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Die nackte Wahrheit – Kindheit im Donbass von Karyna Schemielieva Was passiert mit einem Kind, wenn plötzlich Sirenen statt Pausenklingeln ertönen? Wenn Bomben das Abendessen unterbrechen? Wenn das eigene Zuhause zur Front wird? In diesem bewegenden Erfahrungsbericht erzählt die Autorin Karyna Schemielieva von ihrer Kindheit in Lugansk – einer Stadt im Donbass, die ab 2014 zum Sinnbild für Leid, Angst und verlorene Unschuld wurde. Sie war elf Jahre alt, als der Krieg kam. Ohne Vorwarnung. Ohne Erklärung. Dieses Buch ist keine Fiktion – sondern die nackte Wahrheit eines Mädchens, das zwischen Explosionen, Stromausfällen und Schweigen aufwachsen musste. Kompakt, schonungslos und tief emotional beschreibt sie, wie sich der Krieg in die Kindheit brennt – lange bevor jemand ihn offiziell erklärt.
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Seitenzahl: 55
Veröffentlichungsjahr: 2025
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°In diesem Buch erzähle ich offen und ehrlich von meiner Kindheit im Donbass. Jede Geschichte ist ein Teil meines Weges – manchmal schmerzhaft, manchmal hoffnungsvoll.
Ich schreibe nicht, um zu urteilen, sondern um zu erzählen, was ich erlebt habe
Die Nackte Wahrheit – Kindheit im Donbass
Eine wahre Geschichte – Erinnerungen einer Kindheit im Krieg
Es gibt Geschichten, die man sich nicht ausdenken kann. Geschichten, die kein Kind erleben sollte. Geschichten, die nicht in ein Schulheft gehören, sondern in das kollektive Gedächtnis der Menschheit – als Mahnung, als Zeugnis, als Warnung.
Meine Geschichte ist eine solche. Sie beginnt nicht mit einem friedlichen Morgen und endet nicht mit einem versöhnlichen Sonnenuntergang. Sie beginnt mit einer Angst, die mich wie eine bleierne Decke einhüllte, Kälte, Dunkelheit – und dem unerschütterlichen Versuch, trotz allem Mensch zu bleiben.
Ich wurde im Osten der Ukraine geboren, in einer Region, die für viele nur ein Name auf einer Landkarte ist. Für mich aber ist sie das Zentrum meiner Erinnerungen – und meines Schmerzes. Als der Krieg kam, war ich elf Jahre alt. Ich sollte zur Schule gehen, Freundschaften schließen, Kind sein dürfen. Stattdessen lernte ich, wie sich der Boden unter Bombenstößen anfühlt, wie man rennt, wenn es pfeift – und wie man überlebt, auch wenn alles in einem schreit, dass das nicht möglich ist.
Dies ist kein politisches Manifest. Es ist die Geschichte eines Mädchens, das einfach nur leben wollte. Die Geschichte einer Kindheit, die keine war.
Ich erzähle sie nicht, um zu polarisieren. Ich erzähle sie, damit man versteht. Damit man die Stimmen hört, die zwischen den Fronten verloren gehen. Damit man sich erinnert, dass jedes Opfer eine Geschichte hat – und jedes Kind ein Recht auf Frieden.
Kapitel 1: Geteiltes Land – geteilte Seele
Mein Name ist Karyna Shchemielieva. Ich wurde am 27. März 2003 in Lugansk geboren – einer Stadt im Osten der Ukraine. Damals war es ein ruhiger Ort, mit kleinen Straßen und einer Atmosphäre, die an vergangene Jahrzehnte erinnerte. Ich erinnere mich an die Sommerabende, das Lachen auf den Spielplätzen, das helle Klingeln der Fahrräder, die wir durch die Gassen jagten.
Was später kam, hätte ich mir nicht in meinen schlimmsten Träumen ausmalen können. Und doch frage ich mich manchmal, ob ich die frühen Jahre verkläre – oder ob es wirklich so friedlich war, bevor alles zerbrach.
Meine Familie war von stiller Stärke geprägt. Mein Großvater mütterlicherseits war Kriminalpolizist – ein strenger, aber gerechter Mann mit rauer Stimme und warmem Herz. Bei ihm fühlte ich mich sicher. Meine Großmutter war Lehrerin, mit Geduld, Hingabe und einem festen Sinn für Gerechtigkeit. Sie brachte unzähligen Kindern das Lesen und Schreiben bei – auch mir.
Nach der Trennung meiner Eltern, ich war vier Jahre alt, blieb ich bei meiner Mutter. Sie war für mich alles: Mutter, Freundin, Beschützerin. Mein Vater war kaum präsent. Man sprach nicht über ihn – nicht aus Hass, sondern aus Enttäuschung. Er fehlte. Und irgendwann gewöhnte ich mich daran.
Wir zogen nach Stakhanow, ebenfalls in der Region Lugansk. Dort kaufte meine Mutter eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung in einem alten, sowjetischen Bau – nüchtern, robust, aber unser Zuhause. Ein Ort mit warmem Licht, selbstgekochtem Essen und dem Duft von Lavendel, den meine Großmutter liebte.
Meine Mutter musste bald wieder arbeiten – es gab keine Hilfe vom Staat, keine Elternzeit, keine Sicherheit. Sie unterrichtete Englisch, war gut in ihrem Beruf, aber das reichte kaum zum Leben. Während sie arbeitete, war mein Großvater für mich da. Er sang mich in den Schlaf, erzählte Geschichten, die ich nie vergessen habe. Er war mein erster Held.
Ich erinnere mich an meine Kindheit als eine Zeit der Gegensätze. Auf der einen Seite: Wärme, Lachen, kleine Freuden. Auf der anderen: erste Schatten von Unsicherheit. Und doch war ich ein glückliches Kind. Ich hatte meine beste Freundin Ksyuscha, meinen Freund Maxim. Wir spielten Fangen, sammelten Kastanien, bauten Höhlen aus Decken – alles, was Kinder tun, wenn sie glauben, die Welt sei in Ordnung.
Im Sommer fuhren wir oft zur Datscha meiner Großeltern – ein kleines Häuschen mit Garten, Gemüsebeeten und Kirschbäumen. Wir grillten, badeten im See, saßen abends unter freiem Himmel. Dort lernte ich, wie Tomaten schmecken, wenn sie noch warm von der Sonne sind. Dort fühlte ich mich frei. Dort war ich ein Kind.
Doch über dieser Idylle zog langsam ein dunkler Himmel auf. Und irgendwann würde der Sturm alles fortreißen.
Kapitel 2. Kindergartenzeit – Ein Paradies der einfachen Dinge
Meine Zeit im Kindergarten war schlicht – so schlicht, wie jeder Kindergarten in der Ukraine damals war. Kein Spielparadies, keine modernen Geräte, keine pädagogischen Konzepte, von denen man später in Deutschland sprach. Aber für uns war es eine eigene kleine Welt: voller Spiele, Märchen, Mittagsschläfchen – und Töpfchen.
Ja, Töpfchen. Denn Toiletten gab es nicht. Wenn wir mussten, dann alle – auf kleine Plastiktöpfchen in Reih und Glied. Egal ob Pipi oder Kaka. Heute schmunzle ich darüber, aber damals war es völlig normal. Es gehörte genauso zum Alltag wie die morgendlichen Lieder oder die Geschichten, die uns liebevoll vorgelesen wurden.
Unsere Erzieherinnen waren geduldig, herzlich, warm. Sie strahlten eine Ruhe aus, die uns Kinder durch den Tag trug. Ich habe sie wirklich geliebt – und ich spürte, dass sie uns ebenfalls gern hatten. Es war ein Gefühl von Geborgenheit, das mich durch diese Jahre begleitete.
Das Essen im Kindergarten war immer warm und meistens lecker. Ich erinnere mich noch gut daran – an die Suppe, an die einfachen Eintöpfe. Und an den Mittagsschlaf. Nicht etwa, weil ich müde war – sondern weil ich mich regelmäßig eingenässt habe. Ja, wirklich … ich habe mich fast täglich eingepinkelt. Eine Mischung aus Scham und kindlicher Gleichgültigkeit. Ich wusste, es war „nicht gut“, aber niemand machte mir deswegen Vorwürfe. Es gehörte einfach dazu. Kleine Karyna, ich verzeihe dir!
Etwa in diesem Alter begann ich mit dem Turnen. Ich war voller Energie und beweglich – konnte den Spagat, machte Radschläge, Saltos. Ich liebte es, meinen Körper zu spüren, zu kontrollieren, zu zeigen, was ich konnte. Einmal stand ich sogar in der Zeitung – ein kleiner Artikel mit meinem Foto. Meine Großeltern haben die Seite bis heute aufbewahrt. Sie sind stolz auf mich. Und ich erinnere mich an das Gefühl, gesehen zu werden – nicht wegen Angst oder Krieg, sondern wegen etwas, das ich gut konnte.