Die Termiten - Günter Handlögten - E-Book

Die Termiten E-Book

Günter Handlögten

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Beschreibung

"Der Inhalt dieses Buches ist keine Fiktion. Diejenigen, die beabsichtigen, die in diesem Buch genannten Namen zu entschlüsseln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, möchten wir eindringlich auf mögliche juristische oder sogar persönliche Folgen hinweisen." Günter Handlögten/Henning Venske "Die Termiten" arbeiten im Untergrund einer westdeutschen Großstadt. Sie ist der Mittelpunkt eines Mafia-Sumpfes mit globalen Beziehungen. Aber offiziell sind "Die Termiten" die Spitzen der feinen Gesellschaft, einer wirtschaftskriminellen Vereinigung, dirigiert und straff geführt von ihrem Paten, dem "Anwalt", der zur Party geladen hat, um seine neuen Kanzleiräume einzuweihen. Die Ereignisse, von denen in die- sem Buch erzählt wird, haben sich tatsächlich so oder so ähnlich ab- gespielt: Erpressung und Mauschelei, das Zusammenspiel von Polizei und Justiz mit dem auflagenstärksten Revolverblatt, die Geldwäsche im Puff, der Drogen-, Mädchen- und der Waffenhandel, die Verfilzung von Boulevardpresse und Bundesanwaltschaft. Dieses Buch über "Die Termiten" nährt die Vermutung, dass die feine Gesellschaft genauso unfein ist, wie wir das schon immer vermutet haben. Da tritt kein einziger anständiger Mensch auf. Kein Wunder, dass am Ende der Leser einen Todesfall für ein Happy End hält.

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Seitenzahl: 242

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Ebook Edition

Günter HandlögtenHenning Venske

Die Termiten

Eine wahre Kriminalgeschichte

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www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-571-5

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2015

ullstein bild - CARO / Andreas Bastian

Satz: Publikations Atelier, Dreieich

VorbemerkungDer Inhalt dieses Buches ist keine Fiktion. Diejenigen, die beabsichtigen, die in diesem Buch genannten Namen zu entschlüsseln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, möchten wir eindringlich auf mögliche juristische oder sogar persönliche Folgen hinweisen.Günter Handlögten/Henning Venske

Inhaltsverzeichnis

1. Das Ende
2. Schlaff
3. Schnubbel
4. Mottenkropf
5. Vanmijsen
6. Paulsen
7. Lukassy
8. Der Perser
9. Funzlich
10. Exitus
11. Der Anfang

Günter Handlögten wäre auch ein guter Detektiv geworden. Bei der Arbeit war er von unglaublicher Hartnäckigkeit. Kam immer ganz unaufwendig und bescheiden daher, machte den Eindruck absoluter Harmlosigkeit, als sei er auf die Hilfe seines Gesprächspartners angewiesen, und gerade dadurch erweckte er bei misstrauischen Leuten den Eindruck, man müsse ihn milde stimmen, weil er sowieso schon alles wusste. Und dann erzählten die Leute ihm ihre Version der Ereignisse. Wenn sie meinten, sie hätten genug verraten und schwiegen, schwieg Handlögten ebenfalls. Manchmal minutenlang. Guckte nur mit seinen blauen Augen und grinste leicht. Die Gesprächspartner wurden dann fast immer nervös und legten nach. Viel fragen musste er nie, er wartete einfach ab. Und manchmal, nein, oft brachte er es fertig, dass die Befragten ihn für ihren Verbündeten hielten, der ihre Position verstand und die gleichen Feinde hatte. Handlögten war ein journalistisches Trüffelschwein, und mit ihm an einem Buch zu arbeiten machte nicht nur Spaß, sondern eröffnete auch immer einen Blick in gesellschaftliche Abgründe. (Aus Henning Venskes Biografie »Es war mir ein Vergnügen«, Westend 2014)

Günter Handlögten starb am 17. Dezember 2014

Bertrand Russell: »Die Wahrheiten, die wir finden, sind nicht von letzter Wichtigkeit, und die Wahrheiten, die von letzter Wichtigkeit sind, finden wir nicht.«

1. Das Ende

Die Todesursache war also klar, die Kollegen hatten keine Zweifel. »Danke«, sage ich, »danke für die Information«, und stecke das Telefon wieder in meine Manteltasche. Ich setze mich auf eine Bank und rauche erst mal eine.

Die Beerdigung heute Vormittag war ein gesellschaftliches Großereignis gewesen. Der Justizminister hatte dem Toten die letzte Ehre erwiesen und ihm einige Schmeicheleinheiten hinterhergeheuchelt. Abgeordnete hatten wichtig ums Grab he­rum­gestanden, die Staatsanwaltschaft war in prominenter Besetzung erschienen, Richter hatten respektvoll ihr Haupt geneigt, die großen Kanzleien der Stadt entboten ihre kollegiale Hochachtung durch das Entsenden der würdigsten Seniorpartner. Dem Pfarrer wird, so hoffe ich, für seine Lügen über den »herzensguten Freund und liebevollen Vater, den Anwalt der Schwachen und Gestrauchelten und den bedeutenden Rechtsgelehrten« der Eintritt ins Paradies verweigert werden. Er hatte es tatsächlich fertiggebracht, zu behaupten, das kostbarste Vermächtnis dieses Toten sei die Spur, die seine Liebe in unseren Herzen zurückgelassen habe.

Der Gangster Mottenkropf, von drei Bodyguards eskortiert und in safranfarbenes Kaschmir gehüllt, hatte eine weiße Orchidee auf den Sarg geworfen und so getan, als müsse er sich eine Träne aus den Augen wischen. Frau Barke, in elegantem Schwarz, mit Schleier am Hut, zeigte ihre schönen Beine und stellte eine begehrenswerte Witwe dar. Die zwei Exfrauen der Leiche hielten sich unauffällig im Hintergrund, zwei blasierte Jünglinge verbargen ihre Unscheinbarkeit hinter modischen Sonnenbrillen und ließen sich physiognomisch leicht als Söhne identifizieren, dafür waren die eisigen Blicke, die zwischen einer Gruppe Latinlovers aus Cali oder Medellín und einigen persischen Geschäftsleuten ausgetauscht wurden, umso bemerkenswerter. Selbstverständlich blitzten Pressefotografen in der Gegend herum, aber nicht jeder in der Trauergemeinde legte Wert darauf, mit aufs Bild zu kommen.

Die pompösen Trauerkränze stammten von Behörden, Institutionen, Organisationen und diversen Firmen. Der Blumenschmuck am Eichensarg wäre bei einer Fürstenhochzeit wegen Übertreibung unangenehm aufgefallen. Die Kerzen im Altarraum entwickelten eine solche Hitze, dass man sich gut vorstellen konnte, wie es sein würde, wenn eines Tages der ganze Verein auf höllischem Grill geröstet wird.

In den Traueranzeigen der Zeitungen hatte man nachlesen können, welch großartige Persönlichkeit, was für ein wundervoller Mensch, unverzichtbarer Ratgeber, innovativer Chef, zuverlässiger Partner, was für ein vorbildhafter Berufskollege und hochgeschätzter Vorsitzender uns durch ein tragisches Schicksal ganz unverhofft entrissen worden war.

Ich hatte mich schon während des Adagios von Albinoni davongemacht, weil ich es vermeiden wollte, in die Kirche zu kotzen. Ich bin in den Stadtwald gegangen. Bei bedecktem Himmel, und wenn es nicht zu warm ist, latsche ich hier gern stundenlang rum und räume meinen Kopf auf.

Ich fühlte mich befreit. Es gibt Probleme und Leute, die sie verursachen, und die muss man nur überleben.

Das Handy klingelt, ich melde mich. Die Botschaft, die ich höre, ist knapp und unmissverständlich:

»Kommen Sie bitte in zwei Stunden ins Büro. Es sind da einige Dinge zu besprechen, wir wollen die erfolgreiche Zusammenarbeit ja auch weiterhin fortsetzen. Ich möchte einige weitergehende Vereinbarungen mit Ihnen treffen.«

Die Stimme kenne ich. Oh Scheiße, jetzt fängt der ganze Film wieder von vorne an.

2. Schlaff

»Perlhuhn-Terrine mit Ingwersoße, Forellenfilets in Estragongelee mit Kaviarsahne, geräucherter Bachsaibling auf Spinat-Karotten-Salat. Das ist Forellenbäckchen-Sülze. Ganz köstlich. Grönlandgarnelen auf Artischocken-Carpaccio an Schlehenjus, kriegt man auch nicht alle Tage.«

Widerlich, wie Diethelm Schlaff einen seiner manikürten Finger in die Mousse vom Geflügelfleisch steckt und genüsslich ableckt. Aber dieser Grottenolm ist ein begnadeter Koch.

Der Anwalt hat ein feines Gespür für erstklassiges Personal. Er nimmt nicht irgendeinen hochdekorierten Maître de Cuisine aus einem Nobelrestaurant, er beschäftigt nur jemanden, der wirklich kochen kann. Aber Diethelm Schlaff beherrscht auch nichts anderes. Für jede Tätigkeit jenseits von Pfannen und Töpfen ist er nicht zu gebrauchen. Diesen Schlaff kannst du mir unter die Schuhe binden.

Ich fange einen Blick des Anwalts auf und schlage die Augen nie­der. Es ist verrückt: Immer wieder fällt es mir schwer, ihm Auge in Auge standzuhalten. Er legt es drauf an, er starrt dir durch die Augen hindurch bis in die Hypophyse. Da ist so viel Schamlosigkeit und brutaler Siegeswille in seinem Blick, dem hältst du nicht stand.

Ich jedenfalls weiche ihm regelmäßig aus, gucke weg, ich kapituliere immer. Und wenn sich unsere Blicke das nächste Mal treffen, glaube ich erneut, ein arrogantes Gewinnerlächeln in seinen Augen zu bemerken, ein unmissverständliches Signal: Du, alter Mann, hast gegen mich keine Chance.

Aber damit wird jetzt Schluss gemacht. Seine Augen werden demnächst brechen und ein für alle Mal vom Polizeiarzt zugedrückt. Irgendjemand wird ihm heute Nacht den Blick in diese Welt endgültig verstellen. Der Mörder ist schon anwesend. Doch nie­mand weiß, wer dem Anwalt die Sauerstoffzufuhr abdrehen wird.

»Mach mir doch mal ’ne Bockwurst und ein Butterbrot«, sage ich zu Schlaff. Der zuckt beleidigt zusammen. »Darauf bin ich nicht eingerichtet«, ant­wortet er.

Unglaublich, dieser vermeintliche Spitzenkoch: Zwei Meter Unfähigkeit im Coctailschürzchen, blond, gesund und etwa dreißig Jahre alt, aber nicht in der Lage, eine Bockwurst zu organisieren. Schlaff behauptet, er sei Journalist von Beruf – ich meine, das entschuldigt ja nicht alles.

»Filzlaus, pochierte«, murmele ich und trete einen Rundgang durch die Räumlichkeiten an.

Die neue Kanzlei wird heute endlich, nachdem sie schon mindestens zwei Monate in Betrieb ist, mit einer Party im engsten Kreis ein­geweiht.

»Alles vom Feinsten«, hatte der Anwalt in der schriftlichen Einladung mitteilen lassen, und das war bei ihm auch nicht anders zu erwarten. Edle Hölzer, Seidentapeten, dicke Teppiche, schwere, lichtundurchlässige Vorhänge. Achthundert Quadratmeter

Gewerbefläche in bester Lage, nicht zu weit vom

Justizministerium, nicht zu nah am Polizeipräsidium.

In welchen der pompösen Ledersessel man sich auch fallen lässt: Stets wird man mit teurer moderner Kunst konfrontiert, vorzugsweise Amerikaner. Der Anwalt kauft sie selbst in New York. Es geht das Gerücht, die Warhols stapeln sich in seinem Keller, weil ihnen die Rauschenbergs an den Bürowänden den Platz wegnehmen.

Keine Frage, so eine aufgemotzte Kanzlei habe ich noch nie gesehen. Und ich Trottel hatte die, in der der Anwalt vorher residierte, schon für das Optimum dessen gehalten, was man unter Umgehung der Gesetze erreichen kann.

Ich schätze mal, es sind zur Zeit siebzig bis achtzig Leute anwesend, leider mehr Männer als Frauen. Getrunken wird noch mäßig, nie­mand will sich eine Blöße geben. Der Anwalt ist ein Freund perfekter Umgangsformen, jedenfalls in Gesellschaft.

Er ist hier ja nicht solo, auf Tour durch seine Spezialkneipen, wo er sich gern mal irgendeine armselige Tussi aufgabelt, vorzugsweise aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks, die er dann in plüschigen Hinterzimmern oder gelegentlich auch bei wilden Feten im engsten Freundeskreis mit dem Rohrstock züchtigt oder in Fesseln legt. Ich denke, auch hier wird heute Abend die eine oder andere auftauchen, die sich für Geld vom Anwalt hat auspeitschen lassen. Aber bevor der Sadist nicht selbst das Signal dazu gibt, wird niemand es wagen, sich daneben zu benehmen.

Ich hasse ihn. Ich hasse ihn, weil ich mich vor ihm fürchte. Er hat mein Leben umgeleitet. Er hat aus mir jemanden gemacht, den ich nicht leiden kann. Ich hasse ihn, weil ich mich selbst hasse. Ich bin schwach, und er wird dafür büßen, dass er diese Schwäche zum Ausbruch gebracht hat. Er wird dafür bezahlen, dass er aus mir einen Waschlappen gemacht hat, dass meine Frau mit einem Kriminellen verheiratet ist und meine kleine Enkelin nicht stolz auf ihren Opa sein kann.

Heute Nacht wird das alles wieder gerade gezogen, heute Nacht werde ich Tabula rasa ma­chen und die Erdoberfläche von diesem Schädling entsorgen.

Ich stehe auf seiner Lohnliste. Schon lange. Und komme nicht wieder runter. Habe mich an mein komfortables Haus gewöhnt, fahre immer noch gern den Porsche, mag auf den exklusiven Urlaub nicht mehr ver­zichten, und ohne italienische Anzüge fühle ich mich nackt. Aber ich muss nicht jeden Tag Sekt aus der Achselhöhle einer ukrainischen Negerin schlürfen.

Allerdings – die Familie ist in aller Unschuld immer anspruchsvoller geworden. Wenn Corinna auch nur die geringste Ahnung hätte, welchen trüben Tricks die Perlenkette, über die sie sich an unserer Silberhochzeit so gefreut hat, zu verdanken ist, würde sie auf Nimmerwiedersehen verschwinden und unseren Kindern den Umgang mit mir verbieten.

In tiefer Dankbarkeit schreibe ich es der Schlafmützigkeit meiner vorgesetzten Dienststelle zu, dass es bisher noch niemandem aufgefallen ist, was für verdächtig große Sprünge wir vom Gehalt eines Kriminalhauptkommissars machen, und man kann nur hoffen, dass nicht eines Tages mal ein Steuerfahnder erscheint, um nachzumessen. Obwohl – auch diese Herrschaften kann man kaufen.

Nein, es gibt nichts zu beschönigen, ich lasse mich kräftig vom Anwalt schmieren. Und dafür bin ich ihm bei Bedarf gefällig. Nein, was lüge ich mich raus: Ich gehorche seinen Befehlen. Ich teile ihm mit, wann und wo eine Drogenrazzia stattfin­det, sage ihm, wer in Verdacht geraten ist, verrate ihm Ermittlungsergebnisse.

Einerseits verhindere ich Fahndungserfolge, in­dem ich mich auf sein Geheiß blind und taub stelle, andererseits lan­ciere ich seine Tipps, wann wir wo wen mit wie viel hochnehmen können (und sollen), auf die Schreibtische von Staatsanwälten, in deren Auftrag ich dann die gewünschten Verhaftungen vornehme. Ferner gehört es zu meinen Aufgaben, festgenommenen Drogenabhängigen und Rauschgifthändlern mit Nachdruck ein Schriftstück vorzulegen, durch das der Anwalt mit der Verteidigung des Verhafteten beauftragt wird.

Ich bin der Knecht eines Mannes, der ein unglaubliches Vermögen an­gehäuft hat, indem er jahrelang Justiz, Politik und Unterwelt vir­tuos gegeneinander ausspielte. Meine Provision wird stets äußerst korrekt abgerechnet, immer in bar, nie gegen Quittung. Der Anwalt garantiert mir ein ange­nehmes Auskommen. Aber nicht nur mir: Allen hier auf dieser Party. Das präzise Taxieren der Bedürfnisse eines Menschen – das ist die Stärke des Anwalts, und dann stuft er sie in seinem Lohngefüge so ein, dass es sich für ihn rechnet.

Das Polizeipräsidium, in dem ich Dienst schiebe, ist ein altes Nazigemäuer. Joseph Beuys hat neben dem Haupteingang, sozusagen als Kunst am Bau, an die Wand einen Grundgesetzartikel drangepinselt:

»Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.«

Ja unbedingt, möchte ich beipflichten, wenn alle den gleichen gewieften Anwalt haben. Aber treffender wäre bestimmt die Inschrift:

»Hier herrscht das staatliche Gewaltmonopol – die Personalunion von Polizist und Verbrecher. Willkommen im rechtsfreien Raum!«

Heute Abend stehen in der neuen Kanzlei alle Türen offen. Ich bes­ehe mir den abhörsicheren Konferenzraum, den der Anwalt, wie ich mir denken kann, optimal hat verwanzen lassen, und den luxuriös ausgestat­teten Toilettentrakt, schlendere dann an der Rezeption vorbei, quer durch die Lobby, wo teures Grünzeug in kostbaren Töpfen eine gesunde Umwelt vortäuscht, und ich betrachte die Indoor-Golfanlage, des Anwalts ganzer Stolz.

Das ist schon eine illustre Gesellschaft, die hier ihren Champagner schlotzt: Scharfe Staatsanwälte, unerbittliche Generalstaatsanwälte. Dazu die Autorität in Person, wohnhaft auf dem Gipfel des Rechtsstaates – der stramme Herr Funzlich, ein leibhaftiger Bundesanwalt. Ferner unbeugsame Richter und einige smarte Kollegen des Anwalts. Auch ein hoher Funktionär der Bundesanwaltskam­mer ist da und führt seine neue Freundin vor, als hätte er sie auf einer Auktion für Rassehunde erworben.

Ich sehe diskrete Geschäftsleute mit außerordentlichen Beziehungen nach Südamerika im Gespräch mit einflussreichen Landes- und Kommunalpolitikern, und auf einem zweisitzigen Sofa sitzt schwabbelnd, Pils auf Pils schluckend, der feiste Spitzensozi mit seinen dicken Brillengläsern, ein ehemaliger Minister, und erzählt zweideutige Anekdoten. Um ihn gruppieren sich orientalische Kaufleute mit Diplomatenpass, Wirtschaftsmanager, hohe Verwaltungsangestellte, die Spitzen der japanischen Kolonie mit ihrem computerisierten Lächeln – »Immel albeiten ohne mullen und knullen! Albeit macht Fleude!« – dezent korrupte Gewerkschaftsfunktionäre genauso wie windige Banker, seriös wirkende Steuerberater, Zeitgeistsurfer aus allen möglichen Bereichen und dazwischen, als unentbehrliche Hofschranzen, die Vertreter der Presse und des regionalen Fernsehens.

Schau an, Gottlieb Furtwängler ist auch da. Den haben Kollegen von mir vor gar nicht langer Zeit eingebuchtet, wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, versuchter Anstiftung zum Verbrechen und versuchter Strafvereitelung. Er soll seine Bankkonten für die Abwicklung von Drogengeschäften zur Verfügung gestellt haben und war wohl zuständig für Logistik und Geldverwahrung. Außerdem galt er als Nachrichtenzentrale und rechte Hand des sogenannten Kokain-Königs Suchoz.

Das alles wäre an und für sich noch nichts Besonderes, aber Furtwängler war immerhin einer der bekanntesten Rauschgift-Strafverteidiger der Bundesrepublik, der sich in der Presse auch gern als »Engel der Rauschgiftabhängigen« titulieren ließ, und dieser Ehrentitel ist redlich verdient – hat er doch jahrelang mit großem Erfolg die Hilflosigkeit von Justiz und Behörden gegenüber der Drogenproblematik angeprangert.

Nun läuft er also wieder frei rum, das heißt, er plaudert ganz gelassen mit Gunther Jeschke. Der hat gerade zwei Jahre auf Bewährung aufgebrummt bekommen, weil er so eine günstige Sozialprognose hat. Ein pfiffiger Junge! Er hat verschiedene Banken, Sparkassen, Finanzierungs- und Leasinggesellschaften um sechs Millionen Euro erleichtert, was übrigens überraschend einfach ist. Man muss es nur wie Jeschke machen: Mit einer Bank wird ein Kreditvertrag abgeschlossen, sagen wir mal über 150000,– Euro, zur Finanzierung des Ankaufs eines Daimler Benz 500SEL. Zur Absicherung der Kreditsumme wird der Bank der Fahrzeugbrief übereignet. Dann kann man das schöne neue Auto an eine Exportfirma gegen Bargeld weitergeben, die es dann zum Beispiel in die USA exportiert, wo ja kein Mensch nach dem Fahrzeugbrief fragt.

Das hat Jeschke 53 Mal probiert, und 53 Mal ist es gutgegangen. Die ersten zwei oder drei Raten hat er ja auch immer brav zurückgezahlt. Aber dann hat er wohl den Überblick verloren, und Banken, die ihr Geld nicht wiederkriegen, reagieren oft recht humorlos.

Furtwängler und Jeschke also im Expertengespräch.

»Ich sage Ihnen ganz klar«, dröhnt Jeschke in derbster Kölner Mundart, »nicht Geld, nein nein, fehlendes Geld regiert die Welt. Fehlendes Geld! Und wer das nicht kapiert, der muss eben im Supermarkt die Einkaufswagen zusammenschieben … Kennen Sie den von den zwei polnischen Hebammen?«

Furtwängler sieht mich plötzlich an, bemerkt, dass ich lausche, ich bemerke, dass er bemerkt, ich verpfeife mich.

Eine Horde Termiten ist das, die sich im Gebälk des Staates fett frisst, deren zerstörerisches Tun aber erst sichtbar wird, wenn eines Tages der ganze Laden zusammenkracht. Termiten agieren in aller Verschwiegenheit, »Erkennbare Kriminalität ist schlecht organisierte Kriminalität«, lautet ihr Motto, und ihre Konspiration beruht auf perfekter Planung. Dabei avancieren diese Inhaber zwielichtiger Lebensläufe bei unverändert hoher krimineller Energie zu honorigen Ehrenmännern mit Vorbildfunktion, was ihrem Selbstdarstellungstrieb ständig satte Befriedigung verschafft.

Ich nicke nach hier, grüße nach dort – die meisten der Anwesenden sind mir bekannt. Ich registriere freundliche Herablassung beim Wiedererkennen meiner Wenigkeit.

»Aber Sie sind doch hier das kalte Buffet, wir sind doch nur der Schnittlauch«, höre ich hinter mir eine Stimme sagen. So ungeniert schleimt nur einer den Anwalt an: Robert Lukassy. Der Chefreporter steht auf derselben Lohnliste wie ich.

Ich schlendere weiter und werde kaum beachtet. Ich bin hier ein relativ kleines Licht. Selbstverständlich steht in der Hie­- rarchie der Gäste Diethelm Schlaff noch wesentlich tiefer als ich: Damit die Herrschaften auf diesem Empfang nicht unter ihrem Niveau essen müssen, ist er aus einer ost­deutschen Provinzmetropole, wo er bei der ortsansässigen Zeitung das Vermischte auf der letzten Seite aufbereiten darf, in die Landeshauptstadt befohlen worden.

»Na, wieder in Gnaden aufgenommen?«, frage ich ihn.

»Ja, Gott sei Dank«, antwortet er.

»Liegt irgendwas Besonderes an?«

»Nein, nein, ich koche hier nur.«

Ich kenne Schlaff aus der Zeit, als ich noch simpler Kommissar war, und ich kenne ihn genau. Er ist ein genetischer Irrläufer aus einer wohlhabenden Familie, den seine Verwandtschaft stets nur mit Missbilligung zur Kenntnis genom­men hat. In diesen Kreisen wird man nicht Koch von Beruf, und man sattelt dann auch nicht um auf Journalist, ausgerechnet bei dem Revolverblatt mit den grellen Headlines, dem ein Gericht schon vor Jahren bescheinigt hat, dass es keine Scheu hat, Lügen zu produzieren. Und als besonders peinlich wird empfunden, dass dieses Blatt, das jeden, den es verein­nahmt, mit einem intimen Schluss – i am Ende des Namens behängt, aus dem Familiennamen »Schlaff« prompt ein passendes »Schlaffi« gemacht hat.

Später dann ist Schlaffi bei einer schäbigen Illustrierten gelandet (hieß sie nicht so ähnlich wie ein hastig vollzogener Geschlechtsverkehr?), die eines Tages sogar ihren Anzeigenkunden peinlich wurde, sodass sie einging und zu Recht aus den Kiosken und jedermanns Gedächtnis verschwand.

Bei dieser journalistischen Unappetitlichkeit war Lukassy, der Schleimer, sein Chef gewesen. Lukassy hielt sich Diethelm Schlaff als Faktotum und kochenden Redaktionsdeppen, mit dessen Hilfe man be­deutende Persönlichkeiten aus Polizei, Justiz und Verwaltung standes­gemäß verwöhnen konnte. Das geschah bei Kerzenlicht in Lukassys Wohnung, meist auf der Terrasse im Erdgeschoß. Aus Gästen wurden allmählich Freunde, die Freunde entwickelten sich zu Informanten – ein sprudelnder Quell an Insiderwissen für den Illustriertenmacher Lukassy. Er saß an dem von Schlaff delikat gedeckten Tisch und tafelte mit dem Generalstaatsanwalt Bäumlich oder mit dem Chef des Landeskriminalamtes, Will, mit dem leitenden Oberstaatsanwalt Hinzel, dessen Kollegen Hohnhall und auch mit dem berühmten Pathologen und Gerichtsmediziner Bender. Das jedenfalls sind die höchsten Tiere, von denen ich’s genau weiß. Bei diesen Mahlzeiten wurde Lukassy gespickt, dass jeder Rehrücken neidisch werden konnte. Und er schrieb in seinem Blatt, was die Herrschaften lesen wollten. Und das wiederum entsprach in erster Linie den Intentionen des Anwalts. Viagra im politischen Beischlaf heißt Ämter, Posten und Diäten.

Dieser illustre Freundeskreis ist, neben anderen imponierenden Figuren, heute Abend hier versammelt. Der Termitenhäuptling präsentiert seinen Termitenindianern das neue Wigwam. Auch der gute Kamerad des feisten Spitzensozi mit den dicken Brillengläsern ist geladen, der Abgeordnete Portier von der christli­chen Konkurrenzpartei, dessen schlichtes Weltbild sich schon da­durch offenbart, dass er eine Miniaturausgabe des Bundesverdienstkreuzes am Revers trägt. Der Kapitalismus hat keine Krise. Der Kapitalismus ist die Krise.

Lukassy steht vor einem Kristallspiegel im Rokokorahmen und überprüft sein Outfit. Und wenn er sich auch noch so energisch adonisiert – er ist die personifizierte Unscheinbarkeit, eine absolute Nullität, aber zu eitel, um zu merken, dass er nicht mal das gewisse Nichts hat. Er sieht zwar aus, als käme er direkt aus der chemischen Reinigung, ist aber eine hinterhältige Drecksau, der ich nur allzu gerne den Kopf zwischen den Ohren wegblasen würde. Aber nicht hier, nicht jetzt. Wir werden sehen, wie’s läuft heute Abend. Vielleicht kann ich ihn ja wenigstens als heimtückischen Mörder präsentieren.

Ich hatte damals, nach den Anfangsjahren bei der Verkehrspolizei und etlichen Lehrgängen und idiotischen Prüfungen sowie etlichen Stationen in anderen Abteilungen gerade bei der Drogenfahndung angefangen, als uns gewöhnlichen Beamten im Polizeipräsidium auffiel, über welch exklusive Informationen Lukassys Blatt immer wieder verfügte. Ich war zu der Zeit völlig naiv und sauber und konnte mir gar nicht vorstellen, wo da welche Drähte verliefen. Und die Kollegen und ich waren oft stinksauer, wenn wir wieder mal feststel­len mussten, dass in unserem Dampfer ein Leck war. Kann man ja nicht ahnen, dass sich das Leck im Schornstein befindet. Das ging eine ganze Weile so.

Dann arbeiteten wir mal an einer ziemlich schmutzigen Geschichte, internationaler Drogen- und Mädchenhandel, und kamen irgendwie nicht richtig weiter. Wir wussten, dass etwa tau­send Karibik-Beauties von einem weltweit operierenden Zuhälterring nach Deutschland geschleust worden waren, hatten aber noch nicht ent­schieden, wann und wie wir das Ding hochgehen lassen würden. Und die Ganoven hatten null Ahnung, dass wir uns ihretwegen überhaupt schon einen Kopf machten.

Mitten hinein in diese Ermittlung erschien eine schwach­sinnige Illustriertenstory, geschrieben »von unserem Reporter in Paris«, Diethelm Schlaff. (So ein Junge aus gutem Hause spricht schließlich perfekt Französisch!) Nicht, dass die Geschichte nun ein literarischer Leckerbissen gewesen wäre, sie enthielt auch keinerlei neue Erkenntnisse, ja, eigentlich war’s ein solches Dünnebier, dass man sich fragte, warum veröffentlichen die sowas überhaupt, aber die Story scheuchte eben den ganzen Hühnerhof zur Unzeit auf und erschwerte uns einen durchaus möglichen Fahndungserfolg. Wie gesagt, meine Kollegen und ich waren bis auf die Knochen frustriert und fragten uns: Wer ist denn diese Klosettforelle, die da in unserer Scheiße rumwim­melt? Wer hat diesen Schreiber Schlaff informiert und warum? Welche Interessen stehen hier auf dem Spiel?

Ich hatte zwar keinen Auftrag, in dieser Sache tätig zu werden, aber mich beschäftigte, was da ablief. Ich wollte schon als Kind lieber Gendarm als Räuber werden, und manchmal erfülle ich mir eben heute noch meinen alten Traum vom Detek­- tiv-Spielen. Ich will auch nicht bestreiten: Selbst nach über 30 Dienstjahren ist es gelegentlich ein geiles Gefühl, für Recht und Gesetz unterwegs und dafür von Amts wegen mit einer Schusswaffe ausgerüstet zu sein. Wenn man will, hat man damit wirklich die Macht, den eigenen Argumenten Nachdruck zu verleihen – das Klischee ist so stimmig wie abgenutzt.

Es war nicht schwer, Diethelm Schlaffs Bekanntschaft zu machen. Unsereins hat da so seine Möglichkeiten. Ich fand die Kneipe heraus, in der er sein tägliches Schlussgetränk zu sich zu nehmen pflegte. »Üriger« hieß das stilvoll verräucherte Altstadtlokal, wo er sich allabendlich an einem der Stehtische gegenüber dem Tresen einfand. Da stand er dann, meistens allein, glotzte vor sich hin und schüttete sich zu.

Schlaff trank gern und viel, aber nicht sehr gekonnt: Schon simples Altbier machte ihn schwatzhaft. Eines Abends stellte ich mich zu ihm und verwickelte ihn in ein Gespräch. Es war reiner Zufall, dass es ums Essen ging: Ich meckerte über die Qualität der Frikadelle, die ich mir bestellt hatte.

»Da fehlt ein bisschen Balsei«, war der erste Satz, den ich von ihm hörte.

»Kenn’ ich gar nicht«, antwortete ich, »meinst du vielleicht Salbei?«

Er guckte mich verwirrt an, grinste und sagte dann: »Quatsch. Basilikum natürlich.«

Wir mussten lachen, das öffnete alle Schleusen. Wir stellten uns einan­der vor, ich gab mich ihm als Bulle zu erkennen, und er sagte mit einem gewissen Stolz »Journalist«.

Von da an dauerte es nicht mehr lange, bis ich ihm meine Bewunderung für seine einzigartige journalistische Leistung in der Mädchenhandelstory aussprechen konnte. Schränkte aber ein, dass da ja wohl wesentlich mehr dahintersteckte und dass er noch lange nicht alles wüsste.

»Denkst du«, antwortete er, »ich weiß ganz gut, was da abläuft.«

»Aber das darfst du nicht schreiben, was?«, lockte ich ihn aus der Reserve.

Er guckte mich melancholisch an, sagte nichts.

»Aber so gibt die Geschichte doch nichts her. Ist doch langweilig«, setzte ich nach.

»Naja«, meinte er gedehnt, »das habe ich meinem Chef auch gesagt, dass das so nichts taugt. Er hat gesagt, egal, wir müssen das durchziehen.«

Ich nickte, als wüsste ich genau Bescheid. »Aber du hast keine Ahnung, warum?«, fragte ich.

»Klar doch, dringender Wunsch vom Anwalt.«

Ein dringender Wunsch des Anwalts war ein Befehl. Ich bestellte ihm noch ein Altbier.

Ich wusste natürlich, der Anwalt ist eine bekannte Größe in unserer Landeshauptstadt – brillant, erfolgreich, vermögend, sportlich – und vor al­lem: undurchsichtig. Ich wusste, dass man in einem der Giftschränke des Polizeipräsidiums eine meterlange Akte über ihn führt und dass es darin um Drogen, Immobilienbetrug, Erpressung, Steuerschwindel und vielleicht sogar um Mord geht. Aber ich war auch abgeklärt und desillusioniert genug, um gleichzeitig anzunehmen, dass gesellschaftliche Kontakte und mächtige Freunde des Anwalts ein Öffnen dieser Akte bis ans Ende sei­ner Tage und darüber hinaus verhindern würden.

»Naja, wenn der Anwalt einen Wunsch äußert, muss man springen«, sagte ich. Schlaff nickte, dankbar für mein Verständnis.

»Dein Chef ist der Lukassy, nicht?«, bohrte ich weiter und legte nach: »Das ist ein guter Mann, der versteht sein Geschäft.«

»Ein Vollprofi«, bestätigte er, »und seine Ehefrau arbeitet in der Kanzlei des Anwalts, was strategisch für alle Seiten recht vorteilhaft ist.«

Dem konnte ich nur beipflichten. »Du machst aber auch deinen Schnitt bei der Nummer, oder?«

Er grinste: »Ich kann nicht klagen.«

»Jaja«, stöhnte ich, »gute Beziehungen sind heutzutage alles. Ich weiß nicht, wie andere Leute das machen, aber ich kenne überhaupt niemanden von Bedeutung. Ich weiß auf den Pfennig genau, was ich in drei Jahren verdiene und mit wie viel ich in zehn Jahren in Pension gehe. Ich kenne das ge­naue Datum, wann die Lebensversicherung fällig wird und wann ich meinen Dienstausweis abgeben muss. Dein Leben ist nicht so langweilig, da bist du wirklich zu beneiden.«

Banaler ging’s nicht, auf diesem seifigen Lippenmüll musste er einfach ausrutschen.

Schlaff ging dann aufs Klo, und ich bestellte eine weitere Runde. Als er wiederkam, knüpfte er sofort wieder am Thema an. Offenbar war ihm beim Pinkeln die ganze Dimension seiner Persönlichkeit zu Bewusstsein gekommen, und die wollte er nun auch ins rechte Licht rüc­ken.

»Für einen Vollblutjournalisten wie mich sind Beziehungen das Wichtigste überhaupt«, erklärte er.

Ich wollte ihn provozieren: »Aber Lukassy hat noch wesentlich bessere Connections als du.«

Er zuckte, Gleichgültigkeit simulierend, mit den Schultern.

Und dann packte dieser Wichtigtuer aus. Ich hätte fast in den Stehtisch gebissen, als ich erfuhr, auf welchem Wege Anklagebehörde und Presse miteinander kooperierten: Da wurden in schöner Regelmäßigkeit dicke Aktenstöße der Staats­anwaltschaft per Autokurier im Redaktionsge­bäude der Illustrierten angeliefert, und Schlaff hatte den ehrenvollen Auftrag, diese eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Papiere zu fotokopieren. Offizielle Begründung für diese sicherlich einmalige Zusammenarbeit: Die Staatsanwaltschaft verfüge leider nur über ein antiquiertes Kopiergerät, das ständig überlastet sei und sehr viel Zeit in Anspruch nehme, und da müsse man eben behilflich sein, das sei ja geradezu eine staatsbürgerliche Verpflichtung.

Nach dem Kopiervorgang transportierte der Fahrer die Originale zurück in die Behörde, während ein Satz Kopien selbstverständlich auf Lukassys Schreibtisch landete. Auf dieser amtlichen und höchst vertraulichen Grundlage ließ sich dann bestens weiterrecherchieren, und so entstan­den Lukassys spannende Illustriertengeschichten, die uns simplen Fahndern den dicken Hals machten.

Die Quelle war also die Staatsanwaltschaft. In welcher Abteilung genau sie sprudelte, wer dort das Wasser nicht halten konnte, ließ sich nicht aus Schlaff herausholen. Wahrscheinlich wusste er’s wirklich nicht. Es waren dann nur noch ein paar Gläser Alt, bis er mir auch den Rest auftischte, alles, was er wusste und ich schon lange vermutete: Die karibischen Schönheiten wurden zum größten Teil in die Puffs der größeren Städte verfrachtet, natürlich auch in die unserer Landeshauptstadt. Dort landeten sie beispielsweise in der Liebstöckelgasse, wo es zwei Edelbordelle gab, die sehr viel Geld abwarfen und einer besonders erle­senen Kundschaft zur Entspannung dienten.

»Weißt du, wen ich da mal bei der Feierabendgestaltung gesehen habe?«, fragte Schlaff mit der Überlegenheit des Insiders.

»Na?«

»Den Innenminister.«

»Tja, wenn er’s nötig hat«, antwortete ich möglichst unbeeindruckt.

»Und den Intendanten des Senders!«, trumpfte Schlaff auf.

»Das hätte ich jetzt nicht gedacht«, bemerkte ich.

»Ja«, sagte er, »der eine so lang und fett, und der andere so kurz und dürr. Es war Slapstick pur, wirklich komisch, wie die da zu­sammen aufkreuzten.«

»Da hätte ich gerne die Laterne gehalten«, pflichtete ich ihm bei.

Der Innenminister war ja auch Polizeiminister, also mein oberster Chef. Ich wusste, der bevorzugte Dominas, die ihn vermöbelten.

Er bekam ein Lätzchen umgebunden und Götterspeise zu essen, und wenn ihm der Wackelpudding vom Löffel fiel, dann bekam er Saures.

Naja, schade um jeden Schlag, der vorbei geht.

Kurz und gut, die Sache war ganz einfach: Die Veröffentlichung von Schlaffs Artikel über die armen, aber wunderschönen Mädchen, die von ihren sonnigen karibischen Stränden durch brutale Räuber in die qual­volle Finsternis deutscher Bordelle wie die in der Liebstöckelgasse ver­schleppt wurden, hatte nur einen Zweck: Bürgerliche Empörung hervor­zukitzeln. Die Nachbarschaft sollte lauthals, am besten Steine schmeißend, protestieren, das ganze Viertel sollte den Stinkefinger erheben, aufgebrachte Anwohner sollten den guten Ruf der Edelpuffs, am besten durch demonstrierende Mütter mit rotznäsigen Kindern auf dem Arm, ruinieren. Dadurch wollte man die feine Kundschaft veranlas­sen, ihre Triebhaftigkeit andernorts auszuleben. Wer auf sich hält und auf äußerste Diskretion angewiesen ist, besucht kein Etablissement, das ins Gerede gekommen ist. Das war das Kalkül.

Ich verstand nicht: »Und warum das alles?«

»Ist doch logisch«, sagte Schlaff, ganz souveräner Kenner des Milieus, »der Anwalt war scharf auf Grundstück und Gebäude, und er wollte den Preis dafür drücken.« Das war einleuchtend. »Was wollte er denn daraus machen? Geschäftshäuser? Büroraum?«

Schlaff schüttelte den Kopf. »Nichts. Er wollte nur billig überneh­men.«

Ich hatte Zweifel: »Der Anwalt als ordinärer Puffbesitzer? Irgendwie passt das nicht zusammen.«