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Als Strategie zur Vermeidung wirtschaftskrimineller Handlungen haben Compliance Management Systeme mittlerweile auch in deutschen Unternehmen Fuß gefasst. Mit Blick auf das Phänomen der Wirtschaftskriminalität und dessen Dunkelfeld untersucht Kristin Kißling die Frage, ob und inwieweit die Einführung von Compliance einen Einfluss auf das Sichtbarwerden wirtschaftskrimineller Handlungen im Hellfeld registrierter Kriminalität haben kann. Zur Beantwortung dieser Frage nutzt Kißling die Funktionsanalyse nach Robert K. Merton. Dessen Unterscheidung zwischen latenten und manifesten Funktionen bringt sie zu der These, dass durch Einführung von Compliance Maßnahmen unter gewissen Umständen sogar eine nicht intendierte Abschottung des Unternehmens vor dem Zugriff staatlicher Strafverfolgungsbehörden eintreten kann. Mit ihren Analysen wendet sich die Autorin gleichermaßen an Juristen, Compliance Experten, Kriminologen und Soziologen.
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Seitenzahl: 263
Veröffentlichungsjahr: 2016
Kristin Kißling
Die latente Funktion von Compliance
Kristin Kißling
Die latente Funktion von Compliance
Eine Analyse der Wirkungszusammenhänge von Compliance Maßnahmen auf das Dunkelfeld der Wirtschaftskriminalität
Tectum Verlag
Kristin Kißling
Die latente Funktion von Compliance. Eine Analyse der Wirkungszusammenhänge von Compliance Maßnahmen auf das Dunkelfeld der Wirtschaftskriminalität
© Tectum Verlag Marburg, 2016
Zugl. Diss. Universität Leipzig 2015
ISBN: 978-3-8288-6575-4
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter
der ISBN 978-3-8288-3831-4 im Tectum Verlag erschienen.)
Die vorliegende Dissertation wurde 2015 unter dem Titel
‚Die „latente“ Funktion von Compliance. Eine empirische Analyse der Wirkungszusammenhänge von Compliance Maßnahmen auf das Dunkelfeld der Wirtschaftskriminalität‘ an der Universität Leipzig angenommen und für die vorliegende Veröffentlichung leicht verändert.
Schrift im Innenteil: EB Garamond
© http://georgduffner.at/ebgaramond/de/index.html
Alle Rechte vorbehalten
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Vorwort
Das vorliegende Werk ist eine aktualisierte und gekürzte Version der Dissertation, die im Oktober 2015 von der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie der Universität Leipzig unter dem Titel „Die ‚latente’ Funktion von Compliance“ angenommen wurde. Die Dissertation entstand während meiner Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristenfakultät der Universität Leipzig. Die Idee zu dieser Dissertation entwickelte sich im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojektes „Corporate Compliance – Rechtliche Grenzen und empirische Wirkungen einer neuen Form der Unternehmensorganisation“.
Wenngleich die Arbeit thematisch vornehmlich Rechtswissenschaftler und Betriebswirtschaftler ansprechen wird, so ist sie doch ebenfalls für Sozialwissenschaftler und Kriminologen, die sich mit den Themengebieten Wirtschaftskriminalität, Korruptionsforschung und Compliance beschäftigen, von Interesse.
Im Folgenden möchte ich mich bei all jenen bedanken, die mich während der Erstellung der Dissertation unterstützt und zu ihrem Gelingen beigetragen haben.
Ganz besonderer Dank gilt meinem betreuenden Hochschullehrer Prof. Dr. Kurt Mühler. Mit seinen Anregungen und der konstruktiven Kritik in unseren Gesprächen hat er oft meinen Blick für das Wesentliche geschärft und so zum Gelingen der Dissertation beigetragen. Ich danke Herrn Prof. Dr. Hendrik Schneider für die Erstellung des Zweitgutachtens und der Anstellung an seiner Professur, durch die mir die Promotion ermöglicht wurde. Zusätzlich danke ich ihm für die fortwährende Unterstützung während der Promotion und darüber hinaus. Ich bedanke mich bei Prof. Dr. Peter Graeff für die Erstellung des Drittgutachtens und den interessanten Austausch im Anschluss.
Ein besonderes Dankeschön gilt dem DAAD e.V., ohne dessen Förderung der ertragreiche Auslandsaufenthalt nicht zustande gekommen wäre.
Des Weiteren bedanke ich mich herzlich bei der University of Miami, School of Law, für die Unterstützung und Aufnahme während meines Auslandsaufenthaltes und die zahlreichen interessanten Diskussionen mit den Kollegen. Besonderer Dank gilt hierbei Prof. Dr. David Abraham, der immer ein offenes Ohr für meine Anliegen hatte und oft den richtigen Motivationsschub lieferte. Außerdem danke ich Michelle Gomez für ihre fortwährende Unterstützung und Freundschaft. Thank you Michelle for your support and friendship.
Meinen Freunden und Kollegen am Lehrstuhl danke ich für die Unterstützung und die Anregungen. Namentlich bedanke ich mich bei Dr. Friederike Eßbach, Peter Gottschaldt, Dr. Antje Schumann, Niels Kaltenhäuser und Hans-Henning Gonska.
Ein weiteres Dankeschön geht an meine Freundin Anja Wellna, die die Rolle der Lektorin übernahm und das Manuskript mit großer Sorgfalt Korrektur las.
Zuletzt bedanke ich mich bei meiner Familie insbesondere bei meinen Eltern, die den Grundstein für meine Ausbildung legten und mir den Weg zur Promotion ermöglicht haben. Sie waren während der gesamten Zeit eine besondere Stütze für mich.
Kristin Kißling
Kurzzusammenfassung
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Phänomen der Wirtschaftskriminalität und dessen Dunkelfeld. Untersucht wird, ob die Einführung von Compliance Management Systemen in deutschen Unternehmen einen Einfluss auf die Sichtbarkeit wirtschaftskrimineller Handlungen hat. Zur Untersuchung wird die Funktionsanalyse nach Robert K. Merton herangezogen, die die Unterscheidung zwischen latenten und manifesten Funktionen bietet. Es wird davon ausgegangen, dass durch die Einführung von Compliance Maßnahmen in deutschen Unternehmen neben vielfältigen manifesten Funktionen zusätzlich eine latente Funktion entstehen kann, in deren Folge die Abschottung vor dem Zugriff staatlicher Strafverfolgungsbehörden eintritt. Diese These der Abschottung wird einerseits mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse untersucht, andererseits finden quantitative Methoden der empirischen Sozialforschung Eingang in die Analyse. Im Rahmen der quantitativen Analyse werden kausale Bedingungsfaktoren vorgestellt, die das Auftreten der latenten Funktion von Compliance wahrscheinlicher machen können. Bestätigung fand der berufliche Hintergrund des Compliance Verantwortlichen. Durch die qualitative Metaanalyse konnten zusätzlich Hinweise auf eine latente Funktion gefunden werden.
Abstract
This paper is about economic crime and its invisible part (darkfield). We try to figure out, if implementing of compliance management systems does have an influence on the visibility of economic crime. The analysis used is the functional analysis of Robert K. Merton, which is separated in latent and manifest functions. It is assumed that the implementing of compliance measures in German enterprises could not only fulfill manifest functions but may also fulfill a latent function, which can result in a separation from the governmental prosecuting authority. This thesis will be analyzed using qualitative content analysis and quantitative methods of empirical social research. Using the quantitative analyzing method we try to determine causal factors which could lead to a higher chance of the latent function. The casual factor which lead to higher chance is the professional background of the compliance officer. During the qualitative meta-analysis we found more indications for a latent function of compliance.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kurzzusammenfassung
Abstract
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1Einleitung – Das Forschungsproblem
1.1Das Dunkelfeld der Wirtschaftskriminalität
1.2Compliance und die Erhellung des Dunkelfeldes
1.3Die Relevanz des staatlichen Zugriffs
1.4Die Forschungsfrage
2Theoretische Grundüberlegungen
2.1Die Theorie des Funktionalismus in der Soziologie
2.1.1Die Vorläufer der funktionalen Analyse – Herbert Spencer und Émile Durkheim
2.1.2Die Vertreter des Funktionalismus
2.1.2.1Alfred Radcliff-Brown
2.1.2.2Bronislaw Malinowski
2.1.2.3Talcott Parsons
2.1.2.4Wiederbelebung des Funktionalismus durch Niklas Luhmann
2.1.3Die Postulate des klassischen Funktionalismus
2.1.4Die Kritik am Funktionalimus
2.1.4.1Mertons Kritik an den Postulaten des klassischen Funktionalismus
2.1.4.2Kritik an den Methoden des Funktionalismus
2.2Die funktionale Analyse Robert K. Mertons
2.2.1Mertons Funktionalismus und der Begriff der Funktion
2.2.2Die Logik der funktionalen Analyse
2.2.3Das Konzept der latenten und manifesten Funktion
2.2.3.1Das Beispiel der Regentänze der Hopi Indianer
2.2.3.2Das Beispiel der Parteienmaschine
2.3Anwendungsbereiche des Konzeptes der latenten und manifesten Funktionen nach Robert K. Merton
2.3.1Studien über die Wirkung von Arbeitslosigkeit auf das psychische Wohlbefinden
2.3.1.1Die Bedeutung der Arbeit im Kontext der Arbeitslosigkeit
2.3.1.2Die latenten und manifesten Vorteile von Erwerbstätigkeit und deren Wirkung auf das psychische Wohlbefinden von Arbeitslosen
2.3.1.3Die Rolle sinnvoller Freizeitaktivitäten während der Erwerbslosigkeit
2.3.1.4Das Bedürfnis nach Arbeit
2.3.1.5Die Funktion der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf die psychische Gesundheit
2.3.2Die latente Funktion sozialer Rollen
2.3.2.1Die Differenzierung Gouldners latenter sozialer Rollen
2.3.2.2Die latente Kultur
2.3.3Aufsätze, die sich direkt auf Mertons Konzept der latenten und manifesten Funktionen beziehen
2.3.3.1Die Fruchtbarkeit des Einbezugs funktionaler Analyse
2.3.3.1.1Charles Wrights Funktionsanalyse der Massenkommunikation
2.3.3.1.2Charles Arnold Anderson und die „Methodology of Comparative Education“
2.3.3.1.3Fiellins Fallstudie zur Funktion informeller Gruppen
2.3.3.1.4Soziale Konflikte zwischen Kindern und deren Funktion
2.3.3.2Das Konzept der latenten Funktion als Mittel zur Erklärung von ineffektiven, illegalen oder genuin das soziale System bedrohenden Phänomenen
2.3.3.2.1Die manifesten und latenten Funktionen der italienischen Migration in Australien
2.3.3.2.2Die soziale Rolle des „Kranken“ und deren latente Funktion
2.3.3.2.3Eine Funktionsanalyse zur Beschneidung von Frauen im Sudan
2.3.3.2.4Robert Birnbaum und die latente Funktion des akademischen Senats
2.3.4Weitere Aufsätze, die sich des Konzeptes der latenten und manifesten Funktion bedienen
2.3.5Kritische Stimmen zum Theoriekonstrukt der latenten und manifesten Funktion
2.3.6Die Tragfähigkeit der funktionalen Analyse
3Die wissenschaftliche Diskussion im Themengebiet Compliance
3.1Das theoretische Verständnis von Compliance
3.1.1Überblick über Compliance Management Systeme
3.1.2Die Funktionen von Compliance
3.1.2.1Die Schutz- und Risikominimierungsfunktion
3.1.2.2Die Beratungs- und Informationsfunktion
3.1.2.3Die Monitoring- und Überwachungsfunktion
3.1.2.4Marketing Funktion
3.1.3Weiterentwicklung – Die latente Funktion von Compliance
3.2Die Ausgestaltung der Funktionen von Compliance – Ein empirischer Überblick
3.2.1Kurzzusammenfassung des Forschungsstandes Compliance
3.2.1.1Die Handlungsempfehlungen und Best Practice Vorschläge
3.2.2Die manifesten Funktionen von Compliance und deren Ausgestaltung in den Unternehmen
3.2.2.1Die Schutz- und Risikominimierungsfunktion
3.2.2.1.1Das Risikomanagement
3.2.2.1.2Der Verhaltenskodex
3.2.2.1.3Die Mitarbeiterschulungen
3.2.2.1.4Das Mission Statement
3.2.2.2Die Beratungs- und Informationsfunktion
3.2.2.2.1Die Compliance Abteilung
3.2.2.2.2Der Compliance Verantwortliche
3.2.2.2.3Die Berichtswege des Compliance Verantwortlichen
3.2.2.3Die Monitoring- und Überwachungsfunktion
3.2.2.3.1Das Interne Kontrollsystem
3.2.2.3.2Das Whistle-Blowing System
3.2.2.4Die Marketing Funktion
3.2.2.4.1Die Null Toleranz Politik
4Die Hypothesen der Untersuchung
5Die Methodik der Untersuchung
6Die Qualitative Untersuchung
6.1Zusammenfassung der Inhalte bezüglich der latenten Funktion von Compliance
6.2Die latente Funktion von Compliance in der Literatur – Eine Kategorisierung
6.2.1Die Kritiker
6.2.2Die Realisten
6.2.3Die Selbstregulierer
6.3Zusammenfassung der Ergebnisse der Metaanalyse
7Die Quantitative Untersuchung
7.1Das Forschungsprojekt der Universität Leipzig – Der zugrundeliegende Datensatz
7.1.1Die Auswahl des Samples
7.1.2Die Zusammensetzung des Untersuchungssamples
7.1.2.1Soziodemografische Faktoren der Unternehmen
7.1.2.2Die Struktur und der Umfang von Compliance Maßnahmen
7.1.2.3Die Compliance Organisation
7.1.2.4Das Kriminalitätsaufkommen
7.1.2.5Die eingeschätzte Wirkung der Compliance Maßnahmen
7.1.2.6Die Kontrolle und Durchsetzung der Compliance Maßnahmen
7.2Die Operationalisierung der Hypothesen
7.3Die Ergebnisse der quantitativen Analyse – Strukturelle Bedingungen für eine latente Funktion von Compliance
7.3.1Die deskriptiven Verteilungen
7.3.1.1Die Eigenständigkeit der Compliance Abteilung
7.3.1.2Das Vorhandensein eines Hinweisgebersystems
7.3.1.3Der Beruf des Compliance Verantwortlichen
7.3.1.4Der Berichtsweg des Compliance Verantwortlichen (CV)
7.3.2Die logistische Regression
7.3.2.1Die bivariaten Regressionen
7.3.2.1.1Die Hypothese 1 – Eigenständigkeit der Compliance Abteilung
7.3.2.1.2Hypothese 2 – Vorhandensein eines Hinweisgebersystems
7.3.2.1.3Hypothese 3 – Beruf des Compliance Verantwortlichen
7.3.2.1.4Hypothese 4 – Berichtswege des Compliance Verantwortlichen
7.3.2.1.5Zusammenfassung der Ergebnisse der bivariaten Regressionen
7.3.2.2Multivariate Analyseverfahren
7.3.3Zusammenfassung der Ergebnisse der quantitativen Analysen
8Unter welchen Bedingungen entsteht die latente Funktion von Compliance?
9Die Folgen der latenten Funktion – Ein Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:AGIL Schema nach Parsons
Abbildung 2:Das Makro-Mikro-Makro-Modell der soziologischen Erklärung
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:Rekodierung der abhängigen und unabhängigen Variablen
Tabelle 2:Kreuztabelle abhängige Variable Normbewusstsein bzgl. Sanktionierung und unabhängige Variable 1
Tabelle 3:Kreuztabelle abhängige Variable Sanktionspraxis und unabhängige Variable 1
Tabelle 4:Kreuztabelle abhängige Variable Normbewusstsein bzgl. Sanktionierung und unabhängige Variable 2
Tabelle 5:Kreuztabelle abhängige Variable Sanktionspraxis und unabhängige Variable 2
Tabelle 6:Kreuztabelle abhängige Variable Normbewusstsein bzgl. Sanktionierung und unabhängige Variable 3
Tabelle 7:Kreuztabelle abhängige Variable Sanktionspraxis und unabhängige Variable 3
Tabelle 8:Kreuztabelle abhängige Variable Normbewusstsein bzgl. Sanktionierung und unabhängige Variable 4
Tabelle 9:Kreuztabelle abhängige Variable Sanktionspraxis und unabhängige Variable 4
Tabelle 10:Modell 1a - unabhängige Variable 1: Eigenständigkeit der Compliance Abteilung
Tabelle 11:Modell 1b - unabhängige Variable 1: Eigenständigkeit der Compliance Abteilung
Tabelle 12:Modell 2a - unabhängige Variable 2: Hinweisgebersystem
Tabelle 13:Modell 2b - unabhängige Variable 2: Hinweisgebersystem
Tabelle 14:Modell 3a - unabhängige Variable 3: Beruf des CV
Tabelle 15:Modell 3b - unabhängige Variable 3: Beruf des CV
Tabelle 16:Modell 4a - unabhängige Variable 4: Berichtswege des CV
Tabelle 17:Modell 4b - unabhängige Variable 4: Berichtswege des CV
Tabelle 18:Multivariate Regression der abhängigen Variablen Normbewusstsein
Tabelle 19:Multivariate Regression der abhängigen Variablen Sanktionspraxis
Tabelle 20:Häufigkeitsverteilung der abhängigen Var. Normbewusstsein bzgl. Sanktionierung
Tabelle 21:Häufigkeitsverteilung der abhängigen Var. Sanktionspraxis
Tabelle 22:Häufigkeitsverteilung der unabhängigen Var. 1: Eigenständigkeit der Compliance Abteilung
Tabelle 23:Häufigkeitsverteilung der unabhängigen Var. 2: Hinweisgebersystem
Tabelle 24:Häufigkeitsverteilung der unabhängigen Var. 3: Beruf des Compliance Verantwortlichen
Tabelle 25:Häufigkeitsverteilung der unabhängigen Var. 4: Berichtsweg des Compliance Verantwortlichen
Tabelle 26:Häufigkeitsverteilung Fälle Wirtschaftskriminalität
1Einleitung – Das Forschungsproblem
Kriminalität im wirtschaftlichen Sektor wurde lange Zeit nicht als Problem erkannt und blieb somit auch von der Wissenschaft unbeachtet. Wirtschaftsstraftaten galten als Kavaliersdelikte1 und wurden gesellschaftlich geduldet. Nichtsdestotrotz gab es bereits in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts erste kriminologische Beschäftigungen mit dem Themenbereich Wirtschaftskriminalität. So prägte Sutherland2 den Begriff der „weißen Kragen Kriminalität“ oder „white collar crime“, die sich erheblich von der bis dahin in den Blickwinkel gerückten Straßenkriminalität unterschied.3 Sutherland beschrieb eine neue Form der Kriminalität, die von Personen mit einem hohen sozialen Status begangen wird. Gerade der gesellschaftliche Status befähigt diese Täter erst dazu, die white collar crime zu begehen, denn erst durch den Status ergeben sich die notwendigen Tatgelegenheitsstrukturen. Der Begriff der white collar crime hat nur noch wenig mit dem heutigen Verständnis von Wirtschaftskriminalität zu tun, da die Spannweite der hierunter subsumierten Deliktarten in den letzten Jahrzehnten gewachsen ist. Sutherland war der erste Kriminologe, der den Blick weg von der Straßenkriminalität und hin zur Kriminalität der Mächtigen lenkte und somit die Debatte zur Wirtschaftskriminalität eröffnete. Das Besondere an dieser Art der Kriminalität ist, dass es sich um „Kriminalität bei sonstiger sozialer Unauffälligkeit“4 handelt und somit die bis dato untersuchten Ursachen von Kriminalität – als Unterschichtphänomen – keine Anwendung mehr finden konnten. Aufbauend auf dieser Erkenntnis wurden verschiedene Versuche unternommen, die Ursachen von Wirtschaftskriminalität zu ergründen.
Der populärste Ansatz ist wahrscheinlich der von Coleman5 zur Integrated Theory of White-Collar Crime, der von drei wesentlichen Ausgangsbedingungen für das Entstehen einer Wirtschaftsstraftat ausging: der Motivation des Täters zur Begehung einer solchen Tat, der Wettbewerbskultur und dem Vorhandensein verschiedener Neutralisierungstechniken, um die Tat vor sich und anderen zu rechtfertigen.6 Damit nähert er sich dem Ansatz von Cressey,7 der als Schüler Sutherlands bereits versuchte, die Ursachen der Wirtschaftskriminalität zu ermitteln und das Fraud Triangle zur Erklärung wirtschaftskrimineller Handlungen konstruierte. Dieses Dreieck benennt drei Bedingungen, die für die Entstehung von Wirtschaftskriminalität entscheidend sind: „pressure“ als Motivation für die Tat, „opportunity“ als Tatgelegenheit und „rationalization“ als Rechtfertigungsstrategie. Wenn diese Bedingungen, die denen von Coleman recht ähnlich sind, bestehen, kommt es zu wirtschaftskriminellen Verhaltensweisen.8 Schneider geht noch einen Schritt weiter und bezieht die personalen Risikofaktoren im „Leipziger Verlaufsmodell wirtschaftskriminellen Handelns“9 ein, denn ohne diese müsste Wirtschaftskriminalität viel häufiger ja sogar ubiquitär auftreten. Nach dem Verlaufsmodell besteht zunächst die Tatgelegenheit, die der potentielle Täter erkennen muss. Anschließend bewertet er die Situation, wobei diese Bewertung von seinen Wertemustern abhängig ist. Aus dieser Bewertung entspringt dann die Motivation, eine solche Tatgelegenheit tatsächlich wahrzunehmen und eine wirtschaftskriminelle Handlung zu begehen. Nicht Jeder, der die Gelegenheit wahrnimmt, wird die Tat auch begehen. An dieser Stelle spielen personale Risikofaktoren eine entscheidende Rolle. So bezieht sich Schneider auf verschiedene Theorieansätze, die in personale Risikofaktoren münden. Beispielsweise kann eine bestehende Diskrepanz der Ziele und verfügbaren Mittel nach der Anomietheorie von Merton10 zur Motivation führen, die Tatgelegenheit wahrzunehmen. Möglich ist ebenso, dass aufgrund von arbeitsplatzbezogenen Subkulturen11 kriminelles Verhalten ermöglicht und geduldet, wenn nicht sogar honoriert wird. Zusätzlich wirft Schneider noch eine weitere Ursache für die Entstehung von Wirtschaftskriminalität auf: Die Taten, die aus der Unkenntnis der Grenzen zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten entstehen.12
1.1Das Dunkelfeld13 der Wirtschaftskriminalität
Wie in der Einführung gezeigt wurde, wird sich bereits seit geraumer Zeit mit dem Phänomen der Wirtschaftskriminalität beschäftigt. Dennoch haben alle diese kriminologischen Forschungen nicht zur Erhellung des Dunkelfeldes im Bereich der Wirtschaftskriminalität beigetragen. Das Dunkelfeld der Wirtschaftskriminalität wird als hoch eingeschätzt. Bereits in der polizeilichen Kriminalstatistik ist im Zusammenhang eines Anstieges der Wettbewerbs-, Korruptions- und Amtsdelikte zu lesen, dass „das Dunkelfeld [...] jedoch auf ein Vielfaches geschätzt“14 wird. Nahezu jeder Autor, der sich mit dem Themenbereich Wirtschaftskriminalität beschäftigt, geht von einem hohen Dunkelfeld dieses Deliktsbereiches aus, sodass die 60.977 Fälle15 von Wirtschaftskriminalität, die im Jahr 2015 polizeilich bekannt wurden, nur einen Bruchteil der tatsächlich vorkommenden Kriminalität dieser Deliktsgruppe abbilden. Gleiches ist im periodischen Sicherheitsbericht nachzulesen, der zusätzlich dazu angibt, dass die kriminologischen Instrumente, die zur Aufhellung des Dunkelfeldes genutzt werden, in dieser speziellen Deliktsgruppe nicht greifen. „Es kann deshalb derzeit lediglich begründet vermutet werden, das Dunkelfeld sei relativ groß.“16 Diese Vermutung wird auch durch Studien zum Dunkelfeld bestätigt: „Wenn man über die entdeckten Straftaten hinaus auch das Dunkelfeld der Delikte zu erhellen versucht, die von Unternehmen lediglich vermutet wurden, steigt der Anteil der von Kriminalität betroffenen Unternehmen deutlich.“17 In einer Studie der PwC wurde festgestellt, dass der Anteil der von Kriminalität betroffenen Unternehmen von 52 % auf 73 % steigt, wenn die Verdachtsfälle einbezogen werden.18 Von einem noch größeren Dunkelfeld geht Schneider aus, der sich auf eine Studie bezieht, laut deren Ergebnissen bis zu 90 % der Unternehmen bereits von Wirtschaftskriminalität betroffen gewesen sein könnten.19 Diese Ansätze zeigen, dass Bestrebungen bestehen, das Dunkelfeld zu erhellen und kriminologisch zu untersuchen. Diese bestehenden Dunkelfeldstudien bestätigen gleichzeitig die Vermutungen im periodischen Sicherheitsbericht, dass das Dunkelfeld der Wirtschaftskriminalität das Hellfeld um ein Vielfaches zu übersteigen scheint.20 Fraglich ist daher, wie für eine Erhellung des Dunkelfeldes gesorgt werden kann. Wie werden also Taten vom „Dunkelfeld des Nichtwissens“21 ins Hellfeld der polizeilich registrierten Kriminalität transportiert?
1.2Compliance und die Erhellung des Dunkelfeldes
Zur Erhellung des Dunkelfeldes können neben zufälligen Entdeckungen durch die staatlichen Strafverfolgungsbehörden nur erhöhte Anzeigetätigkeiten der Betroffenen beitragen. Daher müssten die betroffenen Unternehmen die Fälle von Wirtschaftskriminalität anzeigen. Um eine Anzeige tätigen zu können, müssen die Taten zunächst entdeckt werden und dafür können Compliance Maßnahmen im Unternehmen sorgen.
Mit den großen Skandalen um Enron und WorldCom22 rückten Wirtschaftsstraftaten auch in den Blick der Gesellschaft und führten zu einer beachtlichen öffentlichen Empörung. Im Zuge dieser Skandale verloren die Wirtschaftsstraftaten den Status des Kavaliersdeliktes. Die Schäden in Millionenhöhe konnten nicht mehr einfach mit einem gesellschaftlichen Schulterzucken abgetan werden. Es wurden Rufe laut, die Unternehmen als Verantwortliche stärker in die Pflicht zu nehmen und so entstand die Debatte, um das heute viel zitierte und oft gebrauchte Wort Compliance.
Bisher besteht keine einheitliche Definition von Compliance.23 Das Wort Compliance stammt aus dem angelsächsischen Sprachraum und leitet sich von dem Verb „to comply (with something)“ ab. Es bedeutet „etwas einhalten, etwas befolgen, sich nach etwas richten“. Demnach steht die Vokabel „Compliance“ für die „Befolgung, Zustimmung oder Einhaltung“. Anders gesagt, kann Compliance mit dem Begriff der Regelkonformität übersetzt werden. In der Wissenschaft wurde der Fachterminus erstmals in der Medizin verwendet, um die Therapietreue der Patienten zu beschreiben: Ob sich der jeweilige Patient an die Vorgaben des Arztes, beispielsweise im Hinblick auf Ernährungspläne oder Medikamentenverordnungen hält. In jüngerer Zeit fand der Begriff der Compliance breite Anwendung auf dem Gebiet der Betriebswirtschaftslehre und wird mittlerweile als ein Teilaspekt der Unternehmensführung gesehen. Sowohl im juristischen als auch im betriebswirtschaftlichen Schrifttum wird unter Compliance die Einhaltung von Regelungen und Gesetzen verstanden. Unter Compliance werden sämtliche Maßnahmen zusammengefasst, die ein Unternehmen ergreift, um die Regelkonformität der Mitarbeiter zu gewährleisten.24
„Compliance Maßnahmen sind demnach der Inbegriff der Anstrengungen, die von einem Unternehmen zur Befolgung des geltenden Rechts entfaltet werden. Noch enger verstanden bezieht sich Compliance auf Maßnahmen zur Einhaltung der Strafgesetze und zur Verhinderung von Betriebs- und Unternehmenskriminalität.“25
Soziologisch gesehen spricht man hingegen von Normverstößen, die über die enge Definition, die lediglich die Einhaltung der Gesetze beinhaltet, hinausgeht. Compliance umfasst daher nicht nur Verstöße gegen Gesetze und insbesondere Strafgesetze, sondern schließt auch die Verletzung unternehmensinterner Regelungen ein. Denn auch solche Richtlinien, die nicht lediglich Gesetze auslegen und präzisieren, sondern selbstständige Verhaltensgebote postulieren, werden von Unternehmen mit Hilfe der Compliance genannten Maßnahmen eingeführt, durchgesetzt und kontrolliert. Zusätzlich steht Compliance im weiteren Sinne auch für die Vertrauenswürdigkeit, die Reputation und ethische Korrektheit der Unternehmen.26 Der Begriff Compliance ist demnach vielseitig einsetzbar und kann in einem engeren oder einem weiteren Sinne, wie unter anderem im amerikanischen Schrifttum vertreten, verstanden werden.27
Compliance Maßnahmen dienen zur Verhinderung wirtschaftskrimineller Handlungen und sollen bestehende Wirtschaftskriminalität zunächst aufdecken. Compliance wird mittlerweile von vielen Unternehmen betrieben und doch hat sich, laut der polizeilichen Kriminalstatistik, die Anzahl der bekannt gewordenen Delikte nicht positiv in Form von mehr aufgedeckten Delikten verändert. Ganz im Gegenteil hat die bekannt gewordene Wirtschaftskriminalität im 10-Jahresverlauf erst zu- und dann abgenommen. 2005 wurden 89.224 Fälle wirtschaftskrimineller Handlungen registriert, diese Zahl stieg bis zum Jahr 2010 fast kontinuierlich auf 102.813 registrierte Straftaten an und fiel seitdem auf das derzeitige Niveau von 60.977 Fällen.28 Betrachtet man die Fallzahlen rein deskriptiv, so hat die Einführung von Compliance Maßnahmen nicht zu einer Erhellung des Dunkelfeldes beigetragen.29 Laut der Studien der PwC hat die Einführung von Compliance Management Systemen in deutschen Unternehmen jedoch erheblich zugenommen. Waren es im Jahr 2009 noch 44 %, die Compliance im Unternehmen betrieben, stieg die Prozentzahl im Jahr 2011 bereits auf 52 % der befragten Unternehmen und 2016 nochmals auf 76 %.30 Die Unternehmen rüsten ihre Präventionsmaßnahmen auf, was theoretisch auch zu erhöhten Anzeigetätigkeiten führen sollte und damit einhergehend zu einem Anstieg der polizeilich registrierten Wirtschaftskriminalität. Jedoch sind die Zahlen seit 2010 kontinuierlich gefallen. Warum führt also die Einführung von Compliance Management Systemen nicht zu einer Erhellung des Dunkelfeldes? Nachgewiesen ist, dass besonders im Bereich der Wirtschaftskriminalität eine geringe Anzeigebereitschaft besteht. Bereits 2006 wurde dies erkannt, im periodischen Sicherheitsbericht steht: „Die registrierten Delikte der Wirtschaftskriminalität sind [...] so genannte Überwachungs- und Kontrolldelikte. Damit ist gemeint, dass ein Ermittlungsverfahren zumeist nicht aufgrund einer Anzeige eines betroffenen Opfers eingeleitet wird, sondern nur dann, wenn die Tat von den Strafverfolgungsbehörden selbst entdeckt und aufgeklärt wird.“31 Verschiedene Studien bestätigen diesen Verdacht. Die Strafanzeige wird laut Selbstauskunft nur von maximal der Hälfte der von Wirtschaftskriminalität betroffenen Unternehmen gewählt. In der Untersuchung der KPMG waren es 45 %32 der Unternehmen, die auf eine Strafanzeige verzichtet haben. In der Studie von Fischer waren es rund 75 %.33 Schneider und John bestätigen diese Befunde, 48 %,34 der an der Untersuchung beteiligten Unternehmen, verzichteten auch hier auf eine Strafanzeige. Die Gründe für den Verzicht auf eine Strafanzeige sind vielschichtig. Oft geht es den Unternehmen darum, weitere Schäden, die mit einem Strafverfahren einhergehen würden, zu vermeiden: „Ganz pragmatisch betrachtet verzichten Aufsichtsräte, Vorstände oder Geschäftsführer in vielen Fällen nur deshalb auf eine Anzeige, um Schaden zu begrenzen oder um das Unternehmen vor noch größeren Schadensdimensionen zu bewahren.“35 Zusätzlich kann durch eine Anzeige, die Möglichkeit steigen, als Geschädigter selbst in den Fokus der Ermittlungen zu geraten.36 Erschwerend hinzukommt, dass es sich bei Wirtschaftsstraftaten meist um „opferlose“ Delikte handelt, da die Opfer solcher Taten überwiegend juristische Personen sind.
Fraglich ist, warum die gesunkenen Zahlen der Wirtschaftskriminalität nicht als Erfolg gewertet werden sollten, selbst wenn die tatsächlichen Fallzahlen gestiegen sind. Durch eine Selbstregulierung der Unternehmen bliebe den staatlichen Strafverfolgungsbehörden ja Arbeit erspart.
1.3Die Relevanz des staatlichen Zugriffs
Die Frage, die es in aller Kürze zu beantworten gilt, ist: Warum sollten staatliche Institutionen jegliche Art von Kriminalität aufklären? Der Staat an sich hat im Rahmen von Antragsdelikten, worunter unter anderem auch die Deliktgruppen der Wirtschaftskriminalität fallen, nur eine Aufklärungspflicht bei Taten, die im besonderen öffentlichen Interesse liegen. Dieses besondere öffentliche Interesse wird unter anderem dann bejaht, wenn die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist oder ein erheblicher Schaden droht oder eingetreten ist.37 Beides kann unter bestimmten Bedingungen für wirtschaftskriminelle Handlungen bejaht werden. Durch Wirtschaftskriminalität wird „nicht zuletzt ein Schwinden des Vertrauens in die Funktionsfähigkeit der geltenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung befürchtet.“38 Wenn von einer Legitimität des staatlichen Gewaltmonopols39 ausgegangen wird, dann müssen die staatlichen Träger, wie Polizei und Staatsanwaltschaft, bei Verdacht einer Straftat einschreiten.40 Dies gilt dann auch für die Antragsdelikte, wenn die Taten, wie oben beschrieben, im öffentlichen Interesse liegen. Die Wirtschaft als Teil der Gesellschaft41 ist eine Institution mit Vorbildwirkung und kann sich nicht selbst überlassen werden, da sonst das Rechtsbewusstsein der Gesellschaft stark geschwächt wird. Dies sieht man nicht zuletzt an der Empörung der Gesellschaft über bekannt gewordene wirtschaftskriminelle Handlungen. Hier wird schnell klar, dass diese Handlungen Einzelner oder ganzer Unternehmen einen Einfluss auf die Gesellschaft und deren Sichtweise haben. Der Ruf nach Strafe folgt dem Bedürfnis der Normverdeutlichung.42 Das Rechtsbewusstsein der Gesellschaft ist ein Teil und gleichzeitig eine Grundlage der sozialen Ordnung, weswegen eine Selbstregulierung der Unternehmen kontraproduktiv wäre, da der starke Einfluss auf das Rechtsbewusstsein der Gesellschaft nicht vernachlässigt werden kann. Das Rechtsbewusstsein wird bei der Verfolgung von wirtschaftskriminellen Straftaten im Sinne der positiven Generalprävention gestärkt.43 Die staatliche Strafverfolgung wirtschaftskrimineller Handlungen führt zu einer positiven Generalprävention, da das Vertrauen in den Staat und die Rechtsordnung wieder hergestellt wird.44
1.4Die Forschungsfrage
Aus diesen Ausführungen ergibt sich das Forschungsproblem. Empirisch nachgewiesen ist, dass die Einführung von Compliance Maßnahmen nicht zu einer Erhellung des Dunkelfeldes der Wirtschaftskriminalität beiträgt, sonst hätten die Fallzahlen der Wirtschaftskriminalität ansteigen müssen. Ein Problem entsteht daraus, weil das Rechtsbewusstsein der Gesellschaft negativ beeinflusst wird und somit die notwendige Normverdeutlichung fehlt. Warum führt daher die Einführung von Compliance Maßnahmen nicht zur Erhellung des Dunkelfeldes? Aus diesem Forschungsproblem ergibt sich die Forschungsfrage:
Führt die Einrichtung von Compliance Maßnahmen zur Entstehung einer latenten Funktion, in deren Folge eine Zunahme der Abschottung vor dem Zugriff staatlicher Strafverfolgungsbehörden eintritt?
Diese Forschungsfrage wird mit Hilfe der Funktionsanalyse beantwortet, deren Fruchtbarkeit am Anfang des zweiten Kapitels erläutert wird. Darauf aufbauend wird eine Einführung in den Forschungsstand der funktionalen Analyse nach Robert K. Merton gegeben. Kapitel 3 widmet sich der wissenschaftlichen Diskussion im Themenfeld Compliance. Im Kapitel 4 werden Hypothesen aufgestellt, mit deren Hilfe die Forschungsfrage beantwortet werden soll. Im anschließenden Kapitel wird die Methodik der Untersuchung vorgestellt, die sowohl qualitative (Kapitel 6) als auch quantitative (Kapitel 7) Techniken der empirischen Sozialforschung nutzt. In Kapitel 8 werden sodann die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zusammenfassend dargestellt. Das letzte Kapitel gibt ein Fazit und einen kurzen Ausblick zu möglichen Forschungsfelder auf Basis der erzielten Ergebnisse.
2Theoretische Grundüberlegungen
Die Funktionsanalyse ist die theoretische Grundlage, mit der das vorliegende Forschungsproblem und die darauf aufbauende Forschungsfrage erklärt wird. Die Funktionsanalyse ist eine Erklärungsmöglichkeit, die neben der kausalen Analyse einen fruchtbaren Ansatz bietet. Dies zeigt sich bereits in der Soziobiologie, die die funktionale Analyse als Erklärungsansatz heranzieht. Die Soziobiologie erachtet eine Verknüpfung beider Erklärungsansätze als gewinnbringend und nähert sich den Phänomenen gerade in jüngster Zeit wieder vermehrt aus funktionalistischer Sicht.45 Zusätzlich dazu werden im Abschnitt 2.3 eine Reihe von Studien vorgestellt, die die Tragweite funktionalistischer Erklärungen darstellen und deren Leistungen für die Soziologie untermauern. Die funktionale Analyse kann daher neben der Kausalerklärung zur Erklärung von gesellschaftlichen Phänomenen eingesetzt werden. Sie sollte zum modernen methodologischen Inventar gehören, da es im Rahmen des Forschungsproblems und der darauf aufbauenden Forschungsfrage um intentionale Sachverhalte geht, die besser mit der funktionalen Analyse erklärt werden können. Besonders eignet sich dafür die Unterteilung Mertons in manifeste, bewusste Funktionen, die klar gewollt und beabsichtigt sind und latente Funktionen, die eher unbewusst auftreten. Compliance selbst erfüllt verschiedene, offensichtliche Funktionen und dient in erster Linie der Vermeidung wirtschaftskrimineller Handlungen. Durch Compliance Maßnahmen ist es Unternehmen möglich, Fälle von Wirtschaftskriminalität frühzeitig zu erkennen und aufzudecken. Betrachtet man das in Kapitel 1 vorgestellte Phänomen, nach dem Compliance Maßnahmen eben gerade nicht zur Erhellung des Dunkelfeldes beitragen, obwohl diese darauf ausgerichtet sind, Wirtschaftskriminalität zu erkennen, wird deutlich, dass womöglich eine latente und nicht beabsichtige Funktion von Compliance existiert. Die Analyse dieser latenten Funktion bietet daher die Lösung des Forschungsproblems, der Erklärung warum Compliance Maßnahmen nicht das Dunkelfeld der Wirtschaftskriminalität erhellen.
Zunächst wird der Funktionalismus in der Soziologie erklärt, der einen ertragreichen Zugang zum Forschungsproblem bietet. Die theoretische Strömung des Funktionalismus ist recht umfangreich und beinhaltet verschiedene Ausrichtungen, auf die im Kapitel 2.1 kurz eingegangen wird. Dies ist einerseits notwendig, um den Funktionalismus als Ganzes zu verstehen, so ging diese Strömung doch von speziellen Grundannahmen aus ohne deren Kenntnis kein Verständnis des Funktionalismus möglich ist. Andererseits wurde Merton und damit auch seine Theorie der manifesten und latenten Funktionen von verschiedenen Funktionsanalytikern beeinflusst, wodurch sich die ausführliche Darstellung der Entwicklung der Funktionsanalyse in der Soziologie ebenfalls erklärt. Darauf aufbauend wird Mertons theoretisches Konstrukt der latenten und manifesten Funktionen erklärt. Merton, der ein Schüler Talcott Parsons war, interessierte sich für die Dynamik sozialer Prozesse. Das starre Konzept des Strukturfunktionalismus von Parsons bot jedoch keinen Platz für dynamische Prozesse. So entstand das Konzept der latenten und manifesten Funktionen, das er in seinem Werk „Soziologische Theorie und soziale Struktur“46 näher beschreibt. Merton beschäftigte sich nicht nur mit den Arbeiten von Parsons, sondern auch mit den Theorien verschiedener Funktionsanalytiker, wie beispielsweise Bronislaw Malinowski oder Radcliff Brown. Dies lässt sich deutlich an seinem Theorieverständnis erkennen, er interessierte sich für die festen Strukturen der Gesellschaft ebenso wie für den sozialen Wandel. Seine Theorie der latenten und manifesten Funktionen wird im Kapitel 2.2 näher beleuchtet. Im anschließenden Kapitel 2.3 wird dann der Forschungsstand zur funktionalen Analyse nach Robert K. Merton dargestellt.
2.1Die Theorie des Funktionalismus in der Soziologie