Die Tempelritter-Saga - Band 22: Der Kaiser des Westens - Hanns Kneifel - E-Book
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Die Tempelritter-Saga - Band 22: Der Kaiser des Westens E-Book

Hanns Kneifel

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Beschreibung

„Die Juden mit den seltsamen Riten, ihrem Geiz und ihrem Vermögen – sie verdienen am Zins mehr als ich mit ehrlicher, schweißtreibender Schufterei!“ – „Die Tempelritter-Saga“ jetzt als eBook bei dotbooks. In Jerusalem regiert die Angst: Jüdische Pilger werden auf offener Straße von dunkel gekleideten Männern überfallen und entführt. Welches Schicksal droht den Verschleppten? Um die Täter zu fassen, müssen sich der Tempelritter Henri und seine Gefährten in die düstersten Ecken der Stadt wagen. Dort decken sie etwas Unglaubliches auf: Hinter den Entführungen steckt ein bekannter und allseits respektierter Geschäftsmann. Doch nun zeigt er seine andere Seite. Abu Lahab ist machthungrig und gefährlich. Um seine düsteren Ziele zu verfolgen, geht er skrupellos über Leichen … Die Tempelritter, der mächtigste Orden des Mittelalters: Eine packende Abenteuer-Saga, die mehrere Kontinente und Jahrzehnte umspannt! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 310

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Über dieses Buch:

In Jerusalem regiert die Angst: Jüdische Pilger werden auf offener Straße von dunkel gekleideten Männern überfallen und entführt. Welches Schicksal droht den Verschleppten? Um die Täter zu fassen, müssen sich der Tempelritter Henri und seine Gefährten in die düstersten Ecken der Stadt wagen. Dort decken sie etwas Unglaubliches auf: Hinter den Entführungen steckt ein bekannter und allseits respektierter Geschäftsmann. Doch nun zeigt er seine andere Seite. Abu Lahab ist machthungrig und gefährlich. Um seine düsteren Ziele zu verfolgen, geht er skrupellos über Leichen …

Die Tempelritter, der mächtigste Orden des Mittelalters: Eine packende Abenteuer-Saga, die mehrere Kontinente und Jahrzehnte umspannt!

Über den Autor:

Hanns Kneifel (1936–2012) studierte Pädagogik. Er war einige Jahre als Berufsschullehrer tätig, bis er den Entschluss fasste, als freier Schriftsteller zu arbeiten. Er wurde zu einem der erfolgreichsten deutschen Autoren im Fantastik-Bereich und veröffentlichte zahlreiche Science-Fiction-, Horror- und Fantasyromane. Außerdem schrieb er als einer der Hauptautoren für die Perry-Rhodan-Serie. Hanns Kneifel lebte in München und zeitweise auf Sardinien.

Für die Tempelritter-Saga schrieb Hanns Kneifel auch folgenden Band:

»Die Tempelritter-Saga – Band 21: Das Geheimnis der Schriften«

***

eBook-Neuausgabe Juni 2016

Dieses Buch erschien bereits 2007 unter dem Titel »Der Kaiser des Abendlandes« im Pabel-Moewig Verlag

Copyright © der Originalausgabe 2007 by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Copyright © der Neuausgabe 2014 bei dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/artforce und Kiselev Andrey Valerevich

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95520-833-2

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Hanns Kneifel

Der Kaiser des Westens

Die Tempelritter-Saga

Band 22

dotbooks.

Kapitel 1

Oktober Anno Domini 1324: Herbst in Jerusalem

Mitten in der Nacht, unter einem Himmel voller ungewöhnlich hell strahlender Sterne, stand Sean of Ardchatten auf einem schwankenden Baugerüst. Die schmale Sichel des Mondes leuchtete fade. In der Dunkelheit, in die Jerusalems Gassen getaucht waren, war Sean nur einer von vielen Schatten. Seine schwarzen weiten Hosen und die schwarze Kapuzenjacke, die ein dunkler Stoffgürtel zusammenhielt, zeichneten sich kaum von der Umgebung ab.

Seit mehr als einem halben Jahr verließ Sean nun schon zwei bis drei Mal pro Woche das Haus der Gefährten und streifte durch die Stadt. Er war dabei jedoch selten allein, fast immer begleitete ihn sein Freund Suleiman. Auch heute, in der fast mondlosen Nacht, huschte der junge Araber unterhalb von Sean durch eine Gasse, die in pechschwarzer Finsternis lag, und erreichte einen menschenleeren Platz, der von Fledermäusen umflattert wurde. Beide Männer bewegten sich so geschickt, als hätten sie Katzenaugen. Das schwache Licht der Sterne und des Sichelmondes genügte ihnen, um sehen zu können, wonach sie suchten.

Sean und Suleiman machten Jagd auf Bösewichter und Räuber. Männer, die Pilger, Bettler oder kleine Händler überfielen und ihnen die wenigen Münzen stahlen, die sie bei sich trugen – die kärgliche Ausbeute ihres Tagwerks. Niemand kannte die schwarz gekleideten Schatten; im Souk und im Basar nannte man sie »das Schwert, das den Armen hilft«. Solange man nicht »die Schwerter« sagte, konnten sie davon ausgehen, dass die Leute glaubten, ein Einzelner helfe den Armen und schwinge um ihrer willen des Nachts das Schwert.

Wir finden sie alle, dachte Sean und kletterte die wackligen Sprossen der Gerüstleitern behänd und geräuschlos hinab. Zwei Zypressen, deren Blätter im schwachen Nachtwind leise raschelten, zeichneten sich schwarz gegen den Sternenhimmel ab. Trotz der Dunkelheit hatte Sean genug gesehen: Suleimans Schwert war im milchigen Licht der Nacht aufgeblitzt. Der Freund schien etwas Verdächtiges beobachtet zu haben, sonst hätte er seine Waffe nicht gezückt.

Von der letzten Sprosse aus sprang Sean zu Boden. Seine weichen Schuhe, die er zusammen mit Suleiman in einer kleinen Schuhmacherwerkstatt in Jerusalem erstanden hatte, federten den harten Aufprall gut ab. Wieder einmal dachte Sean, was für ein kluger und geschickter Mann sein Freund doch war. Der junge Araber beherrschte alle Listen und Kniffe, die in den Überresten der Mauern von Jerusalem zum Überleben nötig waren, in Vollendung. Fast lautlos schlich Sean in die Richtung, aus der er Suleimans Schwert hatte aufblitzen sehen.

Aus einem Spalt zwischen zwei Häusern zischte ihm eine Stimme zu: »Ein betrunkener Händler, Sean. Auf dem Platz der Tamarisken.«

Sean blieb stehen, machte zwei Schritte zur Seite und stieß gegen eine Mauer. Neben ihm schälte sich eine dunkle Gestalt aus der Finsternis.

»Ich habe keine Verfolger gehört oder gesehen«, flüsterte Sean. »Siehst du mehr?«

Suleiman nickte. »Ich habe Stimmen gehört. Am Rand des Platzes«, entgegnete er.

Welch ein Unterschied, welch ein Wandel!, dachte Sean. Noch im Frühling war er in der Stadt ein Fremder gewesen, der über alles gestaunt hatte, was man dort sehen und erleben konnte. Im Schutz des Hauses nahe dem jüdischen Viertel, das Uthman von seinem Vater geerbt hatte, hatten Suleiman und die Gefährten ihm dann während der ersten Wochen seines Aufenthalts die Furcht, in der großen Stadt verloren zu gehen, genommen. Und jetzt streifte er bereits wie ein Dschinn durch die Klüfte, Schluchten und Spalten, die sich in ihrem Gefüge auftaten, wie eine Eule auf der Jagd nach Mäusen, ganz so, als hätte er nie etwas anderes getan.

»Los! Zum Platz. Wenn sie’s auf den Betrunkenen abgesehen haben, packen wir sie«, wisperte Sean und folgte Suleiman, der schnell, aber lautlos in der Mitte der schmalen Gasse auf deren Ende zu huschte.

Nach etwa hundert Schritten erreichten sie den Rand eines kleinen, fast runden Platzes, an dessen äußerem Ring drei mittelgroße Tamarisken wuchsen. Das helle Sandsteinpflaster reflektierte das fahle Mondlicht und gestattete ihnen, Einzelheiten zu erkennen. Aus dem Maul einer etwa acht Handbreit großen, gemeißelten Fratze an einer Häuserwand rann ein fingerdünner Wasserstrahl in ein steinernes Becken. Dort sammelte sich das Wasser und lief über den Rand des Beckens auf das Pflaster. Vielleicht hatten die Nadeln der Tamariske den Abfluss verstopft. Ein schmalschultriger Mann kniete auf dem nassen Boden, schaufelte sich mit beiden Händen Wasser ins Gesicht und lallte etwas Undeutliches.

Sean spürte Suleimans Hand an seinem Oberarm. »Warte!«, hauchte der Freund so leise wie möglich. »Sie sind hier irgendwo.«

Sean nickte und verfolgte aufmerksam, wie die Gestalt immer wieder den Kopf in das Becken tauchte und sich dann prustend schüttelte. Der Stoffstreifen eines Turbans ringelte sich in wirren Windungen über das Pflaster bis zu dem Wurzelwerk eines Baums, das die Steinplatten durchbrochen hatte. Unendlich langsam wanderten Mondlicht und Schatten. Und ganz plötzlich, fast erschreckend für Suleiman und Sean, kamen zwei grauschwarze Gestalten aus verschiedenen Richtungen auf den knienden, schwankenden Mann zugerannt. Stoff wehte durch die Luft, ein Sack oder ein Tuch bedeckte innerhalb zweier Atemzüge Kopf und Schultern des Unglücklichen, dann hörte Sean einen dumpfen Schlag und einen weiteren, schwer zu deutenden Laut.

Mit einem Mal war der Platz von einem aufgeregten Getümmel erfüllt. Hände rissen an Stoff. Körper klatschten dumpf auf die Steine. Metall klirrte, dann hörte Sean, wie eine Schneide Leder oder dicken Stoff zerschnitt.

»Du von rechts«, hauchte Suleiman. »Ich von der anderen Seite.«

Die beiden jungen Männer packten die Griffe ihrer gekrümmten Holzschwerter. Für einen Notfall hatte jeder von ihnen noch einen langen Dolch in einer Lederscheide an den linken Unterarm geschnallt, sodass sie die Waffen mit einem Ruck der Rechten ziehen konnten. Bisher hatten die Holzschwerter zwar immer ausgereicht, aber vielleicht würden sie eines Tages zu schärferen Waffen greifen müssen. Lautlos schwangen sie die Krummschwerter über ihren Köpfen und rauschten auf die Plünderer zu, während das leise Klirren von Münzen und die kaum lauteren Stimmen der Bösewichter in ihren Ohren klangen.

Wie aus dem Nichts schnitten Seans und Suleimans Schwerter durch die Luft. Ihre breiten Seiten trafen Knie oder Schienbeine der Diebe. Zwei markerschütternde Schreie gellten durch die Nacht. Dann prasselten Hiebe auf Schultern und Arme der Halunken herab. Leises Knacken von brechenden Knochen war zu hören und einige Schmerzenslaute. Die beiden Räuber sprangen zur Seite, jaulten, wimmerten und verloren Dinge aus ihren Burnussen.

»›Das Schwert, das die Armen schützt‹«, sagte Suleiman mit Grabesstimme, »verschont euch heute noch einmal.«

Einer der Diebe hinkte, humpelte schwankend in die nächste Gasse hinein und zog eine dünne Spur aus Blutstropfen hinter sich her. Dem anderen schlug Sean mit der Gegenschneide seines Schwerts in den Nacken.

»Wir kennen eure Namen«, rief er. »Beim nächsten Mal seid ihr des Todes.«

Er riss das Schwert in die Höhe und ließ den zweiten Gauner entkommen. Ein gutes Dutzend Atemzüge später waren nur noch klatschende Sandalentritte zu hören und Schmerzenslaute, die die Flüchtenden ausstießen, wenn sie mit ihren lädierten Schultern gegen Mauervorsprünge oder Türen prallten. Der Bettler lag bewusstlos in einer Wasserlache, die immer größer wurde.

»Was tun wir mit ihm?«, fragte Sean leise. Suleiman stieß eine Verwünschung aus und antwortete: »Bei Sonnenaufgang wird er wach. Die Dämonen des Alkohols tanzen in seinem Kopf. Er wird seine schäbigen Münzen finden und beschämt in sein Wohnloch zurück kriechen.«

»Lassen wir ihn also liegen?«

Suleiman zuckte mit den Schultern. »Selbst Allah ist der Schlaf heilig. Wer sind wir, diesem Gebot zuwiderzuhandeln?«

Sean schob sein Schwert in die Scheide zurück. »Mein Schlaf mag nicht heilig sein«, sagte er, »aber ich brauche ihn dringend. Zeigst du mir den Heimweg?«

»Blinder schottischer Christ«, antwortete Suleiman spöttisch. »Zum Haus meines Vaters ist es weit – darf ich bei euch nächtigen?«

»Nichts leichter als das. Führe mich, o Werfer pergamentbeschwerter Steine«, entgegnete Sean und folgte Suleiman in die nächste finstere Schlucht zwischen Hauswänden. »Ich weiß nicht, wie weit es ist und ob wir in diesem Monat noch zurückfinden.«

Suleiman lachte leise und gab zurück: »In einer Viertelstunde stehen wir vor der Tür des Hauses. Komm. Vertrau mir. Du weißt, ich habe die Augen einer Nachteule.«

»Und manchmal glaube ich, du hast das Herz und den Verstand eines Fabeltiers, zusammengesetzt aus einem Falken, einer Schlange und einem störrischen Kamel. Du darfst trotzdem auf dem zerschlissenen Teppich neben meinem christlichen Bett schlafen.«

»Hochnäsiger Ungläubiger!«, antwortete Suleiman mit einem leisen Lachen. »Warte nur. Die wahren Prüfungen stehen dir noch bevor.«

Sean trabte erschöpft hinter Suleiman her. Er war sicher, dass ihn der Freund zuverlässig führte. Henri, Uthman, Mara und ihre Helferin schliefen gewiss seit langem. Ob Joshua dasselbe tat, war schwer zu sagen; er verbrachte viele Nächte schlaflos beim Studium seiner Schriften. Viel von dem Unbehagen, das Sean anfangs in der Heiligen Stadt beschlichen hatte, hatte sich verflüchtigt; trotzdem traute keiner der fünf Gefährten der Ruhe. Sie schien zu vollkommen, um von Dauer zu sein.

*

Auf dem langen Arbeitstisch lagen zwölf halb in verschiedenfarbige Tücher eingeschlagene Schwerter neben ihren ledernen Scheiden. Die geschwungenen Klingen glänzten im Sonnenlicht. Unterschiedliche Griffe aus Leder, Kordelgeflecht, Holz oder anderem Material waren daran befestigt worden; keine von ihnen war besonders kostbar oder gar mit Gold und Edelsteinen geschmückt. Das Gleiche galt für die Scheiden. Es waren zwölf gute, ausgewogene Waffen, die allesamt aus den Schmieden Abu Lahab ben Taimiyas stammten.

»Du wirst einen guten Preis dafür erzielen«, sagte Nadschib ben Sawaq. Prüfend zog er ein Schwert aus einer Scheide und schob es langsam in die geölte Lederhülle zurück. Es glitt ohne Widerstand hinein. »Es sind sehr gute Schwerter.«

»Abu Lahab schmiedet nichts Unbrauchbares«, entgegnete der Herr der Schwerter mit einem heiseren Lachen. »Das solltest du doch wissen. Und er denkt auch nichts Unbrauchbares!«

Der Schwertschmied lächelte selbstzufrieden und wandte sich an den Verwalter und obersten Wächter seines Besitzes. Abdullah ibn Aziz und zwei seiner Männer, mit ähnlichen Schwertern bewaffnet, standen zwischen dem Tisch und der ausgetretenen Steintreppe, die zu den uralten Gewölben unter den Schmiedewerkstätten führte.

»Ihr werdet die Schwerter zum Palast des Großwesirs bringen. Er hat sie bestellt, aber der Eunuch, der den Emir berät, wird die Ware bezahlen. Du kennst den Preis, Abdullah.«

»Ich kenne ihn genau, o Effendi«, antwortete Abdullah. Sein dünnes, bärtiges Gesicht blieb unbewegt. »Und weil ich auch dich kenne wie kaum ein anderer, werde ich nicht mit mir feilschen lassen.«

»So ist es recht.« Abu Lahab deutete auf die Waffen und nickte. »Wickelt sie ein und schafft sie zum Palast. Das Geld bringst du mir heute Abend in mein Haus, Abdullah.«

»Bei Sonnenuntergang«, versicherte der hochgewachsene Mann. »Zuverlässig wie immer.«

»Die Tücher gehören nicht zur Lieferung«, warnte Nadschib den Verwalter und seine Männer. »Bringt sie wieder zurück. Sonst lässt Abu Lahab euch auspeitschen.«

Abdullah nickte, und ein breites Grinsen huschte über sein Gesicht. Sie hatten laut reden müssen, denn ringsum wurde lärmend gearbeitet. Das Fauchen der Blasebälge mischte sich in das stetige Klirren und Klingeln der Schmiedehämmer und das zischende Geräusch, mit dem die Klingen geschliffen wurden. Träge krochen Dampf und Rauch zwischen den Gebäuden über den Boden, der mit Ascheflocken und den Resten von Holzkohle bedeckt war. Überall waren Rußspuren zu sehen; über den mit rußigen Palmblättern gedeckten Schmieden und Schmelzen hing ein ätzender Geruch. Abu Lahab aus Antiochia war der größte und bekannteste Schwertschmied Jerusalems. Seine Werkstätten befanden sich inmitten wuchtiger Ruinen, von denen man sagte, dass sie aus der vergessenen Zeit der römischen Herrschaft stammten.

Abdullah und seine beiden Männer wickelten die Tücher um die Schwerter, beluden ein Maultier mit den schweren Körben und verließen das Grundstück der Schmiede.

Abu Lahab winkte einige Tagelöhner herbei und rief: »Räumt den Tisch weg und bringt die Teile ins Lagerhaus.«

Nadschib, seine rechte Hand und Herr der Waren- und Geldlisten, folgte Abu Lahab ins Gewölbe hinab. Er warf einen kurzen Blick zum Himmel, ehe er die Stufen betrat. Nadschib ahnte, dass er wieder einmal als Einziger den wirren Reden seines Dienstherrn lauschen musste.

Der erste Ruf des Muezzins weckte Suleiman ben Abu Lahab, der nicht auf dem Teppich neben Seans Lager, sondern in einem der leer stehenden Zimmer des Hauses geschlafen hatte. Als er in den Garten ging, um sich zu waschen, traf er am Brunnen auf Henri de Roslin, der gerade zwei große Tonkrüge gefüllt hatte, die er zu Mara in die Küche bringen wollte.

»Salaam, du Held der Nacht«, grüßte Henri. »Haben die Kapuzengeister wieder vielen Bettlern die Almosen gerettet?«

Suleiman verbeugte sich, gähnte und antwortete: »Sean und ich waren in der Tat recht erfolgreich. Ihr könnt mit uns zufrieden sein.«

»Eigentlich ist es überflüssig, es noch zu erwähnen, aber ich werde es trotzdem tun: Uthman hat im großen Souk und vor der Moschee viel von euren Taten reden hören; alle dort sprechen über das Schwert, das den Armen hilft. Offensichtlich weiß aber niemand, wer sich dahinter verbirgt, euch hat also wohl niemand bei euren Taten beobachtet.«

»Das ist der Vorteil, wenn die Dschinn in besonders dunklen Nächten schwarz gekleidet sind.«

»Und wenn sie, so wie du, unzählige Verstecke in der Stadt kennen.« Henri lachte und schleppte die Krüge zum Vordach der Küche. Seit kapp neun Monaten waren er und Joshua Gäste in Uthmans Haus. Seit dieser es geerbt hatte, teilte er dessen Bequemlichkeit gern mit seinen Freunden, ganz so, wie es die Tradition morgenländischer Gastfreundschaft gebot. »Auf dem Dach wartet Essen auf uns.«

»Ich komme, wenn ich mich angekleidet habe«, sagte Suleiman und tauchte das Tuch ins Wasser. Er hatte keine Eile und hing, während er sich wusch und umzog, seinen Gedanken nach und jenen Überlegungen, die ihn und seine neuen Freunde betrafen. Seit dem Nachmittag, vor wenigen Monaten, an dem er mit Abdullah wieder einmal die Kunst des Schwertkampfes geübt und dem Wächter seines Vaters sein Wissen offenbart hatte, waren die Bewohner dieses Hauses nicht wieder belästigt oder gar angegriffen worden. Aber er traute dem Frieden nicht. Er kannte seinen Vater und dessen wirre Träume von großer Macht.

Er stieg die beiden Treppen zum Dach hinauf und begrüßte die Freunde, die bereits alle am Tisch saßen und einen warmen Kräuteraufguss tranken. Uthman rückte einen Hocker für Suleiman heran.

»Na, ohne Albträume geschlafen?«, erkundigte er sich knapp. »Sean hat uns schon von eurem nächtlichen Abenteuer erzählt. Aber auch andernorts verbreitet sich die Kunde von euren dunklen Unternehmungen rasch.«

»So scheint es jedes Mal zu sein, wenn wir unterwegs waren«, bekräftigte Sean. »Doch heute Nacht haben wir etwas anderes vor. So haben wir beide es ausgemacht.«

»Ich sollte mich wohl besser zu Hause sehen lassen«, sagte Suleiman. Mara füllte eine Schale und stellte sie vor ihn auf die weiße Tischplatte. Suleiman nickte dankend. »Und abends erwartet mich Mariam.«

»Dein Vater kennt sie noch immer nicht?«, fragte Uthman.

»Ich glaube, er wird bald herausgefunden haben, wer sie ist.« Suleiman schlürfte das süße Getränk und zuckte mit den Schultern. »Dieser naseweise Hasan al-Maqrizi, der Laufbursche, den mein Vater bezahlt und der von Abdullah geprügelt wird, wenn er keine Neuigkeiten bringt, verfolgt mich unermüdlich.«

»Ab und zu sehen wir ihn«, unterbrach Sean und grinste, »wenn wir nachts unterwegs sind. Aber bisher konnten wir ihn noch abhängen.«

»Krüge gehen so lange zum Brunnen, bis sie brechen. Sei vorsichtig, Suleiman«, warnte Joshua mit leiser Stimme. »Jerusalem ist eine große Stadt, aber so groß ist sie auch wieder nicht.«

Suleiman setzte die Schale ab, warf Sean einen besorgten Blick zu und vergaß vorübergehend ihre erfolgreichen nächtlichen Auftritte.

»Das ist es, was mir seit langem Kummer bereitet, bei Allah«, begann er. Er wusste, dass er den Gefährten vertrauen konnte. Das Wissen darum war während des vergangenen halben Jahres täglich gewachsen. Er richtete seinen Blick auf Joshuas schmales Gesicht. Die dunklen Augen hinter den dicken Gläsern des Brillengestells schienen ihn zu durchschauen. »Es sind drei Sorgen. Bald wird mein Vater wissen, wer Mariam ist und wo sie wohnt. Dann wird er danach trachten, uns zu trennen. Er will, dass ich eine Muslimin zur Frau nehme und dass sie ihm ein Dutzend Enkel schenkt. Wenn es so weit ist, muss ich mir etwas ausdenken – sicherlich werde ich dann eure Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Bald werde ich euch den Namen meines Vaters nennen müssen. Bisher habe ich ihn verschwiegen, denn ich bin sein Sohn und kein Verräter. Aber bisweilen höre ich, wie er noch immer von seinen Machtträumen redet, er ist besessen davon. Daher weiß ich auch, dass er nach wie vor alle Juden und Ungläubigen aus der Stadt treiben will. Und wenn es zu Kämpfen kommt, käme ihm das gerade recht, denn dann könnte er zahlreiche Schwerter, Dolche und andere Waffen verkaufen, so glaubt er zumindest. Mehr kann ich noch nicht preisgeben.«

Suleiman wartete, bis sich die Unruhe unter den Gefährten gelegt hatte, und fuhr fort: »Abdullah ibn Aziz, sein oberster Wächter, hat im Auftrag meines Vaters den Aufruhr vor eurem Haus angezettelt und die beiden Assassinen geschickt, die Henri zum Glück hat besiegen können. Abdullah ist meinem Vater treu ergeben, aber eigentlich widerstreben ihm solche Unternehmungen. Er ist ein ehrlicher, vernünftiger Mann, ein aufrechter Muslim, aber er gehorcht den Befehlen seines Herrn. Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass ich ihn und Vater beim Emir melden werde, wenn mein Vater wieder etwas gegen euch im Schilde führt. Er wird mit meinem Vater geredet haben. Bisher blieb alles ruhig. Aber die Träume meines Vaters sind wild und zornig, sie haben mit der Wirklichkeit wenig gemein. Trotzdem – oder gerade deshalb – fürchte ich, wozu sie meinen Vater verleiten könnten.«

Suleiman schwieg und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Einige Augenblicke lang wirkte er hilflos und bedrückt.

»Wir wissen nicht«, sagte Henri nach einer Weile, »wie lange wir in Jerusalem bleiben werden. Würden wir die Stadt in wenigen Tagen verlassen, könnten wir unserem Schwur nicht Folge leisten. Wir haben geschworen, Sean und Suleiman auszubilden. Sie wollen und sollen in unserem Sinn für Wahrheit und Toleranz und Friedfertigkeit kämpfen. Das können wir nicht, wenn wir über die Welt verstreut sind.«

»Wie es schon so oft geschehen ist«, murmelte Uthman. »Unseren ersten Kampf hier – werden wir ihn wegen Mariam und Suleiman führen?«

Henri hob unschlüssig die Schultern und zog die Finger durch seinen kurzen Kinnbart.

»Mag sein. Wer weiß?«, sagte er. »Es wird sich zeigen. Wenn es denn sein muss – wir sind bereit.«

»Noch sind es Gerüchte«, sagte Suleiman leise. »In einigen Tagen werden wir wissen, woher der Wind weht.«

»Und wohin uns der Wind des Schicksals trägt«, murmelte Joshua gottergeben.

*

Die Vorhänge bewegten sich träge in einem kühlen Luftzug. Die darauf gestickten und gemalten Blütenranken und die Ornamente der ellenbreiten Säume zeigten ein die Augen verwirrendes eigenes Leben. Der Rauch von schwelenden Kräutern und Weihrauchkörnchen aus den Glutschalen beschrieb träumerische Wirbel und Wölkchen vor den Kerzenflammen. Aus einem entfernten Teil des Hauses ertönte leise Musik; jemand spielte auf einer Flöte, ein anderer schlug sacht auf eine kleine Trommel, und die Akkorde einer Laute schwangen durch die beginnende Nacht.

Abu Lahabs Finger bewegten sich unablässig über die Ränder der silbernen und goldenen Münzen. Er schien den Inhalt der kleinen Truhe aus schwarzem Holz mit silbernen Intarsien seit einer halben Stunde immer wieder zu zählen. Seine Ringe klirrten gegen das wertvolle Metall.

»Allahu akbar«, sagte er schließlich und klappte den Deckel zu. »Ein gutes Geschäft. Die Krieger des Emirs haben Waffen, und ich hab mein Geld.«

»Ist es die richtige Summe?«, erkundigte sich Abdullah mit verhaltenem Spott und sah Nadschib ben Sawaq fragend an. »Du hast nachgezählt, Nadschib. Abu Lahab hat gezählt. Ich habe nichts behalten. Also?«

»Niemand zweifelt an deiner Ehrlichkeit.« Abu Lahabs Stimme klang ärgerlich. »Aber wenn ich an deine scharfäugigen Wachen und diesen hakennasigen Burschen Hasan denke und daran, was sie mich kosten, steigt Ärger in mir auf.«

Abdullah breitete entschuldigend die Arme aus und antwortete: »Du sprichst von Suleiman, dem Spross deiner Lenden, und davon, dass er uns noch nicht zu der Christin geführt hat. Sie heißt übrigens Mariam. Diesen Namen hat er mir genannt.«

»Dein Sohn hat die Listigkeit und die Behändigkeit, mit denen er sich an tausend Stellen in der Stadt versteckt, auch von seinem Vater geerbt«, wagte Nadschib einzuwerfen. »Du solltest stolz auf ihn sein, o Effendi.«

Abu Lahab klatschte in die Hände. Der Eunuch kam mit einem vollen Krug herein, füllte drei silberne Becher, verneigte sich und glitt geschmeidig auf nackten Sohlen über die Teppiche wieder hinaus.

»Mein Stolz auf Suleiman ist ungebrochen«, antwortete Abu Lahab missmutig und griff nach dem Trinkgefäß. »Gerade deswegen behagt mir nicht – was sag’ ich bei Allah! –, deswegen quält mich die Vorstellung, dass meine Enkel muslimisch-christliche Bastarde werden. Oder, was Allah in seiner Güte verhindern wird, muslimisch-jüdische Zwitterwesen! Ich hasse es, mir dies wieder und wieder ausmalen zu müssen.«

Es gab eine kleine Pause, in der die Musik, die die ganze Zeit über im Hintergrund gespielt hatte, kurz verklang und nur das Plätschern des Brunnens zu hören war. Abu Lahab stellte den Becher hart auf die Marmorplatte des niedrigen Tischchens. Sein Arm fuhr in die Höhe, als wolle er etwas beschwören.

»Es ist ohnehin ungerecht und furchtbar, dass die Juden im Abendland so viel Macht haben! Sie sind Ärzte, die Fürsten, Könige und selbst den Kaiser mit ihren Zaubereien heilen. Sie leihen den Fürsten Geld, sie rechnen und schreiben für die Könige und vergiften die Herzen der Mächtigen mit ihren abergläubischen Lügen und Versprechungen.« Abu Lahab ereiferte sich; seine Stimme wurde schrill. Er war bis hinaus in den Garten deutlich zu verstehen. »Sie haben über die ganze Welt ein Netz gesponnen! Jeder jüdische Imam – das sind ihre Rabbi-Priester! – schreibt jedem anderen Briefe ohne Unterlass.«

»Davon habe ich, bei Allahs Weisheit, noch nie etwas gehört«, sagte Nadschib kopfschüttelnd. Abu Lahab starrte ihn zornig an.

»Du nicht. Aber ich. Überall, wo meine Schwerter verkauft werden, weiß man, was die Juden treiben.«

Es war keineswegs das erste Mal, dass Nadschib und Abdullah unbemerkt von Abu Lahab schweigend lange verständig-verzweifelte Blicke wechselten. Wieder einmal verwechselte Abu Lahab einen seiner Träume mit der Wirklichkeit. Ein weiterer seiner Träume handelte von Krieg. Allerdings träumte Abu Lahab nicht davon, dass er sich mutig und gut gepanzert auf einem Schimmel mit mehreren seiner kostbarsten Schwerter in die Schlacht stürzte, sondern wie er vom Krieg profitierte und Emir von Jerusalem wurde. Abu Lahab wollte Waffen verkaufen, Schwerter, Dolche und Messer, geschmiedete Pfeil- und Lanzenspitzen. Je mehr, desto besser, denn je mehr Verkäufe er tätigte, umso mehr Silber und Gold konnte er in seinen Ebenholztruhen horten.

Weder Abdullah noch Nadschib erinnerten sich daran, dass Abu Lahab ben Taimiya jemals Ärger mit einem Juden gehabt hätte. Kein Jude hatte ihm je eine Münze streitig gemacht, sich in sein Geschäft eingemischt oder ihn als »geizigen Fettsack« oder »Sklavenschinder« beschimpft und beleidigt. Wahrscheinlich kannte Abu Lahab nicht einmal einen einzigen Juden. Dennoch hasste er Juden, so, wie er Sandstürme oder Fehlgüsse oder geldgierige Scheidenmacher hasste.

Abdullah nahm einen tiefen Schluck und wartete auf die nächste Suada seines Dienstherrn.

»Die Juden. Ich sag’s immer wieder«, begann Abu Lahab in gemäßigterem Ton, »die Juden mit ihrer Thora, dem Messias, der nie kommen wird, den seltsamen Riten, ihrem Geiz und ihrem Vermögen – sie verdienen am Zins mehr als ich mit ehrlicher, schweißtreibender Schufterei! –, mit dem Wein, mit dem sie sich berauschen und betäuben. Wenn wir hier ein paar von ihnen erschlagen, erfahren es die anderen in kurzer Zeit, und dann schicken sie ihre abendländischen Fürsten in den Krieg.« Er holte tief Luft und leerte den Becher, der duftenden roten Wein enthielt, lächelte erwartungsvoll und beendete seinen Vortrag. »Und dann wird sich eine Schlange bilden zwischen meiner Schmiede und dem Palast. Lauter aufrechte Muslime. Sie werden um Schwerter und Dolche betteln und jeden Preis dafür bezahlen.«

»Allah straft die Wucherer, o Effendi«, sagte Nadschib. »Du redest dich um deinen Einlass ins Paradies.«

Abu Lahab machte eine wegwerfende Bewegung, deutete mit dem leeren Becher auf Abdullah und sagte schroff: »Meine Wohltaten werden diesen kleinen Makel mehr als aufwiegen. Du, Abdullah, wirst deinen Männern befehlen, einige Juden in der Stadt zu überfallen. Sie sollen die Kerle erschlagen oder zumindest derart verwunden, dass sie um Hilfe schreien und später noch anderen von dem Überfall berichten können. Am besten wäre es, sie würden Briefe ins Abendland schreiben, in denen sie von ihrem Ungemach berichten.«

Abdullah beugte sich vor, erhob sich halb von seinem weich gepolsterten Hocker und sagte entschlossen: »Ich tue alles, was du befiehlst, Effendi. Aber weder ich noch meine Männer werden einen einzigen Juden erschlagen.«

»Dann werde ich wohl in Zukunft auf deine Dienste verzichten müssen«, sagte Abu Lahab scharf.

Abdullah setzte sich wieder und erwiderte: »Du wirst in der Stadt niemanden finden, der einen Juden erschlägt, ohne dass er selbst von einem von ihnen angegriffen wurde. Ich nicht, meine Männer nicht und auch sonst niemand. So viel Gold hast du nicht, Effendi. Glaub’s mir. Die Juden und die Christen sind durch das Gesetz geschützt.«

Flüchtig dachte Abdullah an Suleiman, der mindestens zwei Christen und einen Juden zu seinen Freunden zählte und ihn, Abdullah, nachdrücklich vor weiteren Gewalttaten gewarnt hatte. Er schüttelte wieder den Kopf, dieses Mal viel heftiger, und sagte: »Dein Sohn würde dich beim Emir melden. Ich müsste dem Emir die Wahrheit sagen. Das wäre das Ende deiner Gießerei und deiner Schmiede und all deines Reichtums, Abu Lahab. Vergiss deinen Traum von toten Juden. Dein Reichtum ist groß genug – willst du dich wegen einer Handvoll Golddinare an Allah versündigen?«

Abu Lahab schien einzusehen, dass sich sein Plan kaum verwirklichen ließ. Ihm war bewusst, dass Nadschib und Abdullah ihn nicht ohne Grund vor seinem Vorhaben warnten. Beide Männer genossen sein Vertrauen, ja, sie waren so etwas wie seine Freunde; schon vor vielen Jahren hatte er ihnen sein Leben und das Wohl seines Besitzes anvertraut. Er senkte den Kopf, betrachtete den Wein im Becher und fragte: »Was würde geschehen, wenn plötzlich eine große Zahl Juden verschwinden würde? Wenn sie einfach unsichtbar werden würden, weil sie zum Beispiel für Monate oder Jahre in irgendwelchen dunklen Verliesen versteckt werden würden? Das würde doch sicher auch der Kaiser des Abendlandes erfahren.«

»Schon möglich«, antwortete Nadschib vorsichtig. Er war froh, dass aus dem reißenden Strom von Abu Lahabs Worten ein, wenn auch gerade Hochwasser führendes, Bächlein geworden war. »Tod ist unwiderruflich. Allah verbietet es, das weißt du so gut wie wir. Aber im Koran steht nichts über das Einkerkern von Juden geschrieben.«

Nadschib verzichtete darauf, die näheren Umstände zu erläutern, unter denen Mord und Gefangennahme nicht oder zumindest nicht ausdrücklich verboten waren, denn er sehnte ein rasches Ende dieses Gesprächs herbei. Abu Lahab hatte nicht so viel getrunken, dass er nicht mehr wusste, was er sagte. Er trank zwar Wein, obwohl der Prophet ihn nur Kranken und Genesenden erlaubte, aber nie zu viel. Es war ein inneres Fieber, das ihm diese wirren Träume eingab. In Wirklichkeit fürchtete Abu Lahab jeden Schmerz, ging jeglichen Handgreiflichkeiten aus dem Weg und behandelte seine Diener, Dienerinnen, Sklaven und Verschnittenen gut und gerecht – aber selbst die ausdrücklichsten Einwände vermochten nichts von der Wirkung jenes Dämons zu mindern, der in seinem Herzen und seinem Kopf sein Unwesen trieb.

»Ich werde gründlich darüber nachdenken, und vielleicht kann ich deinen Befehlen bis zu einem bestimmten Punkt gehorchen«, versprach Abdullah halbherzig.

Als habe sich eine Dolchspitze in seine Hinterbacken gebohrt, sprang Abu Lahab auf, hob beide Fäuste und rief: »Und so schnell wie möglich, Oberster Wächter Abdullah, will ich wissen, wo diese Christin – Allah schlage ihre Familie mit schrecklichen Seuchen! – wohnt, was ihr Vater treibt, ob sie Jungfrau ist oder sich meinem verlotterten Sohn schon hingegeben hat und was Suleiman im Haus dieses Christen- und Judenfreunds Uthman ibn Umar zu schaffen hat.«

Abdullah nickte derart ergeben, dass seine Bewegung fast wie eine Verneigung aussah. »Solange ich niemanden erschlagen muss, werde ich es Tag und Nacht versuchen. Schon bald wird dir Erleuchtung zuteil, o Effendi. Allah ist mit den Standhaften.«

Nadschib leerte den Becher und verhehlte nicht, dass er sich äußerst unbehaglich fühlte. Weder er noch Abdullah wohnten in dem weitläufigen, schönen Haus Abu Lahabs, was beide als Vorteil ansahen. Bisher hielten sich Zuneigung und Ablehnung gegenüber ihrem Herrn ungefähr die Waage. Bisweilen allerdings – und heute Nacht war dies wieder der Fall – senkte sich die Schale der Ablehnung gefährlich nach unten. Geschah dies, so war es ratsam, den Becher zu leeren und das prunkvolle Haus schleunigst zu verlassen. Als Abdullah aufstand, erhob sich auch Nadschib.

»Ich warte!«, rief Abu Lahab warnend. Unter dem schwarzen Bart zitterte die Haut seiner Wangen. »Aber ich warte nicht mehr lange. Sieh’ zu, dass du Antworten auf meine Fragen erhältst, und halte mich auf dem Laufenden! Ich ertrage die Ungewissheit nicht länger.«

»Inshallah!«, sagte Abdullah, erinnerte sich an den harten Übungskampf mit Suleiman und den bitteren Wahrheiten, die er dabei erfahren hatte. »Ich weiß, dass meine Mittelmäßigkeit eines Tages mein Verderben sein wird.«

Auch Nadschib verabschiedete sich mit einer tiefen Verbeugung und sagte: »Das wird zwei, drei Tage nach meiner völligen Unfähigkeit sein, mit den Fingern, im Kopf, auf Papier und mit dem Abakus richtig rechnen zu können. Aber da ich weiß, dass Allah auch mit den dummen Gläubigen ist, wird sich ein Mildtätiger finden, der mir Brei und Brotkrumen nicht verwehrt, o Effendi.«

»Ihr strapaziert meine Duldsamkeit. Alle beide!«, rief Abu Lahab, der sich nicht sicher zu sein schien, ob er fluchen oder grinsen sollte. »Bis morgen. Zur gewohnten Stunde.«

»Wa alaykum as-Salaam!«, sagte Abdullah und verließ rückwärtsgehend den Raum. Naschib folgte ihm schweigend. Vor dem Tor nickten sie einander zu und gingen, in verschiedene Richtungen, schweigend ihrer Wege.

Kapitel 2

Im Mai Anno Domini 1324: Zwischen Luzern und der Rhône

Es waren nun schon mehr als einhundertzwanzig Tage und Nächte vergangen, seit zweihundertachtundachtzig Juden – Männer, Frauen, Mädchen, Knaben, Kinder und Säuglinge – in Überlingen am Bodensee im Mauerturm verbrannt oder außerhalb des Bauwerks erschlagen oder zu Tode geschunden worden waren. Nur ein Einziger hatte das Massaker überlebt: der zwanzigjährige Elazar ben Aaron.

Zweihundertachtundachtzig. Die Zahl hatte sich in Elazars Herz eingebrannt, als stamme sie aus der Kabbala, doch von Tag zu Tag war sie ihm kleiner erschienen und hatte an Gewicht verloren. Es war schwer möglich, um so viele Menschen angemessen zu trauern. Es war bereits unermesslich hart und quälend, auch nur um drei Menschen trauern zu müssen: den Vater, die Mutter und die kleine Sarah mit den strahlenden blauen Augen und dem unwiderstehlichen Kinderlächeln.

Seit den nächtelangen Gesprächen mit Rabbi Baruch Cohen in dessen Haus in Luzern war vieles geschehen. So unendlich viele Schritte lagen hinter ihm – durch Schnee und Matsch, durch Täler und über eisige Pässe. Zwar führte ihn seine Wanderung nach Süden, der Sonne und der lange vermissten Wärme entgegen, doch zurzeit führte sie nur durch Schnee und Eis. Das Ziel war wie eine schemenhafte Verheißung: Jerusalem.

Elazar war viel allein gewandert und oft verzweifelt. Zuweilen hatte er sich aber auch mit zufälligen Weggenossen zusammengetan. Dabei hatte er sich auf unbekannten Pfaden immer weiter von Luzern entfernt. Flüchtlinge, Schmuggler, Wegekundige und Gebrechliche, die unterwegs an Entkräftung starben und die man begraben musste, hatte er begleitet. Schritt für Schritt. Er litt Hunger und Durst. Und es gab mehr Schnee, als er je zu sehen gewünscht hatte. Flucht vor Grenzwächtern, Verstecke in einsamen Hütten, Gastfreundschaft von Menschen, die ihren kargen Besitz und ihre wenigen Vorräte mit den Wildfremden teilten, obwohl sie keine Juden waren. Und nun saß er am Ufer der Rhône, deren Wasser in der ersten zaghaften Wärme des Frühjahrs langsam anschwoll.

»Warum Jerusalem?« Diese Frage hatte er sich vielleicht tausend Mal gestellt. Und die tausendfache, aber noch immer undeutliche Antwort war: Warum nicht die Heilige Stadt und das Grab des Hohepriesters Simon?

Von Luzern hatte er sich nach Meiringen durchgeschlagen, mühevoll am See entlang und dann weiter nach Bern. Bis nach Genf hatte er es unter unsäglichen Mühen schließlich geschafft. Nur selten konnte er sich mit Geld aus dem Stiefelsaum oder dem versteckten Saum des Gürtels eine Pause und die notwendige Erholung leisten. Der Rabbi von Genf hatte ihn aufgenommen, gepflegt und ihn in seinem Entschluss bestärkt, nach Marseille oder Aigues-Mortes zu wandern, um sich dort eine Schiffspassage zu sichern. Er brauchte ein Schiff, das ihn nach Zypern brachte.

»Aber die Insel ist weit«, murmelte er und stemmte sich von dem riesigen Kiesel hoch, der aus dem schneebedeckten Ufergeröll aufragte. Er zog die Handschuhe straff, rückte die Mütze tief in die Stirn und stapfte flussabwärts. Sein dicker Wanderstock bohrte sich in ein Gemisch aus Kies und Schwemmgut. Wieder begann ein langer Abschnitt einer noch längeren Wanderung. Elazar hoffte, bald einen Pfad oder eine Straße zu finden und vielleicht einen Bauernkarren, der ihn mitnehmen würde.

Unter einem grauen Himmel, der Schnee oder Regen versprach, führten ihn seine Schritte weiter nach Süden.

*

Schlaflos lag Suleiman auf seinem Lager. Das Flämmchen der Öllampe war soeben erloschen. Aus der Glutschale, in der eine Mischung aus Weihrauch und Kräutern schwelte, die Nadschib für seinen Herrn im Souk gekauft und zusammengestellt hatte, stieg ein fingerdünner Faden in die Höhe und zerteilte sich unter der dunklen Decke. Erinnerungen seltsamer Art suchten Suleiman heim.

Er dachte an die Falkenjagden mit seinem Vater, an die Ritte vor ihm im Sattel eines Rennkamels und an die leere Weite der Wüste. Zwölf, fünfzehn Jahre war es her, damals hatte Abu Lahab seine Schwerter noch selbst geschmiedet und verkauft. Am Rand der Wüste, bei einem Getreidebauern, hatte er sich ein Jagdhäuschen errichten lassen; der uralte Großvater des Bauern hatte sich damals um die Falken gekümmert und sie abgerichtet. Nur der Teil des Hauses, in dem Suleiman nun einzuschlafen versuchte, war damals bereits fertiggestellt. Die Bäume im Garten waren noch jung gewesen, man hatte sie mit Stangen stützen und sorgfältig mit dem Wasser aus der Küche begießen müssen.

Auch die vielen Ringe an den Fingern des Vaters hatte es noch nicht gegeben. Vieles hatte sich verändert. Damals hatte Suleiman seinen Vater noch uneingeschränkt geliebt, die dunkle Seite seines Wesens, der Dämon des Erfolgs und der Golddinare hatte sich ihm noch nicht offenbart. Vielleicht hatte es ihn damals auch noch nicht gegeben, überlegte Suleiman, vielleicht war er erst hervorgetreten, als die Mutter starb, oder irgendein anderes erschütterndes Ereignis hatte das rastlose Hasten nach Geld und Macht in seinem Vater später ausgelöst. Denn rastlos musste man ihn nennen, diesen unendlichen Fleiß, mit dem sein Vater die Schmiede aufgebaut und nächtelang in seinen Ruinen außerhalb der Stadt gehämmert und geschmolzen hatte. Die Tage, an denen er seinem Sohn am Rand der Wüstensteppe geheimnisvoll-schaurige Geschichten von Dschinns und Dämonen erzählte, waren unterdessen immer seltener geworden.