat: Yvonne Lübben Coverbild: shutterstock.com / © vectorpouch / © Ironika / © Nataliia Kucherenko / © Kourdakova Alena / © Oleg Gekman / © Audy39 / © Rocksweeper / StandARTP / © EVKA / © Rafal Cichawa / © diversepixel / © 3drenderings / © Galyna Andrushko / © Marcus Brown / © Valentyna Chukhlyebova / © herryfaizal Covergestaltung der Einzelbände: Fuchsias Weltenecho - Anna Hein Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck / Derya Yildirim Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-60651-5 www.carlsen.de

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Leni Wambach

Elfenmal 1: Gezeichnete der Schatten

**Von Schatten geküsst**Neia hat es als gezeichnete Elfe in Kentan nicht leicht. Dunkle Male zieren ihr Gesicht und machen sie aufgrund ihrer Herkunft zur Außenseiterin. Dank der Hilfe der einflussreichen Lady Renna genießt sie trotzdem ein fast normales Leben als Dienerin und Spionin. Als Neia jedoch beobachtet, wie ein Prinz des Nachbarlandes durch verfluchte Magie stirbt, kommt für sie nur eines infrage: Flucht. Ihr zur Seite stehen dabei nicht nur ihre beste Freundin, sondern auch ein junger Adeliger, dessen braune Augen Neia schon bei ihrer ersten Begegnung wie magisch angezogen haben …

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© Jey Jones

Leni Wambach wurde 1997 geboren und lebt noch in ihrem Geburtsort Essen. Derzeit studiert sie Anglistik und Linguistik und belegt Sprachkurse in Italienisch, um eines Tages in ihrer Herzensheimat Italien wohnen zu können. Sie schreibt, seit sie denken kann, und taucht am liebsten in fantastische Welten ein – sowohl beim Lesen als auch beim Schreiben. Wenn sie keines von beidem tut, macht sie Musik oder ist auf einem Pferderücken zu finden.

Das letzte Spiel

Am Anfang war nur Feuer,

in einer Welt aus Asche.

Manchmal, wenn das Licht der Sterne hell genug war, konnten herumwandernde Seelen in der Ferne einen Fackelschein ausmachen, wenn sich die drei Kapuzen trafen. Aber nur die mutigeren Sterblichen unter ihnen wagten sich näher heran und berichteten danach von drei Gestalten, gekleidet in Mäntel unterschiedlicher Farbe, die Gesichter verhüllt. Die drei Kapuzen, so erzählten die Abenteurer, konnten mit einem einzelnen Schritt auf die andere Seite der Welt gelangen.

Heute Nacht gab es jedoch keine Wanderer, keine Abenteurer, keine Zeugen. Und sogar der Regen machte heute einen Bogen um die drei Kapuzen. Er fiel zwar auf das weiche Gras der hügeligen Wiesen und Felder, doch um die drei herum war der Boden trocken. Weit und breit war keine Behausung der Sterblichen zu sehen. Nur schier endlose Dunkelheit, die einzig vom Schein des Feuers der drei Kapuzen durchbrochen wurde.

Die erste, gekleidet in einen ausgeblichenen, zerschlissenen, dunkelgrünen Mantel, stellte einen niedrigen Tisch auf den Boden und platzierte drei Kissen. Zwei lagen einander gegenüber, eines am Kopfende des Tisches. Die vierte Seite blieb frei. Auf dem Tisch breitete die Kapuze das Spielfeld aus und betrachtete das Abbild der Welt.

»Es ist so weit«, sagte sie mit einer Stimme aus unerfüllten Wünschen und noch nicht erreichten Träumen.

Aus der Dunkelheit schälte sich die zweite Kapuze. Sie trug einen dunkelblauen Mantel, der an den Säumen Risse aufwies und Spuren von Schlamm und Erde trug. Stumm setzte sie sich auf eines der einander gegenüberliegenden Kissen. Von der anderen Seite her näherte sich die dritte Kapuze, in einem dunkelroten, tadellos gepflegten Mantel.

»Bringen wir es hinter uns«, sagte sie und ihre Stimme klang, als würde Metall auf Metall treffen und scharfe Werkzeuge Edelsteine aus dem Stein schlagen. Sie setzte sich auf das übrig gebliebene Kissen.

Erst jetzt nahm die erste Kapuze ihren Platz am Kopfende ein, von wo aus sie das Abbild der Welt in seiner Gänze überblicken konnte.

»Ihr kennt die Regeln«, ergriff sie das Wort. »Ihr dürft das Feld nicht berühren. Wir wissen schließlich, was beim letzten Mal passiert ist.«

Die zweite Kapuze neigte den Kopf. »Wenn du die Angelegenheit mit der Überschwemmung meinst … Das ist keine Absicht gewesen.«

»Ein ganzer Kontinent ist … Egal«, unterbrach sich die erste Kapuze selbst. »Das letzte Spiel. Ihr wisst, was das bedeutet. Beim nächsten Mal, wenn wir uns hier treffen und das Feld ausrollen, werden nicht mehr drei von uns aufstehen. Nutzt die Übung.«

»Ich werde sanft sein«, sagte die zweite Kapuze mit einer Stimme, die sich aus tausend verschiedenen zusammensetzte.

Die dritte Kapuze schnaubte und warf den Kopf nach hinten, wenngleich ihr Gesicht weiter im Schatten blieb. »Ich brauche deine Sanftheit nicht!«

»Mir hast du so was nicht versprochen. Dabei sind wir ein Blut«, wandte die erste Kapuze ein und ihre Stimme klang beinahe milde.

»Wir teilen uns nicht das Bett, mein Blut.«

Stille kehrte wieder ein, während alle drei das vor ihnen liegende Feld betrachteten. Es war nicht für die Augen Sterblicher gedacht, sie wären dem Wahnsinn verfallen, hätten sie auch nur einen Blick darauf geworfen – und hätten doch nicht gewusst, was sie gesehen hätten.

Die drei Kapuzen jedoch wussten genau, was sie sahen.

»Beginnt«, sagte die erste.

Die Funken des Feuers tanzten in der Dunkelheit und verglühten wie Sterne.

Und aus der Asche stiegen Drei empor,

mit einem Willen so hart wie Sternenstahl.

Kapitel I – Neia

Zur gleichen Zeit in Kentan

Von ihrem sicheren Platz zwischen den blühenden Büschen des Gartens aus konnte Neia das Kommen und Gehen schon seit etwa einer Woche ganz genau beobachten. Wie üblich hatte sich die Tochter von Lord Leemor in den frühen Morgenstunden von ihrem Treffen mit ihrem Geliebten zurück in ihr Zimmer geschlichen. Danach war es relativ ruhig in den Gärten von Lord Leemor geblieben – zumindest bis jetzt, zur Mittagsstunde. Denn nun entfaltete sich vor Neias Augen ein immer lauter werdender Streit zwischen dem Herrn des Hauses und seinem Kammerdiener. Lord Leemor war für sein ausfallendes Temperament bekannt. Von ihrer Position aus konnte Neia gut sehen, wie der Kammerdiener einen schmalen Dolch aus seiner Kleidung holte, auf seinen Herrn zutrat und ihm die Klinge durch den weichen Stoff seines Hemdes zwischen die Rippen schob. Eine beinahe unschuldige, winzige Geste. Der Lord stieß einen gurgelnden Laut aus, Blut rann aus seinem Mund und er brach zusammen.

Der Kammerdiener zog den Dolch aus dem reglosen Leib und wischte ihn an seiner Jacke ab, ehe er ihn wieder verschwinden ließ. Wachsam schaute er sich um, sein Blick glitt über Neias Versteck, ohne sie zu bemerken, und dann verschwand er raschen Schrittes.

Lautlos kroch Neia zurück, bis sie die Mauer des Anwesens in ihrem Rücken spürte, und schlüpfte durch den schmalen Spalt des Geheimgangs, der nach ihrer Durchquerung wieder mit dem hellen Sandstein verschmolz. Mit ziemlicher Sicherheit wusste die Familie Leemor nichts von diesem Eingang.

Die Straße, auf der Neia nun stand, war leer und friedlich in der Wärme eines unsicheren Herbsts. Langsam ging sie die Straße entlang in Richtung Marktplatz. Sie meinte auf der anderen Seite der Mauer Schreie und Stimmengewirr zu hören, aber das konnte auch ihrer Einbildung entspringen.

Obwohl ihre Schritte ruhig waren und sie äußerlich völlig unbeeindruckt wirkte, arbeitete es in ihrem Kopf. Lady Renna hatte eine Vermutung bezüglich des Kammerdieners gehabt, jedoch keine Beweise … Und nun war der einflussreichste Lord der Handelsgilde in seinem eigenen Garten erstochen worden. Seine Tochter würde nachrücken, als Erbin des Titels, des Vermögens und mit drei Plätzen im Gildenrat. Trotzdem konnte Neia nicht glauben, dass die Tochter ihren Vater hatte umbringen lassen. Aber wer dann?

Seufzend schüttelte Neia den Kopf. Sie war nur dazu da, Informationen zu sammeln – für alles Weitere war ihre Fürsprecherin, Mentorin und geheime Herrin Lady Renna verantwortlich.

Mittlerweile hatte Neia das Ende der Straße erreicht und betrat den äußerst lebhaften Marktplatz. Stand reihte sich an Stand, einer bunter als der andere. Die Händler brüllten sich gegenseitig und ihre Kunden nieder, einer verkaufte frische Muscheln zum Sonderpreis, der nächste bot hübschen Perlenschmuck für die Gattin und wieder ein anderer breitete riesige Stoffbahnen vor einigen interessierten jungen Frauen aus.

Neia drückte sich am Rande des Marktes entlang, doch sie wurde trotzdem von argwöhnischen Blicken verfolgt. Deswegen saß sie lieber in ihren Verstecken oder huschte des Nachts durch die Straßen der Hauptstadt. So unauffällig wie möglich ließ sie ihre weißen Haare über ihre spitzen Ohren fallen, um ihre linke Gesichtshälfte in Schatten zu tauchen. Diese war mit schwarzen Adern überzogen, die sich unter ihrer Haut abzeichneten und der Hauptgrund für das Starren waren. Nur einen Herzschlag später stieg Wut auf sich selbst in ihr auf. Sie war keine Fluchelfe, sie war nur von Geburt an mit den Malen gezeichnet. Sie war seit acht Jahren, seit ihrem zehnten Lebensjahr, frei – und für gesund erklärt worden. Genau wie auch alle anderen gezeichneten Elfen, die in den Quarantäne-Gefängnissen seit ihrer Geburt untergebracht gewesen waren. Sie durfte in Kentan leben, verdammt noch mal!

Entschlossen warf sie ihre Haare wieder nach hinten und bog in die nächste Straße ein, die sie in den Inneren Ring führen würde. Die meisten Lords und Ladys hatten ihre Hauptwohnsitze im Äußeren Ring der Stadt, wo sie ihre freie Zeit und Wochenenden verbrachten. Mit Blick auf die Bucht im Süden oder den Wald im Westen, die Berge im Norden oder die Felder und Wälle der Sonnenstrahlstädte im Osten. Im Inneren Ring, dem Gildenkreis, hatten sie kleinere Häuser. Manche, wie Lady Renna, lebten jedoch ausschließlich dort. Näher am Geschehen, am Puls der Zeit, Tag und Nacht bereit auf Kentans sprudelndes Leben zu reagieren. Neia war sich ziemlich sicher, dass ihre Neuigkeiten auf jeden Fall eine elektrisierende Wirkung haben würden.

Ein Grinsen schlich sich auf ihre Lippen. Was auch immer sie da gerade beobachtet hatte, wer auch immer hinter diesem Mord steckte, die Ereignisse würden die nächsten Tage spannend machen. Morgen würde die ganze Stadt Bescheid wissen.

Deutlich rascheren Schrittes ging Neia die schnurgerade Straße hinauf, schob sich zwischen den Menschen hindurch und wich hin und wieder einem Ochsenkarren aus. Wenn in ein paar Tagen die Herbststürme einsetzten, würden diese riesigen Gefährte die Straße in eine Schlammschlacht verwandeln. Mirri, die Schülerin des Meisterschmieds und ihre beste Freundin, behauptete, man könne sich dann am oberen Ende der Straße auf einen Schild legen und den ganzen Weg hinunterschlittern. Noch hatten sie das nicht ausprobiert.

»He, Elfenbrut«, zischte jemand von links und Neia fuhr mit zusammengekniffenen Augen herum. Ein zahnloser Alter in schäbiger Kleidung winkte ihr aus einer dunklen Gasse zu.

Neia zögerte und tastete instinktiv nach ihrer Schleuder, die an ihrem Gürtel hing. Eine Klinge zu tragen, war ihr verboten. In diesem Moment drehte der Alte den Kopf und ein silbrig weißer Ohrring blitzte auf. Ihre Augen weiteten sich. Ein Bote des Kalten Ordens. Sie folgte ihm schnell in die Schatten. Die Boten zu ignorieren, war immer unklug.

»Nennt mich nicht so«, knurrte sie, nachdem sie ihm ein paar Schritte in die Gasse gefolgt war. »Was wollt Ihr?«

»Nichts von dir. Aber von deiner Herrin.«

Neias Körper spannte sich vor Misstrauen an, denn offiziell arbeitete sie als Dienerin für Lord Medas. »Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.«

Der Bote stieß ein kurzes, bellendes Lachen aus und machte so schnell einen Schritt auf sie zu, dass Neia nach hinten stolperte und sich mit dem Rücken an der Wand eines Hauses wiederfand.

»Verkauf mich nicht für dumm und verschwende nicht meine Zeit, Elfenbrut. Die Säbel rasseln. Sag das der Lady. Kannst du dir das merken?«

Sein fauler Atem blies ihr ins Gesicht, doch sie machte nicht den Fehler, ihn aufgrund seines heruntergekommenen Äußeren zu unterschätzen. Vermutlich versteckte er unter seiner Kleidung mehr Waffen, als sie in ihrem Leben je an einem Ort gesehen hatte – und er wusste mit jeder einzelnen von ihnen umzugehen.

»Ja, die Säbel rasseln. Ich richte ihr die Botschaft aus«, sagte sie rasch, als ein ungeduldiger Ausdruck in seinen stechenden Blick trat.

Der Bote wich zurück und musterte sie ein letztes Mal abschätzend. Seine Abneigung ließ ihre Haut kribbeln und sie meinte die Adern in ihrem Gesicht brennen zu fühlen.

Mit einem letzten mahnenden Blick verschwand der Bote tiefer in der Gasse. Neia sank in sich zusammen. Aus dem Stein hinter ihr begann Feuchtigkeit durch ihre Kleidung zu dringen, aber sie kümmerte sich nicht darum. Ihr Herz pochte wie wild und ihre Hände zitterten. Trotz der Wärme des Tages breitete sich eine Gänsehaut auf ihrem Körper aus. Der Kalte Orden. Manchmal sah sie seine Mitglieder in den Straßen, oft bei Hinrichtungen oder öffentlichen Bestrafungen, die sie eingefädelt hatten. Aber noch nie hatte sie mit einem von ihnen gesprochen. Lady Renna hatte ihr erklärt, wie sie die Mitglieder erkannte – und ihr gleichzeitig eindringlich geraten sich von ihnen fernzuhalten, solange der Orden nicht auf sie zutrat.

Neia stieß sich von der Wand ab, trat auf die helle Straße hinaus und setzte langsam ihren Weg fort. Ihr Herzschlag beruhigte sich mit jedem Schritt, den sie sich von der kleinen Gasse entfernte. Lady Renna hielt sich vom mächtigsten Geheimorden in der Regel fern. Warum hatte er also Lady Renna kontaktieren wollen? Der Orden war für seine Grausamkeit bekannt und dafür, auf die absolute Einhaltung von Abmachungen zu bestehen. Ansonsten fand man sich morgens mit weniger Gliedmaßen oder weniger Familienmitgliedern wieder als zuvor.

Die Säbel rasseln. Offensichtlich eine verschlüsselte Botschaft. Aber was bedeutete sie? Und war der Orden nur durch Zufall ausgerechnet an dem Tag auf sie zugetreten, an dem sie den Mord an Lord Leemor beobachtet hatte?

»Stehen geblieben!«, befahl jemand mit herrischer Stimme. Überrascht stellte Neia fest, dass sie das Tor zum Gildenviertel erreicht hatte. Der sogenannte Innere Ring war von einer hohen Mauer aus grauem Stein umgeben und besaß nur zwei Tore, die streng bewacht wurden.

Die Soldatin, die sie aufgehalten hatte, war mit einem Breitschwert, einem Schild und einer Lanze bewaffnet und starrte misstrauisch auf sie hinunter. Nicht zum ersten Mal verfluchte Neia ihre geringe Körpergröße. Sie war in der Regel einen Kopf kleiner als alle anderen.

Rasch streckte Neia ihre rechte Hand aus, an deren Ringfinger ein schwerer Ring steckte. Der schwarze Stein war in Silber eingefasst und schien alles Licht zu schlucken. Er zeichnete sie als Dienerin des Gildenviertels aus und als solche durfte sie das Tor passieren.

Eigentlich. Aber offensichtlich waren ihr die Götter heute nicht gewogen und sie hatte eine der misstrauischeren Wachen erwischt.

»Und wie kommt jemand wie du an so einen Ring?«, fragte die Frau.

Neia seufzte. »Ich bin nicht im Gefängnis, also bin ich gesund, oder nicht? Mein Herr wartet auf mich. Er wird sehr zornig werden, wenn ich mich verspäte.«

»Lass sie durch, Rim!«, rief eine der anderen Wachen. »Ich kenne sie. Sie sagt die Wahrheit.«

Die Soldatin nickte langsam, auch wenn ihr Blick weiterhin misstrauisch blieb. Aber sie ging beiseite und Neia konnte durch das Tor treten. Auf dem Weg warf sie der anderen Wache, die sie schon mehrmals gesehen hatte, einen dankbaren Blick zu.

Und dann war sie endlich im Gildenviertel. Kaum hatte sie sich ein paar Schritte vom Tor entfernt, wurde sie von Ruhe umgeben. Einige Adlige und reiche Händler liefen in kleinen Grüppchen herum und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen, aber die meisten, die um diese Tageszeit unterwegs waren, ließen sich in Sänften herumtragen.

Hier glitten die meisten Blicke einfach über sie hinweg, als wäre sie Luft. Das galt hier für die meisten Dienerinnen und Diener. Aber damit konnte Neia gut leben.

Etwas langsamer, um nicht doch noch Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, ging Neia durch die gepflegten Straßen bis zu dem Lebensmittelgeschäft »Grüne Segel«. Dort wurde allerdings nicht nur Obst, Getreide und was man sonst in Küchen brauchte, verkauft, sondern auch spezielle Dienste und Geheimnisse.

Neia betrat den Laden, was durch das Läuten einer hellen Glocke über der Tür verkündet wurde. Der Verkäufer hinter der Theke am anderen Ende des Raumes sah auf, als sie eintrat. Ein Haufen Münzen lag vor ihm.

»Mein Herr wünscht frische Mangos zum Abendessen«, sagte sie, während sie langsam auf ihn zuging.

»Die sind aus.«

»Und was ist mit Bananen?«

Der Verkäufer lehnte sich zurück. »Die würden deinem Herrn nicht gefallen.«

»Gut. Dann nehme ich einen Laib Früchtebrot.«

Er nickte, seine Hand verschwand unter der Theke und ein leises Klicken ertönte. Ein schmaler Spalt erschien zwischen zwei Regalen auf Neias rechter Seite. Ohne sich weiter mit dem Verkäufer zu beschäftigen, der ohnehin wieder mit seinen Münzen zugange war, schlüpfte sie in den Geheimgang, der ins Tunnelsystem von Kentan führte. Dieses besaß zahlreiche Ausgänge, die von außen nicht zu öffnen waren, doch nur wenige Wege, die auch hineinführten. Vom Gildenviertel aus war das Tunnelsystem die beste Möglichkeit, an fast jeden beliebigen Ort der Stadt zu kommen … und in viele der Häuser hinein. Sofern man davon wusste, was vor allem dem Kalten Orden und einigen anderen Informanten und Adligen vorbehalten war.

Innerhalb kurzer Zeit hatte Neia einen Teil des Tunnels, von dem immer wieder Gänge und Treppen abzweigten, durchquert und war an einer Tür angelangt. Dahinter führte eine Rampe nach oben, die am Ende so steil wurde, dass Neia fast klettern musste. Ein wenig außer Atem und mit einem langsam einsetzenden Gefühl der Erschöpfung erreichte sie eine weitere Tür. Sie klopfte mit der Faust in dem abgemachten Rhythmus gegen das Holz.

Nur fünf Herzschläge später öffnete sich die Tür und Neia trat in ein großes, helles Arbeitszimmer. Mit einem leisen Rumpeln schloss sich die Geheimtür wieder hinter ihr. Die Fenster auf der gegenüberliegenden Seite reichten bis zum Boden, die Vorhänge wehten sanft im Wind. Vor den Fenstern stand ein wuchtiger Schreibtisch und an ihm saß Lady Renna. Obwohl sie ein recht schlichtes, dunkelrotes Kleid trug und sich nur mit wenig Schmuck behängte, nahm sie den ganzen Raum mit ihrer Präsenz ein.

Neia verneigte sich tief vor ihr.

»Das ist doch albern, lass das. Komm zu mir, Neia«, sagte Lady Renna freundlich und Neia musste grinsen. Das war mittlerweile zu einem Ritual zwischen ihnen geworden.

Sie richtete sich wieder auf und ging zu dem Schreibtisch, um sich auf einen der bequemen Stühle davor zu setzen. Lady Renna erwiderte ihr Lächeln beinahe verschwörerisch. Sie galt neben der Königin als schönste Frau Kentans, und das zu Recht. Ihre rotblonden Haare, die anmutige Gestalt und die stets lachenden blauen Augen hatten schon den ein oder anderen Barden zu Begeisterungsstürmen verleitet und ihr viele schmachtende Briefe beschert. Alle vergebens, wie Neia wusste, da Lady Rennas Herz einer ganz besonderen Person gehörte.

»Was hast du heute gesehen?«, fragte Lady Renna und stützte ihr Gesicht auf den Händen ab. Sie machte sich nie Notizen.

»Wie Ihr gewünscht habt, habe ich Lord Leemor beobachtet. Oder besser seinen Garten. Bis heute Mittag ist alles wie immer gewesen. Die junge Lady ist wie üblich verschwunden. Dann ist Lord Leemor mit seinem Kammerdiener spazieren gegangen. Die beiden haben miteinander gestritten, ich habe nicht verstehen können, worum es gegangen ist. Aber der Diener hat einen Dolch gezückt, ihn dem Lord ins Herz gestochen und ist dann verschwunden«, erzählte Neia. Es klang wie eine Abenteuergeschichte, wenn sie so emotionslos darüber berichtete. Nicht wie etwas, was wirklich einem anderen Menschen geschehen war.

Lady Rennas Augen hatten sich ein winziges Stück geweitet. »Bist du sofort gegangen?«

»Ja, ist das falsch gewesen? Ich hätte dem Diener folgen sollen, oder?«, fragte Neia und schluckte, während Scham in ihr aufstieg.

»Oh, nein, bist du wahnsinnig? Dabei hätte dir wer weiß was passieren können!« Lady Renna schüttelte energisch den Kopf. »Du hast alles richtig gemacht, Neia. Der arme Mann. Ich bin keine glühende Verehrerin seiner Politik … gewesen. Aber den Tod hat er nicht verdient.«

Neia entschied sich dazu, das nicht zu kommentieren. Was sie von Lord Leemor wusste, war genug, um sie nicht allzu viel Mitleid verspüren zu lassen. Seine Untergebenen behandelte er wie Sklaven, er schlug seine Frau und sie wusste, er hätte gezeichnete Elfen wie sie nur allzu gerne im Gefängnis verrotten lassen.

»Ach, Neia.«

Sie konzentrierte sich wieder auf Lady Renna, um deren Mundwinkel ein mitleidiger Zug spielte. »Ich weiß, du siehst das anders. Und es gibt viele, die ähnlich denken wie du. Aber mir wäre lieber gewesen, wir hätten ihn für seine Taten vor Gericht stellen können. Damit sie ans Tageslicht gezerrt werden und er seine verdiente Strafe unter den Augen der Götter erhält.«

Es fiel Neia schwer, Lady Rennas Blick zu erwidern. Sie wusste, dass die andere Frau recht hatte. Schließlich seufzte sie und zuckte mit den Schultern.

»Es ist, wie es ist«, wiederholte sie das, was Mirri häufig sagte. »Habt Ihr eine Vermutung, wer dahinterstecken könnte?«

Lady Renna lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und legte die Fingerspitzen ihrer Hände aneinander. »Seine Tochter profitiert am meisten von seinem Ableben. Aber … ich traue ihr so etwas nicht zu.«

Was ungefähr dem entsprach, was Neia auch schon vermutet hatte. Sie wusste, dass Lady Renna im Kopf gerade tausend verschiedene Möglichkeiten durchging. Falls das Ergebnis ihrer Überlegungen für Neia wichtig wäre, würde sie davon erfahren. Doch jetzt beschäftigte sie etwas anderes.

»Das ist nicht das Einzige, was heute passiert ist«, sagte sie zögernd und lenkte damit Lady Rennas Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Auf dem Weg hierher hatte ich einen Zusammenstoß mit einem Boten des Kalten Ordens. Er wollte Euch eine Botschaft übermitteln. Die Säbel rasseln.«

Dieses Mal war der Schock in Lady Rennas Gesicht deutlich sichtbar. Sie starrte Neia so fassungslos an, als sähe sie einen Geist.

Sorge stieg in Neia auf. Der Kalte Orden war nie ein gutes Zeichen, aber wenn Lady Renna so entsetzt über diese Botschaft war, konnte sie wahrlich nichts Gutes bedeuten.

»Hat er dir etwas getan? Bist du verletzt?«, fragte Lady Renna nach einigen sprachlosen Momenten.

Trotz ihrer eigenen Sorge konnte Neia nichts gegen das Lächeln tun, das sich auf ihre Lippen schlich. Lady Renna war nicht die Einzige mit einem Netzwerk aus Informanten und Spionen, doch die meisten anderen Lords und Ladys waren weit weniger um ihre Leute besorgt. Es war schön, daran erinnert zu werden.

»Nein, er hat mir nichts getan. Na ja, er hat mich Elfenbrut genannt«, entschlüpfte ihr mit einem bitteren Unterton in der Stimme. Das hatte sie eigentlich nicht erzählen wollen.

Lady Renna seufzte.

»Als die Königin vor acht Jahren entschieden hat, dass die mit den Malen Geborenen, die Gezeichneten, aber Gesunden wie du, aus der Quarantäne befreit werden, viel zu spät, wenn du mich fragst, hatte ich gehofft, wir würden einem neuen Zeitalter entgegensehen. Nun ja. Meine Mutter hat mich schon immer für ein wenig naiv gehalten.« Sie verdrehte die Augen, ehe sie Neia ernst anschaute. »Als die Elfen vor achtzig Jahren in ganz Saschwan krank geworden sind und wir den Kontakt zum Hohen Rat verloren haben, ist alles zusammengebrochen. Mein Großvater hat mir davon erzählt, ich war zu dem Zeitpunkt natürlich noch nicht geboren. Die Menschen haben in den Zeiten der Krankheit feststellen müssen, wie sehr sie sich darauf verlassen haben, dass die Elfen jedes ihrer Probleme mithilfe der magischen Artefakte lösen, die nur sie erschaffen können. Als sich jedoch herausgestellt hat, dass die erkrankten Elfen, die von heute auf morgen die Male bekommen haben, direkt und ohne Hilfsmittel die Magie nutzen können und einige von ihnen dadurch gefährlich geworden sind, hat sich das Entsetzen zuerst in Furcht und dann in Hass verwandelt. Fluchelfen hat man sie genannt, denn so etwas hat nur eine Strafe der Götter sein können – laut den Menschen und Elfen. Der Krieg, der daraus entstanden ist, hat den ganzen Kontinent erfasst und ist erst vor 25 Jahren beendet worden. Wer kann es den Fluchelfen verübeln, dass sie sich gegen die Gefangennahme gewehrt haben? Oder gegen die Jagden in Ulnar? In unserem Zorn und unserer Hilflosigkeit haben wir deinem Volk schreckliche Dinge angetan. Und wir haben bis heute nicht damit aufgehört.«

Neia blinzelte gegen das Brennen ihrer Augen an. Sie hatte schon lange nicht mehr geweint und würde heute nicht damit anfangen. Aber Lady Rennas Worte weckten die dunklen Erinnerungen in ihr. An Steinwände und Ketten und ewige Finsternis. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihre linke Gesichtshälfte und mit einem Keuchen berührte sie ihre Wange, wo das Geflecht der Adern langsam auslief.

»O Götter, Neia, verzeih mir.«

Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und sie drehte den Kopf. Von ihr unbemerkt war Lady Renna aufgestanden und zu ihr gekommen.

»Schon gut. Ich meine, ich weiß das«, murmelte Neia. »Immerhin werde ich nicht mehr angespuckt oder mit Steinen beworfen.«

Lady Renna stieß ein wütendes Schnauben aus und drückte ein letztes Mal ihre Schulter, ehe sie zu ihrem Stuhl zurückkehrte und sich setzte. »Ja, weil sich die Wachen endlich dazu durchringen können einzugreifen! Unnützes Pack schwertschwingender, hirnloser, bestechlicher Geldverschwender.«

Obwohl ihr Gesicht immer noch ein wenig schmerzte, musste Neia kichern. »Habt Ihr das gerade wirklich gesagt?«

»Wenn du versprichst, niemandem davon zu erzählen.« Lady Renna zwinkerte ihr zu und die Wut wich ein wenig aus ihren Zügen. »Also, willst du mich nicht fragen, was die Botschaft bedeutet?«

Neia war froh über den Themenwechsel. Und gleichzeitig überrascht, weil Lady Renna die Botschaft von sich aus zur Sprache brachte.

»Wollt Ihr mir die Bedeutung denn verraten?«, fragte sie verdutzt.

»Na ja, viel zu verraten gibt es da nicht«, antwortete Lady Renna etwas säuerlich. »Wie immer ist der Kalte Orden äußerst vage, sofern man ihn nicht ausdrücklich für Informationen bezahlt, und darauf verzichte ich gerne. Die Säbel rasseln ist eine Warnung. Etwas wird passieren oder passiert bereits. Etwas Menschengemachtes. In der Regel etwas, das mit Toten endet.«

»Also … ist das mehr oder weniger wortwörtlich zu verstehen?« Neia schluckte und erneut breitete sich eine Gänsehaut auf ihrem Körper aus. Es würde Tote geben. Zumindest glaubte das der Kalte Orden und der irrte sich selten, das wäre schlecht fürs Geschäft. Der schöne Spätsommertag erschien ihr auf einmal gar nicht mehr so friedlich.

»Ja.« Lady Renna tippte abwesend mit den Fingern ihrer rechten Hand auf die Tischplatte, was ihren Siegelring und ihre Armbänder leise klirren ließ. »Ich habe seit einigen Tagen so ein komisches Gefühl … Als würde auf einmal sehr viel passieren … Bewegung in den Gilden, ein Wispern in den Straßen, neue Gesichter in den Wirtshäusern.«

Neia lauschte ihr atemlos. Sie konnte Lady Renna ansehen, dass sie gerade versuchte die Botschaften ihrer Informanten und Spione in eine neue Ordnung zu bringen. Als wäre die Botschaft des Kalten Ordens ein weiteres wichtiges Puzzlestück gewesen.

Neia kam ein beunruhigender Gedanke. »Glaubt Ihr, der Mord an Lord Leemor hat etwas damit zu tun? Gut, er hat viele Feinde, viele Gründe können zu seinem Tod geführt haben, aber …«

»Aber«, wiederholte Lady Renna und nickte langsam, fokussierte sich erneut auf Neia. »Und das ist ein sehr großes Aber. Ein sehr guter Gedanke, Neia. Ich muss einige Dinge überprüfen. Mich ein wenig im Gildenrat umhören. Nun scheint es viel zu tun zu geben.«

Sie erhob sich und Neia durchzuckte ein Stich der Enttäuschung. Auf ein paar mehr Informationen hatte sie schon gehofft.

»Halte weiter die Augen für mich offen. Du musst nicht auf etwas Spezielles achten. Ich werde dir, denke ich, bald eine Botschaft schicken«, sagte Lady Renna in ihrer geschäftsmäßigen Stimme. Sie ging zu einem ihrer Bücherregale und tippte mit dem Finger gegen einen Buchrücken. Die Tür des Geheimgangs öffnete sich lautlos. Das konnte sie auch von ihrem Schreibtisch aus tun, aber oft brachte sie Neia bis zur Tür – ein kleiner Scherz zwischen ihnen.

Neia erhob sich ebenfalls und wollte eben durch den Spalt schlüpfen, als Lady Renna sie noch einmal zurückhielt, indem sie die Stimme erhob.

»In drei Tagen wird ein Ball im Schloss stattfinden. Lord Medas wird dir auftragen dort beim Servieren zu helfen. Ich glaube, das könnte sehr interessant werden.«

Neia warf ihr einen überraschten Blick zu. Von dem Ball hatte sie natürlich gehört, die Wahrscheinlichkeit jedoch für gering gehalten, dass ihr Herr ausgerechnet sie schicken würde. Bei aufwendigeren Festen stellten die Lords und Ladys üblicherweise einen Teil ihrer Dienerinnen und Diener zur Verfügung. Aber sie war eine gezeichnete Elfe. Nicht unbedingt das beste Aushängeschild.

Lady Renna schien ihr wieder die Gedanken vom Gesicht ablesen zu können, denn sie schmunzelte. »Vertraust du mir etwa nicht?«

»Schon gut.« Neia verdrehte die Augen und schlüpfte nun endgültig durch die Tür, die sich hinter ihr mit einem Klicken verschloss.

Das war definitiv nicht das, was sie von diesem Tag erwartet hatte, als sie am Morgen ihre Stellung in den Büschen bezogen hatte. Sie konnte ihrem Leben immerhin nicht nachsagen, es wäre langweilig.

Kapitel II – Neia

Das laute Klingeln der Dienstbotenglocke warf Neia beinahe aus dem schmalen Bett, so ruckartig setzte sie sich auf.

Blinzelnd und gähnend brauchte sie ein paar Sekunden, um sich zu orientieren. Nach dem ereignisreichen Tag und ihrem Gespräch mit Lady Renna hatte sie am Abend lange keinen Schlaf finden können und war schließlich von wirren Träumen heimgesucht worden. Sie zerfaserten, als sie versuchte sie genauer zu betrachten.

Als sich ihre schlaftrunkene Sicht endlich klärte, schwang sie die Beine aus dem Bett, stand auf und ging zu dem schmalen Fenster. Zuerst öffnete sie die Fensterläden. Grauer Himmel, die Luft schmeckte nach Regen. Das sah nach viel Arbeit innerhalb des Hauses aus.

Immer wieder gähnend machte sie sich in ihrer Schlafkammer fertig, die gerade genug Platz für ein Bett, eine Kleiderkiste und einen Waschzuber bot. Der war Pflicht in jedem Schlafzimmer geworden seit der Krankheit der Elfen.

»Nicht, dass eiskaltes Wasser helfen würde«, brummte Neia – aber immerhin wurde sie vollständig wach.

Sie schlüpfte in ein frisches Kleid, dessen dunkelblaue Farbe sie als Dienerin auszeichnete, und verließ ihr Zimmer. Im Flur herrschte bereits ein wenig Geschäftigkeit und sie eilte in die Küche. Sie hatte nur etwa eine halbe Kerzenlänge Zeit, bevor Lassea sie herumkommandieren durfte.

Einige andere Angehörige des relativ großen Haushalts von Lord Medas saßen schon am Tisch, dessen dunkles, vernarbtes Holz von jahrelanger Beanspruchung zeugte.

Neia setzte sich auf ihren üblichen Platz am Ende des Tisches, ein Stück von den anderen entfernt, und schnappte sich eine der Schüsseln mit Hafergrütze.

»Hast du’s schon gehört?«, wurde sie überraschend von Len angesprochen, dem Stallburschen.

Einen Löffel Grütze hinunterschluckend warf sie ihm einen fragenden Blick zu. Seine Augen hatten dieses Funkeln, das ihnen allen zu eigen war, wenn neuer Klatsch und Tratsch im Umlauf war.

»Lord Leemor ist tot. Ermordet worden, sagen sie«, erzählte er ihr genüsslich und schob ihr eine Tasse Tee hin, peinlich darauf bedacht, sie nicht anzufassen. Aber immerhin.

Neia beeilte sich die Augen aufzureißen und ihn entsetzt anzustarren. »Ermordet? Was ist denn passiert?«

»Weiß keiner so genau.« Len brach einen Kanten Brot entzwei und steckte sich die eine Hälfte in den Mund. »Sie haben ihn gestern Abend im Garten gefunden, mit einer Stichwunde.«

»Sein Kammerdiener ist zeitgleich verschwunden«, mischte sich Lassea ein, die auf der anderen Seite des Tisches am Kopfende saß.

Auf ihre Worte folgte aufgeregtes Getuschel und Neia musste an sich halten, um nicht die Augen zu verdrehen. Diese Geschichte würde die Dienerschaft ganz Kentans für Tage in Aufruhr versetzen. Ein ermordeter Lord und ein Kammerdiener unter Verdacht! Was ein Skandal! Und Neia hatte den Mord mit eigenen Augen beobachten können. Die würden Gesichter machen, wenn sie das wüssten … Aber natürlich konnte sie das nicht erzählen. Sie arbeitete im Geheimen für Lady Renna, seit diese sie vor acht Jahren auf den Straßen gefunden hatte. Halb verhungert, weil sich niemand um eine gezeichnete Elfenwaise kümmern wollte. Bis auf Lady Renna. Sie hatte ihr die Anstellung in diesem Haus verschafft und sie gleichzeitig in ihre Dienste aufgenommen. Einen großen Teil ihrer freien Zeit verbrachte Neia mit der Arbeit für Lady Renna.

»Du wirst immer recht klein bleiben, hast einen raschen Verstand und gute Augen«, hatte sie damals gesagt. »Ich kann jemanden wie dich gebrauchen. Interesse?«

Neia hatte ihre Zusage seitdem nicht bereut.

»Wenn das stimmt, ist es auf jeden Fall eine Schande für die ganze Zunft«, sagte Lassea laut und durchschnitt damit die Diskussion, deren Verlauf Neia verpasst hatte. »So, habt ihr genug getratscht? Es steht viel Arbeit an.«

Verdutzt bemerkte Neia, dass sie ihre Grütze aufgegessen hatte, während sie in Gedanken versunken gewesen war. Rasch räumte sie ihr Geschirr zusammen, stand auf und brachte ihre Sachen zur Küchenzeile, um sie selbst abzuspülen. Eigentlich machte so was das Küchenmädchen, aber natürlich nicht bei ihr.

Als sie fertig war und ihre Hände von dem heißen Wasser brannten, ging sie zu Lassea. Die große, breitgebaute Frau mit dem strengen, schwarzen Haarknoten war über eine Rolle Pergament gebeugt und Neia wartete ungeduldig, bis sich der scharfe Blick aus grauen Augen auf sie richtete.

»Wie hast du das gemacht?«, fragte Lassea und lehnte sich zurück.

Neia starrte sie an. »Wie … habe ich was gemacht?«

»Du wurdest für den Ball im Schloss angefordert«, sagte Lassea und Neia konnte spüren, wie sie von allen angestarrt wurde. »Warum du? Du arbeitest nicht schlecht, bist pünktlich, meistens höflich, keine Frage. Aber warum glaubt unsere Lordschaft, eine gezeichnete Elfe könnte dieses Haus angemessen vertreten?«

Aus Lasseas Stimme sprach ehrliche Verwunderung. Nicht direkt Zorn oder Abscheu, doch ihre Ungläubigkeit versetzte Neia einen noch schlimmeren Stich. Egal, was sie in ihrem Leben tat. Egal, wie hart sie arbeitete, wie pünktlich sie war, wie höflich sie sich verhielt. Am Ende würde sie nie mehr sein als eine Elfe mit hässlichen Malen im Gesicht.

Sie schluckte und senkte den Kopf, sah lieber auf den Boden zu ihren Füßen als in Lasseas Gesicht – oder in die der anderen.

»Ich weiß es nicht«, sagte sie leise. Weil Lady Renna an einigen Fäden gezogen hatte. Das wäre die ehrliche Antwort gewesen, aber auch die, die sie nicht aussprechen konnte.

»Hm«, machte Lassea. »Du kannst heute das Silber im Salon putzen. Und du hast noch einen halben freien Tag, nutz ihn heute, sonst verfällt er. Ab morgen wirst du im Schloss sein. Was steht ihr anderen hier so rum? Habt ihr nichts zu tun?«

Stühle schabten und Schritte erklangen, als der Rest des Haushalts rasch die Küche verließ.

Als sie auch Lassea aufstehen hörte, wagte Neia aufzusehen. Die Hauswirtschafterin musterte sie.

»Es ist ein Jammer, dass du das bist, was du bist«, sagte sie schließlich mit einem Hauch von Mitleid in der Stimme, ehe sie sich abwandte und ebenfalls die Küche verließ.

Neia schaute ihr hinterher. Unwillkürlich ballten sich ihre Hände zu Fäusten. Die vertraute Mischung aus Wut und Scham pulsierte durch ihre Adern, am liebsten hätte sie laut geschrien.

Aber sie riss sich zusammen. Das war eines der ersten Dinge, die sie von Lady Renna gelernt hatte. Gefühle abzuschütteln, um eine Situation neutral betrachten zu können.

Sie war keine bloße Dienerin. Das war nur eine Verkleidung, die sie irgendwann abschütteln würde, wenn Lady Renna sie wirklich zu ihrer Spionin machte. Und dann würde sich Lassea ihr Mitleid sonst wohin stecken können!

***

»Reg dich nicht so über sie auf«, sagte Mirri und legte ihre Beine, die in dreckigen Stiefeln steckten, auf der Heukiste ab. Dabei knarzte der alte Stuhl, auf dem sie saß, bedenklich. Sie befanden sich ganz am Ende der langen Stallgasse, was ihr üblicher Platz für eine ruhige Unterhaltung war.

»Es ist ungerecht«, murmelte Neia und hielt dem Pferd, das neugierig aus der Box herauslugte, ihre Hand vor die Nüstern. Es schnaubte leise und wandte sich dann desinteressiert ab, um an seiner Stroheinlage zu kauen.

Mirri seufzte leise und Neia drehte sich zu ihr um.

»Ja, ich weiß.« Mirri strich sich eine ihrer roten Locken aus der sommersprossigen Stirn. »Und du wirst ihr zeigen, wie falsch sie liegt!«

Ihre blauen Augen blitzten so energisch, dass Neia nicht zu protestieren wagte. Stattdessen schlenderte sie zur nächsten Box und betrachtete das Pferd, das dösend in der Mitte stand. Ein Schimmel, mit strahlend weißem Fell und glänzender Mähne.

»Eine hübsche Stute, mein Meister hatte sie heute zum Beschlagen da«, erklärte Mirri.

»Ich möchte nicht die Person sein, die sie putzen muss.« Obwohl ihr das Gespräch mit Lassea weiterhin wie ein Kloß im Hals saß, musste Neia schmunzeln. Sie hatte einmal im Stall ihres Herrn ausgeholfen und nach dem zweiten Pferd, das über und über mit Schlamm bedeckt gewesen war, die Bürste in die Ecke geworfen. Lieber mistete sie Boxen aus, da sah man die Erfolge wenigstens schneller.

»Wem gehört das Tier?«, fragte sie an Mirri gewandt.

Der Schmied, bei dem Mirri in die Lehre ging, war mit der besten Pferdezüchterin im Umkreis verheiratet. Aus diesem Stall stammte nicht nur das Pferd der Königin, hier wurden auch die Tiere der hochrangigen Besucher untergebracht. Das Schloss hatte zwar ebenfalls Stallungen, doch die Königin war der Meinung, der Hof wäre besser dafür ausgestattet. Er gehörte zu dem großen Gestüt, das außerhalb der Stadtmauern lag. Soweit Neia wusste, hatte die Besitzerin nichts dagegen, ganz im Gegenteil.

»Dem Sohn irgendeines Lords, der über den Winter hier ist«, erklärte Mirri und Neia drehte sich zu ihr um. »Hab ihn nur von Weitem gesehen. Er sah ganz ansehnlich aus, aber davon wirst du mir ja hoffentlich mehr berichten können.«

Neia verdrehte die Augen, musste jedoch grinsen. »Soll ich ihn nicht besser fragen, ob er eine Schwester hat?«

»Ah, du kennst mich zu gut.« Mirri zwinkerte ihr zu. »Andererseits hätte ich dann Angst, dass du sie mir wegschnappst.«

»Das ist ein einziges Mal passiert. Und wenn ich mich recht erinnere, hat sie die Nacht bei dir verbracht«, gab Neia zurück und musste grinsen, was ihren tadelnden Tonfall zunichtemachte.

Mirri warf ihr nur einen unschuldigen Blick zu, hievte ihre Beine von der Heukiste und stand auf. Im Gegensatz zu Neia, die ihren halben freien Tag dazu genutzt hatte, Mirri zu besuchen, musste sie gleich wieder an die Arbeit.

Gemeinsam verließen sie den Stall und schlenderten über den großen Hof in Richtung Schmiede. Neia mochte das Anwesen. Einer der Stallburschen war ebenfalls gezeichnet und in der Schmiede arbeitete sogar ein Elf – und kein Gezeichneter! Er war der erste, den Neia in Kentan gesehen hatte, und sie wusste von Mirri, dass das ihrem Meister ordentlich Probleme bereitet hatte. Allerdings war er der Gildenmeister der Schmiede, von daher wollte es sich niemand mit ihm verscherzen. Der Elf hatte auf die Götter schwören müssen, keine Magie in seine Arbeiten einzuweben, denn das Herstellen von Artefakten war inzwischen streng verboten. Inzwischen hatte Neia noch ein paar andere Elfen gesehen, die nie lange in Kentan blieben. Merkwürdigerweise schienen die Menschen gesunde Elfen mehr zu verabscheuen als solche, die Anzeichen der Krankheit trugen. In anderen Ländern war die Lage angeblich besser, hatte Neia gehört, doch am besten war es für Elfen, sich aus den Großstädten fernzuhalten.

»Was hast du heute noch so vor?«, fragte Mirri und schnappte sich ihre Schürze von dem Haken an der Außenwand der Schmiede.

Neia lugte durch die halb offene Tür in den Schmiederaum und rümpfte die Nase, als ihr der beißende Geruch von Metall und Asche entgegenschlug.

»Ein bisschen im Viertel herumlaufen, denke ich. Ich bin gestern erst im Äußeren Ring gewesen, das reicht«, antwortete sie abwesend. Auch Mirri wusste nichts von ihrer Arbeit bei Lady Renna und Neia hasste die Tatsache, ihre beste Freundin anlügen zu müssen.

Mirri brummte etwas Zustimmendes mit einem sehnsüchtigen Ausdruck in den Augen. Sie war in den letzten Zügen ihrer Lehre und die freien Tage, die sie hatte, verbrachte sie mit Üben und dem Studieren der Texte, die der Meister ihr empfahl. Bald würde sie ihre Prüfung ablegen und sie mit Erfolg bestehen, davon war Neia überzeugt. Mirri meistens auch, außer alle zwei Kerzen, wenn sie von ihren Selbstzweifeln überrannt wurde. Auch jetzt begann sie bereits nervös ihre Hände zu kneten und immer wieder in die Schmiede hineinzusehen. Es drängte sie danach, ihre Arbeit aufzunehmen.

»Ich störe dich jetzt nicht weiter«, sagte Neia deswegen und Mirri warf ihr einen schuldbewussten Blick zu. »Wir sehen uns nach dem Ball wieder. Dann erzähle ich dir alle Einzelheiten.«

»Abgemacht«, erwiderte Mirri, hob die Hand zum Abschied und war innerhalb von wenigen Herzschlägen durch das große Tor der Schmiede geschlüpft.

Neia wandte sich ab und ging langsam in Richtung schmiedeeisernes Ausgangstor des riesigen Hofes, der von einer Mauer umgeben war. Auf der gegenüberliegenden Seite lag das große, langgestreckte Haupthaus. Direkt daran angeschlossen, auf der rechten Seite, war ein Teil der Stallungen, links die große Schmiede. Fast schon eine kleine Festung.

Ungehindert schritt Neia durch das Tor und schaute sich unschlüssig um. Das Anwesen befand sich am Ende einer breiten Straße, die zu einem Platz führte. Von diesem gingen weitere Straßen zum Haus der beiden obersten Heiler, dem Prachtbau des aktuell vorsitzenden Händlers, der Bibliothek, der Akademie und dem Verschlossenen Turm aus. Bei dem Gedanken an Letzteren musste Neia ein wenig schmunzeln, während sie langsam die breite, von Pappeln gesäumte Straße entlangschlenderte.

Der Verschlossene Turm war ein Überbleibsel der Elfenbesiedlung. Angeblich waren hier bis zum Vorabend des großen Ausbruchs der Krankheit Elfen ein- und ausgegangen, hatten Menschen unten an der Tür geholfen und Schülerinnen und Schüler ausgebildet. Und am nächsten Morgen, als der Gildenrat verzweifelt an die hölzerne Tür gehämmert hatte, hatte ihnen nur Totenstille geantwortet. Kein Elf mehr. Keine Möglichkeit, mithilfe eines ihrer Artefakte Kontakt zum Hohen Rat aufzunehmen. Keine Magie mehr, bis auf die wenigen magischen Artefakte, die in der Stadt verteilt gewesen waren. Dafür der Kampf gegen die echte, freie Magie der Fluchelfen. Ein Ort, der für so vieles stand, zog Legenden, Gerüchte und Kinder wie magisch an – und natürlich hatten sich auch Mirri und Neia nicht von den Verboten abhalten lassen und waren eines Nachts bis zu dem aus schwarzem Stein erbauten Turm geschlichen. Neia hatte sich sogar getraut die Mauern zu berühren. Nur einen Herzschlag später waren sie von einer Eule erfolgreich in die Flucht geschlagen worden.

Mittlerweile hatte Neia den Hauptplatz erreicht. In der Mitte stand ein großer Brunnen mit einer gewaltigen Statue. Sie zeigte ein Buch, einen Schmiedehammer, ein beliebtes Heilkraut, einen Speer der Stadtwache und eine Goldwaage, alles eingefangen von einem kunstvoll gearbeiteten Bogen, der im Sonnenlicht wie verrückt funkelte. Sie stellten die sechs Hauptgilden dar, auf deren Fundament das Königinnenreich Manwen erbaut worden war und immer noch stand – bis auf die Magiegilde.

Mittlerweile saßen natürlich nicht nur die Gildenführenden im Gildenrat, sondern darüber hinaus ganz andere Leute. Lords und Ladys, wie Lady Renna, und gewählte Vertreter des Volks, außerdem einige ausländische Abgeordnete.

Etwas an dem Brunnen ließ Neia stutzen und riss sie aus ihren Gedanken. Sie trat einen Schritt näher, betrachtete das sachte Wellen schlagende, klare Wasser, die Marmorschnörkel am Rand und dann wieder die Statue. Alles glänzte wie frisch poliert, bis auf …

Ihre Augen weiteten sich. Nicht der Bogen, der Magie darstellte. Er glänzte nicht weiß. Dunkle Funken tanzten über seine glatte Oberfläche, hinterließen Blüten aus Schwärze, die sich auf dem weißen Marmor ausbreiteten und ihn Stück für Stück verfärbten.

Neia keuchte auf und wich mit einem Satz zurück. Ihr Herz schlug auf einmal wie wild. Trotzdem war sie unfähig den Blick abzuwenden, bis der ganze Bogen schwarz war, funkelnd wie ein kleiner Ausschnitt des Sternenhimmels.

Erst dann riss sie sich los und eilte davon, immer noch mit rasendem Puls. Sie wusste, was sie da gesehen hatte. Oder ahnte es zumindest. Die Magie der Fluchelfen. Magie, die Schatten und Dunkelheit kontrollieren konnte. Die aus einem sonnenhellen Tag tiefste Nacht machen konnte. Jene, die über verfluchte Magie verfügten, konnten in jedem Schatten auftauchen und ihn sich zunutze machen. Die mächtigsten Fluchelfen waren angeblich dazu in der Lage gewesen, die Schatten anderer Lebewesen zu beeinflussen und sich diese dadurch gefügig zu machen. Neias Mund war staubtrocken, gleichzeitig musste sie ihre Handinnenflächen an ihrer Hose abwischen, weil sie feucht von Schweiß waren.

Ohne sich auch nur einmal zu dem Brunnen umzusehen, nahm sie die Straße in Richtung Heilerzentrum. Dort hatten sie Gärten, die jeder betreten konnte, und die waren ihr Ziel. Der Duft der Blumen und Kräuter würde ihr vielleicht helfen ihre wirbelnden Gedanken zu sortieren. Verfluchte Magie, mitten in Kentan. Das hatte es seit Ende des Krieges vor 25 Jahren nicht mehr gegeben. Nun hatte sie diese Kräfte mit eigenen Augen gesehen … Die strahlende Dunkelheit. Strahlend?

Energisch schüttelte Neia den Kopf. Das schlug sie sich besser gleich aus dem Kopf! An verfluchter Magie war nichts Strahlendes. Nichts Gutes. Vor allem nicht für sie. Für sie bedeutete das nur Probleme, denn sie würde zu den ersten Verdächtigen gehören. Sie konnte nur hoffen, dass sie gerade von niemandem am Brunnen beobachtet worden war.

Mittlerweile hatte sie das Heilerzentrum erreicht, das nur durch eine niedrige Mauer gekennzeichnet war, in der überall Durchgänge waren. Dahinter erstreckten sich die Gärten und in deren Zentrum das dreistöckige Gebäude, in dem die Kranken behandelt wurden und die Heiler lebten und ausgebildet wurden.

Neia schlüpfte durch eine der Lücken in der Mauer und wurde von dem würzigen Geruch der Kräuter eingehüllt. Engelwurz, Schlafmohn, Tausendgüldenkraut, Süßholz … und das waren nur die, die sie erkennen konnte. Weiter hinten im Garten, auf der anderen Seite des Hauses, war sogar ein kleiner Wald aus Ginkgo-Bäumen, die im Herbst aussahen wie aus Gold gegossen.

Während sie über die kleinen angelegten Pfade wanderte, beruhigte sie sich langsam. Vielleicht war das keine verfluchte Magie gewesen. Mit Sicherheit gab es eine andere Erklärung für das, was sie beobachtet hatte. Bei nächster Gelegenheit würde sie Lady Renna davon berichten und sie hätte mit Sicherheit die Lösung – denn auf keinen Fall konnte sich ein Fluchelf in die Stadt geschlichen haben, ohne entdeckt worden zu sein. Und selbst wenn, warum würde er den Magiebogen schwarz färben? Das war nur ein Zierstück auf einem hübschen Platz!

Sie lief gerade zwischen zwei Hecken hindurch, als sie Stimmen hörte, die immer lauter wurden.

»… etwas stimmt damit nicht!«, sagte ein Mann energisch. »Wir sollten der Königin eine Botschaft schicken.«

Instinktiv zwängte sich Neia zwischen den Ästen der linken Hecke hindurch und drehte sich dann rasch um, damit sie den Pfad weiter im Blick behalten konnte. Das alles tat sie, ohne auch nur darüber nachzudenken. Jahrelanges Training und Ohrenaufsperren hatten dafür gesorgt, dass die Worte »Wir sollten der Königin eine Botschaft schicken« sofort ihre Aufmerksamkeit weckten.

Zwei Heiler traten in ihr Sichtfeld und ihre Augenbrauen wanderten in die Höhe, als sie den einen an seiner hellgrünen Robe erkannte. Einer der beiden obersten Heiler, Ruwan. Der andere musste einer seiner Mitarbeiter sein, denn seine Robe war etwas dunkler.

Letzterer blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich weiß nicht, worauf wir noch warten sollen.«

»Auf eindeutige Ergebnisse«, erwiderte Ruwan und klang, als hätte er das schon mehrmals gesagt. »Willst du Panik in der Stadt verbreiten? Nur, weil wir eine Vermutung haben?«

Das schien dem anderen keine ausreichende Begründung zu sein, denn Neia konnte sehen, wie sich seine Haltung anspannte. Da er mit dem Rücken zu ihr stand, konnte sie jedoch seinen Gesichtsausdruck nicht sehen und Ruwan war ein wenig kleiner, sodass sie auch seinen nicht erkennen konnte.

»Es der Königin zu sagen bedeutet nicht, dass wir Panik verbreiten. Eine Meldung wäre das Verantwortungsvollste!«

»Behauptest du, ich wäre verantwortungslos?«, fragte Ruwan scharf und Neia schnitt eine Grimasse. Nach ihrer Entlassung aus dem Quarantäne-Trakt hatte sie einen Monat im Heilerzentrum verbracht, um wieder aufgepäppelt zu werden. Mit Ruwan war nicht zu spaßen, wenn seine Stimme einen so scharfen Klang annahm.

»Natürlich nicht«, erwiderte der andere Heiler eilig und breitete die Arme in einer beschwichtigenden Geste aus. »Aber ich habe die Elfe behandelt. Es wäre meine Pflicht, eine Meldung zu machen.«

Neia zuckte so heftig zusammen, dass die Hecke leise raschelte. Eine Elfe? Was konnte er bei einer Elfe behandelt haben, das einer Meldung bedurfte?

Die Erkenntnis traf sie mit der Wucht eines Faustschlags in die Magengegend. Die Krankheit. Aber das war unmöglich. Genauso unmöglich wie verfluchte Magie mitten im Gildenviertel.

»Das verstehe ich natürlich.« Ruwan klang ein wenig besänftigter und zwischen ein paar Zweigen hindurch konnte Neia sehen, wie er dem anderen Heiler eine Hand auf den Arm legte. Sie konnte aber auch beobachten, wie er mit seiner anderen Hand unauffällig in eine versteckte Tasche seiner Robe glitt und etwas herausholte, verborgen in seiner Faust.

Langsam setzten sich die Männer wieder in Bewegung, kamen auf sie zu und Neia erstarrte. Sie atmete so flach wie möglich, den Blick auf Ruwans Faust fixiert. Was hatte er vor? Sie hatte das Gefühl, als müsste sie aus ihrem Versteck hervorspringen und verhindern, was gleich geschehen würde. Eine Art dunkle Vorahnung, als würden sich die Fäden des Schicksals um sie herum neu weben. Aber sie blieb zwischen den Blättern und Ästen stehen, unfähig sich zu bewegen. Sie war nicht dazu ausgebildet worden einzugreifen. Nur zu beobachten.

Deswegen sah sie bloß zu, wie Ruwan mit einer blitzschnellen Bewegung den Arm hob und dem anderen Heiler eine Art Pulver ins Gesicht warf.

Der brach augenblicklich zusammen und Neias Herzschlag geriet ins Stocken. Hatte Ruwan …? Aber da sah sie das Heben und Senken der Brust unter der grünen Robe.

Ruwan hockte sich neben den Heiler und tastete nach seinem Puls.

»Tut mir leid, mein Freund. Du wirst jetzt ein paar Wochen schlafen«, murmelte er und richtete sich wieder auf. Wachsam schaute er sich um, aber wie immer, wenn Neia in einem Versteck hockte, wurde sie nicht entdeckt. Auch nicht von Ruwan. Raschen Schrittes entfernte er sich und ließ den Heiler einfach auf dem Boden liegen.

Neia musste den Instinkt niederringen, Hilfe zu holen. Wenn man sie mit einem zusammengebrochenen Heiler, der nicht mehr wach zu kriegen war, in Verbindung brachte, würde das nur Ärger für sie bedeuten.

Lautlos, obwohl von Ruwan nichts mehr zu sehen war, kroch sie rückwärts aus der Hecke hinaus und landete zwischen ein paar Rosenstöcken. Sie stand auf und kehrte auf einen der anderen Pfade zurück.

Eigentlich war sie ja in die Gärten gekommen, um ihre Gedanken zu sortieren. Nun fühlten sie sich jedoch verknoteter an als zuvor, ungefähr so wie ihr erster Versuch, ein Tuch zu stricken, verlaufen war.

Am liebsten wäre sie sofort zu Lady Renna oder Mirri gegangen, doch von beiden wusste sie, dass sie beschäftigt waren. Die eine in einer Gildensitzung, die andere in der Schmiede.

Offensichtlich hatte der Kalte Orden recht gehabt. Etwas ging in Kentan vor sich.

Kapitel III – Neia

Unruhig zupfte Neia an der neuen steifen Kleidung und betrachtete sich im Spiegel des Ankleidezimmers für die Dienerschaft. Die blaue Farbe des Kleides war gleich geblieben, nur die Nähte waren golden, die Farbe der Königin.

»Gewöhnt euch besser nicht dran«, ertönte die nasale Stimme der Schlossdienerin und Neia tauschte einen Blick mit einer der anderen Dienerinnen aus dem Haus eines anderen Lords. Die verdrehte nur die Augen, ehe sie sich schulterzuckend abwandte.

»Ihr wisst alle, was ihr zu tun habt. Heute Abend repräsentiert ihr eure Lords und Ladys. Euer Versagen wird negativ auf sie zurückfallen!«, erklärte die Schlossdienerin und machte bei dieser Vorstellung ein entsetztes Gesicht, was Neia beinahe schmunzeln ließ. »Ich möchte am Ende des Abends keine Beschwerden über euch hören!«

Sie murmelten alle ihre Zustimmung, stellten sich in eine ordentliche Reihe auf und folgten der Dienerin aus dem Raum hinaus.

Wie geplant war Neia am gestrigen Morgen ins Schloss gekommen und sofort eingewiesen worden. Sie hatte geholfen den Ballsaal vorzubereiten, das Geschirr zu polieren und war dann probeweise vor den Dienern des Schlosses mit schweren Tabletts auf und ab gelaufen. Das würde sie heute Abend beim Ball ebenfalls machen. Ihr brannten bereits die Schultern und ihre Arme fühlten sich schwer an, aber sie freute sich trotzdem auf den Ball, der in einer Kerzenlänge beginnen würde. Neia hoffte Lady Renna ein Zeichen geben zu können. Sie musste dringend mit ihr reden.

Während sie durch die prunkvollen Gänge des Schlosses gingen, mit den Gemälden und Teppichen an den Wänden, den kleinen Statuen auf Beistelltischen und Stuckverzierungen an den hohen Decken, kehrten ihre Gedanken gegen ihren Willen zu den Ereignissen in der Stadt zurück. Der schwarz gewordene Magiebogen. Das Gespräch, das sie in den Heilergärten belauscht hatte.

Fluchelfen. Es musste etwas mit ihnen zu tun haben. Waren sie hier? Bei diesem Gedanken durchfuhr sie ein Stich von … was? Angst, Aufregung? Neia hatte keine Ahnung, wie sie sich fühlen würde, falls die Fluchelfen wirklich zurückkehrten.

Und dieser Abend war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um ihre widersprüchlichen Gefühle zu sortieren.

Mittlerweile hatten sie die hintere Tür des Ballsaals erreicht und durchschritten sie im Gänsemarsch. Neia erlaubte sich ein stolzes Lächeln, als sie den geschmückten Saal betrachtete. Blumen an den Wänden und auf den Tischen, alle Oberflächen glänzten, die Türen zum großen Balkon waren weit geöffnet und gaben den Blick auf die Berge im Norden frei. Ein frischer, zartsüßer Geruch hing in der Luft, zu dem sich schon bald der Duft des köstlichen Festmahls gesellen würde.

Während sie die letzten Vorbereitungen trafen und die Tabletts mit erfrischenden Getränken und Häppchen beluden, konnte Neia endgültig jeden sorgenvollen Gedanken verdrängen, so beschäftigt war sie.

»Der Ball kann eigentlich nur entspannter werden als das«, knurrte eine der anderen Dienerinnen, die hastig kleine Brote mit Pastete auf einem Tablett anrichtete.

»Davon bin ich überzeugt. Nicht einmal mein Herr ist so pingelig wie die Damen des Schlosses«, gab Neia zurück und nickte unauffällig in Richtung der streng schauenden Dienerinnen mit den goldenen Schürzen.

Die andere Dienerin gab ein zustimmendes Brummen von sich und eilte dann mit ihrem Tablett durch die Küche, um sich zu den anderen zu stellen.

Rasch platzierte Neia das letzte Glas auf ihrem Tablett und balancierte es sorgfältig durch den Raum, bis sie bei den Türen war. Auf der rechten Seite des Ballsaals waren überall versteckte schmale Gänge, die bis zur Küche führten. Und gleich würden sie alle geöffnet werden und die Dienerinnen würden mit ihren Erfrischungen durch den Saal gehen, zwischen den weniger mächtigen Lords und Ladys, die keinen feierlichen Einzug bekommen hatten.

»Und … los, raus, raus!«, rief die strenge oberste Dienerin, als der Ball begann.

Neia bekam keine Zeit mehr, nervös zu werden oder sich zu fragen, was passieren würde, wenn sie stolperte oder die Getränke über einen der Gäste verschüttete, denn schon stand sie im Ballsaal. Die Kerzen waren alle entzündet und ihr Licht brach sich auf dem Schmuck der Gäste. Ihre Kleidung leuchtete in allen Farben des Regenbogens.

»Ein Glas Wein?«, fragte Neia und hielt das Tablett einer Gruppe adliger Frauen hin. Sofort wurde ihre Last leichter und mit einem etwas sichereren Gefühl ging sie zu der nächsten Gruppe.

Die Adligen ignorierten sie fast immer, als wäre sie ein Geist und als würde das Tablett von selbst durch den Raum schweben. Lasseas Sorge, eine gezeichnete Elfe auf dem Ball würde für einen halben Aufstand sorgen, erwies sich als unbegründet.

Neia hatte gerade die letzten Gläser unter den Gästen verteilt, als Fanfaren ertönten. Sie kündigten das Eintreffen der hochrangigeren Gäste und das der Königin an.

Alle drehten sich in Richtung der großen Flügeltür, neben der ein Herold mit einer Pergamentrolle stand.

Er begann mit der Vorstellung einiger Mitglieder des Gildenrats, die mit hocherhobenen Häuptern und prächtiger Kleidung in den Saal stolzierten.

»Meisterheiler Ruwan und Meisterheiler Selyn!«, rief der Herold und Neia reckte sich ein wenig, um die beiden besser sehen zu können.

Arm in Arm traten die Männer ein und tanzten mit ihrer schlichten dunkelgrünen Heilerkleidung fast aus der Reihe – hätten sie sich nicht mit so einer Selbstsicherheit bewegt und die Menschen sich nicht so ehrerbietig vor ihnen verneigt. Jeder respektierte die Heiler. Von den anderen Meistern war keiner da, was Neia nicht wunderte. Die Händlerin war nicht in der Stadt, der Schmied machte sich nichts aus Feiern und die Zwillinge der Bibliothek verließen diese nur äußerst selten. Von Meister Talanin war auch nichts zu sehen, aber vermutlich musste er die Stadtwache an diesem Abend besonders beaufsichtigen.

Stille senkte sich über den Saal, summend vor Erwartung.

»Königin Elandri von Kentan!«, verkündete der Herold mit donnernder Stimme. »Und die Begleitung Ihrer Majestät, Lady Tarlisa Renna.«

Die beiden Frauen traten Seite an Seite ein, was ein aufgeregtes Raunen durch die Menge sandte und Neia mit Stolz erfüllte. Königin Elandri zeichnete Lady Renna damit als ihr ebenbürtig aus. Jeder wusste, dass die beiden zusammen waren und sie nun Seite an Seite zu sehen …

Neia warf einen Blick in die Runde und merkte sich die sehnsüchtigen und eifersüchtigen Blicke, die enttäuschten und die gierigen, ehe sie sich wieder auf das Paar konzentrierte.

Die Königin trug ein goldenes Kleid mit schwerer Schleppe und langen Ärmeln, das ihre dunkle Haut strahlen ließ. Ihre schwarzen Haare waren zu einer eleganten Hochsteckfrisur gebunden worden. Lady Rennas dunkelblaues Kleid mit goldenen Applikationen war ganz offensichtlich passend zu dem der Königin ausgewählt worden und sie hatte ein freundliches, glückliches Lächeln auf den Lippen. Neia konnte gar nicht anders, als ebenfalls zu lächeln.

»Ich habe gehört, der Gildenrat hat ihnen ein paar Probleme gemacht«, sagte eine Adlige aus der Gruppe, neben der Neia stand. »Die Ratsmitglieder sind der Meinung, eine öffentliche Geliebte würde potenzielle Heiratskandidaten abschrecken.«

»Und was hat Königin Elandri dazu gesagt?«, fragte eine andere neugierig.

»Sie hätte nicht vor zu heiraten, also sei das nur in ihrem Interesse.«

Ein schockiertes Keuchen und Kichern ging durch die Gruppe.

»Das muss den Rat mehr als entsetzt haben!«

»Ihr Haus braucht doch ein Kind, das die Krone erbt!«

Die erste Adlige zuckte mit den Schultern. »Laut der Königin sei das ja nicht mehr ihr Problem, wenn sie stirbt. Sie wäre nicht die Erste ohne Erbin. Außerdem könne sie immer noch eine ernennen oder ein Kind aufnehmen.«

Neia beobachtete wieder das Pärchen, das begann sich unter die Leute zu mischen. Sie konnte sich definitiv vorstellen, dass eine so stolze Frau wie die Königin so eine Aussage traf. Ehrlich gesagt konnte sie Königin Elandri auch nicht mit irgendeinem Mann an ihrer Seite sehen. Und auch nicht mit einer anderen Frau.

Sie fing den Blick einer der Schlossdienerinnen auf und beeilte sich zurück in die Küche zu gehen und ihr Tablett neu zu beladen.

Ewigkeiten ging das so. Nachdem das Buffet eröffnet worden war, war Neia vor allem damit beschäftigt, das Geschirr im Saal einzusammeln, leere Schüsseln in die Küche und gefüllte zurück zum Buffet zu bringen. Ihre Beine wurden immer schwerer, ihre Arme spürte sie kaum mehr, aber gleichzeitig war sie von der fröhlichen, ausgelassenen Atmosphäre im Ballsaal wie elektrisiert.

Als das Buffet immer weniger besucht wurde und sich die ersten Pärchen der Tanzfläche zuwandten, durfte Neia eine Pause machen.

So unauffällig wie sie konnte, schob sie sich durch die Menge, hielt mit einem Auge Ausschau nach Lady Renna, mit dem anderen behielt sie die Balkontüren im Blick. Ihr Ziel. Frische Luft einatmen, die Aussicht genießen und zur Ruhe kommen, bevor sie weiterarbeiten musste.

Sie entdeckte Lady Renna in einem Tanz mit Königin Elandri und seufzte vor Bewunderung bei den eleganten Bewegungen der Frauen. Also ohne Umwege zum Balkon.

Neia trat durch die geöffneten Türen und schauderte ein wenig, als sie von der kühleren Luft empfangen wurde. Angezogen von dem fantastischen Ausblick ging sie zum Geländer und betrachtete den Teil der Stadt, der sich nördlich des Schlosses ausbreitete. Sowohl die äußere als auch die innere Stadtmauer verliefen kreisförmig. Hier im Norden konnte man die immer schneebedeckten Berge betrachten und wenn man an der Südseite war, die Meerenge mit dem riesigen, blau glitzernden Gewässer. Früher war Kentan eine wichtige Hafenstadt gewesen, aber die meisten Boote waren in den Kriegen versenkt worden und die Menschen wussten nicht, wie sie selbst welche bauen konnten. Deswegen hatte man den Hafen abgerissen und dort stattdessen einen riesigen Markt errichtet, der früher nur dreimal die Woche, mittlerweile täglich abgehalten wurde.

Aber hier war nichts davon zu sehen. Hier waren die Berge zum Greifen nah.

»Angeblich lebte dort vor gar nicht allzu langer Zeit ein Riese«, sagte hinter ihr jemand und Neia fuhr erschrocken herum. Unbemerkt von ihr hatte sich ihr jemand genähert.

Ein junger Mann, ungefähr in ihrem Alter, stand hinter ihr. Er hatte braune, leicht schrägstehende Augen und trug seine schwarzen Haare zu einem Zopf gebunden. Seine silbrig graue Kleidung mit grünen Verzierungen war schlicht, doch von einwandfreier Qualität.

Neia knickste, nachdem sie sich von ihrem Schreck erholt hatte. »Mein Herr.«