Die Safari meines Lebens - Fabrizio Sepe - E-Book

Die Safari meines Lebens E-Book

Fabrizio Sepe

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Beschreibung

"Wir müssen lernen, mit den Tieren und der Natur zusammen in Harmonie zu leben. Auch um unsere Zukunft zu retten. Wir sollten das Leben feiern und dankbar für die Natur und den natürlichen Kreislauf sein. Alles ist miteinander verbunden." Der Serengeti-Park Hodenhagen ist einzigartig in Europa. 220 Hektar Land, 1500 exotische Tiere und eine Vergnügungswelt mit über 100 Attraktionen, Fahrgeschäften und verschiedenen Shows sowie zahlreiche Übernachtungsmöglichkeiten. Jährlich kommen mehr als 700.000 Besucher in den Park. Wer ist der Mann, der von sich sagt: "Der Park ist mein Leben"? Fabrizio Sepe, Geschäftsführer, alleiniger Inhaber und Sohn des Gründers Paolo, erzählt die beeindruckende und emotionale Geschichte seiner italienischen Familie und des Aufbaus des größten Safari-Parks Europas. Die Geschichte beginnt, als er mit drei Jahren von seiner Mutter aus Mailand nach Hodenhagen zum Vater gebracht wird, wo dieser gerade den Serengeti-Park aufbaut. Fabrizio lebt nun in einem Land, das er nicht kennt und dessen Sprache er zunächst nicht spricht. Und vor allem muss er mit seiner Einsamkeit umgehen. Der Vater ist streng, die Stiefmutter und -schwestern sind abweisend. Doch da sind auch die geliebten kleinen Löwen, die Krokodile und Elefanten und all die anderen Tiere. Sie sind die einzige Konstante in seinem Leben, und es entsteht eine Liebe, die ein Leben lang halten soll.   Fabrizio Sepe möchte Menschen glücklich machen. Es erfordert immer wieder viel Durchsetzungsvermögen, um seine Träume zu verwirklichen. Im Buch spricht er ehrlich und schonungslos über die Konflikte mit dem Vater und der Familie und erzählt von persönlichen Krisen, gescheiterten Beziehungen und von seiner Therapie, die ihn zu einem neuen Menschen machte. Und er erzählt von all den berührenden, lustigen oder abenteuerlichen Momenten im Park. Von der riskanten Elefantenzucht mit der Geburt des ersten afrikanischen Elefantenbabys Norddeutschlands seit 30 Jahren. Bis zu einem der emotionalsten Erlebnisse: die weltweit erste Auswilderung eines in Gefangenschaft geborenen Breitmaulnashorns. Zwischen visionären Ideen, Risikobereitschaft und der Liebe zu Mensch und Tier schreibt Fabrizio Sepe über sein Leben und die Einzigartigkeit des Serengeti-Parks Hodenhagen, ein Stück Afrika in der Lüneburger Heide. "Der Park ist mein Leben. Es war nicht immer einfach und wird es auch in der Zukunft nicht sein. Die Verantwortung für die Tiere und die Mitarbeiter*innen. Aber in erster Linie mache ich es für die Menschen. Um ihnen Freude zu bringen." Fabrizio Sepe

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Fabrizio Sepe

Die Safari meines Lebens

Die Liebe zu Tieren und Menschen und der Traum vom Serengeti-Park

 

Über das Buch

„Wir müssen lernen, mit den Tieren und der Natur zusammen in Harmonie zu leben. Auch um unsere Zukunft zu retten.

Wir sollten das Leben feiern und dankbar für die Natur und den natürlichen Kreislauf sein. Alles ist miteinander verbunden.“

Der Serengeti-Park Hodenhagen ist einzigartig in Europa. 220 Hektar Land, 1500 Tiere, 40 Fahrgeschäfte, Shows und Übernachtungsmöglichkeiten. Jährlich kommen 700 000 Besucher in den Park.

Fabrizio Sepe, Geschäftsführer, alleiniger Inhaber und Sohn des Gründers Paolo, erzählt die beeindruckende und emotionale Geschichte seiner italienischen Familie und des Aufbaus des größten Safari-Parks Europas. Die Geschichte beginnt, als er mit drei Jahren von seiner Mutter aus Mailand nach Hodenhagen zum Vater gebracht wird, wo dieser gerade den Serengeti-Park aufbaut. Fabrizio lebt nun in einem Land, das er nicht kennt und dessen Sprache er zunächst nicht spricht. Und vor allem muss er mit seiner Einsamkeit umgehen. Der Vater ist streng, die Stiefmutter und -schwestern sind abweisend. Doch da sind auch die geliebten kleinen Löwen, die Krokodile und Elefanten und all die anderen Tiere. Sie sind die einzige Konstante in seinem Leben, und es entsteht eine Liebe, die ein Leben lang halten soll.

Zwischen visionären Ideen, Risikobereitschaft und der Liebe zu Mensch und Tier schreibt Fabrizio Sepe über sein Leben und die Einzigartigkeit des Serengeti-Parks Hodenhagen, ein Stück Afrika in der Lüneburger Heide.

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

 

Copyright © 2023 by Maximum Verlags GmbH

Hauptstraße 33

27299 Langwedel

www.maximum-verlag.de

 

1. Auflage 2023

 

Lektorat: Rainer Schöttle

Korrektorat: Gisela Wunderskirchner

Ghostwriterin: Marion Gay

Layout: Alin Mattfeldt

Umschlaggestaltung: Alin Mattfeldt

Umschlagmotiv: © Maximum Verlags GmbH, Fotografin: Rebekka Schnell Photography & Video

Fotos: © Fabrizio Sepe (privat), © Serengeti-Park Hodenhagen, © Maximum Verlags GmbH

E-Book: Mirjam Hecht

 

Druck: CPI books GmbH

CO2 neutral produziert

Made in Germany

ISBN 978-3-98679-014-1

 

 

Widmung

Ich widme dieses Buch meiner geliebten Frau Dr. Idu Azogu Sepe, meiner geliebten Tochter Brielle Ona Stella Sepe und den ca. acht Millionen Kindern aus ganz Deutschland, die den Park seit der Gründung bis heute besucht haben und durch deren Begeisterung, Freude und Glücksgefühle, die sie im Park gelassen haben, meine Liebe zu diesem Park und diesem Ort immer weiter haben wachsen lassen. Zuletzt widme ich dieses Buch den unzähligen Mitarbeitern des Parks, die in den vielen Jahren alles gegeben haben, damit wir heute dort stehen, wo wir sind. Danke!

Inhalt

Über das Buch

Impressum

Widmung

Inhalt

Prolog

1 Ankunft in Deutschland

2 Der Vater

3 Die Idee des Safariparks

4 Ein fremdes Kind in Hodenhagen

5 Die Parks

6 Die Tradition des Essens

7 Parkgeschichten

8 Der Kinderzoo

9 Bankrott eines Investors

10 Der Tigerunfall

11 Über die Notwendigkeit von Zoos

12 Mailand

13 Die 80er-Jahre im Park

14 Im Internat

15 Studium in Mailand

16 Die 90er-Jahre im Park

17 Brasilien sehen und lieben

18 Auf Messers Schneide

19 Nashorn Kai wird ausgewildert

20 Dschungelsafari und weitere Innovationen

21 Elefantenzucht

22 Tod eines Patriarchen

23 Ein neuer Aufbruch

24 Therapeutische Unterstützung

25 Corona und andere Katastrophen

26 Gedanken zur Zukunft von Tierparks

Danksagung

Einblicke in mein Leben

Einblicke in den Park

Prolog

Gestern bekam ich die Nachricht von der Bundeswehr, dass ich die Auktion gewonnen habe. Der Airbus A310 mit Namen „Kurt Schumacher“ gehört jetzt mir. Wenn dieses Flugzeug sprechen könnte, es würde uns unglaubliche Geschichten erzählen. Dreißig Jahre war es für die deutsche Luftwaffe im Dienst gewesen. Zu Beginn der Pandemie Anfang 2020 holte es deutsche Staatsbürger aus Wuhan und flog zuletzt aus Afghanistan geflüchtete Menschen von Taschkent nach Deutschland. Bald wird es zum Restaurant umgebaut. Neu lackiert und mit Terrassen versehen wird es einen Platz am Rand der Massai-Mara-Freianlage bekommen. Von dort aus haben die Gäste beim Essen einen tollen Blick auf die Giraffen und Antilopen. Vorher muss die Maschine auseinandergebaut und vom Flughafen Langenhagen in den Park gebracht werden. Keine leichte Sache. Bisher wurde noch nie in Deutschland ein Flugzeug über Straßen transportiert. Es wird eine historische Sache und wir feiern hier fast wie beim Champions-League-Finale!

Die Pandemie hat uns vor ziemliche Herausforderungen gestellt. Schließungen, Hygienekonzepte, viele Einschränkungen. Aber ich bin gewohnt, kreativ zu denken und optimistisch nach vorn zu schauen. So habe ich in den stillen Monaten einen speziellen Burger erfunden. Den Sepe-Burger. Er basiert auf dem Calzone-Konzept. Belegt zum Beispiel mit Mozzarella und Kochschinken, Tomate, Zwiebel, Salat und Ketchup liegt Brot auf Brot. Unser Koch war erst dagegen, dann aber ziemlich überrascht, wie gut das tatsächlich schmeckt. Ich habe die Rezeptur schützen lassen und wir servieren diesen Burger in mehreren Variationen, natürlich auch vegetarisch, im Park.

Wir haben auch ein neues Logo entwickelt. Das alte Logo war Kult, nur ein bisschen statisch und überaltert. Das neue hat mehr Schwung, die Achterbahn schießt aus der Mähne des Löwen. Die Idee kam mir im Urlaub. Beim Vorbeischlendern an einem Tattoo-Studio stach mir ein Löwenkopf ins Auge und ich hatte gleich den Gedanken, so einen Kopf mit der Achterbahn zu verbinden. Eine Agentur entwarf dazu die Sonne, den Kreis, und veränderte die Schrift ein bisschen. Im Zuge dessen haben wir auch ein neues Motto kreiert. Statt wie bisher „Das Safari Abenteuer“ heißt es von nun an: „So geht Safari heute“.

 

Der Park ist mein Leben. Es war nicht immer einfach und wird es auch in der Zukunft nicht sein. Die Verantwortung für die Tiere und die Mitarbeiter. Aber in erster Linie mache ich es für die Menschen. Um ihnen Freude zu bringen. Am Ende meines Lebens möchte ich auf fünfundneunzig Prozent glückliche Momente zurückblicken, und genau das will ich den Besuchern vermitteln. Das Glück, Tiere in der Natur zu erleben. Das Staunen über das Tier. Die Besucher des Parks sollen gute Gefühle mit nach Hause nehmen. Begeisterung und Hoffnung für eine Zukunft, in der Menschen, Natur und Tiere in Harmonie leben können.

Eines der schönsten Erlebnisse im Park war für mich die Begegnung mit dem kleinen Mädchen. Ich hatte gerade einen Drehtermin mit dem NDR beendet und da saß plötzlich die Kleine auf dem Quad. Sie war vielleicht sechs Jahre alt und trug eine Mütze, unter der ihre blonden Haare hervorlugten. Es war im Frühjahr und noch ein bisschen kalt. Sie hielt sich vorn am Quad fest und wollte noch einmal fahren. Ich weiß noch, wie sie zu mir hochguckte und dann sagte: Es ist das sechste Mal, dass ich hier jetzt mitfahre. Ich finde das so toll, ich steig hier gar nicht mehr aus. Das klang so ehrlich, aber so sanft ehrlich, so niedlich ehrlich. Und man konnte ihr die Begeisterung ansehen. Hast du das hier alles gebaut?, fragte sie, und ich habe ihr erzählt, dass ich die Idee mit den Quads unter der Dusche hatte.

Diese kleine Szene war für mich ein sehr bedeutender Moment. Sie hat mir deutlich gezeigt, wofür ich den Park betreibe. Ich meine, die Risiken sind enorm. Jeden Tag könnten Unfälle passieren, die Verantwortung ist groß. Aber dieses kleine Mädchen mit den glücklichen Augen hat mich darin bestätigt, dass dieser Park einen Sinn hat. Das ist genau der Grund, warum ich hier jeden Tag mit ganzer Leidenschaft und Energie stehe. Ich möchte Kinder glücklich machen, und so ein schönes Erlebnis bleibt für immer. Möglicherweise wird sie sich daran noch mit zwanzig erinnern.

So spontane, ungeplante Begegnungen sind oft die schönsten Momente im Leben. Das war bis heute für mich das allerschönste Erlebnis im Park. Und man könnte sich fragen: Ist der bekloppt? Der hat doch mit Tieren zu tun! Klar, aber ich sage ganz offen und ehrlich: Ich mache meinen Job für die Menschen. Natürlich betreibe ich Tierschutz und tue alles in meiner Macht stehende, um Arten zu erhalten. Aber letztlich betreibe ich den Park, um die Menschen zu begeistern für die Natur und die Tiere. Wir müssen lernen, mit den Tieren und der Natur zusammen in Harmonie zu leben. Auch um unsere Zukunft zu retten. Wir sollten das Leben feiern und dankbar für die Natur und den natürlichen Kreislauf sein. Alles ist miteinander verbunden: Die Tiere fressen Blätter von den Bäumen und setzen dadurch Kot ab, aus dem später ein Strauch wächst und so weiter.

1 Ankunft in Deutschland

Fangen wir an mit den beiden Kinderkoffern. Sie liegen im Gepäckfach. Ich bin dreieinhalb Jahre alt und sitze darunter, neben Mama im Flugzeug.

Fabrizio, pack deine liebsten Spielzeuge ein, hatte sie in Mailand gesagt. Ich blickte mich im Kinderzimmer um. Was sollte ich mitnehmen? Die beiden kleinen Koffer hatte ich schon häufig gepackt. Immer, wenn es nach Elba ging, wo wir nahezu endlose Sommer verbrachten. Aber das hier war eine andere Reise. Mir war nicht klar, was mich in Deutschland erwartete, aber dass es anders wäre als Elba oder Mailand, dachte ich mir schon. Ich versuchte, so viel wie möglich von dem Spielzeug in die Koffer zu stopfen. Wenn ich doch nur größere Koffer hätte! Nun mach schon, Fabrizio!, drängelte Mama. Das Flugzeug wartet nicht. Ich nahm die Koffer und klemmte mir Leo unter den Arm. Den Plüschlöwen hatte mir Papa von einer seiner Reisen mitgebracht. Der musste auf jeden Fall mit.

 

Wir verabschiedeten uns von den Großeltern. Von Nonno Augusto und Nonna Concetta, die wir alle Nonna Blu nannten. „La Nonna blu“, die blaue Oma, weil sie so lieb war. Man hatte immer ein warmes Gefühl, wenn man sie sah. Ich war schrecklich traurig. Am liebsten hätte ich geweint, aber ein paar Tage vorher hatte ich mich mit Nonna blu gestritten, deshalb wollte ich so tun, als machte mir der Abschied überhaupt nichts aus. Als Mama mir sagte, dass Papa und sie sich trennen und sich vieles ändern wird, war ich zu Nonna blu geflüchtet. Du bist schuld! Du machst nichts! Wie können die das machen und du guckst zu?, hatte ich geschrien. Sie setzte sich hin, sah mich traurig an und sagte: Ja, das stimmt, es ist meine Schuld, und jetzt komm her!

Im Flugzeug drücke ich Leo ans Fenster, damit er sieht, was uns erwartet. Erst sind nur Wolken unter uns, dann tauchen große grüne Felder auf. Nirgendwo ist Meer. Ich erzähle Leo, dass er bald neue Freunde haben wird. Er wird die anderen Löwen kennenlernen. Die großen und starken Löwen. Und die Giraffen, Nashörner und Zebras. Es wird wie in Afrika sein, warte nur ab! Mama neben mir ist schweigsam und wunderschön wie immer. Ich mag ihr seidiges blondes Haar, ihr Lächeln und die hübschen Sachen, die sie trägt. Es wird schon alles gut werden.

Papa holt uns mit seinem breiten Mercedes Diesel vom Flughafen Hannover ab. Ich habe ihn länger nicht gesehen. Später erinnere ich mich kaum noch an die Fahrt. Komischerweise nur an den Schalthebel am Lenkrad, an die großen Hände meines Vaters daran. An das unglaubliche Grün der Landschaft habe ich keine Erinnerung.

In Hodenhagen angekommen, halten wir vor dem Haus Nummer 8 im Rosenweg. Das Haus ist aus hellen Steinen und neu. Vier Stufen führen zur Tür. Lia ist da, meine neue Stiefmutter. Sonia und Veronica, meine neuen großen Schwestern. Dann weiß ich nur noch, dass meine Mutter sich vor mich kniet, mich umarmt. Ich habe dich lieb, Fabrizio. Du bist Blut meines Blutes und ich werde dich für immer lieben. Etwas in der Art sagt sie. Dann kehrt sie nach Mailand zurück. Und ich bin hier. Bei meinem Vater und seiner neuen Familie. Und dem Safaripark, der bald eröffnet wird.

 

2 Der Vater

Als mein Vater alt und krank wurde, sagte er mir, wenn es mit ihm zu Ende ginge, solle ich nicht zu sehr um ihn trauern. Schließlich habe er fünf Leben gelebt.

Geboren wurde er am 3. Dezember 1926 in Neapel, aber sein Vater, Nonno Giovanni, trödelte ein bisschen und meldete ihn erst zwei Tage später an. So stand im Pass der 5. Dezember als Geburtsdatum, und an dem Tag feierte er immer seinen Geburtstag. Er war Schütze. Sagittario.

Seine Mutter, Nonna Maria, war streng. Den Erzählungen nach bekam mein Vater permanent Schläge mit dem Teppichklopfer, sodass sein Po immer einen Gitterabdruck hatte. Vermutlich war er nicht so ein ganz braver Junge gewesen, sonst hätte Nonna Maria nicht so oft und häufig zugeschlagen, denke ich. Noch heute ist Neapel eine Art Rio de Janeiro Europas, und damals war es erst recht so. In dieser Stadt ist alles am Laufen. Alles ist möglich. Da sitzt der piekfeine Earl auf seiner schicken Dachterrasse und schlürft Weißwein mit Oliven, während ein paar Straßenzüge weiter die Jungs von der Camorra mit einem abgeschnittenen Kopf Fußball spielen. Das ist so eine extreme Stadt, mit Pompeji und dem Vesuv, der jederzeit ausbrechen kann, und mit vielleicht dem besten Essen Italiens, mit diesem ganz besonderen Büffel-Mozzarella und der Pizza. Es herrscht unglaublicher Lärm auf den Straßen, ununterbrochen hupen Vespas, die Sonne knallt vom Himmel und die Wäsche hängt über den Gassen. Die Leute singen, rülpsen und spucken, und dann gibt es natürlich die Sehenswürdigkeiten, etwa den verhüllten Christo velato in der mysteriösen Kapelle des Grafen Sansevero, und die Inseln Procida und Capri. Das alles ist unglaublich!

 

Meine Großeltern waren nicht megareich, aber sie gehörten auch ganz bestimmt nicht zu den armen Leuten. Sie hatten schon früh ein Auto, dank der Gerberei, die sie am Hafen, im Viertel Mercato, besaßen. Dreißig Angestellte beschäftigten sie. Selbst wohnten sie in einem Haus auf dem Hügel von Posillipo, ein bisschen außerhalb, nordwestlich an der Küste. Von dort aus fuhren die Gozos hinüber zu den Inseln. Diese kleinen Taxiboote setzten Passagiere für ein paar Lire über und holten sie wieder ab, und damit fuhren meine Großeltern mit den drei Kindern, also meinem Vater und seinen jüngeren Geschwistern Annamaria und Dario, oft an den Wochenenden nach Capri. Mein Vater hat uns immer wieder die Geschichte erzählt, wie er dort mit elf sein erstes Geld verdient hat. Vom Südzipfel aus ist er mit den einheimischen Jungen zu den Faraglioni geschwommen und bis auf fünfzehn Meter Höhe an den steilen Felsklippen hochgeklettert. Von da aus hat er sich kopfüber ins Meer gestürzt, weil davor die Liner voll mit amerikanischen Touristen standen. Damals gab es die großen Dollar, und an der Reling lehnten die eleganten Damen mit ihren Sonnenhüten und schnipsten diese Dollarmünzen ins Meer, nach denen die Jungen tauchten. Ein Dollar war zu der Zeit in Italien ein kleines Vermögen. Man muss sich vorstellen, es gab siebzig bis achtzig Prozent Analphabeten. Viele ritten noch auf dem Esel oder fuhren mit der Kutsche durch Neapel. Wenn man Hunger hatte, ging man zu einem der kleinen Kioske an der Straße und kaufte gekochte Spaghetti. Man nahm die Spaghetti mit der Hand vom Teller und tunkte sie in die Saucenschale. Damit man sich nicht von Kopf bis Fuß bekleckerte, gaben sie einem ein Papierlätzchen, das man sich um den Hals band. Zu einer traditionellen neapolitanischen Weihnachtskrippe gehört bis heute die Figur des Spaghettiessers mit Lätzchen.

1922 war Mussolini an die Macht gekommen und hatte ähnlich wie Hitler angefangen, die Kinder für sich zu begeistern. Auch mein Vater gehörte zu den Schwarzhemden, camicie nere, der Gruppe der italienischen Faschisten. Davon hat er allerdings nie viel erzählt.

In diesem wilden Italien ist mein Vater aufgewachsen. Das war sein erstes Leben.

Dann kam der Krieg. Die Amerikaner rückten in Sizilien an, die deutsche Armee wich zurück und merkte dabei, dass die Italiener plötzlich diesen historischen Dreher gemacht hatten, dass sie nicht mehr mit Mussolini zu Hitler und den Nazis standen, sondern es plötzlich mit den Amerikanern hielten. Aus Wut über diesen Betrug haben die Deutschen ziemlich viel zerbombt, Cassino und diese ganzen Sachen, und tatsächlich haben sie auch Neapel auf dem Rückzugsweg bombardiert. Eine Sturzkampfmaschine flog über den Hafen von Neapel und warf eine Bombe genau auf die Gerberei meiner Großeltern. Es gab auf einen Schlag dreißig Tote. Meine Familie war zufällig in der Mittagspause zu Hause in Posillipo und konnte sich dadurch retten.

Die Stadt war in einen furchtbaren Zustand geraten. Die Kanalisation war zerstört, die Häuser lagen in Schutt und Asche. Neapel war schon immer eine chaotische Stadt gewesen, aber jetzt muss das unvorstellbare Ausmaße angenommen haben. Meine Großeltern besaßen ein Ferienhaus in Roccaraso in den Abruzzen und bestimmt erschien es ihnen sicherer, sich für eine Weile dorthin zurückzuziehen. Sie packten alles Mögliche, was sie konnten, nahmen die drei Kinder und flohen. Meine Oma hatte eine Kekskiste – damals gab es solche italienischen Kekse in einer zylindrischen, ziemlich großen Verpackung mit einem Deckel drauf -, und da haben sie alle Juwelen, Uhren, Goldstücke und andere Sachen versteckt und mitgenommen. Das Dorf lag eine Stunde von Neapel entfernt, also gar nicht so weit weg, und kurz nachdem meine Großeltern mit meinem Vater und seinen beiden Geschwistern dort angekommen waren, kamen auch die Deutschen mit einem kleinen Lkw voller Soldaten. Unglücklicherweise lag Roccaraso genau an der Gustav-Verteidigungslinie, die von General Kesselring gegen die Alliierten genutzt wurde. Die deutschen Soldaten hatten das Gebiet besetzt und im November 1943 fand dort eins der schlimmsten Kriegsmassaker statt.

Davon hat meine Familie nie etwas erzählt, aber von jenem Tag, als die deutschen Soldaten mit dem Lastwagen vorfuhren. Sie stiegen aus und meine Großeltern mussten zusehen, wie sie das Haus plünderten. Sie haben alles mitgenommen – Gemälde, Teppiche und so weiter. Zum Glück hatten meine Großeltern am Abend davor aus irgendeinem Grund die Idee, diese Kekskiste im Garten zu verbuddeln, und als dann die Deutschen kamen, hat sich Nonna Maria im Garten auf einem Liegestuhl über das Loch gesetzt. Sie hatten natürlich Angst, dass die Deutschen auch noch die letzten Güter fanden. Da saß sie nun mit dem Gartenstuhl über der Keksdose und einer der SS-Leute kam mit einem Maschinengewehr. Stehen Sie auf, stehen Sie auf! Und sie hat so getan, als ob sie nichts verstünde, und gesagt: Was wollen Sie? Ich bin eine alte Dame!, und so ein bisschen geschauspielert. Typisch italienisch, l’arte di arrangiarsi, die Kunst des Überlebens – dafür ist der Italiener bekannt. Das ist bei manchen Sachen ganz nützlich, hat aber auch sehr schwere negative Seiten, weil es schien, dass der Italiener dann häufig lügt und nicht sehr ehrlich ist. Wenn du das nützt, um zu überleben, gegenüber Feinden oder gegen jemanden, der dich gerade verletzen will, okay, aber wenn es zur Gewohnheit wird und du lügst deine Frau an, betrügst sie mit der Nachbarin, dann wird das zur Mentalität und gefährlich. Schwarzgeld überall, keine Quittungen, kein gar nichts. Ja, die beiden Seiten der Medaille. Es ist wunderschön zu sehen, es gibt Filme davon, die Kunst des Italieners, mit den Händen zu schauspielern, das kommt einfach so aus dem Nichts.

Jedenfalls kam irgendwann ein Pfiff – So, wir haben genug! –, und der SS-Mann ist in seinen Lkw gestiegen. Die Soldaten waren tatsächlich weg und meine Familie hatte nur noch diese Keksdose. Sie wollten nun nicht mehr in diesem Dorf bleiben, es wurde wohl auch zu gefährlich, und mit der Keksdose und den drei Kindern sind sie dann langsam zu Fuß nach Norden gegangen, mal getrampt, mal mit Eseln geritten, viele, viele Kilometer, bis sie irgendwann Mailand erreichten, das auch zerbombt war. Weil Opa Giovanni wusste, dass es in Mailand eine Art Börse des Lederhandels gab, und weil er Verbindungen hatte und viele Leute aus dem Ledergeschäft kannte, hatte er gedacht, er könnte relativ schnell wieder Geld verdienen, und da fing das nächste Leben meines Vaters an.

Chronologisch ist alles schwer zu fassen, was genau wann war. Schließlich war es lange vor meiner Geburt und die Geschichten wurden am Tisch erzählt, in großen Runden, und ich schnappte hier und da etwas auf.

Eine Zeit lang hielt sich mein Vater als junger Mann in Afrika auf. Sein Vater hatte ihn nach Obervolta, das ist heute Burkina Faso, geschickt. Fragen Sie mich bitte nicht, wieso, aber man kam da wohl günstiger an Leder, weil die Stämme dort einmal oder zweimal in der Woche ein Rind töteten und es aßen. Sie haben es zerstückelt und gegessen, aber mit Haut. Was ja typisch ist in armen Ländern: Man verwendet alles, man isst auch die Haare, alles, denn wenn es einmal gekocht ist, ist es auch nicht schlecht, und gut gewürzt schmeckt es bestimmt ganz gut. Mein Vater hatte erzählt, dass er in Obervolta mit einer Cessna von einem Dorf zum anderen flog, zusammen mit einem Dolmetscher und einem Baby-Schimpansen, den sie aufgelesen hatten und mitnahmen. Mit einem Messer hat mein Vater den Stammesleuten gezeigt, wie man das Tier am besten enthäutet, um möglichst große Stücke Leder zu erhalten, und wie man die Haut hinlegen kann, sie mit Steinen fixiert, damit sie flach wird, und hat dann um diese Haut verhandelt und gefragt: Was meint ihr, wenn ich nächstes Mal ein Paar Schuhe bringe, ein Paar Tennisschuhe für den Häuptling, gebt ihr mir diesen ganzen Haufen an Haut? Es ist ohnehin nicht gut, dass ihr das esst. Und diese ganzen Dörfer hat er überzeugt, ihm die Haut, also das Leder, zu geben, und er hat ihnen statt Geld – denn diese Stammesbewohner konnten ja mit Geld überhaupt nichts anfangen – Dinge wie Schuhe oder Rasierer angeboten. Damit konnten sie viel mehr anfangen als mit zehn Millionen Dollar in ihrer Realität als Stammesleute, und das hat mein Vater etwa fünf Jahre lang gemacht. Er schickte die Lederladungen über Tripolis mit Lkws auf Schiffen nach Neapel oder Genua. Die Menschen von der Ledergerberei haben die Lkws übernommen und das Leder in die Gerberei gebracht und gegerbt. Handschuhe, Taschen und andere Lederwaren wurden daraus gemacht. Das war natürlich eine Wahnsinnserfahrung, erzählte er immer, weil er in Afrika so ein Afrikaweh bekommen hatte, weil das so ein wunderschönes Land ist und weil es fast auf dem Bauch der Erde platziert ist. Es ist schwer zu beschreiben. Ich war selbst sieben Mal in Afrika, und diese Szenarien, morgens um sechs, oben auf so einem Hügel – es war wirklich kein hoher Berg, nur ein Hügel –, diese Weite! Da ist irgendwie so ein Winkel, aber im Kontinent selbst, es muss etwas Geoplanetarisches sein, ich kann das nicht gut erklären, da war ein Sonnenaufgang, wie man ihn in Europa nicht erlebt. Man konnte die Sonne fast hören, sich vorstellen, dass sie ein Geräusch beim Aufgehen macht, und dieses Glitzern und die Farben, das war enorm. Das war alles so riesig, und die Weite, das ist, als wenn man von hier nach Bonn oder nach Berlin schauen könnte – damit Sie verstehen, was ich meine –, und das hat er auch beschrieben, diese Weiten, diese Panoramen, diese Sonnenaufgänge, diese Sonnenuntergänge, diese Stille, diese Tierwelt. Stellen Sie sich vor, in jenen Jahren in Afrika, was da noch für eine Tierwelt war! Alles zwitschert und bewegt sich. Das hat ihn total gerührt und mitgenommen, diese Afrikaerfahrung. Er kam wieder, und weil er bei einer Ladung dieses Leders ein bisschen faul gewesen war, hatte er den LKW nicht wie üblich mit einer Plane abgedeckt, und auf dem Schiffsweg hatte es geregnet und das ganze Leder wurde nass. Sein Vater war sehr böse und hat ihn zurückgerufen und wollte ihn bestrafen. Damals gehörte zur Erziehung auch Bestrafung dazu; auch bei ihm war der Vater Patriarch, und da gab es heftige Schläge.

In Mailand begann mein Opa wieder zu arbeiten. Er eröffnete keine neue Gerberei, dafür fühlte er sich wahrscheinlich mittlerweile schon zu alt, aber er handelte mit Leder, kaufte es an und verkaufte es weiter, und es ging wieder aufwärts. Sie konnten sich eine schöne Wohnung mieten, kauften ein Auto und boten meinem Vater sogar ein Studium an. Mein Vater überlegte kurz und entschied sich für Betriebswirtschaft. Er schrieb sich an der berühmten Mailänder Privatuniversität Universitá Commerciale Luigi Bocconi ein, schlug die ersten Bücher auf, mathematische Ökonomie, schloss sie wieder und sagte: Nee, das schaffe ich nicht, viel zu kompliziert, keinen Bock darauf, und schmiss das Studium gleich wieder. Sein Vater war aber altmodisch. Also, wenn mein Vater hart war, stellen Sie sich erst einmal seinen Vater vor, und auch seine Mutter: Die waren beide stinksauer und bestraften ihn, indem sie ihn nach Genua schickten. Von nun an sollte er im Hafen arbeiten. Dort die Schiffe mit den Ledertransporten erwarten, die Bündel an Haken befestigen und die Schiffsladungen auf Lastwagen umpacken. Eine ziemliche Knochenarbeit. Caricatore di porto, das war in Italien ein bisschen abwertend, an sich mit das Schlimmste, was man als Beruf haben konnte. Hafen-Entlader.

Meine Großeltern hatten Bekannte, die mit Lederbündeln handelten, und er wurde für ein ganzes Jahr in den Hafen geschickt, als Bestrafung nach dem Motto: Du willst nicht studieren, dann schau mal, wie hart das Leben ist. Und er hat das gemacht und sich mit dem Job gut arrangiert. Denn immerhin liegt in der Nähe von Genua die Luxushochburg Portofino. So ein bisschen das Sylt Italiens. Wenn er abends mit dem Entladen der Schiffe fertig war, sprang er unter die Dusche, schlüpfte in ein schickes weißes Hemd und seinen Anzug, wahrscheinlich hatte er noch tolle Lederslipper, setzte sich in seinen Fiat Cinquecento und fuhr die Küste runter nach Portofino. Er ging in die Lokale, wo sich die Industriellen aus Mailand und Turin trafen, wo die schönen Frauen waren, wo sie bis in die frühen Morgenstunden Musik spielten. Das ganze la dolce vita der frühen 50er-Jahre. Die Leute feierten, was das Zeug hielt.

Mein Vater war für einen Italiener sehr groß, einen Meter sechsundachtzig, schwarze Haare, braun gebrannt von der Arbeit im Hafen, muskulös vom Tragen der Lederbündel, also ein sehr attraktiver Mann, und eines Abends traf er in einer dieser Bars auf Coco Invernizzi. Sie war eine sehr elegante, wunderschöne Frau und noch dazu die Erbin einer der reichsten Familien Italiens. Es ist so, als ob ich in eine Kneipe gehe und lerne eine der Töchter der Miele, Henkel oder Siemens kennen. Den Invernizzis gehörte eine der größten Molkereien Italiens. Gegründet 1908, hatten sie sich ähnlich wie Galbani auf Frischkäse spezialisiert. Das Unternehmen ging Mitte der 80er-Jahre an Kraft Food, inzwischen gehört es der französischen Lactalis-Gruppe. Nun, diese Frau war für meinen Vater eine Herausforderung. Sie war reich und sexy, mit dieser angeborenen Grandezza, eine Art Grace Kelly. Etwas älter als er, anmutig, zu Hause im Jetset. Eine Wahnsinnsfrau! Und sie verliebte sich Hals über Kopf in ihn und es begann eine große Liebesgeschichte.

Kennengelernt hatten sie sich 1952, drei Jahre später waren sie verheiratet. Sie bekamen zwei Kinder, Luca und Francesca, und lebten ein High-Society-Leben. Sie fuhren Ski mit den Agnellis, den Pirellis, den Morattis. Mein Vater schwärmte oft von diesen Skiferien in Sankt Moritz mit diesen megareichen Familien. Sie hatten Skier mit Seehundhaut. Damals gab es noch nicht überall Skilifte und man wanderte häufig drei, vier Stunden durch den Schnee die Berge hoch. Dann aß man ein paar Panini mit Käse und fuhr zurück durch den Frischschnee. Das war Skifahren. Es gab keine Almen, gar nichts. In Italien waren die Leute noch viel mit Esel und Kutsche unterwegs, während er mit einem Jaguar oder Ferrari fuhr. Über diese Liebesgeschichte schaffte er den Sprung in den Jetset.

 

Tausend Fragen. War mein Vater, als junger Mann aus Neapel, ohne Studium und ohne diesen wohlhabenden Hintergrund, zwar nicht ein ganz einfacher Mann, aber doch mehr Mittelstand, mit dieser Erfahrung in Afrika – war er bereit für das glamouröse Leben? Hatte er die Fundamente, um sich auf Augenhöhe mit Gianni Agnelli auszutauschen? Oder hat man gemerkt, dieser Typ aus Neapel gehört nicht in unsere Kreise? Wir von der Familie haben darüber oft gesprochen und vermuten, dass es irgendwann dazu kam, dass sie ihn aufgrund der Herkunft ablehnten. Da konnte er noch so ein toller Typ sein. In Norditalien gibt es noch heute die Klischees und Vorurteile gegenüber den Süditalienern. Terroni nennt man sie, scherzhaft und abwertend. Terroni heißt Erdfresser. Die Norditaliener sagen, die Leute im Süden waschen sich nicht, können nicht lesen und schreiben. Es ist sehr diskriminierend, rassistisch und hässlich, aber es ist heute noch so: Ab Pisa, heißt es in Mailand, kannst du alles wegschmeißen, das ist der typische Spruch. Das ist wie Afrika, sagen sie.

Mein Vater hatte Charisma, eine angeborene Eleganz und Stil, ja, aber um wirklich zum Jetset zu gehören, musst du mit denselben Kindern gespielt haben und dieselben Sprüche draufhaben, sonst bist du wie Crocodile Dundee mit der Blondine aus New York. Natürlich verliebt man sich, allein wegen der physischen Anziehung, so ein derber Typ mit Muskeln und gleichzeitig elegant und gut aussehend, aber passt das wirklich? Aus meiner Sicht, nach allen Geschichten, die ich gehört habe, reichte es nicht für eine richtige, lange Beziehung. Chemie ist eine ganz starke Anziehungskraft und die meisten Menschen bleiben verliebt in diese Chemie und halten daran jahrzehntelang fest, obwohl sie gar nicht zusammenpassen, weil ihre Zukunftspläne überhaupt nicht aufeinander abgestimmt sind. Die Glaubenssätze sind total anders und die Selbstwertgefühle, die Selbstachtung sind so verschieden. Zum Beispiel legte Coco Invernizzi los und suchte sich beim Juwelier Bulgari mal eben einen Ring für 200 Millionen Lire aus, das waren 200 000 Mark. Für sie war das das Normalste der Welt. Sie saß da in ihrem Pelzmantel und sagte: Zeigen Sie mal, was haben Sie denn Neues? Und, zack, Ring für 200 000, Scheck, und hat es gekauft. Und er so: Uhh. Damit kann man sich ein ganzes Dorf in Afrika kaufen. Was machst du denn da? Und dann fingen die Diskussionen an und irgendwann drifteten sie auseinander, sehr wahrscheinlich auch wegen der Kinder. Ich merke das selbst mit meiner Frau, was die Ankunft eines Kindes für ein Paar bedeutet, und wenn die Frau sich auch noch entscheidet zu stillen, ist sie fast 24 Stunden belegt, außer in den paar Momenten, wenn die Kleine schläft. Und wenn nicht zwei Menschen bewusst diese Entscheidung getroffen haben: Jetzt machen wir Kinder, weil es toll ist, abends nach Hause zu kommen und sie sitzen auf dem Schoß und geben einem einen Kuss, und diese Gefühle, dieses Herz, das aufgeht, wenn man nicht findet, dass es sich lohnt, dauernd Windeln zu wechseln, nachts schlecht zu schlafen und solche Sachen, dann kann das ein Paar auch schnell auseinanderbringen. Vor allem den Mann forttreiben, denn wenn er nicht sehr reif ist und nicht in sich ruht, fühlt er sich leicht als das fünfte Rad am Wagen in diesen Zeiten. Die Frau ist nicht mehr so für ihn da, wie er das bisher kannte. Hey, Schatz, lass uns doch ins Kino gehen. Das geht nicht mehr, denn die Kleine muss an die Brust, die Windel muss gewechselt werden, der Kleine muss gebadet werden, oh nee. Ich weiß nicht. Und diese Frau, die sich permanent solche Ringe kauft oder zu einer Auktion geht und ein Picasso-Gemälde für 500 000 Mark kauft … Natürlich ist das in die Brüche gegangen. Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, er wollte den Jetset nicht verlieren. Wenn Sie einmal da drin sind, ist das wie ein Lottogewinn. Sie sprechen von großen Business-Sachen, darüber, was Invernizzi demnächst in der neuen Halle bei Brescia oder bei Verona investiert. Die Umsätze steigen.

Coco hatte ihn in das Marketing geschoben und er kam jeden Morgen im Jaguar mit Chauffeur in die Firma. In der Freizeit gingen sie oft nach Monte Carlo, typisch Jetset, und sie hatten ein Boot gekauft, weil er wahrscheinlich gesagt hat: Hey, ich bin Neapolitaner, ich liebe das Meer, also haben sie ein Boot gekauft namens Zarifa. Das gibt es übrigens heute noch. Es hatte vier Masten und fünfzehn Matrosen an Bord, alles Schweden, blond, sie hatten kurz geschnittene Haare mit einer Falte hier. Der Kapitän brauchte nur einmal zu pfeifen und sie wussten, was zu tun war, die Segel setzen und so weiter. Das Boot stand im Hafen von Monte Carlo, und aus irgendwelchen Gründen müssen diese reichen Leute anfangen zu spielen, weil Monte Carlo die besten Spielcasinos hat, und mein Vater natürlich, in schwarzer Hose, weißer Smoking-Jacke, ging in die Casinos und spielte. Dort lief er Elizabeth Taylor über den Weg und sie hatten tatsächlich eine dreiwöchige Romanze. Er hat mir Fotos von ihr gezeigt, von diesem Moment, wo sie diese leidenschaftlichen drei Wochen hatten. Wer weiß, was sie danach vorhatte? Sie ist wieder weggeflogen, und das war quasi der erste große Seitensprung meines Vaters, von dem Coco aber nichts mitbekam.

Ein anderes Mal hatte er die Prinzessin von Brunei aufgegabelt und sie ist direkt von der Spielbank aus mit ihm auf sein Schiff gekommen. Er hat erzählt, er hätte sie getragen wie im Film und sie sind zu den Porquerolles, den Inseln westlich von Saint-Tropez, rausgefahren, hatten dort ein paar leidenschaftliche Nächte, und als sie zurückkamen, gab es diese Szene mit dem Hubschrauber. Sie war natürlich auch verheiratet, vielleicht war das eine typische Liaison in den 50er-, 60er-Jahren, dass man sich so ausgetauscht hat. Ich meine, es gibt Paare, die das ganz offiziell machen, in diesen Swingerclubs zum Beispiel. Ich weiß nicht, ob das Mode war, sich hinter den Kulissen zu betrügen. Mein Vater beschrieb das als relativ normale Sache. Patriarchat. Male chauvinism. Der Mann sollte der Dominante sein und konnte sich das ein bisschen erlauben, aber es war eben auch eine Gesellschaft im Wandel, Richtung 70er-Jahre, wo die Frau irgendwann angefangen hat zu sagen: Hallo, nicht mit mir, und dann kamen die Scheidungsgesetze. Der König von Brunei schickte jedenfalls seine Leute zum Hafen und die haben mit Maschinengewehren auf das Schiff Zarifa geschossen, aus Wut, aus Eifersucht kam diese Szene zustande, und dann sind sie mit dem Schiff in Monte Carlo angedockt und da stand der König und es gab ein Riesentheater, mit Fotos in allen Zeitungen, und Coco Invernizzi hat alles aus der Presse erfahren. Wie gesagt, es war Anfang der 60er-Jahre und es gab noch keine Scheidungsgesetze, also hat sie ihn einfach vor die Tür gesetzt, hat gesagt: Okay, offensichtlich hast du keinen Bock mehr auf mich, du kannst mich mal, hatte aber die Klasse, Eleganz oder weibliches großes Herz und die Bereitschaft zu einem Gentlemen-Agreement, weiß ich nicht, ihm Maschinen für die Esswaren-Industrieproduktion zu schenken, also große Silos mit so einem Arm zum Mischen, von einer Firma, die pleite gegangen und aufgekauft worden war. Diese Maschinen hatten einen gewissen Wert, und da fängt das vierte Leben meines Vaters an.

Nun wurde es hart. Wir sind am Anfang der 60er-Jahre, mein Vater ist Mitte dreißig, ohne Geld, aber mit diesen Maschinen, muss ich sagen, ist er richtig gut gewesen. Er hat eine Halle bei Bergamo gemietet, die Maschinen hineingesetzt, einen Kredit aufgenommen und ein Unternehmen gegründet, das noch heute in Italien existiert. Das war Mister Chef, mit einem Chefkoch als Logo, und er hatte als Erster in Italien die Idee, Kräuter in kleinen Glasflaschen mit Deckel zu verkaufen. Das hatte er auf einer Reise in die USA gesehen und sich gedacht, das könnte auch in Italien gut laufen. Also zum Beispiel 100 Gramm Rosmarin, Thymian, Oregano. Bisher gab es die nur in Kilogrammsäcken. Er verkaufte diese Flaschen an Lebensmittelgeschäfte und das lief sehr gut, und als Nächstes kam er auf die Idee, fertige Risottos in Packungen zu produzieren und zu verkaufen, und auch damit war er der Erste in Italien. Das ging durch die Decke mit den Risottos. Das berühmte Mister Chef Risotto. Man schnitt bloß die Tüte auf, Inhalt ins kochende Wasser, und zwanzig Minuten später war das Reisgericht fertig. Er hatte dann schnell fünfundzwanzig Angestellte und fing an, die Firma auf Messen zu präsentieren, auf Haushaltsmessen überall in Norditalien, und auf einer dieser Messen lernte er meine Mutter kennen. Sie arbeitete als Messehostess und vertrat einen anderen Stand, was weiß ich, sie hat gelächelt und Karten verteilt, etwas in der Art. Sie verliebte sich Hals über Kopf in meinen Vater. Sie war noch keine 24, er weit über 30. Ein faszinierender, gut aussehender Mann und erfolgreich. Sie blieben sieben Jahre zusammen, und da ist aus meiner Sicht Folgendes passiert: Was mein Vater psychologisch mit Coco erlebt hatte, also dieses Ich komme nicht so richtig in den Jetset, werde da doch nicht so akzeptiert, ist meiner Mutter mit ihm passiert. Meine Mutter kam aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Ihre Mama, meine Oma, hieß Concetta, la Nonna Concetta, und sie stammte aus Apulien. Ihr Nachname, Soldani, kommt von den Türken, von Sultan, und über die Jahre im Dialekt ist es zu Soldani geworden. Sie hatte einen kleinen Schnurrbart, und Apulien war auch tatsächlich mal von den Türken erobert worden, mehrere Jahrzehnte immer wieder hintereinander, und mein Opa, also der Vater meiner Mutter, stammte aus einer Kleinstadt namens Moglia. Bei ihnen gab es zum Beispiel Orecchiette mit Knoblauch und Tomaten, und mein Großvater war verwöhnt und wollte Tortellini mit Bolognese-Sauce. Da gab es Mord und Totschlag! Diese Scheiße aus Süditalien mag ich nicht, viel zu viel Knoblauch, und meine Oma war ganz enttäuscht: Aber ist doch lecker! – Nein, ich will Tortellini, Tortellini! Mit der Hand gemacht! Und dann musste die Frau da … Also wenn man es kann, schafft man es in zehn Minuten, aber ich bräuchte zwei Tage! Ich habe das mal gesehen, die richtig guten Köche machen bambam, ein bisschen Mehl, Eier rein, Wasser, Hefe, und dann ab in den Kühlschrank. Für sie ist das ein Klacks. Sie machen diese Bewegungen mit den Händen und innerhalb von zehn Minuten haben sie, weiß ich nicht, hundert Tortellini, aber das muss man können! Also meine Großeltern lebten außerhalb von Mailand in einer sehr bescheidenen Wohnung. Sie kamen sehr arm aus dem Krieg und flohen aus Mailand, dorthin, wo der Opa, Augusto Costa, gelebt hatte. Das war bei Moglia. Sie hatten das Gefühl, dass die Familie da sicherer sei, und dort wurde meine Mutter geboren. Sie erinnert sich noch an die Bombeneinschläge im Krieg und an das ferne Grollen der Flugbomber. Mein Opa musste selbst in den Krieg und war zwei Jahre verschwunden. In der Zwischenzeit war die zweite Tochter geboren worden, meine Tante Valeria, und später, nach dem Krieg, kam Massimo, das dritte Kind. Sie haben erzählt, wie sie mit fünfzig Pfennig in der Tasche nach Mailand zurückkamen. Sie hatten nichts und haben vor dem Dom unter Kartons geschlafen. Irgendwann fanden sie hinter einem Kino eine kleine Wohnung. Die war so groß wie ein kleiner Flur, und Massimo schlief in einer Schublade und die anderen auf der Erde, aber der Opa bekam dann einen Job im Kino. Er hatte gefragt, ob er etwas machen könnte, und verdiente langsam ein bisschen Geld, sodass sie sich eine richtige Wohnung mieten konnten, etwas außerhalb von Mailand und immer noch sehr bescheiden. Aus diesen Verhältnissen stammt meine Mutter. Sie konnte kein Abitur machen und ging schon früh arbeiten. Sie wollte das auch so, war so ein bisschen auf Rock ’n’ Roll und auf Selbstständigkeit, sie wollte sich emanzipieren und hat entschieden: Nein, ich gehe lieber arbeiten, und hat in der Firma Burletti in Mailand am Laufband gearbeitet und Stoffe an großen Maschinen gewaschen, und immerhin hat sie da genug verdient, dass sie mit neunzehn schon ihr eigenes Auto hatte. Ich glaube, sie kam damals ziemlich taff rüber. Sie war selbstständig, indem sie eigenes Geld hatte, und sie lehnte auch die Kirche ab, und das, wo Italien sehr konservativ war. Das hat meinem Vater sicher imponiert, als er sie auf der Messe kennenlernte.

Er hat sich in sie verliebt, und sie waren sieben Jahre zusammen. Diese Jahre beschreibt meine Mutter wie einen Traum. Flüge nach hier und nach da. Die Firma Mister Chef lief gut, sie konnten sich ein schönes Haus bei Bergamo kaufen. Auf einmal kommt ein Angebot von der Firma McCormick. Das war ein Zweig von Unilever und die grasten ganz Europa ab, um Firmen aufzukaufen. Nach dem Krieg waren kleine Firmen wie die Pilze emporgeschossen, und die großen Konzerne haben versucht, so viele Marktanteile wie möglich für sich zu gewinnen. So kamen die Firmenvertreter mit Koffern voll Geld und unterbreiteten Angebote. Eben auch meinem Vater. Herr Sepe, hier, wir kaufen Ihre Firma. Er hat lange überlegt, und sagte erst einmal: Nee danke, aber ich komme auf Sie zurück. Sie haben eine Visitenkarte mit einer Telefonnummer hinterlassen, die mein Vater glücklicherweise aufbewahrt hatte. Denn schon bald passiert das nächste große Ding …

 

3 Die Idee des Safariparks

Auf einem Flug nach New York lernte mein Vater Charles Stein kennen. Es war Anfang, Mitte der 60er-Jahre gewesen, ein paar Jahre vor meiner Geburt. Die Flugzeuge hatten noch keine platzsparenden Sitzreihen, sondern waren wie Brasserien eingerichtet. So beschrieb es mein Vater. In Clubsesseln saß man um runde Tischchen herum. Ich habe keine Ahnung, was sie bei Turbulenzen gemacht haben. Mein Vater war unterwegs von Mailand nach New York und saß Charles Stein gegenüber. Ein amerikanischer Jude, ursprünglich wohl ein deutscher Jude, der es geschafft hatte, zusammen mit seinem Opa aus dem Konzentrationslager Auschwitz zu fliehen. Fragen Sie mich nicht, wie er das angestellt hat! Sie sollen versteckt im Rumpf eines Frachters über Hamburg nach New York gelangt sein, wo sie gemeinsam ein kleines Geschäft für Uhrenreparaturen aufmachten. Von dieser Klitsche aus hat Charles Stein ein Imperium aufgebaut. Als mein Vater ihn kennenlernte, war sein Unternehmen Hardwicke Companies bereits an der Wall Street gelistet. Es war damals üblich, dass man einen Namen von einem britischen Earl kaufte und ihn zum Gesicht der Firma machte, um sich einen gediegenen Touch zu verleihen. Und um damit die konservativen Republikaner zu überzeugen, ihr Geld zu investieren. Charles Stein war also nach England geflogen, hatte sich mit Earl Hardwicke geeinigt und ihn überzeugt, Vorstand beziehungsweise Aufsichtsrat der Gesellschaft zu werden. So entstand eine Gesellschaft, die kurz darauf zahlreiche Unternehmen umfasste, vor allem Ketten von Hotels und Restaurants und Diätzentren, dazu zig Duty-free-Supermärkte entlang der Grenze zu Mexiko, Golfclubs und so weiter. Das Unternehmen expandierte in atemberaubendem Tempo, sodass das Geschäftsvolumen in wenigen Jahren praktisch von null auf 400 Millionen Dollar geschossen war. Ein Wahnsinnserfolg an der Börse. Sie hatten Büros neben dem World Trade Center. Im Grunde fast unglaublich, dass mein Vater ausgerechnet mit diesem Geschäftsmann im Flieger saß! Stein muss zu der Zeit etwa in der Mitte seines Erfolgs gewesen sein. Er hatte schon Büros in New York, Häuser in England und Florida.

Die beiden kamen ins Gespräch, mein Vater sprach sicher von Afrika – das tat er gern –, und Stein erzählte, wie er auf der Suche nach einem passenden Earl beim Duke of Bedford in Bedfordshire zu Gast gewesen war. Dieser Duke lebte mit seiner Frau auf dem Adelssitz Woburn Abbey, einem riesigen Schloss mit weitläufigen Parkanlagen. An sich wohl traumhaft, wenn nur seiner Frau nicht so langweilig gewesen wäre. Ihr Mann hatte versucht, sie mit dem Kauf von teuren Kunstwerken aufzuheitern, aber sie wünschte sich Tiere im Garten. Keine Pfauen oder Rehe, sondern etwas Exotisches. So engagierte der Duke of Bedford Jimmy Chipperfield und seine Tochter Mary. Die beiden stammten aus einer englischen Zirkusfamilie und waren so ziemlich die Ersten, die sich auf das Fangen von Wildtieren in Afrika spezialisiert hatten. Die bat der Duke um Hilfe, so nach dem Motto: Meine Frau verlässt mich, wenn wir nicht besondere Tiere für sie besorgen! Und als Charles Stein auf Woburn Abbey übernachtete, öffnete er am Morgen die Fenster des Gästezimmers und zwei neugierige Giraffen steckten ihre Köpfe rein. Er muss gedacht haben, er träumt.

Jedenfalls schlug Charles Stein meinem Vater dort im Flugzeug vor: „Sag mal, du warst doch lange in Afrika und kennst dich da aus. Bist du nicht in der Lage, mit mir so einen Safaripark aufzumachen? Ich habe da eine Idee. Ich habe gesehen, man kann diese Tiere, wenn man sie gut aufstallt, auch in die nördliche Hemisphäre bringen. Es gibt keine Genehmigungsprobleme, keine Quarantäne, nichts. Man kann sie einfach fangen, und wir bauen eine Straße und lassen Besucher durch, was meinst du?

Mein Vater hält das für eine geniale Idee. Darauf muss man erst einmal kommen: Ich baue einen Safaripark jenseits von Afrika und versuche, damit Geld zu verdienen. Mein Vater sagt so etwas wie Das ist ja faszinierend, wow, und als sie in New York landen, lädt Stein meinen Vater zum Essen in eins seiner Restaurants ein. Er besitzt in New York das „Tavern on the Green“ und „Maxwell’s Plum“. Als mein Vater wieder zurück in Mailand ist, ruft er die Leute von MacCormick an, die ihm vorher das Angebot gemacht hatten, sein Lebensmittelunternehmen zu kaufen, und verkauft Mister Chef. So begeistert ist er von der Idee des Safariparks. Ich weiß nicht, vielleicht hat die Erfahrung in Afrika bei ihm – Bing! – die Birne angeschaltet. Charles Stein hatte ihm auch angeboten: Wenn du Geld hast, kannst du es gern in die Hardwicke investieren, dann wärst du auch Gesellschafter!, und das ließ er sich wohl nicht zweimal sagen und wurde so Teil des CEO-Boards. Stein war der Kopf des Unternehmens, Haupt-CEO und Owner, und die Sparten der Tochtergesellschaften wurden von vielen anderen CEOs geleitet. Mit meinem Vater zusammen gründete er „Wild Animal Kingdom / Königreich der wilden Tiere“. Diese Gesellschaft sollte überall auf der Welt Safariparks bauen.

Mein Vater muss total abgegangen sein. Die Socken fliegen von den Füßen, also volle Begeisterung! Boardmeetings in Wolkenkratzern mit Blick auf die Freiheitsstatue und das Meer, Zigarren, Privatjets. Er riecht wieder Jetset-Luft. Ich glaube, das war ihm als Narbe in der Seele geblieben, es zehn Jahre zuvor geschafft und dann alles verloren zu haben. Aber er hatte immer darum gekämpft, wieder in den Jetset zu kommen, das hat ihm so viel bedeutet. Auch hier noch. Er hat zum Beispiel lange versucht, sich ein Boot zu kaufen, auch um zu sagen: Das ist mein Boot, schauen Sie mal! Da war eine Narbe geblieben und das war schade, dass er so sehr der Vergangenheit verhaftet war. Nie Reset und Neustart. Bewusst hatte er es schon geschafft, aber seelisch nicht. Da war immer die Sehnsucht geblieben, wieder mit Giovanni Agnielli an einem Tisch zu sitzen. Ob das so toll war, weiß ich nicht. Agnelli soll ziemlich viel Kokain genommen und Orgien veranstaltet haben. Diese Leute leben in Scheinwelten. Ich halte das für sehr oberflächlich.

In der Zwischenzeit war in der Familie die größte Tragödie passiert. Ich vermute, dass meine Mutter meinem Vater ein bisschen langweilig geworden war. So wie er neben Coco Invernizzi den Sprung in die großen Kreise nicht geschafft hat, so war sie wahrscheinlich zu unkultiviert und unvorbereitet, um nun auf die Höhe meines Vaters zu kommen. Und man darf nicht vergessen, mein Vater war ein Macho durch und durch. Aufgewachsen in den 30er-Jahren in Neapel. Er hatte die Vorstellung, er dürfte sich gegenüber Frauen alles erlauben. Male chauvinism. So: Ich darf das. Ich hab da diesen Lümmel hängen, der muss ja irgendwo hinein, wenn ich Bock habe, dann mach ich es. Das so als Hintergrundmentalität und Glauben. Das hat er vielleicht nicht bewusst so gedacht. Das kam von der Erziehung in Italien, dann der Boom nach dem Krieg, die glamourösen Jahre, jeder vögelt mit jedem. Man hat die kleine niedliche Frau zu Hause und die vulkanische Geliebte im Hotelbett. Ich denke, das machte man halt. Das war gang und gäbe. Man sieht es in italienischen Filmen aus dieser Zeit. Etwa in Serafino mit Adriano Celentano. Darin ist er zwar verheiratet, aber betrügt seine Frau bei jeder Gelegenheit. Das war sehr feige und verletzend und enttäuschend und hatte natürlich desaströse Konsequenzen für die Frauen, die mit den Kindern zu Hause waren und sich um das Essen und alles andere kümmerten. Wenn sie es herausfanden, waren sie am Boden zerstört, aber haben es hingenommen. So war das damals, Tragödien überall, und mein Vater fährt mit meiner Mutter nach Elba, im sechsten Jahr ihres Zusammenseins, und lernt bei einem Abendessen mit Freunden die berühmte Lia Jardini kennen, Ehefrau des Modeunternehmers Dante Trussardi. Sie verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Es waren damals in Italien nicht nur die Männer, die Seitensprünge anfingen, nein, hin und wieder hat sich auch die Frau gesagt, der Mann zu Hause ist langweilig, und hat angefangen, unter dem Tisch zu füßeln. Mein Vater war gleich elektrisiert, denn Lia Jardini war eine faszinierende, sexuell starke Frau, während meine Mutter dagegen mehr so die naive Blonde war. Sie war sehr hübsch, sah ein bisschen aus wie Charlize Theron, aber vielleicht nicht so kulturell, und die andere war dunkelhaarig und ernster. Sexy und selbstbewusst, hat sie meinen Vater einfach sehr fasziniert. Nach diesem Abendessen fingen sie an, sich regelmäßig zu treffen. In den ersten zwei Jahren der Affäre hatte meine Mutter nichts davon mitbekommen. Ich weiß nicht, wie das gehen soll, aber irgendwie hat mein Vater es geschafft, das Ganze zu verheimlichen. Vielleicht gab es kleine Signale und meine Mutter wollte sie nicht sehen, denn ich glaube, Frauen bemerken Seitensprünge ziemlich schnell. Sie spüren es auch im Bett, wenn etwas nicht stimmt. Der Mann riecht vielleicht auch ein bisschen anders. Ich glaube, die Frau ist da weiter entwickelt als der Mann, und hat ihre Instinkte, aber meine Mutter anscheinend nicht.

 

Es kam, dass meine Mutter mit mir schwanger wurde, und im Januar 1970 wurde ich als Siebenmonatskind geboren. Mein Vater rast zum Krankenhaus, sieht mich im Brutkasten und stürzt sofort wieder aus dem Krankenhaus raus. Voller Panik. Er als Mann von 1926! Der bei Mussolinis Schwarzhemden gewesen war. Aufgewachsen mit einer strengen Mentalität. Patriarchalisch, mit dieser ganzen neapolitanischen Macho-Mentalität im Kopf. Also: Ich mit meinem dicken Pimmel und solchen Eiern, ich mach so ein Baby? Das muss an der Frau liegen! Mein Vater hat gleich die Schuld auf meine Mutter und ihre Abstammung geschoben. Nonna Concetta mit dem Schnurrbart und den türkischen Vorfahren! An ihr musste es liegen, dass sein Sohn jetzt ein Krüppel war, denn als Siebenmonatskind siehst du ja aus wie eine nackte Ratte. Als ganz mager hat man mich beschrieben, ich habe davon leider keine Fotos gesehen, aber wohl so wie eine Spinne hieß es, mit ganz dünnen Beinen. Ich war ja noch nicht so ganz fertig und habe anderthalb Monate im Brutkasten gelegen. Das war für meine Mutter ein Horrorszenario, weil jede Mutter möchte natürlich gleich ihr Baby in die Arme nehmen – das ist ja einer der schönsten Momente –, und das konnte sie nicht haben, weil ich sofort in den Kasten musste. Sonst wäre ich an Immunschwäche gestorben, und so konnte sie mich nicht stillen, sie konnte überhaupt nichts mit mir machen. Ein Desaster für sie, und ausgerechnet jetzt flippt mein Vater komplett aus und verbringt noch mehr Zeit mit der anderen Frau. Er hatte vor, sich recht bald von meiner Mutter zu trennen. Die andere war sowieso faszinierender, geiler, mehr sexy. Nur war die andere Frau auch verheiratet und hatte zwei Töchter, Sonia und Veronica Trussardi. Ihr Mann, Dante Trussardi, war der Gründer der berühmten Modemarke mit diesem Windhund im Logo. Auch er hatte mit Leder angefangen. Erst mit Lederhandschuhen, dann Ledertaschen. Die Trussardi-Handtaschen waren in Italien heißbegehrt. Jede Frau in Bergamo oder Mailand kannte Trussardi. Jetzt gerade wurde das Unternehmen für zwei Milliarden an einen Chinesen verkauft, aber der Trussardi-Erbe ist immer noch Geschäftsführer.

 

Die Sache war aber die, dass ich Ende Februar aus dem Brutkasten und nach Hause kam, und nach einem Jahr bekam ich blonde Locken und Pausbacken und lief dann doch mit meinem kleinen Pimmelchen ganz munter durch die Gegend. Mein Vater hatte bis dahin geglaubt, ich sei geistig behindert, aber als er sah, wie ich mich entwickelte, stark wurde und Babyspeck ansetzte und lustig durch die Gegend hüpfte und mit ihm kuscheln wollte, fing er an, sich in mich zu verlieben als Vater. Das ist eine normale, biologische Reaktion, wie bei einem Gorilla, dafür muss man nicht unbedingt Mensch sein. Jedenfalls geht mein Vater zu seiner Affäre, zu Lia Trussardi, und sagt so etwas wie: Liebe Lia, es war toll, aber weißt du was: Es wird doch was mit meiner Familie, ich will nicht mehr diese Seitensprünge hier, ich kehre zurück zu Carla und Fabrizio. In dem Moment dreht Lia komplett durch. Ich liebe dich, und wenn du mich verlässt, gehe ich zu meinem Mann und sage, dass wir eine Beziehung haben! Und mein Vater sagt: Ich lass mich nicht erpressen, du kannst mich mal, tschüss!