Die Legende von Richard und Kahlan 01 - Terry Goodkind - E-Book

Die Legende von Richard und Kahlan 01 E-Book

Terry Goodkind

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Richard Rahl und seine geliebte Kahlan haben triumphiert. Die Bedrohung durch den finsteren Kaiser Jagang ist endgültig beseitigt, und endlich kehrt Frieden in D’Hara ein. Doch nicht für lange! Ein uraltes Orakel, das sich noch nie geirrt hat, prophezeit eine Katastrophe, die nicht nur Richard und Kahlan treffen wird, sondern jeden Menschen und alle Geschöpfe. Es scheint nur eine Möglichkeit zu geben, das Unheil abzuwenden – und der Preis dafür ist höher, als ihn ein Sterblicher zu zahlen vermag …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 708

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Terry Goodkind

Dunkles Omen

Die Legende von Richard und Kahlan

Erstes Buch

Roman

Deutsch von Caspar Holz

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»The Omen Machine« bei Tor Books, New York.

Copyright © der Originalausgabe 2011 by Terry Goodkind

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012

by Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Published in agreement with the author

c/o Baror International, Inc., Armonk, New York, USA

Cover illustration Chris Kapp

Redaktion: Werner Bauer

HK · Herstellung: sam

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN 978-3-641-06765-6 V002

www.blanvalet.de

1

»Es herrscht Dunkelheit.«

Unsicher, ob er die leise gesprochenen Worte richtig verstanden hatte, runzelte Richard die Stirn und sah über seine Schulter. Kahlans Miene verhieß Besorgnis; ihr schien die Bedeutung ebenso unklar zu sein wie ihm.

Der kleine Junge lag auf einem zerschlissenen Teppich, den man unmittelbar vor einem mit bunten Perlenketten behängten Zelt auf dem nackten Erdboden ausgebreitet hatte. Der brechend volle Markt vor dem Palast war zu einer aus Tausenden von Zelten, Wagen und Verkaufsständen bestehenden kleinen Stadt angewachsen. Scharen von Menschen, die anlässlich der großen Hochzeit tags zuvor von nah und fern eingetroffen waren, strömten auf den Marktplatz, wo sie alles kauften, von Andenken und Schmuck bis hin zu frischem Brot und warmen Mahlzeiten, von exotischen Getränken und Arzneien bis zu bunten Perlen.

Die Brust des Jungen hob sich leicht mit jedem flachen Atemzug, seine Augen jedoch blieben geschlossen. Richard beugte sich über das geschwächte Kind. »Dunkelheit?«

Der Junge nickte matt. »Überall ringsum herrscht Dunkelheit.«

Selbstredend war es alles andere als dunkel. Eine strahlende Morgensonne beschien die Menschenmengen, die durch die planlos angelegten Gassen zwischen den Zelten und Wagen strömten. Richard hatte nicht den Eindruck, dass der Junge etwas von dem festlichen Geschehen ringsum mitbekam.

Seine Worte, so sanft sie bei oberflächlicher Betrachtung klingen mochten, hatten eine andere, düstere Bedeutung, bezogen sich auf einen ganz anderen Ort.

Aus den Augenwinkeln sah Richard die Passanten ihre Schritte verlangsamen, als diese den Lord Rahl und die Mutter Konfessor stehen bleiben sahen, um mit einem kranken Jungen und dessen Mutter zu sprechen. Ringsumher war der Markt erfüllt von beschwingter Musik, von Gesprächen, Gelächter und lebhaftem Gefeilsche. Für die meisten Passanten war der Anblick Lord Rahls und der Mutter Konfessor ein einmaliges Erlebnis, eines von vielen während der letzten Tage, von dem sie in ihren Heimatländern noch sehr lange erzählen würden.

Unweit davon standen Gardisten der Ersten Rotte, auch sie mit aufmerksamem Blick, auch wenn sie hauptsächlich die sich nahebei über den Markt schiebenden Menschenmengen im Blick behielten. Es gab zwar keinen Grund, mit irgendwelchen Schwierigkeiten zu rechnen, gleichwohl stellten sie sicher, dass den beiden niemand zu sehr auf den Leib rückte.

Schließlich herrschte allseits eine gelöste Stimmung. Die Kriegsjahre waren vorbei; es herrschten Frieden und wachsender Wohlstand. Die Hochzeit tags zuvor schien einen Neuanfang zu markieren, die Feier einer Welt bis dato unvorstellbarer Möglichkeiten.

Inmitten dieser sonnendurchfluteten Heiterkeit erschien die Bemerkung des Jungen Richard wie ein düsterer Makel, der einfach nicht dorthin gehörte.

Kahlan hockte sich neben ihn. Ihr seidig weißes Kleid, Symbol ihrer Stellung als Mutter Konfessor, schien unter dem vorfrühlingshaften Himmel zu leuchten, so als sei sie ein guter Geist, der in sie gefahren war. Richard schob eine Hand unter die hageren Schultern des Jungen und half ihm ein wenig auf, derweil Kahlan ihm einen Wasserschlauch an die Lippen hielt.

»Nur einen Schluck, schaffst du das?«

Der Junge schien sie nicht zu hören, ignorierte ihr Angebot wie auch den Wasserschlauch. »Ich bin allein«, sagte er mit brechender Stimme. »Ganz allein.«

In seinen Worten schwang so viel Verzweiflung mit, dass Kahlan in stummem Mitgefühl die Hand ausstreckte und die knochige Schulter des Jungen berührte.

»Du bist nicht allein«, versicherte ihm Richard in einem Ton, der seiner Bemerkung alles Beklemmende nehmen sollte. »Es sind Leute hier, bei dir. Deine Mutter ist hier.«

»Warum haben mich alle verlassen?«

Sanft legte ihm Kahlan die Hand auf die sich mühsam hebende Brust. »Dich verlassen?«

Der Junge, gefangen in einer inneren Vision, stöhnte und wimmerte, warf den Kopf hin und her. »Warum haben sie mich nur in dieser Kälte und Dunkelheit zurückgelassen?«

»Wer hat dich zurückgelassen?« Richard musste sich konzentrieren, um sicher zu sein, dass er die leisen Worte des Jungen überhaupt verstand. »Wo hat man dich zurückgelassen?«

»Ich habe Träume geträumt«, sagte der Junge, plötzlich ein wenig munterer.

Der merkwürdige Themenwechsel ließ Richard die Stirn runzeln. »Was waren das für Träume?«

Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit gewannen erneut die Oberhand. »Warum habe ich Träume geträumt?«

Die Frage schien eher nach innen gerichtet zu sein und nicht nach einer Antwort zu verlangen. Kahlan versuchte es dennoch.

»Wir wissen nicht …«

»Ist der Himmel noch immer blau?«

Kahlan und Richard wechselten einen Blick. »Strahlend blau«, versicherte Kahlan dem Jungen, der diese Antwort aber ebenso wenig zu hören schien.

Richard hatte nicht den Eindruck, dass es sinnvoll wäre, den Jungen weiter mit Fragen zu bedrängen; er war ganz offensichtlich krank und wusste nicht, was er redete. Die Bilder seiner Fieberträume zu hinterfragen wäre sinnlos.

Unvermittelt krallte sich die kleine Hand des Jungen um Richards Unterarm.

Sofort vernahm Richard das Klirren von Stahl, der blankgezogen wurde. Ohne sich umzudrehen, hob er kurz die Hand zu einem stummen Zeichen an die Soldaten hinter ihm, sich zurückzuhalten.

»Wieso haben sie mich alle zurückgelassen?«, fragte der Junge zum wiederholten Mal.

Richard beugte sich ein wenig näher, in der Hoffnung, ihn etwas beruhigen zu können. »Wo haben sie dich denn zurückgelassen?«

Der Junge schlug so abrupt die Augen auf, dass Richard und Kahlan erschraken, musterte Richard so durchdringend, als wollte er auf den Grund seiner Seele schauen. Der Griff seiner dünnen Finger an Richards Unterarm verriet weit mehr Kraft, als er dem Jungen zugetraut hätte.

»Es herrscht Dunkelheit im Palast.«

Ein Frösteln, wie von einem kalten Lufthauch, überlief Richards Haut.

Die Lider des Jungen schlossen sich, und er sank wieder zurück.

Obwohl er sich bemühte, fürsorglich mit dem Jungen umzugehen, gewann Richards Ton an Schärfe. »Was redest du denn da? Dunkelheit im Palast?«

»Dunkelheit … die nach Dunkelheit trachtet«, presste er leise hervor, ehe seine Stimme in unverständliches Murmeln überging.

Die Stirn in Falten gelegt, versuchte Richard daraus schlau zu werden. »Was soll das heißen, Dunkelheit trachtet nach Dunkelheit?«

»Er wird mich finden, ich weiß es einfach.«

Als wäre sie zu schwer, glitt die Hand des Jungen von Richards Arm. Und wurde von Kahlans ersetzt, als die beiden einen Moment abwarteten, ob der Junge vielleicht noch etwas sagen würde. Doch der schien endgültig verstummt zu sein.

Sie mussten wieder zurück in den Palast; ganz ohne Zweifel wurden sie dort bereits erwartet.

Ohnehin hatte Richard nicht das Gefühl, dass der Junge noch irgendetwas Sinnvolles von sich geben würde. Er sah zur Mutter des Jungen hoch, die händeringend neben ihm stand.

Sie schluckte. »Er macht mir wirklich Angst, wenn er diese Anwandlungen hat. Es tut mir leid, Lord Rahl, ich hatte nicht die Absicht, Euch von Euren Pflichten abzuhalten.« Die Frau schien vor Kummer vorzeitig gealtert zu sein.

»Aber das gehört zu meinen Pflichten«, sagte Richard. »Ich bin heute hierhergekommen, um mich unter das Volk zu mischen, unter all die Menschen, die es gestern nicht zur Zeremonie oben im Palast geschafft haben. Viele von euch sind von weither angereist, daher wollten die Mutter Konfessor und ich allen, die zur Hochzeit unserer Freunde gekommen sind, unsere Dankbarkeit zeigen. Ich sehe es nur ungern, wenn Menschen so offensichtlich in Not sind, wie du und dein Junge hier. Wir werden sehen, ob wir einen Heiler besorgen können, der herausfindet, was mit ihm nicht stimmt. Vielleicht kann er ihm ja etwas geben, das ihm hilft.«

Die Frau schüttelte den Kopf. »Mit Heilern hab ich’s schon versucht. Die können ihm nicht helfen.«

»Bist du sicher?«, fragte Kahlan. »Es gibt hier sehr fähige Leute, die vielleicht helfen könnten.«

»Ich hab ihn schon bis rauf nach Kharga Trace gebracht, zu einer Frau von großen Talenten, einer Heckenmagd.«

Kahlan runzelte die Stirn. »Eine Heckenmagd? Was für eine Art Heilerin ist denn das?«

Die Frau zögerte, wandte nervös den Blick ab. »Nun, ich hab erzählen hören, sie ist eine Frau von bemerkenswerten Qualitäten. Heckenmägde … besitzen gewisse Talente, da dachte ich, sie könnte vielleicht helfen. Aber Jit – das ist ihr Name –, Jit meinte, Henrik ist was ganz Besonderes, aber nicht krank.«

»Dann hat dein Sohn also öfter diese Anwandlungen?«, fragte Kahlan.

Die Frau krallte ihre Hand in den Stoff ihres einfachen Kleides. »Oft nicht, aber es kommt vor. Er sieht Dinge. Er sieht Dinge mit den Augen anderer, glaube ich.«

Kahlan legte dem Jungen kurz die Hand auf die Stirn, fuhr ihm dann mit den Fingern durchs Haar. »Ich denke, das könnten möglicherweise Fieberträume sein, weiter nichts«, sagte sie. »Seine Temperatur ist leicht erhöht.«

Die Frau nickte wissend. »Ja, das kommt vor, dass er Fieber bekommt, wenn er Dinge mit den Augen anderer sieht.« Sie sah Richard in die Augen. »Ich glaube, das ist so eine Art Wahrsagerei. Ja, ich glaube, genau das ist es, was er tut, wenn er in diesen Zustand gerät: Er sagt die Zukunft voraus.«

Richard fand ebenso wenig wie Kahlan, dass der Junge irgendetwas anderes als Fieberfantasien gesehen hatte, behielt das aber für sich. Die Frau schien auch so schon besorgt genug.

Zudem hielt er ohnehin nicht viel von Prophezeiungen; die mochte er noch weniger als Rätsel, und Rätsel konnte er nicht ausstehen. Seiner Ansicht nach machten die Menschen viel mehr Aufhebens um Prophezeiungen, als gerechtfertigt war. »Das klingt ein bisschen vage«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass es etwas Ernsteres ist als irgendeine Kinderkrankheit.«

Die Frau machte nicht den Eindruck, als würde sie ihm auch nur ein Wort glauben, schien aber auch nicht gewillt, dem Lord Rahl zu widersprechen. Es war noch gar nicht so lange her, da war der Lord Rahl in D’Hara eine überaus gefürchtete Persönlichkeit, und das aus gutem Grund.

Alte Ängste, wie auch alte Antipathien, ließen sich nicht so ohne Weiteres überwinden.

»Vielleicht hat er etwas gegessen, das nicht in Ordnung war«, schlug Kahlan vor.

»Nein, bestimmt nicht«, beharrte die Frau. »Er isst dasselbe wie ich auch.« Einen Moment lang musterte sie ihre Gesichter, ehe sie hinzufügte: »Aber da waren diese Hunde, die ihn belästigt haben.«

Die Stirn in Falten, blickte Richard zu ihr hoch. »Was soll das heißen?«

Sie benetzte sich die Lippen. »Na ja, gestern Abend kamen plötzlich Hunde – Wildhunde, glaube ich – und haben hier herumgeschnuppert. Ich hatte nur kurz das Haus verlassen, um uns ein Brot zu kaufen. Henrik hat auf unsere Perlen aufgepasst. Als die Hunde auftauchten, bekam er es mit der Angst und hat sich drinnen versteckt. Und als ich dann zurückkam, standen sie schnuppernd und knurrend vor unserem Zelteingang; ihre Nackenhaare waren steil aufgerichtet. Ich hab mir einen Stock geschnappt und sie verjagt. Und heute Morgen war er dann in diesem Zustand.«

Richard wollte gerade etwas erwidern, als sich der Junge plötzlich wie von Sinnen hin und her warf und wie ein in die Enge getriebenes Tier mit zu Krallen gekrümmten Fingern nach Richard und Kahlan schlug.

Sofort sprang Richard auf und zog Kahlan außer Reichweite, während die Soldaten ihre Schwerter zückten.

Flink wie ein Kaninchen schoss der Junge davon und hielt auf das Durcheinander aus Zelten und Menschen zu. Sofort machten sich zwei Soldaten an seine Verfolgung. Als er unter einem tiefen Wagen hindurchtauchte und auf der anderen Seite wieder zum Vorschein kam, mussten die viel zu groß gewachsenen Soldaten diesen umlaufen, was ihm einen Vorsprung von einem Dutzend Schritten einbrachte. Trotzdem glaubte Richard nicht, dass sein Vorsprung lange anhalten würde.

Augenblicke später war der Junge, die Soldaten dicht auf den Fersen, zwischen den Wagen, Zelten und Menschen verschwunden. Vor den Männern der Ersten Rotte davonzulaufen zahlte sich nicht aus.

Richard bemerkte, dass der Kratzer auf Kahlans Handrücken blutete.

»Es ist nur ein winziger Kratzer, Richard«, versicherte sie ihm, als sie den Blick in seinen Augen bemerkte. »Es geht mir gut, ich hab mich nur erschreckt.«

Richard betrachtete die Striemen auf seinem eigenen Handrücken, aus denen Blut hervorsickerte, und stieß einen gereizten Seufzer aus. »Nicht nur du.«

Das Schwert in der Hand, trat der Hauptmann der Wachen vor. »Wir werden ihn finden, Lord Rahl. Hier draußen auf der Azrith-Ebene gibt es nichts, wo er sich verstecken könnte. Weit wird er nicht kommen. Wir werden ihn finden.« Er schien alles andere als begeistert, dass jemand, und sei es nur ein kleiner Junge, dem Lord Rahl eine blutende Wunde zugefügt hatte.

»Wie die Mutter Konfessor sagte, ist es nur ein Kratzer. Trotzdem möchte ich, dass ihr den Jungen ausfindig macht.«

Ein Dutzend Soldaten der Wachmannschaft schlugen sich mit der Faust aufs Herz.

»Wir werden ihn aufstöbern, Lord Rahl«, wiederholte der Hauptmann. »Ihr könnt Euch darauf verlassen.«

Richard nickte. »Gut. Sobald ihr ihn habt, sorgt dafür, dass er sicher zu seiner Mutter hier zurückgebracht wird. Unter den Leuten, die ihre Waren und Dienste anbieten, gibt es Heiler. Schafft einen von ihnen her, sobald ihr den Jungen gefunden habt, und stellt fest, ob der ihm helfen kann.«

Während der Hauptmann einige zusätzliche Gardisten für die Suche nach dem Jungen einteilte, beugte sich Kahlan zu Richard. »Wir sollten jetzt besser wieder in den Palast zurückkehren. Wir haben jede Menge Gäste.«

Richard nickte. »Ich hoffe, deinem Jungen geht es bald wieder besser«, wandte er sich an die Frau, ehe er sich auf den Weg hinauf zu dem ausgedehnten Felsplateau machte, über dem sich der Palast des Volkes erhob, ebenjener Palast, den er mit der Übernahme der Herrschaft in D’Hara geerbt hatte, eines Landes, von dessen Existenz er in jungen Jahren nicht einmal gewusst hatte – und das ihm nach wie vor ein völliges Rätsel war.

2

»Einen Penny für Eure Zukunft, Herr?«

Richard zögerte kurz, blickte dann zu der alten Frau hinunter, die mit übereinandergeschlagenen Beinen etwas abseits am Rand einer der zahlreichen großen Hallen im Palast des Volkes saß. Den Rücken neben dem Sockel eines sich mehrere Stockwerke in die Höhe schwingenden Marmorbogens an die Mauer gelehnt, wartete sie ab, ob sie einen neuen Kunden gewonnen hatte. Gleich neben ihr lagen ein brauner Stoffbeutel mit ihren Habseligkeiten sowie ein dünner Gehstock. Sie war mit einem einfachen, aber sauberen langen grauen Wollkleid bekleidet und hatte, als Schutz gegen die gelegentliche Kälte des scheidenden Winters, einen cremefarbenen Schal um ihre Schultern gelegt. Obwohl es längst Frühling war, hatte sich dieser eher als Verheißung denn als entscheidende Wetteränderung erwiesen.

Sie strich sich ein paar verirrte braune und graue Strähnen aus dem Gesicht, offensichtlich, um für ihre potenzielle Kundschaft präsentabel auszusehen. An dem milchigen Film über ihren Augen und ihrer Art, den Kopf zu heben, ohne wirklich jemanden anzusehen, erkannte Richard, dass sie ihn und Kahlan gar nicht sehen konnte. Um all die Pracht ringsumher aufnehmen zu können, musste sie sich allein auf ihr Gehör verlassen.

Ein Stück hinter der Stelle, wo die Frau saß, querte, in Höhe der ersten Etage, eine der zahlreichen Brücken im Palast die Halle; Gruppen von in Gespräche vertieften Personen schlenderten darüber, während andere an den marmornen Geländersäulen standen und auf die breiten Flure hinunterblickten; dabei betrachteten nicht wenige von ihnen Richard und Kahlan sowie das sie begleitende Aufgebot an Wachen. Viele in dieser dicht gedrängten, sich durch die weitläufigen Flure schiebenden Menge waren Besucher, die eigens anlässlich der Festlichkeiten tags zuvor in den Palast gekommen waren.

Der Palast des Volkes, obwohl mehr oder weniger unter einem Dach, war eigentlich eher eine dicht bebaute Stadt, gelegen auf einer einsamen, weiten Hochebene, die sich über der Azrith-Ebene erhob. Als Stammsitz des Lord Rahl war er in Teilen nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, der größte Teil des weitläufigen Komplexes jedoch beherbergte Tausende von Menschen. Es gab Wohnquartiere für alle Schichten, von Beamten und Händlern bis hin zu Handwerkern und Arbeitern, wobei bestimmte Bereiche Besuchern vorbehalten waren. Die weitläufigen, öffentlich zugänglichen Flure verbanden die einzelnen Teile miteinander und ermöglichten so zu allen den Zutritt.

In einem Schaufenster unweit der an der Wand lehnenden Frau waren Stoffballen ausgelegt; überhaupt gab es überall im Palast Geschäfte jeglicher Art. Unten, im Innern des Plateaus, dienten Hunderte weiterer Räumlichkeiten den unterschiedlichsten Zwecken, sei es als Quartier für die Soldaten oder als weitere Ladengeschäfte für Bewohner und Besucher gleichermaßen.

Die schnellste Möglichkeit, hinauf in den Palast des Volkes zu gelangen, war die schmale, an der Seite zur Hochebene hinaufführende Straße, die Richard und Kahlan nach ihrem Marktbesuch hinaufgeritten waren, doch die war schmal und stellenweise tückisch, weshalb sie für die Öffentlichkeit gesperrt war. Die Hauptroute für Besucher, Händler und Arbeiter jeglicher Couleur führte durch die großen Innentore und anschließend die breiten Gänge im Innern des Palasts hinauf. Viele schafften es gar nicht bis ganz nach oben zum Palast, sondern kamen nur zum Einkaufen auf den Markt, der in Friedenszeiten pilzartig unten auf der Ebene aus dem Boden schoss, oder in eines der Hunderte von Ladengeschäften entlang der Strecke im Innern des Plateaus.

War die Zugbrücke hochgezogen und die großen Innentore geschlossen, machte die schiere Unzugänglichkeit des Palasts jeden Angriff zu einem aussichtslosen Unterfangen. Im Laufe der Geschichte waren Belagerungsversuche immer wieder draußen in der unwirtlichen Azrith-Ebene kläglich zum Erliegen gekommen, und das, lange bevor der Widerstandswille der Palastbewohner auch nur zu schwinden begonnen hatte. So oft es versucht worden war – es gab praktisch keine Möglichkeit, den Palast des Volkes anzugreifen.

Der Aufstieg durch die Flure bis ganz nach oben zum eigentlichen Palast musste der alten Frau zweifellos schwergefallen sein, umso mehr wegen ihrer Blindheit. Und obwohl ein weit verbreitetes Interesse an der Zukunft bestand, vermutete Richard, dass sie hier, in den oberen Geschossen, wahrscheinlich eher Kunden fand, die bereit waren, für ihre schlichten Weissagungen zu bezahlen, und ebendies lohnte den mühseligen Aufstieg.

Richard blickte den scheinbar endlosen, von Menschen und dem allgegenwärtigen Dröhnen der Schritte und Unterhaltungen erfüllten Flur entlang und vermutete, dass sie so an die Geräusche der Menschen in den Fluren gewöhnt war, dass sie allein anhand derer die ungeheuren Ausmaße dieses Ortes einzuschätzen wusste.

Auf einmal tat ihm die alte Frau ein wenig leid, weil sie all die Pracht um sie herum gar nicht sehen konnte, die hoch aufragenden Marmorsäulen, die Steinbänke und den kunstvoll gemusterten Granitboden, der aufleuchtete, sobald ein Sonnenstrahl durch die hohen Oberlichter fiel. In Richards Augen war dies – von seiner Heimat, den Wäldern Kernlands einmal abgesehen – der großartigste Ort, den er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Die absolut überwältigende geistige Leistung, die erforderlich gewesen sein musste, sich ein solches Bauwerk zu vergegenwärtigen und es schließlich zu erbauen, verfehlte nie seine Ehrfurcht gebietende Wirkung auf ihn.

Schon mehrfach im Laufe seiner Geschichte war der Palast das Machtzentrum übler Herrscher gewesen, so auch, als man ihn zum ersten Mal als Gefangenen hierherverschleppt hatte. Zu anderen Zeiten war er, so wie jetzt, ein Zentrum friedlichen Wohlstands, ein Zeichen jener Stärke, auf der sich das D’Haranische Reich gründete.

»Einen Penny für meine Zukunft?«, fragte Richard.

»Und das ist ein lohnendes Geschäft«, fügte die Alte ohne Zögern hinzu.

»Das soll doch hoffentlich nicht heißen, meine Zukunft sei nicht mehr als einen Penny wert.«

Ein träges Lächeln ging über das Gesicht der Alten, und ihre trüben Augen starrten blicklos. »Das wäre es nur dann, wenn Ihr das Euch gegebene Omen nicht beherzigt.«

Blind streckte sie ihre Hand vor, eine Frage, die seiner Antwort harrte. Richard drückte ihr die Münze in die aufgehaltene Hand. Vermutlich, überlegte Richard, hatte sie gar keine andere Möglichkeit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Andererseits verschaffte ihr die Blindheit eine gewisse vermarktbare Glaubwürdigkeit, vermuteten die Leute doch, dass sie aufgrund ihres Gebrechens Einblick in eine Art innerer Vision besaß, eine Annahme, die ihrem Geschäft wahrscheinlich durchaus zuträglich war.

»Ah.« Sie nickte wissend, nachdem sie die Münze in der Hand gewogen hatte. »Silber, nicht bloß Kupfer. Zweifellos ein Mann, der Wert auf seine Zukunft legt.«

»Und was wird mir die Zukunft nun bringen?«, fragte Richard. Im Grunde war es ihm egal, was diese Wahrsagerin dazu zu sagen hatte, aber er erwartete eine Gegenleistung für seinen Penny.

Obwohl sie sein Gesicht nicht sehen konnte, wandte sie ihm ihr Gesicht zu. Ihr Lächeln erlosch, dann sagte sie nach kurzem Zögern: »Das Dach wird einstürzen.« Dabei zog sie ein Gesicht, als wären ihr die Worte anders als erwartet über die Lippen gekommen, als wäre sie selbst von ihnen überrascht. Auf einmal schien es ihr die Sprache verschlagen zu haben.

Kahlan und einige der unweit wartenden Soldaten sahen hoch zur Decke, die den Palast seit Jahrtausenden überkrönte; sie machte keineswegs den Eindruck, als laufe sie Gefahr einzustürzen.

Merkwürdige Weissagung, dachte Richard, doch eigentlich war er gar nicht auf eine Weissagung aus gewesen. »Und ich sage voraus, dass du heute mit vollem Bauch einschlafen wirst. Der Laden gleich dort hinten, linker Hand, bietet warme Mahlzeiten an. Mit dem Penny kannst du dir eine leisten. Pass gut auf dich auf, Alte, und genieße deinen Besuch im Palast.«

Ihr Lächeln kehrte zurück, doch diesmal sprach Dankbarkeit daraus. »Danke, Herr.«

Rikka, eine der Mord-Sith, stürzte herbei, blieb stehen und ließ ihren einzelnen blonden Zopf über ihre Schulter schnellen. Er war so an die Mord-Sith in ihren roten Lederanzügen gewöhnt, dass ihm ihre braunen Anzüge – ein weiteres Zeichen dafür, dass der Krieg endlich beendet war – jetzt etwas seltsam erschienen. Und auch wenn ihr Anzug jetzt weniger einschüchternd war, sprachen aus ihren blauen Augen Argwohn und Missbehagen. Doch das kannte er von den Mord-Sith ja zur Genüge.

Ein dunkler Zug hatte sich über Rikkas makelloses Gesicht gelegt. »Wie ich sehe, stimmt es, was ich gehört habe. Ihr blutet. Was ist passiert?«

Aus Rikkas Ton sprach nicht etwa simple Besorgnis, sondern die wachsende Verärgerung einer Mord-Sith, dass Lord Rahl, den zu beschützen sie bei ihrem Leben geschworen hatte, ganz offenbar in Schwierigkeiten geraten war. Sie war nicht einfach nur neugierig, sie verlangte Antworten.

»Das ist nichts, außerdem blutet es schon gar nicht mehr. Es ist nur ein Kratzer.«

Rikka warf einen verärgerten Blick auf Kahlans Hand. »Müsst Ihr und die Mutter Konfessor eigentlich immer alles gemeinsam machen? Ich wusste ja, wir hätten Euch niemals ausgehen lassen dürfen, ohne dass eine von uns über Euch wacht. Cara wird außer sich sein, und das mit gutem Grund.«

Kahlans Lächeln war der offensichtliche Versuch, Rikkas Besorgnis zu zerstreuen. »Wie Richard bereits sagte, es ist nur ein Kratzer. Und ich denke nicht, dass Cara Grund hat, am heutigen Tag etwas anderes als glücklich und zufrieden zu sein.«

Rikka ließ die Bemerkung unwidersprochen und kam auf ein anderes Thema. »Zedd wünscht Euch zu sehen, Lord Rahl. Er schickt mich, Euch zu holen.«

»Lord Rahl!« Die Frau zu seinen Füßen zupfte an seinem Hosenbein. »Bei den Gütigen Seelen, ich hatte ja keine Ahnung … Ich bin untröstlich, Lord Rahl. Verzeiht mir, ich wusste nicht, wer Ihr seid, sonst hätte ich doch niemals …«

Richard legte ihr die Hand auf die Schulter, um ihren Wortschwall zu unterbrechen und ihr zu zeigen, dass keinerlei Veranlassung bestand, sich zu entschuldigen. Dann wandte er sich der Mord-Sith zu. »Hat mein Großvater gesagt, was er von mir will?«

»Nein, aber seinem Tonfall war deutlich zu entnehmen, dass er es für wichtig hielt. Ihr kennt ja Zedd und seine gelegentlichen Launen.«

Ein leichtes Lächeln umspielte Kahlans Lippen. Richard wusste nur zu gut, was Rikka meinte, immerhin hatte sie lange Jahre zusammen mit Zedd in der Burg der Zauberer verbracht und war vertraut mit seinen nicht eben seltenen Anfällen, den simpelsten Dingen ungeheure Dringlichkeit zuzusprechen. Sicher, Rikka hatte ihn auf ihre Weise ins Herz geschlossen und glaubte, ihn in Schutz nehmen zu müssen. Schließlich war er nicht nur der Oberste Zauberer, sondern auch der Großvater des Lord Rahl. Und, was noch wichtiger war, sie wusste, wie sehr Richard ihn mochte.

»Also gut, Rikka. Gehen wir und sehen nach, was ihn so in Aufregung versetzt.«

Er wollte gerade aufbrechen, als die auf dem Fußboden kauernde Alte ihn am Hosenbein festhielt.

»Lord Rahl.« Sie versuchte, ihn näher zu sich heranzuziehen. »Ich mag von Euch keine Bezahlung verlangen, schon gar nicht, wo ich doch nur ein einfacher Gast in Eurem Hause bin. Bitte, nehmt die Silbermünze zurück, und mit ihr meinen Dank für Eure Geste.«

»Der Handel war bereits abgeschlossen«, sagte Richard in einem Ton, der sie beschwichtigen sollte. »Du hast deinen Teil erfüllt, also schulde ich dir die Bezahlung für deine Weissagung über die Zukunft.«

Sie ließ ihre Hand von seinem Hosenbein gleiten. »Dann beherzigt das Omen auch, Lord Rahl, denn es trifft zu.«

3

Kahlan folgte Rikka in die privaten, in warmen Tönen getäfelten Flure des Palasts, dabei sah sie Zedd zusammen mit Cara und Benjamin an einem Fenster stehen, das einen kleinen Innenhof – auf dem Grund einer tiefen, von den steinernen Mauern des sich bis über das Blickfeld hinaus erhebenden Palasts gebildeten Nische – überblickte. Unmittelbar hinter dem Fenster gewährte eine einfache, schmucklose Tür Zutritt in diesen Lichthof, in dem, gleich neben einer Bank an einem steinernen, von üppigem grünen Efeu umrankten Pfad, ein kleiner Pflaumenbaum wuchs. So klein der Hof war, durch ihn gelangten ein kleines bisschen Frischluft und Tageslicht in die unteren Geschosse des Palasts.

Froh, den öffentlichen Fluren und den allgegenwärtigen, sie überall verfolgenden Blicken entkommen zu sein, empfand Kahlan ein Gefühl tiefer Geborgenheit, als Richard ihr den Arm um die Hüfte legte, sie kurz an sich zog und seinen Kopf an ihren schmiegte. Es war ein Augenblick intimer Nähe, wie sie ihn sich unter den Augen der Öffentlichkeit gewöhnlich nicht erlaubten.

Cara stand in ihrem weißen Lederanzug am Fenster, den Blick in den Innenhof gerichtet. Ihr einzelner blonder Zopf war perfekt geflochten, ihr roter Strafer, die Waffe der Mord-Sith, die stets an einem dünnen Kettchen an ihrem Handgelenk hing, hob sich, deutlich wie ein Blutfleck auf einer weißen Tischdecke, von ihrem engen weißen Lederanzug ab. Obwohl scheinbar kaum mehr als ein kurzer Lederstab, war der Strafer nicht minder tödlich als seine Trägerin.

Benjamin trug eine fesche Generalsuniform mit einem blitzenden Silberschwert an seiner Seite. Das Schwert war alles andere als förmlicher Zierrat; Kahlan hatte seine Souveränität im Kampf, seinen Mut, schon unzählige Male bewundern können. Sie war es auch gewesen, die ihn zum General ernannt hatte.

Eigentlich hatte sie Cara und Benjamin in legerer Kleidung erwartet, doch dem war nicht so. Vielmehr schienen beide für ebenjenen Krieg gerüstet, der gerade zu Ende gegangen war. Vermutlich gab es für die beiden keinen Grund, jemals in ihrer Wachsamkeit nachzulassen, hatten sie ihr Leben doch dem Schutz Richards, des Lord Rahl, gewidmet.

Natürlich war der von ihnen Beschützte weit tödlicher als jeder von ihnen; in seinem schwarz-goldenen Kriegszaubereranzug wurde Richard seiner Rolle als Lord Rahl mehr als gerecht. Und doch war er mehr als das; an seiner Seite trug er das Schwert der Wahrheit, eine außergewöhnliche, für einen außergewöhnlichen Menschen bestimmte Waffe, die diesen zum Sucher machte – und den Sucher auf diese Weise respektgebietend.

»Haben sie etwa die ganze Nacht zugesehen?«, fragte Zedd gerade, als Kahlan und Richard zu ihm traten.

Cara wurde beinahe so rot wie ihr Strafer. »Keine Ahnung«, brummte sie mürrisch, den Blick noch immer aus dem Fenster gerichtet. »Es war schließlich meine Hochzeitsnacht, da hatte ich anderes zu tun.«

Zedd lächelte höflich. »Natürlich.«

Er blickte kurz zu Kahlan und Richard und begrüßte sie mit einem knappen Lächeln, ein Lächeln, fand Kahlan, das ein wenig knapper ausfiel, als sie eigentlich erwartet hätte.

Bevor sein Großvater noch etwas hinzufügen konnte, mischte sich Richard ein. »Was geht hier eigentlich vor, Cara?«

Das Gesicht zornesrot, wandte sie sich zu ihm herum und zischte: »Jemand hat uns in unserem Zimmer beobachtet.«

»Euch beobachtet«, wiederholte er tonlos. »Seid Ihr sicher?«

Er verriet mit keiner Miene, was er von einer solch abwegigen Behauptung hielt. Und doch fiel Kahlan auf, dass er Caras Äußerung nicht rundweg abtat; im Übrigen hatte Cara nicht gesagt, sie habe den Eindruck, sie seien beobachtet worden, sondern dass sie sich dessen sicher sei. Und Cara war nicht gerade eine Frau, die zu haltlosen Übertreibungen oder gar Sinnesverwirrungen neigte.

»Gestern war ein ereignisreicher Tag, zu Eurer Hochzeit waren viele Besucher gekommen, jede Menge Leute haben Euch und Benjamin beobachtet.« Richard wies auf Kahlan. »Sosehr ich mich mittlerweile daran gewöhnt habe, dass uns ständig jemand beobachtet, das Gefühl, ständig angestarrt zu werden, kann ich mitunter selbst dann nicht ablegen, wenn wir endlich alleine sind.«

»Die Mord-Sith werden ständig von allen angestarrt.« Es war nicht zu übersehen, dass ihr die angedeutete Unterstellung, sie könnte es sich eingebildet haben, nicht gefiel.

»Ja, aber bestenfalls aus den Augenwinkeln. Nur selten traut sich jemand, eine Mord-Sith direkt anzusehen.«

»Ach ja?«

»Gestern war das natürlich anders. Ihr seid es nicht gewohnt, dass man Euch direkt ansieht, gestern dagegen waren aller Augen auf Euch und Benjamin gerichtet, und das war eben ungewohnt. Könnte es vielleicht eine Nachwirkung dessen sein, dass Ihr so sehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden habt?«

Cara dachte darüber nach, als hätte sie diesen Umstand noch gar nicht in Betracht gezogen, und runzelte schließlich entschieden die Stirn. »Nein. Jemand hat mich beobachtet.«

»Also gut. Wann hattet Ihr dieses Gefühl zum ersten Mal?«

»Kurz vor dem Morgengrauen«, meinte sie nach kurzem Zögern. »Es war noch dunkel. Erst dachte ich, es sei jemand im Zimmer, aber außer uns beiden war da niemand.«

»Seid Ihr sicher, dass Ihr es wart, die man beobachtet hat?«, hakte Zedd nach. So harmlos seine Frage klang, Kahlan wusste es besser.

Der bis dahin stumme Benjamin schien verwirrt. »Soll das heißen, Ihr denkt, man könnte mich beobachtet haben?«

Zedd warf dem hochgewachsenen, blonden D’Haranischen General einen vielsagenden Blick zu. »Das soll heißen, diese Leute haben womöglich euch beide beobachtet.«

»Wir waren ja auch die Einzigen im Zimmer«, meinte Cara, jetzt wieder mürrisch.

Zedd neigte den Kopf in ihre Richtung. »Immerhin befandet Ihr Euch in einem der Schlafzimmer des Lord Rahl.«

Plötzlich blitzte so etwas wie Begreifen in Caras durchdringenden blauen Augen auf, und mit der Erkenntnis wechselte ihr Tonfall von Gereiztheit zu Eiseskälte, als sie die Haltung der Vernehmenden einnahm, eine Rolle, die einer Mord-Sith ebenso auf den Leib geschnitten war wie ihr Lederanzug. Die Augen schmal, sah sie den Zauberer an.

»Wollt Ihr etwa andeuten, jemand hat in das Zimmer gelinst, um zu sehen, ob das dort drinnen Lord Rahl war?«

Sie hatte offenbar begriffen, worauf Zedd anspielte.

Zedd zuckte seine knochigen Schultern. »Waren da irgendwo Spiegel in dem Zimmer?«

»Spiegel? Ja, ich glaube schon …«

»Es gibt zwei Spiegel in diesem Zimmer«, warf Kahlan ein. »Einen großen an der Seite, auf einem Ständer neben dem Bücherregal, und einen kleineren, über der Frisierkommode.«

Das Zimmer war eine der Aufmerksamkeiten Richards und Kahlans an das Hochzeitspaar gewesen. Wann immer der Lord Rahl im Palast weilte, hatte er die Wahl zwischen einer Reihe von Schlafgemächern – vermutlich eine alte List zum Schutz vor gedungenen Mördern. Wahrscheinlich besaß Richard mehr Zimmer im Palast, als er jemals betreten hatte, oder er sich überhaupt bewusst war, also hatten sie den beiden eines dieser prachtvoll eingerichteten Gemächer überlassen wollen, wann immer sie sich im Palast aufhielten. Das schien nur gerecht, immerhin war Benjamin der Anführer der Ersten Rotte und Cara die ihnen am nächsten stehende Leibwächterin.

Cara hatte das Zimmer mit Freuden angenommen, ohne Zweifel hauptsächlich deswegen, weil es unmittelbar neben dem von Richard und Kahlan lag.

»Warum interessiert Ihr Euch dafür, ob es in dem Zimmer Spiegel gibt?« Auch Benjamins Tonfall hatte sich verändert; er war jetzt ganz der für Richards Sicherheit im Palast verantwortliche General.

Zedd hob eine Braue und fixierte ihn mit besagtem vielsagendem Blick. »Weil es Menschen gibt, wie mir zu Ohren gekommen ist, die das Talent besitzen, mithilfe dunkler Abarten von Magie durch Spiegel an einen anderen Ort zu blicken.«

»Bist du dir da sicher«, fragte Richard, »oder ist das nur haltloses Gerede?«

»Gerede«, räumte Zedd mit einem Seufzer ein. »Aber mitunter erweist sich solches Gerede als durchaus zuverlässig.«

»Und wer wäre zu so etwas imstande?« Kahlan fand, dass Richards Stimme mittlerweile sehr nach der des Antworten verlangenden Lord Rahl klang. Was auch immer vor sich ging, es machte sie alle nervös und gereizt.

Zedd verdrehte die Handflächen. »Keine Ahnung, Richard. Ich jedenfalls nicht. Ich bin weder mit diesem Talent vertraut, noch weiß ich, ob es überhaupt existiert. Wie gesagt, es handelt sich um Tratsch, der mir zu Ohren gekommen ist, und nicht um eine persönliche Erfahrung.«

»Warum sollten diese Leute auf der Suche nach Lord Rahl und der Mutter Konfessor sein?« Dieser Umstand erschreckte sie sichtlich mehr als die Möglichkeit, jemand könnte sie und Benjamin ausspioniert haben.

»Gute Frage«, meinte Zedd. »Habt Ihr etwas gehört?«

Cara musste nicht lange nachdenken. »Nein, ich habe nichts gehört und nichts gesehen. Aber ich konnte fühlen, dass mich jemand beobachtet.«

Zedd verzog den Mund und dachte nach. »Nun, dann werde ich Euer Zimmer eben mit einem Schild versehen, um neugierige Blicke fernzuhalten.«

»Ein magischer Schild wäre tatsächlich imstande, das Entstehen von jedwedem Tratsch zu unterbinden?«

Endlich fand Zedd sein Lächeln zurück. »Das vermag ich nicht mit Gewissheit zu sagen. Ich weiß nicht, ob dieses Talent tatsächlich existiert oder nicht, und ich weiß auch nicht, ob jemand in dieses Zimmer gespäht hat.«

»Es hat«, beharrte Cara.

Kahlan breitete die Hände aus. »Das Einfachste scheint mir zu sein, die Spiegel zu verhängen.«

»Nein«, meinte Richard nachdenklich, während er in den Lichthof starrte. »Ich denke nicht, dass wir das tun sollten, auch sollten wir das Zimmer nicht mit einem Schild versehen.«

Zedd stemmte die Fäuste in die Hüften. »Und warum nicht?«

»Wer auch immer in dieses Zimmer gespäht hat – wenn wir die Spiegel verdecken, wird er es nicht noch einmal tun können.«

»Genau das ist ja der Sinn der Sache«, meinte Kahlan.

»Aber dann würden diese Leute wissen, dass wir sie bemerkt haben, und wir würden nicht erfahren, warum sie es tun.«

Zedd kratzte sich mit einem seiner langen dürren Finger in seinem zottigen welligen Haar. »Ich kann dir nicht mehr folgen, Junge.«

»Angenommen, besagte Spione hatten es eigentlich auf Kahlan und mich abgesehen, dann wissen sie bereits, dass nicht wir in diesem Zimmer waren. Wenn wir also alles lassen, wie es ist, und Cara fühlt sich heute Nacht nicht beobachtet, wäre dies die Bestätigung, dass sie sich eigentlich gar nicht für Cara und Benjamin interessieren. Haben sie es dagegen auf Kahlan und mich abgesehen, werden sie sich zwangsläufig woanders umschauen.«

Kahlan kannte Richard gut genug, um zu wissen, dass er insgeheim längst einen bestimmten Plan im Sinn hatte.

Cara ließ sich das durch den Kopf gehen und spielte dabei mit ihrem Straferkettchen. »Klingt doch ganz vernünftig. Wenn sie heute Nacht nicht wieder in das Zimmer linsen, heißt das, sie haben es aller Wahrscheinlichkeit nach auf Euch und die Mutter Konfessor abgesehen.«

Zedd machte eine beiläufige Geste. »Oder es ist gar nicht wirklich passiert, und Ihr habt es Euch nur eingebildet.«

»Und wie finden wir nun heraus, wer dazu imstande wäre, auf diese Weise in ein Zimmer hineinzuspähen?«, fragte Benjamin, ehe Cara widersprechen konnte.

Zedd zuckte die Achseln. »Ich behaupte ja gar nicht, dass so etwas möglich wäre. Ich jedenfalls habe nur gerüchteweise davon gehört. Ich finde, wir lassen unsere Fantasie mit uns durchgehen. Lasst uns heute Abend doch mal ein wenig sachlicher an die Sache herangehen, was haltet ihr davon?«

Nachdem sie einen Moment schweigend nachgedacht hatte, nickte Cara. »Ich werde besser aufpassen heute Nacht. Aber eingebildet hab ich mir das nicht.«

Richards Art, mit leerem Blick in den Lichthof hinunterzustarren, verriet Kahlan, dass er mit den Gedanken bereits ganz woanders war. Die anderen spürten es ebenfalls und warteten schweigend ab, was ihm wohl auf der Seele lag.

»Hat eigentlich jemand von euch schon mal etwas von Kharga Trace gehört?«, fragte er schließlich in die Stille hinein.

4

»Kharga Trace?« Benjamin hakte einen Daumen hinter seinen Waffengurt, blickte stirnrunzelnd zu Boden und versuchte sich zu erinnern, ob er den Namen schon einmal gehört hatte.

Und während Zedd nur den Kopf schüttelte, konnte Kahlan Rikkas Augen ansehen, dass ihr der Name irgendwie bekannt vorkam. Doch statt selbst zu antworten, respektierte sie, wie alle Mord-Sith, Caras unausgesprochene Autorität und blickte zu ihr hinüber.

»Kharga Trace liegt in den Dunklen Landen«, stellte diese fest.

Der kaum merkliche, dennoch eine gewisse Kälte verbreitende Wechsel in ihrem Tonfall war Richard nicht verborgen geblieben. Er wandte seine grauen Augen von dem Lichthof ab und richtete sein Augenmerk auf sie. »Wo?«

»In den Dunklen Landen – das ist eine entlegene Region D’Haras.« Sie wies mit dem Daumen über ihre Schulter. »Nordöstlich von hier.«

»Und wieso heißen sie die Dunklen Lande?«

»Weil es ein von der Zivilisation weitgehend unbelecktes Gebiet ist, in etwa so abgeschieden, engstirnig und unwirtlich wie die Wildnis, allerdings nicht so flach und offen, vielmehr handelt es sich um eine ausgedehnte weglose Bergregion voller dunkler Wälder. Was es nahezu unmöglich macht, bis zu den abgeschieden lebenden Stämmen in den entlegeneren Teilen vorzustoßen oder sie auch nur zu finden. Und wenn man es schafft, bis in die von ihnen bewohnten abgelegenen Gebiete vorzudringen, läuft man Gefahr, von ihnen entdeckt zu werden.«

Caras Ausführungen waren rein sachlicher Natur und klangen so offiziell wie in einem von Lord Rahl angeforderten Bericht, gleichwohl besaß ihr Tonfall eine gewisse eisige Schärfe. »Der Himmel dort ist die meiste Zeit düster und bedeckt; die Sonne jedenfalls bekommt man in den Dunklen Landen nur selten zu Gesicht. Möglicherweise rührt der Name daher.«

Ihre vorsichtige Formulierung ließ Kahlan vermuten, dass der Name womöglich ganz anderen Ursprungs war.

»Trotzdem leben dort zivilisierte Menschen, die sie als ihre Heimat bezeichnen«, stellte Richard fest. »Schließlich sind sie ein Teil D’Haras.«

Cara nickte. »Es gibt in der Provinz Fajin – neben der alles beherrschenden Stadt Saavedra – da und dort in den Tälern einige kleinere Ortschaften, jenseits dieser Vorposten der Zivilisation jedoch liegt ein dunkles und abweisendes Gebiet. Die Menschen, die dort leben, entfernen sich niemals weit von den Ortschaften, und tun sie es einmal doch, bleiben sie auf den wenigen Straßen. Über diese Region ist nur wenig bekannt, da es dort kaum Handel gibt, was zum einen daran liegt, dass es so gut wie nichts gibt, womit man handeln könnte.«

»Und zum anderen?«, fragte Richard.

Cara zögerte ein wenig mit ihrer Antwort. »Viele, die die Dunklen Lande aufgesucht haben, wurden nie wieder gesehen. Wie gesagt, die meisten Menschen hüten sich davor, die besiedelten Gebiete zu verlassen. Hin und wieder kommt es sogar vor, dass Menschen auf Nimmerwiedersehen verschwinden, die dort leben, auf den Straßen bleiben und sich des Nachts einschließen.«

Richard verschränkte die Arme. »Und woran könnte das liegen?«

Cara zuckte die Achseln. »Mit Gewissheit kann ich das nicht sagen, Lord Rahl. Es ist ein Ort voller Aberglaube, schwarzer Künste und verschlossener Lippen. Die Menschen sprechen nicht über die Dinge, vor denen sie sich fürchten, weil sie nicht möchten, dass diese Dinge sie heimsuchen.«

Damit gab Richard sich nicht zufrieden. »Aberglaube hat noch niemanden verschwinden lassen.«

Doch Cara hielt seinem durchdringenden Blick stand. »Man munkelt, dass Aasfresser aus der Unterwelt die Dunklen Lande bejagen.«

Dieses düstere Menetekel erzeugte ein allgemeines Aufstöhnen.

»Solche Orte gibt es in den Midlands auch«, meinte Zedd schließlich. »Zum Teil ist das Aberglaube, wie du ganz richtig bemerkt hast, aber es gibt auch Orte, da ist das Gerede über solch gefährliche Wesen durchaus begründet.«

Kahlan konnte ein Lied davon singen, schließlich stammte sie von dort.

»Ich denke, das könnte auf die Dunklen Lande ebenfalls zutreffen«, gab Cara ihm recht. »Allerdings sind die unzivilisierten Regionen dort viel weitläufiger und abgeschiedener als in den Midlands. Wenn in den Dunklen Landen etwas schiefläuft, kommt einem gewiss niemand zu Hilfe.«

»Und warum sollte jemand dort leben wollen?«, fragte Kahlan.

Cara zuckte wiederholt die Achseln. »So wild, rau und verarmt dieses Gebiet auch sein mag, für die dort Geborenen ist es ihre Heimat. Die meisten Menschen verlassen ihr vertrautes Zuhause nicht, weil sie Angst vor dem Unbekannten haben.«

»Cara hat ganz recht«, sagte Richard. »Außerdem müssen wir bedenken, dass es sich immer noch um ein Land handelt, das an unserer Seite für den Frieden gekämpft und uns beigestanden hat. Sie haben in diesem Krieg hohe Verluste erlitten.«

Mit einem Seufzer pflichtete Cara ihm bei. »Wohl wahr. Ich kenne einige Soldaten aus der Provinz Fajin, die alle tapfer gekämpft haben. Allerdings stammt keiner von ihnen aus Kharga Trace. Nach allem, was ich darüber gehört habe, geht es dort noch unwirtlicher zu als im Rest der Dunklen Lande. Direkt in Trace leben, wenn überhaupt, nur wenige Menschen, und noch weniger hätten einen Grund, einen Fuß in dieses Gebiet zu setzen.«

»Woher wisst Ihr so viel über diese Dunklen Lande?«, wollte Kahlan wissen.

»Tu ich eigentlich gar nicht. Darken Rahl war dort früher in Geschäften unterwegs, und das ist auch der Grund, weshalb ich überhaupt etwas weiß. Mir ist noch im Gedächtnis, dass er Kharga Trance ein, zwei Mal erwähnte.« Die Erinnerung ließ sie den Kopf schütteln. »Irgendwie haben die Dunklen Lande zu ihm gepasst, zu ihm und zu seinem Vater; beide haben die dort lebenden Menschen mit Brutalität und Angst unterdrückt. Er sprach oft davon, es sei die einzige Möglichkeit sicherzustellen, dass dieses Land nicht aus der Reihe tanzt. Wie schon sein Vater, hat auch Darken Rahl gelegentlich Mord-Sith in dieses Land geschickt, um das dortige Volk an seine Treue zu D’Hara zu erinnern.«

Richard runzelte die Stirn. »Demnach wart Ihr also dort?«

»Nein, mich hat er nie geschickt. Meines Wissens ist keine der noch lebenden Mord-Sith jemals dort gewesen.«

Sie starrte einen Moment blicklos vor sich hin. »Und von denen, die er schickte, sind viele nie zurückgekommen.«

Schließlich richtete sie ihre blauen Augen wieder auf Richard. »Constance hat er des Öfteren geschickt.«

Richard wechselte einen vielsagenden Blick mit Cara, sagte aber nichts. Als Gefangener Darken Rahls hatte er Constance persönlich kennengelernt.

Er war es gewesen, der sie getötet hatte.

Auch wenn er und Kahlan seit dem Kriegsende ein wenig mehr über D’Hara erfahren hatten, war ihnen vieles davon nach wie vor ein Rätsel. Das Land war riesig, es gab Städte, die sie zuvor gar nicht gekannt, geschweige denn besucht hatten. Und es gab Bezirke in entlegenen Gebieten wie diesen Dunklen Landen, die wegen ihrer Abgeschiedenheit mehr oder weniger eigenständig waren.

»Die meisten Führer der Städte und Bezirke weilen derzeit hier im Palast«, bemerkte Benjamin. »Und so entfernt und rückständig diese abgelegenen Bezirke auch sein mögen, hat es meines Wissens keiner von ihnen gewagt, die offizielle Einladung des Lord Rahl zu unserer Hochzeit auszuschlagen. Wenn Ihr wollt, können wir uns also eingehender nach Kharga Trace erkundigen, schließlich sind sie ja nun alle hier.«

Richard, in Gedanken anscheinend bereits beim nächsten Schritt seiner inneren Gleichung, nickte abwesend.

»Richard«, sagte Zedd, als das Gespräch stockte, weil alle den blicklos vor sich hinstarrenden Richard ansahen. »Wie ich höre, hast du dir mit den Büchern in der Bibliothek etwas vorgenommen.«

»Wir sind dabei, sie zu ordnen«, antwortete Kahlan, da Richard die Frage offenbar überhört hatte.

»Sie zu ordnen?«

»Genau«, meinte Richard schließlich. Offenbar hatte er die Frage wohl doch gehört. »Angesichts der Abertausende von Titeln in der hiesigen Bibliothek ist es nahezu unmöglich, eine dringend benötigte Information auf Anhieb zu finden. Ich habe ja nicht einmal die Möglichkeit zu prüfen, ob eine benötigte Information überhaupt in einer der Bibliotheken vorhanden ist. Niemand hier weiß, was sich an welchem Ort befindet, was überhaupt verfügbar ist. Also lasse ich die Informationen ordnen. Da Berdine des Hoch-D’Haran mächtig ist und sich bereits halbwegs einen Überblick über die verschiedenen Bibliotheken verschafft hat, habe ich sie damit beauftragt. Nathan wird ihr dabei zur Hand gehen.«

Zedd machte ein skeptisches Gesicht. »Das ist ein unglaublich schwieriges Unterfangen, Richard. Ich bin nicht einmal sicher, ob es überhaupt möglich ist, selbst mithilfe eines Propheten. Schätze, ich sollte mir mal ansehen, was genau du vorhast und wie du dabei vorzugehen beabsichtigst.«

Richard nickte. »Sicher. Komm mit, ich bringe dich zu einer der größeren Bibliotheken, in denen Berdine gerade arbeitet. Ich wollte ohnehin dorthin; es gibt da eine Sache, der ich nachgehen möchte.«

Kahlan fragte sich, was das wohl sein mochte.

Als sie aufbrachen, blieb Kahlan ein Stück zurück und packte Caras Arm, um sie beiseitezunehmen.

»Was ist denn?«, frage Cara mit gesenkter Stimme.

Kahlan sah zu den anderen hinüber, die in ein Gespräch vertieft waren. Die dicken Teppiche dämpften ihre Schritte wie auch ihre Worte.

»Irgendetwas geht hier vor. Ich weiß noch nicht, was, aber ich kenne Richard gut genug, um zu wissen, dass er sich in etwas verbissen hat.«

»Was aber soll ich Eurer Meinung nach tun?«

»Ich möchte, dass jederzeit eine Mord-Sith in seiner Nähe bleibt.«

»Mutter Konfessor, diesen Entschluss hatte ich bereits gefasst, als Zedd uns sagte, wer immer in das Zimmer gespäht hat, könnte dies getan haben, weil es sich um das Schlafzimmer des Lord Rahl handelt.«

Lächelnd legte ihr Kahlan eine Hand auf die Schulter. »Ich bin nur froh, dass die Ehe nicht Euren Verstand umnebelt hat.«

»Das Kompliment gebe ich zurück. Und was geht nun, Eurer Meinung nach, hier vor?«

Kahlan biss sich auf die Unterlippe. »Vor ein paar Stunden erzählte ein Junge, der offensichtlich an Fieber litt, Richard, im Palast herrsche Dunkelheit. Meiner Meinung nach waren das reine Fieberfantasien, andererseits kenne ich Richard, daher weiß ich, dass ihm diese Worte nicht mehr aus dem Kopf gehen werden. Unmittelbar bevor wir hier herunterkamen, sprach eine alte Frau, eine Wahrsagerin, Richard an und weissagte ihm, ›das Dach wird einstürzen‹. Dann kommen wir hierher, um Euch zu sprechen, und erfahren von dieser Geschichte, dass jemand in Euer Zimmer gespäht hat.«

»Und was denkt Lord Rahl Eurer Meinung nach?«

Kahlan wandte den Kopf herum und sah in Caras durchdringende blaue Augen. »Wie ich Richard kenne, denkt er, dass er soeben dem dritten Kind des Ärgers begegnet ist.«

»Wusste ich’s doch – ich hätte heute Morgen meinen roten Lederanzug anziehen sollen.«

»Kein Grund vorauszugreifen. Ich bin bloß vorsichtig. Nur weil Richard das denkt, muss es noch lange nicht stimmen.«

»Mutter Konfessor, wenn Lord Rahl diese Anwandlungen hat, steht normalerweise Ärger ins Haus.«

»Auch wieder wahr«, gab Kahlan ihr recht.

5

Kahlan schaute zu, wie Zedd auf dem gold-blauen Teppich auf- und abging, um schließlich wieder an den Mahagonitisch zurückzukehren. Bei jeder Kehrtwende umflatterte das Gewand seine Beine, als hätte es Mühe, Schritt zu halten. Durch die Fenster oben auf der Galerie fiel ein kaltes, fahles Licht in den Bibliothekssaal; und durch ebendiese Fenster konnte sie sehen, dass seit ihrem Marktbesuch vor einigen Stunden eisengraue Wolken aufgezogen waren, die Ankündigung eines drohenden Frühlingsgewitters.

Im Gegensatz zur gegenüberliegenden Wand oben auf der Galerie besaß die untere Etage der Bibliothek, knapp oberhalb des Erdgeschosses, keine Fenster; Kahlan nahm an, dass sie sich fast genau unter dem sich über weite Teile des Palasts erstreckenden Garten des Lebens befinden musste. Mit letzter Sicherheit ließ sich das wegen der verwirrenden Konstruktionsweise des Palasts allerdings nicht sagen.

In einer der hinteren Ecken drüben lehnte Nathan an einer Säule, die noch breiter war als seine Schultern. Mit seinem Rüschenhemd, den hohen Stiefeln und dem grünen, an der einen Schulter festgehakten Umhang, vor allem aber mit seinem Schwert, wirkte er eher wie ein Abenteurer denn wie ein Prophet, und doch war er genau das. Wie er jetzt im Schein der Reflektorlampen in der dunklen Mauernische stand, schien er gänzlich in das Studium eines Buches versunken.

Über den gesamten Tisch vor Kahlan verteilt lagen Bücher, mal zu säuberlichen Stapeln aufgeschichtet, mal in unordentlichen Haufen. Und zwischen diesen Büchern befanden sich Stöße von Papieren, Lampen, Tintenfässer, Stifte und leere Tassen. Reflektorlampen an beiden Enden der Regalreihen halfen, die verschwiegeneren Winkel der Bibliothek auszuleuchten. Doch trotz all der Lampen herrschte wegen des bedeckten Himmels eine gedrückte Stimmung in dem stillen Saal.

Berdine, in ihrem braunen Lederanzug, verschränkte die Arme und lehnte sich gegen den Tisch. Wie alle anderen, so sah auch sie Zedd beim Auf- und Abgehen zu. Obwohl sie, wie Cara, blaue Augen hatte, waren ihre Haare braun, nicht blond, zudem war sie untersetzter und draller als die meisten anderen Mord-Sith.

Und anders als alle anderen Mord-Sith war Berdine von Büchern fasziniert, weshalb sie sich beim Aufspüren nützlicher Informationen aus den Abertausenden von Bänden für Richard als enorme Hilfe erwiesen hatte. Auch wenn sie ihre bibliothekarische Arbeit gewöhnlich mit geradezu überschäumender Begeisterung verrichtete, so war sie doch nicht minder tödlich als Cara oder irgendeine der anderen Mord-Sith.

Endlich blieb Zedd, noch immer voller Ungeduld, stehen. »Ich bin nicht überzeugt, dass es funktionieren kann, Richard – zumindest nicht wirkungsvoll. Zum einen gibt es verschiedene Möglichkeiten, Bücher einzuordnen, dann wieder gibt es Bücher, die sich mit mehr als einem Thema befassen.«

Er sah sich seufzend in der Bibliothek um. »Lass dir gesagt sein, ich habe mich mein Leben lang mit solchen Schriften befasst, und nach meiner langjährigen Erfahrung lassen sich Bücher nun mal nicht immer einem bestimmten Genre zuordnen.«

»Das haben wir berücksichtigt«, erwiderte Richard gelassen.

Gereizt wandte sich Zedd einem unordentlichen Bücherhaufen auf dem Tisch zu, warf kurz einen Blick auf den Titel, der aufgeschlagen obenauf lag, nahm es zur Hand und fuchtelte damit vor Richards Gesicht herum. »Und dann gibt es noch Bücher wie dieses hier. Wie willst du etwas einordnen, das nicht mal einen Sinn ergibt?«

Berdine kratzte sich die hohle Wange. »Um welches Buch handelt es sich? Worum geht es darin?«

Zedd klappte es kurz zu, um den Titel abzulesen. »Regula«, verkündete er verdrießlich. Er überflog ein paar Seiten, gab dann kopfschüttelnd auf. »Ich habe keine Ahnung, was der Titel bedeutet, und wenn ich es mir so anschaue, habe ich noch weniger Ahnung, wovon es handelt.«

Als er es Berdine reichte, konnte Kahlan sehen, dass sich hinter dem Titel auf dem Buchrücken ein seltsames Kreissymbol befand, mit einem in das Leder geprägten Dreieck darin. Im Innern war ein gebogenes Hakensymbol zu erkennen, das ihr noch nirgendwo sonst aufgefallen war. Es erinnerte ein bisschen an die Zahl Neun, allerdings verkehrt herum.

»Ach, das«, sagte Berdine, in den Seiten blätternd. »Ein Teil ist auf Hoch-D’Haran, vieles aber auch nicht. Ich vermute, es handelt sich um ein Wörterbuch.«

Zedd musterte sie einen Moment lang verwirrt. »Was soll das heißen?«

»Nun, dass ich es teilweise lesen kann, die Teile, die auf Hoch-D’Haran sind, dass ich mir aber nicht ganz sicher bin, was all diese seltsam verschnörkelten Striche und Symbole bedeuten.«

Richard legte Zedd eine Hand auf die Schulter. »Wir werden es in die Liste der anderen Bücher aufnehmen, die für uns keinen Sinn ergeben. Damit hätten wir eine vorläufige Zuordnung: unbekannt.«

Zedd starrte ihn einen Moment an. »Tja, schätze, das klingt durchaus einleuchtend.«

»Oh, unbekannt ist es keineswegs, Lord Rahl«, sagte Berdine. »Wie ich gerade erklärte, handelt es sich meiner Meinung nach um ein Wörterbuch.«

»Ein Wörterbuch?« Zedd wies mit fahriger Geste auf das aufgeschlagene Buch in Berdines Hand. »Es ist voll von diesen absonderlichen Symbolen, ich sehe keine Wörter.«

»Ja, ich weiß.« Berdine strich sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht. »Ich hatte noch keine rechte Gelegenheit, es ausgiebig zu studieren, vermute aber, dass es sich bei diesen Symbolen um eine alte Schriftform handelt. Irgendwo hab ich eine Stelle gesehen, wo es hieß, dies sei die Sprache der Schöpfung.«

Zedd knurrte missbilligend. »Klingt, als könnte man es getrost als ›unbrauchbar‹ einordnen. Dieses Problem dürfte derart verbreitet sein, dass ich den Sinn dieser ganzen Plackerei nicht recht zu erkennen vermag.«

»Schau«, sagte Richard, »es gab Momente, da haben wir eine Menge Ärger bekommen – oder konnten ihn zumindest nicht vermeiden –, nur weil wir keine Antworten finden konnten, als wir sie dringend benötigten. Früher gab es in jeder Bibliothek Schreiber, die den Überblick über das unermessliche Wissen behielten. Soweit ich weiß, waren sie für bestimmte Bücher oder Teile einer Bibliothek verantwortlich. Benötigte man ein Buch, das Informationen zu einem bestimmten Thema enthielt, konnte man sich an sie wenden, worauf sie die Suche auf Titel eingrenzten, in denen diese Antworten höchstwahrscheinlich zu finden waren. Ohne diese kundigen Schreiber ist das unermessliche in den Bibliotheken enthaltene Wissen praktisch nicht verfügbar. Um also Antworten zu bekommen, benötigen wir eine Methode, Titel zu jedem gegebenen Thema zu finden. Seit deinem letzten Besuch hier haben wir damit begonnen, alles zu katalogisieren. Wir versuchen, ein System zu schaffen, das sämtliche Titel in sämtlichen Bibliotheken umfasst, so dass wir, sobald wir eine Antwort brauchen, auf alle Verweise zu einem bestimmten Thema zurückgreifen können.«

Zedd wies auf den Tisch. »Das sind dann wohl diese Papierstapel?«

Richard nickte. »Die Bücher selbst möchte ich nicht allzu viel bewegen, da ich nicht weiß, warum sie in einer bestimmten Bibliothek oder auch in einem bestimmten Regal stehen. Von den gefährlichen Titeln über Magie einmal abgesehen, die in Bibliotheken mit beschränktem Zugang stehen, konnte ich in der Unterbringung der Bücher bislang kein System entdecken, trotzdem gibt es möglicherweise einen Grund für ihren jeweiligen Standort. Aber ohne den zu kennen, möchte ich sie nicht hin und her räumen und dadurch womöglich ein neues Problem schaffen. Also legen wir für jedes Buch ein Blatt mit Titel, Standort sowie einer Art Inhaltsangabe an. Auf diese Weise können wir die einzelnen Blätter in Kategorien einteilen und müssen nicht die Bücher selbst umsortieren.«

Zedd ließ den Blick über die unzähligen Bücherreihen schweifen; allein in dieser Bibliothek standen Tausende von Bänden, und sie war nur eine von vielen im Palast.

»Das wird eine Menge Arbeit werden, mein Junge.«

Richard zuckte die Achseln. »Wir besitzen einen Wissensreichtum von Zehntausenden Titeln in verschiedenen, über den ganzen Palast verteilten Bibliotheken, aber keine wirksame Methode, eine bestimmte Information, die wir benötigen, zu finden. Anstatt mich auf das Problem zu versteifen, habe ich mir halt eine Lösung überlegt. Wenn du eine bessere weißt – bitte, die würde ich gerne hören.«

Die schmalen Lippen einen Moment zusammengepresst, erwog Zedd das Problem. »Schätze nein. Ich muss zugeben, was du da sagst, klingt gar nicht dumm. Ich hab früher mal was ganz Ähnliches gemacht, allerdings in viel kleinerem Maßstab.«

»In der Enklave des Obersten Zauberers in der Burg der Zauberer«, meinte Richard nickend. »Ich weiß noch, dort lagen überall Bücher herum, zu Stapeln aufgeschichtet.«

Zedd hing seinen Erinnerungen nach. »Wenn ich Bücher zu bestimmten Themen griffbereit haben wollte, habe ich sie alle auf denselben Stapel gelegt. Eigentlich hatte ich vor, sie in Regale einzusortieren, aber irgendwie bin ich nie dazu gekommen, außerdem war ihre Zahl vergleichsweise klein. Vielleicht kann ich diese lange vergessene Arbeit ja jetzt, da der Krieg vorbei ist, wieder aufgreifen, sobald ich in die Burg der Zauberer zurückkehre.«

Berdine riss ihn aus seinen Erinnerungen. »Lord Rahl hat uns gebeten, hier in dieser Bibliothek anzufangen, weil sie größtenteils besonders wertvolle und rare Bücher enthält. Damals, als Darken Rahl noch Lord Rahl war, hat er diese Bibliothek, soweit ich das mitbekommen habe, gar nicht benutzt. Was vermutlich bedeutet, dass die Bücher hier weniger wichtig sind.«

»Soweit Ihr das mitbekommen habt«, meinte Zedd tadelnd. »Aber das allein reicht ja wohl kaum für die Behauptung, dass es hier nicht vielleicht doch den einen oder anderen raren … oder gefährlichen Titel gibt.«

»Wohl wahr«, sagte Berdine. »Aber in einigen der anderen Bibliotheken gibt es Titel, von denen wir wissen, dass sie voller gefährlicher Dinge sind.«

»Wir fanden einfach, dies wäre ein guter Ort, um anzufangen«, fügte Richard hinzu, »bevor wir in den größeren Bibliotheken mit eher eingeschränktem Zugang weitermachen. Und wenn es hier irgendwelche wichtigen Schriften gibt, werden wir das herausfinden, denn nach und nach werden wir die über alle Titel angelegten Blätter zusammenführen. Auf diese Weise werden wir wissen, wo sämtliche Titel zu einem Thema stehen, egal in welcher Bibliothek, und egal ob sie über den gesamten Palast verteilt sind.«

Zedd schien sich ein wenig beruhigt zu haben. »Klingt einleuchtend.«

»Also werden wir«, sagte Richard und wies auf das auf dem Tisch liegende Buch, das sich Zedd und Berdine zuvor angesehen hatten, »ein Buch wie dieses hier als ›unbekannt‹ oder vielleicht auch, wie Berdine vorschlug, als ›Wörterbuch‹ kennzeichnen.«

»Im Grunde ist dieses Buch ziemlich anders als alles, was mir sonst so untergekommen ist, Lord Rahl. Ich wollte schon mit Euch darüber sprechen, wie wir diesen Fall handhaben sollen. Genau genommen ist es weder unbekannt noch im eigentlichen Sinn ein reines Wörterbuch.«

Richard verschränkte die Arme. »Aber das habt Ihr doch eben selbst behauptet.«

»Mag sein, trotzdem kann ich es nicht als solches klassifizieren«, sagte sie.

Die Stirn gerunzelt, sah Richard sie an. »Und warum nicht?«

»Na ja, was ich meinte, war, es schien zunächst so auszusehen, aber ich kann es nicht mit Gewissheit sagen.«

Richard kratzte sich die rechte Braue. »Ihr verwirrt mich, Berdine.«

Berdine beugte sich vor und zog das Buch zu sich herüber. Dann klappte sie es auf und sah Richard dabei an, so als sei sie im Begriff, ihm ein pikantes Detail zu offenbaren. »Seht Ihr, hier. Dieses Buch ist neu gebunden worden. Dies ist nicht der Originaleinband.«

Zedd, Kahlan und sogar Cara beugten sich ein Stückchen vor, um das Buch zu begutachten.

Richard konzentrierte sich mit neu erwachtem Interesse darauf. »Woher wollt Ihr das wissen?«

Berdine fuhr mit dem Finger über die Innenseite des Buchrückens, wo er mit dem Rückendeckel verbunden war. »Hier kann man sehen, wo es repariert wurde, nur passt es eben nicht. Das Buch als solches ist unvollständig, der größte Teil fehlt. Dieser Einband wurde eigens dafür angefertigt, die Reste zusammenzuhalten.«

Richard neigte den Kopf, um es sich genauer anzusehen. »Und Ihr seid sicher, dass der größte Teil fehlt?«

»Ja.« Berdine schlug die letzte Seite wieder um und tippte auf die Worte auf Hoch-D’Haran ganz am Ende des Buches. »Seht Ihr, hier. Außer in bestimmten Teilen zu Beginn des Buches sind die meisten Seiten entfernt worden. Anschließend wurde dieser Vermerk als letzte Seite hinzugefügt, um das Vorgehen zu erklären.«

Richard nahm das Buch vom Tisch und las für sich. Während er sich stumm die Übersetzung erarbeitete, wich ein Teil der Farbe aus seinem Gesicht.

»Was steht dort?«, wollte Kahlan wissen.

Besorgt sah Richard auf und erwiderte ihren Blick. »Hier steht, dass der Rest des Buches entfernt und zur Aufbewahrung zum ›Berglendursch osst Kymermosst‹ gebracht worden ist. Der noch verbliebene Rest hier wurde als Platzhalter zurückgelassen.«

An den Namen erinnerte sich Kahlan. Berglendursch osst Kymermosst war Hoch-D’Haran für Berg Kymermosst, und dieser Berg Kymermosst war ebenjener Ort, an dem der Tempel der Winde ursprünglich erbaut worden war.

Weil er so viel Gefährliches enthielt, war der Tempel der Winde dreitausend Jahre zuvor irgendwie aus der Welt des Lebens an einen unzugänglichen Ort verbannt und, völlig unerreichbar, in der Unterwelt verborgen worden.

In den darauffolgenden Jahrtausenden hatte es immer wieder Menschen gegeben, die in das Totenreich gereist waren, um in den Tempel der Winde zu gelangen. Überlebt hatte diesen Versuch niemand.

Bis Richard auf den Plan getreten war.

Er hatte die Unterwelt ganz allein aufgesucht, war seit Jahrtausenden der Erste gewesen, der einen Fuß in den Tempel gesetzt hatte.

Als er dann, um den Krieg zu beenden, die Kraft der Kästchen der Ordnung entfesselt hatte, hatte er viele Dinge zurechtgerückt, Gefahren und Fallen eliminiert, denen zahllose Unschuldige zum Opfer gefallen waren.

Und er hatte den Tempel der Winde in die Welt des Lebens zurückgeholt, an seinen rechtmäßigen Platz auf dem Gipfel des Berges Kymermosst.

6

»Na ja«, sagte Zedd in das betretene Schweigen hinein, »dann weißt du ja wenigstens, wo sich der Rest des Buches befindet.« Seine buschigen Brauen senkten sich über seine durchdringenden, haselnussbraunen Augen. »Als du mir erzählt hast, du hättest den Tempel in die Welt zurückbefördert, hieß es, niemand außer dir könne ihn betreten. Das ist doch zutreffend, oder, Richard?«

Für Kahlan klang es mehr wie ein Befehl denn wie eine Frage.

Trotz Zedds nachdrücklichen Tons wich endlich die Anspannung aus Richards Körper. »Ja, das stimmt. Was immer im Rest des Buches stehen mag, es ist sicher hinter Schloss und Riegel.«

Mit einem langen Seufzer klappte Richard das merkwürdige Buch zu und legte es auf den Tisch zurück. »Nun, Berdine, ich schätze, Ihr solltet auf dem Blatt für Regula ›unbekannt‹ vermerken und als Standort sowohl diese Bibliothek hier als auch den Palast der Winde angeben.«