Die Paten des Internets - Joel Kaczmarek - E-Book

Die Paten des Internets E-Book

Joel Kaczmarek

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Beschreibung

Sie sind smart. Sie sind intelligent. Sie sind Multimillionäre und absolut skrupellos. Oliver, Marc und Alexander Samwer. Die erfolgreichsten Internetunternehmer Deutschlands. Mit dem eBay-Klon Alando, den sie für 43 Millionen US-Dollar verkauften, und dem Klingeltonanbieter Jamba, der für 273 Millionen Dollar den Besitzer wechselte, legten die Samwers den Grundstein für ihr Imperium. Es umfasst mittlerweile einige der größten Shopping-Websites in Afrika, Lateinamerika, Indien, Russland und Südostasien mit rund 27.000 Mitarbeitern in knapp 50 Ländern. In Europa lehrt der Online-Versandhändler Zalando den stationären Handel das Fürchten und schmiedet Börsenpläne. Doch was ist das Geheimnis der Samwers? Wer ist dieses Trio, das mit seiner Firma Rocket Internet Millionen verdient, an die Börse strebt und wie am Fließband neue Start-ups produziert? Joël Kaczmarek beobachtet die Samwers seit Jahren und hat mit ihnen und vielen ihrer Vertrauten gesprochen. Mit diesem Buch legt er die erste Biografie der Samwer-Brüder vor.

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Seitenzahl: 588

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

Nachdruck 2019

© 2014 by FinanzBuch Verlag

ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Foto­kopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Werner Wahls

Korrektorat: Desirée Šimeg

Umschlaggestaltung: Pamela Machleidt

Umschlagsfoto: Dieter Mayr Photography

Satz und E-Book: Daniel Förster, BelgernDruck: Books on Demand, NorderstedtPrinted in Germany

ISBN Print 978-3-89879-749-8

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-352-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-353-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Inhalt

Titel
Widmung
Impressum
Inhalt
Einleitung
Wie dieses Buch entstand
Was die Samwers so interessant macht
1. Alles dreht sich um die Familie
Marc Samwer – der charmante Erstgeborene
Oliver Samwer – das Sandwich-Kind mit dem Siegeswillen
Alexander Samwer – Nesthäkchen mit intellektueller Genialität
Elitestudenten und die zentrale Rolle der WHU
»America’s most successful Startups«
2. Alando – das attraktivste Geschäftsmodell der Welt
Die erste Samwer-Gründung nimmt ihren Betrieb auf
Geschäftswachstum in einem umkämpften Segment
Exit & Nachgang
3. Jamba – Vom Handyportal zur Klingeltonschleuder
Auf der Suche nach einem Geschäftsmodell
Jamba und die Sparabos
273 Millionen Dollar später überschreitet Jamba seinen Zenit
4. Der EFF – vom Gründer zum Investor
Der European Founders Fund entsteht
Erst Auswanderer, dann Passivorgan
5. Rocket Internet – die Anfänge
Auf dem Weg zum ersten deutschen Inkubator
Edarling wird das erste Großprojekt nach dem EFF
6. Die Ära Groupon
Wie die Samwers das für sie wichtigste Modell entdeckten
Samwer sei Dank – Aufstieg in den Umsatz-Olymp
Samwers ade – Abstieg in den Börsenkeller
7. Zalando – die Entstehung eines E-Commerce-Riesen
Alle Zeichen stehen auf Wachstum
Internationalisierung: Zalando wird zum E-Commerce-Schlachtschiff
8. Rocket Internet – der weltweite Rollout
Eine Fokusänderung mit Folgen
E-Commerce global – das Glossybox-Experiment
Rocket wird vom Mittelständler zum Konzern
Rockets neue Säulen für das internationale Parkett
9. Wohin geht die Reise für Rocket Internet und die Samwers?
Ein Imperium auf Pump?
Ein Ausblick: Was war und was vielleicht noch kommt
Über den Autor
Anhänge
Anhang 1: Personenverzeichnis
Anhang 2: Glossar
Anhang 3: Quellenverzeichnis
Anhang 4: Überblick über die Personen des Netzwerks der ersten Samwer-Gründungen
Anhang 5: Alphabetische Liste aller bekannten Investments der Samwers (Stand 08/2014)
Anhang 6: Alphabetische Liste aller bekannten Gründungen und Beteiligungen von Rocket Internet (Stand 08/2014)
Anhang 8: Alphabetische Liste aller bekannten Samwer-Pleiten (Stand 08/2014)
Anhang 9: Oliver Samwers kontroverse Blitzkrieg-E-Mail
Anhang 10: Übersicht über alle Zalando-Beteiligungsvorgänge bis 2013
Anhang 11: Übersicht über Zalandos Eigenmarken
Anhang 12: Finanzpartnerschaften von Rocket Internet
Anhang 13: Markbetrachtung zum Amazon-Klon Lazada
Anhang 14: Finanzierungsübersicht zum Big-Commerce-Verbund
Anhang 15: Übersicht über die Beteiligungsvorgänge in Rockets internationalem Portfolio (Auszug)
Danksagung
Anmerkungen

Einleitung

Die Geschichte der Samwers ist in vielerlei Hinsicht eine Geschichte der Superlative: In ihren rund 15 Jahren als Gründer und Investoren zahlreicher Internetfirmen haben die drei Brüder Alexander, Marc und Oliver Samwer mehr als 100 Unternehmen ins Leben gerufen, mit denen sie in über 50 Ländern aktiv wurden und gut 25.000 Angestellten eine berufliche Heimat gaben. Erfolgreich waren sie mit dem deutschen Ebay-Klon Alando, dem leicht nervigen Klingeltonanbieter Jamba, der Gutscheinplattform Groupon, der Datingbörse Edarling oder dem E-Commerce-Riesen Zalando. So gelang es den Samwers auch, für ihre Belange von den namhaftesten Geldgebern der Welt Investitionsgelder von rund drei Milliarden Dollar einzuwerben.

Ihre Firmenschmiede Rocket Internet brachten sie 2014 erfolgreich an die Börse und vermochte es, immer wieder hochkarätige Investoren mit hohen Beteiligungen zu gewinnen. Neben dem philippinischen Telefonprovider PLDT und dem Internet-Konzern United Internet (1&1, Web.de, GMX), die entgegen aller bürokratischen Hürden jeweils 333 sowie 435 Millionen Euro beisteuerten, erwarb auch die Holtzbrinck-Gruppe Anteile an Rocket Internet und trieb den Wert der Gründungsfabrik damit auf gigantische fünf Milliarden Euro (Zum Vergleich; Axel Springer verfügt über eine Marktkapitalisierung von rund 4,6 Mrd., Stand: 30. Juni 2014). Ein exorbitanter Wert angesichts noch oft roter Zahlen in den einzelnen Unternehmen der Samwers. Aber auch ein Beleg, wie stark das Vertrauen in die Samwers bei vielen erfahrenen Geldgebern ist und dass es das Brüdertrio schon immer vermochte, sich teuer zu verkaufen. Dafür sorgten nicht zuletzt ihre zahlreichen Gründungserfolge. Aber auch als Investoren in fremde Geschäftsideen überzeugte das Trio weitgehend. Seit dem Beginn ihres Schaffens partizipierten sie als Geldgeber an Dutzenden Firmenverkäufen wie etwa StudiVZ, Trivago oder LinkedIn.

Und diese Erfolge sind in vielerlei Hinsicht hart erarbeitet. Bis heute sind die Samwers in einzigartiger Weise in der Lage, Unternehmen rasant schnell zu Umsatzmaschinen auszubauen und mit unterschiedlichen Erfolgsunternehmen Wirtschaftsgeschichte zu schreiben. Ihr akribisch-systematisches und strikt datengesteuertes Vorgehen machte das Gründen eines international agierenden Internetunternehmens zu einem Akt weniger Tage und etablierte ein globales Geflecht aus Wachstumsunternehmen, das weltweit die Internetbranche aufrüttelte – bis hin in entlegene Regionen wie Südostasien, Südamerika oder Afrika.

Dann ist da aber auch die andere Seite der Samwers, jener gefühlskalte und berechnende Umgang, durch den die Samwers in der Lage sind, jede Transaktion zu ihrem persönlichen Vorteil auszunutzen, indem sie andere gekonnt manipulieren und ihnen das Gefühl geben, ihnen ihre Wünsche erfüllen zu können. Glaubt man den Ausführungen zahlreicher ehemaliger Weggefährten, sind Menschen für sie oft nur ein Kalkulationsgut in ihren Berechnungen zu unternehmerischem Erfolg. Vor allem Oliver Samwer genießt den Ruf, Angestellte und Partner durch seine aggressive Art an ihre emotionalen und gesundheitlichen Grenzen zu führen, um sie für seine Zwecke auszu­pressen. Immer wieder heißt es, dass Mitstreiter schnell fallen gelassen würden, sobald sie den Samwers keinen Nutzen mehr bringen. Alles und jeder – auch die drei Brüder selbst – werden in der Samwer-Maschine gänzlich dem unternehmerischen Erfolg untergeordnet. Und wenn dieser ausbleibt, sind cholerische Wutanfälle, während derer Gegenstände nach anderen geworfen oder selbst gestandene Manager dazu gebracht werden, weinend aus einem Meeting zu flüchten, vermeintlich keine Seltenheit. So erzählt man es sich zumindest insbesondere von Oliver Samwer, der so etwas wie den Anführer des Dreigespanns markiert, und dessen Gespür für soziale Konventionen praktisch vollständig zu fehlen scheint. Ihm eilt der Ruf voraus, sich nicht an gemeingültige Regeln zu halten, des Öfteren seine Versprechen zu brechen und ein hohes Maß an Rücksichtslosigkeit und Skrupellosigkeit aufzuweisen.

Wie viel von diesem Negativruf berechtigt ist und ob diese zwei Mentalitäten der Samwers vielleicht sogar ihren Erfolg begründen, bleibt an vielen Stellen Spekulation. Dennoch gelang es ihnen, einer ganzen Branche ihren ­Stempel aufzudrücken und es so nicht nur zu großem Reichtum und weltweiter Bekanntheit in ihrem Metier zu bringen, sondern dem Unternehmensbegriff im digitalen Zeitalter auch eine völlig neue Ausprägung zu verleihen. Die Samwers haben es verstanden, die Technologie der Gegenwart mit zahlreichen Unternehmertugenden zu einer explosiven Mischung aus Tempo, ­Aggressivität und Wachstum zu verbinden. Kurzum: Die Samwers, allen ­voran Oliver, dürfen wohl als einige der größten deutschen Gründerpersönlichkeiten der letzten 100 Jahre gelten. Sie bilden in vielerlei Hinsicht aber auch eine kompakte Manifestation vieles Schlechten in der Geschäftswelt. Ein Sinnbild dessen, was bei Unternehmern so oft falsch zu laufen scheint und Menschen in einen Strudel der Destruktivität zieht. Wahre Geldhaie, die immer gerade noch im Rahmen der Legalität arbeiten und oftmals andere die Verantwortung für ihre Taten übernehmen lassen.

Wer sich für die Samwers interessiert, wird mit dieser kontrovers betrachteten Ambivalenz, die die Samwers begleitet, zwangsläufig konfrontiert werden. Dennoch sind sie es, die mit dieser explosiven Kombination das Internet-Business wie kaum jemand anderes aufgerüttelt haben und deren Geschichte gleichermaßen mit unglaublichen Erfolgen wie aberwitzigen Machenschaften gepflastert ist. Wer sich aus wirtschaftlicher Sicht mit dem Internet auseinandersetzt, kommt an den drei Samwer-Brüdern nicht vorbei. Oliver Samwer und seine Brüder haben die deutsche Gründerszene geprägt und dürfen mit zahlreichen Gründungserfolgen ohne Frage als die erfolgreichsten Web-Unternehmer Deutschlands – wahrscheinlich sogar Europas, wenn nicht der Welt – gelten. Sie sind damit unumwunden so etwas wie die Paten des Internets.

Dieses Buch nimmt Sie deshalb mit auf eine Reise, bei der Sie diese drei Gründerpersönlichkeiten mit ihren so unterschiedlichen Gesichtern kennenlernen. Sie werden erfahren, was diese Gründergenies auszeichnet und warum die dunkle Seite des Geldhais einfach dazugehört. Sie werden im Folgenden sehen, dass die Entwicklung der Samwers kein Zufall war, sondern eine Geschichte der Superlative mit System. Es ist eine Geschichte, die von der (zugegebenermaßen späten) Teilhabe an Jahrhundertgründungen wie ­Facebook oder LinkedIn und der Schaffung von Wachstumsunternehmen wie Zalando oder Groupon geprägt ist – eine Zeit, während derer die Samwers eine ganz eigene Erfolgsmethode entwickelten, die sie zu Milliardären und einflussreichen Akteuren im Internetkosmos machte. Was diese Erfolgsmethode auszeichnet und wie sich Oliver Samwer und seine Brüder zu den erfolgreichsten Internetgründern der Gegenwart entwickelten, ist Teil jener Reise, auf die ich Sie mit diesem Buch mitnehmen möchte.

Für mich selbst begann dieses Kapitel im März 2009, als ich auf Umwegen zum Chefredakteur von Gründerszene wurde, einem kleinen Blog des Internetunternehmers Lukasz Gadowski, den dieser über drei Jahre mit viel Liebe gepflegt und immer weiter ausgebaut hatte und den ich dank eines ambitionierten Teams in den nächsten vier Jahren zu einem der relevantesten Magazine zum Thema Internetwirtschaft in Deutschland auszubauen half. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, dass dem Schaffen der Samwers in diesen vier Jahren stets ein Großteil meiner Aufmerksamkeit gewidmet war, zumal sie mit ihren Gründungen die Szene prägten und durch ihr kontrovers beurteiltes Vorgehen gleichzeitig viel Stoff für Kritik boten.

Wie dieses Buch entstand

Ich war in einer Zeit zu Gründerszene gestoßen, als das Internetgeschäft in Deutschland nach wie vor die Folgen der geplatzten Internet-Spekulationsblase zu spüren bekam. Der Szene wurde mit Skepsis begegnet, und eine Handvoll Unternehmer hatten die weitgehend am Boden liegende, nahezu familiäre Branche zu großen Teilen unter sich aufgeteilt. Da die Samwers zu jenen wenigen Akteuren zählten, die diesem Trend antizyklisch begegneten, indem sie fleißig in deutsche Start-ups investierten, war ihnen eine wichtige Rolle in dieser Übergangsphase sicher. Mit der Zeit hatten sich insbesondere an Deutschlands wohl bedeutendstem Internetstandort Berlin unterschiedliche Lager herausgebildet, die sich einerseits aus gewachsenen Personen-Netzwerken speisten, sich andererseits aber auch an der Frage entzweiten, ob es verwerflich sei, wenn sogenannte »Copycats«, Kopien erfolgreicher Internetfirmen, ihren Machern viel Geld bescherten.

Nachdem ihre ersten Gründungsvorhaben noch sehr idealistisch und von einer tiefen Zuneigung zum Silicon Valley geprägt waren, hatte der wirtschaftliche Erfolg die Samwers ins Lager der Copycat-Anhänger gedrängt. Wie Sie später noch sehen werden, ist den drei Samwer-Brüdern ein ausgemachter Hang zu Systematik und Geschwindigkeit zu eigen, weshalb das Ausrollen von Internetgeschäftsmodellen nach Blaupause für sie zum primären Betätigungsfeld wurde. Sie waren es, die das systematische Erzeugen von Firmenklonen für Deutschland quasi erfanden. Und es überrascht wohl nicht, dass der Ruf der Samwers daher äußerst umstritten ist. Zwar lassen sich ihre unternehmerischen Erfolge nicht von der Hand weisen, doch durch ihre dreisten Kopiermethoden und ihr oft rücksichtsloses Vorgehen haben sie sich viele Kritiker geschaffen. Immer wieder haben die Samwers durch das direkte Kopieren von Geschäftsideen auf sich aufmerksam gemacht und ihre Mitarbeiter ohne mit der Wimper zu zucken wieder vor die Tür gesetzt, wenn eine dieser Kopien nicht wirklich zünden wollte.

Jene Faszination und der Wunsch, ein gründliches Bild der deutschen Internetbranche insgesamt vorzulegen, haben mich zu diesem Buch motiviert. Das liegt auch daran, dass sich das Bild, das Gründerszene von den Samwers hatte, zusehends wandelte. Zum einen hatten sich durch die kritische, aber sachliche Berichterstattung des Magazins mit der Zeit solide Beziehungen zu zahlreichen hochrangigen Samwer-Mitarbeitern entwickelt, die durch ihren regen Austausch halfen, ein vollständigeres Bild von den Aktivitäten der Samwers zu zeichnen. Zum anderen wandelte sich das Vorgehen des Trios selbst. Waren sie zunächst vom banalen Kopisten zu ausgemachten Klonhelden aufgestiegen, folgte schon bald ein weltweiter Kreuzzug in exotische Entwicklungsnationen. Mir liegt deshalb am Herzen, die Entwicklung der deutschen Internetbranche einer breiteren Leserschaft nahezubringen und die Geschichte der Samwers in diesem Kontext zu erzählen. Ich möchte ihre Leistungen in einer Weise aufzeigen, die Verständnis für ihr Vorgehen vermittelt und gleichermaßen Raum lässt für all die skurrilen Anekdoten über die Brüder, die einen entweder schmunzeln oder den Kopf schütteln lassen.

Material dafür gibt es genug: Vier Jahre lang gehörte die Arbeit dieser drei Internetverrückten zu meinem Alltag. Ich berichtete über Eskapaden gleichermaßen wie über Geniestreiche und war Zeuge ihres schier grenzenlosen Erfolgshungers. Über ein Jahr lang führte ich anschließend intensive Hintergrundgespräche mit Dutzenden ehemaliger und aktiver Samwer-Funktionäre, wälzte Tausende Seiten in Börsendokumenten und Firmenunterlagen, bereitete die Befunde aus meiner journalistischen Tätigkeit auf und rezipierte auch sonst jeden Beitrag, jedes Interview und jeden Artikel, den ich zu den Samwers finden konnte. Ich trat in Dialog mit den Samwers und versuche nun jenes Bild zu zeichnen, mit dem sich das große Ganze nachvollziehen lässt und das auch anderen eine Anleitung für die Verwirklichung ihrer unternehmerischen Träume sein kann. Denn von den Samwers lässt sich so einiges lernen: wie sich wirtschaftlicher Erfolg einstellen kann und um welchen Preis dieser Erfolg durchgesetzt wird.

Was die Samwers so interessant macht

Bereits seit einigen Jahrzehnten blickt Deutschland auf eine Historie aus vielen erfolgreichen Einzelhandelsunternehmen wie Aldi, Lidl, Tengelmann, Rewe, Otto, dm oder Rossmann zurück – Firmendynastien, hinter denen erfolgreiche Unternehmer stecken, die das Antlitz der deutschen Wirtschaft prägten, den Aufschwung der Bundesrepublik begleiteten, sich aber trotzdem mit dem digitalen Geschäft nach wie vor schwertun. Wie kommt es, dass drei Brüder aus Köln all diesen Superreichen, diesen Urgesteinen des Handels, vormachen, wie das Verkaufen zur Zeit des Internets funktioniert? Denn die Samwers mauserten sich als Macher hinter Deutschlands erfolgreichstem E-Commerce-Unternehmen Zalando zu waschechten Händlern und passen inzwischen in diese Reihe prominenter Einzelhändler. Sie sind es, die mittlerweile die Zukunft des Handels gestalten und damit zu einer Art »Aldi-Brüder der Gegenwart« avancieren. Mit Zalando erbrachten sie den Beweis, dass sie zu den ersten deutschen Unternehmern zählen, die auch mit den veränderten Marktmechanismen des Internets in der Lage sind, einen relevanten Einzelhandel zu etablieren. Alexander, Marc und Oliver Samwer sind nichts Geringeres als die ersten relevanten Gründerpersönlichkeiten seit der Entstehung von SAP. Sie gehören in eine Reihe erfolgreicher Unternehmerdynastien, zu denen Konzerne wie die Otto-Gruppe, der Springer-Verlag, das Familienunternehmen Tengelmann, das Albrecht-Imperium, der Siemens-Konzern oder eben SAP und einige andere zählen.

Und dabei haben sie nicht nur im Technologiesegment Erfolg, sie treten gleichzeitig das Erbe erfolgreicher Händlerdynastien an. Der Themenkomplex Samwer ist durch deren unternehmerische Vision und die damit verbundene inhaltliche Brisanz nicht nur spannend und kontrovers, sondern auch mysteriös. Gleichzeitig sind die Samwers der breiten Bevölkerung bisher kaum bekannt, obwohl ein Großteil der Bundesbürger bereits Kontakt mit ihren Produkten hatte.

Immer wieder ist in den Medien zu hören, dass die Deutschen, sonst das Volk der Dichter und Denker, im Internet- und Technologiebereich keine Rolle spielten. Dabei haben die Samwers mit ihrem Großprojekt Rocket Internet längst einen Weltmarktführer etabliert, der wirtschaftliche Erfolge feiert und weltweit das Gründungsgeschehen systematisch dominiert. Gleichzeitig drängen sich unterschiedliche Fragen auf: Was genau ist das Erfolgsgeheimnis der Samwers und ist es replizierbar? Bedarf es bestimmter negativer Charakterzüge, um derart erfolgreich zu sein? Wie sähe ihre Schaffenskraft aus, wenn sie ohne diese destruktiven Komponenten agierten?

Um es vorwegzunehmen: Das System Samwer funktioniert nach bestimmten Gesetzen, die einander bedingen und deren Funktionieren nicht mehr gewährleistet wäre, würde ein Element fehlen. Auch andere Erfolgsgründer der letzten 100 Jahre waren sicherlich keine Engel. Aber im Gegensatz zu vielen von ihnen scheren sich die Samwers herzlich wenig um ihr Bild in der Öffentlichkeit, was ihnen ein wenig den typisch deutschen Unternehmerschliff verleiht. Es ist daher auch so schwer, sie für ein Interview zu gewinnen, geschweige denn ein Buchprojekt zu ihnen zu starten. Trotzdem möchte ich diese Gesetze, nach denen das Samwer’sche Unternehmen funktioniert, mit Ihnen betrachten und anhand der unterschiedlichen Schaffensperioden der Samwers nachzeichnen. Nachdem Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie deshalb nicht nur in der Lage sein, das Erfolgsgeheimnis der Samwers nachzuvollziehen, sondern auch einen wesentlichen Teil der deutschen Internetgeschichte kennengelernt haben. Sie werden Ihre ganz eigenen Lehren aus dem Schaffen der Samwers ableiten können und auf Basis ausführlicher Analysen der unterschiedlichen Geschäftsmodelle ein Verständnis davon gewinnen, wie sich heutzutage im Internet Geld verdienen lässt. Dieses Buch ist deshalb sowohl als Biografie der Samwer-Brüder als auch als Dokumen­tation gedacht und soll Ihnen helfen, das abstrakte Feld der Internetwirtschaft besser zu verstehen. Sie können mir glauben: Vieles davon liest sich eher wie ein Krimi denn ein Sachbuch.

Oliver Samwer ist es, dem in diesem Konstrukt die Anführerrolle über zwei nicht minder hochbegabte Brüder zukommt. Er ist jener grandiose Umsetzer, der es vermag, tiefgehende Analysen mit gekonnter und messbarer Marketing-Power zu verbinden, dessen Intelligenz und operatives Geschick weit über den Durchschnitt hinausgehen und der nicht nur schnell im Kopf, sondern auch schnell in der Umsetzung ist. Ein Mann, der sich körperlich bis an die Grenzen der Belastbarkeit tastet und einen gewissen Masochismus zeigt, wenn es darum geht, (über andere) zu triumphieren. Dem es gleichzeitig aber auch an einem moralischen Kompass oder einer für Unternehmer üblichen Wirtschaftsethik fehlt. Der unbedingte Wille zu gewinnen ist es, der ihn antreibt und ihn oftmals zu einer gewissen Kurzfristigkeit drängt.

Stellen Sie sich Oliver Samwer und seine Brüder auf einem dreidimensionalen Kontinuum aus Umsetzungsstärke, strategisch-analytischer Intelligenz und überbordendem Verkaufstalent vor. Während Alexander Samwer den höchsten Grad an Intelligenz und Strategiegespür aufweist und Marc Samwer insbesondere durch sein Verkaufsgeschick zu überzeugen weiß, füllt Oliver Samwer alle drei Dimensionen aus und arbeitet wie eine menschgewordene Umsetzungsmaschine. Fragt man Mitstreiter des Clans, ist er es, dem die meisten eine ähnlich erfolgreiche Karriere zutrauten, auch ohne seine Brüder. Die Kehrseite von Oliver Samwers operativer Exzellenz liegt allerdings darin, dass sein unbedingter Siegeswille bei ihm jene Kurzfristigkeit des Handelns hervorruft, die dem eher besonnenen Alexander Samwer ­dagegen weitest­gehend fremd ist. So erklärt sich auch, warum dem unglaublichen Erfolg auf wirtschaftlicher Ebene nicht selten ein moralischer Verfall auf gesellschaftlicher Ebene gegenübersteht.

Als Brüder sind sich die Samwers dennoch weitgehend ähnlich. Sie alle sind bestens ausgebildete Gewinnertypen, die es durch ihr einnehmendes Wesen und eine gute Erziehung vermögen, jeden Menschen für sich zu gewinnen. Die Samwers sind so etwas wie die Paten einer Branche, und der Wille zu gewinnen zählt zu ihren wesentlichen Antriebsmotoren. Sie alle verbindet ihre hohe Intelligenz, ein charismatisches Wesen und ein trotz ihrer analytischen Fähigkeiten ausgeprägter Opportunismus sowie ein nicht zu verachtender Hang zum Pragmatismus. Jeder Samwer bringt seine eigene Vorgehensweise mit, zusammen aber bilden sie eine kompakte, fein abgestimmte Einheit, die jede Angelegenheit mit sich selbst ausmacht und niemanden zwischen sich lässt.

Alle diese Eigenschaften – besonders jener unbedingte Siegeswille – sind es, die Sie bei der Lektüre dieses Buches im Hinterkopf behalten sollten, denn sie werden Ihnen das Verständnis zum Vorgehen der Samwers eröffnen.

Am Ende dieses Buches finden Sie in Anhang 2 ein Glossar, das die wesentlichen Fachbegriffe der Internetbranche erklärt. Da die Szene der Samwers ihre ganz eigene Sprache spricht, lege ich Ihnen ans Herz, sich vor der Lektüre mit einigen zentralen Begriffen wie »Venture Capital«, »Geschäftsmodell« oder »Skalierung« vertraut zu machen. Das wird Ihnen das Verständnis der Materie erleichtern und gleichzeitig die Tür zum Denken der Samwers öffnen. Denn das ist vor allem durch die Faktoren Geschwindigkeit und Skalierung angetrieben.

Joël Kaczmarek im August 2014

1. Alles dreht sich um die Familie

Glaubt man Oliver Samwer, begleitete der Traum vom Unternehmertum ihn und seine Brüder bereits seit der frühen Kindheit. Im Alter von acht Jahren bereits begann der 1973 geborene Kölner seinen Vater jeden Samstag in dessen Anwaltskanzlei zu begleiten, um ihn beim Öffnen der Geschäftspost zu unterstützen. Hautnah sollten der heranwachsende Junge, sein drei Jahre älterer Bruder Marc und der zwei Jahre jüngere Alexander so erfahren, was es bedeutete, selbstständig zu sein. Im Kleinformat vermittelte der freiberufliche Vater den Brüdern die Hochs und Tiefs des Unternehmertums, ließ sie gute und schlechte Zeiten mitbekommen. Regelmäßig sollte Vater Samwer das Handelsblatt mit nach Hause bringen und in seinen Söhnen eher das Interesse für Börsenkurse und die Liste der 100 größten Unternehmen der Welt wecken, denn für Mickey Maus oder Kindergeschichten.1

Darauf angesprochen, beschreibt Oliver Samwer seinen Vater als »einen sehr schlauen Mann mit vielen deutschen Tugenden, der stets viel in seinem Leben gearbeitet hat und Herr einer kleinen Anwaltsfirma« sei. In Wirklichkeit handelt es sich bei Vater Sigmar-Jürgen Samwer um niemand Geringeren als einen der bekanntesten Rechtsanwälte Kölns. Ein Presse- und Wettbewerbsrechtler, der Ansehen erlangte, nachdem er Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll vor dem Bundesverfassungsgericht vertrat oder den späteren Bundespräsidenten Karl Carstens gegen Anschuldigungen im Guillaume-Untersuchungsausschuss verteidigte.2 Beruflich zählt Sigmar-Jürgen Samwer damit zu den wohl erfolgreichsten Vertretern seines Fachs. Der strebsame Familienvater mit bissigem Humor und hoher Intelligenz erzog den eigenen Nachwuchs mit strenger Hand und ausgemachtem Elitedenken konservativer Färbung. Er war es daher wohl auch, der seinen Söhnen jenen Drang nach Wettbewerb, den unbedingten Wunsch zu gewinnen, mit auf den Weg gab – eine Eigenheit, die insbesondere Oliver Samwer in einzigartiger Weise ausmacht. Glaubt man einem Freund der Familie, könnte das Streben nach der Liebe des eigenen Vaters, zumindest den Mittleren der Samwer-Brüder zu seinem unbedingten Siegeswillen angestachelt haben, soll Oliver Samwer demnach in der Jugend wohl oft Ablehnung erfahren haben, während zu Hause das strenge Leistungsregime des eigenen Vaters auf ihn wartete.

Vollständig erklären mag aber selbst die strenge Erziehung von Vater Sigmar-Jürgen den Erfolgshunger der drei Samwer-Brüder nicht, zumal der jüngste Bruder Alexander im Vergleich zu seinem überzogen bissigen Geschwisterkind Oliver ohnehin eher in sich ruhend und gelassen wirkt. Vor allem ist da ja noch Sabine Samwer, eine überfürsorgliche Mutter, die wie Vater Sigmar-Jürgen ebenfalls dem Anwaltsberuf nachging und ihre Söhne umsorgte, wie man es sich von einer Mutter eben vorstellt: Mit ihrer herzlichen und sehr bodenständigen Art sollte sie ihren Söhnen morgens regelmäßig Brote schmieren und ihnen Äpfel zu essen geben. Selbst im Erwachsenenalter soll sie ihren Sohn Oliver noch gemahnt haben, während der gemeinsam verbrachten Urlaube nicht von einem kleinen Felsen ins Wasser zu springen. Die Mitgründer des ersten Unternehmens der Samwers bat sie bei einem Besuch einmal darum, doch bitte darauf zu achten, dass ihre Söhne auch stets genug Joghurt äßen, ihnen von ihrer Bitte aber nach Möglichkeit nichts zu erzählen. Ein behütetes Familienidyll also, das sich schwer ausmalen lässt, hat man den oft gefühllosen, gern einmal cholerischen Oliver Samwer vor Augen, der sich selbst einmal als »aggressivster Mensch im Internetbereich« bezeichnet hat.

Dennoch sollte auch Mutter Sabine Samwer ihren Kindern jenes starke Elitedenken vermitteln, auf das ihr Mann Sigmar-Jürgen so viel Wert legte. Das Elternpaar hielt sich für etwas Besonderes und wiederum war es der mittlere Bruder Oliver, der diese Einstellung in besonderer Weise übernahm. Stets war er auf besten Umgang bedacht. So ging er zu Studienzeiten erst eine ­Liaison mit einer Französin ein, deren Vater im Führungsstab von Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac arbeitete und kam dann mit Valeria Loewe zusammen, deren Familie das traditionsreiche spanische Modeunternehmen Loewe S. A. betrieb. Es sollte Oliver Samwer stets antreiben, zu den »oberen Zehntausend« zu gehören, wobei ihm eben wichtig war, nicht nur der Beste zu sein und das Beste zu haben, sondern auch mit den Besten zu verkehren. In der Öffentlichkeit und gegenüber den Weggefährten der Samwers gab sich der mittlere Bruder gerne cool, locker und jungdynamisch, als Unternehmerpersönlichkeit, die sparsam lebte und auf teure Dinge nichts gab. Immerhin vertrug sich diese Attitüde besser mit dem Leistungsdiktat, das er vielen jungen Menschen vorlebte und die er gerne auch schon mal dazu animierte, wie Braveheart »im Dreck zu leben«.3 In Wirklichkeit war an seinem Lebensstil aber nichts mehr bescheiden, nachdem er sich erst einmal einen gewissen Wohlstand erarbeitet hatte.

Oliver Samwer selbst beschreibt seine Eltern als weder zu konservativ noch zu laisser-faire in ihrer Einstellung. Konservativ trifft es jedoch. Denn ­tatsächlich wachsen er und seine Brüder im Kölner Villenviertel Marienburg auf. In der Lindenallee, Kölns bester Straße, steht das Haus, vor das die Familie ­einen Fahnenmast gebaut hat und an dem sich der Elitedünkel der Samwers wohl am anschaulichsten ablesen lässt. In den 1970ern hatte die Nachbarschaft Polizeischutz aus Angst vor RAF-Entführungen – immerhin waren die unmittelbar angrenzenden Häuser mit Familie Gerling und Freiherr von Oppenheim ja auch potent bestückt. Zum gesetzten Umfeld der Familie gehörte auch, dass die Samwer-Brüder zu Kirchgängern erzogen wurden, weil es wohl zu einer konservativen Erziehung gehörte, weniger aus Überzeugung. Gerade einem Oliver Samwer waren solche Dinge wie Kirche und außerfamiliäre Gemeinschaft egal.

Als Kinder aus gutem Hause dürften er und seine Brüder es ohnehin oft genug schwer gehabt haben, sagen Nahestehende dem Unternehmer doch nach, dass er in seiner Jugend anscheinend keine guten Erfahrungen mit anderen Menschen gemacht hat. Zum Schulaustausch etwa besuchte Oliver Samwer eine Privatschule in England, die ihren Schülern das Tragen eines Strohhutes auftrug. Trug Oliver Samwer im kleinen Dorf seinen Hut nicht, gab es Ärger mit den Lehrern, trug er ihn doch, gab es Prügel von der Dorfjugend. Ein wenig mochte das Elitedenken aber bereits dem Familienstammbaum der Samwers entspringen. Karl Friedrich Lucian Samwer, der Urgroßvater der Brüder Alexander, Marc und Oliver, war als Ehrenbürger von Gotha ausgezeichnet worden, nachdem er neben seinem Engagement als Armenpfleger die Gothaer Versicherungsbank durch die Kriegswirren geführt und die Gothaer Versicherung gegründet hatte.4 Auch Karl Samwers sieben Kinder bekleideten Gelehrtenämter, waren Bankiers oder hohe Mitglieder der preußischen Militärhierarchie, doch seinen elitären Ursprung nahm die Geschichte der Samwers noch früher. Durch einen Zufall sollte sich die adlige Abstammung der Samwers herausstellen, als Karl Samwers Vater Carl August 1813 die älteste Tochter des Adeligen Simon Carl von Wasmer heiraten wollte. Denn Wasmer offenbarte ihm, dass er im Begriff war, seine Halbschwester zu ehelichen, war Carl August Samwer doch sein außerehelicher Sohn. Um die Verwandtschaft zu verschleiern, war anscheinend der Nachname des Adeligen aus Schleswig-Holstein von »Wasmer« zu »Samwer« umgestellt geworden und Carl August Samwer war damit der erste Samwer, von dem alle Samwers – vielleicht insgesamt ein paar Hundert – abstammen.5

In den Genen der Samwer-Brüder war also ein gewisses Erfolgs- und Gründer-Gen bereits vorhanden. Während andere Kinder Lokomotivführer oder Pilot werden wollten, war ihr Berufswunsch der des Unternehmers. Und wären sie nicht Internetunternehmer geworden, hätte es ein anderes Betätigungsfeld sein können. Sie träumten davon, Lastwagenflotten und Schiffe mit ihrem Familiennamen zu versehen, vom Unternehmertum im großen Stil.6 Zuwider war ihnen hingegen die Vorstellung, zehn Jahre demselben Beruf nachzugehen, um schließlich zum Chef aufzusteigen – ein Berufsweg, den sie als »Lernkurve mit dem grauen Haar« bezeichneten. Es sollte Jahre später das Internet sein, das ihnen den Quereinstieg und die erwünschte steile Lernkurve bot, mit Unternehmern wie den Netscape-Gründern Marc Andreesen und Jim Clarke als Inspiration. Der Anfang des Samwer-Imperium lag jedoch viel früher: Obwohl alle drei Brüder ganz eigene Lebenswege beschreiten sollten, schlossen sie während eines Segeltörns am Vierwaldstätter See an Bord des elterlichen Schiffes einen Pakt: Sie wollten gemeinsam ein Unternehmen gründen – da waren die Samwers gerade 12, 14 und 16 Jahre alt.7

Am notwendigen Fleiß und einer ausgeprägten Intelligenz fehlte es den Dreien dazu jedenfalls nicht. In der Schule galten sie als Überflieger, sie traten trotz ihrer herausragenden Leistungen bescheiden auf, und ausgerechnet Oliver Samwer, der später als Kopierer fremder Geschäftsideen in die Kritik geriet, fiel nicht nur durch seinen Wissensdurst, sondern vor allem durch seine Abneigung gegen Abschreiber auf, die er nicht an »seinen brillanten Gedanken teilhaben lassen« wollte.8 Gemeinsam besuchte das Trio das renommierte Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Köln und verbrachte die gemeinsame Freizeit im Marienburger Sportclub, wo den eng verbundenen Brüdern die Bedeutung von sportlicher Rivalität, Wettbewerb und ein ausgeprägter Siegeswille nahegebracht wurde. Hockey und Tennis gehörten angeblich zu den favorisierten Sportarten der drei. Auch im Winterurlaub in Zermatt oder Lech am Arlberg lieferten sie sich nach Schließung der Lifte auf den leeren Pisten regelmäßig Duelle im Schussfahren, bei denen der jüngere Oliver Samwer meist nur eine Chance hatte, wenn er die Risikofaktoren erhöhte und aufs Ganze ging.9 »I am the most aggressive guy on internet on the planet. I will die to win«10, fasste er es später einmal zusammen und übertrug seine sportliche Maxime intensiv auf sein berufliches und schulisches Schaffen.

Mit einem Notendurchschnitt von 0,8 gelang ihm das beste Abitur seines Jahrgangs11, doch einer seiner Brüder sollte ihn noch übertreffen: Alexander Samwer schrieb 1994 das beste Abitur in Nordrhein-Westfalen und brachte es zwei Jahre nach seinem Bruder auf einen Schnitt von 0,66.12 Wirklich trauen sollte sich aber auch kein Lehrer, dem zweiten oder dritten Samwer-Bruder eine schlechte Note zu geben und ihm damit den Notenschnitt zu verderben. Ihr ehemaliger Direktor Hans-Dieter Becker beschreibt die Brüder schließlich als »schlicht phänomenal« und spricht von »geballter Intelligenz«, wenn er Alexander Samwer charakterisiert, mit dem er nach den Philosophiestunden in seinem Büro Mozart-Opern lauschte und deren Ästhetik diskutierte.13 Stets sollte man die drei Brüder zusammen sehen, sei es in der Schule oder bei ihren sportlichen Aktivitäten. Bei Oliver Samwer sollte dieses Verhalten später sogar zu einer Angst vor dem Alleinsein führen. Regelmäßig würde er dann während Städtebesuchen bei Mitarbeitern übernachten, um Kosten zu sparen und nicht allein sein zu müssen.

Von der Lust auf Neues ließ sich aber auch Oliver Samwer nicht abhalten. Schon früh hatten Sigmar-Jürgen und Sabine Samwer bei ihren Kindern den Grundstein für ein ausgeprägtes Interesse an anderen Kulturen gelegt. Während seiner Schulzeit zog es Oliver Samwer außer auf jene Privatschule in England zu einer französischen Austauschfamilie, mitten in die Banlieue der Hauptstadt, und auch sonst sollten er und seine Brüder die Lehren anderer Kulturen und Standorte suchen. Ihnen war von Haus aus eine schier unaufhaltsame Neugierde mitgegeben worden. Sie hielten Augen und Ohren stets offen, stellten unzählige Fragen und erweiterten ihre Schulbildung regelmäßig um Erfahrungen aus Praktika. Dass der erfolgreiche Internetmilliardär Oliver Samwer einst ein Praktikum in einem Sanitärbetrieb absolvierte und Toiletten und Waschbecken reparierte, scheint heute nahezu unvorstellbar.

So neugierig und erfolgshungrig die Samwers aber auch waren, sollte eines stets der Kern allen Schaffens bleiben: die Familie. Nur wenige Menschen scheinen so eng an ihre Ursprungfamilie gebunden wie das Gebrüdergespann aus Köln: Die Familie geht über alles. Wer in die wohlhabende Familie einheiratete, konnte sich auf lange gemeinsame Urlaube gefasst machen. Schließlich sollte Marc Samwer auch nicht der Einzige aus dem Gespann bleiben, der sich mit der Zeit an eine Familiengründung machte.

Freunde, Kollegen und Bekannte nehmen bei den Samwers eher die Rolle von Bauern auf einem Schachbrett ein. Sie sind Mittel zum Zweck, denen nur ein gewisses Maß an Loyalität und Freundschaft entgegengebracht wird und die im Zweifelsfall gegenüber der Familie zurückstehen müssen. Besonders Oliver Samwer gilt in seinem Umfeld als jemand, der aufgrund seines massiven Mangels an Vertrauen keine Freunde hat. Auf den Geburtstagsfeiern des Unternehmens trifft man daher vor allem berufliche Mitstreiter, wichtige Kontakte und Menschen, die (zumindest temporär) einen Nutzen für ihn und seine Brüder bereithalten. Denn wirklich lange mochten es beruflich nur wenige mit den Samwers aushalten. Früher oder später optimierten die Samwers ihre Geschicke immer auf ihren eigenen Vorteil und verprellten Weggefährten. Nie ließen sie jemanden in ihren engen Kreis, zu dem bis heute nur die Familie Zugang hat – Blut ist eben dicker als Wasser, gerade wenn es um Geldfragen geht.

»Marc ist nach außen immer der Charmante, der Außenpolitiker. ­Oliver Samwer treibt dann das Geschehen voran. Er hat einfach IT im Blut und geht wahrscheinlich mit dem Laptop ins Bett. Man merkt, das ist deren Welt, was ihr Schaffen durchaus fantastisch und beeindruckend macht. Alexander Samwer war immer eher ruhig, im Hintergrund, den bemerkte man gar nicht.«

Ein ehemaliger Geschäftspartner über das Schaffen der Samwers

Neben der Erziehung der Eltern Sigmar-Jürgen und Sabine zeichnet vor allem die Geburtenfolge der Samwers ein anschauliches Bild ihrer unterschiedlichen Charaktereigenschaften und vermittelt gleichzeitig die Grundlage für ihr späteres unternehmerisches Zusammenspiel. Auch wenn die Geschwisterposition letztlich nichts aussagen kann, gibt sie im Falle der Samwers doch einen Teil der Antwort, was drei gut situierte Brüder aus Köln zu den erfolgreichsten Internetunternehmern Europas gemacht hat. Als Erstgeborenem war dem 1970 zur Welt gekommenen Marc Samwer zunächst ein Großteil der elterlichen Aufmerksamkeit zugekommen, ehe drei Jahre später die Geburt des mittleren Bruders Oliver möglicherweise so etwas wie eine psychologische »Entthronung« mit sich brachte. Die oft beobachtete Reaktion, dass Erstgeborene in der Folge diesen Statusverlust durch ein besonderes Maß an Tüchtigkeit und Vernunft sowie die Übernahme von Verantwortung wieder wettmachen wollen, scheint bei Marc Samwer nicht unplausibel. Im wirtschaftlichen Schaffen der Samwers fiel dem ältesten Bruder oft die Rolle des verkaufsorientierten Charismatikers zu, der als Jurist jene Verbindung aus Vernunft und Verantwortungsbewusstsein verkörpert.

Dem Zweitgeborenen kommt in diesem Konstrukt so etwas wie die Rolle als »Herausforderer« zu, der mit dem Erstgeborenen in Konkurrenz tritt. Auch Oliver Samwer dürfte als Mittelkind einen schweren Stand gehabt haben, besaß er doch weder die Überlegenheit und Privilegien des Erstgeborenen Marc noch die besondere Aufmerksamkeit, die dem zwei Jahre jüngeren Nesthäkchen Alexander geschenkt wurde. Möglicherweise könnte der Kampf um die Beachtung der Eltern durch forderndes und aggressives Verhalten14 ­Oliver Samwers Verhalten erklären, das er ja selbst mit »I will die to win« zusammengefasst hat. Der unbedingte Wille zu gewinnen, der vor allem ihn antreibt und das Verhältnis zu seinen beiden Brüdern wesentlich mitgestaltet, begründet sich aus der Geschwisterposition, sagt man doch insbesondere gleichgeschlechtlichen Kindern mit geringem Altersunterschied einen besonders großen Konkurrenzkampf nach.15

Mit zwei charismatisch-kontaktfreudigen älteren Geschwistern vor sich, suchte sich Alexander Samwer, der jüngste Bruder, womöglich seine eigene Lücke und agiert seither als eine Art Stratege des Trios. Während viele Drittgeborene durch aufmerksamkeitsheischendes Verhalten versuchen, aus dem übermächtigen Schatten der älteren Geschwister zu treten, fällt Alexander Samwer eher durch ein ungemein hohes Maß an Ruhe, Intelligenz und Sachverstand auf. Das wird sich später durch gleich mehrere Abschlüsse an internationalen Eliteuniversitäten manifestieren. Im Kontrast zu seinem rebellisch-dominanten Bruder Oliver komplettiert der eher vernünftige und zurückhaltende Alexander Samwer die Geburtenfolge auf seine ganz eigene Weise. Als Einheit betrachtet, verfügen die Samwers daher über einen Aggressor in der Mitte (Oliver), einen Diplomaten an der Spitze (Marc) und einen hochbegabten Intellektuellen als strategisches Gehirn (Alexander). Diese einzigartigen Fähigkeiten jedes Einzelnen verbinden sie durch gegenseitiges Vertrauen und Nähe untereinander. In Kombination mit dem familiären Vertrauensband und dem unbedingten Siegeswillen eine starke Kombination, mit der die Samwers es bis ganz an die Spitze schafften.

Marc Samwer – der charmante Erstgeborene

Die Eigenheiten von Marc Samwer sind schnell erzählt: Er ist ein Charismatiker, ein jovialer Mann von hohem Wuchs, der bereits durch seine Körpergröße beeindruckt und es auch darüber hinaus versteht, andere für sich einzunehmen. Wenn man so will, äußerlich ein echter Gewinnertyp, dem es quasi zufällt, dass andere ihn mögen und der sein Gegenüber beinahe genauso geschickt umgarnen kann wie sein jüngerer Bruder Oliver. Im Gegensatz zu Oliver, der in der Internetbranche durch unterschiedliche sprachliche Marotten aufzufallen weiß – etwa durch seine von Kriegsmetaphern durchzogene Rhetorik, seine nasale Sprechweise oder das Beenden nahezu jedes englischsprachigen Satzes mit der Silbe »ja?« –, bietet das Auftreten von Marc Samwer deutlich weniger Angriffsfläche. Er ist ein guter Redner, der es vermag, Sachverhalte leicht verständlich herunterzubrechen. Er kann sachlich argumentieren, ohne dabei allzu viel von sich preiszugeben.

Auch fehlt öffentlichen Auftritten von Marc Samwer die subtil selbstverliebte Note seines jüngeren Bruders. Als Ältester des Unternehmertrios vermittelt er vielmehr die Vernunft eines Erstgeborenen, der seine schützende Hand über seine jüngeren Brüder hält. Durch sein sachliches und ruhiges Auftreten scheint er selbst kritische Themen zu handhaben. Ihm und seinen Brüdern ist gemein, dass sie sich nicht sonderlich für ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit interessieren. Wenn es um die Hintergründe ihres Unternehmens geht, sind sie zurückhaltend. Dies war jedoch nicht immer so. Zu Beginn ihrer Karriere suchten auch die Samwers das Rampenlicht der Medien und konnten ihren frühen Gründungen dadurch zu nationaler Aufmerksamkeit verhelfen. Marc Samwer präsentierte zu dieser Zeit gemeinsam mit seinem Bruder Oliver das Gesicht der Firma in der Öffentlichkeit, verstand er es doch durch sein eindrucksvolles Auftreten, die Medien für sich und seine Brüder einzunehmen. Nachdem die Medienwelt mit der Zeit aber immer mehr offenbarte, dass sie sich nicht von den Samwers instrumentalisieren lassen wollte, zogen sich die Samwers aus der Öffentlichkeit zurück. Zu viel Angriffsfläche für Kritik bot ihr unternehmerisches Vorgehen.

Doch das Gesicht, das die Öffentlichkeit von Marc Samwer sieht, hat nicht zwangsläufig etwas mit dem Auftreten zu tun, das er in seinen Unternehmen zeigt. Intern haftet dem Samwer-Ältesten der Ruf eines geschickten Manipulators an, der durch sein beeindruckendes Verkäufertalent zu überzeugen weiß, aber gerne auch mal mit gespaltener Zunge spricht. Ehemalige Mitarbeiter sagen dem Samwer-Ältesten eine gewisse berechnende Unaufrichtigkeit nach und beschreiben ihn als jemanden, der häufig hinter dem Rücken seines Gesprächspartners anders als im direkten Kontakt spricht. Wie so oft lässt sich dieser schlechte Ruf nicht belegen, solche Zuschreibungen ziehen sich jedoch wie ein roter Faden durch die Erzählungen über Marc Samwers. Als studierter Jurist lag Marc Samwers inhaltlicher Schwerpunkt zunächst auf der rechtlichen Betreuung der unterschiedlichen Samwer-Unternehmen – ein Bereich, in dem er durch sehr gute Arbeit zu überzeugen wusste. Über die Zeit wurde dieses Aufgabenfeld sehr groß, entstand doch ein umfangreiches Geflecht an Samwer-Gründungen. Es sollte vor allem eine Taktik des »Outspendings« werden, derer sich die Samwers bedienten, um ihre externen wie internen Gegner auszuschalten: Stets würde ein Samwer andere durch pure Masse überflügeln, sei es durch haufenweise gestreute Werbung, deutlich höhere Gehälter zur Mitarbeiterabwerbung oder undurchdringliche Rechtsdokumente. Denn schnell wurde unter der Anleitung von Marc Samwer auch das Samwer-Vertragswerk derart komplex, dass es für die Mitstreiter des Trios viele Stunden bei einem teuren Anwalt gebraucht hätte, um die zahlreichen ineinander verschachtelten Klauseln und Verträge verstehen und aushandeln zu können – Marc Samwer, ein Menschenfänger mit Juristenverstand.

Trotzdem war der an der Universität Köln in Rechtswissenschaften ausgebildete Mann stets weit davon entfernt, ein juristischer Schreibtischarbeiter zu sein, sondern er agierte unternehmerisch getrieben. Marc Samwer hatte einen merklichen Erfahrungsvorsprung, als er sich mit seinen Brüdern zusammentat und binnen gut eines Jahrzehnts ein eigenes kleines Internetimperium aufbaute. Mit der Zeit wurde seine unternehmerische Teilhabe daher zusehends größer. Mit seinen Brüdern verband ihn nicht nur ein scharfer Geist, die Passion zum Geschäftemachen und eine hohe Auffassungsgabe, sondern ebenso Entscheidungsfreude. Er gilt daher neben seinem Bruder Oliver als der talentierteste Samwer, wenn es um die Umsetzung überambitionierter Wachstumspläne geht. Sein gutes Gespür für Menschen und seine gewinnende Art bescherten dem studierten Juristen eine große Überzeugungskraft und so vermochte er es immer wieder, Organisationen zu Höchstleistungen zu peitschen.

Dennoch gilt Marc Samwer als der am wenigsten talentierte Unternehmer des Brüdergespanns. Zwar überragen seine Intelligenz und Umsetzungsstärke deutlich den Durchschnitt, doch seien ihm sowohl Alexander als auch Oliver in diesen Disziplinen merklich voraus. Externe Kenner der Samwers sind sich deshalb einig: Ohne seine Brüder wäre Marc wohl weniger erfolgreich, hätte kein solches Imperium errichten können, wie es ihm mit der Unterstützung des Strategen Alexander und des Umsetzers Oliver gelungen ist. Das es letztlich doch keinen so großen Unterschied der Talente der Brüder gibt, bewies Marc beim Coupon-Anbieter Groupon, für den er mit seinen Brüdern das internationale Geschäft verantwortete. Dabei überflügelte er den für Deutschland zuständigen Oliver merklich. Wenngleich Oliver Samwer durch das aggressivere Vorgehen bei der Umsetzung der Geschäfte und Alexander Samwer durch eine ausgeprägte Intelligenz auffallen mögen, zeigt also auch Marc Samwer eine Vielfalt an Fähigkeiten, die ihn zu Spitzenleistungen befähigen. Den Leitwolf sollte der älteste Bruder der Kölner Familie trotzdem nicht mimen. Diese Rolle fiel seinem nächstjüngeren Bruder Oliver zu: Er ist der dominante Part des Gespanns.

Oliver Samwer – das Sandwich-Kind mit dem Siegeswillen

Im Kern dreht sich die Schaffenskraft von Oliver Samwer um die drei organisatorischen Elemente Geschwindigkeit, Fokussierung und Effizienz, die bei ihm eng miteinander verwoben sind. Wer den mittleren Samwer-Bruder trifft, merkt schnell, dass Oliver Samwer pure Geschwindigkeit ist. Während andere Unternehmer in Tagen oder Wochen funktionieren, arbeitet er in Stunden und Minuten, setzt mehrere Aspekte parallel um und springt regelmäßig zwischen unterschiedlichen Themenaspekten. Bei all seinen Unternehmungen geht es für ihn deshalb nur um eines: schneller zu sein als die Konkurrenz – koste es, was es wolle. Er scheint dafür einen ganz speziellen Riecher zu haben, der ihm mit Zuverlässigkeit signalisiert, ob und wann es eine Möglichkeit gibt, Vollgas zu geben. Zuerst testet er unterschiedliche Vorgehensweisen an, ehe er die identifizierte erfolgreichste Methode in rasender Geschwindigkeit umsetzt. Wer sich noch an die Werbeoffensive des Klingeltonanbieters Jamba erinnert, kann erahnen, in welche Dimensionen der mittlere Samwer vorstößt.

Oliver Samwer ist derjenige, der schneller umschaltet als alle anderen. Sobald er eine Sachlage erfasst hat, lässt er das, was er entschieden hat, umsetzen, geht so lange in Details und macht Druck, bis auch die letzte Möglichkeit ausgeschöpft ist. Es scheint, als wenn er sein Handeln nur noch über kurze Impulse steuert. Denn in der Fähigkeit, Entscheidungen so schnell wie kaum ein anderer Unternehmer treffen zu können und diese in all ihrer Konsequenz bis an die Grenzen der Zumutbarkeit durchzuexerzieren, liegt schließlich eines der Erfolgsgeheimnisse von Oliver Samwer. Er ist in der Lage, in rasantem Tempo stets die rational beste Entscheidung zu treffen und diese anschließend eisern, mit völliger Emotionslosigkeit umzusetzen. Auch der Umfang der Entscheidung spielt für ihn keine Rolle. Ob er ein mittleres Marketingbudget umdisponiert, jungen Gründern das Geld für die gemeinsame Gründung entzieht oder einen Unternehmensstandort mit 400 Angestellten schließt (wie dies beim Türkei-Standort seines Inkubators der Fall war), macht für ihn in der Sache keinen Unterschied. Wenn es um sein Geld geht, favorisiert er lieber ein Ende mit Schrecken als den Schrecken ohne Ende. Wo andere Unternehmer noch versuchen, eine potenzielle Pleite durch das Drehen von Stellschrauben abzuwenden, ist ein Oliver Samwer längst zur nächsten Gelegenheit weitergelaufen und hat seine Geschicke erneut optimiert.

Das tempofixierte Alphatier verfolgt stets die Devise, die beste ­Entscheidung zu fällen, auch wenn diese mit entsprechenden Kosten verbunden ist. Und selbst wenn sich eine seiner Entscheidungen im Nachhinein als falsch ­herausstellt – und dies kommt auch bei den Samwers nicht selten vor –, sichert ihm seine hohe Geschwindigkeit, dass er eine Fehlentscheidung deutlich vor allen anderen bemerkt und revidieren kann. Ob die Laufrichtung einer Unternehmung die richtige ist, scheint in der Samwer’schen Denke folglich nicht die wichtigste Rolle zu spielen. Zentral ist vielmehr, dass Oliver Samwer und seine Wegbegleiter als Erste ans Ziel gelangen, um notfalls als Erste wieder in eine andere Richtung laufen zu können. Hauptsache entscheiden, Hauptsache schnell.

Schnelligkeit und seine Auffassungsgabe heben Oliver Samwer deutlich hervor, doch es gibt eine Eigenschaft, die ihn wirklich von allen anderen absetzt – das ist diese ganz eigene Art, wie er mit Menschen umgeht und sie steuert. Er verfügt über die Fähigkeit, in seinem Gegenüber Wünsche und Begehren auszumachen, und ist dann in der Lage, diese in Aussicht zu stellen, um das Verhalten zu erzielen, das er sehen möchte. Ist es in seinem Interesse, verströmt er eine inspirierende, anregende Aura, der selbst Größen der internationalen Finanzwelt mit Leichtigkeit verfallen. Glaubt man dem Flurfunk seiner aktuellen und ehemaligen Mitarbeiter, reicht sein emotional-psychologisches Repertoire von cholerischen Schreianfällen, während derer er Monitore vom Tisch wischt, bis hin zu sanft und säuselnd vorgetragenen Komplimenten. Mal signiert er E-Mails mit einem nahezu liebevollen »Dein Oli«, mal ruft er sieben Mal hintereinander nachts um drei an und schreit herum. Ähnlich wie häufig auch Diktatoren in dem Ruf stehen, in gewissen Kreisen ungemein charmant gewesen zu sein, versteht es auch Oliver Samwer, zum richtigen Zeitpunkt reizend im Umgang zu sein.

Wie schafft es Oliver Samwer, alle anderen um den Finger zu wickeln? In der Regel durch psychologischen Druck. Menschen, die von ihm abhängig sind, redet er ein, dass sie schlecht seien, grobe Fehler gemacht oder sein Vertrauen missbraucht hätten. Schnell macht sich dann Panik breit, besteht doch meist ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis zu den Samwers. Oliver Samwer achtet in diesen Beziehungen darauf, immer ein Druckmittel in der Hinterhand zu haben. Und selbst wenn es daran fehlt, droht er einfach damit, seinem Mitarbeiter jede Tür in der Internetbranche zu verschließen, und verfehlt damit nicht seine Wirkung. In der Beziehung zu Fremden baut er auf Emotionalität, um ein Gefühl der Verbundenheit zu suggerieren. Dabei legt er praktisch keinen Wert auf gemeinsame Beziehungen, nutzt sie aber sehr wohl, um andere moralisch auf diese Beziehungen zu verpflichten. Selbst Menschen, die er kaum kennt, fährt er empört an, wie sie ihn derart enttäuschen konnten und setzt sie einem Wechselspiel aus Aggressionen, Liebenswürdigkeit und Enttäuschung aus.

In seinem Kern ist Oliver Samwer durch diese Grundhaltung ebenso ein Verkaufsgenie, eine Art Machiavellist mit stark manipulativem Auftreten, der sich für nichts zu schade ist, wenn er etwas erreichen will. Sein Vorgehen hat damit das, was gerne auch der chinesischen Unternehmerkultur zugeschrieben wird: Er versteht das Geschäftemachen als Kriegsführung und setzt Menschen stets strategisch und berechnend ein. So vermutet ein Vertrauter der Familie, dass Oliver Samwer bereits in der Jugend schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben könnte und deshalb nur zu seiner Familie ein enges Verhältnis aufweist und Menschen sonst eher als Mittel zum Zweck betrachtet. Wer Oliver Samwer ein marktfaires Verhalten abringen oder mit ihm eine anhaltende Geschäftsbeziehung etablieren will, muss in der Regel etwas besitzen, dessen Verlust ihm wehtun würde. Wer sich mit dem geschickten Geschäftemacher einlässt, muss sich aber genauso darüber im Klaren sein, dass Oliver Samwer stets versucht, für sich die besten Konditionen herauszuhandeln, und in der Lage ist, die entscheidenden Faktoren jeder Vereinbarung zu seinen Gunsten zu beeinflussen, ohne dass das Gegenüber es wirklich bemerkt. Oliver Samwer kennt die Stellschrauben zum Erfolg deutlich besser als viele andere, schöpft den Rahmen einer Transaktion bis an die Grenzen der Legalität aus und betrachtet weniger moralische denn wirtschaftliche Ergebnisse.

»Es sind oft dieselben zwei Gründe, weshalb sich Leute negativ über ihn äußern: Man hat seine eigentlich sehr direkte und klare Art nicht verstanden und fühlt sich unfair behandelt. Viele denken aufgrund seiner gewinnenden Art aber auch, dass sie mit Oliver Samwer eng befreundet sind. Ein solches Freundschaftsgefühl führt dann dazu, dass Erwartungen an sein Verhalten aufgebaut werden, die der Realität nicht entsprechen. Wer das, was Oliver Samwer sagt, für bare Münze nimmt und nicht angepasst in seine eigene Sprache übersetzt, macht aber ohnehin etwas falsch. Ein Oliver Samwer muss bei all seinen Pflichten Dinge auch überspitzen und überhöhen, schließlich hat er wenig Zeit, weshalb er sich kurz fasst. Man muss diesen Pragmatismus auch verstehen. Wer also immer eine professionelle Distanz wahrt und in der Lage ist, Diskussionen offen, direkt und ergebnisorientiert zu führen, wird mit Oliver Samwer keine Probleme haben.«

Jambas langjähriger Pressechef Tilo Bonow über die Arbeit mit Oliver Samwer

Oliver Samwer genießt einen Ruf als cholerischer Perfektionist. Dutzende Geschichten grassieren über ihn. Er werfe Büromaterialien nach Angestellten und selbst gestandene Manager verließen weinend Meetings. Doch oft scheint es sich dabei auch um Kalkül zu handeln. Im einen Moment brüllt er einen Meetingraum mit einem halben Dutzend hochrangiger Angestellter zusammen, im nächsten umgarnt er einen wichtigen Kontakt am Telefon, um nach dem Auflegen wieder eine Wutrede zu halten. Gespielte Aggressivität und Freundlichkeit zählen zu den Werkzeugen dieses Sozial-Chamäleons auf dem Weg zum alles überragenden Ziel: dem unternehmerischen Gewinn. Diese Fähigkeiten machen Oliver Samwer letztlich zum geborenen Anführer, der sich und seinen Mitarbeitern Unmenschliches abverlangt. Durch die Aussicht auf großen Reichtum, gigantische Lerneffekte und geschickte psychologische Manipulation schafft er es, andere Menschen Dinge realisieren zu lassen, die sie selbst nicht für möglich gehalten hätten. Zu seiner Taktik zählt es, Ziele derart hoch zu stecken, dass von vornherein klar ist, dass sich diese nicht erreichen lassen. Eine Kultur des Lobens fehlt und selbst wenn es gelänge, die maßlos übertriebenen Ziele zu erreichen, würde Oliver Samwer noch bessere Ergebnisse fordern. In dem Versuch, die gesetzten waghalsigen Ziele dennoch zu realisieren, gehen seine Angestellten über das, was üblich und gesund ist, deutlich hinaus.

Kein Wunder: In jede seiner Unternehmungen bringt Oliver Samwer diese wahnsinnige Energie, die in Verbindung mit seinem Fokus auf das Wesentliche eben jenen Kraftakt ermöglicht.

Dieser auf Leistung getrimmte Führungsstil funktioniert aber nur, weil er ihn selbst lebt. Auch der dreifache Familienvater selbst ordnet alles seinem Erfolg unter. Zur Not kommt seine Familie eben ohne ihn aus, treibt ihn doch dieser unbändige Wille an, zu gewinnen. Alles ist für ihn wie ein Sport, und Gewinnen ist das eine hehre Ziel, dem er alles andere unterordnet – auch sich selbst und seine Gesundheit. Geschichten von einem Oliver Samwer, der im Büro schläft, bereits im Taxi vom Flughafen Interviews gibt und Telefonate erledigt, selbst aus dem Kreißsaal noch Umsatzzahlen erfragt oder nach Reisen um den gesamten Erdball noch mehrstündige Ansprachen vor der Belegschaft hält, gibt es genug. »Execution-Sau« oder »Ausführer vor dem Herrn« sind die Titel, die er von seinen Mitarbeitern verliehen bekommt. Die Energie dieses Mannes scheint keine Grenzen zu kennen.

»Oliver Samwer hat Benzin statt Blut in den Adern. Er arbeitet härter als jeder, den ich kenne, und als Manager hat man genau deshalb großen Respekt vor ihm. Er hat ja auch nie Zeit, was einem das Gefühl vermittelt, dass seine Aufmerksamkeit ein sehr wertvolles Gut ist. Wenn er einen mit einem starren Blick anguckt, will man ihm gefallen, weil es eine kleine Ehrung ist, wenn er lacht oder einem sonst eine positive Reaktion schenkt, die diesen Stresszustand auflöst. Der Vergleich ist sicherlich sehr krass, aber ein wenig ist das wie bei einer Frau, die von ihrem Mann geschlagen wird: Es löst Glücksgefühle aus, wenn du keine Schläge abbekommst. Man muss Oliver Samwer aber auch Paroli bieten, dann kann man gut zusammenarbeiten.

Oliver Samwer ist in seinem Verhalten sehr konsistent und berechenbar. Er behandelt alle Leute gleich und sagt einem sehr genau, was er erwartet. Er hat auch kein Ego, sondern lässt immer das beste Argument gewinnen – eine Eigenschaft, die Respekt verdient. Am Ende des Tages geht er in seiner Arbeit einfach derart auf, dass er es eben super persönlich nimmt, wenn etwas, was er zum gegebenen Zeitpunkt für wichtig hält, nicht geliefert wird. Dann schreit er herum und macht Druck.«

Eine ehemalige Führungskraft über Oliver Samwer

Oliver Samwers Arbeitsweise ist eben auf das Mantra der Geschwindigkeit ausgelegt. Stets schreibt der Kölner lediglich kurze Stakkato-Mails aus einzelnen Sätzen oder Worten, um aus der Ferne unterschiedliche Angestellte zu steuern. Eine öffentlich gewordene umfangreiche E-Mail von 2011, in der Samwer einen Blitzkrieg gegenüber der Konkurrenz ausruft, spiegelt zwar seine Vorstellung vom temporeichen Wettstreit in der Unternehmenswelt wider, fällt gegenüber seinem sonst eher kurzen Telegrammstil aber aus der Reihe. Er fasst sich in der Regel lieber kurz und kann jedem seiner Mitarbeiter, egal in welchem Kontext, rasant schnell antworten – sei es per E-Mail oder Kurzanruf. Wer Teil von Oliver Samwers Führungsstil des »Management by Telephone« ist, kann sich darauf einstellen, dass es kein »Hallo« und kein »Auf Wiedersehen« gibt, sondern dass es immer sofort zur Sache geht und dass der Unternehmer mit Knopf im Ohr sein Gegenüber gerne auch mal mitten im Satz wieder wegdrückt.

Sozial ist Oliver Samwer eher ein Exzentriker, ein Mann, dem sein Umfeld lange Probleme bereitet hat und der sich die Welt so hinbiegt, wie sie ihm passt. Er fährt mit seinem Porsche Cabrio durch München, geht aber in Sandalen und kurzen Hosen ins Büro. Würde man sein Verhalten an einer ­Soziopathen-Checkliste überprüfen, er würde wohl viele Punkte erfüllen. Doch wenngleich dieses Verhalten unberechenbar erscheint, folgt es für gewöhnlich einem Konzept. Wie kein Zweiter verfügt Oliver Samwer über ein ausgemachtes »Überzeuger-Gen«. Er spielt die komplette Klaviatur der Beeinflussung, sofern er denn ein inhaltliches Interesse an seinem Gegenüber hegt. Denn auch jegliche Form der Hierarchie ist ihm herzlich egal. Ob er einen Mitarbeiter oder Geschäftsführer anschreit, macht für ihn keinen Unterschied. Selbst vor seinen Brüdern macht er nicht Halt. Dass er bei Gruppentelefonaten mit Dutzenden Länderverantwortlichen etwa regelmäßig auch einen seiner Brüder mit Worten wie »Jeder hat’s gerafft, nur du nicht« runterputzt, ist bei Oliver Samwer keine Seltenheit.

»Oliver Samwer hat eine völlige Abneigung gegenüber Smalltalk. Wenn er eine Person für unbedeutend hält oder sich nicht für ihre Belange interessiert, verbringt er auch praktisch keine Zeit mit ihr, sondern lässt sie einfach stehen. Er sagt nicht Hallo, er sagt nicht Auf Wiedersehen, sondern lässt Leute völlig im Regen stehen. Auch bei Telefonaten fängt er einfach an loszureden und legt auf, sobald er gesagt hat, was er sagen wollte. Er praktiziert diese soziale Kälte mit einer derart frappierenden Skrupellosigkeit, dass man sich unmittelbar eingeschüchtert fühlt und in der Regel irritiert zurückbleibt.«

Ein ehemaliger Manager über Oliver Samwers Sozialverhalten

Wie in seinem unternehmerischen Schaffen allgemein, konzentriert sich ­Oliver Samer auf ausgewählte Fokusthemen und versucht nach Möglichkeit, jedes Problem unmittelbar zu lösen, auch wenn es einige Stunden Telefonkonferenz mit mehreren Verantwortlichen erfordert. Schließlich ist das Fehlen umfangreicher Hierarchieebenen und langer Entscheidungswege ein weiteres zentrales Merkmal, mit dem Oliver Samwer eine hohe Effizienz seiner Organisationen sicherstellt. Er ist der Alleinherrscher in seinem Unternehmensreich, und zu lange Diskussionen und komplexe Entscheidungswege gibt es nicht. Vielmehr betrachtet er es persönlich als eines seiner Erfolgsgeheimnisse, dass er seinen Mitarbeitern sehr schnell viel Vertrauen und Verantwortung gibt, sodass diese auf Grundlage gemeinsamer Ziele autarke Entscheidungen treffen können.

Alphatier, Maximierer, Verkaufsgenie, Machiavellist, Perfektionist, ­Execution- Sau oder Exzentriker – mit vielen Zuschreibungen wird versucht, Oliver Samwer zu charakterisieren. Doch dem Unternehmer aus Köln ist überraschenderweise auch eine ausgeprägte Risikoaversion zu eigen. Stets suchte er sich wohlhabende Geldgeber, die seine ungemein hoch bewerteten Unternehmungen finanzierten und ihm die Munition für seine »Blitzkriege« lieferten. Nach seinen ersten – für seinen Geschmack verfrühten – Unternehmensverkäufen resümierte er später selbst, dass es vor allem der konservative Hintergrund seiner familiären Herkunft war, der ihn und seine Brüder so vorsichtig machte und eine ausgeprägte Risikoaversion mit auf den Weg gab. Belege für diese Risikoscheu gibt es genug: Bis im Jahr 2014 ein Börsengang seines Firmenimperiums Rocket Internet anstand, hatte der sonst so aggressive Executer keinen Positionstitel inne, sondern ließ andere das formelle Risiko tragen. Glaubt man einem Vertrauten der Familie, verbindet ihn und seine Brüder bis heute eine ausgeprägte Angst vor dem Tod und vor Krankheiten und auch beruflich bestand deshalb stets ein gewisses Sicherheitsnetz für die Samwers.

»Die Brüder achten schon sehr stark auf ihre Gesundheit. Sie trinken kaum Alkohol, rauchen nicht und haben praktisch immer Boxen mit rohem Gemüse bei sich. Sie sind wirklich sehr darauf bedacht, keinen Mist zu essen, und einmal, als ich krank war, hat einer von ihnen einen Koffer voll mit homöopathischen Medikamenten herausgeholt und mir eine ganze Batterie aus kleinen Kügelchen in die Hand gestreut, die ich doch nehmen solle. Da sind sie sehr diszipliniert.«

Eine ehemalige Rocket-Führungsperson über den Lebensstil der Samwers

Während es die Samwers zusammen auf ein kolportiertes Privatvermögen von über einer Milliarde Euro gebracht haben dürften, sind im Dunstkreis von Oliver Samwer nur sehr wenige reich geworden. Schließlich gilt es im Umgang mit dem Firmenpatriarchen inhaltlich ein gutes Näschen, formal eine genaue Kenntnis der Materie und operativ Nähe zum Hochgeschwindigkeitsbetrieb der Samwers mitzubringen, will man gegenüber dem Internetunternehmer dauerhaft bestehen. Andernfalls steigt die Gefahr, durch Oliver Samwers Verhandlungsgeschick und operative Dynamik abgehängt zu werden. Selbst seine Brüder verblassen gemessen an seiner Schaffenskraft zu Ausführenden seiner Ideen. Doch Oliver verbindet mit Marc und Alexander ein starkes Band des Vertrauens. Marc und Alexander Samwer sind für das Mastermind so etwas wie Unterstützungssysteme im Hintergrund, die ihm helfen, alle Ressourcen in eine Richtung zu lenken.

Alle anderen bleiben für ihn lediglich Angestellte. Die Leiter seiner Gründungen bleiben reine Projektmanager und Umsetzungsgehilfen seiner Anweisungen, während er und seine Brüder als kompetente Gründer auftreten. Insofern haftet Oliver Samwer auch ein gewisser Narzissmus an, attribuiert er Erfolg doch gerne auf sich. Zahlreiche seiner ehemaligen Weggefährten sagen dennoch, dass es eine Ehre sei, einmal mit Oliver Samwer zusammengearbeitet zu haben. Schließlich sei es ein Ereignis, ihn und seine einzigartige Arbeitsweise zu erleben.

Die Schattenseite dieses Erfolgsstrebens liegt darin, dass er seine Mitarbeiter nicht nur die Grenzen ihrer Kräfte, sondern auch die ihrer Moral vergessen lässt. Von den »Samwer-Schergen«, jenen willigen Befehlsempfängern der Samwers, denen der Kampf mit harten Bandagen, das Abzocken und das Fertigmachen von Menschen vorgelebt wurde, wird noch öfter zu reden sein. Denn Mitarbeiter aus dem direkten Umfeld von Oliver Samwer machen sein Verhalten oft zu ihrem und stellen ihren Ziehvater als Rechtfertigung für ihr Tun hin. Da es dem Gefolge jedoch meist an dessen Know-how oder Intellekt fehlt, geraten diese Nachahmungen zumeist zu einem billigen Abklatsch. Jene zweite Führungsebene beschert nicht selten ein schlechtes Arbeitsklima und bildet den Ursprung vieler Abzocker- und Sklaventreibergeschichten über den Samwer-Clan.

Wer auf der Zielgeraden des Samwer-Erfolgs auf der Strecke bleibt, ist ohnehin ein beliebtes Thema in der Branche. Den Samwers haftet nicht nur der Ruf an, in ihren Betrieben mit Druck, cholerischen Anfällen und hohen Ansprüchen zu arbeiten. Man sagt ihnen auch Skrupellosigkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber Partnern und Mitarbeitern nach. Ob dies zutrifft, ist die Frage, da das Image der Kölner Brüder durch Neid und üble Nachrede geprägt ist. Es wird vor allem von denen erzählt, die dem Verhandlungsgeschick von Oliver Samwer erlagen oder sich von der Konsequenz bei der Umsetzung von Entscheidungen überrumpelt fühlten. In dieser Hinsicht gilt für Oliver Samwers Verhalten dasselbe wie für das Organisationsgeflecht des Brüdergespanns insgesamt: Entscheidungen scheinen aus dem Bauch heraus gefällt zu sein, die Grundlage des Vorgehens bildet jedoch eine streng datengestützte Analyse der Sachverhalte. Haben die Brüder ihre Ressourcen platziert, prüfen sie die Effektivität jeder Maßnahme genau und schalten kategorisch alle Nicht-Performer aus. Auch deshalb hat sich in der Szene herumgesprochen, dass es sich nicht empfiehlt zu kaufen, wenn ein Samwer verkauft. Allzu oft tunen Oliver Samwer und seine Brüder ihre Gründungen mit teurem Marketinggeld. Wenn sie sich und ihre Umsetzungsstärke abziehen, gehen die Umsätze zurück.

»Zu viele Menschen glauben ihren eigenen Pressemitteilungen. Messt Erfolg nicht an Berichterstattung, sondern ökonomischem Einfluss. […] Betreibt ein Start-up wie eine Bäckerei: Backt am Morgen, verkauft über den Tag und zählt die Einnahmen in der Nacht! […] Fürchtet euch nicht davor, im Dreck zu leben. […] Braveheart sah so aus, wie er lebte: im Schmutz. Schaut euch den Film ruhig an, er ist die meiste Zeit schmutzig. Die schöne Frau lebt in einem großen Zelt. Und der Verlierer lebt auch in einem großen Zelt. Da seht ihr es […]: große Büros tendieren dazu, zu Verlierern zu werden. McKinsey hat sehr große Büros. Wenn du ein Unternehmer bist, bist du schmutzig. […] Geht zu McKinsey, wenn ihr gescheitert seid. Warum vorher? Jetzt seid ihr jung. Ihr solltet glücklich sein. Gott hat euch das Internet gegeben!«

Oliver Samwer zu unterschiedlichen Gelegenheiten über seine Arbeitsmaximen16

Oliver Samwer bringt jene typischen Unternehmereigenschaften mit, die ihn vom typischen Angestellten abheben. Er ist ein eher egoistischer Detailfanatiker, von dessen gutem Willen viel in seinem Umfeld abhängt. Was er will, wird umgesetzt. Einige Disziplinen wie das Verhandeln, das Treffen von schnellen Entscheidungen oder die kurzfristige Optimierung beherrscht er unfassbar gut, in anderen Belangen wie Zuhören, Geduld oder Tiefenanalyse zeigt er kaum Ambitionen. Diese Charaktereigenschaften bringen es mit sich, dass seine Unternehmungen häufig explosionsartig anwachsen, nach einer wirtschaftlichen Klimax aber genauso schnell wieder in sich zusammenschrumpfen können. Oliver Samwer ist ein Antreiber, dessen Schaffen nicht selten einen Impuls erzeugt. Wenn er selbst jedoch ausscheidet oder wenn er langfristige und nachhaltige Erfolgskonstrukte errichten soll, stößt das Konzept Oliver Samwer an seine Grenzen.

Alexander Samwer – Nesthäkchen mit intellektueller Genialität

Alexander Samwer ist nicht der ungeduldig auf Wachstum ausgerichtete Unternehmertypus, er ist ein hochbegabter Intellektueller, der seine Brüder in Sachen Intelligenz deutlich überragt. Seine Position im Trio der drei Internetpaten speist sich aus der ruhigen und freundlichen Art eines strategischen Feingeistes, der anderen und ihrer Arbeit aufrichtiges Interesse entgegenbringt. Er beeindruckt durch seine Weitsicht. Alexander Samwer gilt als der Umgänglichste des Trios, als menschlich, höflich und zurückhaltend. Alexander Samwer genießt den Ruf, Beziehungen weniger berechnend aufzubauen, sich rücksichtsvoll und mit Respekt zu verhalten. Ursächlich dafür mag seine studentische Heimat an internationalen Eliteuniversitäten wie Oxford oder Harvard sein, wo der jüngste der Samwer-Brüder nicht nur hervorragende Abschlüsse ablegte, sondern sich auch seinen Sinn für das Intellektuelle und die Gemeinschaft aneignete.

Alexander Samwer scheint vielmehr eine Denkmaschine, die ein Thema in einem Tempo und einer Vielfalt erfasst, wie es nur wenige Menschen auf diesem Planeten vermögen. Er verfügt über die Fähigkeit, rasant herauszufinden, an welcher Stelle die Wachstumshebel einer Unternehmung liegen, in welcher Reihenfolge diese zu bedienen sind und welche Erfordernisse, Probleme und Hürden auf dem Weg mit welcher Wahrscheinlichkeit auftreten werden. Seine Analytik befähigt ihn dazu, den Finger in die Wunde zu legen, wenn einer Gründung auch nur ein Teil dieser Ablaufschritte fehlt und sie damit droht, ein weniger großer Erfolg zu werden. Es überrascht daher nicht, dass Weggefährten ihn durch die Bank als intelligent, analytisch, ruhig und freundlich charakterisieren. Als einen Mann, der im Gegensatz zu seinen Brüdern in der Lage ist, auch einmal länger als zehn Minuten einem Gespräch zu folgen oder konzentriert die wichtigen Parameter einer Gründung zu analysieren. Der auch mal einen Schritt zurücktritt, um das große Ganze zu betrachten und länger darüber nachzudenken.