Die Macht ist weiblich - Manfred Otzelberger - E-Book

Die Macht ist weiblich E-Book

Manfred Otzelberger

0,0
13,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

An diesen Doppelnamen wird man sich gewöhnen müssen: Annegret Kramp-Karrenbauer, sieben Jahre lang Ministerpräsidentin des Saarlandes, ist seit Februar 2018 CDU-Generalsekretärin und damit eine mögliche Nachfolgerin von Angela Merkel. Kann "AKK" den Aufstieg aus dem kleinsten Bundesland an die Spitze der deutschen Politik schaffen? Woher kommt sie, was ist ihr Erfolgsgeheimnis und wie stehen ihre Chancen auf der Berliner Bühne? Fakt ist: Die 55-Jährige ist im besten Politikeralter, steht für Frauenpower in einer konservativen Partei, für Durchsetzungsfähigkeit bei harten Themen, gesunden Menschenverstand, Volksnähe und Humor. Am Ende gilt für die dreifache Mutter womöglich das Gleiche wie für Angela Merkel: Wer sie unterschätzt, hat schon verloren.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 329

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DIE MACHT IST WEIBLICH

ANNEGRET KRAMP-KARRENBAUER

Die Biografie

DIE MACHT IST WEIBLICH

ANNEGRET KRAMP-KARRENBAUER

Die Biografie

Manfred Otzelberger

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Originalausgabe

2. Auflage 2019

© 2018 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Claudia Fregiehn

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch, München

Umschlagabbildung: Getty Images/Photothek/Thomas Koehler

Satz: Satzwerk Huber, Germering

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7423-0714-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0315-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0316-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Prolog: Kinder, Küche, Kirche – und Karriere

I. Die Heimat – wo Annegret Kramp-Karrenbauer verwurzelt ist

Das Große im Kleinen: Das Miteinanderland an der Saar – wo »es Annegret« herkommt

Die Kraft aus der Provinz: Warum Püttlingen das neue Würselen ist

Das Leben geteilt durch acht: Aufwachsen in der Großfamilie

Ein Bergmann als Mann fürs Leben: Familie und Karriere – Ja, bitte!

II. Aufstieg in der Politik: Eine Frau will im Saarland nach oben

Ein Zufall namens Töpfer: Wie Annegret Kramp-Karrenbauer für ein halbes Jahr in den Bundestag kam

Eine Seele und ein Herz: Annegret Kramp-Karrenbauer und ihr Mentor Peter Müller

Law and Order kann eine Frau auch: Die erste Innenministerin in Deutschland

Schock am Dreikönigstag: Das Ende von Jamaika

Das Desaster mit dem Kunst-Pavillon: Die Elbphilharmonie auf Saarländisch

Die Landesmutter: Immer nah bei den Menschen

Den Schulzzug gestoppt: Die neue Heldin in der CDU

Der Machtwechsel: Hans, der kann’s

Menschlichkeit und Miteinander: Warum es im Saarland keine Probleme mit den Flüchtlingen gibt

Männer kommen, Frauen verkommen: Das Kreuz mit der Prostitution

Ein Saarländer als Buhmann: Warum Peter Hartz gerne Kramp-Karrenbauer heißen würde

III. Die zehn Gebote von Annegret Kramp-Karrenbauer: Der Wesenskern einer christlichen Politikerin

1. Trau dir was zu: Ich war gerne eine Quotenfrau

2. Denke europäisch: Das ist die Grundlage für Frieden und Wohlstand

3. Lerne Fremdsprachen: Sie erweitern deinen Horizont

4. Sei anstößig – auch bei Freunden: Warum Querdenken wichtig ist, wenn man davon überzeugt ist

5. Sei hartnäckig und trickreich wie eine Ministrantin – dann ändert sich auch die katholische Kirche

6. Kämpfe für deine Überzeugungen: Auch wenn sie wie bei der »Ehe für alle« nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen

7. Sei neugierig und lerne lebenslang – und zwar mit Freude: Warum eine Politikerin Präsidentin der Volkshochschule wird

8. Sei offen für die digitale Welt: Warum Kramp-Karrenbauer so technikfreundlich ist

9. Lache über dich selbst, bevor es andere tun: Warum eine Putzfrau das zweite Ego von Annegret Kramp-Karrenbauer ist

10. Steh auf, wenn dir ein Unfall passiert: Warum sich Annegret Kramp-Karrenbauer nicht stoppen lässt

IV. Berlin, ich komme! Wie Annegret Kramp-Karrenbauer die CDU übernimmt

Mehr General als Sekretärin: Annegret Kramp-Karrenbauer und ihr neues Amt

Es kann nur besser werden: Der schwache Vorgänger Peter Tauber

Der Übervater aller Generalsekretäre: Heiner Geißler

Eine Partei freut sich: Diese Generalsekretärin ist ein Hit!

Merkels Meute: Die Werteunion

Die neue Generalin: Wenn zwei Powerfrauen um die Wette strahlen

Krönungsmesse in Berlin: Die CDU hat einen neuen Liebling

Die Hausmacht von AKK: Frauenunion will die Hälfte der Macht

Die hässlichen Deutschen: Der Kampf gegen die Konkurrenz von der AfD

Die hohe Kunst des Zuhörens – Annegret Kramp-Karrenbauer auf Deutschland-Tournee

Die Gedanken sind frei, die Rede auch: Die Rhetorik von Annegret Kramp-Karrenbauer – eine Analyse des Kommunikationstrainers Sammy Stauch, Leiter der Deutschen Rednerschule

Chaospartei CSU: Wie Kramp-Karrenbauer mit der schwer erziehbaren Schwester umgeht

V. Das Private ist politisch: Annegret Kramp-Karrenbauer als Frau und Mensch

Frisur, Brille, Kleidung: Wie sich Annegret Kramp-Karrenbauer inszeniert

Annegret Kramp-Karrenbauer von A bis Z

Epilog: Keine Angst vor Abstürzen – die Frau am Schwebebalken

Quellenverzeichnis

Prolog: Kinder, Küche, Kirche – und Karriere

»Mama, dürfen Männer auch Kanzler werden?« Diese Frage eines Journalistenkindes war nach der Bundestagswahl 2017 der Running Gag auf den Partys und Empfängen im politischen Berlin. Kindermund tut Wahrheit kund. Der Kleine hat zu viel Angela Merkel gesehen – und unbewusst eine Wahrheit ausgesprochen: Die Macht ist weiblich. Und neuerdings tritt sie im Duo auf: Angela und Annegret. Die politische Lovestory 2018, ein unzertrennliches Paar.

Im Winter ihrer Karriere hatte die ewige Kanzlerin ein mädchenhaftes Lächeln im Gesicht, das ihr keiner mehr zugetraut hatte: Beseelt, beglückt, befreit. Schwärmerisch waren die Blicke von Angela Merkel, die sie Annegret Kramp-Karrenbauer zuwarf. Und die flirtete zurück, wie es sich bei einer politischen Romanze, einer über Jahre gewachsenen Zuneigung, in der Premiumklasse gehört.

Die Luft flirrte, im Saal war ein Glücksglucksen zu spüren, wie man es in der oft so nüchternen deutschen Politik selten erlebt. Eine perfekte Inszenierung, die dennoch authentisch wirkte. Es war der 19. Februar 2018 im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Parteizentrale, eine neue Ära in der einzig verbliebenen deutschen Volkspartei brach an: Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wechselte eine amtierende Ministerpräsidentin in ein Parteiamt. Sie empfinde das als »ein großes Glück«, schwärmte Angela Merkel. Und dieses Glück habe sie gleich »beim Schopfe gepackt«. Kein Wunder, hatte die CDU in den vergangenen Jahren doch »das Profil eines abgefahrenen Reifens«, wie CDUMitglieder der Kanzlerin am Parteitag bescheinigten. Annegret Kramp-Karrenbauer hat Profil. Und nicht nur Hosenanzüge im Schrank.

Annegret wer? Die Frau mit dem frechen Kurzhaarschnitt und dem sperrigen Doppelnamen ist bundesweit noch nicht überall bekannt. Ist Deutschland reif für eine zweite Kanzlerin? Das wäre eine wunderbare Normalität, die Merkels Kanzlerjahre nicht als Ausnahme oder gar als Betriebsunfall aussehen lassen würden.

Sieben Jahre trennen die beiden Frauen bezogen aufs Lebensalter, aber Merkels dreizehn Kanzlerjahre zählen doppelt, weil sie so zermürben: Dieser mörderische Job mit Sechzehn-Stunden-Tagen frisst einen auf. Wer genau hinschaute, sah an diesem 19. Februar einen Generationswechsel, und zwar einen einvernehmlichen: Eine Politikerin im besten Alter, die sich im Mini-Bundesland Saarland in Ruhe entwickeln konnte, will erst mal in der Partei die Kanzlerin als Führungskraft beerben. Sie will Begeisterung für Politik wecken – eine Disziplin, in der Angela Merkel traditionell schwach ist. Sie will Politik begreifbar machen, dem Berliner Politzirkus das Komplizierte und Unverständliche nehmen, das ist nötiger denn je. Annegret Kramp-Karrenbauer ist jetzt Generalsekretärin – wobei die Betonung eindeutig auf General und nicht auf Sekretärin liegt. Und das Parteiamt ist wohl nur die Vorstufe auf dem Weg ins Kanzleramt, von der Provinz auf die Berliner Bühne.

Wer die Frau mit dem Doppelnamen, die der Einfachheit halber »AKK« genannt wird, unterschätzt, der hat schon verloren. Sie ist zweifellos Angela Merkels Favoritin für die Nachfolge. In Berlin weiß jeder, dass sie als »Germany’s Next Kanzlerin« auserkoren ist. Aber drei Jahre bis zur nächsten regulären Wahl sind politisch eine Ewigkeit, und Deutschland ist keine Monarchie, bei der die Throninhaberin bestimmt, wem sie die Krone übergibt. Angela Merkel kann Weichen stellen und so das Kunststück eines sanften Übergangs schaffen und an eine Frau übergeben, die ihr an Selbstbewusstsein kaum nachsteht. Annegret Kramp-Karrenbauer ist ein Unikat. Sie hat Angela Merkel angeboten, dass sie Generalsekretärin wird, nicht umgekehrt. Sie hätte auch Ministerin werden können, aber ihre Demutsgeste, die erste Dienerin der Partei zu sein, die sie groß gemacht hat, wird ihr noch sehr helfen. Die ausgezehrte CDU, die am Ende auch den Kanzlerkandidaten nominiert, liebt sie dafür, dass die Partei durch sie eine Blutauffrischung erfährt. Durch Annegret Kramp-Karrenbauer kann die Union wieder mehr sein als ein Kanzlerwahlverein. Strategisch ergibt die Sache Sinn: Als Ministerin ist sie durch ihr Amt für ein Ressort zuständig, darüber hinausgehend ist der Einfluss schwach. Als Kanzlerin muss man Generalistin sein. Als Generalsekretärin auch. Eine ideale Position, um sich einen besseren Überblick über alle Politikfelder zu verschaffen.

Wer ist die Saarländerin, die ihrer Kleinstadt Püttlingen immer treu geblieben ist und jetzt die wohl erfrischendste Figur auf der Berliner Bühne ist? Bei ihr ging es immer nur nach oben, eine krasse politische Niederlage, eine Demütigung, ein Rückschlag ist nicht bekannt. Sie war Ministerin für Familie, Frauen, Arbeit, Justiz und Sport – und leitete im Saarland sogar auch das Innenministerium, das traditionell härteste Ministerium. Dass sich die Halunken im Saarland darüber gefreut hätten, ist nicht bekannt. Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich mit ihrer praktischen Intelligenz immer in neue Themen eingearbeitet – und nie versagt. Sie ist eine sanfte Machtpolitikerin, eine, die nicht wie die rabaukige Andrea Nahles von der SPD die Beherrschung verliert und unflätig wird. Ihr Markenzeichen ist Nervenstärke und ihre Zurückhaltung bei starken Sprüchen sollte man bei ihr nicht mit Schwäche verwechseln. Annegret Kramp-Karrenbauer ist weder schrill noch laut, aber gut zu verstehen. Sie will Politik für »Normalos« machen und verkörpert selbst gerne eine. Eine weibliche Antwort auf Emmanuel Macron, der durch sein Charisma die Menschen begeistert, wird sie nicht. Aber sie ist eben auch keine knochentrockene Pragmatikerin und Technokratin der Macht.

»Mini-Merkel« wurde Annegret Kramp-Karrenbauer genannt, ein Begriff, der Respekt signalisiert, aber auch abwerten soll. Denn viele Menschen haben die Nase voll von Merkels langer Kanzlerschaft, an vielen Orten schlägt ihr offener Hass oder zumindest Überdruss entgegen. Das macht sich auch im politischen Witz bemerkbar. Wie etwa: Fällt ein Rentner vor dem Bundeskanzleramt auf den Rücken. Merkel hilft ihm auf: »Dafür müssen sie nächstes Mal wieder CDU wählen«, sagt sie. Der Rentner antwortet nur trocken: »Gute Frau, ich bin auf den Rücken gefallen und nicht auf den Kopf.«

Solche Witze werden täglich tausendfach gepostet. Annegret Kramp-Karrenbauer weiß das; sie darf nicht wie »Merkels Mädchen« wirken, wenn sie in Deutschland große Mehrheiten gewinnen will. »Niemand ist unersetzlich, auch nicht Angela Merkel«1 sagte sie in einem Interview mit der Bild am Sonntag im Frühjahr 2016. Aber aus ihrem Mund klang es nicht wie Meuterei oder Majestätsbeleidigung. Sie will zwar auch Kontinuität verkörpern, weil Merkel ja tatsächlich in vielen Bereichen ein »Deutschland, in dem wir gut und gern leben« (so hieß das offizielle CDU-Wahlprogramm 2017 tatsächlich) geschaffen hat. Aber AKK muss in ihrem politischen und persönlichen Sortiment auch Neues anbieten, frische Gedanken, klare Kante. Da, wo Merkel gerne im Ungefähren blieb und sich nicht festlegen wollte, erwartet man von der CDUGeneralsekretärin Tacheles. Sie muss Kraft ihres Amtes die »Abteilung Attacke« beherrschen, sie muss die politische Kampfeslust zeigen, zu der die allzeit kontrollierte Kanzlerin noch nie fähig war.

Merkel wird in der CDU »Mutti« genannt – ein bizarrer Spitzname, wenn man weiß, dass die Karrierefrau Angela Merkel wohlweislich auf Kinder verzichtet hat, was natürlich ihr gutes Recht ist. Als neue Generalin ist Annegret Kramp-Karrenbauer mit Blick auf ihre außerpolitische Lebensform schon eher die Mutti der CDU, die sich ausdrücklich als Familienpartei versteht. Ursula von der Leyen hat zwar sieben Kinder, versprüht aber wenig Mütterlichkeit und Nestwärme in der Partei. Annegret Kramp-Karrenbauer hat es geschafft, Kinder, Kirche, Küche und Karriere zu verbinden; Ihre drei Kinder sind wohlgeraten, ihre Ehe, die schon seit 34 Jahren besteht, ist heute ein Ausweis für Stabilität und Modernität. Denn Helmut Karrenbauer, der Gatte, den kaum jemand kennt, hat sich beruflich zurückgenommen. Der Bergbauingenieur in Frührente ist der ideale Lebenspartner für die aufstrebende Politikerin, auch als Hausmann hat er sich nie zurückgesetzt gefühlt. Moderne Arbeitsteilung, die einem grundkonservativen Weltbild keinen Abbruch tut.

Denn es ist im besten Sinne konservativ, wenn einem als Christin die Ehe heilig ist und der Lebensentwurf, zusammenzubleiben, bis einen der Tod scheidet, nicht an den Unebenheiten und Widersprüchen des Lebens zerbricht. Angela Merkel hat eine Scheidung hinter sich. Geschadet hat ihr das nicht wirklich, aber Annegret Kramp-Karrenbauer verkörpert mit ihrer Ehe eben den Traum von der lebenslangen Liebe, den so viele vergeblich träumen. Fast zu schmalzig, um wahr zu sein. Und sie steht für die Kraft der Familie: Wer mit fünf Geschwistern aufwächst, erhält eine Grundausbildung in Durchsetzungsfähigkeit fürs Leben. Und weiß, wie der Hase im Leben läuft – es ist auch das beste Mittel gegen Abgehobenheit. Der versucht Kramp-Karrenbauer aktiv entgegenzuwirken. Sie wohnt in ihrem weißen Häuschen – wahrlich keine Villa – neben ganz normalen Leuten und sie steht sogar noch im Telefonbuch. Volksnäher geht es kaum. Den oft missbrauchten Begriff »Heimat«, den in Berlin jetzt das Ministerium von Horst Seehofer politisch besetzen will, füllt sie glaubwürdig aus. Es muss ihr sehr schwergefallen sein, für den neuen Job das Saarland zu verlassen, aber auf Dauer ist das Saarland für eine Politikerin ihres Formats eben zu klein. AKK will mehr. »Ich will, ich kann und ich werde«, hat sie bei ihrer Amtseinführung auf dem CDU-Parteitag vollmundig verkündet, daran muss sie sich künftig messen lassen. Offiziell sprach sie da nur von der Erneuerung der CDU. Aber zwischen den Zeilen war klar, was mitschwang: Da ist eine Frau, die sich alles zutraut, auch das höchste Amt der Bundesrepublik Deutschland. Das ist kein Größenwahn, aber Selbstsuggestion. Sie zeigt ihre Entschlossenheit, auch wenn sie ihre Ambition auf das Kanzleramt noch nicht offen ausspricht. Wer zu früh springt, wird selten was – Politik ist immer auch ein Geduldsspiel. Aber was sie sich in den Kopf gesetzt hat, das hat sie bisher noch immer durchgezogen.

Das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, ist die höchste Auszeichnung für eine Politikerin. Im Saarland hat Kramp-Karrenbauer das geschafft: Sie war überaus beliebt und hat bewiesen, dass sie Wahlen gewinnen kann. Sieben Jahre war sie Ministerpräsidentin, zehn Jahre Ministerin, eine Art politische Lehrzeit, ein Gesellenstück. Diese Popularität auf die Bundesebene zu übertragen, wird ihr politisches Meister-stück. In der CDU konnte sie mit ihrer hohen Beliebtheit allemal punkten. Die Partei ist ihr bis heute dafür dankbar, dass sie im Frühjahr 2017 den »Schulz-Zug« gestoppt hat. Der Absturz des damals noch populären SPD-Kanzlerkandidaten begann erst durch den Wahlerfolg der CDU mit dem Zugpferd Kramp-Karrenbauer im Saarland.

Politische Feinde scheint sie kaum zu haben, noch nicht einmal in der eigenen Partei, in der oft die Messer gewetzt werden und hinterfotzig geredet wird. Fast jeder, der AKK kennengelernt hat, spricht mit Respekt über sie. Das dürfte damit zu tun haben, dass sie Menschen generell Respekt entgegenbringt und wie man in den Wald hineinruft, so schallt es bekanntlich heraus. Geschichten, wie sie über Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen kursieren, die ihre Mitarbeiter oft von oben herab behandelte, sind von ihr nicht überliefert. Und da die CDU nicht nur eine Partei mit schönen Werten ist, sondern auch eine große Familie, die in Wahljahren diszipliniert und geschlossen auftritt, hat Kramp-Karrenbauer gute Chancen. Sie ist eine Menschenfischerin und wirkt wie eine Therapeutin, die das Beste aus den Menschen herausholen kann. Und die beim Aufteilen des Kuchens jedem das Gefühl vermittelt, er hätte das größte Stück bekommen. Als Mutter einer fünfköpfigen Familie lernt man so etwas.

Es war für sie noch aus einem anderen Grunde wichtig, in die Bundespolitik einzusteigen: Annegret Kramp-Karrenbauer ist eine leidenschaftliche Europäerin. Diese Haltung bekommt man im Saarland schon mit der Muttermilch eingeflößt. Wer in einem Land lebt, das in unmittelbarer Nachbarschaft zu Lothringen und Luxemburg liegt und das mehrfach Zankapfel zwischen den einstigen Erbfeinden Frankreich und Deutschland war, wird nachhaltiger gegen das Gespenst des Nationalismus immun. Kramp-Karrenbauer ist aus Lust und Leidenschaft frankophil, sie liebt das Savoir-vivre des Nachbarn. Als mögliche Kanzlerin kann sie sich allerdings keine übertriebene Liebe erlauben, da geht es darum, deutsche Interessen zu vertreten. Aber auch in der internationalen Politik macht der Ton die Musik. Und Charme hat noch nie bei politischen Verhandlungen geschadet. »Madame Annegret«, wie sie in Frankreich genannt wird, geht zum Lachen nicht in den Keller. Und es ist kein Zufall, dass ihr 2015 in Aachen der »Orden Wider den tierischen Ernst« verliehen wurde, die wichtigste Karnevalsauszeichnung für Politiker. Dass sie zudem selbst kabarettistische Qualitäten hat und sich in den tollen Tagen als Landtagsputzfrau Gretel in Kittelschürze auf eine Bühne traut, hat dafür gesorgt, dass sie noch mehr bewundert wird. Eine Politikerin, die über sich selbst lacht – das ist erfrischend, einfach souverän. Und es spricht auch Menschen an, die sich nicht über die Feinheiten der Flüchtlingskrise und der Rentenproblematik informieren wollen oder können. Die Menschen mögen zwar nicht alles verstehen, aber sie spüren alles, vor allem die Echtheit, heißt eine alte politische Weisheit.

Kramp-Karrenbauer ist eine Frau der Mitte, Links-rechts-Strickmuster lehnt sie ab. In der Mitte sein heißt aber nicht mittelmäßig sein, sondern es ist die hohe Kunst, auf griffige, verständliche Art eine Mehrheit im Lande anzusprechen oder sie zumindest nicht abzuschrecken. Wofür steht sie? Für ein christliches Menschenbild, das sie aber nicht so penetrant wie Markus Söder vor sich herträgt; das »C« ist für sie nicht bloße Dekoration und Mittel zum Zweck im politischen Wettbewerb. Das hat sie aber nicht gehindert, mit Flüchtlingen härter umzuspringen als in vielen anderen Bundesländern und sich von ihnen nicht auf der Nase herumtanzen zu lassen. Da gibt es natürlich Widersprüche zur reinen biblischen Nächstenliebe und zur unantastbaren Würde des Menschen, die im Grundgesetz für alle und nicht nur für Menschen mit deutschem Pass garantiert wird. Politik muss heute viel besser erklärt werden als früher. Der Ton ist rauer geworden, manchmal vulgär. Die Wähler treten fordernder auf als früher, ungeduldiger. Politik im Internetzeitalter ist ein knallharter Job. Kramp-Karrenbauer ist eine gute Politikerklärerin, sie benutzt kaum Fremdwörter und Politikerkauderwelsch. Sie hat die Sprache der einfachen Menschen nicht verlernt und wirkt bei weitem nicht so hölzern wie die Kanzlerin. Eine gute Voraussetzung, um eine neue Gesprächskultur auf der Berliner Ebene zu etablieren. Nicht so grob und holzschnittartig wie die CSU, mit der sie sich auch gerne mal anlegt, wenn die kleine Schwester zu frech wird, aber sie drückt sich oft klar wie Kloßbrühe aus. Als Hausfrau, die auch gerne mal selbst kocht, weiß sie, was für ein seelenwärmendes Kunstwerk ein Kloß ist. Die CDU-Generalin wärmt die Seele der Partei. Bessermacher sind ihr näher als Besserwisser. Und Zuhören ist für sie eine Kunst. Annegret Kramp-Karrenbauer wirkt nicht gelangweilt, wenn sie Menschen lauscht, die ihr Leid klagen, sie hat eine Engelsgeduld. Manchmal fragt man sich, wo sie alle diese mitunter bizarren Geschichten in ihrer Seele verstaut. Sie will alle mitnehmen, eine Art Mutter der Nation sein, eine nahbare Schwester, eine diskrete Pfarrerin. Die Lehrerstochter wirkt nicht belehrend, aber sie handelt ganz im Sinne von Albert Camus, dem großen französischen Philosophen: »Geh nicht vor mir her, vielleicht folge ich dir nicht. Geh nicht hinter mir her, vielleicht führe ich dich nicht. Geh neben mir und sei einfach mein Freund.«

Annegret Kramp-Karrenbauer ist ehrgeizig, aber sie ist keine Ich-AG. Ihr nimmt man den programmatischen Satz ab, den sie einmal gesagt hat: »Eitelkeit und Egoismus sind schlechte Begleiter.«2 Sie betet täglich, aber sie ist keine Frömmlerin. Mut, Demut und auch ein wenig Anmut – das ist ihr Dreiklang. Vor dem Hochmut, einer der sieben christlichen Todsünden, schützt sie ihre christliche Erziehung. Die Arroganz, die sich immer rächt, überlässt sie gerne anderen. Diese in der Politik häufig anzutreffende Eigenschaft ist die missratene Schwester des gesunden Selbstbewusstseins. Und selbstbewusst ist Kramp-Karrenbauer allemal, und dazu gehört auch, sich seiner Schwächen bewusst zu sein. Auch um die wird es in diesem Buch gehen, denn Perfektion ist einschüchternd.

Annegret klingt urdeutsch, es ist ein Doppelname aus Anna und Margarethe, den man mit »die Begnadete« und »die Perle« übersetzen kann. Ein gutes Omen für die CDU. Für Rita Süssmuth, ein Urgestein der Partei, die Eisbrecherin für Frauenrechte, ist Kramp-Karrenbauer einfach nur »ein Schatz« für eine Partei, die sich nach den schwammigen Merkel-Jahren ganz dringlich eines wünscht: Identität. Wer sind wir? Und wer ist sie? Es ist unmöglich, vorherzusagen, ob AKK eine Erlöserin ist oder nur eine Episode, aber die folgenden Kapitel deuten an: Sie ist eine der spannendsten Politikerinnen in Deutschland. »Es gibt keine Aufgabe, die man Annegret nicht anvertrauen kann«, sagte Peter Müller, ihr Mentor und Vorgänger als saarländischer Ministerpräsident.3 Was zu beweisen ist. Die Wahrheit ist auf dem Platz, heißt es im Fußball. Und in der Politik ist sie im Berliner Polittheater.

Annegret Kramp-Karrenbauer ist keine, die wie der junge Gerhard Schröder am Zaun des Kanzleramts rüttelt und »Ich will da rein« schreit. Sie ist cleverer und cooler. Sie kennt die Hausherrin – und die ist ihr wohlgesonnen und empfiehlt sie als Nachmieterin. Frauen regieren die Welt. Die Macht ist weiblich. Die Macht bleibt weiblich.

I. Die Heimat – wo Annegret Kramp-Karrenbauer verwurzelt ist

Das Große im Kleinen: Das Miteinanderland an der Saar – wo »es Annegret« herkommt

Ein Ei ist im Saarland nicht einfach ein Ei. Ein Ei ist der Schlüssel zu fast jedem Gespräch. »Ei joo« heißt auf Saarländisch »Na klar doch«, ein Füllwort, das der Saarländer lieb gewonnen hat und nie ablegen will. »Ei gudd«, antwortet die angesprochene Person auf die minimalistische Nachfrage zu den aktuellen Lebensumständen bei der Begrüßung: »Unn?«. Das »Wie geht es dir?« wird mitgedacht und verschluckt.

»Wo kommst du denn her?« ist die meist gestellte Frage der Welt, egal in welcher Kultur. Der Landstrich, aus dem jemand entstammt, erzählt immer eine Geschichte. Die Frage, in welches Milieu man hineingeboren wurde, kann über Lebenswege entscheiden und ist tief im Unbewussten gespeichert. Das sieht auch Annegret Kramp-Karrenbauer so, die herrlich im saarländischen Dialekt schwätzen kann, aber auch jederzeit in ein gepflegtes Hochdeutsch wechseln kann – im Gegensatz zu Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, dem man das Schwäbische immer anhört. Aber in diesem Bundesland ist ja auch der geniale Werbespruch erfunden worden: »Wir können alles – außer Hochdeutsch.« Im Saarland ist man nicht minder stark in der Selbstdarstellung. Hier heißt die offizielle Imagekampagne: »Wo Großes im Kleinen entsteht.« An Minderwertigkeitskomplexen leidet kaum ein Saarländer. »Die wirklich guten Leute gehen ins Saarland oder kommen aus dem Saarland«, meinte Tagesschau-Chefsprecher Jan Hofer, der lange beim Saarländischen Rundfunk gearbeitet hat.4 Dem wird Annegret Kramp-Karrenbauer nicht widersprechen. Sie ist eine Herzens-Saarländerin, ihre Familie ist seit Generationen hier verwurzelt. Das heißt auch: Angeborener Optimismus statt masochistisches Trübsalblasen. Annegret Kramp-Karrenbauer ist die beste Visitenkarte des kleinen, aber feinen Landes, das wie eine Katze sieben Leben zu haben scheint, vielleicht auch ein paar mehr: »Im Saarland tut sich was: Statt Kohle fördern wir heute Talente – und das in den ungewöhnlichsten Bereichen. Nicht umsonst sind wir heute High-Tech-Schmiede und Gourmetland zugleich. Bei uns schreibt halt jeder seine ganz persönliche Erfolgsgeschichte. Und dabei hilft ihm saarländische Lebensart. Denn erfolgreich ist man bei uns gemeinsam. Wir sind ein Miteinanderland. Alle ziehen an einem Strang und sorgen dafür, dass das Saarland auch ihr Chancenreich wird.« So bringt es Anke Rehlinger, die Kramp-Karrenbauers Stellvertreterin und Ministerin für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr war, in einer Imagebroschüre auf den Punkt.5

Ein Miteinanderland, was für ein Begriff. Das Saarland ist nicht dumpf und hinterwäldlerisch, sondern modern, weltoffen und durch und durch europäisch. Nur weil man in der Provinz lebt, muss man ja nicht gleich provinziell sein. Und es gibt viele Saarländer, die Großes geleistet haben: Dieter Müller hat die Motel-One-Hotelkette gegründet, Roland Mary das Berliner Promilokal »Borchardt«, in dem auch die Kanzlerin und die Berliner Politikelite speist.

Das winzige Saarland ist ein ganz erstaunliches Politikerbiotop, das man in Deutschland nur noch mit dem Hotspot Hannover vergleichen kann. Es kommen überdurchschnittlich viele Spitzenpolitiker aus dem Land: im Bundeskabinett sitzen mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Außenminister Heiko Maas gleich zwei politische Schwergewichte aus dem kleinen Land. Die Umweltministerin im Kabinett Kramp-Karrenbauer, Simone Peter, war immerhin vier Jahre lang eine der beiden Bundesvorsitzenden der Grünen. Und dann gibt es die berühmten Altvorderen, Legenden der Politik: Der Rheinschwimmer Klaus Töpfer war der erste Bundesumweltminister und der Lehrmeister von Kramp-Karrenbauer, sie folgte ihm in den Bundestag nach und hat sich vieles von ihm abgeschaut. Und dann natürlich Oskar Lafontaine, der von 1985 bis 1998 ein brillanter Ministerpräsident des Saarlandes war, um dann als Bundesfinanzminister im Kabinett von Gerhard Schröder plötzlich das Handtuch zu werfen; 2005 war er maßgeblich an der Bildung der »Linkspartei.PDS« beteiligt. Lafontaine wirkt in einer oft nahezu aufreizend zur Schau gestellten Selbstgefälligkeit wie das Gegenmodell zur ruhigen Kramp-Karrenbauer, aber die beiden haben auch etwas gemeinsam. Beide stellen sich an Fastnacht bereitwillig in die Bütt. Allerdings ging Lafontaine als Napoleon und Kramp-Karrenbauer als die Putzfrau Gretel – das ist vielsagend. Und dann gibt es da noch einen Mann, auf den das Saarland nicht unbedingt stolz ist: Erich Honecker aus Neunkirchen – der einzige Saarländer, der es bislang zum Regierungschef brachte und der von 1971 bis 1989 als Generalsekretär des Zentralkomitees der SED die DDR führte.

Annegret Kramp-Karrenbauer ist heute auch Generalsekretärin, aber der Titel ist auch das Einzige, was sie mit dem ZK-Chef der SED gemeinsam hat. In der Demokratie ist dies ein dienender Job, kein allmächtiger.

Die Auswahl an großen Namen in der Politik – auch die Linken-Ikone Sahra Wagenknecht wohnt liebend gerne bei ihrem Ehemann Oskar Lafontaine im Saarland – ist imponierend, gemessen an der Größe des kleinsten deutschen Bundeslandes. Man muss nur sechzig Kilometer fahren, um das Saarland von Nord nach Süd zu durchqueren, von West nach Ost sind es immerhin neunzig. Gerade mal 2570 Quadratkilometer misst das kleinste deutsche Flächenland. Es ist klein, aber oho – das Saarland war häufig ein Konfliktthema zwischen Frankreich und Deutschland. Trotz des vielen Hin und Hers – mal wurde es in der Geschichte an Frankreich angegliedert, mal ans Deutsche Reich – fühlen sich die Saarländer, die Französisch so sprechen wie andere Denglisch, mehrheitlich immer deutsch. Das zeigte sich in Volksabstimmungen wie etwa im Jahr 1935. Damals unterstand das Saarland dem Völkerbund, nachdem es 1920 wieder einmal aus dem Deutschen Reich ausgegliedert worden war. In dieser Volksabstimmung stimmten neunzig Prozent der Teilnehmer dafür, sich Deutschland anzuschließen – das damals schon unter der Herrschaft von Adolf Hitler stand. Die schlimmsten Verbrechen der Nazis vorherzusehen, war damals vielen Saarländern nicht möglich. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und des Nazireiches wurde das Saarland zur französischen Besatzungszone. Aber anstatt es einfach wieder an Frankreich anzugliedern, waren die Franzosen für ein selbstständiges Saarland. So kam es, dass das Saarland ein paar Jahre als eigenständiges Land auftrat – bei Olympischen Spielen 1952 in Helsinki, bei der Qualifikation zur Fußball-WM 1954 in der Schweiz (Trainer war der spätere deutsche WM-Trainer Helmut Schön). Es hatte eigene Briefmarken, eine eigene Flagge, eine eigene Währung – die Saar-Mark.

Aber es war schnell klar, dass das Saarland aus eigener Kraft kaum überlebensfähig ist und 1955 stimmte das Volk wieder ab. Klar entschieden sich die Menschen für die Zugehörigkeit zum demokratischen Nachkriegsdeutschland. So kam es 1957 dann zu dem, was die Saarländer schmunzelnd als »kleine Wiedervereinigung« bezeichnen, wobei die begehrte D-Mark allerdings erst 1959 eingeführt wurde.

Das Miniaturland ist ein Überlebenskünstler. Im Saarland gibt es gerade mal 44 Millionäre, der reichste Mann mit zwei Milliarden soll Globus-Gründer Thomas Bruch sein. Es bleibt also ein Kleine-Leute-Land. Annegret Kramp-Karrenbauer passte dazu. Die Frau, die fast sieben Jahre Ministerpräsidentin war und das Land wie ihre Handtasche kennt, ist nicht in einer reichen Familie aufgewachsen. Sie weiß, dass Arbeitsplätze ganz elementar sind. Und dass wichtige Schlüsselindustrien gehätschelt und gepflegt werden müssen. Vierzehn Millionen Autos sind bei Ford in Saarlouis seit 1970 vom Band gelaufen. 70 000 Menschen arbeiten heute in der Autoindustrie und bei ihren Zulieferern – das sind mehr als die 60 000, die früher im Bergbau Beschäftigung fanden. Der Strukturwandel gelang, das Saarland blüht wieder – allein 18 000 Franzosen pendeln täglich zur Arbeit ins Saarland. Auch einer der Gründe, warum sich viele Saarländer mit den typischen französischen Wangenküsschen begrüßen.

Die Saarländer werden wegen der grenznahen Lage ihres Landes Rucksackfranzosen genannt. Aber auch die echten Franzosen schätzten die legendäre saarländische Gemütlichkeit. Die zeigt sich am besten am Schwenkgrill, einer Spezialität des Landes. Der Schwenkbratenständer ist das wichtigste Utensil in einem saarländischen Haushalt. Sogar die Uni in Saarbrücken beschäftigte sich damit und bot am Institut für angewandte Mathematik einen Vortrag zum Thema »Optimale Strategien beim Schwenken« an. Der Mensch denkt, Gott lenkt, der Saarländer schwenkt, heißt ein beliebter Spruch. Nirgendwo wird so viel gegrillt und gefeiert wie hier. Im Jahr 2000 wurde die Sperrstunde abgeschafft. Ich esse, also bin ich – das verkörpert nicht nur Peter Altmaier, die wohlbeleibte Allzweckwaffe der Bundesregierung. Hier gibt es einige Restaurants, die sich mit Michelin-Sternen schmücken dürfen, das mit drei Sternen dekorierte Gästehaus Klaus Erfort gilt als ein Top-Restaurant in ganz Deutschland. Christian Bau wurde in seinem Restaurant Victor’s Fine Dining 2017 vom renommierten Restaurantführer »Gault & Millau« zum Koch des Jahres gewählt.

Zum Feiern braucht es im Saarland aber nicht unbedingt das Spitzen-restaurant. In der Region mit den meisten Sonnenstunden in Deutschland feiert man gerne den Alltag. Und zwar am liebsten im Garten vor dem eigenen Haus: Das Saarland hat die höchste Eigenheimquote der Bundesrepublik, hier können sich Normalverdiener noch ein eigenes Nest leisten. Ein Erbe aus der Zeit, als die Bergleute sich ihr kleines Stück vom Reichtum abschnitten. Der Saarländer knaupt, das ist Saarländisch für werkeln, er bietet Nähe an, ohne sich aufzudrängen. »Ich kenn do änner, der …«, heißt die saarländische Version des Kölner Klüngels. Außerdem ist fast jeder Mitglied in mindestens einem Verein, es scheint fast so, als sei die Vereinsmeierei im Saarland erfunden worden. Es geht einfach um Geselligkeit. »Der Saarländer ist kein Eisberg, bei dem neun Zehntel seiner Gefühle unter Wasser schwimmen, eher neun Zehntel seiner Gefühle über Wasser. Seine positive Grundstimmung trägt ihn. Aus ihr bezieht er seinen Selbstrespekt. Der Saarländer lacht gerne spontan, laut und lang. Zuweilen derb, aber ohne Gift. Er ist schlagfertig, aber gutmütig. Er ist kein Legehuhn, keine Batteriehenne. Er ist ein begabter Lebenskünstler«, schreibt Peter Waldbauer, Autor von »Homo Saarlandicus – was es heißt ein Saarländer zu sein.«6 Wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass das Saarland sich dreizehn gesetzliche Feiertage leistet – deutlich mehr als anderswo. Der fröhliche Saarländer lebt nicht, um zu arbeiten – sondern arbeitet, um zu leben. Deshalb verabschieden sich Menschen im Saarland gerne mit den mahnenden Worten »Schaff nicht so viel« – das »Frohes Schaffen« aus anderen Bundesländern ist hier ungebräuchlich.

ZDF-Mann Peter Hahne hat lange im Saarland gelebt, er charakterisiert seine alte Heimat so: »Für Streit und Flügelkämpfe ist das Saarland viel zu klein. Der Saarländer ist auf Harmonie bedacht: Bloß kein Ärger, sonst krischte die Fräck oder die Flemm. wirst also rundum kränklich. Die typische Lebensart: Hauptsache gudd gess, denn zahlen tut ja ohnehin der Finanzausgleich. Aus dem ›Reich‹ – so wird alles jenseits Blieskastel genannt.«

Der saarländische Schriftsteller Ludwig Harig, dessen Hörspiel »Staatsbegräbnis« wegen Verunglimpfung des Andenkens an Konrad Adenauer nicht im Saarländischen Rundfunk laufen durfte, hat es mal so zusammengefasst: »Wer vom Saarländer sagt, er sei mal so, mal anders, der sagt nicht die Wahrheit. Der Saarländer ist nie so und er ist nie anders, sondern er ist immer die Aussöhnung des So- und Andersseins gewesen. Der Saarländer ist ein harmonischer Mensch.«7

Und weil er so ist, mag er auch Schlager: Nicole, die Siegerin des Grand Prix d’Eurovision aus dem Jahr 1981 (»Ein bisschen Frieden«) wohnt im Saarland, das Gesangsduo Cindy und Bert hat hier seine Wurzeln, die Sängerin Sandra und Popproduzent Frank Farian ebenfalls. Fußballstar Stefan Kuntz, Europameister 1996, ist im Saarland aufgewachsen, Fußballmanager Rudolf Assauer stammt auch von hier. Der aktuelle Nationalspieler Jonas Hector spielte bis 2010 noch in der 5. Liga beim SV Auersmacher. Tennisstar Claudia Kohde-Kilsch lebt hier. Und der Genusspapst Reiner Calmund ist extra mit seiner Familie aus dem schönen Rheinland ins noch schönere Saarland gezogen. An Prominenz mangelt es also nicht. Am prominentesten ist aber derzeit Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Saarländer beobachten genau, wie sich ihre Star-Politikerin auf der Berliner Bühne schlägt. Und wahrscheinlich hat der deutsche Psychologe Peter Winterhoff-Spurk sie gemeint, als er den modernen Saarländer charakterisierte: »Ist er im Land, will er möglichst schnell raus, am besten nach Berlin. Lebt er außerhalb, sucht er sich bald einen Saarländer-Stammtisch. Dort sitzt er dann, bei mitgebrachtem Lyoner, hat Heimweh nach Sätzen, die mit »Ei« beginnen, nach Streuobstwiesen, nach frischem Baguette am Sonntagmorgen und liest dabei »Nemmeh Dehemm«, die Zeitung für Exil-Saarländer.«8

Zu dieser Gruppe gehört Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Imagekampagne des Saarlandes kann man getrost auf sie anwenden: »Woanders wächst man auf. Bei uns wird man groß.« Aber in Berlin wird ihr niemand »e gudden Bonjour« wünschen. Man kann nicht alles haben. Kramp-Karrenbauer wird auch die schmucke Sonnenuhr an der Wettersäule neben der Saarbrücker Staatskanzlei vermissen. »Non numero nisi serenas horas« steht da – ich zähle nur die heiteren Stunden. Die gibt es in Berlin eher nicht so oft. Vielleicht trällert sie innerlich auch die erste Strophe der Hymne des Saarlandes: »Und Dörfer und Städte auf grünender Flur und Menschen von kernigem Schlage/Das ist meine Heimat im Lande der Saar, laut preis ich sie all meine Tage.«9 Vielleicht macht sie sich auch die Gedenktafel am Geburtshaus des Filmregisseurs Wolfgang Staudte in Saarbrücken noch einmal zu eigen: »Feigheit macht jede Staatsform zur Diktatur.« Wie wahr. Es gibt zwar in allen Parteien Kadavergehorsam und wenig Zivilcourage. Aber Kramp-Karrenbauer ist ganz sicher nicht aus dem Saarland weggegangen, um in Berlin das Fürchten zu lernen.

Wie wichtig und weltbekannt das Saarland mitunter ist, zeigt eine kleine Anekdote: Am 27. März 2017 rief US-Präsident Donald Trump Kanzlerin Angela Merkel an, um ihr zum Wahlerfolg der CDU im Saarland zu gratulieren. Ein Triumph, den vor allem Annegret Kramp-Karrenbauer dank ihrer überragenden Persönlichkeitswerte errungen hatte. Angela Merkel wird ihr das nie vergessen, denn das war die Wende im Bundestagswahlkampf 2017.

Die Kraft aus der Provinz: Warum Püttlingen das neue Würselen ist

Wenn eine kleine Stadt, von der kaum jemand bisher gehört hat, eine mediale Karriere macht, liegt es meistens an einem prominenten Bewohner. Sage mir, wo du herkommst – und ich sage dir, wer du bist. So war das 2017 mit Martin Schulz, der fast in jeder Wahlkampfrede darauf hinwies, dass er aus Würselen stammt. Nicht etwa aus Würselen bei Aachen, der Stadt Karls des Großen, etwa vier Kilometer entfernt, nein, Schulz wies ironisch gerne darauf hin, dass er Aachen bei Würselen meinte. Das sympathische rheinländische Städtchen, in der früher auch der Bergbau die Existenzgrundlage war, wurde von der Weltpresse heimgesucht. Und rasch, wie Journalisten eben so sind, wurden Skandale ans Tageslicht gefördert: Dass Martin Schulz in seiner Zeit als Bürgermeister ein völlig überdimensioniertes Spaßbad genehmigt hatte, wodurch die Stadt in eine dramatische Schuldenkrise stürzte.

Bei Püttlingen und Annegret Kramp-Karrenbauer ist dergleichen nicht zu befürchten. Sie spricht nicht von einem Saarbrücken bei Püttlingen. Sie war auch nie Bürgermeisterin, nur Beigeordnete der kleinen Stadt, vierzehn Kilometer vom großen Saarbrücken entfernt. Und ein größenwahnsinniges Spaßbad gibt es dort auch nicht. Aber Kramp-Karrenbauer hat mindestens eine so starke Bindung an ihre Stadt wie es bei Martin Schulz mit Würselen der Fall ist – auch wenn sie noch keine Ehrenbürgerin ist. Man muss kein Prophet sein, um zu sagen: Püttlingen wird das neue Würselen – von den Menschen in der Großstadt leicht belächelt, aber insgeheim auch bewundert.

Stadtluft macht frei – dieser Spruch geht auf einen Rechtsbrauch im Mittelalter zurück. Demnach konnte eine Person, die in Leibeigenschaft stand, sich von diesem Status befreien, indem sie in einer Stadt untertauchte. Der Spruch gilt gewissermaßen auch für Püttlingen. Die Gemeinde, die erst vor 50 Jahren die Stadtrechte bekommen hatte – da war die kleine Annegret gerade mal fünf Jahre alt – ist eine liebenswerte Stadt im Grünen mit einer hohen Lebensqualität. Bei der Gemeindegebietsreform von 1974 wurde der Ortsteil Köllerbach in die Stadt Püttlingen eingemeindet. Allerdings war das Verhältnis zwischen den beiden Ortsteilen manchmal so angespannt wie das zwischen Garmisch und Partenkirchen. Oder zwischen CDU und CSU. Das Rathaus ist ein schmuckes Barockschlösschen; der Hexenturm, der Rest einer alten Wasserburg, in dem früher Bösewichte eingesperrt wurden, steht jetzt in einer Parklandschaft, die zum Spazieren einlädt. Aus dem Bergmannsdorf ist ein gut gepflegtes Schmuckkästchen geworden. Die Grube Viktoria, einst das Wahrzeichen und der Reichtum der Stadt, arbeitet schon lange nicht mehr. Der Förderturm steht noch und die Industriebranche ist heute Teil eines neuen Gewerbegebietes. In einem anderen Stadtteil gibt es ein Bergbau-Freilichtmuseum, in dem man sich die schwere Arbeit des Bergmanns mit Bohrwagen, Lokomotive und Schrämmaschine plastisch vorstellen kann. Nur die Staublunge, an der die meisten Kumpel früh starben, kann man nicht sehen. Püttlingen ist ein Erfolgsmodell für das ganze Saarland, meint Tobias Hans, seit März 2018 Ministerpräsident des Landes: »Trotz Montankrise und Bergbauende ist Püttlingen ein rascher Wandel von einer ehemals vom Bergbau geprägten zu einer modernen Wohnstadt mit guter Infrastruktur gelungen. Die Bürgerinnen und Bürger fühlen sich wohl hier, nicht zuletzt wegen der zahlreichen Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten.«10

Es ist ein bisschen heile Welt hier, eine Insel der Glückseligen in einer hektischen und aggressiven Welt. 18 000 Menschen leben in Püttlingen, und die meisten leben sehr gerne hier. Dank einer Ring-Linie kann man mit dem Bus alle Stadt-und Ortsteile erreichen. Es gibt sechs Kitas und drei Grundschulen, ein Mehrgenerationenhaus, ein Seniorenbüro, ein Sozialkaufhaus, einen Integrationsverein und eine Erwerbslosenselbsthilfe. Für die Fitness der Bürger bietet der Ort einen Trimmtreff, ein Hallenbad und eine Sporthalle. Und natürlich die Knappschaftsklinik, die 900 Menschen beschäftigt. Sie ist ein akademisches Lehrkrankenhaus der Uni Saarbrücken, auf das andere Gemeinden neidisch werden könnten. Auch eine Krankenpflegeschule gehört dazu. Im Köllertal werden schottische Hochlandrinder gezüchtet, robuste kleine Konik-Pferde und es grasen vom Aussterben bedrohte ungarische Steppenrinder und Wasserbüffel umher. Püttlingen ist alles andere als überlaufen. Hier findet jeder seinen Platz, was auch an den niedrigen Mieten liegt. Die Stadt bringt auch ihre Flüchtlinge, das sind vor allem Syrer und Afghanen, dezentral in Wohnungen unter. Das funktioniert prima – Ärger gibt es keinen. Vielmehr werden Willkommensfeste veranstaltet, Hass und Aggression gegen Ausländer sind nicht zu spüren. »Die Stadt versteht sich als liberal und weltoffen. Dass Letzteres kein bloßes Lippenbekenntnis ist, hat sie in den vergangenen beiden Jahren nicht zuletzt durch ein ausgesprochen hohes Engagement bei der Flüchtlingsintegration unter Beweis gestellt«, lobt Jürgen Fried, Präsident des Saarländischen Städteund Gemeindetages, der auf das »städtische Gepräge« von Püttlingen hinweist.11 Die Gemeinde ist kein Dorf, sondern eine Stadt mit Herzensbildung. Hilfsbereitschaft wird hier groß geschrieben. Vielleicht liegt das auch an der katholischen Tradition. Püttlingen hat einen echten Bischof als Ehrenbürger. Clemens Mauer wurde Missionar und wanderte nach Bolivien aus, wo er der erste Kardinal des südamerikanischen Landes wurde. Er ließ zahlreiche Siedlungen und Schulen für die bitterarme bolivianische Landbevölkerung bauen. Seinen Bischofsstab, die Mitra sowie den goldenen Ring und das Brustkreuz hat er seiner Heimatstadt vermacht.

Püttlingen hat auch einen Bahnhof, aber der ist stillgelegt. Es steht nur noch ein Waggon auf dem Abstellgleis. Aber die Stadt hat aus der Not eine Tugend gemacht und den Bahnhof in Kulturbahnhof umgewandelt. Fünfzig Kulturvereine sind in der Stadt aktiv – eine stolze Zahl. Highlights der Kultureinrichtungen sind das Saarländische Uhrenmuseum und die Musikschule mit 700 Schülern. Kinder, Erwachsene und auch Senioren lernen Akkordeon, Blockflöte, E-Bass, Saxophon, Harfe. Die Schule hat fünfzig Lehrkräfte, für so eine kleine Stadt ist das viel. Über 180 Vereine stehen den Bürgern hier offen, einsam muss in Püttlingen wirklich keiner sterben.

Wie sehr Annegret Kramp-Karrenbauer zu ihrer Heimatstadt steht, zeigte sich bei der 50-Jahr-Feier der jungen Stadt im Mai 2018: Sie hielt eine leidenschaftliche, aber auch nachdenkliche Rede über ihre Heimat, die sie nie verlassen hat. Mehr Loyalität geht kaum: »Ich bin stolz darauf, Bürgerin dieser Stadt sein zu dürfen. Wenn man Glück hat, in einer Stadt groß werden zu dürfen und auch alt, muss man das wertschätzen.

Man wird in eine Familie hineingeboren, das ist einem sehr bewusst. Was einem weniger bewusst ist, dass man auch in eine Stadt hineingeboren ist. Die Stadt trägt einen Teil dazu bei, was und wie man wird.«

Eine Stadt steht immer auf den Schultern ihrer Vergangenheit, sagt die CDU-Generalsekretärin, aber das gilt auch umgekehrt. Kramp-Karrenbauer zählt auf, was sie Püttlingen verdankt: »Die Liebe zum Sport im Turnverein Püttlingen und die Liebe zur Musik. Ich habe dieser Stadt die ersten Schritte meiner Bildung zu verdanken, und auch die meiner Kinder, im Kindergarten, in der Grundschule. Ich habe schon als Kind das Bewusstsein für das ehrenamtliche Engagement gelernt, das man unbewusst von Kindesbeinen an mit aufnimmt und nicht verliert.«