Die Ochsenwette - Gerhard Branstner - E-Book

Die Ochsenwette E-Book

Gerhard Branstner

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Beschreibung

Geschickt nutzt der Autor in dieser Anekdoten-Sammlung eine Verkleidung – und zwar die in die bunte Welt des Orients und deren Weisheit, die er gern seinen Zeitgenossen zum produktiven Nutzen sowie zum ernsthaft-heiteren Vergnügen empfehlen möchte. Besonders interessant ist dabei, dass der Leser die Branstnersche Neufassung mit den im Anhang abgedruckten Vorlagen vergleichen kann. Hier zwei schöne Beispiele für dieses Verfahren: Neufassung: 11. Der nützliche Vorschlag Ein Kanzler liebte es, kostspielige, aber wenig nützliche Bauvorhaben ausführen zu lassen. Da schlug ihm ein Mann eines Tages folgendes vor: „Lasst den See nahe der Hauptstadt trockenlegen, und Ihr werdet eine große Fläche Land gewinnen.“ Der Kanzler war von diesem Vorschlag begeistert, fragte aber nach einigem Überlegen: „Wohin mit dem Wasser des Sees?“ „Grabt einen ebenso großen See daneben, und das Problem ist gelöst“, antwortete der Mann. Darüber musste der Kanzler lachen. Doch dann wurde er still, und er führte weiterhin keine derartigen Bauvorhaben mehr aus. Also: Unsinn auf der Spitzen bleibt nicht lange sitzen Vorlage: 11. Einen neuen See für einen alten Wang An-schi, der Kanzler der Sungdynastie, liebte es, große gemeinnützige Bauvorhaben durchzuführen. Ein Mann, der sich bei ihm beliebt machen wollte, schlug ihm folgendes vor: „Lasst den Liangschanbo-See trockenlegen, und Ihr werdet achthundert Quadratmeilen fruchtbares Land gewinnen.“ Wang An-schi war zuerst begeistert, fragte aber dann: „Wohin mit dem Wasser des Sees?“ „Grabt einen genauso großen See daneben, und das Problem ist gelöst“, antwortete Liu Gung-fu. Wang An-schi lachte und ließ den Plan fallen. China Neufassung: 33. Der gründliche Arzt Ein Mann kam mit blutendem Kopf zum Arzt gelaufen „Ich bin mit der Stirn gegen einen Türbalken gestoßen“, erklärte der Mann, „lege mir bitte einen Verband an.“ Der Arzt jedoch verordnete ihm ein Augenheilmittel. Also: Kein Befund hat nur einen Grund Vorlage: 33. Jemand kam zum Arzt und sagte: „Ich habe Magenschmerzen. Behandle mich!“ Der Arzt fragte: „Was hast du heute gegessen?“ Der Kranke antwortete: „Verbranntes Brot.“ Der Arzt griff nach einem Mittel, um die Augen des Kranken einzureiben. „O Hakim, was haben Magenschmerzen mit den Augen zu tun?“, fragte der. „Zuerst müssen deine Augen behandelt werden, denn wenn sie gesund wären, hättest du kein verbranntes Brot gegessen“, antwortete der Arzt.

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Impressum

Gerhard Branstner

Die Ochsenwette

Nach dem Orientalischen geschrieben

Das Buch erschien 1980 im Hinstorff Verlag Rostock.

ISBN 978-3-96521-758-4 (E–Book)

Titelbild: Ernst Franta

© 2022 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E–Mail: verlag@edition–digital.de

Internet: http://www.edition-digital.de

1. Der wundertätige Schelm

Ein armer Schelm hatte im Streit einen angesehenen Mann erschlagen und sollte mit dem Leben dafür büßen.

„Wenn ich ein Wunder vollbringe“, sprach der Schelm zum Richter, „wirst du mir dann die Strafe erlassen?“ Der Richter sagte das zu, und der Schelm erklärte: „Ich werde dich, nachdem ich dich getötet habe, wieder zum Leben erwecken.“

Da lachte der Richter und sprach: „Ich erlasse dir die Strafe, aber erlass du mir auch das Wunder.“

Also: Witz wirkt mitunter

so gut wie ein Wunder

2. Die Antwort des Verrückten

Ein Gelehrter hatte seine Schüler um sich versammelt und sprach zu ihnen von den Dingen des Lebens. Da stellte sich ein Verrückter neben den Gelehrten, zog ein Buch hervor und blätterte eifrig darin herum. Er blätterte und blätterte und blätterte in einem fort.

Da wurde der Gelehrte wütend und rief: „Mann, du hast ja das Buch verkehrt herum in der Hand!“ „Entschuldige bitte“, erwiderte der Verrückte, „ich bin Linkshänder.“

Also: Wer einen Verrückten belehrt,

ist schnell bekehrt

3. Wenn die Frau zu lange kein Fleisch bekommt

„Geh auf den Markt und kauf etwas Fleisch“, sagte eine Frau zu ihrem Mann, „wir haben lange keines gehabt.“ Der Mann ging auf den Markt, doch dort vertrank er das Geld. Den nächsten Tag das gleiche: Wieder brachte er kein Fleisch nach Hause. So ging das eine ganze Zeit. Nun traf der Mann eines Tages auf dem Markt einen Freund und lud ihn zum Essen ein. Der Freund war einverstanden, und der Mann kaufte zwei Hähnchen. Zu Hause angekommen, sagte er zu seiner Frau: „Dies ist ein Freund von mir, und hier sind zwei Hähnchen. Bereite sie zu, eines für meinen Freund und eines für mich.“

Die Frau wollte schon zornig werden, doch dann sagte sie: „Wir haben kein Brot im Hause. Geh und besorge welches.“

Der Mann ging, und die Frau bereitete die Hähnchen zu. Dann nahm sie ein großes Messer, trat zu dem Freund und sagte: „Es ist so weit!“

Der Freund bekam es mit der Angst und fragte: „Was soll das?“

„Ich will dir nur die Hoden abschneiden“, sagte die Frau. „Das ist bei uns so Sitte, wenn ein Freund zum ersten Mal zu Gast ist.“

Der Freund sprang auf und rief: „Ich muss vorher noch einmal hinausgehen, um mein Wasser abzuschlagen!“ Und sobald er hinausgelangt war, rannte er davon.

Die Frau aber aß schnell die Hähnchen auf. Und wie sie gerade damit fertig war, kam der Mann mit dem Brot zurück. Er blickte umher und fragte: „Wo ist mein Freund?“

„Da kannst du auch gleich nach den Hähnchen fragen“, erwiderte die Frau.

Der Mann blickte in den Topf, fand ihn leer und stürzte aus dem Hause. Als er den Freund in der Ferne davonlaufen sah, rief er ihm hinterher: „Lass uns wenigstens eines!“

Da rannte der Freund noch schneller und rief zurück: „Wenn du mich einholst, kannst du sie alle beide haben!“

Also: Ehezwist

zeugt Weiberlist

4. Die sicherste Art, einen Dieb zu erwischen

Ein Dieb nahm einem Derwisch den Turban fort und eilte davon. Der Derwisch aber ging gemächlichen Schritts auf den Friedhof und setzte sich dort nieder. „Was sitzest du hier?“, fragten die Leute, „der Dieb ist doch in der anderen Richtung davongelaufen.“

„Er mag laufen, wohin er will, zuletzt muss er doch hierher kommen“, sagte der Derwisch, „deshalb sitze ich hier.“

Als diese Worte dem Dieb zu Ohren kamen, ging er sogleich zum Friedhof und sagte zu dem Derwisch: „Hier hast du deinen Turban zurück, ich müsste sonst immer an den Tag denken, an dem du mich mit Sicherheit erwischst. Wie aber kann einer leben, wenn er ständig solch ein Ende vor Augen hat.“

Also: Setz deinem Leben ein gutes Ziel,

dann wird dir das Leben nie zu viel

5. Erkenntnis des Wesens der Schweine

Als ein Schweinehirt unter seinen schwarzen Schweinen ein weißköpfiges entdeckte, hielt er es, da er so etwas noch nicht gesehen hatte, für eine Kostbarkeit und beschloss, es dem König zu bringen. Auf dem Wege dorthin aber, schon in der Nähe des Königshofes, erblickte er lauter Schweine mit weißen Köpfen, und er kehrte verdrossen wieder um. Da aber kam ihm ein Gedanke, und als er zu Hause angelangt war, nahm er eines von den gewöhnlichen schwarzen Schweinen und machte sich wieder auf den Weg zum König. Als dieser das schwarze Schwein sah, war er ganz entzückt, denn so etwas hatte er noch nie gesehen, und er beschenkte den Schweinehirt reichlich.

Der Schweinehirt aber kaufte für das erhaltene Geld eine ganze Herde weißköpfiger Schweine, die in dieser Gegend sehr billig waren, und brachte sie nach Hause, wo er sie für teures Geld wieder verkaufte. Jetzt erwarb er eine noch größere Herde schwarze Schweine und trieb sie in die Gegend der weißköpfigen, um sie dort für teures Geld zu verkaufen. Auf diese Weise gelangten schließlich alle schwarzen Schweine in die Gegend der weißköpfigen und umgekehrt, und jeder hielt nun die eigenen Schweine für besonders kostbar, obwohl sich doch allein ihr Ort, nicht aber ihr Wert verändert hatte.

Allmählich verlor sich jedoch die Täuschung, und endlich sah man in beiden Gegenden die eigenen wie die fremden Schweine gleichermaßen für ganz gewöhnliche Tiere an, ungeachtet, welche Farbe sie hatten. Der Schweinehirt aber war unterdessen ein reicher Mann geworden.

Also: Ob schwarzes oder weißes Schwein –

im Topfe endet aller Schein

6. Der Tischler, der ungestört arbeiten wollte

Frohgemut ging ein Mann zu einem Tischler und sagte: „Ich habe einen Sohn bekommen, zimmere mir bitte eine Wiege.“

Der Tischler versprach die Wiege, und der Mann zahlte für ihre baldige Fertigstellung ein Silberstück. Nach einer Woche ging er wieder zu dem Tischler, doch die Wiege war noch nicht fertig. Die Woche darauf ebenso. Auch nach einem Monat war die Wiege noch nicht fertig. Und so ging es Monate und Jahre hindurch. Aus dem Knaben wurde ein Mann, der Mann nahm sich eine Frau und zeugte einen Sohn. Da ging der Alte wieder zum Tischler.

„Wie steht es mit der Wiege?“, fragte er. „Ich hatte sie vor einiger Zeit bei dir bestellt und für ihre baldige Anfertigung ein Silberstück gezahlt.“

„Hier hast du das Silberstück zurück“, brummte der Tischler ärgerlich. „Wenn mich jemand drängt, kann ich nicht arbeiten.“

Der Alte ging nach Hause und legte sich bald darauf zum Sterben nieder. Da lief sein Sohn zum Tischler und sagte: „Mit meinem Vater geht es zu Ende, nun braucht er einen Sarg.“

„Warum hat er das nicht gleich gesagt“, schimpfte der Tischler, „jetzt habe ich die ganze Zeit an der Wiege gearbeitet!“

Also: Macht dir die Arbeit auch viel Freude –

vergiss dabei nicht ganz die Leute

7. Der außerordentliche Fall

Ein Reisender bat einen Hauswirt um Übernachtung und erhielt ein Zimmer im Erdgeschoss. In der Nacht aber hörte der Hauswirt den Gast im Obergeschoss lachen. Dort befand sich auch das Zimmer der Frau des Hauswirts. Der ging hinein und fragte den Gast: „Was suchst du in diesem Zimmer?“

„Ich habe mich im Schlaf umgedreht und bin hierher gefallen.“

„Aber man fällt doch von oben nach unten und nicht von unten nach oben!“

„Deshalb lache ich ja gerade“, erklärte der Gast.

Da packte der Wirt den Mann am Gürtel, warf ihn die Treppe hinab und rief: „So, jetzt ist der Fall wieder in Ordnung!“

Also: Nach oben fallen ist kein Wunder;

du fällst auch wieder runter

8. Gerechter Lohn für schöne Worte

Ein Dichter hatte auf einen Würdenträger ein überschwängliches Loblied gemacht. Darauf sagte der Würdenträger zu dem Dichter: „Komm morgen zu mir, und ich will dir ein reiches Geschenk machen.“

Am nächsten Tage kam der Dichter schon bei Morgengrauen und wollte das Geschenk abholen. Der Würdenträger aber sagte: „Du hast ein Gedicht geschrieben, das nicht der Wahrheit entspricht, und ich habe ein Versprechen gegeben, das nicht der Wahrheit entspricht. Wir haben uns gegenseitig mit schönen Worten erfreut und sind gleich. Was willst du jetzt noch?“

Also: Nicht immer und an allen Orten

gewinnt die Kunst mit schönen Worten

9. Das alte Lied

Ein neu eingesetzter Beamter gab für die Würdenträger seines Amtsbereiches ein Fest. Zur Unterhaltung der Gäste trat auch ein Sänger auf, der sich wie folgt vernehmen ließ: „Fort mit dem Alten, herein mit dem Neuen; fort mit dem Unglücksstern, herein mit dem Glücksstern!“

Der Beamte fühlte sich über die Maßen geschmeichelt. „Das ist ein schönes Lied“, meinte er, „es hat mir sehr gefallen.“

„Das war auch die Meinung Eures Vorgängers“, sagte der Sänger stolz.

„Wie!“, rief der Beamte, „singst du dieses Lied jedes Mal bei Ankunft eines neuen Beamten?“

„Es ist das einzige Lied, das ich kenne“, sagte der Sänger.

Also: Das Lob im Allgemeinen

passt immer, will es scheinen

10. Wie durch Umpflanzen Diebe entstehen

Ein Weiser aus dem Lande Dschi war nach Dschu gekommen und wollte dem König seine Aufwartung machen. Als der König davon erfuhr, sagte er zu seinem Ratgeber: „In Dschi reden die Leute schlecht über die Zustände in meinem Lande, und man hält mich für einen unbilligen Herrscher. Ich will dem Mann eine Lehre erteilen. Wie soll ich das anstellen?“

„Lass, wenn er bei dir ist, einen Gefesselten hereinführen und ihn auf die Frage, wer er sei, antworten, er komme aus Dschi und sei ein Dieb“, sagte der Ratgeber.

So sollte es denn auch gemacht werden. Als der König mit dem Weisen aus Dschi beim Mahle saß, kamen plötzlich zwei Beamte herein und führten einen gefesselten Mann mit sich.

„Wer bist du?“, rief der König, „und was hast du verbrochen?“

„Ich stamme aus Dschi“, antwortete der Gefesselte, „und ich wurde soeben beim Stehlen gefasst.“

Der König sah den Weisen spöttisch an und sagte: „Man scheint bei euch in Dschi übergenug Diebe zu haben, dass sie schon nach Dschu kommen, um hier zu stehlen.“ Der Weise lächelte kaum merklich und erwiderte: „Wie ich gehört habe, sind die Orangen im Süden dieses Landes von köstlichem Geschmack, wogegen sie, sobald man sie in den Norden verpflanzt, zu ganz gewöhnlichen Früchten werden. Was mag wohl der Grund sein?“

„Ich denke, es liegt am Klima“, sagte der König.

„Mit den Menschen“, fuhr der Weise fort, „scheint es ähnlich zu sein. In Dschi stehlen sie nicht, sobald sie aber nach Dschu kommen, werden sie zu Dieben. Ist es das Klima von Dschu, das sie so plötzlich verwandelt?'

Da schwieg der König.

Also: Natur und Mensch gedeihen

auf beste Art im Freien

11. Der nützliche Vorschlag

Ein Kanzler liebte es, kostspielige, aber wenig nützliche Bauvorhaben ausführen zu lassen. Da schlug ihm ein Mann eines Tages folgendes vor: „Lasst den See nahe der Hauptstadt trockenlegen, und Ihr werdet eine große Fläche Land gewinnen.“

Der Kanzler war von diesem Vorschlag begeistert, fragte aber nach einigem Überlegen: „Wohin mit dem Wasser des Sees?“

„Grabt einen ebenso großen See daneben, und das Problem ist gelöst“, antwortete der Mann.

Darüber musste der Kanzler lachen. Doch dann wurde er still, und er führte weiterhin keine derartigen Bauvorhaben mehr aus.

Also: Unsinn auf der Spitzen

bleibt nicht lange sitzen

12. Die gefährliche Bescheidenheit

Da ein Mann viel Rühmens von seiner Weisheit machte, ließ ihn der König des Landes zu sich rufen. Der Mann erschien, und der Herrscher sagte zu ihm: „Du bist für deine Weisheit weithin berühmt. Doch ohne ein Amt innezuhaben, ist Weisheit nicht viel nutze. Daher will ich dich zum Richter ernennen.“

Der Mann aber entgegnete bescheiden: „Ich bin zu diesem Amt nicht geeignet.“

Der König forderte eine Erklärung. Der Mann gab sie ihm, indem er sagte: „Habe ich die Wahrheit gesagt, so bin ich in der Tat ungeeignet; habe ich jedoch gelogen, so bin ich ebenso ungeeignet, denn ein Lügner kann nicht Richter sein.“

„Vor dem Amt des Richters“, sagte der König, „hat dich deine Erklärung bewahrt, denn sie ist schlüssig. Da sie es aber nur ist, indem sie den Fall einschließt, dass du mich belogen hast, hat sie dich um deinen Kopf gebracht. Und falls du doch wahr gesprochen hast und also unschuldig gerichtet wirst, so ist es auch kein Schade, in jedem Falle verlierst du ja nur einen ungeeigneten Kopf.“

Da war der Mann, der doch nur den Fährnissen des Richteramtes entgehen wollte, mit seiner Weisheit am Ende.

Also: Der Feigheit liebstes Kleid

ist die Bescheidenheit

Und: Feigheit hilft nicht immer;

manchmal macht sie’s schlimmer

13. Die Liste für alle Fälle

Ein Glaubenslehrer ritt auf einem lahmen Pferd von einem Ort zum anderen, seine wenigen Schüler aber liefen hinter ihm her und lauschten seinen Worten. Da stolperte das lahme Pferd, und dem Reiter fiel der Turban vom Kopf. Er glaubte, die Schüler würden ihn aufheben, und ritt weiter. Nach einer Weile aber fragte er: „Wo ist mein Turban?“

„Er wird dort liegen, wo er niedergefallen ist“, antworteten die Schüler.

Da wurde der Glaubenslehrer zornig und rief: „Was niederfällt, muss man aufheben!“

Sogleich lief einer der Schüler zurück, hob den Turban auf und legte auch den Dung hinein, den das Pferd an der gleichen Stelle verloren hatte. Als der Lehrer den Turban aufsetzte, fiel ihm der Dung ins Gesicht, und er geriet ganz außer sich und gab dem Schüler eine Maulschelle.

„Wie. Herr!“ rief der Schüler, „sagtest du nicht soeben, dass alles, was niederfällt, aufzuheben sei? Und nun, da ich deiner Vorschrift folge, schlägst du mich!“

„Wie kann man so einfältig sein“, erwiderte der Glaubenslehrer. „Es gibt Dinge, die man aufhebt, und andere, die man liegen lässt.“

Damit wussten die Schüler jedoch nichts anzufangen, und sie baten ihn, die Dinge, die man aufheben soll, auf eine Liste zu schreiben. Das tat er denn auch.

Nach einiger Zeit stolperte nun das Pferd ein weiteres Mal und warf den Glaubenslehrer kopfüber in eine Grube. Da eilten die Schüler herbei und nahmen die Liste zur Hand. Und während einer sie vorlas, zogen die anderen ihrem Lehrer den Turban, das Überkleid, die Jacke und das Beinkleid aus und hoben es auf, den Glaubenslehrer aber ließen sie nackt in der Grube liegen. Und soviel er auch schrie, die Schüler sagten ungerührt: „Du stehst nicht auf der Liste. Wir tun nur, was geschrieben steht.“

Da half alles nichts, er musste sich die Liste geben lassen und schrieb, mit dem Kopf in der Grube: „Wenn euer Glaubenslehrer gefallen ist, so müsst ihr ihn wieder aufheben.“

Und sobald die Schüler das geschrieben sahen, zogen sie ihn heraus und setzten ihn wieder aufs Pferd.

Also: Wortgetreue Schüler sind

im Ernstfall hilflos wie ein Kind

14. Der tödliche Rat

Ein König hatte mit dem Amt seines Vaters, der vor Kurzem gestorben war, auch dessen Ratgeber übernommen. Um diesen auf die Probe zu stellen, fragte er ihn: „Wie kommt es, dass ich vom Volke weniger gefürchtet werde als mein Vater, obwohl ich doch schon einige Menschen zum Tode verurteilt habe?“

„Ihr bestraft nur die schlechten Leute“, entgegnete der Ratgeber, „daher kommt es, dass die guten vor Euch keine Angst haben. Wenn Ihr meinen Rat befolgen wollt, so lasst ab und zu auch einen Unschuldigen töten, und Ihr werdet von allen gefürchtet sein.“

Da gab der König den Befehl, den Ratgeber zu töten. Jetzt aber fürchtete das Volk den König überhaupt nicht mehr, und es sagte ihm in allen Dingen, was es dachte, weshalb er fortan keinen anderen Ratgeber nötig hatte.

Also: Das ist das beste Regiment,

wo man das Ding beim Namen nennt

Oder: Der wohlgeratne Herrscher hat

das ganze Land an Rates statt

Und: Beim Raten bedenket, an wen ihr euch wendet

15. Der unbelehrbare König

„Wie lange habe ich noch zu leben?“, fragte ein König, dessen Herrschaft zu Ende ging, seinen Astrologen. „Noch zwei Jahre“, sagte der Astrologe.

Darüber fiel der König in große Verzweiflung und wollte keinen Trost annehmen. Doch da trat ein Mann vor den König und erbot sich, die Vorhersage des Astrologen außer Kraft zu setzen. Der Astrologe wurde neuerlich gerufen, und der Mann fragte ihn: „Wie viel Jahre hast du selber noch zu leben?“

„Zwanzig Jahre“, sagte der Astrologe.

„Du irrst dich“, sagte der Mann, zog sein Schwert und schlug dem Astrologen den Kopf ab. Da war er auf der Stelle tot.

Jetzt wandte sich der Mann dem König zu und sagte: „Du hast selber gesehen, dass sich dein Astrologe geirrt hat. Bekümmere dich also nicht weiter um seine Worte.“

Doch der König fiel in eine noch tiefere Verzweiflung und rief: „Was soll ich bloß ohne meinen Astrologen beginnen? Er war mein bester Ratgeber! Und hättest du ihn nicht erschlagen, würde er dir mühelos bewiesen haben, dass er sich nicht geirrt hat.“

Also: Wer sein Reich auf Lügen stützt,

misstraut der Wahrheit, selbst wenn sie ihm nützt

16. Eine Lebenskunst

Ein Mann verwendete die beste Zeit seines Lebens darauf, die Kunst des Drachentötens zu erlernen; und er hatte sein ganzes Vermögen dafür hingegeben.

Einen Drachen aber bekam er niemals zu Gesicht.

Also: Kunst und Leben treffen sich

mitunter nur gelegentlich

17. Der kostspielige Hofstaat

Ein König beklagte sich bei seinem Wesir darüber, dass zu wenig Geld in der Schatzkammer sei. „Ich glaube“, so sagte er, „die Beamten sind nicht ehrlich und nehmen zu viel für sich, sodass nur ein geringer Teil der Einnahmen in: die Schatzkammer gelangt.“

„Ich habe eine andere Erklärung“, entgegnete der Wesir. „Diese Erklärung kann ich jedoch nur in Anwesenheit des gesamten Hofes geben.“

Der König war damit einverstanden und ließ alle Hofleute rufen. Als der Hof vollständig versammelt war, bestieg der König seinen Thronsitz. Sogleich trat erwartungsvolle Stille ein. Jetzt kam auf einen Wink des Wesirs ein Mann in den Saal, in seinen Händen aber trug er einen riesengroßen Klumpen Butter. Und sobald er den Saal betreten hatte, übergab er den Klumpen an den ihm am nächsten stehenden Höfling, der ihn wiederum seinem Nachbarn reichte. So wanderte der Klumpen Butter von Hand zu Hand und wurde zusehends kleiner. Und als er endlich zum Wesir gelangt war, hatte er kaum noch die Größe einer Faust.

Der Wesir reichte dem König die kleine Butterkugel und sagte: „Wir alle konnten sehen, dass niemand auch nur die kleinste Menge Butter auf unehrliche Weise beiseite gebracht hat, und doch ist sie auf einen Bruchteil ihrer einstigen Menge zusammengeschmolzen. Dem kann man nicht beikommen, es liegt in der Natur der Sache.“

Der König wusste darauf nichts zu sagen und erkannte die Erklärung des Wesirs an. Doch da trat der Mann, der die Butter gebracht hatte, vor den König und sagte: „Es liegt nicht in der Natur der Sache, es liegt an den vielen Händen, durch die die Butter gegangen ist. Ebenso verhält es sich in allen anderen Dingen. Auch wenn die Beamten nicht unehrlich sind, so sind es doch zu viele, an deren Fingern etwas hängen bleibt.“

Also: Geht ein Ding von Hand zu Hand,