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Stellas sehnlichster Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Sie hat ihre Mutter gefunden! Doch die Freude über das Wiedersehen ist getrübt. Der Maharadscha hält Lady Olivia in seinem Palast gefangen.
Durch unterirdische Gänge will Stella mit ihrer Mutter fliehen. Doch der Maharadscha erfährt von der Flucht und gibt einen grausamen Befehl ...
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Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Das Ende einer Irrfahrt
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock / solominviktor
Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-2716-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Was bisher geschah
Die junge Stella flieht von Ferrymoore Castle. Hass und Feindseligkeit vertreiben die Erbin des altehrwürdigen Schlosses im schottischen Hochland. Auch ihre Mutter Olivia wurde einst zur Flucht gezwungen. Lady Olivia trug damals eine Kette aus kostbaren schwarzen Perlen, denen ein magischer Zauber zugeschrieben wurde. Seitdem blieb sie auf rätselhafte Weise verschwunden.
Die Suche nach Lady Olivia führt Stella um den halben Erdball. Mit jeder Perle findet sie eine Station im geheimnisvollen Leben ihrer Mutter. Aber dabei wird sie selbst das Opfer tragischer Verstrickungen.
Stella findet endlich ihre Mutter. Lady Olivia ist inzwischen die Frau eines Maharadschas.
Die Hauptpersonen dieses Romans
Stella Douglas – Lady Olivias Tochter und Erbin von Ferrymoore Castle in Schottland
Maharani Indira – Lady Olivia
Ashoka – Maharadscha von Benares
Maja – Hofdame der Maharani
Nancy Jenkins – Eine junge Engländerin
Suraja – Ein Buddhistenmönch
Patrick – Herzog Young of Windhome
Mike Hylander – Stellas bester Freund
Jock
Das Ende einer Irrfahrt
von O. S. Winterfield
Stellas sehnlichster Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Nach einer schier endlosen Suche hat sie ihre Mutter doch noch gefunden. Doch die Freude über das Wiedersehen ist getrübt. Der Maharadscha von Benares hält Lady Olivia in seinem Palast gefangen.
In der Geliebten des Maharadschas, der jungen Engländerin Nancy, hat Stella eine Verbündete. Gemeinsam schmieden die beiden Frauen einen Fluchtplan. Durch unterirdische Gänge wollen sie Lady Olivia aus dem Palast schaffen. Doch der Maharadscha erfährt von der Flucht und gibt einen grausamen Befehl …
Durch den Palast Bahadur in Benares stürmten die Wachsoldaten. Sie polterten über Treppen, stießen Türen auf, durchwühlten Zimmer und schrien wild durcheinander.
Vor dem Palast war die Wache verstärkt worden. Passanten vermuteten einen Anschlag auf den Maharadscha Ashoka oder eine Palastrevolte.
Keines von beidem stimmte. Der Maharadscha ließ nur ein junges rotblondes Mädchen suchen – Stella Douglas. Er kannte diesen Namen nicht, denn Stella hatte ihn verschwiegen, als sie von den Leibwächtern des Maharadschas in den Pavillon im Palastgarten geschleppt worden war. Ashoka hatte sie Radha genannt.
Lady Olivia wusste, dass Stella in ihrem Hotel in Benares war und dass die Wachsoldaten vergeblich durch den Palast stürmten. Umso mehr erschrak sie, als plötzlich lautes Johlen erklang, Siegesgeschrei, als ob die Wachsoldaten Erfolg gehabt hätten.
Nancy umarmte Olivia. »Stella wird doch nicht gewagt haben, zurückzukommen?«
Sie stützte jetzt die Frau, die als Maharani Indira im Palast lebte und für sie hier in der Gefangenschaft wie eine Mutter geworden war.
»Wir müssen hinausgehen, Nancy.« Aus dem Gesicht der Maharani schien der letzte Blutstropfen gewichen zu sein.
Als sie auf den Korridor kamen, sahen sie einen Pulk von Wachsoldaten in ihren roten Uniformen. Sie hielten einen kahl geschorenen buddhistischen Mönch fest. Sein weißes Büßerhemd war schmutzig und zerrissen, er war barfuß.
Nancy lehnte sich fest an die Maharani und flüsterte: »Es ist nicht Stella, Maman. So beruhige dich doch. Stella ist noch im Hotel Shivala. Der Maharadscha wird es nie erfahren.«
Die Maharani strich sich über die Augen. »Nein, es ist nicht Stella. Gott sei gedankt, dass sie es nicht ist. Aber ich kenne den Mönch. Er stammt aus dem Kloster zwischen den Hügeln von Jaipur. Es ist Suraja. Jahan Sha wird ihn geschickt haben.«
Die Hofdame Maja, die bei der Maharani und bei Nancy stand, hatte alles gehört. Sie wusste, dass die Maharani schon zweimal in dem buddhistischen Kloster gesund gepflegt worden war. Als junges Mädchen und später als Lady Olivia.
Leise fragte Maja: »Wie heißt der Mönch? Suraja?«
Die Maharani nickte.
Maja ging mit ihren kurzen, festen Schritten auf die Wachsoldaten zu. Sie genoss im Palast großes Ansehen. Ihr Vater war ein hoher Hofbeamter gewesen, bis er mit seiner Frau bei einem Aufstand ermordet worden war.
»Was grölt ihr hier herum? Sollt ihr nicht das rotblonde Mädchen suchen?«
Die Wachsoldaten verstummten. Sie zeigten auf den buddhistischen Mönch. »Den haben wir in einer Kammer gefunden.«
Maja lachte. Sie stemmte die Hände in die Hüften, aber sie war so klein und zart, dass sie dadurch nicht viel gewichtiger erschien.
»Habt ihr den Verstand verloren, ihn wie einen Verbrecher hier einzukesseln? Das ist doch Suraja, mein alter Freund.« Sie zwängte sich zwischen den Wachsoldaten durch und griff nach der Hand des Mönchs. »Wie siehst du aus, Suraja? Hast du dich in der Kammer versteckt, weil du gefürchtet hast, es sei eine Palastrevolte in Gang?« Sie sah den Mönch mit eindringlichen Blicken an.
Er nickte. »Ja, es war zum Fürchten.«
Maja scheuchte die Wachsoldaten auseinander. »Da seht ihr, was ihr anrichtet. Euch macht es Spaß, den ganzen Palast zu durchsuchen und dabei zu lärmen, dass sich unsereins am liebsten auch verstecken würde. Jetzt verschwindet. Lasst euch nicht vom Maharadscha erwischen. Wenn er erfährt, wie stolz ihr darauf gewesen seid, statt des rotblonden Mädchens einen Mönch entdeckt zu haben, wird er nicht gerade sanft mit euch umgehen.«
Die Wachsoldaten zogen die Köpfe ein und verschwanden.
Maja nahm den Mönch Suraja mit in ihr Zimmer. Im Vorbeigehen sagte sie zur Maharani: »Ich komme dann mit ihm zu Ihnen.«
Nach kurzer Zeit kehrte im Palast wieder Ruhe ein. Die Suche nach dem rotblonden Mädchen wurde aufgegeben. Der Maharadscha war wütend und ließ sich zum Golfspielen fahren. Das war die einzige Beschäftigung, der er ab und zu nachging.
Davon, dass sich ein Mönch im Palast versteckt gehalten hatte, erfuhr er nichts, denn die Wachsoldaten hatten sich abgesprochen, darüber zu schweigen. Sie hielten Surajas Auffinden für einen Reinfall, so wie es ihnen die Hofdame Maja sehr geschickt beigebracht hatte.
Inzwischen hatte Maja den verdutzten Suraja instruiert. Er musste behaupten, sie schon lange zu kennen. Heute habe er sie besuchen wollen und sei vor den Wachsoldaten in die Kammer geflüchtet.
Suraja war damit einverstanden. Nun konnte er die Maharani besuchen.
Sie umarmte ihn. »Suraja, dich kann nur Jahan Sha schicken.«
Suraja nickte. »Ja, aber ich habe es wochenlang nicht geschafft, herauszubekommen, ob Sie unsere Olivia sind. Jahan Sha wird schon ungeduldig auf mich warten. Gestern habe ich den Entschluss gefasst, mich in den Palast zu schleichen. Das ist mir gelungen, und ich hielt mich die ganze Nacht in der Kammer versteckt. Ich wollte eine günstige Gelegenheit abwarten, um mit Ihnen zu sprechen, Maharani.« Er lachte hintergründig. »Oder darf ich Sie noch so vertraut ansprechen wie zu der Zeit, als Sie bei uns im Kloster waren?«
»Ja, bitte, tu das, Suraja. Ich bin nicht freiwillig die Maharani Indira geworden. Ich hätte Jahan Sha gern eine Nachricht zukommen lassen, aber hier wird alles überwacht, was ich mache. Ich könnte nicht einmal einen Brief hinausschmuggeln, es sei denn, Maja täte es für mich. Aber der Verdacht würde sofort auf sie fallen. Ich durfte ihr keine Schwierigkeiten machen. Nicht für kleine Dinge, ich werde Maja bald zu etwas anderem sehr dringend brauchen.«
»Sie hat mir gesagt, dass du fliehen willst, Olivia. Ist das nicht zu gewagt?« Suraja sah Olivia sehr besorgt an.
»Wir dürfen keine Angst haben, Suraja, Nancy und ich. Sie kann ich nicht zurücklassen, wir müssen gemeinsam fliehen. Und wir werden es schaffen. Wir müssen nur erst Gelegenheit haben, alles mit meiner Tochter Stella zu besprechen.«
Suraja war noch ein junger Mönch. Deshalb hatte ihn Jahan Sha wohl auch mit dem Auftrag betraut, nachzuforschen, ob Olivia die Maharani Indira sei. Er hatte den Schreck, den ihm die Wachsoldaten eingejagt hatten, schnell überwunden und wurde wieder unternehmungslustig.
»Ich möchte dabei helfen, Olivia. Das ist sicher auch in Jahan Shas Sinne. Er sorgt sich sehr um dich.«
Maja lachte. »Das gefällt mir, Suraja. Einen Mönch können wir als Komplizen brauchen. Ich werde dafür sorgen, dass Sie heute Nacht in einem Fremdenzimmer des Palasts übernachten können und nicht wieder in einer Kammer. Bis morgen besorge ich etwas für die Flucht sehr Wichtiges: einen Plan der unterirdischen Gewölbe. Ich finde zwar den Weg zum Ausgang, aber ich weiß nicht, wo die Schleusen sind.«
»Welche Schleusen?«, fragte Olivia erschrocken.
Maja sah sie lange an. »Ich habe Ihnen bis jetzt verheimlicht, dass einige der Gewölbe nur durch Schleusen von einem riesigen Wasserreservoir getrennt sind.«
Nancy war sehr erregt. »Stella hat gesagt, sie habe Wasser rauschen hören, als sie durch die Gewölbe geirrt ist. Dann stimmt das also doch. Ich wollte es ihr ausreden.«
»Es stimmt«, sagte Maja. »Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, dass die Schleusen einmal geöffnet wurden, aber mein Vater erzählte davon. Zu seiner Zeit soll man bei einer Revolte die Belagerer des Palasts in die Gewölbe gelockt und dort die Schleusen geöffnet haben.«
»Das muss ein furchtbarer Tod sein.« Nancy schmiegte sich an Olivia. »Wir müssen einen anderen Fluchtweg suchen, Maman. Ashoka lässt alles in den Gewölben instand halten. Überall sind Lichtschalter und Glühbirnen. Er wird also auch dafür sorgen, dass die Schleusen funktionieren.«
Maja schüttelte den Kopf. »Wir dürfen uns jetzt nicht selbst Angst einjagen. Es gibt keinen anderen Weg aus dem Palast als durch die Gewölbe. Morgen hole ich Stella aus dem Hotel Shivala, damit wir alles mit ihr besprechen können. Sie wird schon sehr auf eine Nachricht von uns warten.«
Olivia war sehr besorgt. »Wenn nur Stella nicht wieder auf eigene Faust etwas unternimmt. Wir sollten ihr heute schon eine Nachricht zukommen lassen.«
»Ich kann nicht so oft aus dem Palast gehen, das fällt auf«, sagte Maja. »Bisher hat Ashoka Vertrauen zu mir gehabt, aber das könnte schnell anders werden, wenn ich mich auffällig benehme.«
»Kann ich deine Tochter nicht besuchen, Olivia?«, fragte Suraja. Er lachte. »Deine Hofdame hat ja dafür gesorgt, dass ich hier keine verdächtige Person bin.«
»Ja, gehen Sie zu Stella«, sagte Maja. »So bald wie möglich. Wir dürfen sie wirklich nicht länger im Ungewissen lassen. Ich bringe Sie bis zur Wache. Kommen Sie, wir gehen gleich.«
Diese kleine, zarte Frau hatte eine bewundernswerte Entschlusskraft.
Olivia sah Maja dankbar an und drückte Surajas Hand. »Welch ein Glück, dass Jahan Sha dich nach Benares geschickt hat, Suraja. Geh zu meiner Tochter.« Sie hatte Tränen in den Augen. »Es ist noch immer wie ein Wunder, dass ich so sicher von meiner Tochter sprechen kann. Sie hat mich gesucht, sie will mich aus dem Palast befreien. Dabei konnte sie sich nicht einmal an mich erinnern. Man hatte ihr eingeredet, ich sei tot. Nun sind wir wieder beide in Gefahr. Warum lässt man uns nicht endlich miteinander in Frieden leben?«
Nancy versuchte, Olivia zu beruhigen. Der buddhistische Mönch stand hilflos daneben. Er kannte Olivias Schicksal und dachte daran, wie wenig Menschen es doch auf dieser Erde gab, denen großes Leid erspart blieb.
Suraja und Maja verließen das Zimmer der Maharani und gingen zum Portal. Dort unterhielten sie sich noch einige Minuten über unverfängliche Dinge, dann gab Maja der Wache den Auftrag, Suraja wieder hereinzulassen, wenn er von seinem Weg in die Stadt zurückkam.
***
Suraja hatte es nicht schwer, das Hotel Shivala zu finden. Er fragte nach Stella Douglas, und man nannte ihm die Nummer ihres Zimmers.
Stella hatte die Tür verschlossen. Längere Zeit blieb es still, als Suraja klopfte. Dann besann er sich, dass Stella befürchten könnte, vom Maharadscha aufgespürt zu werden.
Er drückte seinen Mund an den Türspalt und sagte: »Miss Stella, ich komme von Jahan Sha …«
Einige Sekunden blieb es noch still, dann waren leise Schritte zu hören, und die Tür wurde geöffnet.
»Wer sind Sie?«, fragte Stella. Sie schien selbst darüber zu erschrecken, dass ein Mönch vor ihr stand.
»Ich bin Suraja. Hat Jahan Sha nie meinen Namen genannt? Er hatte mich nach Benares geschickt, um auszukundschaften, wer die Maharani ist.«
»Bitte kommen Sie herein«, sagte Stella und blickte ängstlich den Flur entlang. »Jahan Sha hat mir nie den Namen des Mannes genannt, den er nach Benares geschickt hat.«
»Ich komme von Ihrer Mutter, Miss Stella.« Suraja setzte sich auf den Stuhl, den ihm Stella anbot.
»Sie sagen von meiner Mutter. Dann wissen Sie alles, Suraja?«
»Ja, ich weiß alles. Sie können mir vertrauen. Ich werde Ihnen helfen, Ihre Mutter aus dem Palast zu holen. Jetzt bin ich nur da, weil wir Angst hatten, Sie könnten sich zu einer Unbesonnenheit hinreißen lassen.«
»Ich bin den ganzen Tag noch nicht aus dem Hotel gegangen.« Stella sah blass und abgespannt aus. Sie bekannte: »Ich habe schon viele Abenteuer durchstehen müssen und bin oft in Lebensgefahr gewesen, aber nie habe ich so viel Angst wie jetzt gehabt. Vielleicht, weil es nicht mehr um mich allein geht.« Sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. »Das Glück, dass ich meine Mutter endlich gefunden habe, ist so unfassbar, dass ich jetzt vor Furcht zittere, ihr könnte etwas geschehen.«
Stella griff nach Surajas Hand. »Ich danke Ihnen, dass Sie zu mir gekommen sind. Ich konnte es allein beinahe nicht mehr aushalten. Die Sorge meiner Mutter, ich könne eine Unbesonnenheit begehen, war berechtigt. Wenn ich nicht in der vergangenen Nacht so große Strapazen durchgestanden hätte, wäre ich sicher schon wieder zum Palast gegangen. Ich habe keine ruhige Minute mehr. Ashoka ist sehr zu fürchten. Was kann er meiner Mutter noch alles antun?«
Suraja versuchte, Stella etwas zu beruhigen, aber es gelang ihm nicht. Sie lebte in der Angst, dass in letzter Minute vor der Befreiung ihrer Mutter noch ein großes Unglück geschehen würde.
»Ich habe dem Mann telegrafiert, der mir sehr nahesteht.« Stella errötete. »Wenn ich glücklich nach Europa zurückkehre, will ich seine Frau werden.« Dann erzählte sie von Patrick.
»Sie haben ihn gebeten, nach Benares zu kommen?«, fragte Suraja.
»Ja, das habe ich getan. Ich hatte versprochen, ihn zu rufen, wenn ich seine Hilfe brauche. Ich warte jede Stunde auf einen Anruf oder auf ein Telegramm von ihm.«
»Dann werden wir eine verschworene Gemeinschaft sein, die es sicher schaffen wird, Ihre Mutter und Nancy aus dem Palast zu schleusen.«
»Und dann, Suraja?«, fragte Stella. »Wenn die Flucht zu früh herauskommt, sind wir hier in Benares noch immer in großer Gefahr. Auch an anderen Orten in Indien.«
»In unserem Kloster zwischen den Hügeln von Jaipur wären Sie sicher, Miss Stella. Wir müssen also sofort dorthin fahren.«
»Oder fliegen«, sagte Stella.
»Davon würde ich abraten. Den Flughafen zu kontrollieren, ist das Einfachste. Mieten Sie einen Wagen, Miss Stella, und zwar am besten schon heute. Das fällt am wenigsten auf.«
Stella sah den Mönch unschlüssig an.
»Maja will Sie morgen holen, Miss Stella. Heute Abend wollen wir den genauen Fluchtplan schmieden. Wenn die Flucht morgen möglich ist, wollen wir nicht mehr warten.« Suraja sah Stella nachdenklich an. »Wollen Sie wirklich noch einmal in den Palast gehen? Ich traue Maja zu, dass sie es schafft, mit Ihnen in irgendeiner neuen Verkleidung die Wachen zu passieren, aber dann müssen auch Sie flüchten. Ich halte es für besser, wenn Sie außerhalb des Palastes auf Ihre Mutter warten.«
Stella sah ihn entsetzt an. »Nein«, sagte sie dann sehr entschieden. »Ich lasse meine Mutter auf der Flucht nicht allein. Ich will bei ihr sein. Und wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, wird es auch mich treffen.«
Suraja sah ein, dass Stella sich nicht umstimmen lassen würde.
»Soll ich den Mietwagen besorgen, Miss Stella?«, fragte er.
»Könnten Sie das?«, meinte Stella. Es war ihr anzusehen, wie erleichtert sie wäre, wenn ihr Suraja diesen Dienst erweisen würde.
Er lächelte und sah an sich hinunter. »Ich sehe zwar nicht sehr vertrauenerweckend in meinem schmutzigen, zerrissenen Hemd aus, aber ich habe Brüder in Benares, die ich nachher besuchen will. Sie werden mir mit einem frischen Hemd aushelfen. Und es wird sich niemand darüber wundern, wenn ich einen Wagen miete. Auch buddhistische Mönche gehen nicht immer nur zu Fuß.«
Stella öffnete ihr Portemonnaie und gab Suraja Geld.
»Falls Sie eine Kaution für den Wagen hinterlegen müssen«, sagte sie etwas verlegen. »Haben Sie auch einen Führerschein?«
»Nein«, sagte Suraja betroffen, »aber ich kann fahren.«
»Anscheinend muss ich noch viel dazulernen. Zum Beispiel, dass sich Mönche in Indien allerhand zutrauen.«
»Wenn wir damit jemandem helfen können, nehmen wir einiges auf unser Gewissen.« Suraja stand auf. »Ich erledige jetzt meine Wege noch, dann gehe ich in den Palast zurück.«
»So einfach?«, fragte Stella. »Wie ist das möglich?«
Erst jetzt erzählte Suraja, auf welch abenteuerliche Weise er bis zu ihrer Mutter vorgedrungen war. Eines aber verschwieg er Stella: dass die Palastwache ein Mädchen mit langen, rotblonden Haaren gesucht hatte.
***
Eine Stunde, nachdem Suraja gegangen war, wurde vom Empfangschef ein Telefongespräch in Stellas Zimmer gelegt.
»Sie werden aus Irland verlangt«, sagte er mit gewohnt verbindlicher Stimme.
Stella konnte nicht begreifen, dass er so gelassen war. Es musste doch Patrick sein, der sie sprechen wollte. Stella lächelte. Was interessierte den Empfangschef eines indischen Hotels schon, wer seine Gäste anrief?
»Hallo, Stella, bist du schon am Apparat?«, hörte sie eine Stimme aus dem Hörer.
»Patrick!« Stellas Stimme klang heiser, sie hatte einen Kloß im Hals, und die Tränen saßen sehr locker. »Patrick, ich höre dich, ganz nah. Und wir sind doch so unendlich weit voneinander entfernt.«
»Nicht mehr lange, Stella. Ich bin schon reisefertig. Wenn es mir glückt, heute Abend in Cork noch eine Maschine zu bekommen, bin ich morgen Vormittag bei dir. Aber es ist unsicher. Ich habe leider dein Telegramm erst vor einer Stunde bekommen. Und jetzt wollte ich unbedingt noch anrufen.«
»Es ist gut, deine Stimme zu hören, Patrick. Ich bin so allein, ich habe Angst, alles falsch zu machen. Warum war ich nicht damit einverstanden, dass du sofort mit mir nach Indien fliegst?« Stellas Stimme zitterte.
»Stella«, sagte Patrick sehr besorgt, »so kenne ich dich nicht. Wovor hast du so große Angst?«
»Dass meiner Mutter noch etwas passiert. Patrick, ich habe sie gefunden, endlich habe ich sie gefunden.«
»Ja, das hast du mir telegrafiert. Es ist wie ein Wunder, Stella. Niemand kann sich so mit dir freuen wie ich.«
»Das weiß ich, Patrick. Hast du meine Briefe auch bekommen?«
»Aus Jaipur schon.«
»Aber ich habe dir auch aus Benares geschrieben. Wenn du diese Briefe noch nicht hast, weißt du gar nicht genau, wie ich auf die Spur meiner Mutter gekommen bin.« Stellas Worte überschlugen sich jetzt, so schnell erzählte sie Patrick, dass ihre Mutter die Maharani Indira war und von Maharadscha Ashoka festgehalten wurde. »Morgen Vormittag erzähle ich dir alles genau. Du wirst mir helfen. Am Nachmittag werde ich wahrscheinlich schon in den Palast geholt. Heimlich.«